Gottesdienst an Karfreitag: Evangelium und Politik, Schlosskirche

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Gottesdienst an Karfreitag: Evangelium und Politik, Schlosskirche Bonn, 18.04.2014
Leitung: Prof. Dr. Cornelia Richter,
gemeinsam mit Ann-Kathrin Armbruster, WM Katharina Opalka, WM Sebastian Schmidt1
A / Eröffnung und Anrufung
Musik zum Eingang
Improvisation nach Marcel-Jean J. Dupré und Jesus Christ Superstar
von Andrew Lloyd Webber
Votum
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Gemeinde: Amen.
Gruß/Begrüßung
Der Friede des Herrn sei mit euch.
mit Wochenspruch:
Gemeinde: Friede sei mit dir.
Joh 3, 16
Liebe Gemeinde,
seien Sie gegrüßt zu diesem Gottesdienst an Karfreitag, an dem die
Passion ihren Höhepunkt findet und übergeht in die leere Stille der
Karnächte. Kein Glockenläuten, keine Blumen. Kein Gloria und kein
Halleluja kommen uns heute über die Lippen. Nur dies, das Bekenntnis
zu Karfreitag, das einzig durch Ostern verstanden werden kann. So auch
im Wochenspruch aus Johannes 3, Vers 16:
„Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn
gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das
ewige Leben haben.“ Mit Blick auf das Kreuz können wir uns diesem
Gott nur direkt zuwenden. Lassen Sie uns daher gemeinsam singen:
Lied 299, 1-5
Aus tiefer Not schrei ich zu dir
Psalm (Schmidt)
Psalm 22 (EG 709.1, im Wechsel mit der Gemeinde gesprochen)
Bußgebet (Opalka)
Gott, allmächtiger Vater,
wir stehen als Menschen vor Dir
mit all unseren Fehlern, Zweifeln und Schwachheiten.
Mit alledem, wo wir schuldig geworden sind
vor Dir und vor unseren Mitmenschen.
Jesus Christus, Du kennst unser Herz,
Du weißt, wie oft wir geschwiegen haben,
wenn wir hätten reden wollen,
wie oft wir stumm das Leiden anderer angesehen haben.
Und wie oft wir andere verurteilt haben,
wenn es besser gewesen wäre, zu schweigen.
Heiliger Geist, Du verbindest uns in der Liebe Gottes.
Du weißt, wie oft wir nicht lieben konnten.
Wie oft wir Grenzen um uns gezogen haben
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Die blau gekennzeichneten Textteile wurden von A.-K. Armbruster, K. Opalka und S. Schmidt eingesprochen; der schwarz
gedruckte Text von C. Richter gesprochen.
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und andere lieblos angesehen haben,
wie oft wir andere verletzt haben und selbst verletzt wurden.
Amen.
Kyrie
Lassen Sie uns das Kyrie heute einmal im Wechsel sprechen:
L: Kyrie eleison – G: Herr, erbarme dich.
L: Christe eleison – G: Christe, erbarme dich.
L: Kyrie eleison – G: Herr, erbarme dich.
Gnadenzusage
Gott, Du hast dich in tiefer Not gezeigt, Du bist der Schuld nicht ausgewichen. Du hast Dich nicht aufhetzen lassen, sondern bist an die Seite
der Gehetzten getreten. Du hast die Menschen im Leid angesehen und
sie in ihrer Verletzung getröstet.
Kollektengebet
Gemeinsam bitten wir Dich deshalb: Lass auch uns nicht zuschanden
werden, sondern sei uns nahe in unserer Schwäche. Lass uns aushalten,
wenn wir in Angst und Sorge zu versinken drohen. Lass uns spüren,
dass auch ein Abgrund festen Boden bietet. Gott, wir vertrauen uns Dir
an und bitten um Deinen Geist.
Gemeinde: Amen.
B / Verkündigung und Bekenntnis
Orgelmusik
Improvisation mit Zitaten aus Johann Seb. Bach (Joh.- und Mt.-Passion),
Marcel-Jean J. Dupré, Andrew Ll. Webber (Jesus Christ Superstar)
Lesung (Armbruster)
Joh 19, 16-30
Glaubensbekenntnis Apostolikum
(Armbruster)
Lied 85, 1-4, 9, 10
Oh Haupt voll Blut und Wunden
Predigt zu Jes. 53, 1-12 (in Auszügen)
Liebe Gemeinde,
es gibt viele Deutungen des Todes Jesu, so dass am Karfreitag viele Stimmen zu Wort kommen
können. Sie alle haben Jesu Tod vor Augen und setzen deshalb auf ganz unterschiedliche Weise
bei seinem Leben an.
