Gesamtbericht 17.12.2002

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Kommission von Bundestag und Bundesrat
zur Modernisierung
der bundesstaatlichen Ordnung
Arbeitsunterlage
0002
Zur internen Verwendung
Stand: 17. Dezember 2002
Bund/Länder-Arbeitsgruppe
"Innerstaatliche Kompetenzordnung"
Bericht zur innerstaatlichen Kompetenzordnung
- Bestandsaufnahme und Problembeschreibung -
Stand: 17. Dezember 2002
Bund/Länder-Arbeitsgruppe
„Innerstaatliche Kompetenzordnung“
Bericht zur innerstaatlichen Kompetenzordnung
- Bestandsaufnahme und Problembeschreibung -
INHALT
Einleitung................................................................................................................... 4
1.
Beschluss der Ministerpräsidenten vom Oktober 2001 und Beschluss des
Bundeskanzlers mit den Regierungschefs der Länder vom 20. Dezember 2001 . 4
2.
Beschluss des Lenkungsausschusses „Föderalismusreform“ vom 18. April
2002..................................................................................................................... 5
3.
Ergebnis der Sitzung der Arbeitsgruppe "Innerstaatliche Kompetenzordnung"
vom 15. Mai 2002 ................................................................................................. 6
4.
Ergebnisse
der
Sitzungen
der
Unterarbeitsgruppe
„Innerstaatliche
Kompetenzordnung“ vom 6. Juni und vom 3. September 2002........................... 6
5.
„Struktur
einer
Bestandsaufnahme
und
Problembeschreibung
der
bundesstaatlichen Ordnung“ .............................................................................. 6
Bericht ..................................................................................................................... 14
Konkurrierende Gesetzgebung ................................................................................ 15
Rahmengesetzgebung ............................................................................................. 29
Art. 125 a GG............................................................................................................ 39
Zustimmungsbedürftigkeit ....................................................................................... 42
Grenzüberschreitende Zusammenarbeit .................................................................. 55
Neue Medien ............................................................................................................ 63
Notariatswesen ........................................................................................................ 66
Versammlungsrecht ................................................................................................. 70
Öffentliche Fürsorge ................................................................................................ 74
Verbraucherschutz................................................................................................... 79
Förderung der wissenschaftlichen Forschung......................................................... 85
Förderung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung ...................................... 89
Wohnungswesen...................................................................................................... 94
Regelungskompetenz im Bereich der Heilberufe ................................................... 102
Regelungskompetenz im Arzneimittelbereich........................................................ 107
Umweltgesetzgebung............................................................................................. 111
Besoldungs- und Versorgungsrecht (Sicht der Länder)......................................... 120
Dienstrecht der Landes- und Kommunalbeamten (Sicht der Länder) .................... 128
Allgemeine Grundsätze des Hochschulwesens ..................................................... 135
Allgemeine Rechtsverhältnisse der Presse............................................................ 143
Melde- und Ausweiswesen..................................................................................... 146
Kulturgüterschutz .................................................................................................. 153
Umsetzung von EU-Recht in nationales Recht....................................................... 159
Kompetenzen in EU-Angelegenheiten (Art. 23 GG) ................................................ 164
Anhang: Stellungnahme des Bundes aus dienstrechtlicher Sicht
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Einleitung
Einleitung
1.
Beschluss der Ministerpräsidenten vom Oktober 2001 und Beschluss des Bundeskanzlers mit den Regierungschefs der Länder vom 20. Dezember 2001
Die Regierungschefs der Länder sind am 24. bis 26. Oktober 2001 übereingekommen, auf der Grundlage der Ergebnisse der Beratungen der CdS-Arbeitsgruppe
„Föderalismus-Bilanz“ Verhandlungen mit dem Bund über die Modernisierung der
bundesstaatlichen Ordnung aufzunehmen.
Auf der Besprechung des Bundeskanzlers mit den Regierungschefs der Länder am
20. Dezember 2001 in Berlin haben die Regierungschefs von Bund und Ländern gemeinsam die Notwendigkeit einer Überprüfung der bundesstaatlichen Ordnung im
Hinblick auf die Zweckmäßigkeit und Effizienz der Aufgabenerfüllung und die Zuordnung der politischen Verantwortlichkeiten betont. Die Verhandlungen über die möglichen Reformschritte sollen alsbald mit dem Ziel aufgenommen werden, sie bis Ende
2003 abzuschließen. Die gesetzliche Umsetzung der Reform soll bis Ende 2004 abgeschlossen sein.
Die Regierungschefs von Bund und Ländern haben einen Lenkungsausschuss „Föderalismusreform“ und die Arbeitsgruppen „Finanzen" und "Innerstaatliche Kompetenzordnung" eingesetzt.
Der Lenkungsausschuss besteht auf Bundesseite aus dem Chef des Bundeskanzleramts und BMI, BMJ und BMF auf Staatssekretärs-Ebene sowie auf Länderseite
aus den Chefs der Staats- bzw. Senatskanzleien der Länder Bayern, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen, außerdem dem Chef der Staatsbzw. Senatskanzlei des jeweiligen Vorsitzlandes. Der Lenkungsausschuss hat die
Aufgabe, den Beratungsprozess zwischen Bund und Ländern zu steuern sowie die
Tätigkeit der Arbeitsgruppen zu bündeln und zu koordinieren.
Den Arbeitsgruppen gehören von Bundesseite das Bundeskanzleramt sowie BMI,
BMJ und BMF auf Staatssekretärs-Ebene an. Die Länderseite hat Vertreter auf CdSEbene benannt.
Die Arbeitsgruppe „Innerstaatliche Kompetenzordnung" steht unter dem gemeinsamen Vorsitz des BMI und der Länder Bremen und Sachsen. Die Arbeitsgruppe hat
laut Beschluss die Aufgabe, insbesondere zu folgenden Themen Vorschläge zu erarbeiten:
Einleitung
-
2.
Seite 5
Gesetzgebungskompetenzen außer Steuergesetzgebung,
„Europatauglichkeit“ des Grundgesetzes,
Umsetzung von EU-Recht in nationales Recht,
Kompetenzen in EU-Angelegenheiten (Artikel 23 GG) und
grenzüberschreitende Kompetenzen.
Beschluss des Lenkungsausschusses „Föderalismusreform“ vom 18. April
2002
Der Lenkungsausschuss „Föderalismusreform" hat auf seiner Sitzung am 18. April
2002 die Arbeitsgruppe „Innerstaatliche Kompetenzordnung“ beauftragt, für die
-
Gesetzgebungskompetenzen (mit Ausnahme der Steuergesetzgebung),
Umsetzung von EU-Recht in nationales Recht,
Kompetenzen in EU-Angelegenheiten (Art. 23 GG),
eine Bestandsaufnahme und Problembeschreibung vorzulegen, die auch die Staatspraxis und die aktuellen Entwicklungen in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes berücksichtigt.
Die Arbeitsgruppe soll außerdem prüfen, ob und in welcher Hinsicht unter den Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit und Effizienz die rechtlichen Vorgaben für eine
grenzüberschreitende Zusammenarbeit in den Grenzregionen verbessert werden
sollten.
Beide Arbeitsgruppen sollen auch prüfen, inwieweit geeignete Teil -Themen zeitlich
vorzuziehen sind.
Beide Arbeitsgruppen sollen die Auswirkungen der EU-Entwicklungen, insbesondere
die Folgen des Vertrages von Nizza und die Arbeiten des EU-Konvents, einbeziehen,
um die „Europatauglichkeit“ von Grundgesetz und bundesstaatlicher Ordnung zu prüfen und gegebenenfalls zu optimieren sowie eine Konkordanz zwischen der innerstaatlichen Föderalismusreform und der europäischen Kompetenzdebatte herzustellen.
Der Lenkungsausschuss hat die Arbeitsgruppen aufgefordert, einen konkreten Arbeits- sowie Zeitplan festzulegen, erforderlichenfalls Unterarbeitsgruppen einzurichten sowie externe Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Die Arbeitsgruppen sollen
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Einleitung
dem Lenkungsausschuss möglichst bald, spätestens Oktober 2002, über ihre Zwischenergebnisse berichten.
3.
Ergebnis der Sitzung der Arbeitsgruppe "Innerstaatliche Kompetenzordnung"
vom 15. Mai 2002
Auf der Sitzung der Arbeitsgruppe „Innerstaatliche Kompetenzordnung“ am 15. Mai
2002 in Berlin wurde zur Vorbereitung einer gemeinsamen Bestandsaufnahme von
Bund und Ländern die Bildung einer länderoffenen Unterarbeitsgruppe auf Arbeitsebene beschlossen.
Die Unterarbeitsgruppe wurde mit der Entwicklung eines Arbeitsplans auf der Grundlage der im Beschluss des Lenkungsausschusses genannten Themen beauftragt.
Darüber hinaus hat die Arbeitsgruppe einen Zeitplan beschlossen.
4.
Ergebnisse der Sitzungen der Unterarbeitsgruppe „Innerstaatliche Kompetenzordnung“ vom 6. Juni und vom 3. September 2002
Die Unterarbeitsgruppe hat erstmals am 6. Juni 2002 getagt. Am 3. September 2002
tagte sie ein zweites Mal zur Besprechung der bis dahin vorliegenden Entwürfe für
die Berichterstattungen und des weiteren Verfahrens.
5.
„Struktur einer Bestandsaufnahme und Problembeschreibung der bundesstaatlichen Ordnung“
Auf der Sitzung der Unterarbeitsgruppe „Innerstaatliche Kompetenzordnung“ am
6. Juni 2002 wurde eine „Struktur einer Bestandsaufnahme und Problembeschreibung der bundesstaatlichen Ordnung“ beschlossen, die einen Arbeitsplan mit zu behandelnden Themen sowie Fragestellungen und Gesichtspunkte einer Bewertung
enthält. Sie lautet wie folgt:
Einleitung
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Struktur einer Bestandsaufnahme und Problembeschreibung
der bundesstaatlichen Ordnung
I. Einleitung
Dem Beschluss des Lenkungsausschusses "Föderalismusreform" vom 18. April
2002 entsprechend sind zu folgenden Themen von der Arbeitsgruppe "Innerstaatliche Kompetenzordnung" eine Bestandsaufnahme und Problembeschreibung zu
erstellen:
-
Gesetzgebungskompetenzen (mit Ausnahme der Steuergesetzgebung),
Umsetzung von EU-Recht in nationales Recht,
Kompetenzen in EU-Angelegenheiten (Art. 23 GG),
grenzüberschreitende Zusammenarbeit.
Es bietet sich an, das Thema „grenzüberschreitende Zusammenarbeit" zeitlich
vorzuziehen.
II. Allgemeine Fragen
Die Arbeitsgruppe wird zu folgenden allgemeinen Fragen eine Bestandsaufnahme
und Problembeschreibung erarbeiten. Die Länder legen dabei das Arbeitspapier
der CdS vom September 2001 (CdS-Papier) zugrunde.
1. Konkurrierende Gesetzgebung
Ist das mit der 1994 geschaffenen engeren Fassung der Voraussetzungen für die
Bundesgesetzgebung im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung (Art. 72 GG,
Art. 93 Abs. 1 Nr. 2a GG) verfolgte Ziel einer Stärkung der Gesetzgebungskompetenz der Länder u.a. durch höhere Ausübungsschranken für den Bund erreicht
worden? (Vgl. für die Länder CdS-Papier, Ziffer 1.) Die mögliche Einführung von
Zugriffsrechten für die Länder (Vetooption und Zugriffsoption) ist - Bund: auch im
Kontext der Zustimmungstatbestände - zu untersuchen.
Berichterstattung: Bund, BY, HB, NI, SN
2. Rahmengesetzgebung
Ist das mit der 1994 geschaffenen engeren Fassung der Voraussetzungen für die
Bundesgesetzgebung im Bereich der Rahmengesetzgebung (Art. 75 GG) verfolgte
Ziel einer Stärkung der Gesetzgebungskompetenz der Länder u.a. durch höhere
Ausübungsschranken für den Bund erreicht worden? (Vgl. für die Länder CdSPapier, Ziffer 2.)
Berichterstattung: Bund, BY, HB, NI, SN
3. Art. 125a GG
Wie hat sich die Verfassungspraxis im Hinblick auf die 1994 geschaffene Übergangsvorschrift in Art. 125a GG entwickelt? (Vgl. für die Länder CdS-Papier, Ziffer
3.)
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Einleitung
Berichterstattung: BE
4. Zustimmungsbedürftigkeit
Wie haben sich Bestand und Handhabung der Zustimmungstatbestände im Gesamtstaat entwickelt? Wie wirken sich die Beteiligungs- und Entscheidungsverfahren des Bundesrates auf die Gesetzgebung aus? Die Zustimmungspflichtigkeit
von Bundesgesetzen ist auch im Zusammenhang mit der Entflechtung der Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern zu prüfen (vgl. für die Länder
CdS-Papier, Ziffer 4).
Berichterstattung: Bund, NI, TH
III. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit
Die Frage, ob und in welcher Hinsicht unter den Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit und Effizienz die rechtlichen Vorgaben für eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit in den Grenzregionen geändert werden sollten, wird zeitlich vorgezogen untersucht, um ggf. die Notwendigkeit von Verfassungsänderungen zu prüfen (vgl. für die Länder CdS-Papier, Ziffer 7).
Berichterstattung: Bund, NW, RP, SH
V. Einzelne zu untersuchende Kompetenzbereiche (mit Ausnahme der Steuergesetzgebung)
Folgende, von Bund (Schreiben von Herrn Staatssekretär Schapper vom 3. Mai
2002) und Ländern (CdS-Arbeitspapier vom September 2001) benannte Gebiete
werden in der Bestandsaufnahme und Problembeschreibung von der Arbeitsgruppe näher untersucht:
1. Neue Medien
Bund: Die Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche anhand der herkömmlichen
Aufteilung zwischen Bundeszuständigkeit für den sendetechnischen Bereich
(Art. 73 Nr. 7 GG früher: Fernmeldewesen, jetzt: Telekommunikation, Art. 87f GG)
und der grundsätzlichen Zuständigkeit der Länder für die inhaltliche Gestaltung
des (inlandsbezogenen) Rundfunks ist mit Unsicherheiten hinsichtlich der Zuordnung der sog. neuen Medien behaftet. Handlungsbedarf unter Berücksichtigung
der bisherigen Gesetzgebungspraxis und Erfahrungen, insbesondere aus dem
Evaluierungsbericht zum IUKDG und MDStV (BT-Drs. 14/1191), ist zu prüfen.
Berichterstattung: Bund, HE, NW, RP, SN, SH
2. Notariatswesen
Länder: Eine Bestandsaufnahme und Problembeschreibung zur bisherigen Handhabung dieses Teilbereichs aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG im Zusammenhang mit
allgemeinen, die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz betreffenden Punkten
ist zu erstellen (vgl. CdS-Papier, Ziffer 1.1.1).
Einleitung
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Berichterstattung: BW, HH, NW
3. Versammlungsrecht
Länder: Eine Bestandsaufnahme und Problembeschreibung zur bisherigen Handhabung dieses Teilbereichs aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG im Zusammenhang mit
allgemeinen, die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz betreffenden Punkten
ist zu erstellen (vgl. CdS-Papier, Ziffer 1.1.1).
Berichterstattung: BY, BE
4. Öffentliche Fürsorge
Länder: Eine Bestandsaufnahme und Problembeschreibung zur bisherigen Handhabung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG (ggf. Teilbereiche) im Zusammenhang mit allgemeinen, die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz betreffenden Punkten ist
zu erstellen (vgl. CdS-Papier, Ziffer 1.2.1, 1.2.2).
Berichterstattung: BW, HB, HE, NI
5. Verbraucherschutz
Bund: Welche Kompetenztitel weist das Grundgesetz für den Verbraucherschutz
auf? Wie sind die Vorgaben aus dem Gemeinschaftsrecht in das innerstaatliche
Recht (Bund und Länder) umgesetzt worden ? Sind dabei Probleme aufgetreten ?
Berichterstattung: Bund, BW, BY
6. Förderung der wissenschaftlichen Forschung
Länder: Eine Bestandsaufnahme und Problembeschreibung zur bisherigen Handhabung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 GG im Zusammenhang mit allgemeinen, die
konkurrierende Gesetzgebungskompetenz betreffenden Punkten ist zu erstellen
(vgl. CdS-Papier, Ziffer 1.1.1).
Berichterstattung: BW, BE
7. Förderung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung
Länder: Eine Bestandsaufnahme und Problembeschreibung zur bisherigen Handhabung dieses Teilbereichs aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 GG im Zusammenhang mit
allgemeinen, die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz betreffenden Punkten
ist zu erstellen (vgl. CdS-Papier, Ziffer 1.1.1).
Berichterstattung: MV, SL
8. Wohnungswesen
Länder: Eine Bestandsaufnahme und Problembeschreibung zur bisherigen Handhabung dieses Teilbereichs aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG im Zusammenhang mit
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Einleitung
allgemeinen, die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz betreffenden Punkten
ist zu erstellen (vgl. CdS-Papier, Ziffer 1.2.2, 1.3).
Berichterstattung: HB, SN, ST
9. Regelungskompetenz im Bereich der Heilberufe
Bund: Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Einstweiligen Anordnung vom
22. Mai 2001 - 2 BvQ 48/00 - das Inkrafttreten des Altenpflegegesetzes suspendiert. Kompetenzgrundlage für das Altenpflegegesetz ist insbesondere Art. 74
Abs. 1 Nr. 19 GG, wonach der Bund die Gesetzgebungskompetenz u.a. für die Zulassung zu Heilberufen hat. Sofern das Gericht im Hauptsacheverfahren zur Auffassung gelangen sollte, für das Gesetz bestehe keine Bundeskompetenz, wäre
zu untersuchen, ob dadurch Probleme entstehen.
Länder: Eine Bestandsaufnahme und Problembeschreibung zur bisherigen Handhabung des Teilbereichs aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG, „Zulassung zu ärztlichen
und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe“, im Zusammenhang mit allgemeinen, die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz betreffenden Punkten ist zu
erstellen (vgl. CdS-Papier, Ziffer 1.2.2).
Berichterstattung: Bund, BY
10. Regelungskompetenz im Arzneimittelbereich
Bund: Wie ist bisher der Kompetenztitel in Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG, "Verkehr mit
Arzneien", umgesetzt worden ? Sind durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Februar 2000 - 1 BvR 420/97 -, BVerfGE 102, 26, Probleme aufgetreten ?
Berichterstattung: Bund, BW
11. Umweltgesetzgebung
Bund und Länder: Welche Kompetenztitel weist das Grundgesetz für den Umweltschutz auf? Handelt es sich dabei um konkurrierende oder Rahmengesetzgebungskompetenzen? Wie sind die Vorgaben aus dem Gemeinschaftsrecht in das
innerstaatliche Recht (Bund und Länder) umgesetzt worden ? Sind dabei Probleme aufgetreten (vgl. für die Länder CdS-Papier, Ziffer 1.1.1, 2.1, 2.3)?
Berichterstattung: Bund, SH, SL
12. Besoldungs- und Versorgungsrecht
Länder: Eine Bestandsaufnahme und Problembeschreibung zur bisherigen Handhabung des Art. 74a GG im Zusammenhang mit allgemeinen, die konkurrierende
Gesetzgebungskompetenz betreffenden Punkten ist zu erstellen (vgl. CdS-Papier,
Ziffer 1.1.1, 1.3).
Berichterstattung: HE, NI
Einleitung
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13. Dienstrecht der Landes- und Kommunalbeamten
Länder: Eine Bestandsaufnahme und Problembeschreibung zur bisherigen Handhabung des Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GG im Zusammenhang mit allgemeinen,
die Rahmengesetzgebungskompetenz betreffenden Punkten ist zu erstellen (vgl.
CdS-Papier, Ziffer 2.1, 2.3).
Berichterstattung: HE, NI
14. Allgemeine Grundsätze des Hochschulwesens
Länder: Eine Bestandsaufnahme und Problembeschreibung zur bisherigen Handhabung des Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a GG im Zusammenhang mit allgemeinen,
die Rahmengesetzgebungskompetenz betreffenden Punkten ist zu erstellen (vgl.
CdS-Papier, Ziffer 2.1, 2.3).
Berichterstattung: BW, BE
15. Allgemeine Rechtsverhältnisse der Presse
Länder: Eine Bestandsaufnahme und Problembeschreibung zur bisherigen Handhabung des Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GG im Zusammenhang mit allgemeinen,
die Rahmengesetzgebungskompetenz betreffenden Punkten ist zu erstellen (vgl.
CdS-Papier, Ziffer 2.1, 2.3).
Berichterstattung: TH
16. Melde- und Ausweiswesen
Bund: Für das Passwesen besitzt der Bund nach Art. 73 Nr. 3 GG die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz. Nach Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 GG besteht jedoch lediglich eine Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes für das Meldeund Ausweiswesen. Es ist zu untersuchen, ob diese Kompetenz angesichts möglicher länderübergreifender Bedeutung und Deregulierungsbemühungen ausreichend ist.
Berichterstattung: Bund, BY, ST
17. Kulturgüterschutz
Bund: Mögliche Kodifizierungsprobleme bei der Umsetzung von EU-Recht im
Rahmen der Kompetenz nach Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 GG "Schutz deutschen
Kulturgutes gegen Abwanderung ins Ausland" sind unter Berücksichtigung der
1994 erfolgten Verfassungsänderung und der seitherigen Staatspraxis zu prüfen.
Berichterstattung: Bund, HB, HE
V. Umsetzung von EU-Recht in nationales Recht
Praktische Probleme bei der Umsetzung von EU-Recht in nationales Recht sind
insbesondere im Umweltrecht aufgetreten (vgl. die Umsetzung der EG-Richtlinien
zur UVP und IVU). Zu prüfen ist, ob die teilweise dort nur vorhandene Rahmen-
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Einleitung
gesetzgebungskompetenz sachgerecht ist (vgl. für die Länder CdS-Papier, Ziffer
3.2 und 6).
Berichterstattung: Bund, SH, SL, TH
VI. Kompetenzen in EU-Angelegenheiten (Art. 23 GG)
Die Mitwirkungsmöglichkeiten der Länder in EU-Angelegenheiten sind zu überprüfen (vgl. für die Länder CdS-Papier, Ziffer 6). Dabei ist u.a. die Notwendigkeit
von Flexibilität und Effektivität bei Verhandlungen zu berücksicht igen.
Berichterstattung: Bund, BW, HB
VII. Gesichtspunkte zur Bestandsaufnahme und Problembeschreibung
Ausgangspunkt der Bestandsaufnahme und Problembeschreibung ist der Beschluss der Regierungschefs von Bund und Ländern vom 20. Dezember 2001.
Vorrangig ist die Notwendigkeit einer Überprüfung der bundesstaatlichen Ordnung im Hinblick auf die Zweckmäßigkeit und Effizienz der Aufgabenerfüllung
und die Zuordnung der politischen Verantwortlichkeiten. Im Einzelnen sollen
nach derzeitigem Diskussionsstand insbesondere folgende Gesichtspunkte leitend sein:
1. Gleichwertige Lebensverhältnisse, Rechts- und Wirtschaftseinheit
(konkrete Bedarfsprognose)
Inwieweit bedarf die Kompetenzmaterie aktuell bzw. in absehbarer Zeit –
auch im Hinblick auf die Entwicklung der europarechtlichen Vorgaben – einer
konkreten bundeseinheitlichen Regelung?
Die Auswirkungen eventueller Reformschritte auf das innerstaatliche Kompetenzgefüge werden zu gegebener Zeit begleitend zu prüfen sein.
2. Leistungsfähigkeit einzelner Bundesländer
Muss und kann die jeweilige Kompetenz von allen Ländern gleichermaßen
ausgefüllt werden?
3. Deutsche Einheit
Bestehen aus der deutschen Einheit resultierende Fragen, die einer bundeseinheitlichen Regelung bedürfen? Besteht ein Bedarf für Länderöffnungsklauseln für von Bundesrecht abweichendes Landesrecht?
4. Europatauglichkeit
Ist der Kompetenztitel bei der Umsetzung von europäischem Recht in nationales Recht ausreichend? Ergeben sich aus der bevorstehenden EU-
Einleitung
Seite 13
Erweiterung und der anstehenden Reform der EU auf der Grundlage der Arbeiten des Konvents zur Zukunft der EU Problemstellungen, die die nationale
Kompetenzordnung berühren?
5. Inanspruchnahme durch den Bundesgesetzgeber (Analyse)
Inwieweit ist der jeweilige Kompetenztitel in Anspruch genommen worden?
6. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
Zu welchen Kompetenzbereichen hat das Bundesverfassungsgericht Aussagen getroffen und führen diese zu einem „positiven oder negativen“ Regelungsbedarf?
7. Schnittstellen zur Arbeitsgruppe „Finanzen“
Ergeben die Beratungen der Arbeitsgruppe "Finanzen" und ihrer Unterarbeitsgruppe Problemstellungen, die im Rahmen des Mandats der Arbeitsgruppe "Innerstaatliche Kompetenzordnung" und ihrer Unterarbeitsgruppe
behandelt werden müssen? Ergibt sich aus einer Reduzierung von Mischfinanzierungstatbeständen evtl. das Erfordernis anderweitiger Struktursicherungen? Ergibt sich darüber hinaus aus Kompetenzentflechtungen das Erfordernis anderweitiger Struktursicherung?
8. Schnittstellen zur Bund/Länder-Arbeitsgruppe zu europapolitischen
Themen
Geben die Beratungen in der Arbeitsgruppe „Innerstaatliche Kompetenzordnung“ und ihrer Unterarbeitsgruppe Anlass, den Diskussionsstand in der
Bund/Länder-Arbeitsgruppe zu europapolitischen Themen (sog. PleugerHoffmann-Gruppe) einzubeziehen bzw. umgekehrt?
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Bericht
Bericht
Die Abstimmung innerhalb der Bund/Länder-Arbeitsgruppe konnte weitgehend abgeschlossen werden. Noch nicht endgültig zwischen Bund und Ländern abgestimmt sind die
Beiträge "Öffentliche Fürsorge" und "Umweltgesetzgebung". Zu den Themen "Besoldungsund Versorgungsrecht" und "Dienstrecht der Landes- und Kommunalbeamten" enthält der
Bericht Beiträge, die im Bericht selbst die Sicht der Länder und im Anhang die Sicht des
Bundes darstellen.
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Konkurrierende Gesetzgebung
Konkurrierende Gesetzgebung
Auftrag
Ist das mit der 1994 geschaffenen engeren Fassung der Voraussetzungen für die Bundesgesetzgebung im
Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung (Art. 72 GG, Art. 93 Abs. 1 Nr. 2a GG) verfolgte Ziel einer Stärkung der Gesetzgebungskompetenz der Länder u.a. durch höhere Ausübungsschranken für den Bund erreicht worden? (Vgl. für die Länder CdS-Papier, Ziffer 1.) Die mögliche Einführung von Zugriffsrechten für die
Länder (Vetooption und Zugriffsoption) ist - Bund: auch im Kontext der Zustimmungstatbestände - zu untersuchen.
Berichterstattung: Bund, BY, HB, NI, SN
I.
Hintergrund der Neufassung des Art. 72 Abs. 2 GG im Jahre 1994
1.
Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung haben die Länder die Befugnis
zur Gesetzgebung, solange und soweit der Bund nicht von seiner Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht hat (Art. 72 Abs. 1 GG). Die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme einer konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz durch den Bund sind in Artikel 72 Abs. 2 GG geregelt.
2.
Bis zur Neufassung im Jahre 1994 hatte Art. 72 Abs. 2 GG die folgende Fassung (sog. „Bedürfnisklausel“):
„Der Bund hat in diesem Bereiche das Gesetzgebungsrecht, soweit ein Bedürfnis nach bundesgesetzlicher Regelung besteht, weil
1. eine Angelegenheit durch die Gesetzgebung einzelner Länder nicht wirksam geregelt
werden kann oder
2. die Regelung einer Angelegenheit durch ein Landesgesetz die Interessen anderer Länder
oder der Gesamtheit beeinträchtigen könnte oder
3. die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit, insbesondere die Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse über das Gebiet eines Landes hinaus sie erfordert.“
3.
Das Bundesverfassungsgericht hatte die Frage, ob ein Bedürfnis nach bundesgesetzlicher Regelung bestehe, von Anfang an als Frage pflichtgemäßen Ermessens des Bundesgesetzgebers angesehen, die ihrer Natur nach nicht justiziabel und daher einer gerichtlichen Nachprüfung grundsätzlich entzogen sei
(BVerfGE 2, 213, 224; BVerfGE 33, 224, 229; BVerfGE 65, 283, 289). In ande-
Konkurrierende Gesetzgebung
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ren, zum Teil späteren Entscheidungen (BVerfGE 26, 338, 382 f.; BVerfGE 67,
299, 327; BVerfGE 78, 249, 270) hat das Gericht seine Prüfungskompetenz auf
die Frage beschränkt gesehen, ob der Bundesgesetzgeber die in Art 72 Abs. 2
GG verwendeten Begriffe im Prinzip zutreffend ausgelegt und sich in dem dadurch bezeichneten Rahmen gehalten hat. Der Bund hat die konkurrierende
Gesetzgebungsbefugnis im Lauf der Zeit zunehmend in Anspruch genommen
und inzwischen weitgehend ausgeschöpft.
4.
II.
Die Gemeinsame Verfassungskommission (BT-Drs. 12/6000, S. 33) sah die
Bedürfnisklausel des Art. 72 Abs. 2 GG a.F. als „eines der Haupteinfallstore für
die Auszehrung der Länderkompetenzen“ an.
Inhalt und Auswirkungen der Neuregelung 1994
1.
Entsprechend dem Vorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission wurde Art. 72 Abs. 2 GG mit Gesetz vom 27. Oktober 1994 (BGBl. I S. 3146) wie
folgt neu gefasst (sog. „Erforderlichkeitsklausel“):
„Der Bund hat in diesem Bereich das Gesetzgebungsrecht, wenn und soweit die Herstellung
gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder
Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht.“
Diese Änderung diente nach der Begründung der Gemeinsamen Verfassungskommission (BT-Drs. 12/6000) dazu, die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz in Art. 72 Abs. 2 GG „zu
konzentrieren, zu verschärfen und zu präzisieren mit dem Ziel, die als unzureichend empfundene Justiziabilität der Bedürfnisklausel durch das Bundesverfassungsgericht zu verbessern“ und so die Gesetzgebungskompetenz der Länder
zu stärken. Ergänzend wurde in Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 a GG eine neue Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts zur Entscheidung von Meinungsverschiedenheiten im Zusammenhang mit Art. 72 Abs. 2 GG eingeführt.
Die Auswirkungen dieser Verfassungsänderung werden von Bund und Ländern
unterschiedlich eingeschätzt:
Nach Auffassung der Länder hat auch die mit der Verfassungsänderung 1994
erfolgte Verschärfung der Ausübungsschranken für den Bundesgesetzgeber in
der Staatspraxis nur wenig geändert. Die Bundesgesetzgebung sei im konkur-
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Konkurrierende Gesetzgebung
rierenden Bereich nach wie vor weiter ausgebaut worden. Aufgrund der weitreichenden Inanspruchnahme der Gesetzgebungsbefugnisse durch den Bundesgesetzgeber seien den Ländern auch nach der Verfassungsänderung nur wenige eigene Zuständigkeiten verblieben. Das mit der Verfassungsänderung verfolgte Ziel der Stärkung der Ländergesetzgebung habe in der Praxis kaum Niederschlag gefunden. Die Länderparlamente hätten im konkurrierenden Bereich
kaum politische Gestaltungsspielräume.
Der Bund weist demgegenüber darauf hin, dass seit der Verfassungsänderung
von 1994 bei der Prüfung von Gesetzentwürfen aus dem Bereich der konkurrierenden und der Rahmengesetzgebung erhöhte Anforderungen an die Darlegung der Gründe gestellt würden, warum der Gesetzentwurf und seine wichtigsten Einzelregelungen nach Art. 72 Abs. 2 GG eine bundesgesetzliche Regelung
erforderten (vgl. § 40 Abs. 2 Nr. 1a der inzwischen außer Kraft getretenen Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien, Besonderer Teil – GGO
II –, zuletzt in der Fassung vom 25. März 1996, und jetzt § 43 Abs. 2 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesregierung vom 26. Juli 2000 – GGO
– i.V.m. Art. 72 Abs. 2 GG).
2.
Mit dem Urteil vom 24. Oktober 2002 (2 BvF 1/01) zum Altenpflegegesetz hat
das Bundesverfassungsgericht das Ziel und den Anspruch der 1994 erfolgten
Verfassungsänderung, die Gesetzgebungskompetenz der Länder durch höhere
Ausübungsschranken für den Bund zu stärken, nachhaltig bekräftigt und konkretisiert. Das Bundesverfassungsgericht hat hier ausdrücklich entschieden,
dass dem Bundesgesetzgeber ein von verfassungsrechtlicher Kontrolle freier
gesetzgeberischer Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Voraussetzungen des
Art. 72 Abs. 2 GG n.F. nicht zusteht. Zugleich hat das Gericht die Tatbestandsmerkmale des Art. 72 Abs. 2 GG in einer Weise konkretisiert, dass sich hieraus
neben den sachlich-inhaltlichen Grenzen der Kompetenztitel des Art. 74 GG eine erhebliche zusätzliche Schranke für die Ausübung der Bundeskompetenz
ergibt.
Nach Auffassung des Bundes wird diese Entscheidung nachhaltige Auswirkungen auf die Staatspraxis haben. Auf die bisherige Staatspraxis komme es vor
diesem Hintergrund nicht mehr entscheidend an. Die vom Bundesverfassungsgericht bestätigte Verschärfung der Ausübungsschranken für den Bundesgesetzgeber werfe insbesondere die Frage auf, ob derzeit auf dem Gebiet der
konkurrierenden Gesetzgebung systemverändernde und daher besonders tiefgreifende Änderungen im Sinne der von den Ländern vorgeschlagenen Zugriffsrechte (s.u. unter III.2) angezeigt seien.
Konkurrierende Gesetzgebung
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Nach Auffassung der Länder lässt sich diese Auswirkung der Entscheidung auf
die Staatspraxis gegenwärtig nicht entnehmen. Zwar kläre die Entscheidung den
Inhalt der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG weiter. Als unbestimmte Rechtsbegriffe seien sie auch der verfassungsgerichtlichen Kontrolle bei
künftigen gesetzlichen Regelungen unter Inanspruchnahme der Kompetenztitel
des Art. 74 GG unterworfen. Das Gericht habe aber auch betont, bei der Abschätzung der zukünftigen Entwicklungen dürfe kein Tauglichkeitsoptimum verlangt werden; es genüge, wenn mit Hilfe des Gesetzes der gewünschte Erfolg
gefördert werden könne. Zwar solle die Richtigkeit und Vollständigkeit der einer
prognostischen Einschätzung zugrunde zulegenden Tatsachen unbeschränkt
kontrolliert werden können, ein Prognose- oder Bewertungsspielraum solle aber
dort eröffnet sein, wo es auf die Methode der Tatsachenermittlung und ihre Bewertung ankommt. Eine Klärung der daran zu stellenden Anforderungen wird sich
nach Auffassung der Länder wohl erst aus weiteren Entscheidungen des BVerfG
ergeben.
Vor allem aber sei eine wesentliche Stärkung von Länderpositionen aufgrund
der Entscheidung deshalb kaum zu erwarten, weil der Bund im Bereich der
konkurrierenden Gesetzgebung in der Vergangenheit bereits in weitreichendem
Umfang von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht habe. Die
Sperrwirkung des Art. 72 Abs. 1 GG sei in den geregelten Materien eingetreten,
auf sie habe eine etwaige Erhöhung der verfassungsrechtlichen Anforderungen
an den Zugriff des Bundes keine Auswirkungen. Die tatsächliche Nutzbarkeit
der Kompetenzbereiche für die Länder hänge davon ab, inwieweit der Bund von
dem ihm allein zustehenden Freigaberecht aus Art. 72 Abs. 3 und Art. 125 a
Abs. 2 S. 2 GG Gebrauch mache. In der Vergangenheit sei dies auch nach entsprechender Initiative der Länder bislang nicht geschehen (vgl. Gesetzesentwurf des Bundesrates vom 15.10.1999 zur Umsetzung des Art. 125a Abs. 2 des
Grundgesetzes, BR-Drs. 542/99).
III.
Vorschläge zur Änderung der Gesetzgebungszuständigkeiten im Bereich der
konkurrierenden Gesetzgebung
1.
Überführung einzelner Gegenstände der konkurrierenden Gesetzgebung in die
Landes- oder ausschließliche Bundeskompetenz (Trennung der Kompetenzen)
1.1. Geeignete Gegenstände der konkurrierenden Gesetzgebung könnten entweder
– durch Streichung einzelner Kompetenztitel aus dem Katalog der Art. 74, 74 a
Seite 19
Konkurrierende Gesetzgebung
GG – in die Kompetenz der Länder nach Art. 70 Abs. 1 GG oder – durch Aufnahme in den Katalog des Art. 73 GG – in die ausschließliche Zuständigkeit des
Bundes überführt werden. Eine solche Reduktion der Kompetenzkataloge der
Art. 74, 74 a GG wäre ohne Systemänderung des Kompetenzgefüges möglich.
1.2. Zu berücksichtigende Folgen:
•
Durch die Überführung einzelner Gegenstände in die Kompetenz der Länder entstünde eine originäre Zuständigkeit aller Länder, die sie (bei entsprechendem Regelungsbedarf) faktisch verpflichten würde, von ihrer Gesetzgebungsbefugnis Gebrauch zu machen.
•
schwierige Folgenabschätzung für einzelne Kompetenzbereiche (z.B.
wenn sich Gesetze auf mehrere Kompetenztitel stützen)
•
Eröffnung der Kompetenztiteldiskussion um Zuweisung von Einzelkompetenzen, die sich bereits in der Vergangenheit als wenig erfolgreich erwiesen hat
•
ggf. Aufspaltung von Kompetenztiteln der Art. 74, 74a GG erforderlich
•
Nach Auffassung des Bundes kann die Überführung bestimmter Regelungsgebiete in die Kompetenz der Länder im Einzelfall in Widerspruch zu
dem gesamtstaatlichen Interesse an der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet und an der Wahrung der Rechts- oder
Wirtschaftseinheit treten, da eine bundesgesetzliche Regelung (sei es
auch nur in Form einer Teilregelung) dann auch in einer Regelungssituation, wie sie Art. 72 Abs. 2 GG anspricht, nicht mehr möglich wäre. Für welche Materien sich aus diesen Gründen eine Überführung in Länderkompetenz verbiete, lasse sich abschließend nur im Hinblick auf die einzelnen
Kompetenzbereiche beurteilen.
•
Soweit Kompetenzmaterien in die ausschließliche Bundeskompetenz überführt werden, werden die Länderpositionen nicht gestärkt, sondern im
Gegenteil ihre Handlungsmöglichkeiten weiter reduziert.
Konkurrierende Gesetzgebung
2.
Seite 20
Schaffung eines Zugriffsrechts der (einzelnen) Länder
Den Ländern könnte die Möglichkeit eingeräumt werden, von geltendem Bundesrecht abweichende Landesregelungen zu treffen (Zugriffsrecht). Im Unterschied zur Überführung einzelner Gegenstände der konkurrierenden Gesetzgebung in die Zuständigkeit der Länder(gesamtheit) soll bei dieser Lösung bereits
jedem einzelnen Land die Möglichkeit eingeräumt werden, für seinen Geltungsbereich vom Bundesrecht abweichendes Landesrecht zu schaffen. Damit würde
an die Stelle einer (faktischen) Gesetzgebungspflicht aller Länder (bei entsprechendem Regelungsbedarf) ein Gesetzgebungsrecht für jedes einzelne Land
treten.
Im Interesse einer Aufrechterhaltung der grundsätzlichen Einheitlichkeit des
Rechts- und Wirtschaftsraumes Deutschland und einer ausgewogenen Balance
zwischen den Gesetzgebungsbefugnissen von Bund und Ländern im Bereich
der konkurrierenden Gesetzgebung sehen die Vorschläge der Länder jedoch
kein allgemeines, sondern ein beschränktes Zugriffsrecht vor (vgl. auch CdSArbeitspapier vom 29. September 2001, Nr. 1.2.). Dabei stehen mehrere Optionen zur Diskussion, die ggf. auch miteinander kombiniert werden können:
2.1. Einspruchsoption (Vetooption)
Das Zugriffsrecht der Länder kann zunächst verfahrenstechnisch durch ein Einspruchsrecht (Veto) des Bundes(gesetzgebers) beschränkt werden. Dabei sind
– je nachdem, welchem Gremium die Letztentscheidungskompetenz zukommen soll – unterschiedliche Ausgestaltungen denkbar:
- 2.1.1. Einspruchsrecht des Bundesrates
Das Einspruchsrecht kann zum Einen durch den Bundesrat (ggf. mit Quorum) wahrgenommen werden (CdS-Arbeitspapier vom 21. September 2001,
Ziff. 1.2.1).
- 2.1.2. Einspruchsrecht des Bundestages
Zum Anderen wird vorgeschlagen, gegen die abweichende landesgesetzliche Regelung einen Einspruch des Bundestages (ggf. mit Quorum) zuzulas-
Seite 21
Konkurrierende Gesetzgebung
sen (vgl. Sondervotum Dr. Heinsen für die Enquête-Kommission Verfassungsreform, BT-Drs. 7/5924, S. 1371).
- 2.1.3. Einspruchsrecht des Bundestages mit Konfliktfallregelung
Eine weitere Möglichkeit besteht darin, dem Bundestag zwar ein Einspruchsrecht gegen die abweichende landesgesetzliche Regelung einzuräumen,
dem Bundesrat oder dem Vermittlungsausschuss aber das Recht zu geben,
diesen Einspruch (ggf. mit Quorum) zurückzuweisen (vgl. z.B. Schneider in:
Bertelsmann-Kommission, Neuordnung der Kompetenzen, 2001, S. 33, 36;
Enquête-Kommission des Bayerischen Landtags, LT-Drs. 14/8660, S. 18).
Ein Formulierungsvorschlag der Länder für eine entsprechende Verfassungsbestimmung ist im Anhang beigefügt.
2.2. Zugriffsoption
Weiterhin kann das Zugriffsrecht der Länder inhaltlich auf einzelne geeignete
Gegenstände des Katalogs der konkurrierenden Gesetzgebung begrenzt werden. In den betroffenen Bereichen könnten die Länder dann unbeschränkt und
abschließend über eigene Regelungen entscheiden (CdS-Arbeitspapier vom
21. September 2001, Nr. 1.2.2). Von vorneherein ausscheiden für diese Option
eines einspruchsfreien Zugriffsrechts dürften namentlich das Bürgerliche Recht,
das Justizwesen, das Ausländer- und Vertriebenenrecht und möglicherweise
auch das Arbeitsrecht.
Die Benennung der Kompetenztitel, für die den Ländern ein Zugriffsrecht eingeräumt wird, könnte gesetzestechnisch zum einen durch eine positive Auflistung
der betreffenden Gebiete (Positivkatalog), zum anderen aber auch umgekehrt
durch einen negativen Ausschluss bestimmter Bereiche erfolgen, in denen es
bei der bisherigen Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeit verbleiben soll
(Negativkatalog).
Ein Formulierungsvorschlag der Länder für eine entsprechende Verfassungsbestimmung ist im Anhang beigefügt.
1
Sein Vorschlag für die Einfügung eines Art. 72 a in das Grundgesetz lautete: „Abweichend von Art. 72
Abs. 1 können die Länder im Bereiche der konkurrierenden Gesetzgebung eine bundesgesetzliche Regelung durch Landesgesetz ersetzen oder ergänzen, wenn nicht der Bundestag innerhalb von drei Monaten
nach Zuleitung Einspruch erhebt.“
Konkurrierende Gesetzgebung
Seite 22
2.3. Argumente für das Zugriffsrecht der Länder:
•
Stärkung der Eigenverantwortlichkeit der Länder.
•
Den Ländern würde die Möglichkeit zur Erprobung abweichender Regelungen in ihrem Geltungsbereich eingeräumt. Die übrigen Länder hätten eine
Wahlmöglichkeit zwischen dem Fortbestand der bundesrechtlichen Regelungen, einem Anschluss an die Regelungen des Erprobungslandes oder
einer eigenen landesrechtlichen Regelung.
•
Schonung von Ressourcen der Länder durch die Möglichkeit des Bundes,
Recht zu schaffen, von dem die Länder nach Maßgabe des Zugriffsrechts
abweichen können, aber nicht müssen.
•
Das Risiko von Verfassungsstreitigkeiten nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2a GG
(Meinungsverschiedenheiten über die Erforderlichkeitsvoraussetzungen
nach Art. 72 Abs. 2 GG) würde reduziert.
