F5313-Schnaas.indd 2 14.05.12 12:45 Dieter Schnaas Kleine Kulturgeschichte des Geldes 2., überarbeitete und erweiterte Auflage 2012 Wilhelm Fink F5313-Schnaas.indd 3 14.05.12 12:45 Umschlagabbildung: Frans II. Francken (1581-1642), Der Reiche und der fiedelnde Tod, Öl auf Kupfer (16,3 x 13,0 cm), Historisches Museum, Frankfurt a. M. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte, Zeichnungen oder Bilder durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 UrhG ausdrücklich gestatten. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage 2012 © 2010 Wilhelm Fink Verlag, München Wilhelm Fink GmbH & Co. Verlags-KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn Internet: www.fink.de Einbandgestaltung: Evelyn Ziegler, München Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Paderborn E-Book ISBN 978-3-8467-5313-2 ISBN der Printausgabe 978-3-7705-5313-6 Inhalt VORWORT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 DER ZAUBER DES GELDES . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1. 2. 3. 4. 5. Die Alchimie der Geldschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . Die Theologie der Geldillusion . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Schwarzkunst der Geldvermehrung . . . . . . . . . . Die Hexerei der Geldverwandlung . . . . . . . . . . . . . . . Die Magie der Geldverschwindung . . . . . . . . . . . . . . 11 23 31 46 56 II. DIE NATUR DES GELDES . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 I. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. Repräsentant einer paradoxen (Post-)Moderne . . . . . 63 Produzent von Systemvertrauen . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Zivilist aus aktiver Teilnahmslosigkeit . . . . . . . . . . . . 70 Pionier einer neuen Weisheitslehre . . . . . . . . . . . . . . 74 Wertmesser im World Trade Centre . . . . . . . . . . . . . . 79 Lebens-Mittel und Lebens-Zweck . . . . . . . . . . . . . . . 83 Die humanistische Geld-Reformation . . . . . . . . . . . . 89 Dresseur des homo oeconomicus . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 Die katholische Geld-Revolution . . . . . . . . . . . . . . . 106 III. DER PREIS DES GELDES . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 1. 2. 3. 4. 5. Time is Money? Money is Time! . . . . . . . . . . . . . . . . Münzkäfer und Mammonsbrüder . . . . . . . . . . . . . . . Der Sündenfall: Vom Ährengold zur Ära Gold . . . . . Die Eigentumsfrage: Geld oder Leben? . . . . . . . . . . . Vom Schröpfen und Schöpfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 133 139 148 160 NACHWORT ZUR ZWEITEN AUFLAGE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 ANMERKUNGEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 GLOSSAR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 PERSONENREGISTER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 F5313-Schnaas.indd 5 14.05.12 12:45 F5313-Schnaas.indd 6 14.05.12 12:45 Vorwort D ieses Buch ist ein Hybrid. Es erzählt die Kulturgeschichte(n) des Geldes seit seiner Erfindung vor 2700 Jahren – und es deckt die Hintergründe von Banken- und Staatsschuldenkrisen auf. Wenn dem Leser am Ende nicht klar geworden ist, dass die GeldWelt-Moderne unbegreifbar bleibt ohne ein Verständnis dessen, was Geld seiner Herkunft und Bedeutung nach ist, hat das Buch sein Ziel verfehlt. Der Text gliedert sich in drei Abschnitte. Sie sind aufeinander aufgebaut und sollten nacheinander gelesen werden. Der erste Abschnitt über den „Zauber des Geldes“ bricht mit dem neutralen Geldbegriff der klassischen Nationalökonomie. Die Geschichte des Geldes wird als Mysterienspiel erzählt, als Chronik seiner magischen Metamorphosen. Es wird gezeigt, wie sich das Geld vom universellen Symbol der Hin-Gabe an Gott über Münzen, Wechsel und Papiergeld nach und nach in eine Fiktion verwandelt – und wie es an den Finanzmärkten als Kreditgeld (Anti-Geld) und Buchgeld (Nicht-Geld) zur Grundlage einer religiös fundierten, staatskapitalistischen Pumpwirtschaft wird. Der zweite Abschnitt über die „Natur des Geldes“ suspendiert die These von Max Weber, der zufolge die „innerweltliche Askese“ der Protestanten eine wichtige Triebfeder des Kapitalismus gewesen sei. Stattdessen wird nachgewiesen, wie sich im 15. und 16. Jahrhundert ein ökonomisches Denken herausbildet, eine Meisterschaft des selbstverantwortlichen Werte-Wiegens, die die vulgäre Anthropologie des homo oeconomicus Lügen straft. Als absolutes Mittel, das alle relativen Werte in sich auszudrücken vermag, steigt