Da ist zum einen die „bloß“ politische Predigt. Sie schaut auf das Kreuz als martialisches Folterinstrument, von den Mächtigen aufgestellt, um unbequeme Aufrührer zum Schweigen zu bringen.
So auch Jesus, dessen Predigt von Gewaltverzicht, dessen aufwühlende Menschenfreundlichkeit,
dessen Umwertung aller Werte die religiösen und politischen Machthaber provoziert hat, mit seiner Hinrichtung als zwangsläufiger Konsequenz. Der „bloß“ politischen Predigt erschließt sich
das Kreuz nur als Endpunkt von Jesu historischem Leben, das mit seinem Tod eben aus ist. Einem Tod, zu dessen Zeugnis und ständiger Mahnung sich das Christentum formiert hat, weil wir
– wie Jesus – zum Protest gegen das Unrecht aufgerufen sind. Freilich, es wäre töricht, diese politische Dimension mit dem Wörtchen „bloß“ als unsinnig abzutun – der gerade laufende Wahlkampf plakatiert überdeutlich, wie schnell Menschen mit Schuldzuweisungen und Ausgrenzungs2
mechanismen zu fangen sind. Die christliche Botschaft hat dagegen aufzustehen, so schwer uns
die dafür nötige Courage auch fallen mag.
Da ist zum anderen die mittelalterliche Predigt vom Sühnetod Jesu. Anselm von Canterbury hat sie
im 12. Jahrhundert formuliert. Auch sie hat mit Gerechtigkeit zu tun, aber nun genau umgekehrt:
Gott selbst ist es, der Jesu Tod fordert, weil nur er in der Lage ist, die Sünde der Menschen zu
sühnen. Was als rachsüchtiger Akt erscheinen mag, ist es nach damaliger Auffassung gerade nicht
– weil Gott mit der Forderung nach Satisfaktion nur seiner Gerechtigkeit entspricht: Er wäre
nicht gerecht, wenn er die Sünder und Frevler einfach davonkommen lassen würde. Sondern er ist
gerecht, wenn er sich an die Vertragsbedingungen hält: Wer sich schuldig macht, muss Satisfaktion leisten, also mehr geben als er genommen hat. Dieses Mehr kann einzig Gottes Sohn selbst
geben – und er tut es: „Es ist vollbracht.“ (Joh 19, 30) Der Blick ist hier auf den Menschen Jesus
gerichtet, aber auf den Menschen Jesus, der immer schon Sohn Gottes ist. Dessen Hoheit es ist,
die ihn ans Kreuz bringt, weil erst mit Jesu Tod das Leben wieder hergestellt ist. Das Problem ist
nur, dass sich weder diese Vorstellung von Gerechtigkeit halten lässt noch dass wir Gott sozioökonomische Vertragsbedingungen nachsagen können. Schon zu Anselms Zeiten hat diese Sicht
heftigen Widerspruch hervorgerufen, und seit gut 200 Jahren hat ihre theologische Kritik ganze
Bibliotheken gefüllt. Umso erstaunlicher ist freilich, dass sich die Satisfaktionslehre als eigentümlich beständig erweist. Zwar ruft sie vor allem die Kritiker des Christentums auf den Plan, aber sie
tut das mit einer Regelmäßigkeit, die ihre Gründe haben dürfte.
Doch lassen Sie uns zunächst noch ein drittes Modell anschauen, das des „spekulativen Hochamtes“, für das sich die Religionsphilosophie Hegels an Johannes orientiert: Jesus von Nazareth,
dessen Leben am Kreuz endet, ist hier nur Blickfang für ein Geschehen, das die Welt im Innersten und Äußersten erschüttert, nämlich der Tod Gottes selbst. Nicht irgendein Aufrührer, nicht
irgendein Prophet, auch nicht der von Gott unterschiedene Sohn, nein, „Gott selbst ist tot“, weil
der Logos Gott selbst ist, der sich entäußert – ohne Rücksicht auf Verluste.
„Bloße“ Politik? Dann wäre das Christentum an seinem Ende gewesen, bevor es im eigentlichen
Sinne begonnen hätte. Karfreitag wäre der Erinnerung an Jesu Tod und Grablegung gewidmet, im
fernen Jerusalem geschehen, zu noch ferneren Zeiten. Über das – wenn auch nötige – moralische
Vorbild hinaus hätte dieser Jesus mit uns nichts zu tun.