•
Die Schaffung von Zugriffsrechten könnte zum Abbau der durch die Zustimmungsbedürftigkeit von Bundesgesetzen bewirkten Politikverflechtung –
und damit zu der mit der Reform des Föderalismus angestrebten Entflechtung der Verantwortlichkeiten – beitragen. Denn soweit den Ländern die Befugnis zum Erlass eigenständiger Regelungen eingeräumt wird, erscheint es
nicht geboten, die Mitwirkung an der Bundesgesetzgebung über ein Zustimmungsrecht des Bundesrates zu sichern. Im Gegenzug zur Öffnung des
Bundesrechts für abweichende Regelungen müssten die Länder nach Auffassung des Bundes auf Zustimmungserfordernisse verzichten:
- Soweit die Länder für einzelne Gegenstände der konkurrierenden Gesetzgebung verfassungsunmittelbar uneingeschränkt zum Erlass eigenständiger Regelungen ermächtigt werden (Zugriffsoption), müsste die Zustimmungsbedürftigkeit nach Auffassung des Bundes entfallen. Entsprechendes würde für die Ermächtigung durch eine bundesgesetzliche Öffnungsklausel gelten (Option 3.), wenn sichergestellt wird, dass die Öffnungsklausel nicht ohne Zustimmung des Bundesrates wieder aufgehoben oder
geändert werden kann.
Seite 23
Konkurrierende Gesetzgebung
- Dies gilt nicht für die Vetooption, bei der über die Zulässigkeit eines abweichenden Landesgesetzes erst nach Erlass des zeitlich vorausgehenden Bundesgesetzes entschieden wird.
(Zum Wegfall von Zustimmungsbedürfnissen vgl. im übrigen die Berichterstattung zur Zustimmungsbedürftigkeit, Thema II.4.)
2.4. Argumente gegen das Zugriffsrecht der Länder:
•
Nach Auffassung des Bundes spricht gegen eine tiefgreifende Strukturänderung im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung, die das Verhältnis
von Bund und Ländern in diesem Bereich gleichsam umkehren würde,
schon, dass deren Konsequenzen kaum überschaubar wären. Der Bund befürchtet insbesondere die Gefahr einer Rechtszersplitterung und nachhaltigen Beeinträchtigung des gesamtstaatlichen Interesses an der Herstellung
gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet und an der Wahrung der
Rechts- oder Wirtschaftseinheit. Deshalb verbiete sich von vornherein der
Gedanke, den gesamten Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung in eine
„umgekehrt konkurrierende Gesetzgebung“ zu überführen, wie dies das von
den Ländern als „Vetooption“ bezeichnete Modell vorsehe. Vielmehr komme
die Begründung von Zugriffsrechten mit Rücksicht auf das gesamtstaatliche
Interesse an der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse und an der
Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit allenfalls differenzierend in Betracht. Bestimmte Bereiche wie namentlich das Bürgerliche Recht, das Justizwesen, das Ausländer- und Vertriebenenrecht und möglicherweise auch
das Arbeitsrecht eigneten sich hierfür – was hinsichtlich der Zugriffsoption
auch unstreitig sei – von vornherein nicht. Die verfahrensmäßigen Beschränkungen des Zugriffsrechts bei der Vetooption gewährleisten die Wahrung gesamtstaatlicher Interessen nach Auffassung des Bundes jedenfalls
dann nicht hinreichend, wenn das Einspruchsrecht (bzw. das Recht zur Zurückweisung eines Einspruchs) dem Bundesrat zugewiesen wird (Optionen
2.1.1. und 2.1.3.).
Demgegenüber weisen die Länder darauf hin, dass das Zugriffsrecht bereits
nach den Vorschlägen der Länder2 gerade auch im Hinblick auf die Auf-
2
Vgl. CdS-Arbeitspapier vom 29. September 2001, Nr. 1.2.2. und Sondervotum Dr. Heinsen für die Enquete-Kommission Verfassungsreform, BT-Drucksache 7/5924, S. 137 (Fußnote 1).
Konkurrierende Gesetzgebung
Seite 24
rechterhaltung der grundsätzlichen Einheitlichkeit des Rechts- und Wirtschaftsraumes Deutschland von vorneherein nur beschränkt eingeräumt
werden soll (inhaltlich bezogen auf geeignete Gesetzgebungsmaterien –
Zugriffsoption /
verfahrenstechnisch durch Einräumung von Einspruchsrechten des Bundes
– Einspruchsoption). Hinsichtlich eines Einspruchsrechts des Bundesrats
weisen die Länder außerdem darauf hin, dass auch der Bundesrat ein Organ des Bundesgesetzgebers sei, der Bundesaufgaben wahrnehme, und
keine Gemeinschaftseinrichtung der Länder. Im übrigen bestehe das grundsätzliche gesamtstaatliche Interesse an der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet und an der Wahrung der Rechts- oder
Wirtschaftseinheit in den Bereichen der konkurrierenden Gesetzgebung
auch nach derzeitiger Rechtslage nicht generell, sondern sei im Einzelfall zu
prüfen (Art. 72 Abs. 2 GG). Es entspreche gerade dem Wesen des Föderalismus, in geeigneten Bereichen unterschiedliche landesspezifische Regelungen zuzulassen.
•
Ein Zugriffsrecht der Länder (Einspruchs- und Zugriffsoption) birgt für den
Bund das Risiko eines vergeblichen Sach- und Kostenaufwands (für Gesetze, die wegen des Zugriffs zahlreicher Länder nur eingeschränkt Anwendung finden, Vorratsgesetzgebung des Bundes).
•
Die Einspruchsoption (nach Nr. 2.1.) stellt eine komplexe Lösung dar, die
das bestehende Gesetzgebungsverfahren um zusätzliche Schritte erweitert
und in gewissem Widerspruch zu allgemeinen Zielen der Föderalismusreform (Entflechtung, Transparenz) steht. Zu bedenken ist auch, dass parteipolitische Gesichtspunkte in die Entscheidungsfindung eingehen könnten.
Zudem besteht das Risiko vergeblichen Sach- und Kostenaufwands der
Länder für nicht gültig gewordene Landesgesetze.
•
Bei der Zugriffsoption (nach Nr. 2.2.) besteht die Gefahr der Eröffnung einer
Kompetenztiteldiskussion um die Zuweisung geeigneter Einzelkompetenzen, die sich bereits in der Vergangenheit als wenig erfolgreich erwiesen
hat; ggf. ist dabei auch eine Aufspaltung der bestehenden Kompetenztitel
erforderlich.
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Konkurrierende Gesetzgebung
2.5. Erforderlichkeitsklausel
Nicht ganz einheitlich werden die Auswirkungen der Einführung eines Zugriffsrechts der Länder auf die Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG beurteilt:
3.
•
Einig sind sich Bund und Länder darin, dass die Schaffung eines solchen
Zugriffsrechts die Gesetzgebungsbefugnis des Bundes für die betreffende
Materie nicht einschränkt, zumal nach der seit 1994 geltenden Verfassungslage der nachträgliche Wegfall der Erforderlichkeit die Sperrwirkung des Art.
72 Abs. 1 GG nicht beseitigt, vgl. Art. 72 Abs. 3, Art. 125 a Abs. 2 GG (v.
Mangoldt/ Klein/ Starck, GG, 4. Aufl., Art. 72 Abs. 2 RdNr. 86 m.w.N.).
•
Unterschiedliche Auffassungen bestehen dagegen in der Frage, inwieweit
bei Einführung eines Zugriffsrechts überhaupt an der Erforderlichkeitsprüfung festzuhalten wäre. Nach Auffassung des Bundes impliziert die Einführung eines Zugriffsrechts der Länder von vornherein eine Relativierung der
heute geltenden Erforderlichkeitsklausel. Dagegen ist nach Ansicht der Länder die Frage der Erforderlichkeit für bereits erlassene Gesetze im Hinblick
auf Art. 72 Abs. 3 GG unproblematisch. Für spätere Änderungen bereits erlassener Bundesgesetze und für neu zu erlassende Gesetze sei das Entfallen der Erforderlichkeitsprüfung nicht zwingend.
Erweiterte Öffnungsmöglichkeiten
Als weitere Option wurde in die Diskussion eingeführt, die in Art. 72 Abs. 3 und
Art. 125a Abs. 2 GG vorgesehenen Möglichkeiten für eine Öffnung des Bundesrechts zugunsten landesrechtlicher Regelungen abweichend von den bisherigen Tatbestandsvoraussetzungen dahingehend zu erweitern, dass eine bundesgesetzliche Regelung schon von vornherein mit einer Öffnungsklausel verbunden werden kann (zur Forderung nach der Einführung von Öffnungsklauseln
vgl. Enquête-Kommission des Bayerischen Landtags, aaO S. 17, 21 f.).
Nach Ansicht der Länder wäre eine verfassungsrechtliche Grundlage für bundesrechtliche Öffnungsklauseln zwar grundsätzlich zu begrüßen, wenn der
Bund hiervon künftig tatsächlich verstärkt Gebrauch macht. Eine wesentliche
Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten, wie sie mit der Föderalismusreform
angestrebt wird, werde darin aber nicht gesehen, zumal nach den Bestimmungen der Art. 72 Abs. 3 GG und Art. 125a Abs. 2 GG den Ländern eigene Rege-
Konkurrierende Gesetzgebung
Seite 26
lungsbefugnisse erst auf der Grundlage bundesgesetzlicher Ermächtigungen
eingeräumt würden. Es hänge allein von der Entscheidung des Bundes ab, ob
und inwieweit er im Einzelfall den Ländern eigene Gesetzgebungskompetenzen
übertrage. Die Praxis der Vergangenheit zeige indessen, dass der Bund von
diesen Möglichkeiten schon bislang keinerlei Gebrauch gemacht habe.
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Konkurrierende Gesetzgebung
Anhang
(Vorschläge der Länder zur Formulierung möglicher Änderungen des GG)
1.
Zu III.2.1. Einspruchsoption (Vetooption):
„Soweit der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht Gebrauch gemacht hat, kann ein Land die bundesgesetzliche Regelung ganz oder teilweise durch Landesrecht ersetzen oder ergänzen, wenn nicht
der Bundestag/Bundesrat [mit einer Mehrheit von ..... der Mitglieder/der Stimmen] innerhalb von drei
Monaten1 nach Zuleitung des Gesetzesbeschlusses/Ausfertigung des Gesetzes2 Einspruch erhebt [oder der Einspruch auf Antrag eines Landes innerhalb von drei Monaten nach Einspruchserhebung
vom Bundesrat/Vermittlungsausschuss zurückgewiesen wird].“
2.
Zu III.2.2. Zugriffsoption
„Soweit der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung
Gebrauch gemacht hat, kann ein Land die bundesgesetzliche Regelung ganz oder teilweise durch
Landesrecht ersetzen oder ergänzen (Zugriffsrecht der Länder).
Das Zugriffsrecht der Länder erstreckt sich auf folgende Gebiete:....(Positivliste)
oder:
Das Zugriffsrecht der Länder ist in folgenden Gebieten ausgeschlossen:...(Negativliste)
Diese Formulierungsvorschläge werden vom Bund – ohne inhaltliche Prüfung – nicht
mitgetragen, weil nach Auffassung des Bundes die Arbeitsgruppe „Innerstaatliche
Kompetenzordnung“ bislang kein Mandat hat, konkrete Formulierungsvorschläge für
etwaige Grundgesetzänderungen zu erarbeiten. Für Textvorschläge ist nach Auffassung des Bundes erst dann Raum, wenn die Diskussion zur verfassungsrechtlichen
und politischen Bewertung der dargestellten Handlungsoptionen abgeschlossen und
1
Die Frist für die Ausübung des Einspruchsrechts und ggf. eine daran anknüpfende Schlichtungsentscheidung sollte im Interesse frühzeitiger Schaffung von Rechtssicherheit möglichst knapp bemessen werden.
Hierbei erscheint etwa ein Zeitraum von jeweils 3 Monaten angemessen und ausreichend.
2
Für den Fristbeginn kommt der Zeitpunkt der Zuleitung des Gesetzesbeschlusses an den Einspruchsberechtigten, eventuell auch der Ausfertigung des Gesetzes in Betracht. Im Interesse einer möglichst frühzeitigen Beteiligung des Bundes wäre auch eine vorzeitige Anzeigepflicht des Landes erwägenswert, etwa nach der 2. Lesung des betreffenden Landesgesetzes. Dadurch könnten im Vorfeld Kompromisslösungen gefunden und so ein Gebrauchmachen des Bundes von seinem Vetorecht vermieden werden.
Von einer Anknüpfung an die Verkündung des betreffenden Landesgesetzes sollte dagegen im Interesse
der Rechtssicherheit (Vermeidung des Anscheins eines gültigen, in Wirklichkeit aber noch schwebend
unwirksamen Gesetzes) abgesehen werden.
Konkurrierende Gesetzgebung
Seite 28
geklärt ist, ob und inwieweit konkrete Änderungsempfehlungen erarbeitet werden
müssen.
Seite 29
Rahmengesetzgebung
Rahmengesetzgebung
Auftrag
Ist das mit der 1994 geschaffenen engeren Fassung der Voraussetzungen für die Bundesgesetzgebung im
Bereich der Rahmengesetzgebung (Art. 75 GG) verfolgte Ziel einer Stärkung der Gesetzgebungskompetenz
der Länder u.a. durch höhere Ausübungsschranken für den Bund erreicht worden? (Vgl. für die Länder CdSPapier, Ziffer 2.)
Berichterstattung: Bund, BY, HB, NI, SN
I.
Bestandsaufnahme
1.
Die Rechtslage bis 1994
a)
Im Bereich der Rahmengesetzgebung hat der Bund das Recht, unter den
Voraussetzungen des Art. 72 GG (d.h. insbesondere: nur wenn und soweit
eine bundesgesetzliche Regelung nach Art. 72 Abs. 2 GG erforderlich ist)
Rahmenvorschriften für die Gesetzgebung der Länder zu erlassen (Art. 75
Abs. 1 GG). Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (noch zur Rechtslage vor der Änderung des Grundgesetzes
im Jahre 1994) konnten solche Rahmenvorschriften nicht nur Richtlinien
für die Landesgesetzgebung, sondern auch unmittelbar geltende Rechtssätze – bis hin zu sog. „partiellen Vollregelungen“, also erschöpfenden
Regelungen für einzelne Teile eines Gesetzesvorhabens oder einer Gesetzesmaterie – enthalten (vgl. etwa BVerfGE 4, 115, 128 ff.; 7, 29, 41 f.;
43, 291, 343; 67, 382, 387).
b)
Die Gemeinsame Verfassungskommission (BT-Drs. 12/6000, S. 35) beanstandete – wie zuvor die Kommission Verfassungsreform des Bundesrates
(Bericht, S. 30) –, dass den Ländern in der Praxis der Rahmengesetzgebung selten Raum zur Ausfüllung mit Regelungen von substantiellem Gewicht geblieben sei, weil der Bund vielfach ins Einzelne gehende und sogar erschöpfende, zum Teil unmittelbar geltende Regelungen getroffen
habe.
Rahmengesetzgebung
2.
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Die Verfassungsänderung 1994
Die Verfassungsänderung mit Gesetz vom 27. Oktober 1994 (BGBl. I S. 3146)
hat durch die Änderung des Art. 72 Abs. 2 GG (vgl. dazu den Bericht zur konkurrierenden Gesetzgebung) auch die Anforderungen für die Inanspruchnahme
der Rahmenkompetenz verschärft. Entsprechend dem Vorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission wurde daneben Art. 75 GG neugefasst. Insbesondere die neu eingefügte Bestimmung des Art. 75 Abs. 2 GG, wonach Rahmenvorschriften nur in Ausnahmefällen in Einzelheiten gehende oder unmittelbar geltende Regelungen enthalten dürfen, sollte den Rahmencharakter dieser
Vorschriften schärfer konturieren und sichern (BT-Drs. 12/6000, S. 36). Damit
sind allerdings – insoweit im Einklang mit dem bisherigen Begriffsverständnis –
in Einzelheiten gehende und unmittelbar geltende Regelungen im Bereich des
Rahmenrechts auch nach der neuen Verfassungslage nicht gänzlich ausgeschlossen. Ein entsprechender (von der Ländern favorisierter) Vorschlag hat
sich nicht durchgesetzt.
Nähere Kriterien für die Beurteilung, wann ein Ausnahmefall vorliegt, enthält
Art. 75 Abs. 2 GG nicht.
3.
Die heutige Verfassungspraxis
Das Bundesverfassungsgericht hat über die Auslegung der – nach der Vorstellung der Gemeinsamen Verfassungskommission (BT-Drs. 12/6000; vgl. auch
Gesetzentwurf des Bundesrates, BT-Drs. 12/6633, S. 10; interfraktioneller Gesetzentwurf, BT-Drs. 12/7109, S. 11) justiziablen – Ausnahmevoraussetzungen
bisher noch nicht entschieden.
Inwieweit nach der neuen Verfassungslage in begründeten Ausnahmefällen
nicht nur in Einzelheiten gehende und unmittelbar geltende Regelungen, sondern auch punktuelle Vollregelungen, weiterhin zulässig sind, ist in der Kommentarliteratur umstritten (für die weitere Zulassung vgl. etwa Degenhart in:
Sachs, GG, 2. Aufl., Art. 75 Rn. 13; Pieroth in: Jarass/Pieroth, GG, 6. Aufl., Art.
75 Rn. 2; dagegen: vgl. Rozek in v. Mangold/Klein/Starck, GG, 4. Aufl. 2000,
Art. 75 Rn 67 m.w.N.).
Die Bundesregierung legt folgende, nach ihrer Auffassung enge Lesart des
Art. 75 Abs. 2 GG zugrunde: Danach hat die unmittelbar geltende Regelung ihren Charakter als reguläres Regelungselement verloren und wird zur ultima ra-
Seite 31
Rahmengesetzgebung
tio. Die Frage des Detaillierungsgrades rahmenrechtlicher Regelungen ist nicht
mehr im Hinblick auf das Gesetz als Ganzes, sondern im Hinblick auf die konkrete Regelung zu stellen. Das Erfordernis des Ausnahmefalles ist sowohl
qualitativ (mit Blick auf die Erforderlichkeit der einzelnen Detailregelung) als
auch quantitativ (mit Blick auf den Anteil solcher Regelungen innerhalb des
Gesetzes als Ganzem) zu prüfen. Unmittelbar geltende erschöpfende
Regelungen sind unzulässig. Demgemäß stellen die Verfassungsressorts bei
der Prüfung von Gesetzentwürfen aus dem Bereich der Rahmengesetzgebung
erhöhte Anforderungen an die Darlegung des Ausnahmecharakters (Art. 75
Abs. 2 GG) von in Einzelheiten gehende oder unmittelbar geltende Regelungen
sowie an die Darlegung der Gründe (Art. 72 Abs. 2 GG), warum der
Gesetzentwurf und seine wichtigsten Einzelregelungen eine bundesgesetzliche
Regelung erforderten (vgl. § 43 Abs. 2 der Gemeinsamen Geschäftsordnung
der Bundesministerien vom 26. Juli 2000). Wieweit sich hierdurch die Gewichte
zugunsten der Länder verschoben haben, lasse sich nach Auffassung des
Bundes aber nicht quantifizieren.
Aus der Sicht der Länder hat auch die Verfassungsänderung von 1994 an der
Staatspraxis nur wenig geändert. Rahmenregelungen aus der Zeit vor 1994
seien weder bis auf die nunmehr geltenden Regelungsschranken zurückgenommen noch Regelungskompetenzen an die Länder zurückgegeben worden3.
Im Gegenteil erlasse der Bund wie schon vor der Verfassungsänderung neue
überaus detaillierte und unmittelbar geltende Bestimmungen. Das in Art. 75
Abs. 2 GG angelegte Regel-Ausnahme-Verhältnis spiegle sich in den jüngeren
Gesetzesvorlagen nicht. Unmittelbar geltende und detaillierte Regelungen seien
ebenso wie punktuelle Vollregelungen nach wie vor ständiger und „regel“mäßiger Bestandteil von Rahmenvorschriften. Beispiele fänden sich in den
jüngsten Regelungen zum Hochschulrahmenrecht sowie zum öffentlichen
Dienstrecht. Die Berücksichtigung der dem Bund gezogenen Schranken erschöpfe sich im Formalen. § 43 Abs. 2 GGO binde im übrigen nur die Exekutive, nicht auch den Gesetzgeber.
II.
Problembeschreibung
Die Rahmengesetzung stellt eine Form der kooperativen Gesetzgebung dar, bei der
Bund und Länder eine einheitliche Materie arbeitsteilig bewältigen.
3
Vgl. Art. 72 Abs. 3, 125a Abs. 2 GG.
Rahmengesetzgebung
Seite 32
•
Als zentraler Einwand gegen die Rahmengesetzgebung ist aus der Sicht des
Bundes die Verwischung der politischen Verantwortlichkeit von Bund und Ländern zu nennen. Die Rahmengesetzgebung sei ein Musterbeispiel notwendigen
Zusammenwirkens von Bund und Ländern und weise entsprechende strukturelle
Schwächen auf.
•
Nach Auffassung des Bundes erweist sich in der Praxis die Abgrenzung der Regelungsbefugnisse von Bund und Ländern auch nach der Neufassung des Art. 75
GG immer wieder als problematisch. Das gelte sowohl für die Frage, ob eine
(nach Art. 75 Abs. 2 GG nur in Ausnahmefällen zulässige) in Einzelheiten gehende oder unmittelbar geltende Regelung vorliege, als auch für die sich ggf. anschließende Frage, ob ein solcher Ausnahmefall gegeben sei.
•
Aus Sicht des Bundes führen die durch die Verfassungsänderung von 1994 verschärften Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Rahmenkompetenz und
die Restriktionen hinsichtlich der Regelungsdichte namentlich bei den der
Rahmengesetzgebung zugewiesenen Materien des Umweltschutzes (Art. 75
Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und 4), des Melde- und Ausweiswesens (Art. 75 Abs. 1 Satz 1
Nr. 5) sowie beim Kulturgüterschutz (Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6) dazu, dass fachlich oder EG-rechtlich gebotene bundeseinheitliche (Voll-)Regelungen nicht getroffen werden können (vgl. dazu näher die Berichte zu den einzelnen Themen).
Demgegenüber ist aus Sicht der Länder die Einschätzung, wann eine bundeseinheitliche (Voll-)Regelung fachlich geboten sei, sehr subjektiv und rechtlich irrelevant. Entscheidend für die Frage der Erforderlichkeit einer bundesrechtlichen Regelung bei der Rahmengesetzgebung seien allein die Voraussetzungen des Art.
72 Abs. 2 GG, auf den Art. 75 Abs. 1 Satz 1 GG Bezug nehme. EG-rechtlich könne eine bundesrechtliche Regelung niemals „geboten“ sein, da das Gemeinschaftsrecht die mitgliedstaatliche Zuständigkeitsordnung respektiere. Weder
Primär- noch Sekundärrecht der EG könne kompetenzbegründende Auswirkungen auf nationalstaatliches Verfassungsrecht entfalten.
•
Die Notwendigkeit eines hintereinandergeschalteten Rechtssetzungsverfahrens
in Bund und Ländern mit den dazu erforderlichen politischen Abstimmungen zwischen beiden Ebenen hat in der Praxis teilweise zu erheblichen Verzögerungen
geführt, die einer fristgerechten Umsetzung des EG-Rechts entgegenstanden.
Die Länder weisen diesbezüglich darauf hin, dass die zeitlichen Vorgaben des
EG-Rechts für die Umsetzung in den Mitgliedstaaten auf die innerstaatliche Kompetenzverteilung und einen ggf. damit verbundenen höheren Zeitbedarf Rücksicht
nehmen müssen und es dem Bund obliege, auf die Vorgabe entsprechender Um-
Seite 33
Rahmengesetzgebung
setzungsfristen hinzuwirken. Zudem müsse der Bund bei der (teilweisen) Umsetzung beachten, ob und inwieweit eine Komplettierung der Gesetzgebung durch
die Länder notwendig ist.
III.
Änderungsvorschläge im Bereich der Rahmengesetzgebung
Für eine Änderung der bestehenden Gesetzgebungszuständigkeiten im Bereich der
Rahmengesetzgebung stehen im Wesentlichen folgende drei Handlungsvarianten
zur Diskussion:
1.
(Teilweise) Abschaffung der Rahmenkompetenz
Die bisherige Rahmengesetzgebung könnte (ganz oder teilweise) abgeschafft
werden, indem Materien aus dem Katalog des Art. 75 Abs. 1 Satz 1 GG anderen Kompetenzarten zugeordnet werden. In Betracht kommt eine Überführung
jeweils geeigneter Gegenstände in die ausschließliche Kompetenz des Bundes
(Art. 73 GG) oder der Länder, in die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz
des Bundes (Art. 74 GG) oder auch in die ggf. noch zu schaffende konkurrierende Gesetzgebung mit Zugriffsrecht der Länder.
Auswirkungen:
•
Abbau der Politikverflechtung durch klare Zuordnung von Kompetenzen.
•
Soweit Kompetenztitel aus dem Katalog des Art. 75 Abs. 1 Satz 1 in andere
Bereiche überführt werden und die Rahmengesetzgebung abgeschafft wird,
könnten in der Praxis bestehende Abgrenzungsschwierigkeiten hinsichtlich
Art. 75 Abs. 2 GG künftig vermieden werden.
•
Durch den mit der Abschaffung der Rahmengesetzgebung verbundenen
Wegfall der Zweistufigkeit des Gesetzgebungsverfahrens könnten in der
Praxis Vereinfachungen bei der Umsetzung von EG-Recht erreicht werden,
da die Notwendigkeit eines hintereinandergeschalteten Rechtssetzungsverfahrens in Bund und Ländern mit den dazu erforderlichen politischen Abstimmungen zwischen beiden Ebenen entfiele.
•
Soweit Kompetenztitel in die ausschließliche oder konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes überführt werden, würde die Gesetzge-
Rahmengesetzgebung
Seite 34
bungskompetenz der Länder nicht gestärkt, sondern im Gegenteil geschwächt.
•
Die Überführung von Kompetenzen der Rahmengesetzgebung in die Gesetzgebungskompetenz der Bundes würde nicht zu einer Verminderung,
sondern eher zu einer Ausweitung der Zustimmungspflichtigkeit von Bundesgesetzen führen.
Abschließend lassen sich die Auswirkungen einer (vollständigen oder teilweisen) Abschaffung der Rahmengesetzgebung allerdings nur beurteilen, wenn
auch die Untersuchung zu den einzelnen Kompetenzbereichen des Art. 75 Abs.
1 Satz 1 GG einbezogen wird.
2.
Beschränkung der Rahmenkompetenz
Ein zweiter Ansatz sieht vor, die Rahmengesetzgebung ohne Ausnahme auf
unverzichtbare Eckpunkte für die Gesetzgebung der Länder zu beschränken,
die den Ländern eine Ausfüllung bundesrechtlicher Rahmenvorgaben von substantiellem Gewicht ermöglichen. Gegenüber der derzeitigen Verfassungsbestimmung zur Rahmengesetzgebungskompetenz wären hierfür folgende Einschränkungen nötig:
•
keine in Einzelheiten gehende (Detail-)Regelungen, sondern strikte Begrenzung auf materienspezifische “Rahmen“-Bestimmungen
•
keine unmittelbar geltenden Regelungen, sondern Begrenzung auf Rahmenvorschriften im Sinne von Richtlinien (nach dem Vorbild der EURichtlinien)
Kein Unterschied zur derzeitigen Rahmengesetzgebung besteht hingegen in
Bezug auf die Umsetzungspflicht der Länder (Art. 75 Abs. 3 GG). Darf der Bund
nur noch Richtlinien an die Länder adressieren, muss gewährleistet bleiben,
dass die Länder diese auch umsetzen.
Im Ergebnis führt dieser Ansatz zu einer Änderung des Art. 75 Abs. 2 GG. In
Einzelheiten gehende oder unmittelbar geltende Regelungen sollen auch in
Ausnahmefällen nicht mehr zulässig sein.
Seite 35
Rahmengesetzgebung
Ein Formulierungsvorschlag der Länder für eine entsprechende Verfassungsbestimmung ist im Anhang beigefügt.
Auswirkungen:
•
Erweiterung des Regelungsspielraums der Länder
•
Die Beschränkung der Rahmengesetzgebung würde zu einem Abbau von
Zustimmungserfordernissen und insoweit zum Abbau von Politikverflechtung
führen: Ist der Bund nicht mehr befugt, unmittelbar geltende Regelungen zu
erlassen, kann allein dadurch eine Zustimmungspflichtigkeit nach Art. 84
Abs. 1 GG nicht mehr begründet werden; denn das dort geregelte Mitwirkungsrecht des Bundesrates setzt voraus, dass das Gesetz von den Ländern unmittelbar ausgeführt werden muss.
•
Die Abgrenzungsprobleme zu Art. 75 Abs. 2 GG würden entfallen. Lediglich
hinsichtlich des zulässigen Detaillierungsgrades könnten sich weiterhin Auslegungsfragen und damit Probleme bei der Abgrenzung der Kompetenzen
des Bundes gegenüber den Ländern ergeben.
•
Es bliebe weiterhin beim Modell einer zweistufigen (kooperativen) Gesetzgebung mit den damit in der Praxis verbundenen Schwierigkeiten bei der
Umsetzung von EG-Recht sowie den nach Ansicht des Bundes bestehenden zusätzlichen strukturellen Schwierigkeiten (Kompetenzverflechtung;
Verwischung der Verantwortlichkeit und Abstimmungsprobleme innerhalb
beider staatlicher Ebenen).
•
Die durch die Einfügung des Art. 75 Abs. 2 GG bereits auf Ausnahmefälle
beschränkte Befugnis des Bundes zum Erlass von Detail- und Durchgriffsregelungen entfiele ganz. Ein völliger Ausschluss solcher Regelungen könnte nach Ansicht des Bundes aber die Verfolgung der in Art. 72 Abs. 2 GG
genannten Ziele (Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet und Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit) auf den der Rahmenkompetenz zugewiesenen Gebieten gefährden. Sollte die Rahmenkompetenz gleichwohl in dem dargelegten Sinne beschränkt werden, müsse
deshalb erwogen werden, einzelne Materien (zumindest) in die konkurrierende Gesetzgebung zu verlagern.
Die Länder verweisen demgegenüber darauf, dass nach Art. 72 Abs. 2 GG
ein gesamtstaatliches Interesse an der Herstellung gleichwertiger Lebens-
Rahmengesetzgebung
Seite 36
verhältnisse im Bundesgebiet und an der Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit in den Bereichen der Rahmengesetzgebung nicht generell
besteht, sondern jeweils im Einzelfall zu überprüfen ist. Es entspreche vielmehr dem Wesen des Föderalismus, in geeigneten Bereichen unterschiedliche landesspezifische Regelungen zuzulassen.
3.
Grundsatzgesetzgebungskompetenz
Ein dritter Ansatz sieht vor, die bisherige Rahmengesetzgebungskompetenz in
eine Grundsatzgesetzgebungskompetenz umzuwandeln. Abweichend von der
vorhergehenden Alternative sollen die Länder hier nach ihrem freien Ermessen
darüber befinden können, ob sie von der Möglichkeit der Ausgestaltung der
bundesgesetzlich vorgegebenen Grundsätze Gebrauch machen oder nicht 4.
Gegenüber der derzeitigen Verfassungsbestimmung zur Rahmengesetzgebungskompetenz wären folgende Einschränkungen nötig:
•
keine Verpflichtung der Länder zum Erlass von Landesgesetzen, also keine
Umsetzungspflicht der Länder (Art. 75 Abs. 3 GG)
•
keine in Einzelheiten gehende Regelungen, sondern strikte Begrenzung auf
materienspezifische Rahmenbestimmungen („Grundsätze“)
Ein Formulierungsvorschlag der Länder für eine entsprechende Verfassungsbestimmung ist im Anhang beigefügt.
Auswirkungen:
•
•
4
Erweiterung des Regelungsspielraums der Länder
Die durch die Einfügung des Art. 75 Abs. 2 GG bereits auf Ausnahmefälle
beschränkte Befugnis des Bundes zum Erlass von Detailregelungen entfiele
ganz. Ein völliger Ausschluss solcher Regelungen könnte nach Ansicht des
Bundes aber die Verfolgung der in Art. 72 Abs. 2 GG genannten Ziele (Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet und Wahrung
So der Vorschlag der Bertelsmann-Kommission „Verfassungspolitik & Regierungsfähigkeit“ im Arbeitspapier „Entflechtung 2005“, S. 22 f.; vgl. auch Arndt u. a., Zehn Vorschläge zur Reform des deutschen Föderalismus, ZRP 2000, S. 201 ff.
Seite 37
Rahmengesetzgebung
der Rechts- und Wirtschaftseinheit) auf den der Rahmenkompetenz zugewiesenen Gebieten gefährden. Sollte die Rahmenkompetenz gleichwohl in
dem dargelegten Sinne modifiziert werden, müsse deshalb erwogen werden, einzelne Materien (zumindest) in die konkurrierende Gesetzgebung zu
verlagern.
Die Länder verweisen demgegenüber darauf, dass nach Art. 72 Abs. 2 GG
ein gesamtstaatliches Interesse an der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet und an der Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit in den Bereichen der Rahmengesetzgebung nicht generell
besteht, sondern im Einzelfall zu überprüfen ist. Es entspreche vielmehr
dem Wesen des Föderalismus, in geeigneten Bereichen unterschiedliche
landesspezifische Regelungen zuzulassen.
•
Es bliebe weiterhin beim Modell einer zweistufigen (kooperativen) Gesetzgebung mit den damit in der Praxis verbundenen Schwierigkeiten bei der
Umsetzung von EG-Recht sowie den nach Ansicht des Bundes bestehenden zusätzlichen strukturellen Schwierigkeiten (Kompetenzverflechtung;
Verwischung der Verantwortlichkeit und Abstimmungsprobleme innerhalb
beider staatlicher Ebenen).
•
Der Begriff der Grundsatzgesetzgebung wirft nach Ansicht des Bundes ähnliche Auslegungs- und Abgrenzungsschwierigkeiten auf wie der der Rahmenvorschriften. Eine klare und streitfreie Abgrenzung der Kompetenzen
des Bundes und der Länder wäre deshalb weiterhin nicht gewährleistet.
Rahmengesetzgebung
Seite 38
Anhang
(Vorschläge der Länder zur Formulierung möglicher Änderungen des GG)
1.
Zu III.2. (Beschränkung der Rahmenkompetenz):
Art. 75 Abs. 2 GG:
„Rahmenvorschriften dürfen weder in Einzelheiten gehende noch unmittelbar geltende Regelungen
enthalten.“
2.
Zu III.3. (Grundsatzgesetzgebungskompetenz):
Art. 75 GG:
„(1) Der Bund hat das Recht, unter den Voraussetzungen des Artikels 72 Grundsätze für die
Gesetzgebung der Länder aufzustellen über: .....(einzelne Kompetenztitel)...
....(Abs. 1 Satz 2 unverändert)...
(2) Grundsätze dürfen keine in Einzelheiten gehende Regelungen enthalten.“
Diese Formulierungsvorschläge werden vom Bund – ohne inhaltliche Prüfung – nicht mitgetragen, weil nach Auffassung des Bundes die Arbeitsgruppe „Innerstaatliche Kompetenzordnung“ bislang kein Mandat hat, konkrete Formulierungsvorschläge für etwaige Grundgesetzänderungen zu erarbeiten. Für Textvorschläge ist nach Auffassung des Bundes erst dann
Raum, wenn die Diskussion zur verfassungsrechtlichen und politischen Bewertung der dargestellten Handlungsoptionen abgeschlossen und geklärt ist, ob und inwieweit konkrete Änderungsempfehlungen erarbeitet werden müssen.
Seite 39
Art. 125 a GG
Art. 125 a GG
Auftrag
Wie hat sich die Verfassungspraxis im Hinblick auf die 1994 geschaffene Übergangsvorschrift in Art. 125a
GG entwickelt? (Vgl. für die Länder CdS-Papier, Ziffer 3.)
Berichterstattung: BE
I.
Entstehung, Normbereich
1.
Art. 125 a GG ist eines der Ergebnisse der gemäß Art. 5 Einigungsvertrag eingeleiteten, in der Verfassungskommission des BR und der Gemeinsamen Verfassungskommission BR/BT beratenen und 1994 abgeschlossenen Verfassungsreform. Eine
Intention dieser Reform war die Stärkung der Kompetenzen der Länder. Die Bestimmung ist eine Übergangsvorschrift, die die Fortgeltung von Bundesrecht nach
Änderung von Gesetzgebungskompetenzen regelt.
2.
Nach Art. 125 a Abs. 1 GG gilt Bundesrecht, das auf weggefallenen (oder noch
wegfallenden) Kompetenztiteln der Art. 74 Abs. 1 oder Art. 75 Abs. 1 GG beruht,
zwar fort, kann aber durch Landesrecht ersetzt werden.
3.
Im Zusammenhang mit der Ersetzung der Bedürfnis- durch die Erforderlichkeitsklausel in Art. 72 Abs. 2 und Art. 75 Abs. 1 Satz 2 GG sowie der Begrenzung der
Regelungsdichte von Rahmenvorschriften in Art. 75 Abs. 2 GG durch die Verfassungsreform 1994 steht die Übergangsregelung des Art. 125 a Abs. 2 GG: Vor dem
15.11.1994 aufgrund der bis dahin geltenden Fassungen von Art. 72 Abs. 2 und Art.
75 GG erlassenes Bundesrecht gilt fort, kann aber durch Landesrecht ersetzt werden, was aber - anders als bei Art. 125 a Abs. 1 GG - durch Bundesgesetz bestimmt werden muss.
4.
Im Sachzusammenhang steht der ebenfalls 1994 eingefügte Art. 72 Abs. 3 GG,
wonach durch Bundesgesetz bestimmt werden kann, dass eine bundesgesetzliche
Regelung, für die eine Erforderlichkeit im Sinne des neuen Art. 72 Abs. 2 nicht mehr
besteht, durch Landesrecht ersetzt werden kann. Art. 125 a Abs. 2 GG befasst sich
demgegenüber als Übergangsvorschrift mit den Bundesgesetzen, die aufgrund der
alten Fassung des Art. 72 Abs. 2 GG erlassen worden sind, für die aber keine „Erforderlichkeit“ im Sinne der Neufassung des Art. 72 Abs. 2 GG bestanden hat.
Art. 125 a GG
II.
Bisherige Handhabung
5.
Art. 125 a Abs. 1 GG:
Seite 40
Bislang einziges Beispiel für nach dieser Bestimmung fortgeltendes Bundesrecht ist
die erfolgte Eingrenzung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG (Ausklammerung des Erschließungsbeitragsrechts) mit den aufgrund der bis 1994 bestehenden Kompetenzgrundlage erlassenen Vorschriften über das Erschließungsbeitragsrecht im
Baugesetzbuch.
Von der 1994 in Art. 75 Abs. 1 Nr. 2 GG gestrichenen Rahmenkompetenz für die
allgemeinen Rechtsverhältnisse des Films hatte der Bund nie Gebrauch gemacht,
sodass sich im Bund-Länder-Verhältnis hier tatsächlich nichts verändert hat.
6.
Art. 125 a Abs. 2 GG:
Diese Vorschrift ist bislang ohne praktische Relevanz geblieben. Von Bundesseite
gab es bislang keine Initiative, von Länderseite die Initiative der Länder BY, BW, HE
vom Januar 1998 (BR-Drs. 77/985). Nach den BR-Beratungen verblieben die für 19
Einzelgesetze 6 vorgeschlagenen Öffnungsklauseln des Entwurfs des Gesetzes zur
Umsetzung des Art. 125 a Abs. 2 GG (BR-Drs. 542/99 - Beschluss - vom
15.10.1999).
Die Bundesregierung hatte in der Sache zu den Einzelvorschlägen des BRGesetzentwurfs nicht Stellung genommen, lediglich Skepsis geäußert über die Eignung der Vorschläge zum angestrebten Zweck und im Übrigen auf die Beratungen
zur Neuordnung des Finanzausgleichs und der Aufgabenverteilung zwischen Bund
5
Betraf folgende Gesetze: Krankenhausfinanzierungsgesetz, Baugesetzbuch, Bundessozialhilfegesetz,
Versammlungsgesetz, Reichssiedlungsgesetz, Gesetz zur Ergänzung des Reichssiedlungsgesetzes, Gesetz zur Förderung der landwirtschaftlichen Siedlung, Grundstücksverkehrsgesetz, Hinterlegungsordnung, Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, Grundbuchordnung, Handelsgesetzbuch, Rennwett- und Lotteriewesen, Haushaltsgrundsätzegesetz, Absatzfondsgesetz, Landpachtverkehrsgesetz, Vieh- und Fleischgesetz, 4. Buch Sozialgesetzbuch, 5. Buch Sozialgesetzbuch, 11. Buch
Sozialgesetzbuch, Haftpflichtgesetz.
6
Bundessozialhilfegesetz, Versammlungsgesetz, Reichssiedlungsgesetz, Gesetz zur Ergänzung des
Reichssiedlungsgesetzes, Gesetz zur Förderung der landwirtschaftlichen Siedlung, Hinterlegungsordnung, Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, Sozialgerichtsgesetz, Handelsgesetzbuch, Körperschaftssteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, Rennwett- und Lotteriewesen, Grundstücksverkehrsgesetz, Landpachtverkehrsgesetz, Vieh- und Fleischgesetz, 4. Buch Sozialgesetzbuch, 8.
Buch Sozialgesetzbuch, 11. Buch Sozialgesetzbuch, Haftpflichtgesetz.
Seite 41
Art. 125 a GG
und Ländern verwiesen. Die Bundesregierung hatte sich bereit erklärt, die von den
Ländern gewünschten Zuständigkeitslockerungen in diese Beratungen einzubeziehen und dem Deutschen Bundestag empfohlen, mit der Beratung des Gesetzentwurfs zu warten, bis die Ergebnisse der Beratungen zwischen Bund und Ländern
einbezogen werden können. Im Einzelnen wollte sich die Bundesregierung dann im
Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens äußern (vgl. BT-Drs. 14/2442, S. 17).
Da sich der BT bislang mit dem Gesetzentwurf nicht befasst hat, unterliegt er mit
Ende der Legislaturperiode der Diskontinuität und müsste ggf. erneut im üblichen
Verfahren vom BR eingebracht werden, wobei dies im Zusammenhang mit den laufenden Arbeiten zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung/Neuordnung
der innerstaatlichen Kompetenzordnung zu sehen sein wird.
7.
Von Art. 72 Abs. 3 GG ist bislang ebenfalls weder Gebrauch gemacht noch eine
Initiative dazu ergriffen worden (siehe auch Teilbeitrag zur konkurrierenden Gesetzgebung).
III.
Fragen
8.
Die Frage, ob der von Art. 125 a Abs. 2 GG vorgezeichnete Weg fortgesetzt oder
modifiziert werden sollte, hängt wesentlich ab von den Ergebnissen der Beratungen
zu den einzelnen Kompetenzvorschriften/einer Neuordnung der innerstaatlichen
Kompetenzordnung insgesamt. Bei einer Modifizierung wird insbesondere zu klären
sein, ob weiter allein dem Bund die Entscheidung über die Ersetzungsbefugnis
und/oder (auch ?) den Ländern unter jeweils welchen Bedingungen und mit welchen Folgen (Entstehung partiellen Bundesrechts) zukommen sollte.
Art. 72 Abs. 3 GG sollte zusammen mit Art. 125 a Abs. 2 GG beraten werden.
Zustimmungsbedürftigkeit
Seite 42
Zustimmungsbedürftigkeit
Auftrag
Wie haben sich Bestand und Handhabung der Zustimmungstatbestände im Gesamtstaat entwickelt? Wie
wirken sich die Beteiligungs- und Entscheidungsverfahren des Bundesrates auf die Gesetzgebung aus? Die
Zustimmungspflichtigkeit von Bundesgesetzen ist auch im Zusammenhang mit der Entflechtung der Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern zu prüfen (vgl. für die Länder CdS-Papier, Ziffer 4).
Berichterstattung: Bund, NI, TH
I.
Wie haben sich Bestand und Handhabung
der Zustimmungstatbestände im Gesamtstaat entwickelt?
1.
Bestandsaufnahme
?
Nach Art. 50 GG wirken durch den Bundesrat die Länder bei der Gesetzgebung und
Verwaltung des Bundes und in Angelegenheiten der Europäischen Union mit. Bei der
Gesetzgebung des Bundes hat der Bundesrat die Zustimmungsbefugnis, wenn das
Grundgesetz dies ausdrücklich vorsieht (sog. Enumerationsprinzip 7).
?
Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist das Gesetz
als gesetzgebungstechnische Einheit zu sehen. Ist eine Vorschrift eines Gesetzes
zustimmungsbedürftig, hat dies die Zustimmungsbedürftigkeit des gesamten Gesetzes zur Folge 8. Das Bundesverfassungsgericht lässt in seiner Entscheidung vom
17. Juli 2002 - 1 BvF 1/01; 1 BvF 2/02 - offen, ob an dieser Rechtsprechung festzuhalten ist 9.
?
Bei der Schaffung des Grundgesetzes bestand die Einschätzung, dass insgesamt
nur etwa 10 Prozent der Bundesgesetze Zustimmungsgesetze sein würden. In der
Staatspraxis liegt der Anteil jedoch seit der 2. Wahlperiode zwischen 50 und 60 Prozent, vgl. Anlage 1.
?
Wichtigste Zustimmungstatbestände für Gesetze sind die bereits ursprünglich im
Grundgesetz enthaltenen Art. 84 Abs. 1 (Regelung der Behördeneinrichtung oder
7
Vgl. BVerfGE 1, 76, 79; 37, 363, 381.