das Geld während der „katholischen Geldrevolution“ zur Metaphysik der Neuzeit auf: Die Praxis des Ablasshandels unterstreicht, dass es dabei sogar auf das scheinbar Unverfügbare (das Seelenheil) zuzugreifen vermag. Der dritte Abschnitt über den „Preis des Geldes“ skizziert die Grundzüge einer Geldkritik, in der bis heute die Reste der antiken Tugendmoral (Maßlosigkeit) und der mittelalterlichen Religions- F5313-Schnaas.indd 7 14.05.12 12:45 8 VORWORT pädagogik (Habgier) verwahrt sind. Im 19. Jahrhundert nimmt sie abstrakte Züge an: Die Geldgier und das ökonomische Eigeninteresse steigen angeblich zu Systemtatsachen auf, zum Wesenszug einer Gesellschaft, die vom Geld besessen ist. Es ist seither viel von der „Herrschaft des Geldes“ die Rede. Der Industriekapitalismus wirft die soziale Frage auf. Die beschleunigte Welt weckt bürgerliche Ängste vor Selbst-Entfremdung. Das Wirtschaftswachstum ernährt sich vom Verbrauch seiner natürlichen Grundlagen. Und das Geld selbst verzehrt unsere Zukunft, seit neue Kredite uns keine Möglichkeitsräume mehr eröffnen, sondern nur noch dazu verwendet werden, um Schulden zu begleichen, die wir in der Vergangenheit aufgehäuft haben. Die zentrale wirtschaftspolitische Frage des 21. Jahrhunderts stellt sich damit wie von selbst: Wie kann der Staat, als bürgende Letztinstanz des Geldes, dafür sorgen, dass wir wieder über eine Zukunft verfügen, die sich uns nicht als beschädigte Vergangenheit aufdrängt? Die Antwort ist denkbar einfach: mit Geld. Geld eröffnet uns Spielräume jenseits seiner Rationalitätszwänge. Geld kann knappe Gemeingüter (Luft, Wasser) wertschätzen und erfolgreich bewirtschaften. Und Geld kann unser Gewissen erleichtern, wenn wir es als Kompensation eines Fernflugs einsetzen oder in fair gehandelten Kaffee investieren. Die „Herrschaft des Geldes“ ist ein Mythos. Geld herrscht nicht – solange wir ihm seine Grenzen aufzeigen und ihm neue Zugriffsmöglichkeiten eröffnen. Nur wenn wir das Geld regieren (lassen), gewinnen wir unsere Zukunftsfähigkeit zurück. Um dem Leser einerseits die Eintönigkeit einer bloßen Chronologie zu ersparen und ihm andererseits das Verstehen dessen zu erleichtern, was das Geld in all seiner Ambivalenz auszeichnet, sind gelegentliche Vor- und Rückgriffe unvermeidlich. Ein zuweilen assoziativer, kreisender Erzählstil soll dabei auch das nicht-kognitive Verständnis des magischen Geldes erleichtern. Die Fußnoten sind so knapp wie möglich gehalten – und jederzeit so ausführlich, dass der Leser nicht nach „angegebenen Orten“ suchen muss. Bei den Quellennachweisen nehme ich mir die vollkommen unakademische Freiheit, Kapitel statt Seitenzahlen anzuzeigen, um dem Leser das Nachschlagen unabhängig von der verfügbaren Ausgabe zu ermöglichen. Manchen Büchern und Autoren verdankt dieser Text mehr, als sich in Fußnoten ausdrücken lässt, allen voran Georg Simmel („Philosophie des Geldes“), Werner Sombart („Geschichte des Ka- F5313-Schnaas.indd 8 14.05.12 12:45 VORWORT 9 pitalismus“) und Niklas Luhmann („Die Wirtschaft der Gesellschaft“). Unter den jüngeren Veröffentlichungen seien zur weiteren Lektüre besonders empfohlen: „Kopf oder Zahl“ (Jochen Hörisch), „Eigentum, Zins und Geld“ (Gunnar Heinsohn, Otto Steiger), „Kalkül und Leidenschaft. Poetik des ökonomischen Menschen“ (Joseph Vogl) und „Der Ich-Effekt des Geldes“ (Fritz Breithaupt). Ein besonderer Dank gilt Christopher Schwarz für seine Zeit, seine Aufmerksamkeit und seine vielen wertvollen Hinweise – und natürlich „Meeligünter“ für ihre allzeit liebevoll-ironische Schreibbegleitung. F5313-Schnaas.indd 9 14.05.12 12:45 F5313-Schnaas.indd 10 14.05.12 12:45 I. Der Zauber des Geldes Die Phönizier haben das Geld erfunden – aber warum so wenig? JOHANN NESTROY Die Alchimie der Geldschöpfung A lle kapitalistische Wirtschaft ist Staatswirtschaft, stimuliert von der unsichtbaren Hand des Geldes, beseelt von seiner schöpferischen Kraft, geheiligt durch den Glauben aller an seinen amtlich garantierten Wert. Die aufgeklärte Zwanglosigkeit wirtschaftlicher Tauschbeziehungen? Das freie Spiel von Angebot und Nachfrage? Die unsichtbare Hand des Marktes? Der Wohlstand der Nationen durch Arbeitsteilung und Handelsstreben? Nichts als Reservate des Liberalismus im Hoheitsgebiet einer monetär basierten Nationalökonomie; nichts als Freigehege der Selbstorganisation innerhalb der Grenzen einer kollektiv beteuerten Geldfrömmigkeit. Kein Geld ohne Legitimation und Deckung, verbürgt und versichert durch den Staat. „Im Anfang