Bloße Satisfaktion? Dann gäbe es nichts zu feiern, weil es mit dem Unterzeichnen der Vertragsbedingungen getan wäre. Karfreitag wäre der jährlichen Überprüfung der historischen Statuten gewidmet.
„Spekulatives Hochamt“? Dann gäbe es auf den ersten Blick erst recht nichts zu feiern, weil sich
aus dem Tod Gottes wenig für das eigene Leben gewinnen ließe. Mit dieser Sicht auf das Kreuz
3
scheint erst recht alles aus zu sein. Doch es ist genau anders herum gemeint: Gott selbst ist tot,
weil er sich nur durch den Tod hindurch für das Leben der Menschen realisiert. Lässt sich solch
ein spekulativer Karfreitag feiern? Der Theologie nach ja, weil sich durch diesen Tod das Heil für
uns zeigt. Aber es bliebe wohl ein reichlich abstraktes Fest.
Die drei Modelle sind extrem und lassen sich nicht 1:1 übernehmen, schon gar nicht, wenn man
nur eines wählen würde. Bewegung kommt erst in die Sache, wenn sich Jesu Tod für unser eigenes Leben erschließt, und zwar für unser konkretes Denken und Handeln, das vor jeder fertigen
Antwort mit Fragen daherkommt, mit Geschichten, die wir bezweifeln oder glauben, mit Vermutungen, Sehnsüchten und Hoffnungen. Lassen Sie uns daher weniger auf die Antworten als vielmehr auf die Fragen schauen, die Menschen mit Blick auf das Kreuz bewegt. Sie sind sicherlich
eher fragmentarisch, vielleicht widersprüchlich – aber genau darin sind sie so eindrücklich. Wie
unser Predigttext, Jesaja 53, aus den Versen 1-12:
„Sprecher 1: 1Aber wer glaubt dem, was uns verkündet wurde, und wem ist der Arm des Herrn
offenbart? 2[…] Er hatte keine Gestalt und keine Hoheit. Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte. 3Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und
Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg: darum haben wir ihn
für nichts geachtet.
Sprecher 2: 4Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten
ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. 5Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. […] 6Wir gingen alle in die Irre
wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg. […]
Sprecher 3:
7
Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein
Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer,
tat er seinen Mund nicht auf. 8Er ist aus Angst und Gericht hinweggenommen. Wer aber kann
sein Geschick ermessen? Denn er ist aus dem Lande der Lebendigen weggerissen […]. 9Und man
gab ihm sein Grab bei den Gottlosen und bei den Übeltätern, als er gestorben war, wiewohl er
niemand Unrecht getan hat und kein Betrug in seinem Munde gewesen ist. […].
Sprecher 2: Wenn er sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat, wird er Nachkommen haben […]
und des Herrn Plan wird durch seine Hand gelingen. 11Weil seine Seele sich abgemüht hat, wird er
das Licht schauen und die Fülle haben. Und durch seine Erkenntnis wird er, mein Knecht, der
Gerechte, den Vielen Gerechtigkeit schaffen; denn er trägt ihre Sünden […].“
Der Text aus Jesaja 53 gehört zu den sogenannten Gottesknechtliedern und ist im Christentum
gerne als direkte Voraussage auf Jesu Geschick und seinen Heilstod gedeutet worden. Angesichts
der Stichworte, die der Text liefert, ist das nicht verwunderlich. Trotzdem sind wir mit dem Ein4
trag solcher Ankündigungen heute etwas vorsichtiger und lassen den Texten ihre Autonomie im
