Q Business Excellence M■ Qualitätsmanagement in sozialen Einrichtungen Der Q-Beauftragte – Lotse auf schwierigem Terrain Von Rolf-Joachim Heger Ein Qualitätsbeauftragter organisiert Qualitätsmassnahmen und agiert als Lotse für die Mitarbeiter, damit sie im Prozess kontinuierlicher Verbesserung ihren Weg gehen können. Er hat eine herausragende, aber keine entscheidende Funktion. Das sorgt nicht nur bei ihm für Irritationen. Q M-Systeme und eine Zertifizierung nach der ISO-Norm sind heute gängige Standards in der regulären Wirtschaft. Nach und nach ziehen nun auch Institutionen der Sozialen Arbeit nach, erkennen sie doch – sei es aus eigener Überzeugung oder durch externe, meist fördertechnisch begründete Erfordernisse – deren Relevanz und Umsetzungsnotwendigkeit. Die Legitimation der geleisteten Arbeit wird vor diesem Hintergrund wichtiger denn je, qualifiziertere Anforderungen die logische Folge davon. Und so verlangt diese Qualitätsorientierung eine stärkere institutionelle Profilierung der inhaltlichen Schwerpunkte, die Entwicklung nachvollziehbarer Kernkompetenzen, klar erkennbare Adressatenorientierungen und eine Optimierung in den einzelnen Arbeitsprozessen. Rolf-Joachim Heger, Qualitätsbeauftragter der Stiftung Sozialpädagogisches Institut Berlin, Förderung der Zwecke der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege (Mitgliedsunternehmen), Müllerstr. 74, D-13349 Berlin, Tel. 0049 30 45 97 93 0, [email protected], www.stiftung-spi.de 8 Von der Qualitätsnorm zum Qualitätsdialog Bemerkenswert ist zudem, dass neben diesen generell richtigen Forderungen die Aura um den damit verbundenen Begriff der Qualität ein wenig von seiner Bedeutung und seinem «hohen Ton» verloren hat: Mit wachsender Erfahrung sind sowohl überhöhte Erwartungen als auch dramatisierende Befürchtungen vor diesem ungewohnten Arbeitsfeld «Qualität» in realitätsgerechtere Bahnen geraten. Denn wollen Einrichtungen der Sozialen Arbeit als «Koproduzenten» und damit als Akteure für soziale Gestaltungsund Partizipationsprozesse weiterhin ernst genommen werden – und dies wird angesichts allgemeiner Haushaltslagen, Diskussionen um soziale Versorgungs- und Unterstützungsstrukturen immer dringlicher – müssen sie hierfür Standards entwickeln und sich mit Begriffen wie Prozess, Qualitätsnormen, Erfolgskontrolle und ständiger Verbesserung auseinandersetzen. Qualitätsmanagement wird dabei nicht als eine einmalig zu lösende Aufgabe, sondern als Prozess verstanden, der auf kontinuierliche Vermittlung nach innen und aussen und damit auf begleitende Verbesserung gerichtet ist; das heisst, wesentliche Parameter dieses Prozesses sind Transparenz in den Arbeitsabläufen, Zuverlässigkeit in der Leistungserbringung, Verlässlichkeit in der Auftragserfüllung und Qualität in Qualitätssicherung zielt auf Verhaltensänderungen den Ergebnissen – allesamt Kriterien, die nicht neu sind, aber im Zusammenhang mit der Qualitätsdiskussion wichtige Impulswirkungen setzen. Extern oder intern? Wenn nun das Stichwort Qualität einen derartigen Stellenwert für die Einrichtungen der Sozialen Arbeit bekommen hat, bedarf es eines Verfahrens der praxisgerechten Implementierung. Ein Weg besteht darin, einen externen Berater zu verpflichten, der ein QM-System quasi «von aussen» einführt, dies möglichst schnell und unkompliziert. Die innerbetriebliche Motivation und der Beteiligungseifer können darunter leiden, anstelle der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen definiert der Berater die Qualität und die Leitung fühlt sich «entlastet». Fehlende oder nur geringe Feldkenntnisse können Widerstände