ist ein Staatsakt“1, durch ihn wird Geld zu Geld, ein „Geschöpf der Rechtsordnung“2, ein gesetzliches Zahlungsmittel, ein staatlich emittierter Bezugsschein auf Leistungen der Wirtschaft. Geld ist zu Geld erklärtes Geld, beglaubigt vom Vertrauen der Geldgemeinde in seine Gültigkeit und Güte, befähigt, seine ökonomische Funktion auszuüben, ermächtigt, seinen kapitalistischen Dienst zu tun. Was die Autorität zum Geld erhebt, steht ganz in ihrem Belieben. Im Senegal war es das Salz, in Alaska der Pelz, in Island der Dörrfisch, in Indien die Bittermandel, in China der Reis.3 Es bedarf nur einer Proklamation, und schon sind morgen Regenschirme oder Rasenmäher Geld. Auch supranationale Währungen sind ohne staatliche Gewähr nichts und unter Garantie alles. Kaum hatten sich die europäischen Regierungen darauf verständigt, waren Mark, Franc, Peso, Lira wertlos – und der Euro definitiv. Neuer- F5313-Schnaas.indd 11 14.05.12 12:45 12 DER ZAUBER DES GELDES dings fordern China und Russland die Abkehr vom US-Dollar als globaler Leitwährung und die Einführung einer neutralen Einheitsvaluta, die der Aufsicht des Internationalen Währungsfonds (IWF) unterliegt? Nun, warum nicht? Es braucht nur eine zwischenstaatliche Vereinbarung, ein amtliches Testat, eine Institution, die das neue Geld deckt, die für seinen Wert haftet, die ihm seine Gültigkeit zusichert und in deren Macht es liegt, es als alleingültiges Zahlungsmittel durchzusetzen – und schon ist dieses Geld – Geld. Gewiss, es gehört zu den charmantesten Gedanken der klassischen Nationalökonomie, dass Geld ursprünglich nicht Staatsgeld ist, dass es seine Existenz der stillschweigenden Übereinkunft freier Marktteilnehmer verdankt und dass es durch das Bedürfnis der Kaufleute und Händler nach einem objektiven Wertmaßstab für ihre Tauschgeschäfte in die Welt gekommen ist. Und tatsächlich: Läuft nicht bis weit ins 18. Jahrhundert hinein überall in Europa fremdländisches Geld um? Gilt nicht überall der Wert der kuranten Münze, des Goldstücks als Stück Gold, das nicht wegen seiner Herkunft geschätzt wird, sondern wegen seines „inneren Wertes“, seines Metallgehaltes, seiner Substanz – unabhängig davon, wer ihm wo mit welchem Recht Gültigkeit aufgeprägt hat? Der Gebrauchswert des Geldes bemisst sich an seinem Inhalt, an dem, was es „in sich“ trägt, an seinem wahren Wert und Waren-Wert – damals. Und heute? Heute wissen wir, dass Geld rein gar nichts beinhalten muss, dass Papier-, Kreditkarten- und Buchgeld ohne Bürgen völlig wertlos ist, dass modernes Geld seinen Wert nicht speichert, sondern repräsentiert und behauptet – und dass der klassischen Wirtschaftstheorie daher die entscheidende Pointe der modernen Geldwirtschaft entgeht. Das gesamte Ideengebäude der klassischen Nationalökonomie krankt an der Harmlosigkeit und Neutralität ihres halbierten Geldbegriffs. Das so hübsch erdachte Marktgeld der Kaufleute und Händler ist in Wahrheit ein Derivat des Staatsgeldes, das seine funktionalen Vorzüge als universales Zahlungsmittel erst dann entfalten kann, wenn der Souverän ihm als „allgemeines Warenäquivalent“4 Autorität und Gültigkeit verleiht. Die Funktionsfähigkeit des modernen Geldes hängt ausdrücklich nicht vom consensus omnium der Marktteilnehmer ab, sondern von der Protektion des Staates – und vom umfassenden Vertrauen der Geldgesellschaft in den Emittenten des Schein-Geldes als Hüter seines inneren Wertes. Dass dieses Vertrauen auch heute noch weit über Staatsgrenzen hinaus reichen kann, ändert daran gar nichts: Wer in Burma oder Zimbabwe mit F5313-Schnaas.indd 12 14.05.12 12:45 DER ZAUBER DES GELDES 13 Dollars einkaufen geht, bezahlt mit der Bonität und Kreditwürdigkeit der Vereinigten Staaten. Seinen realsymbolischen Ausdruck ex negativo findet die moderne Alleingültigkeit des (zwischen-)staatlich versicherten Geldes in Ford Knox, einer historischen Festung im küstenfernen US-Bundesstaat Kentucky, in deren Tresoren die Vereinigten Staaten, aber auch Deutschland einen großen Teil ihrer Goldreserven verwahren. Das mit tonnenschwerem Granit, Beton und Stahl, einer ausgeklügelten Überwachungstechnik und stets einsatzbereiten Soldaten gesicherte Goldbarrenlager war einmal so etwas wie der Panzerschrank der Weltwirtschaft, das Schanzlager des Kapitalismus, die Gralsburg der globalen Geldökonomie. Kaum vier Jahrzehnte ist das her. Damals war der US-Dollar als globale Leitwährung in einem System fester Wechselkurse vom Metallwert des Goldes akkreditiert, alles Geld der Welt über