8
Vgl. BVerfGE 8, 274, 294f.; 55, 274, 319 m. w. N.
9
Rdnr. 68 des Urteils.
Seite 43
Zustimmungsbedürftigkeit
des Verwaltungsverfahrens der Länder) und Art. 105 Abs. 3 (Gesetze über Steuern,
deren Aufkommen den Ländern oder Gemeinden ganz oder zum Teil zufließen).
?
Eine größere Anzahl der Zustimmungstatbestände ist später in die Verfassung eingefügt worden10. Größere praktische Bedeutung haben bisher folgende neue Bestimmungen entfaltet:
-
Art. 16a: Bestimmung sicherer Dritt- und Herkunftsstaaten im Rahmen des Asylrechts,
- Art. 23 Abs. 1 Satz 2: Übertragung von Hoheitsrechten im Rahmen der Europäischen Union.
-
?
Art. 74a Abs. 2: Besoldung und Versorgung der Angehörigen des öffentlichen Dienstes,
Art. 104a Abs. 3 Satz 3: Geldleistungsgesetze, deren Kosten zu einem Viertel oder mehr von den
Ländern getragen werden,
Art. 106 Abs. 3: Regelung der Anteile von Bund und Ländern an der Umsatzsteuer,
Art. 108 Abs. 5 Satz 2: Einräumung einer Bundes-Regelungskompetenz für das von den Landesfinanzbehörden anzuwendende Verfahren.
Auf Art. 84 Abs. 1 GG und Art. 105 Abs. 3 GG entfallen nach einer Untersuchung von
Dästner 11 und Berechnungen des mitberichterstattenden Landes TH in der Zeit von
1981 bis 2001 74,8 % aller zustimmungsbedürftigen Gesetzentwürfe. Auf Art. 84
Abs. 1 GG entfallen dabei 50,6 % und auf Art. 105 Abs. 3 GG 24,2 %, vgl. Anlage 3.
10
Sämtliche Zustimmungstatbestände sind in Anlage 2 aufgeführt.
11
Dästner, ZParl 2001, S. 295 f.
Zustimmungsbedürftigkeit
2.
Seite 44
Problembeschreibung
Zusammengefasst lassen sich folgende Probleme in der Staatspraxis feststellen:
-
Aus der Sicht des Bundes bedeutet die Zustimmungsbedürftigkeit als Instrument der
Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung des Bundes eine Verflechtung beider
staatlicher Ebenen, die schon als solche problembehaftet ist, da sie das Gesetzgebungsverfahren schwerfälliger machen und die Zuordnung der politischen Verantwortung erschweren kann. Jedenfalls im Gegenzug zu einer Stärkung der Autonomie der
Länder wird deshalb ein Abbau der Zustimmungstatbestände erwogen.
-
Die sog. "Einheitstheorie" des Bundesverfassungsgerichts, nach der bereits eine zustimmungsbedürftige Vorschrift zur Zustimmungsbedürftigkeit des gesamten Gesetzes führt, bedeutet, dass der Bundesrat auch seine Zustimmung zu Vorschriften zu
erteilen hat, die selbst nicht die Zustimmungsbedürftigkeit begründen. Die Einheitstheorie verschiebt damit aus Sicht des Bundes die verfassungsrechtliche Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern zulasten des Bundes. Sie führt zu einem
Kompetenzgewinn für die Länder, der allein durch die formale (gesetzestechnische)
Zusammenfassung zustimmungspflichtiger und nicht zustimmungspflichtiger Regelungen in einem Gesetz bedingt ist, in der Sache aber nicht durch die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern gerechtfertigt werden kann. Hieran gemessen
bedeutet das durch die Einheitstheorie begründete Zustimmungsrecht der Länder einen aus Sicht des Bundes ungerechtfertigten Übergriff auf eine dem Bundestag an
sich zustimmungsfrei zugewiesene Gesetzgebungskompetenz12. Dies würde vermieden, wenn im Grundgesetz dem Bundesrat eine Verweigerung seiner Zustimmung
nur im Blick auf zustimmungsbedürftige Vorschriften des Gesetzes erlaubt würde13.
-
Aus Sicht der Länder dürften sich die Fälle der Zustimmungsbedürftigkeit maßgeblich
verringern, wenn die Verhandlungen zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung zu einer deutlichen Rückübertragung von Zuständigkeiten der konkurrierenden
Gesetzgebung auf (alle) Länder und zur Einräumung von Zugriffsrechten (einzelner)
Länder auf die konkurrierende Gesetzgebung sowie zur (teilweisen) Abschaffung oder zur Beschränkung der Rahmenkompetenz führen würden (vgl. Berichterstattungen zur konkurrierenden Gesetzgebung und zur Rahmengesetzgebung).
-
Aus Sicht der Länder bewirkt in der Verfassungswirklichkeit die Ausübungsschranke
für den Bundesgesetzgeber durch die Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG
12
Vgl. jüngst BVerfG, Urteil vom 17. Juli 2002 – 1 BvF 1/01 und 1 BvF 2/01 –, Rn. 66 ff.
13
Vgl. Maurer, Staatsrecht I, 2. Aufl. 2001, § 17 Rn. 74.
Seite 45
Zustimmungsbedürftigkeit
trotz ihrer Verschärfung im Jahre 1994 nach wie vor keine erweiterten Gestaltungsmöglichkeiten der Länder. Dies könnte nach Ansicht der Länder verbessert werden,
wenn die Frage der Erforderlichkeit des Zugriffs des Bundes auf die konkurrierende
Gesetzgebung eine Zustimmung des Bundesrates voraussetzte14.
-
Die Bestandsaufnahme hat gezeigt, dass Art. 84 Abs. 1 GG in der Staatspraxis den
wichtigsten Zustimmungstatbestand enthält. Das würde nach Ansicht der Länder verringert werden können durch entsprechende Selbstbeschränkung des Bundesgesetzgebers 15 oder durch Änderung in Art. 84 GG mit dem Inhalt, dass die Zustimmung des Bundesrates nur erforderlich ist:
"bei wesentlicher Veränderung der durch den Vollzug des Gesetzes verursachten
Aufwendungen" und / oder
"bei wesentlichen Eingriffen in die Verwaltungsstrukturen der Länder" 16.
Demgegenüber weist der Bund darauf hin, dass mit dem Zustimmungserfordernis
„bei wesentlicher Veränderung der durch den Vollzug des Gesetzes verursachten
Aufwendungen" eine neue Kategorie der Zustimmungsbedürftigkeit eingeführt würde.
-
Im Rahmen des Art. 84 Abs. 1 GG bereitet in der Staatspraxis besondere Schwierigkeiten die Abgrenzung zwischen zustimmungsfreien materiell-rechtlichen und zustimmungsbedürftigen Verfahrensregelungen17. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts können den Bürger betreffende materiell-rechtliche Vorschriften zugleich ein korrespondierendes verfahrensmäßiges Verhalten der Verwaltung festlegen. Damit unterliegen diese Normen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht der Zustimmung des Bundesrates nach Art. 84 Abs. 1 GG
(„Doppelgesichtigkeit der Norm").
-
Zur Zustimmungsbedürftigkeit im Bereich der Rahmengesetzgebungskompetenz bestehen unterschiedliche Auffassungen.
14
Vgl. CdS-Papier Ziffer 4, 2. Absatz u. Bericht der Kommission Verfassungsreform des Bundesrates, Stärkung des Föderalismus in Deutschland und Europa sowie weitere Vorschläge zur Änderung des Grundgesetzes, Dokumentation Rdnr. 56 bis 59.
15
Vgl. Dästner, aaO, S. 307 f.
16
Vgl. CdS-Bericht Ziff. 4, 1. Absatz u. Bericht der Enquetekommission des Bayerischen Landtags, Drs.
14/8660, S. 22f.
17
Vgl. die zahlreichen kontroversen Beispiele in: Sekretariat des Rechtsausschusses des Bundesrates
(Hrsg.), Zustimmungsbedürftigkeit von Bundesgesetzen nach Artikel 84 Abs. 1 GG, Stand: 6.12.2000, Zi ffern 8.19, 8.20, 8.21, 8.22, 8.24, 8.26, 8.27, 8.32, 8.33.
Zustimmungsbedürftigkeit
Seite 46
Eine Zustimmungsbedürftigkeit gemäß Art. 84 Abs. 1 GG kann sich nach Auffassung
der Bundesregierung bei einer auf die Rahmengesetzgebungskompetenz nach Art.
75 GG gestützten Vorschrift nur dann ergeben, wenn sie ausnahmsweise gemäß Art.
75 Abs. 2 GG unmittelbar gilt. Nur eine solche Vorschrift könne gemäß Art. 83 ff. GG
von den Ländern verwaltungsmäßig ausgeführt18 werden. Nach Auffassung des
Bundesrates können auch Rahmengesetze zu einem Eingriff in die Organisationsgewalt der Länder führen. Lege der Entwurf eines Rahmengesetzes fest, welche
Modalitäten die Länder bei Erlass der landesrechtlichen Verwaltungsvorschriften einzuhalten haben, dann würden die Entscheidungsspielräume der Länder bereits durch
das Rahmengesetz vorgezeichnet und festgelegt 19.
-
In der Staatspraxis zu Art. 80 Abs. 2 GG bereitet die Auslegung der Wörter "Rechtsverordnungen auf Grund von Bundesgesetzen, die der Zustimmung des Bundesrates
bedürfen" teilweise Schwierigkeiten.
In Fällen von Artikelgesetzen ist bisher ungeklärt, ob sich das Wort „Bundesgesetz"
auf das Artikelgesetz selbst oder auf das zu ändernde Stammgesetz bezieht. Dadurch kommt es in einigen Fällen zu unterschiedlichen Beurteilungen der Zustimmungsbedürftigkeit des jeweiligen Artikelgesetzes.
18
Vgl. BVerfGE 55, 274, 320f.; 75, 108, 152.
19
Vgl. Sekretariat des Rechtsausschusses des Bundesrates (Hrsg.), aaO, Ziffer 8.38, 8.39.
Seite 47
Zustimmungsbedürftigkeit
II.
Zu der Frage
Wie wirken sich die Beteiligungs- und Entscheidungsverfahren
des Bundesrates auf die Gesetzgebung aus?
weist der Bund auf Folgendes hin:
1.
Bestandsaufnahme
?
Der Bundesrat ist ein föderatives Mitwirkungsorgan bei der Gesetzgebung des Bundes eigener Art. Die Begründung der Mitgliedschaft im Bundesrat folgt, wie sich aus
Art. 51 Abs. 1 GG ergibt, dem sog. Ratsprinzip: Die Mitglieder des föderativen Organs werden - wie in Deutschland seit 1871 - durch die Landesregierungen bestimmt, nicht aber durch das Staatsoberhaupt ernannt (Ernennungsprinzip, so z.B. in
Kanada), unmittelbar durch das Volk (Senatsprinzip, so z.B. in den USA, weitgehend
auch in der Schweiz) oder durch die Volksvertretungen der Gliedstaaten (mittelbares
Repräsentationsprinzip, so z.B. in Österreich) gewählt.
?
Die Stimmenzuteilung nach Art. 51 Abs. 2 GG ist ein Kompromiss auf dem Mittelweg
zwischen Gleichberechtigung der Länder und Bevölkerungsarithmetik (Prinzip abgestufter Gleichheit). Sie bestimmt das Gewicht, mit dem die einzelnen Länder als solche im Bundesrat vertreten sein sollen. Besonderen Niederschlag findet dies in dem
Gebot einheitlicher Abgabe der Stimmen eines Landes (Art. 51 Abs. 3 Satz 2 GG).
?
Ähnliches gilt für das Gebot der Beschlussfassung des Bundesrates mit mindestens
der Mehrheit seiner Stimmen (Art. 52 Abs. 3 Satz 1 GG): Durch den Bundesrat wirken „die Länder“ - d.h. in ihrer Gesamtheit - bei der Gesetzgebung und Verwaltung
des Bundes mit (Art. 50 GG). Mit besonderem Blick hierauf liegt Art. 52 Abs. 3 Satz 1
GG der Gedanke zugrunde, dass ein Beschluss des Bundesrates diesen nur dann
zur Erfüllung seiner Aufgabe als Mitwirkungsorgan der Länder hinreichend legitimiert,
wenn sich im Akt der Beschlussfassung ein bestimmter politischer Wille der Länder
mit mindestens der Mehrheit aller Länderstimmen manifestiert.
?
Da der Bundesrat seine Beschlüsse mit mindestens der Mehrheit seiner Stimmen
fasst (Art. 52 Abs. 3 Satz 1 GG), hindern Stimmenenthaltungen das Zustandekommen der erforderlichen absoluten Stimmenmehrheit in gleicher Weise wie NeinStimmen. Die Mehrheitsregel für Abstimmungen im Bundesrat findet in anderen föde-
Zustimmungsbedürftigkeit
Seite 48
ralen Systemen kaum eine Entsprechung. Relative Mehrheiten sind etwa in den
USA, Kanada, der Schweiz, Österreich und Spanien ausreichend 20.
•
Von 1949 bis September 2001 wurde der Vermittlungsausschuss in 690 Fällen zu
Gesetzesbeschlüssen des Bundestages angerufen. Nach Anrufung des Vermittlungsausschusses wurden 614 Gesetze verkündet, 82 wurden nicht verkündet.
?
An Hand von Statistiken lässt sich nachweisen, dass die Zahl der verweigerten Zustimmungen immer dann gering war, wenn im Bundesrat die Länder die Mehrheit
hatten, deren Landesregierungen von den Parteien getragen waren, die auch im
Deutschen Bundestag die Regierungsmehrheit hatten, vgl. Anlage 4.
?
So betrug in der 7., 8. und 9. Wahlperiode, in denen die Länder, deren Regierungen
von den Oppositionsparteien im Bundestag getragen wurden, über die absolute
Mehrheit verfügten, der Anteil der Zustimmungsverweigerungen 3,7 bis 4,3 %. Demgegenüber war dieser Anteil in der 10. und 11. Wahlperiode, als die Länder, deren
Regierungen von denselben Parteien getragen wurden wie die Bundesregierung,
über die absolute Mehrheit verfügten, mit 0,0 und 0,3 % sehr gering. In der 12. und
13. Wahlperiode, als weitgehend keine der beiden Gruppen über die absolute Mehrheit verfügte, lag die Quote der nicht zustande gekommenen Zustimmung mit 4,1
und 3,9 % ebenfalls hoch. Eine entsprechende Statistik über die Anzahl der Anrufungen des Vermittlungsausschusses in Korrelation zu den jeweiligen Mehrheitsverhältnissen im Bundesrat ergäbe das gleiche Ergebnis21.
?
In der Literatur wird dieser Befund unterschiedlich beurteilt. Einerseits wird vertreten,
dass das heute - je nach den politischen Umständen - funktionshemmende Verhältnis zwischen Bundesrat und parlamentarischer Regierung systemimmanenter Ausdruck der Realität der mehrheitsbezogenen Verbundsbeteiligung sei. Eine Neuordnung im Verhältnis von Bundesrat und Bundestag könne insoweit auch nur gelingen,
wenn der heutige Föderalismus zugunsten einer größeren Autonomie der Länder gestärkt und korrespondierend der Katalog der Zustimmungsrechte im Bundesrat zurückgeführt werde22.
20
Vgl. R. Sturm, in: Bertelsmann-Kommission „Verfassungspolitik & Regierungsfähigkeit“ (Hrsg.), Institutionelle Entflechtung in Zweiten Kammern, 2002, S. 25, 44 f.
21
Vgl. dazu die Angaben im Handbuch des Bundesrates, aaO, S. 294 f.
22
Dolzer in: VVDStRL 58 (1999), Das parlamentarische Regierungssystem und der Bundesrat - Entwicklungsstand und Reformbedarf, S. 38 Leitsatz 27; in diesem Sinne auch die Vorschläge der BertelsmannKommission "Verfassungspolitik & Regierungsfähigkeit", Entflechtung 2005.
Seite 49
Zustimmungsbedürftigkeit
Andererseits ist die Meinung geäußert worden, die Möglichkeit der Blockade durch
den Bundesrat bei Zustimmungsgesetzen bis zur Grenze missbräuchlicher Obstruktion sei vom Grundgesetz gewollt und prinzipiell unbedenklich. Der grundgesetzliche
Zwang zum Kompromiss sei im Sinne einer Mäßigung auf der Basis breiter Zustimmung zu begrüßen23.
2.
Problembeschreibung:
-
In der Staatspraxis lässt sich feststellen, dass der Bundesrat dann häufiger die Zustimmung zu Gesetzentwürfen verweigerte, wenn die Mehrheit der Landesregierungen von anderen als die Bundesregierung tragenden Parteien gestellt wurden. Hingegen verweigerte der Bundesrat nur in seltenen Fällen die Zustimmung, wenn Bundestags- und Bundesratsmehrheit übereinstimmten.
-
Das Erfordernis einer absoluten Mehrheit (Art. 52 Abs. 3 Satz 1 GG) kann im Hinblick
auf Koalitionsregierungen in den Ländern und die damit verbundenen Stimmenthaltungen die Entscheidungsfähigkeit des Bundesrates schwächen. Aus ähnlichen
Gründen wie den in der Bestandsaufnahme genannten und unter Hinweis auf die
Verfassungslage in anderen Staaten steht der Vorschlag im Raum, dass für Abstimmungen im Bundesrat die relative Mehrheit ausreichen sollte24.
23
Sachs in: VVDStRL 58 (1999), aaO, S. 79, Leitsätze 11 und 12.
24
Bertelsmann-Kommission "Verfassungspolitik & Regierungsfähigkeit", Entflechtung 2005, Ziffer 3.7.
Zustimmungsbedürftigkeit
Seite 50
Anlage 1
Der Anteil der Zustimmungsgesetze an allen Gesetzen entwickelte sich wie folgt 25:
Wahlperiode
Zahl der ausgefertigten davon zustim- Anteil in %
Gesetzesbeschlüsse
mungsbedürftig
1. WP (1949 - 1953)
545
228
41,8
2. WP (1953 - 1957)
3. WP (1957 - 1961)
510
424
254
236
49,8
55,7
4. WP (1961 - 1965)
425
227
53,4
5. WP (1965 - 1969)
453
224
49,4
6. WP (1969 - 1972)
333
172
51,7
7. WP (1972 - 1976)
506
269
53,2
8. WP (1976 - 1980)
9. WP (1980 - 1983)
339
136
182
71
53,7
52,2
10. WP (1983 - 1987)
320
192
60,0
11. WP (1987 - 1990)
366
202
55,2
12. WP (1990 - 1994)
493
282
57,2
13. WP (1994 - 1998)
551
328
59,5
14. WP (1998 - 12.09.2001) 282
149
52,8
25
Quelle: Bundesrat (Hrsg.), Handbuch des Bundesrates für das Geschäftsjahr 2001/2002, S. 294.
Seite 51
Zustimmungsbedürftigkeit
Anlage 2
Zustimmungstatbestände des Grundgesetzes
Als Mitberichterstatter schlägt der Freistaat Thüringen folgende systematische Ordnung
der Zustimmungstatbestände des Grundgesetzes vor:
1.
Änderung des Grundgesetzes
- Art. 79 Abs. 2 GG
2.
Gesetzgebung des Bundes
- Art. 74 Abs. 2 GG
- Art. 74 a Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 4 Satz 1, Satz 2 GG
3.
Rechtsverordnungen des Bundes
- Art. 80 Abs. 2 GG
4.
Finanzverfassung
- Art. 104 a Abs. 3 Satz 3, Abs. 4 Satz 2, Abs. 5 Satz 2 GG
- Art. 105 Abs. 3 GG
- Art. 106 Abs. 3 Satz 3, Abs. 4 Satz 2, Abs. 5 Satz 2, Abs. 5 a Satz 3,
Abs. 6 Satz 5 GG
- Art. 106 a Satz 2 GG
- Art. 107 Abs. 1 Satz 2, Satz 4 GG
5.
Haushalts- und Wirtschaftsführung
- Art. 109 Abs. 3, Abs. 4 Satz 1, Satz 3 GG
6.
Rechtsnachfolge in Reichs- und Landesvermögen
- Art. 134 Abs. 4 GG
- Art. 135 Abs. 5 GG
7.
Gemeinschaftsaufgaben
- Art. 91 a Abs. 2 Satz 1 GG
8.
Verfahren bei Gebietsänderung
- Art. 29 Abs. 7 Satz 1, Satz 2 GG
9.
Übertragung von Hoheitsrechten, Europäische Union
- Art. 23 Abs. 1 Satz 2, Abs. 1 Satz 3, Abs. 7 GG
10.
Bundeszwang
- Art. 37 Abs. 1 GG
11.
Abgrenzung der Bundesverwaltung und Einflussnahme auf die Landesverwaltung
a. Einrichtung der bundeseigenen und der Bundesauftragsverwaltung
- Art. 87 Abs. 3 Satz 2 GG
- Art. 87 b Abs. 1 Satz 3, Satz 4; Abs. 2 Satz 1, Satz 2 GG
- Art. 87 c GG
- Art. 87 d Abs. 2 GG
- Art. 87 e Abs. 5 Satz 1, Satz 2 GG
- Art. 87 f Abs. 1 GG
Zustimmungsbedürftigkeit
-
Seite 52
Art. 120 a Abs. 1 Satz 1 GG
Art. 143 a Abs. 3 Satz 3 GG
Art. 143 b Abs. 2 Satz 3 GG
b. Abgrenzung und Zusammenwirken von Bundes- und Landesfinanzverwaltung
- Art. 108 Abs. 4 Satz 1 GG
c. Organisation und Verfahren von Landesbehörden
- Art. 84 Abs. 1, 2 GG
- Art. 85 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 GG
- Art. 108 Abs. 2 Satz 2 GG
- Art. 108 Abs. 5 Satz 2 GG
d. Bundesaufsicht von Landesbehörden
- Art. 84 Abs. 3 Satz 2
- Art. 84 Abs. 5 Satz 1
- Art. 87 b Abs. 2 Satz 2
12.
Ausübung von Gerichtsbarkeit des Bundes durch Gerichte der Länder
- Art. 96 Abs. 5 GG
13.
Gesetzgebungsnotstand
- Art. 81 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 GG
14.
Verteidigungsfall
a. Erklärung und Beendigung
- Art. 115 a Abs. 1 Satz 1 GG
- Art. 115 1 Abs. 2 Satz 1 GG
b. Einbruch in Länderkompetenz
- Art. 115 c Abs. 1 Satz 2 GG
c. Abweichende Regelung der Verwaltung und des Finanzwesens
- Art. 115 c Abs. 3
- Art. 115 k Abs. 3 Satz 2 GG
d. Aufhebung von Gesetzen des Gemeinsamen Ausschusses
- Art. 115 l Abs. 1 Satz 1 GG
15.
Geschäftsordnungen
a. Gemeinsame Ausschüsse
- Art. 77 Abs. 2 Satz 2 GG
- Art. 53 a Abs. 1 Satz 4 GG
b. Gemeinsame Beratung im Verteidigungsfall
- Art. 115 d Abs. 2 Satz 4 GG
16.
Sonstige
- Art. 16 a Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG
- Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG
- Art. 119 Satz 1 GG (gegenstandslos geworden)
- Art. 130 Abs. 1 Satz 2 GG
- Art. 132 Abs. 4 GG (gegenstandslos geworden)
Seite 53
Zustimmungsbedürftigkeit
Anlage 3
Nach einer Untersuchung von Dästner26 sowie des mitberichterstattenden Landes
TH leitete sich die Zustimmungsbedürftigkeit im Zeitraum 1981 bis 2001 aus folgenden (ausgewählten) Normen ab 27:
Zustimmungsnorm
Anzahl
1.599
Prozent
100
Art. 74a II-IV
66
4,1
Art. 79 II
Art. 80 II
21
89
1,3
5,6
Art. 84 I
808
50,6
Art. 85 I
14
0,9
Art. 87 III 2
12
0,8
Art. 104a III 3
70
4,4
Art. 104a IV 2
Art. 105 III
16
386
1,0
24,2
Art. 106 III 3
34
2,1
Art. 106 V 2
9
0,6
Art. 107 I 2/4
20
1,3
Art. 108 V 2
47
2,9
26
AaO, S. 295 f.
27
Dargestellt werden die nach Auffassung des Bundesrates zustimmungsbedürftigen Gesetzentwürfe, vgl.
Dästner, aaO, S. 295. Diese Zahlen liegen tendenziell höher als die Zahl der vom Bundespräsidenten als
zustimmungsbedürftig ausgefertigten Gesetze.
Zustimmungsbedürftigkeit
Seite 54
Anlage 4
Versagung der Zustimmung im Bundesrat 28
Wahlperiode
Zahl der Versagungen der Zustimmung
12
11
4
7
10
3
19
15
6
1
21
in %
absolute Mehrheiten im Bundesrat
1. WP (1949 - 1953)
2. WP (1953 - 1957)
3. WP (1957 - 1961)
4. WP (1961 - 1965)
5. WP (1965 - 1969)
6. WP (1969 - 1972)
7. WP (1972 - 1976)
8. WP (1976 - 1980)
9. WP (1980 - 1983)
10. WP (1983 - 1987)
11. WP (1987 - 1990)
12. WP (1990 - 1994)
Zahl der Gesetzesbeschlüsse des
Bundestages
559
518
428
429
461
334
516
354
139
320
369
507
2,2
2,1
0,9
1,6
2,2
0,9
3,7
4,2
4,3
0,0
0,3
4,1
13. WP (1994 - 1998)
565
22
3,9
14. WP (1998 - 12.09.2001)
299
8
2,7
keine
1955 + '57: R
1957: R
R (bis auf 1961)
R
1969: R, 1972: O
O
O
O (bis auf 1983)
R
R (bis auf 1990)
1990: O, 1992, '93:
R
1998: O, ansonsten keine
keine Angaben
28
Die Statistik wurde auf der Grundlage von Angaben aus dem Handbuch des Bundesrates 2001/2002,
aaO, S. 294, 296, sowie von R. Sturm, aaO, S. 25, 43, erstellt. R = Stimmen der Regierung, O = Stimmen
der Opposition.
Seite 55
Grenzüberschreitende Zusammenarbeit
Grenzüberschreitende Zusammenarbeit
Auftrag
1.
UAG "Innerstaatliche Kompetenzordnung": Struktur einer Bestandsaufnahme und
Problembeschreibung der bundesstaatlichen Ordnung, Abschnitt III:
„Die Frage, ob und in welcher Hinsicht unter den Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit und Effizienz
die rechtlichen Vorgaben für eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit in den Grenzregionen geändert werden sollten, wird zeitlich vorgezogen untersucht, um ggf. die Notwendigkeit von Verfassungsänderungen zu prüfen (vgl. für die Länder CdS-Papier, Ziffer 7)."
2.
Länder-Problembeschreibung im Arbeitspapier der CdS, Ziffer 7:
„Den Ländern ist ein größerer Spielraum beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge, die die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im konkreten Grenzraum betreffen, einzuräumen. Dazu soll durch Verfassungsergänzung den Ländern Vertragsabschlusskompetenz eingeräumt werden, damit
Zusammenarbeitsvereinbarungen in flexibler Weise ermöglicht werden.
Außerdem sollen die Länder ermächtigt werden, im Rahmen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit durch Ausnahmen vom Territorialitätsprinzip Möglichkeiten zur Anwendung des Rechts des
Vertragsstaats zu begründen." [kursive Hervorhebung nur hier]
(Berichterstattung: Bund, NW, RP)
I.
Bestandsaufnahme
Zwischen Bund und Ländern besteht Konsens, dass in Grenzregionen grenzbedingte
Entwicklungshemmnisse bestehen können, an deren Beseitigung oder Verringerung ein
gewichtiges Interesse besteht. Der Ausbau der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
stärkt den gesamteuropäischen Integrationsprozess und trägt dazu bei, die guten Beziehungen zu den Nachbarländern zu festigen und zu vertiefen.
Die Länder verweisen beispielhaft zur Illustrierung der Vielfalt grenzüberschreitender Zusammenarbeit auf gemeinsame, auch grenzüberschreitende Gewerbe- oder Industriegebiete wie in Coevorden/Emmlichheim (Europark) oder Aachen/Heerlen (Avantis). Andernorts sind solche Gebiete geplant, so z. B. in Jestetten/Schaffhausen oder im Dreiländereck
Sachsen, Tschechien und Polen („Kleines Dreieck“). Gemeinsame Schulen und
Kindergärten, grenzüberschreitende Zweckverbände, Kooperationen beim
Katastrophenschutz etc. werden angestrebt oder sind bereits tätig.
Die Länder vertreten die Einschätzung, dass mit Hilfe des Abkommens zwischen dem
Land Nordrhein-Westfalen, dem Land Niedersachsen, der Bundesrepublik Deutschland
und dem Königreich der Niederlande über grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwi-
Grenzüberschreitende Zusammenarbeit
Seite 56
schen Gebietskörperschaften und anderen öffentlichen Stellen vom 23. Mai 1991 (im folgenden Anholter Abkommen genannt) oder des Übereinkommens zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland, der Regierung der Französischen Republik, der
Regierung des Großherzogtums Luxemburg und dem Schweizerischen Bundesrat, handelnd im Namen der Kantone Solothurn, Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Aargau und Jura,
über grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften und örtlichen öffentlichen Stellen vom 23. Januar 1996 (nachfolgend Karlsruher Übereinkommen
genannt) die grenzüberschreitende Zusammenarbeit durch Typisierung von Zusammenarbeitsformen befördert und in der Grenzregion geübte Praxis geworden ist. An das Anholter
Abkommen angelehnt ist das Abkommen zwischen Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen,
der wallonischen Region und der deutschsprachigen Gemeinschaft in Belgien über grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften und anderen öffentlichen Stellen vom 8. März 1996 (nachfolgend Mainzer Abkommen genannt).
Während die Länder bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Grundlagen grenzüberschreitender Zusammenarbeit Änderungsbedarf sehen,
ist der Bund der Auffassung, dass zunächst die volle Ausschöpfung der verfügbaren Kooperationsinstrumente entsprechend der gegenwärtigen Verfassungsrechtslage geprüft
und ein besonderer Regelungsbedarf näher dargelegt werden muss.
II. Problembeschreibung
A. Vertragsgewalt
I.
Die auf der bisherigen Verfassungsrechtslage beruhende Handhabung der Frage der
Vertragsabschlusskompetenz durch den Bund beeinträchtigt nach Ansicht der Länder
nachhaltig ihre Flexibilität und Handlungsfreudigkeit auf dem Gebiet der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit:
1. Am Beispiel des Karlsruher Übereinkommens, aber auch im Vorfeld des Vertragsschlusses des Anholter Abkommens, an dem die Länder Nordrhein-Westfalen und
Niedersachsen als Vertragspartner beteiligt sind, und dem Mainzer Abkommen, welches auf deutscher Seite lediglich durch Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen geschlossen wurde, wurde einmal mehr deutlich, dass gravierende Meinungsverschiedenheiten zwischen Bund und den Ländern über die Vertragsabschlusskompetenz der
Länder für Verträge der vorgenannten Art bestehen29. Diese Differenzen traten noch
29
Vgl. zum Sach- und Streitstand Gutt, Grenzüberschreitende kommunale Zusammenarbeit nach dem
Karlsruher Übereinkommen, Baden-Baden 1999, S. 105 ff. m.w.N.
Seite 57
Grenzüberschreitende Zusammenarbeit
jüngst im Zusammenhang mit der Vorbereitung eines Nachfolgevertrages für das Anholter Abkommen zu Tage.
2.
Gerade bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, von der kommunale und
andere nach Landesrecht zu bestimmende Organisationsformen und Rechtsbereiche
i. S. von Art. 32 Abs. 3 GG betroffen sind, besteht für die Länder ein nachhaltiges Interesse, eigenverantwortlich tätig zu werden (unbeschadet des Zustimmungsrechts der
Bundesregierung). Sie halten daher Vertragsabschlüsse der Länder nach Art. 32 Abs.
3 GG oder eine sog. unechte doppelte Vertragspartnerschaft von Bund und Ländern,
die beim Anholter Abkommen praktiziert wurde30, als Regelfall für diesen Bereich für
geboten. Die bisherige Verfassungspraxis auf diesem Gebiet ist aus Sicht der Länder
unbefriedigend.
II.
Nach Auffassung des Bundes ist nicht erkennbar, dass im Rahmen der geltenden Verfassung Probleme bestehen:
1. Die Länder besitzen bereits Vertragskompetenz nach Artikel 32 Abs. 3 GG:
"Soweit die Länder für die Gesetzgebung zuständig sind, können sie mit Zustimmung der Bundesregierung mit
auswärtigen Staaten Verträge abschließen."
Ein Verfassungsergänzungsbedarf bestünde deshalb nur, wenn die Länder zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge berechtigt sein sollen
•
auch zu Regelungsgegenständen, die nicht in ihrer Gesetzgebung liegen,
und/oder
•
ohne Zustimmung der Bundesregierung.
Dies wäre jedoch sachwidrig:
•
•
30
Die völkervertragliche Regelungszuständigkeit der Gliedstaaten im Bundesstaat
kann verständigerweise nicht über ihre innerstaatliche Regelungszuständigkeit
hinausgreifen. Regelungen, die ein Land innerstaatlich nicht gesetzlich treffen
kann, kann es daher sachgerecht auch nicht zum Gegenstand seiner völkervertraglichen Bindung gegenüber einem auswärtigen Staat machen.
Im Bundesstaat ist gliedstaatliche Völkerrechtsfähigkeit (der Länder) vom gesamtstaatlichen Völkerrechtssubjekt (Bund) abgeleitet. Es entspricht dem Wesen
des Bundesstaates, dass die abgeleitete Vertragsgewalt den Ländern keine
Für die Zulässigkeit der unechten doppelten Vertragspartnerschaft vgl. u.a. Bauer/Hartwig, Verträge der
Länder der Bundesrepublik Deutschland, NWVBl. 1994, S. 46 f.
Grenzüberschreitende Zusammenarbeit
Seite 58
selbständige Außenpolitik eröffnet, sondern landesvertragliche Regelungen zur
präventiven Bundesaufsicht immer der Zustimmung der Bundesregierung bedürfen, damit Länderverträge den Bundesinteressen nicht widerstreiten31.
2.
Zum Verhältnis ihrer Vertragsgewalt nach Artikel 32 Abs. 1 bzw. Abs. 3 GG vertreten
Bund und Länder unterschiedliche Auffassungen32. Diese Auffassungsunterschiede
sind jedoch bereits 1957 allgemein mit dem modus vivendi der "Lindauer Absprache" 33 überbrückt, der in der Verfassungsrechtsprechung - unbeanstandet - rezipiert
ist34 und sich seither in jahrzehntelanger Staatspraxis im allgemeinen bewährt hat 35. In
Übereinstimmung mit dem Ergebnis vorausgegangener Verfassungsreformerwägungen36 ist die gegenwärtige Verfassungsregelung somit als sachgerecht anzusehen
und Änderungsbedarf nicht zu erkennen. Soweit in früheren Reformerwägungen Änderungen diskutiert worden waren, stand im Übrigen nicht ernstlich die - ggfs. innerstaatlich zustimmungsbedingte - Abschluss-, sondern allein die Transformationskompetenz des Bundes in Rede 37.
Hiernach ist es weiterhin sachgerecht, dass der deutsche Bundesstaat im völkerrechtlichen Verkehr als Einheit auftritt38; die Belange der Länder werden dabei mit der innerstaatlichen Organisation der gesamtstaatlichen Außenvertretung gewahrt, sachlich-inhaltlich nach Maßgabe der "Lindauer Absprache" und im Übrigen auch personell
nach Maßgabe des sogenannten "Kramer/Heubl-Papiers" von 1968 39. Für eine Dif-
31
BVerfGE 2, 347, 370, 379.
32
Während der Bund auch im Anwendungsbereich des Artikel 32 Abs. 3 GG seine Vertragsgewalt gemäß
Artikel 32 Abs. 1 GG umfassend annimmt, vertraten Länder - unterschiedliche - Gegenpositionen (BW,
BY, HE, NW: Bund besitzt insoweit weder Abschluss- noch Transformationskompetenz; HB, HH, NI, SH:
Bund besitzt Abschluss-, aber nicht Transformationskompetenz); Gesamtdarstellung durch Fastenrath,
Kompetenzverteilung im Bereich auswärtiger Gewalt (1986), S. 115 ff.
33
Merkblatt D der vom AA herausgegebenen "Richtlinien für die Behandlung völkerrechtlicher Verträge" (in
der Literatur ist Nr. 3 Absatz 3, der auf "Absatz 1 Satz 1" Bezug nimmt, durchgängig falsch wiedergegeben).
34
BVerfGE 42, 103 [113 f.]; 92, 203 [232]
35
So bereits grundsätzliches Meinungsbild befasster Stellen des Bundes und der Länder nach Rundfrage
der Enquete-Kommission Auswärtige Kulturpolitik, BT-Drucksache 7/4121, S. 39 (Rn. 202)
36
Zuletzt: Gemeinsame Verfassungskommission, BT-Drucksache 12/6000, S. 27.
37
Enquete-Kommission Verfassungsreform, BT-Drucksache 7/5924, S. 232 ff.; Kommission Verfassungsreform des Bundesrates, BR-Drs. 360/92, Rn. 23; NW-Vorschlag i.R.d. GVK, BT-Drucksache 12/6000, S.
27; Diskussionspapier der Arbeitsgruppe der Landtagsdirektoren zur Verfassungsreform „Gesetzgebung
im Bundesstaat", Nds. LT-Drucksache. 14/1735, S. 6
38
Vgl. BVerfGE 2, 347 [378]
39
Fastenrath [Fn. 4], S. 278 ff.
Seite 59
Grenzüberschreitende Zusammenarbeit
fundierung der Einheit des Völkerrechtssubjekts Deutschland im Wege eines "gemischten Vertragsschlusses", bei dem Vertragspartner auswärtiger Staaten neben
Deutschland zusätzlich noch einzelne deutsche Gliedstaaten würden, ist im Gesamtsystem der vom Grundgesetz verfassten bundesstaatlichen Ordnung weder Anlass
noch Raum.
B. Anwendung ausländischen Rechts
I.
Nach Auffassung der Länder sollte zum Zwecke der intensiveren Zusammenarbeit
und der Zielsetzung der Beseitigung der o. g. Entwicklungshemmnisse nach dem Willen der Kooperationspartner auf beiden Seiten der Grenze die Möglichkeit geschaffen
werden, die nationale Rechtsordnung für die des Partners zu öffnen. Sie vertreten dazu Folgendes:
1.
Zur Überwindung der durch die Staatsgrenze bedingten Nachteile sollen in gemeinsamen grenzüberschreitenden oder grenznahen Gewerbegebieten die zuständigen
Genehmigungsbehörden, das könnten z. B. grenznachbarschaftliche Einrichtungen
nach Artikel 24 Abs. 1a GG sein, das Recht erhalten, die erforderlichen Genehmigungen nach dem Recht des Partnerlandes zu erteilen, unabhängig von der jeweiligen
konkreten Lage des Grundstücks oder des Vorhabens. So könnten Grundstücke, wie
im Fall des grenzüberschreitenden Gewerbegebiets Avantis angestrebt, s. o., nach einem einheitlichen Baurecht beplant und Vorhaben entsprechend nach einem nationalen Recht genehmigt werden, wenn man wechselseitig die eigene Rechtsordnung für
die des Partnerlandes öffnen würde.
Dies ist aus Sicht der Rechtsanwender vor Ort auch erforderlich. Denn wenngleich
aufgrund europarechtlicher Vorgaben das nationale Recht, so z.B. im Umweltrecht,
vielfach übereinstimmt, so gibt es doch etwa im Baurecht oder Gewerberecht gravierende Unterschiede, die sich mit Hilfe der jeweiligen Ausnahmebestimmungen der nationalen Vorschriften nicht oder nicht praxistauglich überwinden lassen.
2.
Da es sich bei dem von den Ländern zu vollziehenden Recht in weiten Teilen um
Bundesrecht handelt, müsste der Bund zu einer solchen Öffnung nicht nur bereit,
sondern auch verfassungsrechtlich in der Lage sein.
Nach wohl herrschender Auffassung fehlt es für eine derartige Öffnung durch einen
Akt des Bundesgesetzgebers an der notwendigen Ermächtigung im GG. Die Öffnung
der Rechtsordnung bedeutet, dass dem auswärtigen Staat zum Zwecke der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit – im Sinne einer dynamischen Verweisung - das
Recht eingeräumt wird, auch mit Wirkung für das deutsche Territorium Recht zu set-
Grenzüberschreitende Zusammenarbeit
Seite 60
zen. In diesem Moment äußert sich seine Hoheitsgewalt, nicht etwa die der vollziehenden nationalen oder grenznachbarschaftlichen Verwaltung. Gem. Art. 24 Abs. 1
GG dürfen Hoheitsrechte aber nur auf zwischenstaatliche Einrichtungen, nicht auf
auswärtige Staaten übertragen werden40.
3.
Andere Lösungswege erscheinen nicht zielführend. Die Anwendbarkeit ausländischen
Rechts unter Abweichung vom Territorialitätsprinzip auf der Grundlage von Kollisionsnormen eines völkerrechtlichen Vertrages (so wie in einem Entwurf für die Nachfolge
des Anholter Abkommens vorgesehen, s.o. A. I. 1.) würde die grenzüberschreitende
Zusammenarbeit nicht in dem notwendigen Umfang fördern. Denn die Anwendung
ausländischen Rechts könnte nach diesen Grundsätzen, wie beim IPR oder der
Rechtshilfe, nur dann zugelassen werden, wenn die zu entscheidenden Tatbestände
objektiv einen überwiegenden Sachbezug zum Souveränitätsbereich des ausländischen Partners und seinem Recht aufwiesen41. Damit ließen sich aber die oben genannten Entwicklungshemmnisse nicht wirklich beseitigen.
4.
Vielmehr sollten im grenznahen Bereich, also im Einzugsgebiet einer grenznachbarschaftlichen Einrichtung i. S. von Art. 24 Abs. 1a GG, die zuständigen Behörden
(i.d.R. grenznachbarschaftliche Einrichtungen) in größerem Umfang als nach der jetzigen Verfassungsrechtslage zulässig durch die Länder in die Lage versetzt werden
können, abweichend vom Territorialitätsprinzip ausländisches Recht anzuwenden. Als
Anknüpfungskriterium dafür sollte allein die Tatsache genügen dürfen, dass der Sachverhalt im o.g. grenznahen Bereich seinen Ursprung hat (Beispiel: Grenzüberschreitendes Gewerbegebiet, in dem der Investor unabhängig von der Staatsgrenze für ein
Recht – in Gänze und bindend - optiert). Das schließt nicht aus, dass in der konkreten
Übertragungsvereinbarung, je nach Sachverhaltsgestaltung, (weitere/andere) objektive und subjektive Kriterien festgelegt werden, nach denen die Anwendung des einen
oder anderen Rechts entschieden wird, (Beispiel: Grenzüberschreitender Abwasserverband als Einrichtung i.S. von Art. 24 Abs. 1a GG, der für alle Bürger des Verbandsgebietes nach einem nationalen Recht tätig wird, weil dies aus wirtschaftlichen
Gründen sachgerecht ist).
II.
Der Bund ist der Auffassung, dass der Vielfalt möglicher Problemlagen eine Vielfalt
jeweils problemadäquater Handlungsinstrumente entspricht. Aus Sicht des Bundes
bedingt dies eine differenzierende Betrachtung:
40
Vgl. dazu u.a. Streinz in Sachs, GG, 2. Aufl., Art. 24 Rdn. 15 und 20 m.w.N.
41
Vgl. BVerfGE 63, 343, 369.
Seite 61
1.
Grenzüberschreitende Zusammenarbeit
Grenzlagen können besondere infrastrukturelle und - unter Umständen hiermit zusammenhängende - wirtschaftliche Entwicklungsdefizite aufweisen. Zur Behebung
bzw. Kompensation solcher lagebedingter Strukturnachteile wird oftmals kein spezifisches Bedürfnis für spezielle Änderungen des Verwaltungsfachrechts bestehen, sondern eher an Instrumente einer fiskalischen Förderung der infrastrukturellen Entwicklung oder sonstige übliche Maßnahmen regionaler Wirtschaftsförderung zu denken
sein.
2.
Hinsichtlich des Verwaltungsfachrechts werden etwaige Probleme oftmals primär nicht
in der Nicht-Anwendung nachbarstaatlichen Rechts liegen, sondern eher in der Anwendung deutschen Rechts. In solchem Fall wäre auch die Problemlösung näher im
deutschen Recht zu finden, das dann ggfs. den grenzbedingten Sonderbedürfnissen
spezifisch anzupassen wäre, ggfs. durch eine Deregulierung für grenzbezogene
Sachverhalte, die der Verwaltung u.U. eröffnet, auch Standards ausländischer
Rechtsordnungen in ihrer Entscheidung zu berücksichtigen.
3.
Bei einheitlichen, aber grenzüberschreitenden Lebenssachverhalten kann eine Diskrepanz von auslandsbezogener Problemlage und inlandsbeschränktem - rechtlichem
- Problemlösungsinstrumentarium auftreten. Soweit der zu regelnde Sachverhalt von
solchem Auslandsbezug geprägt ist, kann eine homogene Lösung im Wege einer kollisionsrechtlichen Regelung durch gleitende Verweisung auf ausländisches Recht erzielt werden, denn das geltende Verfassungsrecht geht bereits von der Eingliederung
Deutschlands in die Völkerrechtsordnung der Staatengesellschaft aus 42.