in den jeweiligen Abteilungen produzieren wie auch das Problem, dass nach Beendigung des gesamten Prozesses meistens keine kontinuierliche Weiterführung des Systems mehr gewährleistet ist. Die berühmte Frage «…das Handbuch ist fertig, was nun…?» erübrigt sich dann schnell, es bleibt papiererne Erinnerung und wird höchstens hastig reaktiviert, wenn ein neuer Zertifizierungstermin ansteht. Ein anderer Weg liegt in der Etablierung eines internen Qualitätsbeauftragten, der den gesamten Prozess von Anfang an sowohl initiiert, fachlich begleitet, die Qualitätsmassnahmen koordiniert und – dies als besondere und kontinuierliche Aufgabe – nach innen kommuniziert. In dieser grundlegenden Rolle eines Organisators und Lotsen kommt es darauf an, die notwendige inhaltliche, aber eben auch vermittelnde Akzeptanz und Kompetenz für diese Funktion bei der Leitung und bei den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen zu gewinnen, dafür umfassende Kenntnisse der Arbeitsinhalte und der Umsetzung eines QM-Systems vorzuweisen und dennoch (!) keine MQ Management und Qualität 5/2004 Q Business Excellence M■ direkte Leitungsfunktion innezuhaben. Obwohl doch gerade die Sicherung der Qualität eines Unternehmens als «Führungsaufgabe» eine typische Leitungsfunktion darstellt. Zugleich geht das Qualitätsmanagement davon aus, dass die Herstellung von Qualität und deren kontinuierliche Verbesserung nur dann gelingen kann, wenn es zur Aufgabe und damit zum Selbstverständnis aller Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wird. Der Qualitätsbeauftragte hat deshalb im gesamten Prozess zwar eine herausgehobene, aber keine bestimmende Funktion – eben eine solche, die durch schwieriges Terrain eine sichere Führung und Richtung bietet. Dies erklärt die existierende Rollenvielfalt und manchmal auch deren mannigfaltige -diffusion und -irritation. Lotsenfunktion I: Organisator Der vorrangig organisatorische Aspekt bei der Arbeit eines Qualitätsbeauftragten liegt in der Entwicklung und Umsetzung einer unternehmensspezifischen Schrittfolge für die Implementierung des QM-Systems. Denn das Qualitätsmanagement erschöpft sich nicht ausschliesslich in der Realisierung eines Leitfadens und der Zertifizierung eines darauf abgestellten Systems, sondern ist einzubetten in die vorherrschende Organisationskultur und -struktur. Vor diesem Hintergrund bietet sich für die Einrichtung eines QMSystems eine Phaseneinteilung wie in der Grafik an. Ein solcher Phasenplan bedarf der weiteren Präzisierung im Rahmen zeitlicher Planungen und – in Abstimmung mit der Leitung des Unternehmens – der Bereitstellung notwendiger Ressourcen (wie etwa Schreibkapazitäten, Schulungsbudget, Software u.ä.). Lotsenfunktion II: Berater Ein umfassendes QM-System setzt voraus, dass die Geschäftsführung eine klare Qualitätspolitik vorgibt. In deren Rahmen sind die wichtigsten Standards und Kriterien zu entwickeln, wobei die Erwartungen der (potenziellen) Kunden einen zentralen, aber nicht den alleinigen Bezugspunkt darstellen. Denn relevant hierfür ist auch die Unternehmensphilosophie. Hierbei hat der Quali- Phaseneinteilung Phase Festlegung Grundlage(n) I Unternehmenszweck/Leitbild Gesellschaftsvertrag, Satzung II Qualität als Begriff festlegen Was lässt sich aus der bisherigen Arbeit an präzisen Zielen ableiten? III Qualitätspolitik festlegen Was garantiert das Unternehmen? Was sind die Kriterien der Arbeit? IV Kundendefinition(en) Wer sind die Kunden (extern/intern)? Was wollen die Kunden – worüber beschweren sie sich? Was bietet das Unternehmen den Kunden? V Schlüsselprozesse definieren und