den zum „Goldstandard“ definierten Dollar ans gehaltvolle, wertstabile Gold gebunden – und die amerikanische Zentralbank verpflichtet, die Devisenreserven eines jeden Mitgliedsstaates jederzeit zum Preis von 35 Dollar je Feinunze Gold zu tauschen („Bretton-Woods-System“). Kein Wunder, dass Fort Knox ein beinah mythisch umwehter Ort war: Die Tresore bargen neben dem Vermögen der Welt auch das Vertrauenskapital der globalen Handelspartner und das Funktionsgeheimnis einer stabilen, durch die Goldreserven gleichermaßen legitimierten wie limitierten Weltwirtschaft. Seit es allerdings freie Währungen gibt, die sich der revolutionären Erkenntnis verdanken, dass die Leistungsfähigkeit des umlaufenden Geldes nicht von der Deckung durch ein Edelmetall abhängt, dass Geld allein durch die amtliche Bezauberung von bedrucktem Papier in die Welt kommen kann und dass es wertbeständig ist, solange der Staat es ausreichend knapp hält – seither ist Fort Knox so etwas wie die Zentralgedenkstätte der geldwirtschaftlichen Antike, das Mahnmal einer goldgläubigen Vormoderne. Fort Knox erinnert uns daran, dass alles Gold der Welt heute ökonomisch irrelevant und praktisch wertlos ist, totes Kapital ohne wirtschaftliche Bedeutung, ein Klumpen Metall, der irgendwo in Afrika aus der Erde gebuddelt, eingeschmolzen, in Barren gegossen und in Goldgefängnissen wie Fort Knox lebenslänglich weggesperrt wird. Die knappe Menge Geld, die im Parallelschwung mit der Wirtschaft zirkuliert und ihren Wert allein von den knappen Gütern her bezieht, die es kaufen kann, braucht kein Gold als Referenz: Es ist geschöpftes Geld, emittiert und beglaubigt vom Staat, F5313-Schnaas.indd 13 14.05.12 12:45 14 DER ZAUBER DES GELDES Fiatgeld, wie es im Fachjargon so schön heißt: gewordenes Geld, das zu seiner Anerkennung und Verwendung nichts anderes benötigt als ein behördliches Attest und… fiat pecunia – es werde Geld. Kein Gold der Welt kann dieses Geld aufwiegen. Bis zu den Banken- und Staatsschuldenkrisen 2008 ff. konnten sich nostalgisch veranlagte Zeitgenossen Fort Knox vielleicht noch als Depot nationaler Notgroschen vorstellen, als Geldspeicher für den weltwirtschaftlichen Ernstfall. Heute stellt sich die Frage, ob der deutsche Goldschatz mit rund 90 Milliarden Euro so viel wert ist wie ein halbes Konjunkturpaket – oder ob er überhaupt noch etwas wert ist. Was ist Gold ohne Geld, auf das es bezogen ist, oder genauer: Was „ist“ Gold, wenn staatlich verbürgtes Geld aus eigener Kraft Geld ist und keine Empfehlung mehr außer sich selbst und einer Wirtschaft benötigt, auf die es verweist? Einigte sich eine Weltbestimmerkonferenz darauf, Gold sei von morgen an nichts weiter als ein gelblich glänzendes Metall von mittlerer Kernladung, das im Periodensystem der 118 chemischen Elemente mit der respektablen Ordnungszahl 79 bezeichnet ist, hat es mit ihm von einem Tag auf den anderen die gleiche Bewandtnis wie mit Cadmium, Tantal, Niob oder wie mit Glasperlen, Muscheln und Perlmutt – und Fort Knox könnte endlich besichtigt werden. Gold ist ohne Geld nichts – und Geld ist ohne Gold alles. Diese Einsicht ist so banal und grundstürzend zugleich, dass wir uns ihren eminenten Sinn kaum je vor Augen führen. Dabei gibt es in der Geschichte des Geldes überhaupt nur ein Ereignis, das so bedeutend ist wie die Trennung des Geldes vom Gold: die „Erfindung“ des Geldes selbst vor 2700 Jahren. Das Geld und das Gold haben in diesen langen Jahrhunderten, über alle Länder-, Kulturund Epochengrenzen hinweg, eine nahezu symbiotische Beziehung geführt, eine Ehe, in der sie numismatisch eins waren, zwei Seiten derselben Medaille, identisch in Zahl und Material, in Nennwert und stofflicher Essenz, ob als römischer Solidus, spanische Pistole, holländischer Gulden, indischer Mohur, französischer Louis d’or oder deutscher Dukat. Schwierigkeiten zwischen den beiden hat es immer mal wieder gegeben, schon im 12. Jahrhundert, als andernorts einlösbare Zahlungsversprechen (Wechsel) halfen, buchstäblich schwerwiegende Geldtransfers zu vermeiden. Ende des 18. Jahrhunderts spitzt sich die schwelende Beziehungskrise mit der zügigen Verbreitung des Papiergeldes dramatisch zu. Und doch hält die Partnerschaft bis weit ins 20. Jahrhundert hinein. Der Geldumlauf im Deutschen Reich besteht bis 1914 aus Goldmünzen – und F5313-Schnaas.indd 14 14.05.12 12:45 DER ZAUBER DES GELDES 15 Banknoten, die bei der Reichsbank zur gesetzlich festen Parität von 2790 Mark pro Kilogramm in Gold eingelöst werden können (Goldumlaufwährung). Die Reichsmark ist bis 1948 durch hinterlegtes Gold (und durch Devisen) gesichert, auch wenn Banknoten, Scheidemünzen und Buchgeld nicht mehr in Gold umgetauscht werden können (Goldkernwährung). Die D-Mark schließlich ist über den „Goldstandard“ des US-Dollar bis 1973 ans Gold gebunden – wenn auch zunehmend theoretisch, weil die amerikanische Zentralbank zur Finanzierung des Krieges in Vietnam die Dollarproduktion weit über den Goldbestand hinaus schießen lässt, weil sich wegen des wachsenden Außenhandelsdefizits der USA im Ausland riesige Dollarmengen häufen – und weil US-Präsident Richard Nixon daher im August 1971 das Ende der Einlösungsverpflichtung bekannt gibt. Erst jetzt, durch den Geldhunger der führenden Weltmacht und Wohlstandsnation, kommt es zum endgültigen Bruch zwischen dem Geld und dem Gold – und die monetärhistorische Sensation besteht darin, dass aus dem packenden Scheidungsdrama nicht etwa das substanzvolle Gold, sondern das substanzlose Geld als der große Gewinner hervorgeht. Die Bedeutung des naturhaft elementaren Goldes verdampft – obwohl es seinen materiellen Wert zu speichern vermag. Und die Bedeutung des künstlichen Geldes essentialisiert sich – obwohl es seinen Wert nur behauptet. Was für eine Provokation! Gold ist nur so lange etwas wert, wie es aufs Geld bezogen ist, nicht umgekehrt – und Geld umso wertvoller, sobald es kein urkundliches Versprechen mehr darstellt, jederzeit gegen Gold eingetauscht werden zu können. Modernes Gold ist Tand und Talmi, ganz und gar entbehrlich, Kitsch, Kram, Firlefanz; mehr als zwei Drittel werden heute zu Schmuck und Zahngold verarbeitet. Modernes Geld hingegen ist glücklich alleinstehendes Geld, ein lustiger Single, aller Haftung ledig, von jeder Verantwortung frei: gänzlich unbeschwert und nur noch seine eigene Projektion, Potenz und „autobiografische“ Möglichkeit. Es ist die Urszene des gegenwärtigen Geldglaubens, die erfolgreiche (Ir-)Realisierung des Traumes vom synthetisch hergestellten Goldgeld, der endlich gefundene Stein der Weisen: magisches, stoffloses Geld, das grenzenlos geschöpft werden kann, buchstäblich aus dem Nichts heraus, indem es ganz einfach gedruckt und den Geschäftsbanken zur Verfügung gestellt wird, ja: Geld aus dem Gegenteil von Geld, destilliert aus der heißen Luft von zu Geld erklärtem Papier, mit dem man Kriege führen, Städte bauen, F5313-Schnaas.indd 15 14.05.12 12:45 16 DER ZAUBER DES GELDES das Genom erforschen und zum Mars fliegen kann; Geld aus der Illusion von Geld, geschöpft aus der Behauptung: Dies Geld sei Geld. Bei diesem Als-ob-Geld, das die Zentralbanken den Geschäftsbanken und die Geschäftsbanken wiederum ihren Kunden (also Staaten, Unternehmen und privaten Haushalten) zur Verfügung stellen, handelt es sich im Gegensatz zu einer weit verbreiteten Annahme nicht um verliehenes Geld, also vorhandenes Geld, das „tatsächlich“ in der Welt, durch Gold hinterlegt oder von Ersparnissen auf Girokonten gedeckt wäre, sondern um neues, frisch geschöpftes Geld, das einerseits als Geld in der Welt ist – und andererseits eine Schuld repräsentiert. Es ist Geld, das der Staat (und die Banken) sich gewissermaßen selbst leihen, um die strahlende Zukunft der Menschheit mitten hinein in die Gegenwart zaubern zu können, Geld, dass sie sich als Kredit und Schuldverschreibung, als AntiGeld zur Verfügung stellen, um exakt die Progression des Sozialprodukts und der Einkommen (und der Geschäftsgewinne) heraufbeschwören zu können, die zur künftigen Deckung des in Umlauf gebrachten Schuld-Geldes erforderlich sind. Anders gesagt: Die Banken sind keine Zwischenhändler, die Kreditnehmern Geld vermitteln würden, das andere überzählig haben, sondern Geldfabriken, genauer: Schuldfabriken, in denen wie am Fließband AntiGeld produziert wird. Die Beträge, die die Bank-Werke verlassen, stellen zugleich Geld und Schulden dar – Geld, das zur Verfügung steht und eine Verbindlichkeit markiert. Bis zur „Erfindung“ des modernen Anti-Geldes waren Kredite vor allem Wachstumsbeschleuniger und Wohlstandsmotoren. Im Unterschied zum Kapital, das die Geldquellen der Gegenwart anzapfte, ließen sie Kaufkraft aus einer imaginierten Zukunft fließen. Mit der Investition von Geld, das sie noch nicht besaß und morgen zurückzahlen würde, begrünte die Menschheit das Hier und Heute. Das ging so lange gut, wie die Emission des Anti-Geldes durch das hinterlegte Gold gedeckt war und Darlehen nicht nur eine verheißungsvolle Zukunft versprachen, sondern auch