Alten Testament.2 Das empfiehlt sich freilich nicht nur aus Gründen des Respekts vor der jüdischen Tradition, sondern auch aus dem genauen Blick in den Bibeltext. Denn die Stimmen, die
wir gehört haben, schildern ein zurückliegendes Ereignis. Sie besinnen sich auf etwas, das geschehen ist, das sie damals nicht haben fassen können und auf das sie sich nun einen Reim zu machen
versuchen.3 Es sind klagende Stimmen, Stimmen, die sich selbst der Schuld bezichtigen und das
Erlebte in dunklen Tönen schildern. Aber die Stimmen bleiben nicht beim Klagelied stehen, sondern sind beeindruckt von der überwältigenden Wehrlosigkeit des Einen, und eröffnen im Blick
auf ihn die Vision einer heilvollen Zukunft.4
Genau diese Vision einer heilvollen Zukunft hat auch die Zeitgenossen Jesu fasziniert, hat seine
Jünger auf den Weg gebracht und das Christentum schließlich in Bewegung gesetzt. Zunächst war
es in der Tat Jesu Leben – seine unerwarteten Antworten, seine revolutionären Lösungen in Konfliktsituationen, sein unberechenbares Verhalten im gesellschaftlichen Umgang – zunächst war
und ist es diese lebensnahe und politische Dimension in Jesu Leben, die Menschen fasziniert. Er
hat gezeigt, dass die gewohnten Schranken auch fallen können, hat ohne viele Worte Schutzmauern der Abgrenzung zum Einsturz gebracht, hat in der unübersichtlichen politischen Lage die
Hoffnung geweckt, dass sich alles zum Heil wenden möge. Nicht in ferner Zukunft, sondern
schon bald, gar im Hier und Jetzt: [Intonation durch die Orgel: Webber] „Jesus Christ Superstar!“ – Und
dann dieser Abbruch. Von Judas verraten, dem Hohepriester vorgeführt, Pilatus übergeben,
schließlich zum Tode akklamiert vom kreischenden Mob: [Intonation durch die Orgel: Dupré] „Kreuzige ihn“!
Um den Preis des Lebens, für immer zum Schweigen gebracht. Aber nicht einmal das als Heldentod. Sondern am Kreuz, in tiefster Schmach und Schande.5 Das hat Spott und Hohn hervorgerufen bei den einen: Sp 1: „Der du den Tempel abbrichst und baust ihn auf in drei Tagen, hilf dir
selber, wenn du Gottes Sohn bist, und steig herab vom Kreuz!“ (Mt 27, 40). Fassungslose Bestürzung und tiefe Enttäuschung bei den anderen: Sp 2: „Jesus von Nazareth, der ein Prophet war,
mächtig in Taten und Worten vor Gott und allem Volk; […] Wir aber hofften, er sei es, der Israel
erlösen werde.“ (Lk 24, 20f.) Aber eben – „wer glaubt dem, was uns verkündigt wurde?“ (Jes 53,
1) Wenn sich doch am Ende gezeigt hat: „Er war der Allerverachtetste und Unwerteste.“ (Jes 53,
3) Erstauntes Offenbarwerden bei den dritten: Sp 3: „Fürwahr, dieser ist ein frommer Mensch
2
Zum Weiterlesen: Ulrich Berges: Das vierte Lied vom Gottesknecht (Jes 52, 13 – 53, 12). Überlegungen zur aktuellen Debatte
um die Symbolik des Kreuzes aus alttestamentlicher Perspektive, in: ZThK 133, 2011, 159-174.
3
Zum Weiterlesen: Peter Höffken: Das Buch Jesaja, Kapitel 40-66. Neuer Stuttgarter Kommentar: Altes Testament 18/2,
Stuttgart 1998, 164-170; 169f.
4
Zum Weiterlesen: Klaus Koenen: Die Klagelieder Jeremias. Eine Rezeptionsgeschichte, Neukirchen-Vluyn, 2013, 11f.
5
Zum Weiterlesen: Michael Wolter: „Für uns gestorben“. Wie gehen wir sachgerecht mit dem Tod Jesu um?, in: V. Hampel/R.
Weth (Hgg.), Für uns gestorben. Sühne – Opfer – Stellvertretung, Neukirchen-Vluyn 2010, 1-15, hier: 13.