4.
Die Grenzen dieses Regelungsmodells werden allerdings überschritten, wenn eine
solche gleitende Verweisung nicht auf hinreichenden sachlichen Anknüpfungsmomenten zum auswärtigen Jurisdiktionsbereich beruht, sondern anderen Erwägungen folgt.
Hierzu könnte eine Grundgesetzänderung erforderlich sein, die verfassungspolitisch
jedoch keine sachwidrigen Brüche im föderativen, gewaltenteilenden und demokratischen Ordnungsgefüge des Grundgesetzes bewirken dürfte und Gleichbehandlungserwägungen im Auge behalten muss. Gegenwärtiger Diskussions- und Verfahrensstand erlauben und erfordern dabei noch keine abschließende Würdigung. Wenn die
weiteren Erörterungen substanzielle Erkenntnisse aufzeigen, die sachbedingt eine differenzierende Würdigung veranlassen, wird zu untersuchen sein, welche verfassungspolitischen Schlüsse daraus gezogen werden sollten. Bereits oben wurde darauf
hingewiesen, dass zunächst die verfügbaren Kooperationsinstrumente voll ausge-
42
Vgl. BVerfGE 63, 343, 370; bei genereller Gewährleistung der verfassungsrechtlichen öffentlichen Or dnung des GG, insbesondere der rechtsstaatlichen und grundrechtlichen Mindestanforderungen: BVerfGE
63, 343, 366, 378; 31, 58, 74 ff.; ergänzend BVerfGE 92, 26, 41 f., 48 f., 52; 63, 181, 195.
Grenzüberschreitende Zusammenarbeit
Seite 62
schöpft werden sollten. In eine Gesamtbetrachtung ist auch die Möglichkeit einzubeziehen, eventuelle Nachteile in geeigneten Fällen durch eine Rechtsharmonisierung
auf europäischer Ebene zu vermeiden.
5.
Für eine Änderung des Grundgesetzes wäre speziell zu untersuchen, ob bzw. inwieweit ein spezifisches Bedürfnis bestehen könnte, das von einer grenznachbarschaftlichen Einrichtung anzuwendende Recht erleichtert einheitlich einer der berührten nationalen Rechtsordnungen zu entnehmen, welche besonderen Sacherwägungen dies
rechtfertigen würde und welche Schranken dem adäquat wären. Auch eine solche
spezielle Regelung müsste sich bruchlos in das Ordnungssystem des Grundgesetzes
einfügen.
6.
Bei zunehmend transnationalen Vorbedingungen staatlichen Wirkens kommt der Kooperationsfähigkeit mit auswärtigen Staaten auch außerhalb von besonderen Organisationsformen - wie zwischenstaatlichen oder grenznachbarschaftlichen Einrichtungen
- wachsende Bedeutung zu. Dem trägt die speziell organisationsbezogene Ausrichtung des geltenden Artikel 24 Absatz 1 und 1a GG möglicherweise nicht hinreichend
oder aber nicht hinreichend klar Rechnung. In dies betreffende Überlegungen wären
auch Hoheitsrechtsübertragungen auf auswärtige Staaten - mit besonderem Blick auf
Mitgliedstaaten der EU - einzubeziehen.
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Neue Medien
Neue Medien
Auftrag
Bund: Die Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche anhand der herkömmlichen Aufteilung zwischen Bundeszuständigkeit für den sendetechnischen Bereich (Art. 73 Nr. 7 GG früher: Fernmeldewesen, jetzt: Telekommunikation, Art. 87f GG) und der grundsätzlichen Zuständigkeit der Länder für die inhaltliche Gestaltung des
(inlandsbezogenen) Rundfunks ist mit Unsicherheiten hinsichtlich der Zuordnung der sog. neuen Medien
behaftet. Handlungsbedarf unter Berücksichtigung der bisherigen Gesetzgebungspraxis und Erfahrungen,
insbesondere aus dem Evaluierungsbericht zum IuKDG und MDStV (BT-Drs. 14/1191), ist zu prüfen.
Berichterstattung: Bund, HE, NW, RP, SN, SH
I.
Bestandsaufnahme
1.
Allgemeines
Eine ausdrückliche Regelungskompetenz für den Bereich der neuen Medien sieht das
Grundgesetz nicht vor. Die technische Seite des Übertragungsvorgangs fällt in die ausschließliche Gesetzgebung des Bundes nach Art. 73 Nr. 7 GG (Telekommunikation). Inhaltlich wird zwischen Telediensten (Kompetenz des Bundes, Art. 74 Abs. 1 Nr. 11) und
Mediendiensten (Kompetenz der Länder, Art. 70 Abs. 1 GG) unterschieden. Diese Abgrenzung ist nach Auffassung des Bundes einerseits nicht verfassungsrechtlich vorgegeben, andererseits steht die Verfassung dem auch nicht entgegen. Die kompetenzrechtliche
Zuordnung ist damit abhängig von der jeweiligen Begriffsdefinition, so dass es sich primär
um eine Auslegungsfrage handelt, welche kompetenzrechtliche Auswirkungen nach sich
zieht. Bei der Neuordnung des Jugendschutzes, auf die sich Bund und Länder im März
2002 verständigt haben, wird die Unterscheidung zwischen Tele- und Mediendiensten zu
Gunsten des Begriffs der Telemedien aufgegeben.
2.
Im Einzelnen
IuKDG und MDStV
Am 1. August 1997 sind gleichzeitig das Informations- und Kommunikationsdienstegesetz
(IuKDG) des Bundes mit einer Regelung für sog. Teledienste (TDG) und der Mediendienste-Staatsvertrag (MDStV) der Länder in Kraft getreten. Vorangegangen war eine Auseinandersetzung um die Regulierung der neuen Medien, in dessen Verlauf sowohl der Bund
als auch die Länder die Regelungskompetenz für sich beansprucht hatten. Man einigte
sich darauf, dass der Bund das IuKDG erläßt (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) und die Länder
die Mediendienste (Art. 70 Abs. 1 GG) regeln.
Neue Medien
Seite 64
Der MDStV und das im IuKDG enthaltene Teledienste-Gesetz (TDG) bieten einen Rechtsrahmen für elektronische Informations- und Kommunikationsdienste, wobei der Mediendienste-Staatsvertrag insbesondere solche Dienste regelt, die sich an die Allgemeinheit
richten und somit publizistisch relevant sind; das TDG betrifft dagegen die Individualkommunikation.
Zentrale Vorschriften beider Regelwerke wie die Zugangsfreiheit, der Datenschutz und in
Grundzügen die Anbieterkennzeichnung und die Provider-Verantwortlichkeit sind weitgehend wort- oder inhaltsgleich gefasst. Diese positiven Ansätze haben jedoch die Abgrenzungsprobleme nicht endgültig lösen können. Die eindeutige Zuordnung der Dienste zum
bundesrechtlichen TDG einerseits und zum landesrechtlichen MDStV andererseits ist aber
beispielsweise für die Frage entscheidend, welches Aufsichtsregime über die Materie zur
Anwendung kommt und wer der richtige Ansprechpartner der Anbieter von Internetdiensten ist.
Aufgrund der schwierigen Abgrenzung zwischen Telediensten und Mediendiensten sind
sich Bund und Länder einig, dass mittelfristig eine Klärung herbeigeführt werden soll. In
diesem Zusammenhang haben die Länder in der MPK vom 25. - 27. Oktober 2000 dem
Bericht von MP Beck, als Vorsitzenden der Rundfunkkommission, zur „Reform der Medienordnung“, zugestimmt. Darin wird ausgeführt, dass im Zuge einer raschen Umsetzung
der E-Commerce-Richtlinie die Trennung von Tele- und Mediendiensten zunächst beibehalten werden solle, jedoch Gespräche mit dem Bund über Verbesserungen bei den Regelungen geführt werden, die auch neue Ansätze einbeziehen. Hierauf basieren u. a. auch
die Änderungen in IuKDG und MDStV. Dieser Prozess wird sowohl von den Ländern, als
auch vom Bund, mit dem erforderlichen Nachdruck verfolgt, wie im Bereich des Jugendmedienschutzes deutlich wird. Ziel der Verhandlungen ist es dabei auch, die Regelungsfelder zwischen Bund und Ländern unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Kompetenzordnung sinnvoll aufzuteilen.
b) Jugendschutzgesetz des Bundes (JuSchG) und Jugendmedienschutz-Staatsvertrag der
Länder (JMStV)
Für den Bereich des Jugendschutzes wurde die durch das IuKDG und den MDStV geprägte Unterscheidung zwischen Tele- und Mediendiensten aufgegeben. Vielmehr haben sich
Bund und Länder in den Eckpunkten zur Reform der Medienordnung im Bereich Jugend-
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Neue Medien
schutz 43 darauf geeinigt, dass die Länder den Jugendschutz in allen elektronischen Online-Medien durch Staatsvertrag regeln und der Bund die gesetzgeberischen Voraussetzungen für eine umfassende Länderregelung schafft sowie den Jugendschutz bei den Offline-Medien und außerhalb des Medienbereichs neu regelt.
Mit dem JuSchG hat der Bund seine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz aus
Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 (Strafrecht), 7 (öffentliche Fürsorge) und 11 (Recht der Wirtschaft) GG
eingeschränkt wahrgenommen. 44
Beide Regelungen sollen zeitgleich am 1. April 2003 in Kraft treten.
II.
Problembeschreibung
Bund und Länder sind sich darüber einig, dass sich die im IuKDG und MDStV vorgenommene Abgrenzung der Kompetenzen nach Telediensten und Mediendiensten als problematisch erwiesen hat.
Die bereits aufgenommenen Verhandlungen zwischen Bund und Ländern im Rahmen der
Reform der Medienordnung bleiben zunächst abzuwarten. Eine vertiefte Behandlung des
Themenkreises „Neue Medien“ sollte daher insoweit unterbleiben, als eine Auseinandersetzung in der laufenden „Reform der Medienordnung“ bereits erfolgt. Das generelle Anliegen der Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung ist aber im Hinblick auf davon
nicht erfasste Randgebiete zu betrachten. Zielsetzung ist eine klare Trennung der Regelungsbereiche sowie die Schaffung eindeutiger Vollzugsstrukturen.
Nach Auffassung der Länder kann dabei die erzielte Einigung und Kompetenzübertragung
auf die Länder im Bereich des Jugendschutzes Wegweiser, aber nicht Endpunkt einer Entflechtung der Zuständigkeiten sein.
43
Vgl. Ergebnisprotokoll der Besprechung der Regierungschefs der Länder mit dem Bundeskanzler am 8.
März 2002 in Berlin, Top 5.1.; vgl. auch § 16 JuSchG, BT-Drucksache 14/9013, S. 7 und die Gesetzesbegründung S. 13f.
44
AaO, S. 17.
Notariatswesen
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Notariatswesen
Auftrag
Eine Bestandsaufnahme und Problembeschreibung zur bisherigen Handhabung dieses Teilbereichs aus
Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG im Zusammenhang mit allgemeinen, die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz
betreffenden Punkten ist zu erstellen (vgl. CdS-Papier, Ziffer 1.1.1).
Berichterstattung: BW, HH, NW
I.
Bestandsaufnahme
-
Konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 74
Abs. 1 Nr. 1 GG zum „Notariat“:
Der Kompetenztitel „Notariat“ in Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG umfasst das Berufsrecht der Notare, die Zulassung zum Notarberuf, die Berufsausübung, das Gebührenwesen, das Standesrecht sowie die Berufsgerichtsbarkeit.
Art. 138 GG gewährleistet die Einrichtungen des jetzt (d.h. seit 1949) bestehenden Notariats in den Ländern Baden, Bayern, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern insoweit, als Änderungen nur mit Zustimmung der Regierungen dieser Länder erfolgen können.
-
Bundesrechtliche Regelungen:
Von seiner Kompetenz gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG hat der Bundesgesetzgeber vor allem mit der Bundesnotarordnung vom 24. Februar 1961 (BNotO)
Gebrauch gemacht. Sie trat am 1. April 1961 in Kraft und löste die Reichsnotarordnung vom 13. Februar 1937 ab. Durch die Reichsnotarordnung war der letzte bis dahin noch auf landesgesetzlicher Regelung beruhende Bereich justizieller Einrichtungen auf das Reich überführt worden; sie galt nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes gemäß Art. 123, 125 Nr. 1, 74 Abs. 1 Nr. 1 GG mit Ausnahme weniger Bestimmungen als Bundesrecht fort.
Die BNotO gilt nach dem Dritten Änderungsgesetz vom 31. August 1998 auch
in den neuen Bundesländern. Damit ist in der gesamten Bundesrepublik
Deutschland ein einheitlich geltendes Recht zur Berufsausübung der Notare
hergestellt worden, das jedoch in die bestehenden Sonderformen des Notariats,
für deren Änderung es nach Art. 138 GG der Zustimmung der betroffenen Landesregierungen bedarf, nicht eingreift. Die Bundesnotarordnung regelt die Notariatsverfassung und das Berufsrecht der Notare.
Seite 67
Notariatswesen
Das Beurkundungsgesetz vom 28. August 1969 (BeurkG), in Kraft getreten am
1. Januar 1970 in den alten und am 3. Oktober 1990 in den ostdeutschen Ländern, stützt sich im Rahmen des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG ausweislich der Gesetzesmaterialien - zumindest auch - auf die Kompetenztitel „bürgerliches
Recht“ und „gerichtliches Verfahren“, da das Verfahren der sog. freiwilligen Gerichtsbarkeit geregelt wird. Die bis dahin bestehenden jeweiligen landesrechtlichen Bestimmungen sowohl zur Beurkundungszuständigkeit als auch hinsichtlich des Beurkundungsverfahrens sind durch das BeurkG weitgehend ersetzt
und die zuvor im FGG und im BGB enthaltenen bundesrechtlichen Regelungen
zusammengefasst worden.
Das Gebührenrecht der Notare wird durch die Kostenordnung geregelt.
-
Landesrechtliche Regelungen:
Auf Länderebene werden die Vorschriften der BNotO durch Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften sowie Richtliniensatzungen der Kammern ergänzt. Beispielhaft sei insoweit die Dienstordnung für Notare (DONot) erwähnt.
Als eine von den Landesjustizverwaltungen bundeseinheitlich beschlossene
Verwaltungsvorschrift enthält sie zahlreiche Vorschriften über das Beurkundungsverfahren und aufsichtsrechtliche Verwaltungsbestimmungen.
-
Übersicht über die in den Ländern bestehenden Notariatsformen:
Land
Baden-Württemberg
(württ. Rechtsgebiet)
Baden-Württemberg
(bad. Rechtsgebiet)
Bayern
Berlin
Brandenburg
Bremen
Hamburg
Hessen
MecklenburgVorpommern
Niedersachsen
Nordrhein-Westfalen
(früheres rheinisches Gebiet)
Nordrhein-Westfalen
Nurnotare
X
Anwaltsnotare
X
beamtete
Notare
(Bezirksnotare
– württ.
Rechtsgebiet)
beamtete
Notare
(Amtsnotare
– bad.
Rechtsgebiet)
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
Notariatswesen
(übrige Landesteile)
Rheinland-Pfalz
Saarland
Sachsen
Sachsen-Anhalt
Schleswig-Holstein
Thüringen
II.
Seite 68
X
X
X
X
X
X
X
Problembeschreibung
Position der Länder: Wie Art. 138 GG und die „nur“ konkurrierende Zuständigkeit des
Bundesgesetzgebers zeigt, hat der Verfassungsgeber für das Notariatswesen keine
Notwendigkeit für eine umfassende bundeseinheitliche Regelung gesehen. Auch zum
jetzigen Zeitpunkt sind keine Umstände ersichtlich, die eine Erweiterung der Länderkompetenzen in diesem Bereich a priori ausschließen würden.
Vielmehr könnte die Tatsache, dass die BNotO letztlich ein „Rahmenrecht“ darstellt,
welches in vielfältiger Weise zum einen durch Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften der Länder und zum anderen durch Richtliniensatzungen der Kammern
ausgefüllt wird, Anlass geben zu erwägen, die Länder mit weitergehenden Gesetzgebungskompetenzen auszustatten. Zwar besteht auch in dem derzeit von den Ländern
geregelten Bereich eine deutliche Tendenz zur Einheitlichkeit, da unter den Ländern
umfassende Abstimmungen erfolgen mit dem Ziel, länderübergreifend inhaltsgleiche
Regelungen zu schaffen. Es bleibt aber festzuhalten, dass die Länder bereits jetzt in
hohem Maße mit dem notariellen Berufsrecht befasst sind.
Das jetzige, durch die Vorgaben der BNotO geprägte Berufsbild des Notars hat zu einem funktionierenden und auf hohem qualitativen Niveau arbeitenden Notariat in
Deutschland geführt. Es liegt im Interesse der Länder, an diesem hohen qualitativen
Niveau auch weiterhin festzuhalten.
Ein wesentliches Interesse der Länder an einer eigenen Gesetzgebungszuständigkeit
in diesem Bereich könnte jedoch sein, das jeweils eigene Notariat zu stärken. Denkbar
wäre etwa, die Ausbildung der Notarassessorinnen und -assessoren und deren Übernahme in den Notardienst stärker den landesspezifischen Gegebenheiten anzupassen.
Dabei müssten die Grenzen des verfassungsrechtlich Zulässigen beachtet werden:
Insbesondere bei Bewerbungen landesfremder Assessoren gibt es im Rahmen des
derzeitigen Zulassungsrechts immer wieder Zweifelsfälle, die bereits zu einer Vielzahl
von gerichtlichen Entscheidungen geführt haben.
Seite 69
Notariatswesen
Zu beachten sind ferner die europarechtlichen Anforderungen. Auf EU-Ebene zeichnen
sich Bestrebungen ab, ein einheitliches notarielles Berufsbild zu etablieren. Dazu soll
das Staatsangehörigkeitserfordernis als eine Voraussetzung des Zugangs zum Notariat beseitigt und das Notaramt in den Kreis der freien Berufe, deren Ausübung ohne
Beschränkung durch die Mitgliedstaaten möglich sein soll, einbezogen werden. In der
Diskussion ist die Verleihung einer Rahmengesetzgebungskompetenz an die Europäische Union für das Europäische Notariat, welche die nationalen Gesetzgeber durch
Regelungen des Beurkundungs- und Dienstrechts ausfüllen können. Die Umsetzung
solcher europäischer Vorgaben wäre in jedem Fall sicherzustellen, gleichgültig, ob dies
durch einen Bundes- oder Landesgesetzgeber geschieht.
Position des Bundes: Demgegenüber ist der Bund der Auffassung, dass das gegenwärtige Regelungssystem ausgewogen und sachgerecht ist. Die bestehende Kompetenz, Satzungen und Verwaltungsvorschriften auf Länderebene zu erlassen, kann nicht
dafür angeführt werden, dass Gesetzgebungskompetenzen auf die Länder übertragen
werden sollten. Sowohl Satzungsregelungen als auch Verwaltungsvorschriften haben
lediglich gesetzesausfüllende Funktion. Die Kompetenz der Bundesnotarkammer,
Empfehlungen für die Satzungen der Notarkammern zu erlassen (§ 78 Abs. 1 Nr. 5
BNotO), belegt das Interesse an einer bundeseinheitlichen Regelung. Der Befund,
dass Satzungen und Verwaltungsvorschriften weitestgehend ländereinheitlich gelten,
spricht gegen eine Kompetenzverlagerung.
Aktuelle fachliche Überlegungen, Regelungskompetenzen im Bereich des Notariats
auf die Länder zu übertragen, bestehen dementsprechend auf Seiten des Bundes
nicht.
Zu beachten sind im Übrigen nach übereinstimmender Auffassung von Bund und Ländern eventuelle europarechtliche Entwicklungen. Auf EU-Ebene gibt es Bestrebungen,
ein einheitliches notarielles Berufsbild zu etablieren. Die EG-Kommission betreibt gegen Deutschland und gegen weitere Mitgliedstaaten, in denen ein sogenanntes lateinisches Notariat existiert, Vertragsverletzungsverfahren mit dem Vorwurf des Verstoßes
gegen die Niederlassungsfreiheit gemäß Artikel 43 EG-Vertrag. Deutschland vertritt
demgegenüber die Auffassung, dass Notare in Deutschland hoheitliche Tätigkeiten
ausüben und daher eine Regelungskompetenz der Europäischen Union gemäß Artikel
45 EG-Vertrag nicht besteht. Ob europäische Vorgaben für das Notarrecht entstehen
könnten, lässt sich vor diesem Hintergrund nicht sicher beurteilen.
Versammlungsrecht
Seite 70
Versammlungsrecht
Auftrag
Länder: Eine Bestandsaufnahme und Problembeschreibung zur bisherigen Handhabung dieses Teilbereichs
aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG im Zusammenhang mit allgemeinen, die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz betreffenden Punkten ist zu erstellen (vgl. CdS-Papier, Ziffer 1.1.1).
Berichterstattung: BY, BE
I.
Entstehung, Normbereich
1.
Das Versammlungsrecht ist seit der Ursprungsfassung des GG Gegenstand der
konkurrierenden Gesetzgebung.
2.
Die Gesetzgebungskompetenz erstreckt sich unbeschadet des das Versammlungsrecht materiell weitgehend prägenden Art. 8 GG auf Versammlungen im herkömmlichen Sinne (z.B. keine Beschränkung auf solche unter freiem Himmel).
3.
Die Gestaltung des Polizei- und Ordnungsrechts ist ein wesentliches Element der
Eigenstaatlichkeit der Länder bzw. der Länderzuständigkeit (Art. 30, 70, 83 GG).
Der Bund hat hier - neben Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG - nur Teilkompetenzen, insbesondere
4.
-
zum Schutz der Verfassungsorgane des Bundes, z.B. durch Bannmeilen/befriedete Bezirke
-
gemäß Art. 73 Nr. 5, Art. 87 Abs. 1 GG (Bundesgrenzschutz als Bundespolizei), Art. 73 Nr. 10 GG, Notstandsregelungen (Art. 91, 87 a GG).
Das Versammlungsrecht als besonderes Polizei- und Ordnungsrecht steht nach
Auffassung des Bundes in einem gewissen Sachzusammenhang mit dem bürgerlichen Recht und dem Strafrecht, insofern es um die Regulierung von Massenkommunikation, Meinungsäußerung und persönliche Ehre geht. Kennzeichnend für das
Versammlungsrecht ist die Tendenz, Minderheiten den Zugang zur öffentlichen
Meinungsbildung zu erleichtern, indem sie angesichts der überragenden Bedeutung
der Art. 5 und 8 GG für das Versammlungsrecht im Vergleich zum allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht privilegiert behandelt werden (Anspruch auf die Nutzung
Seite 71
Versammlungsrecht
öffentlicher Verkehrsflächen und Einschreiten nur aufgrund qualifizierter Gefahrenlagen).
II.
Bisherige Handhabung und Reformüberlegungen
5.
Der Bundesgesetzgeber hat von der Kompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG durch
das Gesetz über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsrecht) vom
24.07.1953 i.d.F. der Bek. vom 15.11.1978 (BGBl. I S. 684) und insgesamt acht
Änderungsgesetze, zuletzt durch Art. 4 des Gesetzes zur Neuregelung des Schutzes von Verfassungsorganen des Bundes vom 11. August 1999 (BGBl. I S. 1818)
Gebrauch gemacht.
6.
Tendenz der gegenwärtigen Reformüberlegungen auf Länderseite ist entweder die
Streichung des Versammlungsrechts aus dem Katalog der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzen oder die Überführung in eine Rahmengesetzgebungskompetenz45. Die BT-Enquete-Kommission Verfassungsreform 1976 hat vorgeschlagen, das Versammlungsrecht im Katalog der konkurrierenden Gesetzgebung
zu belassen, diesen aber mit einer stark begrenzenden Fassung des Art. 72 GG zu
verbinden (BT-Drs. 7/5924, S. 123). In der BR-Verfassungskommission 1992 (BRDrs. 360/92) gab es keinen und in der Gemeinsamen Verfassungskommission
BT/BR (1994) nur einen Vorschlag einer knappen Ländermehrheit zur Streichung
und einen Vorschlag der Berichterstatter zur Übertragung in die Rahmengesetzgebungskompetenz, der aber in der Kommission keine Mehrheit fand (BT-Drs.
12/6000, S. 38).
Argumente auf Länderseite waren:
-
45
Da Gegenstand des Polizei- und Ordnungsrechts, grundsätzliche Zuständigkeit der Länder gegeben.
Grundrechtsrelevanz der Materie zwingt nicht zu bundesgesetzlicher Regelung.
Übergeordnete Interessen, die bestimmte einheitliche Vorschriften erforderlich machen könnten, ließen sich auch durch die Überführung der Materie in
die Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes berücksichtigen.
Als Kurzüberblick über die Reformüberlegungen 1984 - 2000 sei verwiesen auf die Synopsen in ZParl
3/2000, S. 657 ff. (668, 672).
Versammlungsrecht
Seite 72
Wesentliches Argument der Bundesseite war die Vermeidung einer Aufsplitterung
des Versammlungsrechts in insgesamt 16 möglicherweise divergierende Länderregelungen bzw. die Rechtssicherheit und Rechtsklarheit für das gesamte Bundesgebiet.
In seinem Gesetzentwurf zur Umsetzung des Art. 125 a Abs. 2 GG (BR-Drs.
542/99) hatte der Bundesrat eine Ergänzung des Versammlungsgesetzes vorgeschlagen, die de facto eine Überführung der Kompetenz auf die Länder möglich
gemacht hätte. So soll § 32 des Versammlungsgesetzes wie folgt lauten: „Durch
Landesrecht können die Länder eigene Regelungen erlassen“.
Zur Begründung hat der Bundesrat angeführt, dass weder zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse noch zur Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit
erforderlich sei, dass im gesamten Bundesgebiet dasselbe Versammlungsrecht gilt.
Nur dann würde eine bundesrechtliche Regelung erforderlich sein, wenn die Bürger
bei landesrechtlichen Regelungen nicht mehr unter im Wesentlichen gleichen Voraussetzungen von ihrem Recht auf Versammlungsfreiheit Gebrauch machen könnten und etwa zu befürchten wäre, dass eine völlige Rechtszersplitterung einträte.
Dies sei jedoch nicht zu erwarten, da der Rahmen für Landes-Versammlungsrecht
durch Art. 8 GG und seine Auslegung durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts so eng sei, dass es kaum zu wesentlich divergierenden Landesgesetzen kommen dürfte.
Der Bundestag hat sich mit dem Gesetz in der Sache nicht befasst. Der Gesetzentwurf unterliegt mit Ende der Legislaturperiode der Diskontinuität. Er müsste ggf.
vom Bundesrat neu eingebracht werden - Näheres siehe Bestandsaufnahme und
Problembeschreibung zu Art. 125 a GG.
Während die Konferenz der Landtagspräsidentinnen und Landestagespräsidenten
im Jahr 2000 eine Streichung der Bundeskompetenz für das Versammlungsrecht
gefordert hatte, macht jüngst die Enquete-Kommission des BY-LT ‚Reform der Föderalismus - Stärkung der Landesparlamente‘ hierzu keinen konkreten Vorschlag
(BY-LT-Drs. 14/8660 von März 2002).
Seite 73
Versammlungsrecht
III.
Fragen
7.
Für die Beratung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG- Versammlungsrecht - könnten sich
folgende Fragen empfehlen:
7.1
Versammlungsrecht gehört rechtssystematisch dem grundsätzlich in der Gesetzgebungskompetenz der Länder liegenden Polizei- und Ordnungsrecht an, das, ist jedoch als besonderes Polizei- und Ordnungsrecht bundeseinheitlich geregelt Sollten
Versammlungen kompetenzrechtlich deshalb nicht genauso bewertet werden wie
ordnungsrechtlich zu behandelnde Ansammlungen ?
7.2
Erfordert das Versammlungsrecht aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtseinheit eine bundeseinheitliche, das materielle Versammlungsrecht und die Bewehrung mit Straf-/Ordnungswidrigkeitssanktionen verbindende Regelung
oder
genügen angesichts der Vorgaben des Art. 8 GG und der Rechtsprechung des
BVerfG die Möglichkeiten der Länderkooperation (z.B. bei Polizeieinsätzen aus Anlass einer Versammlung) und (Gesetzgebungs-) Koordination den Erfordernissen
von Rechtssicherheit und Rechtseinheit ?
7.3
Würde eine Landeskompetenz (anders als bei Bestehen einer konkurrierenden Volloder Grundsatz(Rahmen-)Kompetenz des Bundes) flexibleres gesetzgeberisches
Eingehen auf regionale/lokale Belange ermöglichen (z.B. Umgang mit Demonstrationen in der Bundeshauptstadt)
oder
würden unterschiedliche landesrechtliche Regelungen einerseits dazu führen, dass
sich bestimmte Versammlungen auf die Länder mit dem günstigsten (mildesten)
Versammlungsrecht konzentrieren und andererseits den Einsatz von Polizeikräften
aus anderen Bundesländern bei Großdemonstrationen durch den Wegfall einer einheitlichen Ermächtigungsgrundlage erschweren?
Öffentliche Fürsorge
Seite 74
Öffentliche Fürsorge
(noch nicht endgültig zwischen Bund und Ländern abgestimmt)
Auftrag
Länder: Eine Bestandsaufnahme und Problembeschreibung zur bisherigen Handhabung des Art. 74 Abs. 1
Nr. 7 GG (ggf. Teilbereiche) im Zusammenhang mit allgemeinen, die konkurrierende Gesetzgebungskomp etenz betreffenden Punkte zu erstellen (vgl. CdS-Papier, Ziff. 1.2.1, 1.2.2).
Berichterstattung: BW, HB, HE, NI.
I.
Bestandsaufnahme:
1.
Kompetenztitel des Grundgesetzes:
Der Bund hat gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG - unter den Voraussetzungen des Art. 72
Abs. 2 GG - die konkurrierende Gesetzgebung für „die öffentliche Fürsorge“.
Der Verfassungskonvent von Herrenchiemsee hat dem Bund in Art. 36 Nr. 10 seines Entwurfs die Vorranggesetzgebung über die „Grundsätze für die öffentliche Fürsorge“ eingeräumt. Nachdem die Formulierung „Grundsätze“ jedoch wegen der ungeklärten Abgrenzung zur „Rahmen“-Kompetenz auf Bedenken stieß, hat der Parlamentarische Rat im Ergebnis die Beschränkung auf „Grundsätze“ gestrichen und so der Nr. 7 des Art. 74 Abs. 1
GG ihre heutige Form gegeben. Im Parlamentarischen Rat wurde diskutiert, ob der Generalbegriff "öffentliche Fürsorge" durch die Nennung von Einzelgebieten - wie Wohlfahrtspflege, Jugendwohlfahrt, Jugendhilfe, Arbeitslosenfürsorge, Jugendfürsorge, Mutterschut zfürsorge, Wöchnerinnenfürsorge, Wandererfürsorge u.ä. - ergänzt oder ersetzt werden
sollte. Schließlich beließ man es bei der "öffentlichen Fürsorge", um deutlich zu machen,
dass sämtliche Bereiche erfasst sein sollten (vgl. JöR 1 n.F., S. 512; v. Mangoldt/
Klein/Pestalozza, GG, 3. Aufl., Art. 74 Rdnr. 322 m.w.N.).
2.
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Begriff der „öffentlichen Fürsorge“:
-
Der Begriff der öffentlichen Fürsorge ist nicht eng auszulegen. Er umfasst auch präventive Maßnahmen zum Ausgleich von Notlagen und besonderen Belastungen sowie Vorkehrungen gegen die Gefahr der Hilfsbedürftigkeit. Eingrenzungen ergeben
sich insbesondere bei überwiegenden Sachzusammenhang einer Regelung mit an-
Seite 75
Öffentliche Fürsorge
deren Sachkompetenzen; aus der Kompetenz des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 scheiden vor
allem Gesetze aus, die der Krankenversorgung, der Seuchenbekämpfung oder in
sonstiger Weise in erster Linie dem Gesundheitswesen dienen. Die Entscheidung
der Verfassung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 und 19a), dem Bund für das Gesundheitswesen nur in eingeschränktem Maße Gesetzgebungskompetenzen zuzuweisen, darf
nicht durch eine erweiternde Auslegung der Gesetzgebungskompetenz für die öffentliche Fürsorge unterlaufen werden (BVerfGE 88, 203, 329 f., vgl. auch BVerfGE 97,
332, 341).
-
Auf dem Gebiet der Jugendwohlfahrt umfasst der Begriff der "öffentliche Fürsorge"
nicht nur die Jugendfürsorge im engeren Sinne, sondern auch die Jugendpflege. ...
Jugendfürsorge und Jugendpflege sind in der praktischen Jugendarbeit so eng miteinander verzahnt, dass die Jugendpflege schon allein unter dem Gesichtspunkt des
Sachzusammenhangs mit unter den Begriff "öffentliche Fürsorge" in Art. 74 Abs. 1
Nr. 7 fallen muss (BVerfGE 22, 180, 212 f., vgl. auch BVerfGE 97, 332, 341).
-
Denselben Zielen dient auch die Kindergartenbetreuung. Sie hilft den Eltern bei der
Erziehung, fördert und schützt die Kinder und trägt dazu bei, positive Lebensbedingungen für Familien mit Kindern zu schaffen ... Allerdings ist der Kindergarten
zugleich Bildungseinrichtung im elementaren Sinn ... Dieser Bildungsbezug entzieht
die Regelung aber nicht der Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Die fürsorglichen und bildungsbezogenen Aufgaben des Kindergartens sind untrennbar miteinander verbunden. Eine Aufspaltung der Gesetzgebungskompetenz anhand dieser
Aspekte kommt aus sachlichen Gründen nicht in Betracht ... Der Schwerpunkt des
Kindergartenwesens, von dem in einem solchen Fall die Bestimmung der Gesetzgebungskompetenz abhängt, ist nach wie vor eine fürsorgende Betreuung mit dem Ziel
einer Förderung sozialer Verhaltensweisen und damit präventiver Konfliktvermeidung. Der vorschulische Bildungsauftrag steht hinter dieser dem Bereich der öffentliche Fürsorge zuzuordnenden Aufgabe zurück (BVerfGE 97, 332, 341 f.).
-
Grenze der Kompetenz nach Nr. 7 ist jedoch die Einschränkung auf die „öffentliche“
Fürsorge. Private Fürsorge - auch kirchliche Fürsorge - wird demzufolge nicht von
dem Kompetenztitel umfasst.
-
Aus Sicht der Länder hat der unbestimmte Rechtsbegriff der „öffentlichen Fürsorge“ legitimiert durch die Interpretation des Bundesverfassungsgerichts - zu einem extrem
weiten, begrifflich und definitorisch kaum mehr verlässlich eingrenzbaren Anwendungsbereich für die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes geführt.
Öffentliche Fürsorge
Seite 76
-
Aus Sicht des Bundes besteht kein Anlass zu einer Kritik an der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts. Sie hat den vom Verfassungsgeber gewollten weiten
Anwendungsbereich dieses Kompetenztitels zutreffend zum Ausdruck gebracht.
3.
Bundesgesetzliche Regelungen:
-
SGB VIII. - Kinder- und Jugendhilfegesetz
SGB IX. - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen
SGB XI. - Soziale Pflegeversicherung
Wohngeldgesetz
Bundeskindergeldgesetz
Bundeserziehungsgeldgesetz
Heimgesetz
Bundessozialhilfegesetz
Gesetz zur Hilfe für Frauen bei Schwangerschaftsabbrüchen in besonderen Fällen
Schwangerschaftskonfliktgesetz
Asylbewerberleistungsgesetz
Gesetz über die Errichtung einer Stiftung "Hilfswerk für behinderte Kinder"
Opferentschädigungsgesetz
Grundsicherungsgesetz
HIV-Hilfegesetz
Jugendschutzgesetz
Häftlingshilfegesetz
Betreuungsgesetz
II.
Problembeschreibung
Der Umfang, in dem der Bund von seiner Kompetenz Gebrauch macht, gab wiederholt
Anlass zu Auseinandersetzungen mit den Ländern. Dies gilt für die sachlichen - in Ziffer 2
beschriebenen - Abgrenzungsprobleme ebenso wie hinsichtlich der Festsetzung von Geldleistungen.
Außer dem Leistungsumfang waren auch organisatorische Fragen immer wieder streitig.
Zentraler Punkt aus Sicht der Länder war die Frage nach der Kompetenz des Bundes, in
§ 96 Abs. 1 BSHG die Landkreise und kreisfreien Städte zu den örtlichen Trägern der Sozialhilfe zu bestimmen. Insoweit wird die Kompetenz der Länder tangiert, die ihnen in
Art. 84 Abs. 1 GG zugewiesen ist. Diese Kompetenz wurde nicht berührt bei der Frage der
Bestimmung des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe, die gem. § 96 Abs. 2 BSHG ausdrücklich bei den Ländern liegt.
Seite 77
Öffentliche Fürsorge
Der Bund weist darauf hin, dass Art. 84 Abs. 1 GG die Möglichkeit eröffnet, durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren der Länder zu regeln. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht umfasst die Kompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG auch organisatorische
Bestimmungen und Abgrenzungen (vgl. BVerfGE 22, 181, 203).
Die berichterstattenden Länder stellen vor diesem Hintergrund folgende Optionen zur Diskussion:
-
Neuformulierung des Kompetenztitels Nr. 7 des Art. 74 Abs. 1 GG mit dem Ziel,
eine neue und klarere Abgrenzung der Gesetzgebungskompetenzen vom Bund
und Ländern zu erreichen, dadurch die Abgrenzungsprobleme sowohl in horizontaler Sicht (gegenüber anderen Kompetenztiteln des Art. 74 Abs. 1 GG) als auch
im vertikalen Verhältnis zwischen Bund und Ländern (keine Usurpation von Kompetenzen durch Definition/Auslegung) zu begründen.
Diese Option ist bisher nicht im CdS-Bericht zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung, Arbeitspapier zur Föderalismusreform mit Stand vom 21.09.2001,
enthalten.
-
Öffnung einzelner Regelungsbereiche für ein Zugriffsrecht der Länder in Form der
Zugriffs- oder Vetooption (vgl. dazu Bestandsaufnahme zur konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes, Ziffer II. 1), das diesen länderspezifisch abweichende
Regelungen zum Bundesrecht ermöglicht.
Diese Option entspricht dem Arbeitspapier zur Föderalismusreform, das ein erweitertes Zugriffsrecht der Länder gemäß der Vetooption (Ziff. 1.2.1) bzw. der
Zugriffsoption (Ziff. 1.2.2) - ggf. mit Teilbereichen - zur Überprüfung vorschlägt.
Hierzu bestehen bisher unterschiedliche Auffassungen der Länder:
•
die Höhe der bundesgesetzlich geregelten (Sozial-) Hilfeleistungen in Notsituationen müsste regionalspezifisch unterschiedlichen Verhältnissen angepasst werden
können.
•
die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse erfordere im gesamtstaatlichen
Interesse eine Bundesregelung.
•
eine Beibehaltung der Bundeskompetenz für das BSHG, aber die Einräumung von
Zugriffsrechte lediglich für die übrigen auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG gestützte Regelungsbereiche könnte angemessen sein.
Öffentliche Fürsorge
Seite 78
Der Bund ist der Auffassung, dass sich der Kompetenztitel in seiner gegenwärtigen Form
bewährt hat. Die bundesrechtliche Durchformung der Kompetenz entspricht praktischen
Bedürfnissen. Zugriffsrechte auf diesen Kompetenztitel bedeuteten die Gefahr von erheblichen regionalen Unterschieden im Bereich der öffentlichen Fürsorge, insbesondere im
Sozialhilfebereich. Ein unterschiedlicher Schutzstandard könnte zu Wanderungsbewegungen von Sozialhilfebewerbern in Bundesländer mit höherem Sozialhilfeniveau führen mit
dem Ergebnis eines negativen Wettbewerbs der Bundesländer um das niedrigste Sozialhilfeniveau.
Seite 79
Verbraucherschutz
Verbraucherschutz
Auftrag
Bund: Welche Kompetenztitel weist das Grundgesetz für den Verbraucherschutz auf? Wie sind die Vorgaben aus dem Gemeinschaftsrecht in das innerstaatliche Recht (Bund und Länder) umgesetzt worden? Sind
dabei Probleme aufgetreten?
Berichterstattung: Bund, BW, BY
I.
Bestandsaufnahme
1. Kompetenztitel des Grundgesetzes mit Verbraucherschutzrelevanz:
Der Begriff des „Verbraucherschutzes“ findet in den Regelungen des Grundgesetzes
zur Abgrenzung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern keine
Erwähnung und definiert als solcher keinen eigenständigen Regelungsbereich im Sinne eines verfassungsrechtlich relevanten Kompetenztitels. Vielmehr knüpfen Maßnahmen des zivilrechtlichen (Gestaltung der vertraglichen und deliktischen Rechtsbeziehungen des Verbrauchers), gesundheitlichen (Lebensmittelsicherheit, medizinischpharmazeutischer Verbraucherschutz) sowie des produktbezogenen (insbesondere
Produktsicherheit) Verbraucherschutzes an jeweils unterschiedliche Kompetenztitel der
konkurrierenden Gesetzgebung nach Art. 74 GG an. Gesetzgeberische Maßnahmen
des Bundes stützen sich dabei vorrangig auf:
-
den Bereich des bürgerlichen Gesetzbuches: Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG
Umfasst werden insbesondere Bestimmungen des zivilrechtlichen Verbraucherschutzes nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch, wie beispielsweise Fragen des Kaufrechts oder Reisevertragsrechts.
-
das Recht der Wirtschaft: Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG
Unter dem Recht der Wirtschaft sind alle das wirtschaftliche Leben und die wirtschaftliche Betätigung als solche regelnde Normen zu begreifen, insbesondere solche Vorschriften, die sich in irgendeiner Form auf die Erzeugung, Herstellung und
Verteilung von Gütern des wirtschaftlichen Lebens beziehen. In diesem Rahmen
kann die Kompetenz auch Regelungen des Verbraucherschutzes umfassen.
Verbraucherschutz
Seite 80
-
die Maßnahmen gegen gemeingefährliche und übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren, den Verkehr mit Arzneien, Heil- und Betäubungsmitteln und Giften: Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG
-
den Schutz beim Verkehr mit Lebens- und Genussmitteln, Bedarfsgegenständen,
Futtermittel und land- und forstwirtschaftlichem Saat- und Pflanzengut, den Schutz
der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge: Art. 74 I Nr. 20 GG
Schutz beim Verkehr mit den genannten Gegenständen bedeutet vor allem gesundheitlichen Schutz. Erfasst von diesem Kompetenztitel ist aber auch der Schutz
vor Täuschung - etwa das Gebot zur Kenntlichmachung - oder Regelungen zur
Werbung.
Diese Kompetenztitel eröffnen dem Bund unter den allgemeinen Voraussetzungen des
Art. 72 GG jeweils nur partielle, keine umfassenden Kompetenzen für Maßnahmen des
Verbraucherschutzes als Querschnittsaufgabe.
2. Bundesgesetzliche Regelungen:
Unter Bezug auf die o. g. Kompetenztitel wurden im Wesentlichen folgende bundesgesetzliche Regelungen erlassen:
-
Lebensmittel- und Lebensmittelbedarfsgegenständegesetz,
Weingesetz,
Handelsklassenrecht,
Fleischhygienegesetz und Geflügelfleischhygienegesetz,
Tierseuchengesetz,
Tierkörperbeseitigungsgesetz,
Tierschutzgesetz,
Arzneimittelgesetz,
Betäubungsmittelgesetz,
Futtermittelgesetz,
Verfütterungsverbotsgesetz.
Hinzuweisen ist ferner auf das zum 1. November 2002 in Kraft tretende „Gesetz zur
Neuorganisation des gesundheitlichen Verbraucherschutzes und der Lebensmittelsicherheit“, das sich neben den unter II.1 genannten Kompetenztiteln des Art. 74 GG
auch auf die Ziff. 21, 22, 23 stützt.
Seite 81
Verbraucherschutz
3. Zuständigkeiten der Länder:
Die Länder nehmen sowohl im Bereich des gesundheitlichen Verbraucherschutzes
(Veterinärwesen, Pflanzenschutz, Lebensmittelsicherheit) als auch im Bereich des produktbezogenen Verbraucherschutzes (technischer, stofflicher und toxikologischer
Verbraucherschutz, insbesondere Produktsicherheit) Vollzugsaufgaben wahr – einschließlich des Erlasses der hierzu notwendigen Zuständigkeits- und Verfahrensbestimmungen. Im Übrigen sind die Länder - mangels ausdrücklicher Kompetenzzuweisung zugunsten des Bundes - zuständig für Fragen der allgemeinen Verbraucheraufklärung, -information und –bildung.
4. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts:
Die jüngst zum Verbraucherschutz ergangene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Juni 2002 (Herausgabe und Veröffentlichung der „vorläufigen Gesamt-Liste der Weine und anderer Erzeugnisse, in denen Diethylenglykol festgestellt
worden ist) - 1 BvR 558/91 - betrifft - allein - die Informationstätigkeit der Bundesregierung im Bereich des Verbraucherschutzes. Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht
festgestellt:
Auch beim Informationshandeln ist die Kompetenzordnung des Grundgesetzes zu beachten und die föderale Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Ländern zu wahren.