das Versprechen der Schuldner einschlossen, die vergegenwärtigte Zukunft mit der Realisierung der Geldfiktion (der Tilgung der Schuld) beizeiten wieder einzuholen. Seit die Zentralbanken jedoch ihre Schulden nicht mehr begleichen (also in Gold einlösen) müssen; seit sie den Geschäftsbanken unbegrenzt viel Geld zur Verfügung stellen können und die Geschäftsbanken immer weniger (Eigen-)Kapital vorhalten müssen, um ihrerseits frisches Anti-Geld schöpfen zu können, F5313-Schnaas.indd 16 14.05.12 12:45 DER ZAUBER DES GELDES 17 dreht sich die Schuldenspirale mit beängstigender Zwangsläufigkeit ins Unendliche. Seither beruht die moderne Geldwirtschaft auf der infiniten Fabrikation von Anti-Geld und auf seiner permanenten Verzeitlichung, auf der ständigen Vermehrung ins Unendliche verlängerbarer, ewiger Schulden – und auf der Stabilisierung dieses unerlösbaren Schuldzusammenhangs. Die Unabschließbarkeit der Kredit-Produktion drängt sich uns dabei einerseits als zunehmend heikle Systemtatsache auf, weil das begrenzte Wirtschaftswachstum notwendig hinter der grenzenlosen Kreditschöpfung zurück bleibt und mit immer neuen Krediten befeuert werden muss, um (in Zeiten der Krise) nicht völlig zu erlahmen – und weil die Schulden (in Zeiten der Hochkonjunktur) je nach politischen Vorlieben mit Steuersenkungen oder Sozialprogrammen vermehrt werden, um die Nachhaltigkeit der Staatsschuldenwirtschaft und ihren problemlosen Erfolg anzuzeigen. Die Tilgung der Kredite wird auf diese Weise in eine immer fernere Zukunft verlegt, bis ihre Rückzahlung schließlich außer Sichtweite gerät, bis die Schulden uneinholbar fern und unwirklich groß zugleich sind, schier unermessliche Schulden, die nicht mehr abbezahlt werden können, sondern ihrerseits kreditfinanziert werden müssen: „In effect, a Scarlett O’Hara „I’ll think about it tomorrow“ position… was taken by borrowers… Debt now became something to be refinanced rather than repaid.“5 Andererseits haben ewige Schulden den doppelten Vorteil, dass man mit ihnen nicht nur die Verantwortung für ihre Ablösung in eine unbestimmte Zukunft delegieren, sondern sich zugleich durch ihre gegenwärtige Beherrschung auszeichnen kann: Regierungen und Geldinstitute lösen im modernen Pumpkapitalismus keine Geldprobleme mehr, sondern reden darüber, wie man sie managt; sie begleichen keine Schulden mehr, sondern schichten sie um – und sie signalisieren eben damit ihre Könnerschaft, ihren Weitblick, ihren schier unbegrenzten Horizont. Die Trennung des Geldes von seinem Wertstoff Gold ist daher nicht nur das Geburtsdatum der modernen Geldkonfession und der Zellkern der globalen Finanzwirtschaft, sondern auch der Nukleus der gegenwärtigen Banken- und Schuldenkrisen. Weil die Produktivitätszuwächse in reifen Volkswirtschaften notwendig geringer ausfallen als zum Beispiel in Schwellenländern und die Rentenansprüche einer zunehmend älter werdenden Bevölkerung die Wohlstandszuwächse von morgen verlässlich aufzehren, müssen F5313-Schnaas.indd 17 14.05.12 12:45 18 DER ZAUBER DES GELDES die wachsenden Kreditrückstände an den Kapitalmärkten gewissermaßen künstlich eingeholt werden, das heißt: mit „innovativen Finanzprodukten“, die das Geld von den Fesseln der Realwirtschaft, auf die es eigentlich bezogen ist, möglichst vollständig löst – und die immer innovativer werden müssen, um das zunehmend labile perpetuum mobile der aneinander geketteten Kreditfiktionen noch ausbalancieren zu können. Die Aufgabe von modernen Kapitalmärkten besteht deshalb nicht wie ehedem darin, der Wirtschaft als ihr Seismograph und Spiegel über sich selbst Auskunft zu verleihen, sondern darin, dass das Geld sich in ihnen möglichst unbegrenzt vermehren kann. Die Börsen sind kein Markt der Märkte mehr, in denen die Wirtschaft sich selbst den Puls fühlt, sondern eine Geldmaschine, die darauf programmiert ist, alle Verbindungsreste zur schwach wachsenden Realwirtschaft zu kappen. Die „Entkopplung“ der Finanzmärkte ist unbedingt gewollt, ja: zwingende Voraussetzung dafür, dass die Wohlstandsversprechen überhaupt noch einigermaßen aufrecht erhalten werden können. Lebensversicherer, die ihren Anlegern in wachstumsreligiösen Niedrigzinsländern (USA, Japan, Westeuropa) viereinhalb Prozent Rendite garantieren und mit Tagesgeldern und Schatzbriefen notwendig Verluste erwirtschaften, müssen sich mit B-Papieren mäßig beleumundeter Verschuldungsstaaten (etwa griechischen Staatsanleihen) eindecken und mit Aktien von Unternehmen jonglieren, deren Geschäfte