5
gewesen!“ (Lk 23, 47) „Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir
aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre.“ (Jes 53, 4)
Damals wie heute. All diese Stimmen sind in die Tradition eingegangen, in die biblischen Zeugnisse, in die theologischen Auslegungen, in die Literatur und in die Musik: In die Matthäus- und Johannespassion von Bach wie in deren moderne Variante, „Jesus Christ Superstar“ von Andrew
Lloyd Webber. Sie alle konzentrieren sich auf diesen Lebensbezug des Kreuzes, weil nur im Blick
auf den Gekreuzigten zu verstehen ist, dass mit seinem Tod nicht alles aus ist. In der Matthäuspassion von Bach wird diese Einsicht affirmativ gewendet, seine Musik trägt bereits die dogmatische Zuversicht in sich – nicht in den erzählenden Texten des Evangelisten, aber im Chor; in
den Chorälen, die das Erzählte bereits deuten und dem erzählenden Rückblick die Vision der Zukunft an die Seite stellen. Im Musical des 20. Jahrhunderts von Webber, das auf den ersten Blick
fast blasphemisch fröhlich daher zu kommen scheint, ist die Deutung ernster, elementarer und
indirekter formuliert, die dogmatische Lösung tritt zurück hinter die Schwierigkeit, den Sinn der
Passion zu verstehen. Judas kommt nun die Rolle des Erzählers zu, im Rückblick (wie in unserem
Predigttext). Immer wieder wird Jesus während des gesamten Stückes vom Chor gefragt: Sprecher 1: Wer bist du eigentlich? Was hast du bloß alles geopfert? Die Enttäuschung, die Lukas den
Emmausjüngern in den Mund legt, wird bei Webber von Judas formuliert: Sprecher 2: „Wann
immer ich dich anschaue, krümmt sich mein Verstand – wieso gibst du die Sache nur so aus der
Hand!?“ (Webber, The Last Supper) Doch Jesus tut nichts: Sprecher 3: „und tat seinen Mund
nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor
seinem Scherer.“ (Jes 53, 7) Jesus tut nichts – und Judas setzt den Kuss. Er setzt den Kuss, weil
Jesus seine eigene Sache zu verraten scheint. Um den Preis ihrer beider Leben. Das Schlusswort
hat jedoch auch bei Webber nicht die moderne Deutung, sondern das Zitat: „Vater, in deine
Hände befehle ich meinen Geist“ (Lk 23, 46) „Und sie legten ihn in das Grab“ (Joh 19, 41).
Was ist das bei Webber? Bloße Politik oder doch Dogmatik? Das politische Scheitern Jesu transferiert in die politischen Zeitläufte um 1970? Die politische Dimension ist ohne Zweifel eindrücklich, aber sie ist nie auf ein „bloß“ Politisches reduziert. Sondern sie zeigt, was mit gutem Grund
auch Thema dieser Predigtreihe ist: Dass das politische Engagement des christlichen Glaubens
nur im Ringen um sein Evangelium erwächst. „Jesus Christ Superstar“ ist ein sehr ernster, moderner Versuch, den Sinn von Jesu Hingabe zu verstehen. Seine Deutung schwankt, ob sie Jesus
schlicht für übergeschnappt halten sollen, oder ob all dies möglicherweise Gottes Plan sein könnte. Zu dem nicht nur Jesu eigenes Opfer gehören würde, sondern auch die Judas zugedachte Bestimmung, nämlich der „Judas“ zu sein. Das politische Zeitbewusstsein verbindet sich zwar nicht
mit der Satisfaktionsvorstellung. Das auf keinen Fall. Aber sie nimmt drei Motive auf, die deren
eigentümliche Beständigkeit erklären könnte: Das Mitgefühl mit dem sich opfernden Jesus auf der
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einen Seite, zweitens die Bewunderung, dass sich einer opfert und schließlich die entlastende Zuschreibung, dass all dies – das Opfer und sein grauenhaftes Leid – mit Gott selbst zu tun haben
könnte.
Entlastend?!? – Ja, entlastend, weil sich sogar die grausame Seite des Lebens zuweilen leichter
ertragen lässt, wenn ihr ein Plan oder Sinn unterstellt wird. Nach diesem Muster funktioniert auch
die Matthäuspassion: Der Härte des erzählenden Evangelisten, der die politische Dimension so
knapp wie klar zu Gehör bringt, wird ab dem 12. Rezitativ und danach immer wieder im Chor die
besänftigende Zusage des „so ist es gewollt“ an die Seite gestellt: „Wiewohl mein Herz in Tränen
schwimmt, daß Jesus von mir Abschied nimmt, so macht mich doch sein Testament erfreut, sein
Fleisch und Blut, o Kostbarkeit […]“.