Dabei hängt die Entscheidung über die Verbandskompetenz davon ab, ob die jeweils
zu erfüllende Informationsaufgabe dem Bund oder den Ländern zukommt oder ob parallele Kompetenzen bestehen. Die Aufgabe der Staatsleitung und der von ihr mit umfassten Informationsarbeit der Bundesregierung ist Ausdruck ihrer gesamtstaatlichen
Verantwortung. Das Grundgesetz geht stillschweigend von einer entsprechenden
Kompetenz hierzu aus (Ermächtigungsgrundlage sind nicht Art. 83 ff. GG, da Regierungstätigkeit nicht Verwaltung im Sinne dieser Norm ist). Die Bundesregierung ist somit überall dort zu Informationsarbeit berechtigt, wo ihr eine gesamtstaatliche Verantwortung der Staatsleitung zukommt, die mit Hilfe von Informationen erfüllt werden
kann. Dies gilt insbesondere dann, wenn Vorgänge wegen ihres Auslandsbezugs oder
ihrer länderübergreifenden Bedeutung überregionalen Charakter haben und eine bundesweite Informationsarbeit der Regierung die Effektivität der Problembewältigung fordern.
Für die Frage nach der Abgrenzung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund
und Ländern ergeben sich aus der Entscheidung keine Konsequenzen.
Verbraucherschutz
Seite 82
5. Verbraucherschutzkompetenz der EU:
Die Befugnisse der EU ergeben sich aus:
-
gem. Art. 3 Abs. 1 lit. t EG-Vertrag umfasst die Tätigkeit der Gemeinschaft einen
„Beitrag zur Verbesserung des Verbraucherschutzes“;
-
Art. 153 EG-Vertrag konkretisiert dies wie folgt:
-
*
Abs. 1 stellt klar, das sich der Beitrag der Gemeinschaft auf den „Schutz der
Gesundheit, die Sicherheit und die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher
sowie die Förderung ihres Rechtes auf Information, Erziehung und Bildung von
Vereinigungen zur Wahrung ihrer Interessen“ beizieht;
*
Nach Abs. 2 wird den Erfordernissen des Verbraucherschutzes auch bei der
Festlegung und Durchführung der anderen Gemeinschaftspolitiken und -maßnahmen Rechnung getragen;
*
Nach Abs. 3 werden die in Abs. 1 genannten Ziele durch Maßnahmen zur Verwirklichung des Binnenmarktes nach Art. 95 sowie durch Maßnahmen zur Unterstützung, Ergänzung und Überwachung der Politik der Mitgliedstaaten erreicht.
Schließlich ergibt sich - als Ausprägung des gemeinschaftlichen Subsidiaritätsprinzips nach Art. 5 EG-Vertrag - aus dem Wortlaut von Art. 3 und Art. 153 EU-Vertrag
(...einen Beitrag leisten...), dass primär die Mitgliedstaaten für den Verbraucherschutz verantwortlich sind; die EU wirkt - lediglich - mit .
Der Verbraucherschutz ist EU-rechtlich nicht nur Annex anderer Politikbereiche, sondern eigenständiger Bestandteil der Gemeinschaftspolitik. Art. 153 Abs. 1 EG-Vertrag
beschränkt die Handlungs- bzw. Tätigkeitsfelder der EU beim „Verbraucherschutz“ auf
dessen traditionelle Aspekte, konkret auf den Schutz der Gesundheit, der Sicherheit
und der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher, und begrenzt die Tätigkeit der EU
auf einen „Beitrag“ zur Politik der Mitgliedstaaten. Der Verbraucherschutz als Querschnittsaufgabe findet zwar Berücksichtigung in der sog. „Querschnittsklausel“ des
Abs. 2 von Art. 153 EG-Vertrag, der die breitgefächerten Verbraucherinteressen auch
auf andere Politikbereiche der Gemeinschaft erstreckt und zu einer Gegenüberstellung
sowie einer Abwägung der jeweils im Einzelfall zu berücksichtigenden unterschiedli-
Seite 83
Verbraucherschutz
chen Belange mit dem Verbraucherschutz zwingt, allerdings ohne diesem einen prinzipiellen Vorrang einzuräumen.
II. Problembeschreibung:
-
„Verbraucherschutz“ als Querschnittsaufgabe findet sich nicht als eigenständige
Kategorie zur Abgrenzung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und
Ländern. Maßnahmen des Verbraucherschutzes finden derzeit ihre Berechtigung in
jeweils speziell definierten Befugnissen des Bundes in den einzelnen Sachbereichen des Art. 74 GG.
Überlegt werden könnte aus Sicht des Bundes daher, ob der Verbraucherschutz als
Querschnittsaufgabe nicht in einem eigenen neuen Kompetenztitel des Art. 74 GG
eine Entsprechung finden sollte. Angeknüpft werden könne ggf. an Europarechtliche Regelungen zum Verbraucherschutz im EG-Recht (Art. 3 Abs. 1 lit. t, Art. 153
EGV).
-
Pro-Argumente: Bislang sei der Verbraucherschutz vorwiegend unter wirtschaftlichen und gesundheitlichen Aspekten betrachtet worden. In dem Maße aber, in dem
Verbraucherpolitik verstärkt auch die Produktion umweltverträglicher Güter, externe
Effekte individuellen Markthandelns (z. B. im Hinblick auf Ressourcenknappheit,
ökologische Engpässe etc.), soziale und ethische Aspekte als wichtige Elemente
des verbraucherpolitischen Arbeitsfeldes verstehe, gerate das traditionelle wirtschaftspolitische Handlungsverständnis der Verbraucherpolitik, das auf die Förderung der Kaufrationalität, subjektive Vorteilhaftigkeit angelegt war, hierzu in Konflikt.
Ein Kompetenztitel „Verbraucherschutz“ wäre zwar ähnlich wie Art. 74 Abs. 1 Nr. 11
GG (Recht der Wirtschaft) weit gefasst sei, könnte aber durch die Rechtsprechung
näher inhaltlich bestimmt werden und stellte damit keinen Auffangtatbestand dar.
Im Übrigen bestünde auch bei den vorhandenen Kompetenztiteln Überschneidungen, die im Wege der Konkurrenz gelöst würden (insbesondere Nr. 11 würde gegenüber spezielleren Regelungen wie aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1, 11a 12, 13-16, 21-23-26 GG zurücktreten).
-
Contra-Argumente: Um einen über den Schutz der Gesundheit, der Sicherheit und
der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher hinaus gehenden und um soziale
und ethische Aspekte inhaltlich erweiterten Verbraucherbegriff im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung nach Art. 74 GG zu begründen, sei der Hinweis auf die
Verbraucherschutz
Seite 84
EU-rechtlichen Bestimmungen nicht geeignet, da diese keine kompetenzbegründende Auswirkungen auf nationalstaatliches Verfassungsrecht entfalten können:
Soweit der EU ein eigenes Handlungs- und Tätigkeitsfeld „Verbraucherschutz“ eingeräumt sei, beschränke sich dieses - wie die einzelnen Kompetenztitel des Art. 74
GG - ebenfalls auf die traditionellen Aspekte des Verbraucherschutzes (der Gesundheit, der Sicherheit und wirtschaftliche Interessen); soziale oder ethische Aspekte seien insoweit nicht ausdrücklich Gegenstand des Politikfeldes „Verbraucherschutz“. Auch als Querschnittsaufgabe sei der Verbraucherschutz nicht als eigenes
Politikfeld definiert, sondern habe - nur - insofern Breitenwirkung für andere Politikbereiche der EU, als er bei Festlegung und Durchführung konkreter Maßnahmen in
eine Interessenabwägung einzubeziehen sei. Ferner diene der Begriff des Verbraucherschutzes nicht der Abgrenzung der Verantwortungsbereiche der EU einerseits
und der Mitgliedstaaten andererseits; diese Kompetenzabgrenzung ergebe sich
vielmehr aus der einschränkenden Formulierung „...leistet einen Beitrag...“ als konkrete Ausprägung des allgemeinen Subsidiaritätsprinzips.
Vor allem aber werde ein Kompetenztitel, der sich auf den allgemeinen Begriff des
„Verbraucherschutzes“ stütze, der Funktion und den Erfordernissen des Art. 74 GG
nicht Rechnung tragen können: Eine klare und eindeutige Abgrenzung der Gesetzgebungskompetenzen des Bundes einerseits und der Länder andererseits wäre
mangels inhaltlicher Bestimmtheit des Begriffs nicht gewährleistet; wegen der breiten Rückwirkungen des Verbraucherschutzes in andere Politikbereiche wäre auch
eine klare inhaltliche Abgrenzung zu den anderen Sachbereichen des Art. 74 GG
kaum zuverlässig möglich; ein Kompetenztitel „Verbraucherschutz“ wäre eine Generalermächtigung zugunsten des Bundes, die zu einer nicht bestimmbaren Ausdehnung von Kompetenzen des Bundes führen würde, in Widerspruch zur generellen Kompetenzabgrenzung des Grundgesetzes gem. Art. 30 und Art. 70 GG stünde, dem Anliegen einer klaren und eindeutigen Kompetenzabgrenzung zwischen
Bund und Ländern als Grundanliegen der Modernisierung der bundesstaatlichen
Ordnung widerspräche und extrem streitanfällig wäre.
Seite 85
Förderung der wissenschaftlichen Forschung
Förderung der wissenschaftlichen Forschung
Auftrag
Länder: Eine Bestandsaufnahme und Problembeschreibung zur bisherigen Handhabung des Art. 74 Abs. 1
Nr. 13 GG im Zusammenhang mit allgemeinen, die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz betreffenden
Punkten ist zu erstellen (vgl. CdS-Papier, Ziffer 1.1.1).
Berichterstattung: BW, BE
I.
Entstehung, Normbereich, bisherige Kompetenzaufteilung
1.
Die ‚Förderung der wissenschaftlichen Forschung‘ wurde aufgrund eines an den
Parlamentarischen Rat gerichteten Petitums des Physikers Werner Heisenberg und
anderer in den Katalog des Art. 74 GG (1949) aufgenommen.
2.
Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 GG betrifft die Förderung der wissenschaftlichen Forschung,
nicht die Regelung der Forschung selbst. Die Kompetenz zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung erlaubt/umfasst Regelungen sowohl finanzieller als auch
organisatorischer, planerischer oder kontrollierender Art.
3.
Die Gestaltung des Politikbereichs Wissenschaft/Forschung/Hochschulen ist verfassungsrechtlicher Auftrag und ein wesentliches Element der Eigenstaatlichkeit der
Länder bzw. der Länderzuständigkeit (Art. 30, 70, 83 GG). Der Bund hat hier insbesondere folgende Kompetenzen - neben Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 GG sind dies vor allem
-
-
Art. 32 Abs.1 und Art. 73 Nr.1 (Auswärtige Kulturpolitik)
Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 (Rahmengesetzgebungskompetenz zum öffentlichen
Dienstrecht, soweit dem Bund nach Art. 74 a GG - für die Besoldung und Versorgung - und nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG - für das Arbeitsrecht - nicht die
konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis zusteht)
Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a (Zuständigkeit zum Erlass von Rahmenvorschriften
über die allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens)
Art. 91 a Abs. 1 Nr. 1 (Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau)
Art. 91 b (Möglichkeit des vertraglichen Zusammenwirkens von Bund und Ländern bei der Förderung von Einrichtungen und Vorhaben wissenschaftlicher
Forschung von überregionaler Bedeutung)
Förderung der wissenschaftlichen Forschung
Seite 86
Der Bund weist zugleich auf ungeschriebene Kompetenzen aus der Natur der Sache und kraft Sachzusammenhangs hin. Der Entwurf einer Verwaltungsvereinbarung über die Finanzierung öffentlicher Aufgaben von Bund und Ländern (sog. Flurbereinigungsabkommen) von 1971 geht von einer Bundes-Kompetenz kraft ‚Natur
der Sache‘ im Forschungsbereich u.a. für die Großforschung, in Bezug auf gesamtstaatliche Repräsentation, Auslandsbeziehungen, Förderung nichtstaatlicher zentraler Organisationen sowie der ressortbezogenen Forschung aus.
Die Länder halten den nie in Kraft getretenen Entwurf des sog. Flurbereinigungsabkommens für keine relevante Erkenntnisquelle und lehnen derartige Kompetenzen
kraft ‚Natur der Sache‘ ab - so zuletzt MPK-Beschlüsse vom 8. März und 13. Juni
2002 zur Systematisierung/Entflechtung von Kompetenzen der Länder und des
Bundes im Kulturbereich. Aus Bundessicht ist das 1971 von einer Bund/LänderKommission erarbeitete sog. Flurbereinigungsabkommen Basis für die gemeinsame
Staatspraxis von Bund und Ländern geworden. Auch steht eine solche Länderposition im Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, welches Bundeskompetenzen aus der Natur der Sache ausdrücklich anerkannt hat (vgl. BVerfGE 11, 89 ff., 96; BVerfGE 12, 205 ff., 251; BVerfGE 22, 180
ff., 217; BVerfGE 98, 265 ff., 299). Aus Ländersicht ist dazu anzumerken, dass es
zum einen bislang keine Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts konkret
zu Gesetzgebungskompetenzen des Bundes im Bereich der Forschungsförderung
gibt und zum anderen die vom Bundesverfassungsgericht in den zitierten Entscheidungen formulierten Voraussetzungen für eine Kompetenz aus der Natur der Sache
zu beachten sind (namentlich: "Schlussfolgerungen 'aus der Natur der Sache' müssen begriffsnotwendig sein und eine bestimmte Lösung unter Ausschluss anderer
Möglichkeiten sachgerechter Lösung zwingend fordern. Argumente aus der Natur
der Sache versagen aber, wenn sich ... auch eine andere Lösung mit beachtlichen
Gründen rechtfertigen lässt." so die Rspr. seit BVerfGE 11, 89, 99).
II.
Bisherige Handhabung und Reformüberlegungen
4.
Von der Gesetzgebungskompetenz des Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 GG (Teilbereich: Förderung der wissenschaftlichen Forschung) wurde durch das Gesetz über die Förderung wissenschaftlichen Nachwuchses an den Hochschulen (Graduiertenförderungsgesetz) in der Zeit von 1971 bis 1984 und 1990 zunächst auch durch das
Gentechnikgesetz, für das jetzt aber Art. 74 Abs. 1 Nr. 26 GG heranzuziehen ist,
Gebrauch gemacht.
Die Forschungsförderung des Bundes konzentriert sich im wesentlichen
Seite 87
Förderung der wissenschaftlichen Forschung
a)
auf Bund-Länder-Vereinbarungen auf der Grundlage des Art. 91 b GG (die
Mischfinanzierungstatbestände der Forschungsförderung sind Gegenstand
der Unterarbeitsgruppe ‚Finanzen‘)
b)
auf sonstige institutionelle Förderungen und (direkte/indirekte) ProjektFörderungen (insbesondere des BMBF und des BMWi). Das Volumen der
Projektförderungen beträgt nach dem jüngsten BMBF-Faktenbericht Forschung im Jahr 2002 (Soll) über 4 Mrd. € (S. 370 f, Tab. 9).
Als Überblick zur Forschungsförderung in Deutschland wird verwiesen auf erwähnten BMBF-Bericht (www.bmbf.de/pub/faktenberichtforschung2002.pdf)
5.
46
Vorrangige Tendenz der Reformüberlegungen seitens der Länder seit 1984 ist:
Streichung oder Begrenzung auf die Förderung überregionaler/länderübergreifender
Einrichtungen/Vorhaben bzw. Einrichtungen/Vorhaben von überregionaler Bedeutung oder auch Umwandlung in eine dementsprechende Grundsatzkompetenz46.
Argumente pro/contra: Stärkung Länder einerseits, Gefahr Rückzug Bund aus Finanzierung mangels Gesetzgebungskompetenz andererseits.
Als Kurzüberblick über die Reformüberlegungen 1984-2000 sei verwiesen auf die Synopsen in ZParl
3/2000, S. 657 ff. (669, 672) und den jüngsten Vorschlag (Enquete-Kommission des BY-LT - Drucksache
14/8660, März 2002, S. 7, 19/20). Die BT-Enquete-Kommission Verfassungsreform hatte 1976 empfohlen, die Förderung der wissenschaftlichen Forschung im Katalog der konkurrierenden Gesetzgebung zu
belassen, diesen Katalog aber mit einer neu strukturierten, den Bund stärker eingrenzenden Fassung des
Art. 72 GG verbunden. Bundesgesetze über die Forschungsförderung waren nicht in den Katalog der
ausdrücklichen Zustimmungspflichten aufgenommen (BT-Drucksache 7/5924, S. 123 - 125).
Förderung der wissenschaftlichen Forschung
Seite 88
III.
Fragen
6.
Für die Beratung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 GG könnten sich folgende Fragen empfehlen:
6.1
Kompetenztitel unverzichtbar oder mangels Bedarfs entbehrlich ?
6.2
Kompetenztitel jedenfalls entbehrlich, wenn Art. 91 b GG (Teilbereich Forschungsförderung) bestehen bleibt ?
6.3
Kompetenzeingrenzung auf
6.3.1 eine Grundsatz/Rahmen-Kompetenz des Bundes und/oder
6.3.2 die Förderung überregionaler/länderübergreifender Einrichtungen/Vorhaben (bzw.
solche von überregionaler Bedeutung) ?
6.4
Sollte die Forschungsförderung des Bundes (außerhalb des Bereichs von Art. 91 b
GG) im Hinblick auf die Kompetenzlage (analog zu den gemeinsamen Arbeiten zur
Kulturförderung des Bundes und der Länder) gesondert aufgearbeitet werden ?
6.5
Erfordert die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland
6.5.1. eine umfassende Gesetzgebungs-/Finanzierungskompetenz des Bundes zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung ?
6.5.2 eine Gesetzgebungs-/Finanzierungskompetenz zur Förderung von (Groß-) Forschungseinrichtungen und Projekten für den Bund ? und/oder (ggf. jedenfalls)
6.5.3 eine (neu zu ordnende/zu effektivierende) verfassungsrechtlich abgesicherte Möglichkeit des vertraglichen Zusammenwirkens von Bund und Ländern bei der Förderung von Einrichtungen und Vorhaben wissenschaftlicher Forschung von überregionaler Bedeutung (Überschneidung mit Themenbereich der Unterarbeitsgruppe ‚Finanzen‘) ?
Seite 89
Förderung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung
Förderung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung
Auftrag
Länder: Eine Bestandsaufnahme und Problembeschreibung zur bisherigen Handhabung dieses Teilbereiches aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 GG ist im Zusammenhang mit allgemeinen, die konkurrierende Gesetzgebung betreffenden Punkten zu erstellen (vgl. CdS-Papier, Ziffer 1.1.1).
Berichterstattung: MV, SL
Vorbemerkung der Länder
Die Formulierung im CdS-Papier vom 21. September 2001 (Zif. 1.1.1: „Soweit es dabei um
Fragen der Regelung des Marktes geht, soll es jedoch bei der bisherigen Bundeskompetenz verbleiben.") ist mit Blick auf die CdS-Konferenz vom 12.-13. September 2002 dahin
gehend zu verstehen, dass nach sinnvollen Wegen zu suchen ist, um in diesem Rahmen
eine Stärkung der Länderkompetenz vorzunehmen.
1.
Bestandsaufnahme
Der Bund hat nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 GG unter den Voraussetzungen des Art. 72
Abs. 2 GG die Gesetzgebungskompetenz u.a. für die "Förderung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung".
Der Titel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 GG wurde vom Parlamentarischen Rat im Wesentlichen
vor dem Hintergrund der kriegsbedingten Lebensmittelknappheit und aufbauend auf dem
grundlegenden Teilbereich „Sicherung der Ernährung“ eingefügt, mit dem die Landwirtschaftsförderung eng zusammenhängt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat die "Förderung der landwirtschaftlichen Erzeugung" in erster Linie "positiv gestaltende Maßnahmen" finanzieller,
organisatorischer oder marktlenkender Art zum Gegenstand, schließt aber weitergehende
Regelungen nicht aus 47.
Der Begriff der „Erzeugung“ betrifft die sog. Urproduktion im Gegensatz zu Handel, Gewerbe und gewerblicher Verarbeitung, die zumeist unter den Aspekt “Sicherung der Ernährung“ in Nr. 17 fallen bzw. dem „Recht der Wirtschaft“ in Nr. 11 zugehören. Die Begriffe
47
BVerfGE 88, 366, 379.
Förderung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung
Seite 90
„Land- und Forstwirtschaft“ bedeuten die auf die Gewinnung pflanzlicher und tierischer
Urerzeugnisse gerichtete Bodenbewirtschaftung und Bodennutzung.
Ob die ersten vier in Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 GG aufgezählten Gegenstände eine umfassende Kompetenz für die gesamte Agrar- und Forstwirtschaft einräumen, ist umstritten48.
Zum Bereich " Förderung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung" sind zahlreiche
Bundesgesetze erlassen worden. Darunter befinden sich u.a.:
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
das Bundeswaldgesetz
das Absatzfondsgesetz
das Forstschäden-Ausgleichsgesetz
Teile des Grundstückverkehrsgesetzes
das Gesetz zur Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisation
das Tierzuchtgesetz
das Landwirtschaftsgesetz
das Vieh- und Fleischgesetz
das Düngemittelgesetz
das Handelsklassengesetz
das Rindfleischetikettierungsgesetz
das Öko-Landbaugesetz
das Öko-Kennzeichengesetz
das Flurbereinigungsgesetz
das Lebensmittelspezialitätengesetz
Diese Gesetze stützen sich im allgemeinen jedoch nicht nur auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 GG,
vor allem nicht ausschließlich auf den dortigen Teilbereich „Förderung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung“. Überschneidungen ergeben sich teilweise mit dem Teilbereich „Sicherung der Ernährung“ sowie mit den Kompetenzbereichen aus Art. 74 Abs. 1
Nr. 11 GG (Recht der Wirtschaft), Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG (Grundstücksverkehr, Bodenrecht) oder Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und 4 GG (Jagdwesen, Naturschutz, Landschaftspflege bzw. Bodenverteilung, Raumordnung, Wasserhaushalt).
Das Agrarrecht ist darüber hinaus in erheblichem Maße EU-rechtlich überlagert.
Von den Möglichkeiten zur Rückübertragung von Kompetenzen an die Länder nach Art. 72
Abs. 3 und Art. 125 a Abs. 2 GG hat der Bund bislang keinen Gebrauch gemacht. Der Ge48
dafür: Maunz, GG, Art. 74, S. 91f; Jarass/Pieroth, GG, 6. Aufl., Art. 74 Rz. 36; dagegen: Dreier, GG, Art.
74 Rz. 78 m.w.N.
Seite 91
Förderung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung
setzentwurf des Bundesrates zur Umsetzung des Artikels 125a Abs. 2 des Grundgesetzes
(BT-Drs. 14/2442 vom 23.12.1999), der u.a. vorsah, im Vieh- und Fleischgesetz die Regelungen über die Bekanntgabe der Groß- und Schlachtviehmärkte, die Markttage und
Marktzeiten sowie die Vorschriften über das Marktgebiet dem Landesrecht zu öffnen, ist
mit Ablauf der 14. Legislaturperiode der Diskontinuität unterfallen.
2.
Problembeschreibung
In Bereich der Agrarwirtschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten ein bedeutender Strukturwandel vollzogen. Das tragende Argument aus der Vergangenheit für eine Zuständigkeit des Nationalstaates für die Agrarpolitik, nämlich die nationale Vorsorge vor Hungersnöten, hat im Lichte des agrarwirtschaftlichen Fortschrittes, der Gemeinsamen Agrarpolitik
- vor allem der Gemeinsamen Organisation der Agrarmärkte - und mit Blick auf die Globalisierung heute nunmehr bedingt Bestand. Angesichts dieses landwirtschaftlichen Strukturwandels, der unterschiedlichen landwirtschaftlichen Gegebenheiten innerhalb Deutschlands und sonstiger standortbedingter und klimatischer Unterschiede in der Landwirtschaft
sind bundeseinheitliche Rechtsregelungen im Bereich der land- und forstwirtschaftlichen
Erzeugung nach Ansicht der Länder vielfach nicht zwingend geboten.
Nach Ansicht des Bundes würden Kompetenzänderungen in diesem Bereich zu einer Reihe von Problemen führen. Insbesondere bestehen erhebliche Überschneidungen des
Kompetenztitels in Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 GG mit dem "Recht der Wirtschaft" in Art. 74 Abs.
1 Nr. 11 GG, so dass sich ggfs. die Frage der Konkurrenz der Kompetenztitel stellen würde. Darüber hinaus ergäben sich erhebliche Probleme mit der effektiven Umsetzung von
EU-Recht, das gerade in diesem Bereich von besonderer Bedeutung ist.
Eine Erweiterung von Länderkompetenzen kommt nach Ansicht der Länder vor dem Hintergrund einer verstärkten Berücksichtigung regionaler Besonderheiten sowohl im land- als
auch im forstwirtschaftlichen Bereich in Betracht. Für die Landwirtschaft gilt dies jedenfalls für
diejenigen Teilbereiche, die die Ordnung des Bodens betreffen (Grundstücksverkehrsgesetz,
Flurbereinigungsgesetz).
Die Einräumung darüber hinaus gehender Länderkompetenzen hängt im Wesentlichen von
der Bewertung der Verwobenheit des Agrarrechts mit anderen Kompetenzbereichen, vor allem mit dem Recht der Wirtschaft (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG), und der engen EU-Verflechtung
ab:
Förderung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung
Seite 92
a) Bezugswirkungen zum Recht der Wirtschaft (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG)
Überschneidungen des Kompetenzbereichs der Förderung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung zum Recht der Wirtschaft bestehen in vielfacher Weise - zumal Förderungsmaßnahmen der land- und forstwirtschaftlichen Urproduktion in der
Regel unmittelbare oder mittelbare Auswirkungen auf den land- und forstwirtschaftlichen Markt haben. Ziel einer Förderung ist in der Regel neben der Verbesserung von
Quantität und von Qualität auch eine Stärkung der Konkurrenzkraft des geförderten Bereichs. Abgrenzungsfragen zum Rechts der Wirtschaft konnten aufgrund der gleichgerichteten (Bundes)Kompetenz bislang offen bleiben49.
Eine Beibehaltung von Bundeskompetenzen erscheint nach Ansicht der Länder in diesem Bereich im Hinblick auf das überregionale Marktgeschehen und im Interesse der
Rechts- und Wirtschaftseinheit (Wettbewerbsgleichheit) für solche Maßnahmen sinnvoll, deren Schwerpunkt in erster Linie bei der Absatzförderung eines bereits erzeugten
Produkts und nur nachrangig bei der Förderung der Urproduktion zu sehen ist, namentlich also bei der gesetzlichen Festlegung länderübergreifender Handelsbedingungen
und Maßnahmen der Qualitätssicherung (Klassifizierungen, Standardisierungen, Bezeichnungsschutz). Derartige Maßnahmen wurden bislang (auch) auf den Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 GG gestützt (vgl. z.B. Vieh- und Fleischgesetz, Handelsklassengesetz, Rindfleischetikettierungsgesetz, Öko-Kennzeichengesetz).
b) EU-Verflechtungen
1. Säule (Agrarmarktpolitik)
Das CdS-Papier vom 21. September 2001 nimmt ausdrücklich die "Fragen der Regelung des Marktes" aus der Betrachtung heraus. Dort soll es bei der Bundeskompetenz
bleiben. Auf dieser Linie liegen auch die Länderempfehlungen zu den Themen des
Konvents zur Zukunft der Europäischen Union. Dort wird betont, dass die Agrarmarktpolitik, d.h. die staatlichen Eingriffe in die Agrarmärkte und die Agraraußenhandelsfragen, der ausschließlichen Kompetenz der Gemeinschaft zugeordnet werden sollen
(siehe Drs. 586/02 vom 20. Juni 2002 und Beschluss des Bundesrates vom 12. Juli
2002).
49
vgl. BVerfGE 18, 315, 327; 37, 1, 17; 82, 159, 182
Seite 93
Förderung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung
2. Säule (Agrarstruktur- und Agrarumweltpolitik)
Die Agrarstruktur- und die Agrarumweltpolitik zeichnen sich heute durch eine ausgeprägte Verflechtung bei der Zielbestimmung, Durchführung und Finanzierung auf der
Ebene der Europäischen Union, des Bundes und der Länder aus.
Die "Eckpunkte der Regierungschefs der Länder zur Zukunft der Struktur- und Wettbewerbspolitik der EU nach 2006", die ein Ergebnis der MPK vom 23./25. Oktober 2002
sind, sehen die Forderung nach einer konsistenten Gestaltung der strukturpolitischen
Maßnahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik mit der zukünftigen europäischen Strukturpolitik vor. Diese Eckpunkte betonen ferner die Zusammenhänge zwischen der Diskussion über die Struktur- und Wettbewerbspolitik der EU nach 2006 sowie den Überlegungen zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung. Wie bei der Strukturpolitik ist auch hier eine Erhöhung des regionalpolitischen Gestaltungsspielraumes der
Länder erforderlich.
Wohnungswesen
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Wohnungswesen
Auftrag
Länder: Eine Bestandsaufnahme und Problembeschreibung zur bisherigen Handhabung dieses Teilbereichs
aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG im Zusammenhang mit allgemeinen, die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz betreffenden Punkten ist zu erstellen (vgl. CdS-Papier, Ziffer 1.2.2, 1.3).
Berichterstattung: HB, SN, ST
Vorbemerkung
Die berichterstattenden Länder und der Bund sind sich einig, dass mit Art. 104 a Abs.3 und
Abs. 4 des Grundgesetzes in Zusammenhang stehende Fragen in der Arbeitsgruppe „Finanzen“ behandelt werden. Zusätzlich ist darauf hinzuweisen, dass innerhalb des Wohnungswesens das Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz als wohnungspolitisch begründete Sozialleistung auch Bezüge zum Kompetenztitel der öffentlichen Fürsorge des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7
GG aufweist. Wegen der engen fachlichen Verknüpfung mit den Aspekten des Wohnungswesen wird der Bereich des Wohngeldes jedoch bei diesem Kompetenztitel aufgeführt.
I.
Bestandsaufnahme
Der Bund hat nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG unter den Voraussetzungen des Art. 72
Abs. 2 GG die Gesetzgebungskompetenz u.a. für "das Wohnungswesen".
Das Bundesverfassungsgericht hat zur Auslegung dieser Vorschrift nicht abschließend
Stellung genommen und lediglich entschieden, dass sich die Kompetenz nur auf Angelegenheiten erstrecke, die sich auf zu Wohnzwecken dienende Gebäude beziehe (BVerfGE
3, 407, 416).
Der Bund hat u.a. mit folgenden Gesetzen von dieser Kompetenz Gebrauch gemacht:
-
Wohnraumförderungsgesetz,
Wohngeldgesetz,
Altschuldenhilfe-Gesetz.
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Wohnungswesen
Wohnraumförderungsgesetz
Der Bund hat von seiner Gesetzgebungskompetenz mit dem Erlass des Gesetzes über die
soziale Wohnraumförderung (Wohnraumförderungsgesetz - WoFG), durch das das Zweite
Wohnungsbaugesetz (II. WoBauG) abgelöst wurde, Gebrauch gemacht. Der soziale Wohnungsbau ist mit dem neuen Recht zu einer sozialen Wohnraumförderung weiterentwickelt
worden, durch die der vorhandene Bestand an Wohnraum stärker als bisher für die Lösung von Wohnraumversorgungsproblemen herangezogen wird. Zweck des am 1. Januar
2002 in Kraft getretenen Wohnraumförderungsgesetzes ist die Förderung des Wohnungsbaus und anderer Maßnahmen zur Unterstützung von Haushalten, die sich am Markt nicht
angemessen mit Wohnraum versorgen können. Hierfür gewährt der Bund den Ländern
Finanzhilfen (Art. 104a Abs. 4 GG i. V. m. §§ 1 und 38 WoFG).
Das Wohnraumförderungsgesetz eröffnet den Ländern an grundlegenden Punkten die
Möglichkeit, eigene Regelungen zu treffen, um den örtlichen und regionalen Verhältnisse
angemessen Rechnung tragen zu können. Im Wohnraumförderungsgesetz ist nur ein Teil
der für die soziale Wohnraumförderung erforderlichen Regelungen enthalten, d. h., die
Förderung wird auf der Grundlage des Wohnraumförderungsgesetzes und der zu diesem
Gesetz erlassenen Vorschriften der Länder durchgeführt (§ 5 Abs. 1 WoFG). Die bundesrechtlichen Vorschriften haben dabei im Wesentlichen rahmenrechtlichen Charakter und
enthalten nur insoweit bindende Regelungen, als sie für die Festlegung des Gesetzeszwecks und den Vollzug der Förderung bundesrechtlich erforderlich sind. Bindend für die
Länder sind im Wesentlichen die Vorschriften über den Zweck und den Anwendungsbereich, die Zielgruppe der Förderung, die Fördergegenstände, die Fördermittel, die allgemeinen Anforderungen an den Förderempfänger sowie Begriffsbestimmungen einschließlich der Einkommensermittlungsvorschriften.
Die weiteren Vorschriften des Wohnraumförderungsgesetzes können durch die Länder
konkretisiert, ergänzt oder modifiziert werden, vor allem zur Konkretisierung der im Wohnraumförderungsgesetz allgemein umschriebenen Zielgruppe, zur Nutzung der Möglichkeit,
von den bundesrechtlichen Einkommensgrenzen nach Maßgabe allgemeiner Voraussetzungen Abweichungen festzulegen, zur Umsetzung der der Abwägung der Länder unterliegenden Fördergrundsätze, zur Ausgestaltung der von den Ländern zu entscheidenden
Fördermodalitäten in der Förderzusage und zur Anwendung der Instrumente zur Sicherung der Förderung. Soweit Regelungsbereiche nicht ohnehin vollständig den Ländern
überlassen sind, haben die Länder die Möglichkeit, die Konkretisierungen, Ergänzungen
und Modifizierungen unter Berücksichtigung der unterschiedlichen örtlichen und regionalen wohnungswirtschaftlichen Verhältnisse vorzunehmen.
Wohnungswesen
Seite 96
Das Wohnungsbindungsgesetz und das Gesetz über den Abbau von Fehlsubventionierungen haben nur noch für den vorhandenen Bestand an Sozialwohnungen, die auf
Grundlage des Zweiten Wohnungsbaugesetzes gefördert wurden, Bedeutung. Auf Förderungen nach dem Wohnraumförderungsgesetz finden sie keine Anwendung. Diese Gesetze sind ebenfalls auf Grundlage des Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG erlassen worden.
Wohngeldgesetz
Des Weiteren hat der Bundesgesetzgeber aufgrund des Art. 74 GG das Wohngeldgesetz
erlassen, das zuletzt 2002 mit Wirkung vom 1. Januar 2003 geändert worden ist.
Das Wohngeld ist eine wohnungspolitisch begründete Sozialleistung. Es wird nach § 1
Abs. 1 WoGG zur wirtschaftlichen Sicherung eines angemessenen und familiengerechten
Wohnens als Miet- oder Lastenzuschuss zu den Aufwendungen für den Wohnraum geleistet. Darüber hinaus gehen vom Wohngeld auch indirekt investive Wirkungen aus.
Es erfolgt eine hälftige Kostenerstattung durch den Bund für das von den Ländern gezahlte
Wohngeld (Art. 104a Abs. 3 S. 2 GG in Verbindung mit § 34 WoGG). Zum Ausgleich der Finanzierung der Grundsicherung übernimmt der Bund von der den Ländern verbleibenden
Hälfte ab 1. März 2003 jährlich einen Festbetrag von 409 Mio. €, der auf die Länder entsprechend ihren Aufwendungen für den besonderen Mietzuschuss (Wohngeld für Sozialhilfeempfänger u. a.) aufgeteilt wird (§ 34 Abs. 2 WoGG 2003).
Altschuldenhilfe-Gesetz
Der Bund hat ferner im Hinblick auf die neuen Länder unter Inanspruchnahme der zeitlich
befristeten Sonderregelung des Art. 143 GG die Regelungen zur Entlastung der Wohnungswirtschaft von Altschulden im Rahmen des Solidarpaktes I durch das Altschuldenhilfe-Gesetz vom 23. Juni 1993 als einigungsbedingtes Übergangsrecht geschaffen. Er hat
mit dem Gesetz ein Instrumentarium zur Teilentlastung der ostdeutschen Wohnungswirtschaft mit dem Ziel der Sicherung und Wiederherstellung der Investitionsfähigkeit der
Wohnungsunternehmen bereit gestellt. Der Übergang der Altschulden mit der Rechtseinheit Deutschlands auf die wohnungswirtschaftlichen Unternehmen und Genossenschaften
beruht darauf, dass die Kommunen, auf die die Wohnungsbestände nach Art. 22 Abs. 4
Satz 3 des Einigungsvertrages (EV) im Wege der Gesamtrechtsnachfolge zunächst übergegangen waren, dieses Vermögen aufgrund der Verpflichtung nach Art. 22 Abs. 4 Satz 4
EV privatisiert haben. Dass im Rahmen dieser Privatisierung die Altschulden kraft Gesamtrechtsnachfolge auf die Unternehmen und Genossenschaften übergegangen sind,
Seite 97
Wohnungswesen
entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 95,
267).
II.
Problembeschreibung aus Sicht der Länder
Gegenstand der Problembeschreibung ist nach Ansicht der Länder die Beurteilung der
Ausschöpfung der verbesserten verfassungsrechtlichen Möglichkeiten nach der Verfassungsreform 1994 und die Bedarfsprognose, inwiefern die Kompetenzmaterie aktuell oder
in absehbarer Zeit weiterer konkreter bundeseinheitlichen Regelung bedarf. In diesem
Sinne werden im folgenden auch Probleme der einfach-gesetzlichen Umsetzung der Bundeskompetenz dargestellt.
1)
Struktureller Wohnungsleerstand
Nach Ansicht der Länder wurde die Reform des Wohnungsbaurechts (Inkrafttreten des
Wohnraumfördergesetzes [WoFG] zum 1. Januar 2002) von der wirtschaftlichen und der
demografischen Entwicklung in den neuen Ländern, aber auch von einigen Regionen in
den westlichen Ländern, teilweise überholt. Zwar bedürfen Haushalte, die aus unterschiedlichen Gründen Marktzugangsprobleme haben und sich nicht selbst angemessen
mit Wohnraum versorgen können, nach wie vor der Unterstützung. Inzwischen müssen
aber auch Überlegungen angestellt werden, wie dem wohnungswirtschaftlich und städtebaulich ebenfalls drängenden Problem des Wohnungsleerstandes Rechnung getragen
werden kann. Das Wohnungsbaurecht eröffnet zwar die Möglichkeit der Förderung von
Umbauten oder Modernisierung von Wohnraum mit der Verpflichtung einer Verzahnung
mit dem Städtebau. Darüber hinaus stellt dieses Gesetz – durch seine Einschränkung allein auf die soziale Wohnraumförderung – dazu jedoch keine weiteren Instrumentarien
bereit.
2)
Wohnraumförderung
Nach Ansicht der Länder waren die grundlegend geänderten wohnungswirtschaftlichen Verhältnisse Ausgangslage für die Reform des sozialen Wohnungsbaus im Jahre 2001. Im Hinblick darauf, dass ein mittlerweile weitgehend funktionsfähiger Wohnungsmarkt die Wohnungsversorgung der überwiegenden Mehrheit gewährleistet, sollte Ziel der Förderung nicht
mehr die Beseitigung des allgemeinen Wohnungsmangels sein, sondern die Unterstützung
von Haushalten, die aus unterschiedlichen Gründen Marktzugangsprobleme haben und sich
nicht selbst mit angemessenem Wohnraum versorgen können. Das bis dahin geltende Recht
Wohnungswesen
Seite 98
hatte sich zudem in einigen Teilen als zu starr erwiesen, um den regional differenzierten Anforderungen an eine zielgenaue Förderung gerecht zu werden.
Einige Länder vertreten die Auffassung, dass die Reform des Wohnungsbaurechts nicht in
allen Punkten die für eine zeitgemäße soziale Wohnraumförderung erforderlichen, oben
beschriebenen Spielräume eröffnet habe, da in etlichen Regionen nach wie vor die Schaffung neuen Wohnraumes im Vordergrund stehe, in anderen Regionen aber Maßnahmen
im Bestand Vorrang hätten.
3)
Wohngeld
Die Frage einer Reform des Wohngeldes (Gesamtübernahme) wird im Rahmen der AG
„Finanzen“ - Abbau von Mischfinanzierungen (VI. Finanzhilfen für die soziale Wohnraumförderung) - behandelt.
4)
Altschuldenhilfe-Gesetz
Nach Ansicht der Länder reagierte mit der Novellierung des Altschuldenhilfe-Gesetzes im
Jahr 2000 und der Einführung des § 6a AHG der Bund auf den strukturellen Wohnungsleerstand in den neuen Ländern und schuf für Wohnungsunternehmen unter bestimmten
Voraussetzungen die Möglichkeit einer zusätzlichen Entlastung von Altverbindlichkeiten.
Die Problematik des Wohnungsleerstandes ist im Übrigen Gegenstand des Bund-LänderProgramms „Stadtumbau Ost“; hier ist den Ländern die Möglichkeit eingeräumt worden,
bei entsprechendem Bedarf, landesrechtliche Regelungen zu erlassen (Art. 72 Abs. 1
GG).
Nach der geltenden Rechtslage und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
steht fest, dass die wohnungswirtschaftlichen Unternehmen und Genossenschaften
Schuldner der in der DDR für den betreffenden Wohnungsbestand gewährten Kredite sind.
Damit werden den Verfügungsberechtigten dauerhaft Lasten für die historisch überholte
frühere zentralstaatlich gelenkte Siedlungspolitik aufgebürdet. Die Wohnungswirtschaft
muss heute noch für Verbindlichkeiten für einen Wohnungsbau einstehen, der nicht auf
kommunaler Selbstverwaltung, geschweige denn unternehmerischer Eigenverantwortung
beruhte, sondern einer staatsplanwirtschaftlichen Standort- und Siedlungsentwicklungspolitik entsprach.
Seite 99
Wohnungswesen
Im Bereich der Altschuldenhilfe wird dadurch die Effektivität des Handelns vornehmlich
von starren rechtlichen Bindungen durch bundesrechtliche Vorgaben bestimmt. An eine
weitere Entlastung der Wohnungswirtschaft werden durch die auf dem § 6a AHG beruhende Altschuldenhilfeverordnung Bedingungen geknüpft, die keine Rücksicht auf länderund regionalspezifische Besonderheiten nehmen (zum Beispiel Annahme einer Insolvenzgefährdung durch Leerstand bei Leerstand ≥ 15 % des Wohnungsbestandes). Eine Lockerung der Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme der Hilfen verspricht jedoch voraussichtlich nur im Falle einer weiteren Aufstockung mit Bundesmitteln und Ländermitteln
mindestens in gleicher Höhe zusätzliche Effekte. Länderflexiblere Regelungen könnten
ggf. fachpolitisch erhebliche Vorteile bringen. So könnten die neuen Länder eigene Kriterien als Voraussetzung für die Gewährung einer weiteren Teilentlastung festlegen. Die
Annnahme einer Insolvenzgefährdung infolge einer Leerstandsrate der Wohnungsunternehmen ab 15 % ist zu abstrakt. Sie nimmt zu wenig Rücksicht auf diejenigen Wohnungsunternehmen, die weniger Leerstand haben, gleichwohl existenzgefährdet sind und auf
eine weitere Entlastung von Altschulden angewiesen sind, um am Stadtumbau teilnehmen
zu können.
5)
Regionalisierung
Wie beschrieben sind die regionalen Unterschiede groß. In einigen Gebieten herrscht
Wohnungsüberangebot bzw. Wohnungsleerstand, in anderen Wohnungsmangel. Das
Bundesrecht eröffnet zwar viele Möglichkeiten, auch im Hinblick auf die Verzahnung mit
der Stadtentwicklung, auf länderspezifische Besonderheiten einzugehen. Nach Ansicht der
jeweils durch die regionalen Besonderheiten betroffenen Länder, erweist sich das Bundesrecht jedoch manchmal als zu starr.
Nach Ansicht der Länder ist daher zu prüfen, ob alle oder einige dieser stark divergierenden regionalspezifischen Besonderheiten nicht besser auf der Ebene der Länder gelöst
werden können bzw. den Ländern durch eine grundgesetzlich abgesicherte Zugriffsklausel
oder durch Länderöffnungsklauseln erweiterte Spielräume für spezifisches Landesrecht
eröffnet werden sollen.
III.