gut laufen oder nicht – oder gleich auf künftige Ölpreise, Kreditausfälle, Währungsschwankungen und Staatsbankrotte wetten. Dem Geld kommt auf seinen modernen Tummel- und Rummelplätzen, den elektronischen Börsen, vor allem seine Körperlosigkeit zu Gute: Rätselhaft substanzfrei, nichts als Ziffer, Zahl und Menge, an sich wesen- und wertlos und doch Mittel, Ziel und Zweck aller staatskapitalistischen Wirtschaft zugleich, stellt es ein geheimnisumwittertes, vielfach paradoxes Mysterium dar. Prinzipiell solo, ungebunden und ledig aller Fesseln, die es früher einmal an einen Wertspeicher gebunden haben, neigt es heute als papiernes Nichts und binärer Code zur totalen Grenzen-, Maß- und Zügellosigkeit. Vom Staat und seinen Notenbanken emittiert, von den Geschäftsbanken als Schuld und Vermögen zugleich vermehrt und verbreitet, gebunden nur an das Vertrauen derer, die es in der Hoffnung auf seine Vermehrung investieren, verleihen und weiterreichen, ist es ständig darauf aus, sich selbst als Obligation zu befruchten und als Kredit zu bestäuben, als Anleihe zu vermehren und als Derivat fort- F5313-Schnaas.indd 18 14.05.12 12:45 DER ZAUBER DES GELDES 19 zupflanzen: triebhaft vagabundierend, ohne partnerschaftliche Protektion, ohne Moral, ohne Halt – und ohne Deckung. Die grenzenlose Freiheit des promisken, wollüstigen Geldes zaubert mitten hinein in unsere wissenschaftlich-technisch aufgeklärte Moderne die Romantik der ökonomischen Unvernunft. Sein hexerisches Versprechen auf Selbstvermehrung ist der esoterische Kern unserer Wachstumsdoktrin; seine unfassbare Irrationalität die Prämisse unserer Tagträumereien vom schweiß- und arbeitslosen Einkommen; seine autosexuelle Libido die Triebkraft unserer hingebungsvollen Finanzmarktgläubigkeit. Nur das fiktionale, an nichts gebundene Geld vermag sich einen eigenen Markt zu erschaffen, eine inwendige Gesetzlichkeit ohne Güter, Waren und Produkte, eine immanente Logik ohne Ansehen der Moral; einen Markt, in dem das sinnenfrohe Geld sich permanent selbst erregt und stimuliert – und von dem niemand weiß, wie es in ihm wächst und wuchert, weil das Geld dort kontinuierlich kreist und kreißt und sich permanent revolvierend dorthin zurück begibt, wo es sich am wohlsten fühlt: in seine eigene Nähe. Die Finanzmärkte sind der Venusberg des schwarzkünstlerischen Geldes; hier heckt das Geld den magisch-archaischen Menschheitstraum vom alchimistisch geschöpften Reichtum; hier verführt es uns zum Flirt mit dem Nervenkitzel und zur Affäre mit dem Risiko: Wetten, dass ich aus der schieren Abwesenheit meiner Substanz (als Schuldtitel) ein Vermögen destillieren kann? Wetten, dass ich mich aus dem Nichts meiner Negation (als unbesicherte Forderung) buchstäblich „angereichertes“ Geld zu extrahieren vermag? Und wetten, dass ich mich sogar, von niemandem besessen, gegen den Ausfall meiner AntiMaterie versichern kann (Credit Default Swap), um mich durch die Zahlungsunfähigkeit Dritter zu vermehren? Politiker, Finanzmarktakteure und Wohlstandsbürger sind in diesem Börsenspiel zur tragischen Schicksalsgemeinschaft verschworen. Sie alle huldigen der wundersamen Geldvermehrung an den Finanzmärkten wie einer monetären Befreiungstheologie; ihnen allen verheißt das unbegreifbare, gold-gelöste Geld den Eintritt ins Scheinparadies der Pumpwirtschaft, die sich im Gegensatz zum klassischen Kreditwesen dadurch auszeichnet, dass in ihr keine Obligationen, Einstandspflichten und Haftungszusagen mehr gehandelt werden, sondern Eskalationskalküle, Progressionserwartungen und Vermehrungsversprechen. Alles bläht und bläst sich auf in dieser Pumpwirtschaft, alles treibt und übertreibt: Arbeitnehmer rechnen mit dauerndem Erfolg auf dem Arbeitsmarkt und ständig steigen- F5313-Schnaas.indd 19 14.05.12 12:45 20 DER ZAUBER DES GELDES den Einkommen, Hauskäufer blicken einem permanenten Immobilienboom entgegen, umlagefinanzierte Rentner verlassen sich auf Lendenkraft und Storchensegen ihrer Enkel. Sie alle sind an der Wahlurne damit beschäftigt, dem (Anti-)Geld sozusagen politikliturgisch das Mandat zur Stabilisierung ihres säkularreligiösen Prosperitätsglaubens zu erteilen – und die Partei zu wählen, die vorgibt, es besonders reichlich reproduzieren zu können. Es überrascht daher kaum, dass wir in Parlamenten unentwegt monetärmissionarischen Laienpriestern begegnen, die uns die schwarze Messe der wundersamen Geldvermehrung lesen – und die frohe Botschaft verbreiten, Geld sei auch als Anti-Geld, als Kredit und Schuld, als