Nun wissen wir freilich nicht, ob all das jemals gesollt und gewollt war. Was wir den vielstimmigen Zeugnissen aber mindestens entnehmen können und wofür sie uns die Vorlage bieten, ist
dies: Es scheint zu Gott zu gehören, dass er sich in besonderer Weise durch den Tod hindurch für
das Leben zeigt. Als spekulativer Glaubenssatz bleibt das abstrakt. Aber im vielstimmigen Zeugnis
des Gottesknechtliedes, der Evangelien und ihrer späteren Deutungen ist eines gewiss: Ohne die
Bestürzung über Jesu Schmerz, ohne den Blick auf seinen gemarterten Körper, ohne die Verzweiflung über Jesu Tod, ohne das Ringen um den Sinn des Evangeliums, wäre es vermutlich nie
zu jener umstürzenden Umwertung aller Werte gekommen, für die das Christentum einzustehen
sucht: Zu der Hoffnung, dass Gott selbst in diesem Schmerz bei uns ist. Zu der Hoffnung, dass
nicht einmal die Schwelle des Todes das Ende des Lebens ist. Verzweifeln und Verstehenwollen
sind nicht leicht. Denn der Anblick eines geschundenen Körpers ist kaum zu ertragen. Er ist eine
bittere Erfahrung, auf die man gerne verzichten würde. Sie kann einen schon einstimmen lassen in
den Schrei „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen.“ (Ps 22, 2) Aber wenn wir an
Karfreitag mit Blick auf das Kreuz in diesen Ruf einstimmen, dann mag es uns – in aller Verzweiflung – gegeben sein, auch in die Fortsetzung des Psalms einzustimmen: „Du aber bist heilig. […] Sei
[deshalb] nicht ferne von mir, denn meine Angst ist nahe.“ (Ps 22, 4 und 12) An Karfreitag ist das
sogar für die Jünger erst nur eine Bitte. Auch sie haben bis zum Ostermorgen und noch lange
darüber hinaus zum Verstehen gebraucht. Wieviel mehr dürfen wir dem in den kommenden Tagen nachsinnen. Doch der Psalm, in Jesu Stimme am Kreuz gelegt, eröffnet eben bereits die Hoffnung, dass auch wir einst „das Licht schauen und die Fülle haben“ (Jes 53, 11). Amen.
Der Friede Gottes bewahre unsre Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Orgelmusik
Abkündigungen
Improvisation mit Zitaten aus Marcel-Jean J. Dupré, Andrew Ll. Webber
(R. Schmidt-Rost)
7
Fürbitten/Vaterunser Gott, Du weißt,
wie oft wir uns Deinem Licht nicht nahen können,
wie oft es in uns finster bleibt,
eine tiefe Nacht, die uns gefangen hält
und uns schuldig werden lässt.
Wir bitten Dich,
lass uns Dein Angesicht sehen,
Dein Glanz, der unser Leben neu macht.
Gott, Du weißt, wie oft wir fern von allem sind,
fern von Dir, fern von anderen Menschen,
wie oft wir einsam sind
und doch andere auf Abstand halten.
Wir bitten Dich,
komm Du uns nahe,
sei bei uns, jeden Tag und jedes Jahr.
Gott, Du bist uns als Mensch nahe gekommen,
als Mensch am Kreuz gestorben,
als Mensch von Menschen gekreuzigt.
Wir bitten Dich,
sei bei den Geringen, den Ärmsten der Armen,
bei denjenigen, die durch andere Menschen leiden
und schenke ihnen eine neue Hoffnung.
Gott, Du weißt, wie oft uns bang ist,
Du kennst unsere tiefen Ängste,
vor dem Leben und manchmal auch vor uns selbst.
Du weißt, wie oft wir aus Furcht andere bedrängen und leiden lassen.
Wir bitten Dich, lass Dein Licht leuchten,
in alle unsere menschlichen Dunkelheiten hinein.
Gott, wir sehnen uns danach, Dich zu sehen,
wir hoffen auf Deine Nähe,
gerade dann, wenn wir schwach sind, wenn wir zweifeln.
Wir bitten, sei bei uns, geh an unserer Seite mit.
Geh mit in Momenten,
in denen wir nicht sehen und hören können,
in denen wir nur noch schweigen können.
In der Stille bringen wir vor Dich,
was uns auf dem Herzen liegt: [----------------]
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Alles, was wir Dir sonst noch sagen können, Gott, sagen wir mit den
Worten Deines Sohnes: Vater unser […]
Amen.
D / Sendung und
Segen
Lied 379, 1-5
Sendungswort und
Segen
Musik zum Ausgang
Gott wohnt in einem Lichte
Gott segne Dich und behüte Dich.
Gott lasse sein Angesicht leuchten über Dir und sei Dir gnädig.
Gott erhebe sein Angesicht auf Dich und gebe Dir seinen Frieden.
Amen.
Improvisation nach Jesus Christ Superstar (A. Ll. Webber)
9
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