Position des Bundes
zu 1) Wohnungsleerstand
Wohnungswesen
Seite 100
Der Bund widerspricht der Auffassung, dass die Reform des Wohnungsbaurechts durch
die demographische und wirtschaftliche Entwicklung überholt wurde. Nach wie vor bedürfen Haushalte, die aus unterschiedlichen Gründen Marktzugangsprobleme haben und sich
nicht selbst angemessen mit Wohnraum versorgen können, der Unterstützung. Dies bestätigt die aktuelle Situation in den regional unterschiedlichen Wohnungsmärkten; hierauf
kann mit dem neuen Wohnraumförderungsgesetz situationsgemäß reagiert werden, was
auch Zweck der Reform gewesen ist. Auf den strukturellen Wohnungsleerstand in den
neuen Ländern reagierte der Bund unter anderem mit der Einführung des § 6a AHG. Die
Problematik des Wohnungsleerstandes ist im Übrigen Gegenstand des Bund-LänderProgramms „Stadtumbau Ost“. Darüber hinaus ist den Ländern nach dem Grundgesetz
das Recht gegeben, bei entsprechendem Bedarf landesrechtliche Regelungen zu erlassen
(Art. 72 Abs. 1 GG), denn weitere bundesrechtliche Regelungen, die die Gesetzgebungskompetenz der Länder ausschließen würden, existieren insoweit nicht. Aus Sicht des Bundes stellt die Kompetenzabgrenzung zwischen Bund und Ländern im Bereich des Wohnungsleerstandes daher kein Problem dar.
zu 2) Wohnraumförderung
Der Bund weist darauf hin, dass er – wie die Ausgestaltung des WoFG belegt – mit den
Ländern in der Auffassung übereinstimmt, dass sowohl die Schaffung neuen Wohnraums
als auch die Bestandsförderung erforderlich sind. Den Ländern wurden im WoFG zur Ausgestaltung der Förderung alle erforderlichen Spielräume gelassen; insofern ist eine andere
Rechtslage als nach dem früheren Zweiten Wohnungsbaugesetz entstanden. Den Ländern wird nach neuem Recht eine zielgenaue und effiziente Reaktion auf die regional und
örtlich unterschiedlichen wohnungswirtschaftlichen Verhältnisse ermöglicht. Hierbei stehen
die Förderung der Schaffung neuen Wohnraums und die Förderung von Maßnahmen im
Bestand gleichberechtigt nebeneinander und sind flexibel einsetzbar.
zu 3) Wohngeldgesetz
Der Bund weist darauf hin, dass in der AG Finanzen unter „Ziff. VI Finanzhilfen für die
soziale Wohnraumförderung“ Finanzhilfen des Bundes nach dem Wohnraumförderungsgesetz auf der Grundlage von Art. 104 a Abs. 4 GG behandelt werden. Das Wohngeldgesetz wird derzeit im Rahmen der AG Finanzen in Form einer Bestandsaufnahme unter
dem Stichwort „Geldleistungsgesetze“ behandelt. Ob es im Rahmen späterer Erörterungen zu einer Änderung der Finanzierungsanteile von Bund und Ländern kommt, ist offen.
Seite 101
Wohnungswesen
zu 4) Altschuldenhilfe-Gesetz
Der Bund weist darauf hin, dass es sachgerecht war, im Einigungsvertrag den Übergang
des Eigentums an den volkseigenen Wohnungsbeständen mit dem Übergang der Wohnungsbauschulden zu verknüpfen. Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach bestätigt, dass es sich bei den Wohnungsbaukrediten der ehemaligen DDR um Kredite im Sinne unserer Rechtsordnung handelt. Quelle der Wohnungsbaukredite waren die
Spareinlagen der Bevölkerung bei den Sparkassen gewesen, die nicht gestrichen, sondern halbiert wurden. Entsprechend war mit den darauf beruhenden Krediten zu verfahren
gewesen. Nach Ansicht des Bundes handelt es sich bei den angeführten Problemen im
Wesentlichen um einfach-rechtliche Fragen, deren Lösung ggf. auf anderen Ebenen und
nicht im Rahmen einer Kompetenzdiskussion erfolgen muss. Die Kompetenzordnung des
Grundgesetzes erlaubt die Berücksichtigung von regionalen Besonderheiten, sei es dadurch, dass durch bundesgesetzliche Regelungen regional divergierende Vorschriften geschaffen oder zugelassen werden, sei es dadurch, dass der Bund nach Art. 72 Abs. 1 GG
die ihm zustehende Gesetzgebungskompetenz nicht voll ausschöpft und den Ländern
kraft Verfassung Bereiche zur eigenen Regelung überlässt. Der Bund weist im übrigen
darauf hin, dass es sich bei der Regelung des Altschuldenhilfegesetzes um eine spezifisch
einigungsbedingte und auf die neuen Länder sowie zeitlich begrenzte Materie handelt.
zu 5) Regionalisierung
Der Bund widerspricht der Auffassung, dass das Bundesrecht zu starr sei. Das Wohnraumförderungsgesetz beschränkt sich auf die absolut notwendigen Regeln, habe zu einer
sehr weit reichenden Reduzierung der bundesrechtlichen Vorschriften in diesem Bereich
geführt und trägt damit wesentlich zur Rechtsvereinfachung im Wohnungswesen bei. Den
Ländern haben bei der Ausgestaltung der Förderung weitaus größere Spielräume gelassen als nach dem früheren Zweiten Wohnungsbaugesetz. Hinsichtlich des Wohnungsleerstandes wird auf die Ausführungen zu a) verwiesen, hinsichtlich des Altschuldenhilfegesetzes auf die zu d).
Regelungskompetenz im Bereich der Heilberufe
Seite 102
Regelungskompetenz im Bereich der Heilberufe
Auftrag
Bund: Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Einstweiligen Anordnung vom 22. Mai 2001 - 2 BvQ 48/00
- das Inkrafttreten des Altenpflegegesetzes suspendiert. Kompetenzgrundlage für das Altenpflegegesetz ist
insbesondere Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG, wonach der Bund die Gesetzgebungskompetenz u.a. für die Zulassung zu Heilberufen hat. Sofern das Gericht im Hauptsacheverfahren zur Auffassung gelangen sollte, für
das Gesetz bestehe keine Bundeskompetenz, wäre zu untersuchen, ob dadurch Probleme entstehen.
Länder: Eine Bestandsaufnahme und Problembeschreibung zur bisherigen Handhabung des Teilbereichs
aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG, „Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe“, im
Zusammenhang mit allgemeinen, die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz betreffenden Punkten ist zu
erstellen (vgl. CdS-Papier, Ziffer 1.2.2).
Berichterstattung: Bund, BY
I.
Bestandsaufnahme
Der Bund hat nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG unter den Voraussetzungen des Art. 72
Abs. 2 GG die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz u.a. für „die Zulassung zu
ärztlichen und anderen Heilberufen".
Der Bund hat u.a. mit folgenden Gesetzen von dieser Kompetenz Gebrauch gemacht 50:
-
Altenpflegegesetz,
Bundesärzteordnung,
Bundes-Apothekerordnung,
Bundes-Tierärzteordnung,
Hebammengesetz,
Orthoptistengesetz,
Rettungsassistentengesetz,
Ergotherapeutengesetz,
Diätassistentengesetz,
Gesetz über den Beruf der Logopäden,
Gesetz über den Beruf des pharmazeutisch-technischen Assistenten,
Gesetz über die Ausübung der Zahnheilkunde,
Krankenpflegegesetz,
Masseur- und Physiotherapeutengesetz,
Heilpraktikergesetz (vorkonstitutionell),
MTA-Gesetz,
Psychotherapeutengesetz51,
Podologengesetz52.
50
Vgl. v.Mangoldt/Klein/Pestalozza, GG, 3. Aufl.1996, Art. 74 Abs. 1 Nr. 19, RdNr. 1351.
51
Vgl. BT-Drucksache 13/8035, S. 15.
52
Vgl. BT-Drucksache 14/5593, S. 8f.
Seite 103
Regelungskompetenz im Bereich der Heilberufe
Der Heilberufsbegriff ist nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 53 weit auszulegen. Sinn und Zweck des Heilpraktikergesetzes, das für die
Auslegung der Begrifflichkeiten in Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 herangezogen werden
kann54, war und ist es, möglichst jede nicht-ärztliche Tätigkeit auf dem Gebiet der
Heilkunde zu erfassen55. Diesen Zweck verfolgten auch die Vertreter in den Ausschüssen bei der Grundgesetzfassung zu Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG56.
Die „Zulassung“ zu ärztlichen und anderen Heilberufen umfasst die Vorschriften, die
sich auf Erteilung, Zurücknahme und Verlust der Approbation und auf die Befugnis
zur Ausübung des Heilberufs beziehen57. Nach der jüngsten Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts 58 werden hiervon auch das Prüfungswesen und - in eingeschränktem Umfang (lediglich Regelung von Mindeststandards) - auch Ausbildungsregelungen erfasst. . Regelungen der ärztlichen Weiterbildung nach Erteilung
der Approbation zählen dagegen zur Berufsausübung, die in die ausschließliche Gesetzgebung der Länder fällt.
II.
Problembeschreibung
Das Grundgesetz weist die Gesetzgebungskompetenz zur Berufszulassung nur in
wenigen aufgeführten Bereichen dem Bundesgesetzgeber im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung zu, vgl. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 (Richter, Rechtsanwälte, Notare),
Nr. 11 (Recht der Wirtschaft) und Nr. 19 (ärztliche und andere Heilberufe). In den übrigen Bereichen, die im Interesse der Gemeinschaft reglementierungsbedürftig sind, z.
B. weil sie für die Allgemeinheit sicherheitsrelevant sind, ist die Berufszulassung nach
Art. 70 Abs. 1 GG allgemein dem Landesgesetzgeber vorbehalten (z. B. Architektenwesen, Ingenieurwesen, Berufsbilder im Bereich Agrarwissenschaften, Lebensmittelchemie oder Biochemie etc.).
53
Vgl. Urteil vom 24.10.2002, 2 BvF 1/01, Rdnr. 168, zum Altenpflegegesetz.
54
Vgl. Urteil vom 24.10.2002, a.a.O. (Fn. 6), Rdnr. 159
55
Vgl. Urteil vom 24.10.2002, a.a.O. (Fn.6), Rdnr. 168 unter Berufung auf BVerfGE 78, 179, 192.
56
Vgl. Urteil vom 24.10.2002, a.a.O. (Fn.6), Rdnr. 168 unter Berufung auf das Protokoll der 7. Sitzung des
Hauptausschusses vom 23. November 1948, Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, Bonn 1948/1949, S. 83, 90 f.
57
BVerfGE 33, 125, 154f.
58
Urteil vom 24.10.2002, a.a.O. (Fn.6), Rdnr. 268 ff.
Regelungskompetenz im Bereich der Heilberufe
Seite 104
Normativer Regelungsbedarf für den Bereich der Heilberufe besteht zum einen aus
der staatlichen Schutzverpflichtung (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG), um die für die Gesundheit und körperliche Unversehrtheit der Bevölkerung unverzichtbare Berufsqualifikation und persönliche Zuverlässigkeit sicherzustellen, zum anderen aus Gründen
der Daseinsvorsorge, um die flächendeckende Versorgung mit Heilberufen zu gewährleisten.
In der Staatspraxis wird dieser Regelungsauftrag teilweise vom Bund, der von seiner
Gesetzgebungskompetenz in diesem Bereich in weitreichendem Umfang Gebrauch
gemacht hat, und teilweise von den Ländern wahrgenommen. Soweit der Bund die
Reglementierung von Heilberufsbildern vorgenommen hat, ist dies vielfach in Bereichen erfolgt, die zuvor lange Zeit landesrechtlich erprobt waren (so zuletzt beim zuvor nur in Bayern und Niedersachsen landesrechtlich geregelten Beruf des Podologen/med. Fußpflegers).
In der Regelungskompetenz der Länder belassen wurden nicht selten Berufsbilder,
die den vom Bundesgesetzgeber geregelten nahe verwandt sind. Ein sachlicher
Grund für die differenzierte Regelungszuständigkeit lässt sich hier oftmals nur schwer
erkennen. So wird beispielsweise die Berufszulassung des Biochemikers und Rettungssanitäters landesrechtlich, die des Apothekers und Rettungsassistenten dagegen bundesrechtlich geregelt.
Soweit Berufsbilder landesrechtlich normiert sind, haben sich nach Ansicht der Länder die Regelungen in der Vergangenheit bewährt (in Bayern z. B. Rettungssanitäter,
Kneipp-Bademeister). Notwendige länderübergreifende Regulierungen, z. B. zur Sicherung einheitlicher Qualitätsstandards oder Anerkennung gleichwertiger Berufsabschlüsse, Prüfungszeugnisse oder sonstiger Befähigungsnachweise, werden im Wege der Länderkooperation vorgenommen.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind nach Ansicht der Länder Umstände, die gegen
die Einräumung zusätzlicher Länderkompetenzen sprechen könnten, nicht ersichtlich. Mit einer Erweiterung ihrer Zuständigkeiten würde den Ländern bei der Regelung von Berufsbildern (unter Beachtung der Vorgaben des Art. 12 Abs. 1 GG und
des Mindestrahmens EU-rechtlicher Vorschriften) weitergehender Gestaltungsspielraum zugestanden. So könnte ihnen beispielsweise auch (in grundgesetzlich abgesicherter Form) ermöglicht werden, im Bedarfsfall von Bundesrecht abweichendes
Landesrecht zu schaffen (vgl. hierzu etwa die Bemühungen Bayerns zur Beibehaltung der allgemeinen Hochschulreife als Prüfungszulassungsvoraussetzung für medizinische Studiengänge, BR- Drs. 501/2/99).
Seite 105
Regelungskompetenz im Bereich der Heilberufe
Nach Ansicht der Länder ist in diesem Zusammenhang auf die seit einiger Zeit erfolgende Einführung von Modellklauseln in Ausbildungs- und Prüfungsordnungen verschiedener Heilberufe hinzuweisen (§ 36 a ÄAppO a.F., § 41 ÄAppO n.F.; § 8 Abs. 3
ÄAppO, § 5 Abs. 3 KrPflG), die es den Ländern unmittelbar bzw. den Universitäten mit Genehmigung der zuständigen Landesbehörde - ermöglichen, im Hinblick auf die
Schutzinteressen der Studierenden einen vom Regelstudiengang oder Regelausbildungsgang abweichenden Studien- bzw. Ausbildungsaufbau einzuführen oder alternative Prüfungsverfahren zu testen. Auch solche Modellklauseln belegen nach Ansicht der Länder nachdrücklich das Bedürfnis, in bestimmten Bereichen abweichendes Landesrecht zu schaffen.
Nach Ansicht des Bundes besteht hingegen kein Bedürfnis für Kompetenzänderungen zugunsten der Länder. Die bestehenden bundesrechtlichen Regelungen haben
sich bewährt. Die Schaffung bundeseinheitlicher Standards in den verschiedenen
Ausbildungsbereichen dient der Sicherung eines einheitlich hohen Ausbildungsniveaus und einer ausreichenden Zahl von Bewerber/-innen Die erwähnten Öffnungsklauseln für die Länder sind vereinzelte Regelungen, die der Erprobung von Ausbildungsangeboten dienen, die später ggf. als Bundesrecht reglementiert werden sollen. Aus ihnen lässt sich daher kein Bedürfnis ableiten, in bestimmten Bereichen
dauerhaft abweichendes Landesrecht zu schaffen. Aufgrund zahlreicher Vorgaben
des EU-Rechts ist darüber hinaus nach Ansicht des Bundes eine bundesrechtliche
Umsetzung effektiver und weniger schwerfällig als die Umsetzung durch Landesrecht.
III.
Bestandsaufnahme und Problembeschreibung im Bereich der Altenpflege
Für das "Gesetz über die Berufe in der Altenpflege (Altenpflegegesetz - AltPflG) sowie zur Änderung des Krankenpflegegesetzes" vom 17. November 2000, BGBl. I S.
1513, ist in der Gesetzesbegründung der Bundesregierung (BT-Drs. 14/1578, S. 12)
für den Großteil der Bestimmungen Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG in Anspruch genommen
worden.
Das Gesetz war bereits in weitgehend identischer Form als Entwurf der Bundesregierung in der 11. Legislaturperiode sowie als Entwurf des Bundesrates in der 12. und
13. Legislaturperiode in die gesetzgebenden Körperschaften eingebracht worden59.
In der 11. Legislaturperiode ist in der Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stel-
59
BT-Drucksache 11/8012, 12/8315, 13/1208.
Regelungskompetenz im Bereich der Heilberufe
Seite 106
lungnahme des Bundesrates die Gesetzgebungskompetenz des Bundes umfassend
begründet worden60. In der 12., 13. und 14. Legislaturperiode ging dann auch der
Bundesrat von einer Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus.
Auf Antrag der Bayerischen Staatsregierung ist mit einer Einstweiligen Anordnung
des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Mai 2001 - 2 BvQ 48/00 - (BVerfGE 104,
23, 42) das Inkrafttreten der wichtigsten Bestimmungen des Gesetzes bis zur Entscheidung über die Vereinbarkeit des Gesetzes mit dem Grundgesetz einstweilen
außer Kraft gesetzt worden.
Im Hauptsacheverfahren hat das Gericht mit Urteil vom 24. Oktober 2002 - 2 BvF
1/01 - entschieden, dass das Gesetz mit Ausnahme der Regelungen für die Ausbildung zum Beruf der Altenpflegehelfer in seinen wesentlichen Regelungen verfassungskonform ist. Der Beruf des Altenpflegers sei anders als der Beruf des Altenpflegehelfers, ein "anderer Heilberuf" im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG61. Die
Regelungen über die Berufsausbildung der Altenpflegerinnen und Altenpfleger seien
zur Wahrung der Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse nach Art. 72 Abs.
2 GG auch erforderlich62.
Durch diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat sich der Prüfauftrag
zum Altenpflegegesetz (s.o. Nr. 1) erledigt.
60
BT-Drucksache 11/8012, S. 23.
61
Leitsatz 1 b.
62
Rdnr. 286
Seite 107
Regelungskompetenz im Arzneimittelbereich
Regelungskompetenz im Arzneimittelbereich
Auftrag
Bund: Wie ist bisher der Kompetenztitel in Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG, "Verkehr mit Arzneien", umgesetzt worden ? Sind durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Februar 2000 - 1 BvR 420/97 -, BVerfGE 102, 26, Probleme aufgetreten ?
Berichterstattung: Bund, BW
I.
Bestandsaufnahme
Der Bund hat nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG unter den Voraussetzungen des Art. 72
Abs. 2 GG die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz u.a. für "den Verkehr mit Arzneien, Heil- und Betäubungsmitteln und Giften".
1.
Bundesgesetzliche Regelungen
Der Bund hat u.a. mit folgenden Gesetzen von dieser Kompetenz Gebrauch gemacht 63:
-
Arzneimittelgesetz,
Betäubungsmittelgesetz,
Gesetz über die Werbung auf dem Gebiet des Heilwesens,
Medizinproduktegesetz,
Chemikaliengesetz,
Pflanzenschutzgesetz,
Grundstoffüberwachungsgesetz.
2.
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Urteil vom 16. Februar 2000 - 1 BvR 420/97 (BVerfGE 102, 26; "Frischzellenentscheidung") entschieden, dass der Bund nach Art. 74
Abs. 1 Nr. 19 GG nicht befugt ist, die Herstellung solcher Arzneimittel zu regeln, die der
Arzt zur Anwendung bei eigenen Patienten herstellt. Das Gericht hat dazu ausgeführt64:
"Dem Bundesgesetzgeber ist in Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG indes nur die Kompetenz zur Regelung des
Verkehrs mit Arzneimitteln eingeräumt. Diese umfasst deshalb nicht die unbeschränkte Zuständigkeit
zur Regelung aller Fragen des Arzneimittelrechts. Die Verfassung zieht in Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG die
Grenze dort, wo es um den Verkehr mit Arzneimitteln im weitesten Sinne geht. Will der Bundesge63
Vgl. v. Mangoldt/Klein/Pestalozza, GG, 3. Aufl., Art. 74 Abs. 1 Nr. 19, Rdnr. 1352.
64
BVerfGE 102, 36.
Regelungskompetenz im Arzneimittelbereich
Seite 108
setzgeber zur Optimierung des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung schon bei der Herstellung verkehrsfähiger Arzneimittel ansetzen, hält er sich so lange im Rahmen dieser Zuständigkeit, wie seine
Regelung Arzneimittel betrifft, die zum Zwecke des Inverkehrbringens hergestellt werden.
Präventiver Gesundheitsschutz rechtfertigt frühzeitige Kontrolle, wenn mit der zunehmenden Länge
des Vertriebsweges die Wirksamkeit staatlicher Überwachung mehr und mehr abgeschwächt wird.
Besteht bei der Herstellung des Arzneimittels die Absicht, dieses über Apotheken oder sonstige Verkaufsstellen in den allgemeinen Verkehr zu bringen, ist mindestens eine bundesweite Verbreitung des
Arzneimittels regelmäßig angestrebt. Deshalb gibt es gute Gründe dafür, dass der Bund insoweit eine
Befugnis zur konkurrierenden Gesetzgebung hat.
Das gilt jedoch nicht für solche vom Arzt hergestellten Arzneimittel, die nicht zur Abgabe bestimmt
sind und die der Arzt auch tatsächlich nicht an Dritte abgibt. Solche Arzneien sind herkömmlich Teil
ärztlicher Therapie, die in ihren Auswirkungen lokal auf den jeweils behandelten Kreis von Patienten
begrenzt ist. Heilbehandlungen finden regelmäßig nur in einem begrenzten Wirkungskreis statt. Sie
sind wesentlicher Bestandteil der ärztlichen Berufsausübungsfreiheit sowie Gegenstand der ärztlichen
Sorgfaltspflicht und Verantwortung, für deren Überwachung die Länder zuständig sind."
3.
Konsequenzen aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
In der jüngsten Staatspraxis ist die Entscheidung im Rahmen des Gesetzentwurfs des
Bundesrates für einen "Entwurf eines Gesetzes zur Änderung tierarzneimittelrechtlicher
Vorschriften" 65 aufgeworfen worden. Der Gesetzentwurf ist mittlerweile als "Elftes Gesetz
zur Änderung des Arzneimittelgesetzes" verkündet worden66.
Der Bundesratsentwurf begegnete Bedenken der Bundesregierung im Hinblick auf die
"Frischzellenentscheidung", da die im Entwurf vorgesehenen Regelungen die Herstellung
oder Anwendung auch vom Arzt selbst hergestellter Arzneimittel beträfen, die nicht zur
Abgabe bestimmt sind und die der Arzt auch tatsächlich nicht an Dritte abgibt 67 und damit
die Gesetzgebungskompetenz des Bundes überschritten würde.
Um den Bedenken Rechnung zu tragen, ist im Laufe der weiteren parlamentarischen Beratungen des Deutschen Bundestages eine neue Bestimmung mit Ausnahmen vom Anwendungsbereich in den Gesetzentwurf aufgenommen worden. Danach findet dieses Gesetz keine Anwendung u.a. auf Arzneimittel, die ein Arzt, Tierarzt oder eine andere Person, die zur Ausübung der Heilkunde befugt ist, bei Mensch oder Tier anwendet, soweit
die Arzneimittel ausschließlich zu diesem Zweck unter der unmittelbaren fachlichen Verantwortung des anzuwendenden Arztes, Tierarztes oder der anwendenden Person, die zur
Ausübung der Heilkunde bestellt ist, hergestellt worden sind 68.
Damit ist der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Rechnung getragen.
65
BT-Drucksache 14/8613 mit Stellungnahme der Bundesregierung.
66
Gesetz vom 27. August 2002, BGBl. I S. 3348.
67
Vgl. BT-Drucksache 14/8613, S. 26.
68
Vgl. BR-Drucksache 488/02, § 4a AMG neu.
Seite 109
Regelungskompetenz im Arzneimittelbereich
Es obliegt damit nunmehr den Ländern zu prüfen, welcher landesrechtliche Regelungsbedarf aus Gründen der Arzneimittelsicherheit (im human- und tiermedizinischen Bereich) für
Arzneimittel, die nicht (mehr) dem Anwendungsbereich des Arzneimittelgesetzes (AMG)
unterfallen, erforderlich wird. Dabei sind folgende Problemstellungen einer Lösung zuzuführen:
-
-
Da die (auch strafbewehrten) Verbotsvorschriften des AMG (z.B. § 5 AMG - Verbot
bedenklicher Arzneimittel, Sondervorschriften für Tierarzneimittel) und die auf der
Grundlage des § 6 AMG erlassenen Verbotsverordnungen keine Geltung beanspruchen können, besteht die Möglichkeit, dass der Arzt (oder eine andere Person, die
zur Ausübung der Heilkunde befugt ist) Arzneimittel mit gesundheitsgefährdenden
Substanzen herstellt und diese bei Patienten anwendet (bzw. an Tiere verabreicht).
Darüber hinaus ist auch eine Überwachung nach dem Arzneimittelgesetz (mit den
z.B. in den §§ 64ff. AMG vorgesehenen Maßnahmen wie Probenahme, Duldungsund Mitwirkungspflichten, Sicherstellung von Arzneimitteln, öffentliche Warnungen) in
diesen Fällen nicht mehr möglich.
Dabei ist vor allem im Tierarzneimittelbereich sicherzustellen, dass es durch die Anwendung von Tierarzneimitteln, die vom Tierarzt selbst hergestellt und lebensmittelliefernden
Tieren verabreicht werden, zu keinen Gesundheitsgefährdungen für den Verbraucher
kommen kann 69.
Die Gesundheitsministerkonferenz der Länder hat zur Regelung der Herstellung und Anwendung der vom Anwender selbst hergestellten Arzneimittel für den Humanbereich (Arzt,
Zahnarzt und andere zur Heilkunde berechtigte Personen) einen Mustergesetzentwurf
ausgearbeitet. Der Entwurf soll als Grundlage für die zu erlassenden landesgesetzlichen
Regelungen dienen; einige Länder haben jedoch darauf hingewiesen, diesen Musterentwurf nicht inhaltsgleich, sondern in Einzelfragen punktuell geändert umsetzen zu wollen.
Im übrigen können die aus der Entscheidung des Gerichts abzuleitenden Folgerungen zu
Anwendungsregelungen über das AMG hinaus auch die Bereiche betreffen, in denen Art.
74 Abs. 1 Nr. 19 GG ebenfalls lediglich eine Bundeskompetenz für Verkehrsregelungen für
entsprechende Stoffe (insbesondere Heil- und Betäubungsmittel, Gifte) beinhaltet. Für den
Bereich des Medizinproduktgesetzes ist das Problem der Eigenherstellung und Anwendung bereits erfasst und ausreichend geregelt (§ 12 Medizinproduktegesetz); die Frage
der Notwendigkeit ergänzender landesgesetzlicher Regelungen stellt sich insoweit nicht.
69
BR-Drucksache 488/2/02.
Regelungskompetenz im Arzneimittelbereich
II.
Seite 110
Problembeschreibung
Die sog. Frischzellenentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach der Bund
nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG nicht befugt ist, die Herstellung solcher Arzneimittel zu regeln, die der Arzt zur Anwendung bei eigenen Patienten herstellt, hat zu einer Reihe von
Problemen geführt:
-
Es wird landesrechtlicher Regelungsbedarf ausgelöst - kann diese Schützlücke von
allen Ländern in einem überschaubaren Zeitraum geschlossen werden?
-
Stehen landesrechtliche Regelungen mit ggf. punktuell divergierenden Inhalten dem
Interesse an einem bundesweit hohen Verbraucher- und Tierschutzniveau entgegen
und sollte deshalb die konkurrierende Gesetzgebung nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG
zu Gunsten des Bundes so erweitert werden, dass sie auch die ärztliche Herstellung
von nicht für den Verkehr bestimmter Arzneimittel umfasst (Herstellung des ursprünglichen Zustandes vor der Entscheidung des BVerfG)?
-
Bei der Umsetzung europäischen Rechts in nationales Recht ist zu berücksichtigen,
dass auch Richtlinien der Kommission zum Regelungsinstrumentarium im Arzneimittelbereich gehören, auf Grund derer häufiger Umsetzungsbedarf entstehen kann. Ist
zur Vermeidung von Verzögerungen bei der Umsetzung europäischen Rechts in nationales Recht eine bundesrechtliche Regelung und damit eine Erweiterung des
Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG notwendig bzw. geboten?
Seite 111
Umweltgesetzgebung
Umweltgesetzgebung
(noch nicht endgültig zwischen Bund und Ländern abgestimmt)
Auftrag
Bund und Länder: Welche Kompetenztitel weist das Grundgesetz für den Umweltschutz auf? Handelt es sich
dabei um konkurrierende oder Rahmengesetzgebungskompetenzen? Wie sind die Vorgaben aus dem Gemeinschaftsrecht in das innerstaatliche Recht (Bund und Länder) umgesetzt worden ? Sind dabei Probleme
aufgetreten (vgl. für die Länder CdS-Papier, Ziffer 1.1.1, 2.1, 2.3)?
Berichterstattung: Bund, SH, SL
I.
Bestandsaufnahme
1.
Charakter des Umweltrechts
Es gibt weder einen umfassenden Kompetenztitel Umweltrecht (vgl. 2.) noch
eine allgemein anerkannte Definition des Umweltrechts. Zum Kernbereich dieses Rechtsgebiets (= Umweltrecht i.e.S.) werden gezählt:
-
Immissionsschutzrecht,
-
Atom-/Strahlenschutzrecht,
-
Naturschutzrecht,
-
Gewässerschutzrecht,
-
Bodenschutzrecht,
-
Abfallentsorgungs- und Kreislauf wirtschaftsrecht und
-
Chemikalienrecht/Gefahrstoffrecht.
Teilweise werden auch Gentechnik und sonstige Biotechnik sowie der Sachbereich Verkehrsanlagen und Leitungsanlagen hierzu gerechnet. Umweltrecht ist
ein offenes, kein geschlossenes Rechtsgebiet. Es ist darüber hinaus sog.
"Querschnittsrecht"70, das seine Bedeutung aus unzähligen Normen verschiedener Rechtsbereiche gewinnt. So enthalten manche Gesetzeswerke Umweltrecht in einzelnen Abschnitten (28. Abschnitt des Strafgesetzbuches über Straftaten gegen die Umwelt) oder in spezifischen Einzelregelungen (z. B. § 906
BGB). In vielen Gesetzen ist der Umweltschutz nur eine von mehreren Zielset70
Den Querschnittscharakter teilt das Umweltrecht mit anderen Rechtsgebieten wie z. B. dem Recht des
Verbraucherschutzes.
Umweltgesetzgebung
Seite 112
zungen (z.B. Raumordnungsgesetz, Landesplanungsgesetze, Baugesetzbuch,
Bundesberggesetz, Energiewirtschaftsgesetz).
2.
Verteilung von Gesetzgebungszuständigkeiten mit Bezug zum Umweltschutz
•
Das Umweltrecht wird im Grundgesetz nicht in einem einheitlichen Kompetenztitel zusammengefasst, sondern ist auf mehrere und unterschiedliche
Kompetenztitel verteilt, die jeweils nur einzelne Umweltmedien bzw. Umweltgüter erfassen und dem Bund teilweise nur die Befugnis zum Erlass von
Rahmenvorschriften geben.
In die konkurrierende Gesetzgebung (Art. 74 GG) fallen:
- das Kernenergierecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 a),
- das Bodenrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 18),
- die Abfallbeseitigung, Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 24);
Bestandteil der Rahmengesetzgebung (Art. 75 GG) sind:
- der Naturschutz und die Landschaftspflege (Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3),
- der Wasserhaushalt (Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4).
•
Neben den vorgenannten, unmittelbar dem Umweltrecht zuzuordnenden
Kompetenztiteln spielen auch folgende, insgesamt eher „fachfremde“ Kompetenztitel eine Rolle:
- die ausschließliche Gesetzgebung des Bundes über den Luftverkehr und die Eisenbahnen des Bundes (Art. 73 Nr. 6 u. 6a GG) sowie über die Einheit des Zoll- und Handelsgebietes, Handelsverträge und die Freizügigkeit des Warenverkehrs mit dem Ausland (insbesondere von Bedeutung für Einfuhr von Tieren etc. im Rahmen internationaler Artenschutzabkommen) (Art. 73 Nr. 5 GG),
- die konkurrierende Gesetzgebung über den Schutz beim Verkehr mit Lebens- und Genussmitteln, Bedarfsgegenständen, Futtermitteln und land- und forstwirtschaftlichem
Saat- und Pflanzgut, Schutz der Pflanzen gegen Krankheit und Schädlinge sowie Tierschutz (Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG), das Strafrecht (umfasst auch Straftaten gegen die
Umwelt) , das bürgerliche Recht (mit Nachbarrecht) sowie das Recht des gerichtlichen
Verfahrens (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG), das Recht der Wirtschaft (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11
GG), die Bauleitplanung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG) sowie über den Straßen- und Schienenwegeausbau (Art. 74 Abs. 1 Nr. 22, 23 GG)
- die Rahmenkompetenz über das Jagdwesen (Art. 75 Abs. 1 Nr. 3 GG) und für die Bodenverteilung und Raumordnung (Art. 75 Abs. 1 Nr. 4 GG).
Seite 113
II.
Umweltgesetzgebung
Problembeschreibung
Während das EG-Umweltrecht zunehmend auf einen „medienübergreifenden Ansatz“
setzt bzw. durch einen solchen geprägt wird, findet dies in der Abgrenzung der Kompetenzen des Grundgesetzes nach einzelnen Umweltbereichen keine Entsprechung.
Nach Auffassung des Bundes widerspricht die Verteilung auf unterschiedliche Kompetenzgrundlagen auch dem aktuellen Erkenntnisstand zur Verzahnung und Wechselbezüglichkeit der Umweltmedien Boden, Wasser, Luft. Auf diesem Erkenntnisstand beruhe der moderne medienübergreifende Ansatz des EG-Umweltrechts. So
setzten beispielsweise die UVP-Richtlinie, die strategische UVP-Richtlinie, die IVURichtlinie, die Wasser-Rahmenrichtlinie und die Umweltinformationsrichtlinie auf medienübergreifende und integrierende Genehmigungs- bzw. Prüfungs- und Planungskonzepte sowie Verfahrensregelungen. Damit werde angestrebt, den Schutz der
Umwelt in ihrer Gesamtheit zu fördern und Belastungsverlagerungen zum Schutz eines Umweltmediums zulasten eines anderen Umweltmediums zu vermeiden. Eine
Anpassung des deutschen Umweltrechts, das schon seit Beginn der 70er Jahre
mehrfach umfassend und zunehmend unübersichtlich ausgebaut und geändert worden sei, an diese neuen Instrumente und Ansätze des EU-Rechts werde anhaltend
und zunehmend erforderlich sein.
Im Einzelnen stellen sich nachfolgende Problemfragen:
1.
Europatauglichkeit
Die Verteilung der Kompetenzen für die Umweltgesetzgebung bedingt, dass
medienübergreifende Vorgaben des EG-Rechts in Deutschland nicht einheitlich
durch Bundesrecht umgesetzt werden können. Nach Auffassung des Bundes
erschwert dies eine kurzfristige Umsetzung EU-rechtlicher Vorgaben:
•
Die Zuweisung einzelner Umweltmedien in die Rahmenkompetenz erfordert
eine zweistufige Umsetzung durch hintereinandergeschaltete Gesetzgebungsverfahren in Bund und Ländern. Dies hat – nach Auffassung des Bundes kaum zu bewältigende / nach Auffassung der Länder manchmal – Zeitprobleme zur Folge, bringt Abgrenzungsfragen zwischen Bundes- und Landeskompetenzen mit sich und macht nach Auffassung des Bundes das ohnehin schon komplizierte Umweltrecht noch unübersichtlicher und unpraktikabler. Parallele Gesetzgebungsverfahren mit vergleichbaren Problemen
ergeben sich auch in den Fällen, in denen der Bund nur eine (Teil-) Umsetzung auf der Grundlage der konkurrierenden Gesetzgebung vornehmen
Umweltgesetzgebung
Seite 114
kann, während die Länder einen anderen Teil der Richtlinie aufgrund ihrer
ausschließlichen Länderkompetenzen umsetzen müssen. Hier zeigt die Erfahrung, dass die Länder vielfach den Erlass der Bundesgesetze abwarten,
bevor sie eigenständige Gesetzgebungsverfahren einleiten.
•
Der Bund weist darauf hin, dass wegen der Restriktionen im Bereich des
Rahmenrechts medienübergreifende Querschnittsregelungen kaum möglich
sind. Die Verfassungsänderung des Jahres 1994 habe dieses Problem
durch die Normierung strengerer Voraussetzungen für die Inanspruchnahme
der Rahmenkompetenz (Art. 75 Abs. 2 GG) noch verschärft. Was das EGRecht in seiner medienübergreifenden und integrierenden Ausrichtung einheitlich regele, müsse im deutschen Recht rechtstechnisch getrennt werden.
Dies stelle aus EU-Sicht auch die qualitativ ausreichende und vollständige
Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben in Frage.
•
Schließlich sind die auch sonst sich ergebenden Abgrenzungsprobleme
zwischen den Materien der konkurrierenden Gesetzgebung, für die dem
Bund die Vollregelung zusteht, und den Sachbereichen der Rahmenkompetenz, für die dem Bund nur begrenzte Regelungsbefugnisse eingeräumt
sind, festzustellen.
•
Nach Auffassung der Länder ist außerdem folgendes zu berücksichtigen:
Teilweise erfolge die Umsetzung in Bundesrecht lediglich dadurch, dass überwiegend EU-Recht übernommen oder auf EU-Recht verwiesen werde,
ohne dass ein politischer Gestaltungsspielraum bestehe (Beispiele: FFHRichtlinie, Umweltinformationsrichtlinie), während Länderregelungen vielfach
auf vorhandenes Bundesrecht verwiesen. Die Tatsache, dass das EU-Recht
immer häufiger nur noch beschränkten Umsetzungsspielraum lasse, stelle
die Sinnhaftigkeit der bisherigen Kompetenzaufteilung zwischen Bund und
Ländern und die Erforderlichkeit einer bundesstaatlichen Regelung gemäß
Art. 72 Abs. 2 GG zunehmend in Frage. So sehe z.B. Belgien beim Ausbau
vom Zentral- zum Bundesstaat inzwischen eine Zuständigkeit für den Umweltschutz bei den Regionen vor.
Andererseits sei auch festzustellen, dass nach dem EG-Recht vorhandene
Spielräume auf bundesrechtlicher Ebene häufig nicht genutzt werden. Das
Bundesrecht sieht nach Einschätzung der Länder in diesen Fällen regelmäßig keine Länderöffnungsklauseln vor, sodass auf Grund der Sperrwirkung
des Bundesrechts keine landesrechtliche Regelungskompetenz bestehe.
Seite 115
Umweltgesetzgebung
Die verwaltungsmäßige Umsetzung und Verantwortung obliege innerstaatlich aber den Ländern.
•
Bei der innerstaatlichen Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben ist
es mehrfach zu Vertragsverletzungsverfahren gekommen.
2.
Umweltgesetzbuch
In seiner gegenwärtigen, historisch gewachsenen Ausgestaltung stellt das Umweltrecht ein kompliziertes, heterogenes und zum Teil wenig transparentes Regelwerk dar. Ein einheitliches Umweltrecht würde nach Auffassung von Bund
[und Ländern] für mehr Regelungs- und Verfahrenstransparenz sorgen, zur
Harmonisierung und Deregulierung beitragen und Regelungs- und Wertungswidersprüche beseitigen. Schwerpunkt eines solchen Vorhabens ist dabei die
sog. integrierte Vorhabengenehmigung, also ein medienübergreifendes einheitliches Genehmigungsverfahren. Dieser medienübergreifende Ansatz ist nach
Auffassung des Bundes in dem erforderlichen Umfang insbesondere wegen der
Kompetenzen der Länder im Bereich Wasser und Naturschutz ohne Änderung
des Grundgesetzes aber nicht möglich.
3.
Sperrwirkungen des Bundesrechts
Die Länder erachten außerdem Sperrwirkungen des Bundesrechts als problematisch und sehen einen vertieften Prüfungsbedarf:
•
Sie verweisen insbesondere darauf, dass der Erlass von Verordnungen im
Umwelt- und insbesondere Abfallrecht häufig nur in Aussicht gestellt werde,
um als Druckmittel für Selbstverpflichtungen der Wirtschaft/Steuerungswirkungen zu erzielen und dass bereits diese Steuerungskompetenz eine
Sperrwirkung für den Landesgesetzgeber und kommunale Satzungsgeber
bedeute.
•
Nach Auffassung der Länder ist auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Verhältnis von BImSchG und Landesabgabenrecht
[zu Landes- und Satzungsrecht] von allgemeiner Bedeutung für die Verteilung der Umweltgesetzgebungskompetenzen in einem föderalen Bundesstaat:
Das Bundesverfassungsgericht gehe davon aus, dass landesrechtliche Abfallabgaben dem im Bundes-Immissionsschutzgesetz vorgesehenen Konzept der Kooperation widersprechen und die kommunale Verpackungssteu-
Umweltgesetzgebung
Seite 116
er im Widerspruch zu Regelungen des Sachgesetzgebers im Hinblick auf
die Verpackungsverordnung steht. Die sog. "Widerspruchsfreiheit der
Rechtsordnung" berge als allgemeines Prinzip erhebliche Gefahren für die
Entwicklung neuer Umweltschutzpolitik durch die Länder.
•
4.
III.
Von Relevanz ist nach Auffassung der Länder im vorliegenden Kontext
schließlich die Rechtssetzungspraxis des Bundes bei der Formulierung von
Länderöffnungsklauseln im Bundesrecht:
Bundesrecht enthalte vereinzelt zwar bereits Ermächtigungen an die Landesregierungen, durch Rechtsverordnungen weitere Regelungen zu treffen.
Diese Verordnungsermächtigungen seien auf Grund des Bestimmtheitsgrundsatzes eng beschränkt, sodass darüber hinausgehende landesrechtliche Regelungen wieder der Sperrwirkung des Bundesrecht unterfielen. Beispiel: Zweifelhafte bundesrechtliche Rechtsgrundlage der Sommersmogverordnungen der einzelnen Länder, die durch das bis Ende 1999 befristete
Ozongesetz abgelöst worden seien.
Leistungsfähigkeit der Länder
Die Länder verweisen ferner auf ihre in der Vergangenheit bewiesene Leistungsfähigkeit. Sie vertreten die Auffassung, dass der Umweltschutz als dynamisches Sachgebiet (Beispiel: Ozonproblematik zu Beginn der 90er Jahre, Privatisierungstendenzen der Abfallwirtschaft) in der Vergangenheit insbesondere
von den Impulsen auf Länderebene gelebt hat. Die zunehmende Ausschöpfung
der umweltspezifischen Kompetenzen führe aber dazu, dass in Verbindung mit
der dargestellten restriktiven Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
(Gesamtkonzept des Gesetzgebers/Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung)
die Gestaltungsspielräume der Länder auf Null schrumpften.
Einzelbeispiele für die in der Kompetenzordnung begründeten Probleme bei
der Umweltgesetzgebung
1.
Markantestes Beispiel für die nach Ansicht des Bundes aus dem Verfassungsrecht resultierenden Probleme ist der Versuch, ein von allen Seiten gefordertes
einheitliches Umweltgesetzbuch zu schaffen. Dessen medienübergreifender
Ansatz war nach Auffassung des Bundes in dem für erforderlich erachteten Umfang wegen der Kompetenzen der Länder im Bereich Wasser und Naturschutz
ohne Änderung des Grundgesetzes nicht umsetzbar.
Seite 117
2.
Umweltgesetzgebung
Ursprünglich sollte die IVU-Richtlinie (Richtlinie 96/61/EG des Rates vom 24.
September 1996 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung) im Rahmen eines einheitlichen Umweltgesetzbuchs umgesetzt werden. Nachdem dieses Projekt durch den Bund wegen der nicht ausreichenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes aufgegeben wurde, erfolgte
die Umsetzung der IVU-Richtlinie statt dessen durch das nachträglich erarbeitete Artikelgesetz vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1950). Der medienübergreifende
Ansatz der Richtlinie konnte deshalb auf Bundesebene nur durch eine rechtstechnisch komplexe parallele Änderung von Fachgesetzen umgesetzt werden.
3.
Als weiteres Einzelbeispiel ist die Umsetzung der UVP- sowie der UVPÄnderungsrichtlinie (Richtlinie 85/337/EWG des Rates über die Durchführung
der Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten
Projekten sowie die Änderungsrichtlinie 97/11/EG) zu nennen, bei der zwischenzeitlich sogar ein Zwangsgeld drohte. Die Richtlinie fordert nach Auffassung des Bundes ein medienübergreifendes Prüfverfahren für bestimmte Projekte, die erhebliche, nachteilige Umweltauswirkungen haben können, und sollte ursprünglich ebenfalls im Rahmen eines einheitlichen Umweltgesetzbuches
umgesetzt werden.
Das nach Ablauf der Umsetzungsfristen ergangene Artikelgesetz vom 27. Juli
2001 (BGBl. I S. 1950) konnte diese Richtlinie nur zu einem Teil umsetzen: Neben Projekten, die der Bund aufgrund der ihm zustehenden Gesetzgebungsbefugnisse abschließend regeln konnte, werden Projekte, die der Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes zuzuordnen sind, nur übergangsweise und mit
Regelungsaufträgen an die Länder erfasst. Daneben gilt die Richtlinie aber
auch für Projekte, die im Rahmen der ausschließlichen Länderkompetenz umzusetzen sind. Trotz Ablaufs der Umsetzungsfristen der Richtlinie haben bislang
nur wenige Länder, die sich am Bundesrecht (Artikelgesetz vom 27. Juli 2001)
orientieren wollten, ihre Umsetzung vollständig abgeschlossen71. In Teilbereichen laufen bereits Vertragsverletzungsverfahren.