verzeitlichtes Versprechen, das längst nicht mehr gehalten werden kann, nur Investition und Gewinn und Nutzen und Ertrag. Es ist daher auch kein Zufall, dass die Verschuldungskurven in den USA und Europa ausgerechnet 1973 ihre horizontale Grundrichtung verlassen und streng monoton steigend die Form einer mathematischen Funktion annehmen: Seit Geld zu Geld allein kraft amtlicher Bekanntmachung wird, seit nur der Staat es über seine Notenbanken druckt und ausgibt und besichert, ist Geld weniger denn je das Zahlungsmittel selbstbestimmter, marktfähiger Bürger – und mehr denn je psychopolitischer Endzweck zur Aufrechterhaltung der nationalen Wohlstands- und Reichtumsillusion. Diese Illusion beruht, noch einmal: auf der dreifachen Wahnvorstellung, die ungebundenen Schulden von heute ließen sich entweder durch das Wirtschaftswachstum von morgen (liberale Wahnvorstellung) oder durch eine spätere Selbstbescheidung des Staates (keynesianische Wahnvorstellung) einholen – oder eben dadurch, dass das promiske Geld sich an der Börse dauerhaft schneller zu vermehren versteht als die Wirtschaft, auf die es bezogen ist (finanzkapitalistische Wahnvorstellung). Dauernder Erfolg ist diesen Wahnvorstellungen in demokratisch verfassten Gesellschaften nur mit der konsequenten Umdeutung und Vereinseitigung des Schuldbegriffs beschieden, das heißt mit Narrativen und Diskursen, die die kaufmännische Zweideutigkeit des Geldes (Haben/Soll) verhehlen, seine buchhalterische Doppelbödigkeit (Gewinn/Verlust) leugnen und seine volkswirtschaftliche Janusköpfigkeit (Geld/Anti-Geld) vertuschen. Wenn ein Darlehen nicht mehr von einer Zahlungsverpflichtung erzählt, sondern nur noch von einer Investitionschance; wenn ein Kredit nicht mehr als Bürde verstanden wird, sondern nur noch als Entfaltungsmöglichkeit; wenn eine Schuld nicht mehr als Belastung begriffen wird, F5313-Schnaas.indd 20 14.05.12 12:45 DER ZAUBER DES GELDES 21 sondern nur noch als Spielraum, dann steigt die frohe Hoffnung zum ökonomisch-rationalen Imperativ auf, der die rückwärtsgewandte Frage nach der persönlichen Haftung ausklammert und das Risiko protegiert. Eine schuldenfinanzierte Staatswirtschaft, die auf ihr exponentielles Wachstum schielen muss, um die systemische Belastung der Zukunft durch die Rückzahlung der Kredite ausgleichen zu können, sortiert alle Zauderer als bedenkenträgerische Bedrohung der Pumpwirtschaft aus – und formiert eine olympische KomparativGesellschaft, die immer höher, schneller, weiter muss. Diese Gesellschaft zeichnet sich durch ihr selbstblindes Fortschreiten aus; ihr fehlt notwendig das Verständnis für alle, die nicht optimistischblind vorneweg marschieren. Sie stürzt vorsichtig agierende Unternehmer vom ökonomischen Heldenthron und unterwirft sich den kurzfristigen Profiterwartungen von Spekulanten; sie ermuntert zu schleunigen Börsenspielen und Rentenwetten („Riester“, „Rürup“) und denunziert die Aufbauleistung eines Bausparplans als unproduktive Zukunftsverweigerung sicherheitsverliebter SozialstaatsApologeten; sie hofiert ausgabefreudige Kreditkarten-Konsumenten und stellt sparstrümpfige Naturen mit den Mitteln der modernen Regierungstechnik unter Zukunftsverweigerungs-Verdacht. In den USA haben die regierungsamtlichen Geld-Schöpfer in Washington und ihre Kreditpriester an der New Yorker Wall Street die amerikanische Geldglaubensgemeinde ermuntert, kostenlose Immobilienkredite aufzunehmen und Wetten auf steigende Häuserpreise abzuschließen, um sich mit der trivialliberalen Ideologie des billigen Geldes und der niedrigen Steuern die Kosten des Sozialstaates ersparen zu können. Jahrzehntelang wurden die Amerikaner mit dem Versprechen eines unendlichen Wachstums über endemische Handelsbilanz- und Haushaltsdefizite, über industrielle Wachstumsschwächen und eklatante Lücken im Gesundheitssystem hinweg getäuscht – und damit systematisch in die Verschuldungsfalle getrieben. In Deutschland wiederum wird man über den Umweg der Umverteilung und der organisierten Wohlfahrt dahin gebracht, sein Geld möglichst schnell durchzubringen, damit der Staat für den Fall der Fälle (Arbeitslosigkeit, Pflege) keinen Zugriff auf das hat, was über das „Schonvermögen“ hinausgeht. So oder so: Ein Leben auf großem Fuß, über die eigenen Verhältnisse und jenseits der persönlichen Leistungsfähigkeit, ein Leben mit Ratenkauf, Dispositionskredit und Spekulationsgebot wird gleichsam mitlaufend zur Bürgerpflicht in einer Wirtschaftsordnung, in F5313-Schnaas.indd 21 14.05.12 12:45