festlegen Funktionsorganigramm. Wer kommuniziert mit wem (= Prozesse)? Definition von Schlüsselprozessen (Leitung, Ressourcen, Prozesse, Messung, Analyse, Verbesserungen) VI Qualitätskriterien in den einzelnen Prozessen Kriterien der Nachprüfbarkeit. Sicherstellung der Leistungen der Mitarbeiter/innen VII Dokumentation QM-Handbuch mit den notwendigsten (!) Verfahrensund Arbeitsanweisungen VIII Internes Audit Abteilungsspezifische Fragebogen mit Auswertung und Information IX Zertifizierungsverfahren Externe und unabhängige Auditierung MQ Management und Qualität 5/2004 tätsbeauftragte eine beratende Funktion. Er hilft, diese Zielsetzungen und Rationalitätsmuster mit zu formulieren, die dann in das QM-Handbuch eingehen, um gegenüber Dritten – den internen wie externen Kunden – die notwendigen Klarheiten, Kompetenzen und Potenziale des Unternehmens herauszustellen. Der Logik der ISO-Norm 9001:2000 folgend wurden in sozial ausgerichteten Einrichtungen die Leitbilder und Standards sozialer Arbeit unter das Strukturelement «Verantwortung des Managements» subsumiert. Für den Qualitätsbeauftragten in beratender Funktion geht es nicht ausschliesslich um die Festlegung und Einhaltung solcher Standards und Normen, sondern verstärkt um die (Weiter-) Entwicklung der Qualitätsmerkmale, also um kontinuierliche Verbesserungen und Innovationen. Die spezifische Leistungsausrichtung auf besondere Zielgruppen der Sozialen Arbeit und die Erfassung ihrer Bedürfnisse – quasi ein Aspekt modernen Marketings – gewinnen zunehmend an Relevanz. Denn das Gelingen sozialer Interventionen wird immer abhängiger von den genauen Kenntnissen der Lebens-, Problem- und Bedarfslagen der sich ausdifferenzierenden Nutzergruppen, sprich: Kundinnen und Kunden. Erst auf dieser Grundlage können erfolgversprechende Konzepte und Angebote entwickelt werden. Der Qualitätsbeauftragte hat bei der Dokumentation dieser kundenbezogenen Prozesse der Ermittlung der Kundenanforderungen, der gezielten Projektentwicklung, -akquisition und -steuerung sowie der Vertrags- und Nachweisprüfung, die notwendigen Vorgaben zu prüfen und sie normgerecht zu erfassen. All diese Prozesse verpflichten die Einrichtungen der Sozialen Arbeit gegenüber ihren Kunden zur genauen Planung, Len- QM-System beeinflusst die Gesamtentwicklung 9 Q Business Excellence M■ kung und – dies ein durchaus «neuer» und bislang eher ungewohnter Aspekt – zum sach- und finanztechnischen Controlling sozialer Dienstleistungen. Lotsenfunktion III: Animateur Neben der Integration der verschiedenen Qualitätsmerkmale und -ebenen hat der Beauftragte auch die partizipative Komponente zu berücksichtigen. Da ein QM-System nicht wirkungsvoll alleine «von oben herab» eingeführt werden kann, bedarf es der Bereitschaft aller Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, sich darauf einzulassen und mitzuwirken. Denn oft wissen diese am besten, welche qualitativen Ansprüche der Kunden und Kundinnen bestehen und wie der organisatorische Rahmen für deren Erfüllung zu gestalten ist. Die erfolgreiche Etablierung eines QMSystems ist somit in hohem Mass von innerbetrieblicher Kommunikation abhängig. Hier greift der Anspruch nach Vermittlungskompetenz, Erklärungsbereitschaft, Motivationsund Animationskunst im Rahmen einer dialogischen Qualitätsentwicklung. Gelingt es nicht, die Qualitätserwartungen der Beteiligten in einem Aushandlungsprozess konkret zu erfassen, sind wechselseitige Missverständnisse dauerhaft vorprogrammiert. Zum Scheitern verurteilt sind auch qualitätssichernde Massnahmen, die sich allein auf die sozialen Kompetenzen beschränken, während Wirtschafts- und Verwaltungsbereiche ebenso herausgehalten werden wie staatliche Vertragspartner oder öffentliche Planungsinstanzen. Da Qualitätssicherung auch auf Verhaltensänderungen der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zielt, ist sie ein auf Dauer angelegtes Programm. In vielen Untersuchungen sind Qualitätskonzepte deshalb gescheitert, weil sie über Mit kurzfristigen Aktionismus an die Wand gefahren Mitarbeiter wollen ihre Erfahrungen einbringen können... 