71
Ein Gegenbeispiel für die frühzeitige Umsetzung ist das Bayerische UVP-Richtlinie Umsetzungsgesetz
(BayUVPRLUG) vom 27. Dezember 1999 ( BayGVBl S. 532 ), das zu einer Ergänzung des BayVwVfG
um einen Abschnitt III Verwaltungsverfahren mit Umweltverträglichkeitsprüfung geführt hat. Nach Abschluss der bundesrechtlichen Umsetzung musste jedoch festgestellt werden, dass das bayerische Umsetzungsgesetz nicht den Anforderungen der bundesrechtlichen Regelungen und der UVPÄnderungsrichtlinie entsprach. Dadurch ergab sich ein erneuter Änderungsbedarf für das bayerische Umsetzungsgesetz.
Umweltgesetzgebung
4.
Seite 118
Ein weiteres Beispiel ist die Fortschreibung im Bundesnaturschutzgesetz (vgl.
BGBl. 2002 I S. 1193), die in wesentlichen Punkten auch gemeinschaftsrechtliche Vorgaben umsetzt (Richtlinie 92/43/EWG vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung
der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen,
Richtlinie 79/409/EWG vom 02. April 1979 über die Erhaltung der wild lebenden
Vogelarten, Richtlinie 83/129/EWG vom 28. April 1983 betreffend die Einfuhr
von Fellen bestimmter Jungrobben und Waren daraus und Richtlinie
1999/22/EG vom 29. März 1999 über die Haltung von Wildtieren in Zoos).
Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes ergibt sich bei diesem Gesetz vorrangig aus der Zuständigkeit zur Rahmengesetzgebung auf dem Gebiet des
Naturschutzes und der Landschaftspflege (Artikel 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GG).
Nur ergänzend waren Kompetenzen aus der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Artikels 73 GG, insbesondere Nr. 5 (Einheit des Zoll- und Handelsgebiets) sowie Nrn. 6 und 6a (Luftverkehr; Verkehr von Eisenbahnen) und
aus der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Artikels 74 Abs. 1 GG,
insbesondere Nr. 1 (Strafrecht und das gerichtliche Verfahren), Nr. 11 (Recht
der Wirtschaft), Nr. 11a (Kernenergierecht), Nr. 18 (Bodenrecht), Nr. 21 und 22
(Hochsee- und Küstenschifffahrt; Straßenverkehr) und Nr. 24 (Luftreinhaltung
und Lärmbekämpfung) gegeben.
Soweit nur die Rahmengesetzgebungskompetenz als Grundlage gegeben ist,
war es nach Auffassung des Bundes nicht möglich, alle in der Öffentlichkeit geäußerten Erwartungen auf Bundesebene zu erfüllen. Es waren im wesentlichen
nur Leitlinien für den Landesgesetzgeber und nur ausnahmsweise in Einzelheiten gehende oder unmittelbar geltende Regelungen möglich.
5.
Ein weiteres exemplarisches Gebiet ist das Wasserhaushaltsgesetz, das vor
allem auf Grund der gemeinschaftsrechtlichen „Wasserrahmenrichtlinie“ (Richtlinie 2000/60/EG vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens
für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik) fortgeschrieben werden musste.
Die neuen Regelungen waren dem Rahmenkompetenztitel des Art. 75 Abs. 1
Satz 1 Nr. 4 GG (Wasserhaushalt) zuzuordnen. Der integrative Ansatz der
Wasserrahmenrichtlinie für eine über Landes- und Staatsgrenzen hinausreichende flussgebietsbezogene Bewirtschaftung aller europäischen Gewässer
mit ihren Einzugsgebieten machte raumbedeutsame, kohärente Programme
und Pläne erforderlich, die nicht primär von regionalen oder örtlichen Besonderheiten geprägt sind.
Seite 119
Umweltgesetzgebung
Die vor diesem Hintergrund mögliche und erforderliche Rechtsetzung des Bundes konnte die der Wasserrahmenrichtlinie zugrunde liegende Konzeption nach
Auffassung des Bundes nur in den wesentlichen Eckpunkten aufgreifen.
Daneben musste den Ländern ausreichend Spielraum für die Ausfüllung des
geschaffenen Rahmens durch landesrechtliche Regelungen gegeben werden;
insbesondere mussten ihnen die fachlichen Kernstücke der Richtlinie für die
Bestandsaufnahme und die Bewertung des Gewässerzustandes einschließlich
der erforderlichen Überwachung und Darstellung zur Umsetzung und Ausfüllung überlassen bleiben. Im Rahmen der inzwischen angelaufenen Erarbeitung
der Ländervorschriften ist von Betroffenen (Kommunen, Wirtschaft) auch für
diese Bereiche bereits der Erlass einheitlicher Regelungen des Bundes auf der
Grundlage der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit gefordert worden.
Von Seiten der Wasserwirtschaftsverwaltungen der Länder sind im übrigen aus
rechtlichen und praktischen Gründen immer wieder einheitliche Vorschriften des
Bundes zur Umsetzung der in aller Regel detaillierten Vorgaben des EG-Rechts
bevorzugt worden.
Ein weiterer wichtiger Bereich im Wasserhaushaltsgesetz sind nach Auffassung
des Bundes detaillierte, über den geltenden § 32 WHG weit hinausgehende
Vorschriften zur Verbesserung des Hochwasserschutzes. Eine wirksamere Bekämpfung der Hochwassergefahren erfordere insbesondere einheitliche Standards und eine Regelung zum Ausgleich der Interessen zwischen Ober- und
Unterlieger. Hierzu bedürfe es erweiterter Gesetzgebungsbefugnisse des Bundes.
IV.
Länder: Ausschöpfung der verbesserten rechtlichen Möglichkeiten nach 1994
bzw. Inanspruchnahme durch den Bundesgesetzgeber
Die durch die Verfassungsreform 1994 vorgesehene Möglichkeit, Bundesrecht unter
bestimmten Voraussetzungen durch Landesrecht zu ersetzen ("Rückholklauseln",
Art. 72 Abs. 3 und 125a Abs. 2 GG) sind bisher nicht praktisch geworden. Eine Verpflichtung des Bundes, den Ländern ein Rückholrecht einzuräumen, besteht nicht.
Besoldungs- und Versorgungsrecht
(Sicht der Länder)
Seite 120
Besoldungs- und Versorgungsrecht
(Sicht der Länder)
Auftrag
Länder: Eine Bestandsaufnahme und Problembeschreibung zur bisherigen Handhabung des Art. 74 a GG
im Zusammenhang mit allgemeinen, die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz betreffenden Punkten ist
zu erstellen (vgl. CdS-Papier, Ziff. 1.1.1 und 1.3)
Berichterstattung: HE, NI
I.
Inanspruchnahme der Gesetzgebungskompetenz durch den Bund auf dem
Gebiet der Besoldung und Versorgung
Aufgrund der zersplitterten und unübersichtlichen Rechtslage auf den Gebieten Besoldung
und Versorgung in vorkonstitutioneller Zeit 72 hatte der Verfassungsgeber dem Bund zunächst eine Rahmengesetzgebungskompetenz in Artikel 75 Absatz 1 zugewiesen.
Der erste gesetzgeberische Versuch des Bundes, einen Schritt zur Vereinheitlichung des
Besoldungsrechts zu unternehmen, scheiterte in dem Verfassungsstreit mit dem Land
Nordrhein-Westfalen. Das BVerfG hielt bundesgesetzliche Besoldungsobergrenzen für die
Länder mit der (beschränkten) Rahmengesetzgebungskompetenz nicht für vereinbar 73.
Der Bund erließ das Bundesbesoldungsgesetz 1957, um für die Besoldung seiner eigenen
Bediensteten eine neue, strukturierte Basis zu schaffen (ausschließliche Gesetzgebungskompetenz nach Artikel 73 Nr. 8 GG). Das BBesG 1957 entwickelte Leitbildcharakter hinsichtlich Gesetzesaufbau und Regelungsmethode für die Besoldungsgesetze der Länder.
Das Besoldungsgefälle zwischen Bund, Ländern, Gemeinden und anderen Dienstherrn
wurde nicht beseitigt; es vergrößerte sich im Laufe der Jahre sogar.
Das Versorgungsrecht regelten Bund und Länder in ihren Beamtengesetzen je für sich.
Das Beamtenrechtsrahmengesetz brachte erstmals gewisse Beschränkungen für die Länder auf diesem Gebiet 74.
Das 22. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes 75 stärkte die Möglichkeit des Bundes,
durch Rahmengesetz die Vereinheitlichung von Besoldung und Versorgung herbeizufüh72
Vgl. Schinkel / Seifert, in: GKÖD, Besoldungsrecht, A 050, S. 4
73
BVerfGE 4, 115, 129
74
BRRG v. 01.07. 1957 (BGBl. I S. 677), dort der IV. Abschnitt.
75
Vom 12. 5. 1969, BGBl. I S. 363.
Seite 121
Besoldungs- und Versorgungsrecht
(Sicht der Länder)
ren, durch Hinzufügung zweier Absätze in Artikel 75 GG. Besoldungswettläufe der Dienstherrn führten seinerzeit zu der Forderung einer Vereinheitlichung des Besoldungs- und
Versorgungsrechts. Die Änderung der Verfassung war angesichts der Rechtsprechung
des BVerfG76 notwendig. Der Bund wurde ermächtigt, in Rahmengesetzen die Struktur
und die Bemessung der Besoldung und die Bewertung der Ämter verbindlich festzulegen.
Der Bundesgesetzgeber nutzte die verbesserte Regelungskompetenz unverzüglich77, seine Harmonisierungsbemühungen waren aber letztlich nicht so erfolgreich, wie erwartet.
Eine Mehrzahl der Länder wollte ihre Selbstständigkeit so weit wie möglich wahren. Die
Verfassung wurde erneut geändert. Das 28. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes 78
fügte den Artikel 74a ein, der Besoldung und Versorgung von der Rahmengesetzgebung
in die konkurrierende Gesetzgebung überführte.
Das Erste Gesetz zur Vereinheitlichung und Neuregelung des Besoldungsrechts in Bund
und Ländern von 1971 79, beinhaltete erstmals besoldungsrechtliche Bestimmungen, die
für alle Dienstherren (Bund, Länder, Gemeinden und andere) gleichermaßen ohne Gestaltungsspielraum verbindlich waren. Weitere Bundesgesetze förderten die Annäherung der
Besoldungssysteme bei Bund und Ländern80.
Den Schlusspunkt der Vereinheitlichung der Besoldung brachte 1975 das Zweite Gesetz
zur Vereinheitlichung und Neuregelung des Besoldungsrechts in Bund und Ländern81. Das
Bundesbesoldungsgesetz wurde als für alle Dienstherren geltendes Besoldungssystem
neu bekannt gemacht. Das Bundesrecht regelt die Besoldung seit diesem Zeitraum grundsätzlich abschließend, soweit den Ländern nicht ausdrücklich Befugnisse eingeräumt werden (§ 1 Absatz 4 BBesG).
Ein ebensolcher Rechtszustand auf dem Gebiet der Versorgung wurde durch das Beamtenversorgungsgesetz82 herbeigeführt. Mit seinem In-Kraft-Treten am 01.01.1977 wurden
alle bis dahin bestehenden versorgungsrechtlichen Regelungen des Bundes und der Länder ungültig.
76
Oben unter I. 2.
77
Zweites Gesetz zur Neuregelung des Besoldungsrechts vom 14. 5. 1969 (BGBl. I S. 365) und nachfolgende Gesetze.
78
Vom 18. 3. 1971, BGBl. I S. 206.
79
1. BesVNG vom 18. 3. 1971, BGBl. I S. 208.
80
1. BesErhöhG v. 17.10.1972 (BGBl. I S. 2001), das die Anhebung der Besoldung vereinheitlichte, und
das 2. BesErhöhG v. 05.11.1973 (BGBl. I S. 1569), das neben der Anpassung auch strukturelle Harmonisierung in bestimmten Bereichen bewirkte.
81
2. BesVNG vom 23.05.1975 (BGBl. I S. 1173).
82
BeamtVG vom 24.08.1976 (BGBl. I S. 2485).
Besoldungs- und Versorgungsrecht
(Sicht der Länder)
Seite 122
Seit 1975 ist das Bundesbesoldungsgesetz zahlreichen Modifikationen (etwa 100 Änderungsgesetze 83) unterworfen worden, ohne dass der Grundsatz der abschließenden, einheitlichen und gesetzlichen Kodifizierung des Besoldungsrechts aufgegeben wurde.
Dort, wo das Bundesbesoldungsgesetz (notwendigerweise) unbestimmte Rechtsbegriffe
verwendet, hat es mitunter den Spielraum der Länder im Vollzug durch die Maßgabe „unter Berücksichtigung der gemeinsamen Belange aller Dienstherren“ weiter eingeschränkt,
siehe § 18 BBesG.
Seit Mitte der 90er Jahre kommt etwas Bewegung in die Besoldungsgesetzgebung des
Bundes und er nimmt seine alles prägende Gesetzgebungsbefugnis an verschiedenen
Stellen zurück. Beispiele aus jüngerer Zeit: Gewährung von Leistungsprämien und
-zulagen nach Maßgabe der jeweiligen Haushalte (§ 42a BBesG84), Zuschläge bei begrenzter Dienstfähigkeit (§ 72a BBesG85) oder Festlegung besonderer Stellenobergrenzen
(§ 26 Absatz 3 BBesG86), die Bund und Länder je für sich regeln können. Noch im Jahre
1996 hatten sich die Länder gegen eine Aufweichung der Stellenobergrenzenregelungen
gewehrt87.
Der Bund hatte weitergehende Öffnungen des Besoldungsrechts beabsichtigt, die am
mehrheitlichen Widerstand der Länder gescheitert sind. Beispiel: Einführung von Bandbreitenbewertung bei den Eingangsämtern und ersten Beförderungsämtern im gehobenen
und höheren Dienst (sog. Bandbreitenämter)88.
Es liegt in der erklärten Absicht der jetzigen Bundesregierung, auch das Besoldungsrecht
zu deregulieren89. Wird diese Absicht in Gesetzesentwürfen umgesetzt, würde die Einheitlichkeit des Besoldungsrechts zugunsten der Selbstständigkeit der Dienstherren gelockert.
Die Entwicklung des Beamtenversorgungsgesetzes, das in den zurückliegenden 25 Jahren ebenfalls mannigfach geändert wurde90, verlief bis zur Gegenwart gänzlich anders.
83
Vgl. Kümmel / Pohl, Änderungstabelle in Gruppe 1 / Register 2; Schwegmann / Summer,
Änderungstabelle unter I / 1
84
Eingefügt durch Artikel 3 Nr. 14 des Gesetzes zur Reform des öffentlichen Dienstrechts – ReformG – vom
24.02.1997 (BGBl. I S. 322)
85
In der Fassung des Artikel 1 Nr. 18 des 6. BesÄndG vom 14.12.2001 (BGBl. I S. 3702).
86
In der Fassung des Artikel 1 Nr. 3 BesStruktG vom 21.06.2002 (BGBl. 2138).
87
Ablehnende Stellungnahme des Bundesrates zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Reform des öffentlichen Dienstes der Bundesregierung vom 06.03.1996 (BT-Drucksache 13/3994, S. 64).
88
Stellungnahme des Bundesrates vom 09.03.2001 zu Artikel 1 Nrn. 1, 2 und 10 BesStruktG (BR-Drs.
51/01).
89
Regierungsprogramm „Moderner Staat — moderne Verwaltung“; kritisch: Summer, ZBR 2000, 299.
90
Kümmel, Beamtenversorgungsgesetz, Änderungsübersicht Band 1 Register 2.
Seite 123
Besoldungs- und Versorgungsrecht
(Sicht der Länder)
Der Bundesgesetzgeber verzichtete von Anfang an darauf, den Ländern durch Öffnungsklauseln eigenen Gestaltungsspielraum zu geben.
Forderungen einzelner Länder, die Versorgung der Landesbeamten in die Gesetzgebungskompetenz der Länder zurückzugeben, haben— anders als auf dem Gebiet der Besoldung — kaum eine Chance gehabt; die Länder haben sich bisher mit großer Mehrheit
zur Einheitlichkeit der Versorgung bekannt 91. Sofern die Länder größere besoldungsrechtliche Spielräume erhalten, wird im Hinblick auf die Verzahnung der beiden Rechtsgebiete
Besoldung und Versorgung und die Rückwirkungen besoldungsrechtlicher auf versorgungsrechtliche Bestimmungen die Frage nach der Gesetzgebungskompetenz für die
Versorgung erneut zu stellen sein.
II.
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
Das BVerfG hatte sich auf Antrag der Bundesregierung im Rahmen eines Normenkontrollverfahren gegen das Land Hessen mit der Frage zu befassen, ob das 28. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes mit Artikel 79 Absatz 3 GG vereinbar ist, der den Ländern einen eingriffsfesten Kern eigenstaatlicher Substanz garantiert 92. Durch das Änderungsgesetz erhielt der Bund die Befugnis, Besoldung und Versorgung nicht mehr nur rahmengesetzlich, sondern im Rahmen konkurrierender Gesetzgebung voll zu regeln93 und damit
wesentlich und unmittelbar in die Dienstverhältnisse der Länder einzugreifen.
Das BVerfG94 sieht in der Einfügung des Art. 74a GG einen erheblichen Eingriff in die Eigenstaatlichkeit der Länder, hält ihn aber mit Art. 79 Abs. 3 GG vereinbar. Die Ausübung der
Gesetzgebungskompetenz sei gebunden durch die verfassungsrechtliche Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten. Aus ihr folge, dass der Bund unabhängig von den Grenzen des Art.
72 Abs. 2 GG, die Regelung der Besoldung und Versorgung der Landesbeamten so treffen
müsse, dass den Ländern die Möglichkeit offen bleibe, im Zuge von Reformen und strukturellen Änderungen ihrer Organisation Ämter mit neuem Amtsinhalt einschließlich ihrer der
Struktur der Bundesbesoldungsordnung für Landesbeamte entsprechenden besoldungsrechtlichen Einstufung in eigener Verantwortung zu schaffen. Diese Beschränkung in der
Ausübung der Kompetenz sei vom Bundesverfassungsgericht in vollem Umfang überprüfbar.
Unter diesen Umständen könne offen bleiben, ob das Nebeneinander der Kompetenz aus
91
Vgl. Abstimmung zu dem Entschließungsantrag Bayerns zum Entwurf eines Gesetzes zur Fortsetzung
der Dienstrechtsreform (BR-Drs. 589/5/99).
92
BVerfG vom 26.07.1972 – 2 BvF 1/71 – BVerfGE 34, 9, 20.
93
Vgl. oben I. Nr. 6.
94
BVerfG aaO; vgl. auch v. Münch / Kunig, GG-Kommentar, Art. 74a RN 2 m. w. N.
Besoldungs- und Versorgungsrecht
(Sicht der Länder)
Seite 124
Art. 74a GG und aus Art. 75 Nr. 1 GG dazu führt, dass der Bund von seiner konkurrierenden
Kompetenz erst Gebrauch machen darf, wenn seine Kompetenz zur Rahmengesetzgebung
nicht ausreicht, um das notwendige Maß der Vereinheitlichung des Besoldungsrechts für
Bundes- und Landesbeamte herbeizuführen.
III.
Europatauglichkeit
Die Kompetenznorm Artikel 74a GG steht im Einklang mit europäischem Recht. Sie ist in
Verbindung mit Artikel 72 Absatz 2 GG so ausgebildet, dass notwendige Anpassungen an
europäisches Recht uneingeschränkt möglich sind.
Das (materielle) Besoldungsrecht steht in einem gewissen Spannungsverhältnis zum Europarecht. Der Europäische Gerichtshof 95 betrachtet Beamte als Arbeitnehmer und nimmt
die spezifischen Inhalte des Dienstverhältnisses nicht wahr, wie sie vom nationalen Recht
geprägt sind. So ist gegenwärtig umstritten, ob die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Abgeltung von Mehrarbeit bei Teilzeitkräften zu berücksichtigen ist96. Falls
erforderlich, wäre die Mehrarbeitsvergütungsverordnung zu modifizieren. Auf Grund der
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs 97 werden bei der Ermittlung des Besoldungsdienstalters nunmehr auch Dienstzeiten im europäischen öffentlichen Dienst berücksichtigt 98.
Auch das (materielle) Versorgungsrecht weist Spannungen zum europäischen Recht auf.
Es betrifft die nach europäischem Recht 99 nicht zulässige Anrechung ausländischer Renten auf Versorgungsansprüche (§ 55 Absatz 8 BeamtVG). Dies bleibt nicht ohne Konsequenz für die Berücksichtigung ausländischer Dienstzeiten, die in Mitgliedsstaaten und im
Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) zurückgelegt wurden.
IV.
95
Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, Rechts- und Wirtschaftseinheit
EuGH vom 3. 7. 1986 – Rs. 86/85 – DVBl. 1986, 883; EuGH vom 15.12.1994 – C 399/92 –, Slg. 1994 I
5727; EuGH vom 02.10.1994 – C 1/95 – Slg. 1997 I S. 5253 = ZBR 1999, 159.
96
VG Minden vom 22.05.2002 – 4 K 2238/00 – n. v.
97
Vgl. BayVGH vom 09.11.1998 – 3 B 96.34 – DVBl. 1999, 327; VG Oldenburg vom 25. 3. 1999 – 6 A
4730/97 – n. v.
98
Artikel 1 Nr. 8 des 6. BesÄndG v. 14.12.2001 (BGBl. I S. 3702).
99
Verordnung 1408/71/EWG; Verordnung 574/72/EWG; Verordnung 1606/98/EG.
Seite 125
Besoldungs- und Versorgungsrecht
(Sicht der Länder)
Die Frage, ob und in wie weit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht, wird sehr kontrovers diskutiert:
Für die einen steht der Aspekt der Rechtseinheit für das Besoldungs- und Versorgungsrechts mehr noch im Vordergrund als für das Statusrecht. Die Entwicklung von einer zersplitterten, weil bundesgesetzlich nicht geprägten Rechtsmaterie (Landesbesoldungs- und
Versorgungsrecht) über eine Rahmengesetzgebungskompetenz zu einer verdrängenden
Vollregelungskompetenz zeige das Bemühen, einen ungeregelten Wettbewerb der
Dienstherrn zurückzudrängen. Besoldung und Versorgung sollten wettbewerbsneutral
sein. Insbesondere eine Welle von Strukturveränderungen in der Lehrerbesoldung der
Länder und die sich daraus ergebenden Kettenreaktionen hätten seinerzeit zu Recht zu
der Erkenntnis geführt, dass die Rechtseinheit nur durch Abkehr von einem finanziell immer kostspieliger werdenden "Besoldungsföderalismus" und durch die Übertragung der
konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz auf den Bund gewahrt werden könnte. Für sie
sind die mit dem Dienstrechtsreformgesetz eingeleiteten und mit dem Besoldungsstrukturgesetz fortgesetzten Bestrebungen zur Erweiterung der Gestaltungsspielräume der richtige Weg.
Für die anderen steht der Aspekt der Personalhoheit der Länder im Vordergrund. Ihnen
scheint es in Zeiten leerer Kassen mehr Befürchtung als Realität zu sein, dass sich aufgrund der unterschiedlichen finanziellen Rahmenbedingungen der Dienstherrn die einheitlichen Besoldungsstrukturen in Bund, Ländern und Gemeinden auseinander entwickeln.
Weder werde es zwangsläufig zu einem unerwünschten Besoldungssplitting noch zu einer
Abwanderung qualifizierter Beamte in finanzstarke Länder kommen. Eher besteht nach
dieser Auffassung für finanzschwächere Länder mit hohem Investitionsaufwand, insbesondere für die neuen Länder, künftig eher die Möglichkeit, politisch zu entscheiden, ob
der Investitionstätigkeit oder der Besoldungserhöhung der Vorzug eingeräumt werden soll.
Der behauptete Wettbewerb müsse keineswegs eintreten. Vielmehr werde mit der nun zu
beobachteten Praxis der isolierten Aufweichung von Bundesvorgaben im Interesse einzelne Länder einem einseitigen Besoldungssplitting eher Vorschub geleistet. Ferner habe das
bundeseinheitlich geregelte Besoldungsrecht erhebliche Reflexwirkung auf das Dienstrecht, indem es an sich dienstrechtliche Regelungen nicht erlaubt, weil die an sich notwendige besoldungsrechtliche Regelung mangels Gesetzgebungskompetenz nicht erlaubt
oder wesentlich erschwert werde. Ein prägnantes Beispiel hierfür sei die (zunächst nicht
vorhandene) Regelung über die Altersteilzeit der teilzeitbeschäftigten Beamten: Obwohl
das BRRG eine differenzierte Ausgestaltung erlaubt habe, seien bundesrechtliche Vorgaben des Besoldungsrechts zunächst hinderlich gewesen.
Besoldungs- und Versorgungsrecht
(Sicht der Länder)
Seite 126
Die weitest gehende Auffassung hält die Überführung der Gesetzgebungskompetenz für
das Besoldungs- und Versorgungsrecht auf die Länder für unverzichtbar, da grundlegende
Reformen im Dienst-, Besoldungs- und Versorgungsrecht sonst nicht möglich seien. Andere halten die Überführung mindestens des Besoldungsrechts in eine eingeschränkte
Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes für angebracht. Andere halten die Beibehaltung der konkurrierenden Gesetzgebung im Versorgungsrecht für eher für richtig.
V.
Leistungsfähigkeit der Länder
Ein Abgehen von der weitgehenden Einheitlichkeit des (materiellen) Besoldungs- und Versorgungsrechts wird von einem Teil der Länder in Verbindung gebracht mit Wettbewerbsverzerrungen zugunsten finanzkräftiger Länder. Andere bezweifeln, dass es zu Wettbewerbsverzerrungen kommen werde und sehen im Gegenteil in der Stärkung der Gesetzgebungskompetenzen der Länder die Chance zu höherer Leistungsfähigkeit. Vgl. Ausführungen zu IV..
VI.
Deutsche Einheit
Der Einigungsvertrag100 hat zu Überleitungsregelungen im Besoldungsrecht geführt (§ 73
BBesG sowie die darauf beruhende Zweite Besoldungsübergangsverordnung 101). Dies ist
die Grundlage für die abgesenkte Besoldung in den neuen Bundesländern. Es ist politisch
beabsichtigt, das Besoldungsgefälle in den nächsten Jahren anzugleichen. Das Problem
der Ungleichbesoldung hat auch bereits mehrfach das Bundesverwaltungsgericht beschäftigt, das hier (noch) keinen Verfassungsverstoß erkennt 102. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 103 steht noch aus.
Ebenso hat der Einigungsvertrag zu einer Ergänzung des Versorgungsrechts geführt (§
107a BeamtVG, Beamtenversorgungs-Übergangsverordnung 104). Entsprechend der Besoldung ist auch die Versorgungsniveau in den neuen Bundesländern abgesenkt. Die
Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Absenkung betrifft damit auch das Versorgungsrecht.
100
Einigungsvertrag vom 23.09.1990 (BGBl. I S. 885), Anlage I Kapitel XIX.
101
2. BesÜV v. 27.11.1997 (BGBl. I S. 2764).
102
BVerwG vom 20.01.2000 – 2 C 6.99 – ZBR 2000, 271.
103
Verfahren 2 BvL 3/00 auf Vorlagebeschluss des VG Dresden vom 21.12.1999 – 2 K 3149/98 – ZBR
2000, 176.
104
BeamtVÜV vom 19.03.1993 (BGBl. I S. 370).
Seite 127
VII.
Besoldungs- und Versorgungsrecht
(Sicht der Länder)
Schnittstelle zur Arbeitsgruppe Finanzen
Es bestehen keine Berührungspunkte.
VIII.
Schnittstelle zur Bund-Länder-Arbeitsgruppe zu europapolitischen Themen
Die aufgezeigten Spannungsverhältnisse zwischen nationalem Besoldungs- und Versorgungsrecht zu den europarechtlichen Standards für Arbeitnehmer zeigen Berührungspunkte mit der Bund-Länder-Arbeitsgruppe an.
Dienstrecht der Landes- und Kommunalbeamten
(Sicht der Länder)
Seite 128
Dienstrecht der Landes- und Kommunalbeamten
(Sicht der Länder)
Auftrag
Länder: Eine Bestandsaufnahme und Problembeschreibung zur bisherigen Handhabung des Art. 75 Abs. 1
Nr. 1 GG im Zusammenhang mit allgemeinen, die Rahmengesetzgebungskompetenz betreffenden Punkten
ist zu erstellen (vgl. CdS-Papier, Ziffer 2.1 und 2.3).
Berichterstattung: HE, NI
I.
Inanspruchnahme der Rahmengesetzgebungskompetenz durch den Bund
Der Bund hat von Anfang an seine Rahmengesetzgebungskompetenz nach Art. 75
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GG intensiv wahrgenommen. Bereits das erste BRRG vom 1.
Juli 1957 (BGBl. I S. 667) hat auf der Grundlage der durch das erste endgültige BBG
vom 14. Juli 1953 (BGBl. I S. 551) erreichten Vereinheitlichung des Beamtenrechts
auf Bundesebene das Ziel verfolgt, ein einheitliches deutsches Beamtenrecht in
Bund, Ländern und Kommunen zu schaffen. Es war „in Wahrheit weitaus mehr als
Rahmenrecht. Unter dem politischen Konsens über die Notwendigkeit eines bundeseinheitlichen Beamtenrechts legte man die Rahmenkompetenz des Bundes so großzügig aus, dass schließlich den Ländern für ihre Beamtengesetzgebung nichts mehr
zu regeln übrig blieb. Die Rahmenkompetenz des Bundes war durch die politische
Praxis und unter Stillschweigen des BVerfG zu einer vollen Bundeskompetenz geworden.“ (Hattenhauer, Geschichte des deutschen Beamtentums, 2. Auflage, 1993,
S.522).
Daran hat sich in der Folgezeit nichts geändert. Das BRRG und seine Handhabung
durch den Bund festigte die Einheitlichkeit des Beamtenrechts in Bund und Ländern.
Der ohnehin sehr geringe Regelungsspielraum nach dem 1. BRRG von 1957 wurde
durch spätere Gesetzesänderungen nicht erweitert, sondern zumeist durch sehr detaillierte Regelungen weiter eingeengt. Dies gilt bis zur Änderung der Art. 72 und
75 GG durch das Gesetz vom 27. 10. 1994 z. B. für die folgenden Ergänzungen
und Änderungen des BRRG:
• Teilzeit und Beurlaubung für Beamtinnen (Art. 1 des Sechsten Gesetzes zur Änderung beamtenrechtlicher und besoldungsrechtlicher Vorschriften vom 31. 3. 1969
- BGBl. I S. 257)
Seite 129
Dienstrecht der Landes- und Kommunalbeamten
(Sicht der Länder)
• Teilzeit aus arbeitsmarktpolitischen Gründen (Art. 1 des Dritten Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften vom 10. 5. 1980 -BGBl. I S. 561)
• Urlaub aus arbeitsmarktpolitischen Gründen (Art. 1 des Fünften Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften vom 25. 7. 1984 -BGBl. I S. 998)
• Versagung von Nebentätigkeiten (NebentätigkeitsbegrenzungsG vom 21. 2. 1985
–BGBl. I S. 371)
• Ausgleichsregelung für berufliche Nachteile von Frauen (Art. 1 des Achten Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften vom 30. 6. 1989 – BGBl. I S.
1282)
• Personalaktenrecht (Art. 2 des Neunten Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher
Vorschriften vom 11. 6 1992 – BGBl. I S. 1030)
• Teilzeit und langfristige Beurlaubung (Art. 1 des Elften Gesetzes zur Änderung
dienstrechtlicher Vorschriften vom 20. 5. 1994 – BGBl. I S. 1078)
Es ist aber auch richtig, dass die im Bund-Länder-Arbeitskreis für Beamtenrechtsfragen, der 1969 zur Begleitung der Arbeiten der Studienkommission für die Reform des
öffentlichen Dienstrechtes gebildet wurde, vorbereiteten Gesetzesvorhaben zumeist
von allen oder doch der Mehrheit der Länder unterstützt worden sind, der Bund sich
also bei der Wahrnehmung seiner Rahmenkompetenz im Konsens mit den Ländern
befand.
Aber auch nach der Änderung des GG von 1994 stand zunächst die Rechtseinheit
des Beamtenrechts im Vordergrund. Dies belegen z. B. die folgenden Änderungen
des BRRG, in denen weitgehend alle Einzelheiten für die Länder verbindlich geregelt
werden, gelegentlich verbunden nur mit der Möglichkeit, auf die Übernahme in Landesrecht gänzlich zu verzichten:
• Führungsfunktionen auf Zeit und auf Probe, Abordnungen und Versetzungen
(DienstrechtsreformG vom 24. 2. 1997 - BGBl. I S. 322)
• Einschränkungen von Nebentätigkeiten (Art. 1 des Zweiten NebentätigkeitsbegrenzungG vom 9. 9. 1997 - BGBl. I S. 2294)
• Einführung der begrenzten Dienstfähigkeit und Ausweitung des Altersurlaubs (Art.
1 des VersorgungsreformG 1998 vom 29. 6. 1998 - BGBl. I S. 1666)
Es gelang nicht, den Ländern in der Form von Öffnungsklauseln für einzelne Bereiche mehr Gesetzgebungsspielräume für länderspezifische Erfordernisse zuzugestehen. Dies betraf z. B. die Ermöglichung des Vorruhestandes bei Personalüberhang
oder die Einführung von Führungsfunktionen auf Zeit lange vor dem DienstrechtsreformG vom 24. 2. 1997. Dies hatte zur Folge, dass einzelne Länder zu kompetenzrechtlich problematischen Umwegregelungen griffen. So hatten einige Länder den
Dienstrecht der Landes- und Kommunalbeamten
(Sicht der Länder)
Seite 130
Vorruhestand auf der Grundlage von Sonderurlaub gestattet und Führungsfunktionen
auf Zeit durch Landesgesetze eingeführt.
Für die Zukunft zeichnet sich jetzt aber ab, dass der Bund nicht länger an seiner
bisher umfassend verstandenen Rahmengesetzgebungskompetenz für das Beamtenrecht festhalten wird, sondern den Ländern mehr gesetzgeberischen Spielraum nach Maßgabe der Grundgesetzänderung von 1994 einräumen wird. Dies
zeigen Äußerungen aus dem BMI, mehr als bisher Öffnungsklauseln für die Länder
zuzulassen, wenn diese es wünschen. Für ein vom o.g. Arbeitskreis am 10. Mai 2001
beschlossener Entwurf für eine grundlegende Überarbeitung des BRRG, soll nach
Auskunft des BMI in der nächsten Legislaturperiode das Gesetzgebungsverfahren
eingeleitet werden.
Das BundespersonalvertretungsG enthält nur wenige und viel Regelungsspielraum
gewährende Rahmenvorschriften für die Landesgesetzgebung (§§ 94 - 106
BPersVG). Dies hat dazu geführt, dass in einigen wichtigen Punkten abweichende
Entwicklungen stattgefunden haben, die z. B. im Rahmen der Überprüfung des Mitbestimmungsgesetzes Schleswig Holstein Gegenstand der Entscheidung des
BVerfG vom 24. 5. 1995 (BVerfGE 93,37) gewesen sind. Dies gilt u.a. für Regelung
der Mitbestimmung auf der Grundlage von Generalklauseln und das den Spitzenorganisationen der Gewerkschaften eingeräumte Vereinbarungsrecht für allgemeine
Regelungen.
Im Disziplinarrecht gibt es keine rahmenrechtlichen Regelungen. Die bisherige
Bundesdisziplinarordnung und das neue BundesdisziplinarG vom 9. Juli 2001 (BDG)
verstanden und verstehen sich als Musterregelungen für das Disziplinarecht in den
Ländern. Damit waren Abweichungen im einzelnen aber auch im grundsätzlichen
möglich. Davon ist auch - wenn auch nicht sehr umfangreich - Gebrauch gemacht
worden. Insbesondere beruht das neue BDG auf der reformerischen Umgestaltung
des DisziplinarG Rheinland-Pfalz. Mit dem neuen BDG wird das Ziel verfolgt, den
Ländern wieder eine als Vorbild dienende Musterregelung zum Erhalt eines möglichst einheitlichen Disziplinarrechts vorzugeben. Die Ländervertreter im Arbeitskreis
für Beamtenrechtsfragen haben grundsätzlich zugesagt, ihr Landesrecht entsprechend zu novellieren.
Seite 131
II.
Dienstrecht der Landes- und Kommunalbeamten
(Sicht der Länder)
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
• Das BVerfG hat sich in einer frühen Entscheidung vom 1. 12. 1954 (BVerfGE 4,
115ff.) aus Anlass der Überprüfung des LBesG NRW mit der Auslegung von
Rahmenvorschriften im Sinne des damals geltenden Art. 75 GG im Allgemeinen
und mit der Zulässigkeit bundesgesetzlicher Rahmenvorschriften für das Besoldungsrecht der Länder im Besonderen befasst. Danach „ist die Beamtenschaft
ein bedeutsames Element der eigenstaatlichen Organisation der Länder" und
deshalb besteht „ein besonders starkes und legitimes Interesse der Länder als
Dienstherren, das Recht ihrer Beamten selbst zu ordnen“ (BVerfG a.a,O. S. 136).
Insgesamt hat der Bundesgesetzgeber danach zwar das Recht, alle wesentlichen
Fragen des Beamtenverhältnisses vereinheitlichend zu regeln, muss dabei aber
die allgemeinen Grenzen für die Rahmengesetzgebung einhalten. Diese sind allerdings nach der Rechtsprechung des BVerfG nicht generell zu bestimmen, sondern jeweils besonders für die einzelnen Materien des Art 75 (BVerfG a.a.O. S.
136). Im übrigen besteht keine Rechtsprechung des BVerfG zum zulässigen Umfang der Inanspruchnahme der Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundesgesetzgebers für das Dienstrecht der Landes- und Kommunalbeamten.
• Die Kompetenznorm bezieht sich auf die in ihr genannten "Dienstherren", also auf
die Länder, die Gemeinden und die Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des
öffentlichen Rechts. Der Bund selbst ist nicht an die Rahmengesetzgebung gebunden. Ihm steht für die Rechtsverhältnisse der im Dienste des Bundes und der
bundesunmittelbaren Körperschaften des öffentlichen Rechts stehenden Personen
die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz zu (Art. 73 Nr. 8 GG).
• Die Rahmengesetzgebungskompetenz lässt Regelungen zu für Beamte, Angestellte und Arbeiter, aus Gründen der Verfassungsautonomie aber nicht die Mitglieder einer Landesregierung.
• Art 75 Abs. 1 Nr.1 wird vom BVerfG weit ausgelegt (BVerfGE 61, 149ff. (202). Daher erstreckt sich die Gesetzgebungskompetenz auf alle Fragen der rechtlichen
Beziehungen, die zwischen Dienstherrn und Dienstnehmer bestehen, also der Begründung, Beendigung und der Nachwirkungen von Dienstverhältnissen sowie
sämtliche Rechte und Pflichten hieraus.
• Der Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 33 Abs. 5 GG kommt maßgebliche Bedeutung zu für den Mindestregelungsbedarf des Rahmenrechts. Zu den hierfür
wichtigsten vom BVerfG anerkannten hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums gehören u.a. das Lebenszeitprinzip sowie die hauptberufliche Bindung,
das Leistungsprinzip, das Laufbahnprinzip, die amtsangemessene Verwendung,
die Treue- und Fürsorgepflicht, Verfassungstreuepflicht und Streikverbot (vgl. z. B.
Battis, BBG, 2. Auflage, 1997, § 2 RZ 11).
Dienstrecht der Landes- und Kommunalbeamten
(Sicht der Länder)
III.
Seite 132
Europatauglichkeit
Das BRRG hat sich in der Vergangenheit als ausreichend bei der Umsetzung von
europäischem in nationales Recht erwiesen. Durch Art. 1 des Zehnten Gesetzes zur
Änderung dienstrechtlicher Vorschriften vom 20. 12. 1993 (BGBl I S. 2136) ist u.a. in
Umsetzung der Freizügigkeitregelung des EWG Vertrages das Beamtenrecht für
Staatsangehörige von Mitgliedsstaaten der EG geöffnet und der Erwerb der Laufbahnbefähigung auf der Grundlage der Richtlinie über eine allgemeine Regelung zur
Anerkennung der Hochschuldiplome (89/48/EWG) geregelt worden. Der unter 1. angeführte Entwurf zur Änderung des BRRG enthält weitere Einzelregelungen zur Anpassung an das Europarecht.
Für den Bereich des Dienstrechts ergeben sich nach dem Ergebnis der MPK vom 13.
Juni 2002 (Top 1.1) wegen der EU - Erweiterung und der Arbeiten des Konvents zur
Zukunft der EU keine Problemstellungen.
IV.
Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, Rechts- und Wirtschaftseinheit
Bisher stand der Aspekt der Rechtseinheit im Vordergrund. Ein einheitliches Beamtenrecht in Bund und Ländern war - wie unter 1. dargestellt - in der Vergangenheit
ein weitgehend von allen akzeptiertes Leitziel. Nach der Begründung des Entwurfs
zum 1. BRRG soll das im BRRG geregelte Statusrecht der Beamtinnen und Beamten
die verfassungsgemäße Einrichtung (Art. 33 Abs. 4 und 5 GG) des Berufsbeamtentums in den Ländern, Gemeinden und sonstigen Körperschaften auf Landesebene
festigen, damit die besondere Eigenart, die das Berufsbeamtentum nach deutscher
Rechtstradition kennzeichnet und durch das es sich von anderen Formen des öffentlichen Dienstes unterscheidet, einheitlich gewahrt bleibt. Aber auch in diesem Rahmen wäre in Einzelfällen gleichwohl eine Lockerung der Bundeskompetenz, etwa
nach Maßgabe der 1994 vorgenommen Änderung des GG, wünschenswert gewesen.
Die entscheidende Frage ist, ob im Dienstrecht überhaupt die Wahrung der Rechtseinheit im gesamtstaatlichen Interesse ein Bundesgesetz erforderlich macht (Art. 72
Abs. 2 GG) und dem Bund die (eingeschränkte) Rahmengesetzgebung zustehen soll
(vgl. CdS-Papier Ziffer. 2.1) oder ob die Voraussetzungen der seit 1994 geltenden
Erforderlichkeitsklausel nicht vorliegen und die Gesetzgebungskompetenz den Län-
Seite 133
Dienstrecht der Landes- und Kommunalbeamten
(Sicht der Länder)
der ausschließlich zustehen soll (vgl. CdS-Papier Ziffer 2.3 i.V.m. 2.2). Dies wird kontrovers diskutiert:
• Die Ministerpräsidenten der Länder BW, BY und HE haben in ihrem gemeinsamen
Positionspapier "Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung - Stärkung der
Eigenverantwortung der Länder" vom 8. 7. 1999 zunächst die Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes im Prinzip nicht in Frage gestellt.
• Im Jahre 2000 hat BY im Bundesrat die Rückübertragung der Gesetzgebungskompetenz für das Dienstrecht in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz
der Länder verlangt (Antrag des Freistaates Bayern zum Entwurf eines Gesetzes
zur Fortsetzung der Dienstrechtsreform zur 750. Sitzung des BR am 7. 4. 2000 –
BR-Drs. 589/99). Der Antrag ist vom Bundesrat mehrheitlich abgelehnt worden.
• Die bundeseinheitliche Struktur des Dienstrechts ist bereits heute nicht gewährleistet, da das BRRG nicht für den Bund und seine Beamtinnen und Beamten gilt.
• Vereinheitlichtes Beamtenrecht steht bundeseinheitlichem Tarifrecht gegenüber;
Beamten- und Tarifrecht würde sich weiter auseinander entwickeln.
• Ein einheitliches Beamtenrecht könnte den Personalwechsel zwischen Bund, Ländern und Gemeinden erleichtern und so zur notwenigen Mobilität der Angehörigen
im öffentlichen Dienst beitragen, zumal bei Dienstellen verschiedener Dienstherren am selben Ort. Es wird zu klären sein, ob dies auch durch Koordination und
Kooperation zwischen Bund und Ländern erreicht werden könnte.
V.
Leistungsfähigkeit der Länder
Da die Bundesländer derzeit nach Größe und Verwaltungskraft sehr unterschiedlich
sind, wird ein Abgehen von der weitgehenden Einheitlichkeit des Beamtenrecht von
einigen Ländern in Verbindung gebracht mit Wettbewerbsverzerrungen zugunsten finanzstärkerer Länder, insbesondere bei der Personalgewinnung. Andere sind der
Auffassung, dass diese nicht zwingend eintreten werden und sehen in der eingeschränkten Rahmengesetzgebungskompetenz und mehr noch in der Rückführung
der Gesetzgebungskompetenz auf die Länder die Chance zu höherer Leistungsfähigkeit.
Auch ohne rahmenrechtliche Bindungen ist insbesondere im Hinblick auf die ausdifferenzierte Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 33 Abs. 5 GG die Annahme nicht
abwegig, dass die Beamtengesetze des Bundes, möglicherweise aber auch das Beamtengesetz eines anderen Landes, als Vorlage genutzt werden.