10 einen kurzfristigen Aktionismus nicht hinauskamen. Nachdem die Qualitätsdiskussion in einem Unternehmen in Gang gesetzt worden ist, gilt es deren kontinuierliche Fortführung und Sicherung zu gewährleisten. Für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ist es wichtig, ihre Erfahrungen so einbringen zu können, dass profunde Antworten auf die Qualitätsfragen gefunden werden. Dabei geht es immer um zwei Fragenkomplexe: «Was ist richtig und wichtig für eine gute Arbeit?» Und: «Wie erreicht man, dass das Richtige auch getan wird?» Eine solch interne Kundenpfadstruktur kann zum Beispiel über einen internen «Wissensspeicher» (eine PC-gerechte «Blackbox») realisiert werden, in der die relevanten Qualitätsfragen aufgeführt sind und die zudem als kontinuierliches internes Audit dient. Der Qualitätsbeauftragte hat hier die Aufgabe, die Ergebnisse auszuwerten und in das Unternehmen hinein zu kommunizieren. Wichtig hierzu ist auch, dass die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sich in den möglichen Änderungsprozess einbringen können. Somit müssen sie auf einem aktuellen Wissensstand sein, was wiederum die Forderung nach angemessenen Weiterbildungsmöglichkeiten unterstreicht. Die damit verbundene Anpassung verlangt von den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen ein hohes Mass an Flexibilität und ein neues, vielgestaltiges Engagement. Hier hat der Qualitätsbeauftragte in Zusammenarbeit mit der Unternehmensleitung die notwendige Überzeugungsarbeit zu leisten. grundlegend beeinflusst. Daraus ist die Konsequenz zu ziehen, dass das Qualitätsmanagement eng mit der strategischen Planung zu verknüpfen ist. So haben natürlich die ausgebildeten Kompetenzen erheblichen Einfluss auf die Qualität der zu erbringenden Leistungen. Die getroffenen Festlegungen hinsichtlich notwendiger Kernkompetenzen und dazugehörige Prozesse der Projektentwicklung, -planung und -umsetzung sind mit den vorrangigen Qualitätsmerkmalen und Standards abzustimmen. Über Akquisitionsmassnahmen sind frühzeitig erfolgsversprechende Angebote zu entwickeln, die den Bedürfnissen und Interessen der jeweiligen Kunden adäquat entsprechen. Hier hat ein ausgereiftes QMSystem seine Stärken, denn es lassen sich eine Vielzahl von Daten und Erkenntnissen über Geschäftsfelder, Kompetenzen sowie Angebots- und Nachfragesituationen gewinnen. Ausserdem können Controlling- und Budgetierungsschritte vorgenommen werden, die eine effektive Planung ermöglichen. Der Qualitätsbeauftragte hat dafür Sorge zu tragen, dass dieses System als fachlich begründetes, normspezifisch ausgewiesenes, leitungs- und mitarbeiter/-innengerechtes, ständig verbessertes und kundenorientierter ausgewiesen wird. Der kontinuierliche und reflektierte Austausch darüber gewährleistet die Funktionsfähigkeit des dokumentierten QM-Systems. Hier ist und bleibt der Qualitätsbeauftragte nicht nur Lotse sondern auch dauerhafter Begleiter auf schwierigem Terrain. MQ Lotsenfunktion IV: Reflexionspartner Deutlich wird, dass die Einführung eines QM-Systems die Gesamtentwicklung eines Unternehmens MQ Management und Qualität 5/2004