Dienstrecht der Landes- und Kommunalbeamten
(Sicht der Länder)
VI. Deutsche Einheit
Seite 134
Aufgrund des Einigungsvertrages ist das BRRG im notwendigen Umfang ergänzt
worden (vgl. z.B. § 122 Abs. 2 Satz 2 BRRG). Weitere Regelungen erscheinen derzeit nicht erforderlich.
VII. Schnittstelle zur Arbeitsgruppe Finanzen
Es bestehen keine Berührungspunkte.
VIII. Schnittstelle zur Bund/Länder Arbeitsgruppe zu europapolitischen Themen
Es werden keine Berührungspunkte zur Arbeitsgruppe gesehen.
Seite 135
Allgemeine Grundsätze des Hochschulwesens
Allgemeine Grundsätze des Hochschulwesens
Auftrag
Länder: Eine Bestandsaufnahme und Problembeschreibung zur bisherigen Handhabung des Art. 75 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1a GG im Zusammenhang mit allgemeinen, die Rahmengesetzgebungskompetenz betreffenden
Punkten ist zu erstellen (vgl. CdS-Papier, Ziffer 2.1, 2.3).
Berichterstattung: BW, BE
I.
Entstehung, Normbereich
1.
Die 1969 mit dem Ziel von mehr Einheitlichkeit im Bildungswesen zusammen mit
Art. 91a (u.a. Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau) und Art. 91b (Zusammenwirken
bei Bildungsplanung/Forschungsförderung) in Art. 75 Abs. 1 Satz 1 GG eingefügte
Nr. 1a ist Ergebnis eines Vermittlungsverfahrens zu der ursprünglich vom BT beschlossenen Fassung (Rahmenkompetenz für „die Bildungsplanung und das Hochschulwesen“). Die geltende Fassung ist eine Kompromissformel, mit der die damaligen Meinungsverschiedenheiten zwischen Bund und Ländern über die Reichweite
der Kompetenz mit einer Einschränkung auf ‚allgemeine Grundsätze‘ überbrückt
wurden. Frühere Pläne der Bundesregierung, den Katalog der konkurrierenden Gesetzgebung um die Zuständigkeit für das Hochschulwesen zu erweitern, sind nicht
wieder aufgegriffen worden.
2.
Nach Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a GG hat der Bund das Recht - unter den ergänzenden Voraussetzungen des Art. 72 GG - Rahmenvorschriften über die allgemeinen
Grundsätze des Hochschulwesens für die Gesetzgebung der Länder zu erlassen. Im
Verhältnis zu den Ländern ist die Gesetzgebungskompetenz des Bundes dabei in
zweifacher Weise eingeschränkt:
- Das Gesetzgebungsrecht des Bundes ist auf den Erlass von Rahmenvorschriften
beschränkt, die den Ländern genügend Spielraum für eine inhaltliche Ausfüllung
lassen müssen und nur in Ausnahmefällen in Einzelheiten gehende oder unmittelbar geltende Regelungen enthalten dürfen,
- der Bund hat ein Gesetzgebungsrecht nur, wenn und soweit die Herstellung
gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der rechtsoder wirtschaftseinheitlich gesamtsstaatlichen Interessen eine bundesgesetzliche
Regelung erforderlich macht.
Allgemeine Grundsätze des Hochschulwesens
Seite 136
Nach Auffassung der Länder kann der Bund aufgrund seiner Rahmenkompetenz nur
allgemeine Grundsätze regeln; der Vergleich mit anderen Gesetzgebungsmaterien
des Art. 75 mache deutlich, dass insoweit im Hochschulbereich eine noch stärkere
Eingrenzung für die Rahmenkompetenz des Bundes vorgesehen sei als bei den Regelungsbereichen, die ohne eine entsprechende Beschränkung auf allgemeine
Grundsätze genannt werden.
Nach Auffassung des Bundes sollten die Worte „allgemeine Grundsätze“ nach den
Beratungen des Vermittlungsausschusses, die 1969 zur Formulierung der Rahmenkompetenzen im Bereich des Hochschulwesens geführt haben, lediglich verdeutlichen, dass im Ergebnis keine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes
- wie von der FDP damals gefordert -, sondern eine Rahmengesetzgebungskompetenz geschaffen wurde (Mündlicher Bericht des Berichterstatters des VA, 222. Sitzung des Deutschen Bundestages, S. 12056 ff (12059)). Dafür spreche auch die
1994 erfolgte Einfügung des Art. 75 Abs. 2 GG, der bei allen Regelungsmaterien des
Absatz 1 in Ausnahmefällen auch in Einzelheiten gehende oder unmittelbar geltende
Regelungen ausdrücklich zulässt.
3.
Die Gestaltung des Hochschulwesens ist verfassungsrechtlicher Auftrag und ein wesentliches Element der Eigenstaatlichkeit der Länder (Art. 30, 70, 83 GG). Der Bund
hat hier allerdings Teilkompetenzen - neben Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a GG sind
dies vor allem:
-
-
Art. 32 Abs. 1 und Art. 73 Nr. 1 (Auswärtige Kulturpolitik)
Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 (Ausbildungsförderung und Förderung der wissenschaftlichen Forschung)
Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 (Rahmengesetzgebungskompetenz zum öffentlichen Dienstrecht, soweit dem Bund nach Art. 74a GG - für die Besoldung
und Versorgung - und nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG - für das Arbeitsrecht nicht die konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis zusteht)
Art. 91a Abs. 1 Nr. 1 (Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau)
Art. 91b (Möglichkeit des vertraglichen Zusammenwirkens von Bund und
Ländern bei der Bildungsplanung und der Förderung von Einrichtungen und
Vorhaben wissenschaftlicher Forschung von überregionaler Bedeutung)
Seite 137
Allgemeine Grundsätze des Hochschulwesens
II.
Bisherige Handhabung und Reformüberlegungen
4.
Nach Auffassung der Länder hat der Bund von der Kompetenz des Art. 75 (Abs. 1
Satz 1) Nr. 1a GG ab 1976 durch das zwischenzeitlich sechsmal novellierte Hochschulrahmengesetz (HRG) in vergleichsweise extensiver Weise Gebrauch gemacht.
Das Gesetz enthält neben Grundsatzaussagen detaillierte Bestimmungen u.a. zu
Studium und Lehre, für die Zulassung zum Studium, über das wissenschaftliche und
künstlerische Personal sowie hochschulorganisatorische Regelungen wie die Einführung der verfassten Studierendenschaft. Die Bestimmungen über die Pflicht zur Koordinierung der Ordnung von Studium und Lehre (§ 9 HRG), die arbeitsrechtlichen
Bestimmungen der §§ 57a bis 57f HRG und ihre Anwendung auf staatlich anerkannte Hochschulen (§ 70 Abs. 5 HRG) gelten nach § 72 Abs. 1 HRG unmittelbar; § 72
HRG schreibt entsprechend Art. 75 Abs. 3 GG Fristen für die Anpassung des Landesrechts vor. Die arbeitsrechtlichen Bestimmungen beruhen auf der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für das Arbeitsrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG).
Nach Auffassung des Bundes ist die Kritik der Länder an dem Umfang der Inanspruchnahme der Regelungskompetenz durch den Bundesgesetzgeber spätestens
seit der 4. HRG-Novelle von 1998 nicht berechtigt, da
- das Gesetz mit dieser Novelle massiv dereguliert wurde,
- das 4. HRGÄndG mit den Ländern abgestimmt wurde und
- weitergehende Deregulierungsvorschläge des Bundes - wie die völlige Streichung
des 4. Kapitels - von den Ländern abgelehnt wurden.
In dem damaligen Regierungsentwurf heißt es hierzu (BT-Drs. 13/8796, S. 14):
„Damit die Hochschulen den für die Verwirklichung der Reformvorstellungen
notwendigen Freiraum erhalten, muss das bestehende Bundes- und Landesrecht gleichzeitig in erheblichem Maße dereguliert werden. Für das HRG
heißt dies, dass es auf einen Kernbestand von Vorschriften beschränkt werden soll, der für ein Hochschulsystem des 21. Jahrhunderts unbedingt bundeseinheitlich geregelt werden muss.“
5.
Überblick über Reformüberlegungen zu Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a GG:
Die Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landesparlamente
hat im Jahr 2000 Streichung dieser Kompetenz empfohlen mit der Begründung, dass
das HRG den Ländern bei der Gestaltung ihres Hochschulwesens in vielfältiger und
unnötiger Weise Fesseln angelegt habe, die sie gehindert haben, ihr Hochschulwe-
Allgemeine Grundsätze des Hochschulwesens
Seite 138
sen sachgerecht zu gestalten; das deutsche Hochschulwesen könne durch stärker
konkurrierende Systeme an Qualität gewinnen.
Streichung hat ebenfalls empfohlen die Enquete-Kommission des bayerischen Landtages (LT-Drs. 14/8660, S. 21). Hauptbegründung: Das HRG enthalte zu detaillierte
Vorgaben. Gerade im Bereich des Hochschulwesens könne der angestrebte Wettbewerb um die besten Ideen Wirkung entfalten. Ein Mitglied der Kommission vertrat
demgegenüber die Auffassung, „dass die wissenschaftlichen Hochschulen ihre Aufgabe freier Forschung und Lehre und ihren Anteil an Bildung und Kultur in Deutschland nur sachgerecht und wirksam - auch im Hinblick auf den Austausch mit der Wissenschaft des Auslandes - wahrnehmen können, wenn durch Bundesrecht die organisatorische und funktionale Grundform der Rechtsgestaltung der Universitäten gewährleistet wird. Diese bundesstaatliche Zuordnung des Hochschulwesens, das sich
für wechselnde Experimente von Land zu Land nur in untergeordneten Regelungsbereichen eignet, ist zugleich die notwendige Voraussetzung für einen „Wettbewerb um
die besten Ideen“, d.h. der Entwicklung von Forschung und Lehre in einer Vielfalt von
Land zu Land und von Universität zu Universität.“
Die Mehrheit der BY-LT-Kommission hat diese Auffassung nicht geteilt: „Das Hochschulwesen ist ein zentrales Politikfeld der Länder und wichtiger Bestandteil ihrer im
Zuge der wirtschaftlichen Globalisierung immer wichtiger werdenden eigenständigen
Standortpolitik. Wenn ihnen die Möglichkeit eingeräumt wird, auf diesem Gebiet neue
und eigene Wege zu beschreiten, trägt dies zur Stärkung der politischen Gestaltungsmöglichkeiten der Länder und damit auch der Landesparlamente bei.“
Die BT-Enquete-Kommission Verfassungsreform (1976) hatte die Überführung des
Rechts der Hochschulen in den Katalog der konkurrierenden Gesetzgebung empfohlen, dies aber mit einer stärker begrenzenden Neufassung des Art. 72 GG und einer
ausdrücklichen Zustimmungspflichtigkeit von Bundesgesetzen über das Hochschulwesen verbunden (BT-Drs. 7/5924, S. 123 ff., 133). Die Kategorie der Rahmenkompetenz war von der BT-Enquete-Kommission seinerzeit gestrichen worden zugunsten von Restriktionen für das Gebrauchmachen vom Katalog der konkurrierenden
Gesetzgebung mit dem Ziel möglichster Beschränkung auf bundesgesetzliche Richtlinien für die Landesgesetzgebung.
Die Kommission Verfassungsreform des Bundesrates (1992) und die Gemeinsame
Verfassungskommission von BT/BR hatten übereinstimmend 1993 empfohlen, die
Nr. 1a des Art. 75 Abs. 1 Satz 1 GG wie folgt zu fassen:
Seite 139
Allgemeine Grundsätze des Hochschulwesens
„1. a) Die allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens soweit sie die Zulassung zum Studium, die Studiengänge, die Prüfungen, die Hochschulgrade, das wissenschaftliche und künstlerische Personal betreffen.“
Anders als die Gemeinsame Verfassungskommission hatte die Verfassungskommission des Bundesrates seinerzeit ergänzend empfohlen, Rahmengesetze an die Zustimmung des Bundesrates zu binden, weil zweifelhaft sei, ob die Zustimmungsbedürftigkeit gemäß Art. 84 Abs. 1 GG bei nicht unmittelbar geltenden Rahmenvorschriften in Betracht kommt und weil der Bundesgesetzgeber jedenfalls die Möglichkeit hätte, zustimmungsfreie und zustimmungsbedürftige Materien in getrennten Gesetzen zu regeln (BR-Drs. 360/92 S. 12).
Die Bundesseite hat in der Reformdiskussion die Notwendigkeit bundesgesetzlicher
Regelung im Wesentlichen stets mit der Gewährleistung von Freizügigkeit und Mobilität, auch im Hinblick auf die europäische Integration begründet. Die Länderseite hat
demgegenüber mit dem durch mehr Gestaltungsspielraum bewirkten Wettbewerb der
Länder und Hochschulen untereinander und mit - soweit erforderlich - der Möglichkeit
der Länderkooperation argumentiert.
III.
Problembeschreibung
6.
Nach Auffassung der Länder belegen Umfang und hohe Regelungsdichte des HRG,
dass die Begrenzungen der Art. 75 und 72 GG
-
Rahmenvorschriften, allgemeine Grundsätze
nur ausnahmsweise ins Einzelne gehende oder unmittelbar geltende
Regelungen
Erforderlichkeitsklausel
kaum steuernden Einfluss auf die Rahmengesetzgebung des Bundes haben. Auch
der Umstand, dass es sich mit Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a GG um eine Bundeskompetenz in einem Kernbereich der Eigenstaatlichkeit der Länder handelt, habe zu
keiner durchgreifenden Begrenzung geführt.
Das Inkrafttreten der Art. 72 Abs. 2 n. F. und 75 Abs. 2 n. F. ab dem 15.11.1994
habe ebenfalls keine Veränderung bewirkt.
Die Regelungsdichte des HRG lasse den Ländern - entgegen der verfassungsrechtlichen Intention - nur sehr geringen Spielraum für eigene gesetzgeberische Gestal-
Allgemeine Grundsätze des Hochschulwesens
Seite 140
tungen. Das Vierte Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes vom 20.
August 1998 habe zwar die Spielräume der Länder zur Gestaltung der Organisationsstruktur der Hochschulen etwas gelockert, im wesentlichen aber die hohe Regelungsdichte nicht zurückgenommen.
Im Gegenteil: Das Fünfte Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes und
anderer Vorschriften vom 16. Februar 2002 habe die Regelungsdichte im Bereich
des Personal- und Dienstrechts noch erhöht.
Diese Entwicklung habe sich mit dem mittlerweile in Kraft getretenen Sechsten Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes vom 8. August 2002 fortgesetzt.
Einzelne Länder sehen es insbesondere als fraglich an, ob Vorschriften über Studiengebühren auf der Grundlage von Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a/Art. 72 Abs. 2 GG
zulässig sind - auch im Hinblick auf Art. 109 Abs. 1 GG (Haushaltstrennung/ eigenständige Haushaltswirtschaft der Länder) – und ob Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a GG
dem Bund erlaubt, Einzelheiten für die Bildung von Studierendenschaften vorzugeben.
? Nach Auffassung des Bundes wurden dagegen mit dem Vierten Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes die früheren Regelungen über Organisation
und Verwaltung nicht nur „etwas gelockert“, sondern weitgehend gestrichen und
wären, wenn die Länder nicht widersprochen hätten, sogar vollständig aufgehoben
worden. Der damalige Regierungsentwurf hierzu lautete (BT-Drs. 13/8796, S. 14):
„Der Gesetzentwurf sieht insbesondere eine weitgehende Deregulierung der
Vorschriften über die innere und äußere Organisation und Verwaltung der
Hochschulen vor (§§ 38 bis 40, §§ 58 bis 66). Durch die Deregulierung dieser
Regelungskomplexe erhalten die Länder einen umfassenden Handlungsspielraum für die Umgestaltung des Managements der deutschen Hochschulen. Zum anderen wird der Grundstein für ein von Autonomie und Wettbewerb geprägtes, international konkurrenzfähiges Hochschulsystem gelegt,
das in der Lage ist, flexibel und kreativ auf heute bestehende und sich künftig
stellende Herausforderungen zu reagieren. Soweit Bestimmungen aufgehoben werden, beeinträchtigt dies weder die Wahrung der Rechtseinheit noch
die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse. Detaillierte bundeseinheitliche
Regelungen über die Organisation und Verwaltung der Hochschulen sind für
die Mobilität der Hochschulmitglieder ebenso ohne Bedeutung wie Regelungen darüber, ob eine staatliche Hochschule allein Körperschaft oder auch
Seite 141
Allgemeine Grundsätze des Hochschulwesens
zugleich staatliche Einrichtung ist und ob sie von einem Rektor, einem Präsidium oder einem Vorstand geleitet wird.“
Ferner sei mit dem Fünften Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes und anderer Vorschriften das Hochschuldienstrecht reformiert worden, ohne die Regelungsdichte des HRG dadurch insgesamt zu erhöhen.
Beispielsweise sei das bisherige Hausberufungsverbot bei der Besetzung
von Professuren gelockert und den Ländern die Möglichkeit eingeräumt worden, im Wettbewerb mit ausländischen Spitzenhochschulen herausragenden
Nachwuchswissenschaftlern einen sog. tenure-track anzubieten.
Wie in der Begründung des Fraktionsentwurfes für ein Sechstes Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes dargestellt ist (BT-Drs. 14/8361, S. 4 f.), teilt
der Bund die kompetenzrechtlichen Bedenken einzelner Länder nicht.
Allgemeine Grundsätze des Hochschulwesens
Seite 142
IV.
Fragen
7.
Für die Beratung des Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a GG könnten sich folgende Fragen
empfehlen:
7.1
Soll die Befugnis zur Regelung der allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens
in die Landeskompetenz überführt werden - oder soll es bei einer Rahmenkompetenz des Bundes bleiben?
7.2
Wird eine Kompetenz des Bundes weiterhin befürwortet?
7.2.1 in welchem sachgegenständlichen Umfang ?
-
Hochschulwesen insgesamt oder eingegrenzt auf inhaltlich bestimmte und
ausdrücklich definierte
Teile des Hochschulwesens (z.B. Zugang, Prüfungen/Abschlüsse und deren
Anerkennung, Dienst-/Arbeitsrecht - zu letzterem Abstimmung mit Beratungsergebnis zu Art. 74a, Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GG)
7.2.2 in welcher Regelungsstruktur ?
-
Konkurrierende Vollkompetenz
Rahmenkompetenz als „Grundsätzekompetenz“, die ins Einzelne gehende
und unmittelbar geltende Bestimmungen ausdrücklich ausschließt
7.2.3 unter welchen Verfahrensbedingungen ?
-
Zustimmungsbedürftigkeit
Anpassungspflicht und -fristen
Befristung des Gesetzes insgesamt
Zugriffs-/Veto-Option(en)
(steht in Abhängigkeit von den Beratungsergebnissen zur generellen Gestaltung der
Kompetenzordnung insgesamt)
Seite 143
Allgemeine Rechtsverhältnisse der Presse
Allgemeine Rechtsverhältnisse der Presse
Auftrag
Länder: Eine Bestandsaufnahme und Problembeschreibung zur bisherigen Handhabung des Art. 75 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 GG im Zusammenhang mit allgemeinen, die Rahmengesetzgebungskompetenz betreffenden
Punkten ist zu erstellen (vgl. CdS-Papier, Ziffer 2.1, 2.3.)
Berichterstattung: TH
I.
Bestandsaufnahme
Das Grundgesetz hat in Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 den Bund zum Erlass von Rahmenvorschriften über die allgemeinen Rechtsverhältnisse der Presse ermächtigt.
2.1. Voraussetzung und Abgrenzung
Die Inanspruchnahme der Rahmengesetzgebung setzt voraus, dass es sich bei der
Materie um eine pressespezifische Regelung handelt, die ihrer Eigenart nach oder
herkömmlich einen größeren Sachzusammenhang mit dem Pressewesen als mit anderen Materien aufweist (vgl. BverfGE 7, 29, 38). Schwierigkeiten bereitet vor allem
die Abgrenzung zu dem im Zusammenhang mit Pressebelangen stehenden Urheberund Verlagsrecht (ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art.
73 Nr. 9 GG), dem Recht der Wirtschaft einschließlich Wettbewerbsrecht und Gewerberecht (konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 74
Abs. 1 Nr. 11 u. 16 GG) sowie dem bürgerlichen Recht, dem Strafrecht und Arbeitsrecht (konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr.
1 u. 12 GG).
2.2. Ausübung der Rahmengesetzgebung durch den Bund
Ein umfassendes Presserechtsrahmengesetz des Bundes existiert nicht.
Das vorkonstitutionelle Reichspressegesetz von 1874 hatte keinen Rahmencharakter
und ist nicht in Bundesrecht übergegangen.
Entwürfe des Bundes von 1952 [„Gesetz über das Pressewesen“ („Lüders-Entwurf“)]
sowie von 1964 und 1974 zur Schaffung eines Presserechtrahmengesetzes fanden
wegen Meinungsverschiedenheiten zwischen Staat und Presse sowie Verlegern und
Journalisten zu den Themen "innere" Pressefreiheit, Tendenzschutz, Pressekonzentration, Beschlagnahme- und Zeugnisverweigerungsrecht keine Mehrheit.
Nach 1974 wurden bis heute keine weiteren Versuche zur Schaffung eines Presserechtsrahmengesetzes unternommen.
Punktuell wurde von der Bundeskompetenz Gebrauch gemacht mit dem „Gesetz zur
Gewährleistung der Unabhängigkeit des vom Deutschen Presserat eingesetzten Be-
Allgemeine Rechtsverhältnisse der Presse
Seite 144
schwerdeausschusses“ vom 18. August 1976, (BGBl. I S.2215, sowie mit § 40
BDSG, dem sog. „Medienprivileg“.
2.3. Gesetzgebung der Länder
Die Länder haben ihrerseits weitgehend übereinstimmende Landespressegesetze erlassen.
Auf Initiative des Vereins Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverleger wurde zwischen
1959 und 1963 von der Innenministerkonferenz unter Mitwirkung der Presseverbände und des Bundes ein Modellentwurf für die Landespressegesetzes erarbeitet.
Die alten Länder, bis auf Bayern und Hessen, die schon Landespressegesetze hatten, haben daraufhin zwischen 1964 und 1966 eigene Landespressegesetze erlassen.
Die neuen Länder haben in den Jahren 1991 bis 1993 in enger Anlehnung an die
Gesetzgebung der alten Länder ebenfalls eigene Pressegesetze erlassen.
Die Landespressegesetze regeln vor allem folgende Materien:
•
•
•
•
•
•
•
•
II.
Pressefreiheit, Zulassungsfreiheit,
Öffentliche Aufgaben der Presse, Informationsrecht der Presse,
Ordnungsrecht der Presse (Sorgfaltspflicht, Druckwerke, verantwortlicher Redakteur, Impressum, Pflichtexemplarrecht),
Pressespezifisches Beschlagnahme- und Durchsuchungsrecht,
Pressespezifisches Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht,
Zeugnisverweigerungsrecht von Presse und Rundfunk; Beschlagnahme- und
Durchsuchungsverbot,
Kurze Verjährung von Presse-Verstößen,
Anwendung von Presserecht auf den Rundfunk (nicht in BY, HH, HE, MV, SL,
SN, TH).
Problembeschreibung
Der Bund hat seine Kompetenz für die Rahmengesetzgebung zu den allgemeinen
Rechtsverhältnissen der Presse bislang nicht ausgefüllt. Die erforderlichen Materien
sind in den Landesgesetzen umfassend und hinreichend übereinstimmend geregelt.
Die Landesgesetzgebung unterliegt ständiger Aktualisierung (z.B. Datenschutzrecht).
Insofern kann nach Ansicht der Länder von einer Entbehrlichkeit der Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes für das allgemeine Presserecht ausgegangen werden.
Seite 145
Allgemeine Rechtsverhältnisse der Presse
Nach Ansicht des Bundes befindet sich die Presselandschaft derzeit in einem gravierenden Umbruch. Neue Erscheinungsformen und Verbreitungswege der Printmedien
im digitalen Umfeld (z.B. elektronische Pressespiegel) berühren zum Teil unmittelbar
die Bundeskompetenz. Sie bedürfen der Beobachtung und ggf. gesetzlicher Rahmenbestimmungen durch Bundesinitiativen, insbesondere bei der künftigen Umsetzung von Vorgaben auf europäischer Ebene im Rahmen der allgemeinen Harmonisierungsbestrebungen des Binnenmarktes. Aus diesem Grund verbietet sich aus
Sicht des Bundes der Verzicht auf die gemäß Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GG dem
Bund zugewiesene Rahmengesetzgebungskompetenz.
Melde- und Ausweiswesen
Seite 146
Melde- und Ausweiswesen
Auftrag
Bund: Für das Passwesen besitzt der Bund nach Art. 73 Nr. 3 GG die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz. Nach Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 GG besteht jedoch lediglich eine Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes für das Melde- und Ausweiswesen. Es ist zu untersuchen, ob diese Kompetenz angesichts
möglicher länderübergreifender Bedeutung und Deregulierungsbemühungen ausreichend ist.
Berichterstattung: Bund, BY, ST
I.
Bestandsaufnahme
1.
Allgemeines
Nach Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 GG besitzt der Bund unter den Voraussetzungen des
Art. 72 GG eine Rahmengesetzgebungskompetenz für das Melde- und Ausweiswesen.
Der Bund hat mit dem Melderechtsrahmengesetz (MRRG) und dem Gesetz über Personalausweise von dieser Kompetenz Gebrauch gemacht. Die Länder haben sowohl im
Meldewesen als auch im Ausweiswesen jeweils 16 das Bundesrahmenrecht ausfüllende
Landesregelungen erlassen.
Melde- und Ausweiswesen stehen im Zusammenhang mit Materien der ausschließlichen
Gesetzgebungskompetenz des Bundes (Freizügigkeit und Passwesen) 105.
Nach Art. 73 Nr. 3 GG besitzt der Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz
u.a. für "die Freizügigkeit". Meldewesen ist nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht
ein Teil der Freizügigkeit. Es hätte deshalb nicht eigens in Nr. 5 erwähnt werden müssen,
wenn es den Verfassungsgebern nicht darauf angekommen wäre, dem Bund insoweit die
ausschließliche Zuständigkeit, die sie ihm für die Freizügigkeit zugebilligt hatten (Art. 73
Nr. 3 GG), zu nehmen106.
Nach Art. 73 Nr. 3 GG verfügt der Bund außerdem über die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für "das Passwesen". Personalausweise sind im einfachen Recht in allen
Ländern der EU als Passersatz zugelassen und erfüllen in dieser Beziehung die gleiche
Funktion.
105
v. Mangoldt/Klein/Pestalozza, GG, 3. Aufl., Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, Rdnr. 620.
106
v. Mangoldt/Klein/Pestalozza, aaO, Rdnr. 593.
Seite 147
Melde- und Ausweiswesen
Mit der Grundgesetznovelle vom 27. Oktober 1994 (BGBl. I S. 3146) haben sich die Anforderungen für die Inanspruchnahme der Rahmenkompetenz auch im Melde- und Ausweiswesen durch die erhöhte Ausübungsschranke des Art. 75 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Art. 72
Abs. 2 GG (Erforderlichkeitsklausel) und durch die Beschränkung der Zulassung von in
Einzelheiten gehenden oder unmittelbar geltenden Regelungen auf Ausnahmefälle (Art. 75
Abs. 2 GG) verschärft (vgl. hierzu die Bestandsaufnahme und Problembeschreibung zur
Rahmengesetzgebung, Thema II. 2.). Inwieweit ein Ausnahmefall nach der neuen Verfassungslage gegeben ist und in Einzelheiten gehende und unmittelbar geltende Rahmenbestimmungen zulässig sind, bedarf im Einzelnen der näheren Begründung. Das Bundesverfassungsgericht hat über die Auslegung der Ausnahmevoraussetzungen bisher noch nicht
entschieden. Zu Art. 72 Abs. 2 GG hat das Gericht im Urteil vom 24. Oktober 2002 zum
Altenpflegegesetz - 2 BvF 1/01 - Ausführungen gemacht (vgl. Thema II.1.)
2.
Im Einzelnen:
a)
Meldewesen
Mit Erlass des Melderechtsrahmengesetzes (MRRG) vom 22. August 1980 (BGBl. I S.
1429) hatte der Bund erstmals von seiner Rahmengesetzgebungskompetenz auf dem Gebiet des Meldewesens Gebrauch gemacht. Das Gesetz wurde mehrfach geändert, insbesondere durch die beiden Änderungsgesetze vom 24. Juni 1994 und 28. August 2000, und
gilt heute in der Fassung vom 19. April 2002 (BGBl. I S. 1342).
Das MRRG enthält nur wenige Vorschriften, die nach ihrem Regelungsinhalt unmittelbar
geltendes Recht darstellen. Alle anderen Vorschriften des MRRG bedürfen nach § 23 Abs.
1 einer Umsetzung in Landesrecht. Dies ist in allen Ländern durch Erlass von Landesmeldegesetzen erfolgt. Im Übrigen enthält das MRRG nach § 23 Abs. 2 bis zur Anpassung
des Melderechts der Länder unmittelbar geltende Regelungen. Diese Regelungen ergeben sich bezüglich der letzten Rechtsänderung vom 25. März 2002 insbesondere aus der
Umsetzung des seit 1. Januar 2000 wirksamen Gesetzes zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts und des am 1. August 2001 in Kraft getretenen Lebenspartnerschaftsgesetzes, die zur Vermeidung von Rechtsnachteilen und zur Sicherstellung von Verwaltungsverfahren einer sofortigen Wirksamkeit bedurften.
Das MRRG enthält vielfach auch in Einzelheiten gehende Regelungen, die teilweise zur
Wahrung einer bundesweiten Rechtseinheit bis zu einem gewissen Grade erforderlich
sind, um das für die Aufgabenerfüllung unerlässliche Funktionieren und die Richtigkeit der
Melderegister zu gewährleisten. Das betrifft sowohl die Normierung der Meldepflichten,
Melde- und Ausweiswesen
Seite 148
das meldebehördliche Rückmeldeverfahren, die Datenübermittlung an andere Behörden
und öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften und die Melderegisterauskunft an private
Stellen. Die bundeseinheitliche Regelung dieser Vorgaben für den Landesgesetzgeber,
der diese in unmittelbar geltende Rechte und Pflichten für Bürger und Verwaltung umsetzt,
ist zur Schaffung eines allgemeinen Handlungsrahmens für die Bürger und die öffentliche
Verwaltung, der im gesamten Bundesgebiet im Wesentlichen der gleiche sein muss, im
Hinblick auf Art. 72 Abs. 2 GG unerlässlich.
Insgesamt verbleibt den Ländern Regelungsspielraum von substanzieller Bedeutung beispielsweise in folgenden Bereichen:
Bestimmung der Behördenzuständigkeiten, Bestimmung weiterer zu speichernder
Daten für länderspezifische Zwecke, Einführung von Ordnungsmerkmalen, Festlegung der von den Einwohnern zu erhebenden Daten, Bestimmung von Modalitäten
bei der Löschung von Daten, Regelung von Einzelheiten zur Durchführung der Meldepflichten, Bestimmung weiterer besonderer Meldepflichten, Zulassung weiterer
Ausnahmen von der allgemeinen Meldepflicht, Regelung des Verfahrens bei der Hotel- und Krankenhausmeldepflicht, Ausgestaltung des Rückmeldeverfahrens bei landesinternen Umzügen, Regelung der regelmäßigen Datenübermittlungen an Behörden des Landes, Festlegung der Voraussetzungen bei Melderegisterauskünften in
besonderen Fällen, wie z. B. bei Adressbuchverlagen, Erlass von Straf- und Bußgeldvorschriften.
Zum Teil fallen darunter auch Bestimmungen des Verwaltungsverfahrens der Länder, zu
deren Regelung die Länder nach Art. 84 Abs. 1 GG ungeachtet des Typus der Bundesgesetzgebungskompetenz ohnehin befugt sind (Regelungen von Zuständigkeiten und sonstige Verfahrensregelungen), wenn nicht Bundesgesetze mit Zustimmung des Bundesrates
etwas anderes bestimmen. Darüber hinaus entsprechen diese Vorschriften teilweise wörtlich dem Bundesrahmenrecht. Schließlich ist teilweise der Bereich des Art. 75 Abs. 1
Satz 1 Nr. 5 GG nicht betroffen, sondern andere Kompetenzmaterien berührt (Art. 74
Abs. 1 Nr. 1 GG: Strafvorschriften).
b)
Ausweiswesen
Bei der Schaffung dieses Kompetenztitels im Grundgesetz stand im Vordergrund, dass
sich die Bevölkerung überall im Bundesgebiet mit dem gleichen Legitimationspapier ausweisen können sollte107. Das Personalausweiswesen wurde mit dem Gesetz über Perso107
Vgl. JöR N.F. 1 (1951), S. 562.
Seite 149
Melde- und Ausweiswesen
nalausweise vom 19. Dezember 1950 (BGBl. S. 807) geregelt. Die Neufassung des Gesetzes über Personalausweise vom 21. April 1986 (BGBl. I S. 548) ist am 1. April 1987 in
Kraft getreten und hat u.a. den fälschungssicheren und maschinell lesbaren Personalausweis bundesweit eingeführt.
Das Gesetz über Personalausweise, zuletzt geändert durch Artikel 4 Abs. 1 des Gesetzes
zur Änderung des Melderechtsrahmengesetzes und anderer Gesetze vom 25. März 2002
(BGBl. I S. 1186), enthält überwiegend Vorschriften mit abschließenden Regelungen. Diese Regelungen sind zur Wahrung der Rechtseinheit im gesamtstaatlichen Interesse von
Bedeutung. Sie regeln die Ausweispflicht, indem sie einen bundeseinheitlichen Personalausweis einführen, bestimmen die Höhe einer einheitlichen Gebühr, die Gültigkeitsdauer,
die Einführung des Personalausweisregisters, enthalten datenschutzrechtliche Bestimmungen, regeln die Verwendung von Personalausweisdaten im öffentlichen und im nichtöffentlichen Bereich sowie Ordnungswidrigkeitstatbestände.
Soweit das Gesetz über Personalausweise keine abschließenden Regelungen enthält,
wurden ergänzende Ausführungsgesetze der Länder erlassen, in denen beispielsweise
folgende Bereiche geregelt sind:
Erweiterungen und Befreiungen von der Ausweispflicht; Bestimmungen über die örtliche und sachliche Zuständigkeit der Personalausweisbehörden; das Antragsverfahren für die Ausstellung eines Personalausweises; eine Aufzeichnungspflicht für die
Sicherheitsbehörden bei der Übermittlung von Daten aus dem Ausweisregister; eine
abschließende Aufzählung der Merkmale, die zur Ungültigkeit des Personalausweises führen; die Pflichten des Ausweisinhabers und landesrechtliche Bußgeldtatbestände.
Auch hier handelt es sich zum Teil um Regelungen des Verwaltungsverfahrens der Länder, das ihnen nach Art. 84 Abs. 1 GG ohnehin zur Regelung vorbehalten ist, wenn nicht
Bundesgesetze mit Zustimmung des Bundesrates etwas anderes bestimmen.
Neben die rein nationale Bedeutung des Ausweiswesens tritt heutzutage hinzu, dass im
Zuge der europäischen Einigung der Personalausweis in weitem Umfang im grenzüberschreitenden Verkehr ebenso wie der Pass als Grenzübertrittspapier anerkannt wurde.
Melde- und Ausweiswesen
Seite 150
Nach einem Übereinkommen des Europarates über die Regelung des Personenverkehrs
zwischen den Mitgliedstaaten des Europarates vom 13. Dezember 1957 108 können deutsche Staatsangehörige auch mit einem Personalausweis über alle Grenzen in das Hoheitsgebiet der anderen Parteien einreisen und von dort ausreisen. Mit einem Personalausweis können Deutsche demgemäß in folgende Staaten reisen109:
Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich mit Andorra, Gibraltar, Griechenland, Irland, Island, Italien mit San Marino, Kroatien, Luxemburg, Malta, Monaco, Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden, Schweiz mit Liechtenstein, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Türkei, Ungarn, Vereinigtes Königreich.
Der Personalausweis wird damit in einer Vielzahl von Staaten als Reisedokument akzeptiert und erfüllt dort die gleiche Funktion wie der Pass.
Darüber hinaus sind Pass und Personalausweis inhaltlich und technisch weitgehend gleich
gestaltet. Die Länder orientieren sich in ihren Gesetzen und Verordnungen zum Gesetz
über Personalausweise überwiegend an den verfahrensrechtlichen Vorgaben des Bundes
für Reisepässe.
II.
Problembeschreibung
a)
Sicht des Bundes:
-
Die Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes für das Melde- und Ausweiswesen ist mit Gegenständen der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes (Freizügigkeit, Passwesen) eng verwandt.
-
Das Meldewesen ist aus seiner ursprünglich polizeilichen Aufgabenstellung herausgewachsen und dient für eine Vielzahl von Stellen des Bundes und der Länder im
gesamten Bundesgebiet als Informationsquelle. Die dem Bund in Art. 75 Abs. 1
Satz 1 Nr. 5 GG zugewiesene Rahmengesetzgebungskompetenz gründet sich noch
auf dem Erscheinungsbild des Meldewesens der Vorkriegszeit und zum Zeitpunkt
der Verabschiedung des Grundgesetzes, als die Meldebehörden entweder bei den
örtlichen Polizeibehörden verblieben oder der Ordnungsverwaltung bei den Gemein-
108
BGBl. II 1959, S. 389, zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom 23. Januar 1996, BGBl. II 1996,
S. 274.
109
Vgl. Medert/Süßmuth, Pass- und Personalausweisrecht, Bd. 1: Personalausweisrecht, 3. Aufl., 1998,
S. 93.
Seite 151
Melde- und Ausweiswesen
den zugewiesen waren. Im Zuge der fortschreitenden Anwendung der automatisierten Datenverarbeitung in der öffentlichen Verwaltung hat sich das Meldewesen spätestens seit Beginn der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts zu einer eigenständigen
Verwaltungsaufgabe nichtpolizeilicher Art entwickelt.
-
Die Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien im Meldewesen bedeutet neue Erfordernisse für bundeseinheitliche Standards.
-
Die Zunahme des grenzüberschreitenden Austauschs von Meldedaten erfordert weitere Vereinheitlichung.
-
Die geteilte Gesetzgebung zum Melderecht hat sich bei allen bisher erfolgten Änderungen des Melderechtsrahmengesetzes von 1980 als problematisch erwiesen. Die
Tatsache, dass die Landesgesetze zu unterschiedlichen Zeitpunkten bzw. in zahlreichen Ländern erst weit nach Ablauf der Anpassungsfrist von zwei Jahren erlassen
wurden, hat zu einer Gefährdung der Rechtseinheit im Meldewesen, vor allem aber
auch dazu geführt, dass im Rahmenrecht vorgenommene Vergünstigungen für die
betroffenen Einwohner zu unterschiedlichen Zeitpunkten wirksam wurden.
-
Im Ausweiswesen erfüllt der Personalausweis im Zuge der europäischen Einigung
bei einer großen Anzahl von Staaten im grenzüberschreitenden Verkehr die gleiche
Funktion wie der Pass, so dass eine Gleichbehandlung auch bei den Gesetzgebungskompetenzen nahe liegt.
-
Inhaltlich und technisch sind Pässe und Personalausweise weitgehend gleich gestaltet.
-
Auch Sicherheitsgesichtspunkte sprechen für die Vereinheitlichung bisher unterschiedlicher Regelungen - z.B. im Antragsverfahren.
-
In den das Bundesrahmenrecht ausfüllenden Landesgesetzen besteht aufgrund der
notwendigen fachlichen Vorgaben des Rahmenrechts im Melde- und Ausweiswesen
kein großer Spielraum für divergierende Vorschriften. Der weitaus größte Teil der
Vorschriften im Melderecht stimmt wörtlich mit den entsprechenden Regelungen des
MRRG überein. Die verbleibenden Regelungen sind oftmals Regelungen des Verwaltungsverfahrens der Länder. Dieses würde ihnen nach Art. 84 Abs. 1 GG auch im
Falle einer ausschließlichen Bundesgesetzgebungskompetenz grundsätzlich zur Regelung überlassen bleiben.
Melde- und Ausweiswesen
b)
Seite 152
Sicht der Länder:
Das Meldewesen ist ein Rechtsgebiet, das auch im Hinblick auf die europäische Rechtsangleichung nicht mehr isoliert betrachtet werden darf. So sind im Melderechtsrahmengesetz nicht nur einheitliche Standards geregelt, die die gleichen Rechts- und Lebensverhältnisse im Bundesgebiet sicherstellen sollen, sondern es müssen zunehmend auch Regelungen getroffen werden, die einen europäischen Datenaustausch ermöglichen. Dies gilt
auch für die zunehmende Internetnutzung. Hierfür müssen verbindliche Standards geschaffen werden, die über die rahmenrechtlichen Bestimmungen hinausgehen. Gleichwohl
ist der Landesgesetzgeber gehalten, diese Vorhaben in Landesrecht umzusetzen bzw. zu
ergänzen, damit sie zur Anwendung gelangen können.
Die zwischen Bund und Ländern aufgeteilte Gesetzgebung hat sich in der Vergangenheit
bewährt. Durch die über den Bundesrat vorgesehene Mitwirkung der Länder ist gewährleistet, dass die rahmenrechtlichen Bestimmungen ausgewogen sind und von den Ländern
auch umgesetzt werden können. Die bisher gemachten Erfahrungen sprechen trotz der
wachsenden Bedeutung einer internationalen Harmonisierung gegen eine Zuordnung des
Meldewesens zum Bereich der konkurrierenden oder gar ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes.
Das Gesetz über Personalausweise enthält überwiegend unmittelbar geltende Vorschriften, die von den Landesgesetzgebern nicht mehr in eigenes Recht umgesetzt werden
konnten. Dies ist aus kompetenzrechtlicher Sicht zumindest nach Inkrafttreten der Grundgesetznovelle von 1994 nicht frei von Bedenken.
Auch das Ausweiswesen kann heute nicht mehr isoliert betrachtet werden. Es ist mit dem
Passwesen eng verzahnt und hat in Bezug auf Fälschungssicherheit und Maschinenlesbarkeit die gleichen Standards und Voraussetzungen. Der Personalausweis ersetzt inzwischen für Reisen in die EU und in andere Staaten, mit denen entsprechende Vereinbarungen bestehen, den Reisepass als Identitäts- und Grenzübertrittspapier. Auch hier hat sich
jedoch die bisherige Handhabung dieses Rechtsgebiets bewährt. Trotz der überwiegend
unmittelbar wirksamen Vorschriften des Gesetzes über Personalausweise verbleibt den
Ländern Spielraum für eigenständige Regelungen. Auf die Ausführungen unter I.2. b) wird
insoweit Bezug genommen.
Seite 153
Kulturgüterschutz
Kulturgüterschutz
Auftrag
Bund: Mögliche Kodifizierungsprobleme bei der Umsetzung von EU-Recht im Rahmen der Kompetenz nach
Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 GG „Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung ins Ausland“ sind unter
Berücksichtigung der 1994 erfolgten Verfassungsänderung und der seitherigen Staatspraxis zu prüfen.
Berichterstatter: Bund, HB, HE
I.
Bestandsaufnahme
1.
Der Bund hat nach Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 GG die Kompetenz zum Erlass von Rahmenvorschriften zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung ins Ausland. Ursprünglich gehörte dieses Sachgebiet dem Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung
an. Gemäß Art. 74 Nr. 5 GG a.F. erließ der Bund das Gesetz zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 06.08.1955 (AbwSchG)110, zuletzt geändert durch Artikel 2 des Kulturgutsicherungsgesetzes vom 15.10.1998111. Die Neufassung des Gesetzes
wurde am 08.07.1999 bekannt gemacht 112.
Diese rahmengesetzliche Kompetenz wurde durch das 42. Gesetz zur Änderung des
Grundgesetzes vom 27. Oktober 1994 neu eingefügt.
Darüber hinaus wurden die Voraussetzungen des Artikels 72 Abs. 2 GG, unter denen der
Erlass von Rahmengesetzen nach Artikel 75 Abs. 1 GG zulässig ist, verschärft. Artikel 75
Abs. 2 GG wurde neu eingefügt.
Bei der Überführung von der konkurrierenden in eine Rahmengesetzgebungskompetenz
folgte der verfassungsändernde Gesetzgeber einem Vorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission des Bundestages und des Bundesrates vom 5. November 1993, in dem
es hieß: „Bei dieser Materie handelt es sich um eine kulturelle Angelegenheit, für die eine
grundsätzliche Zuständigkeit der Länder besteht. Ihre Einbeziehung in den Kompetenzkatalog der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeiten ist daher entbehrlich. Wegen
des Auslandsbezugs erschien die Überführung in die Rahmenkompetenz des Bundes ausreichend.“
110
BGBl. I S. 50.
111
BGBl. I S. 3162.
112
BGBl. I S. 1754.
Kulturgüterschutz
Seite 154
- Die Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes betrifft allerdings nur den Schutz
deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung ins Ausland. Der Bund hat weitere für den
Kulturgüterschutz wichtige Kompetenzen aus anderen Kompetenztiteln. Soweit es um die
Rückgabe ausländischen Kulturgutes sowie die Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischem Kulturgut geht, stützt sich die Gesetzgebungskompetenz des Bundes nicht auf Artikel 75 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 GG, sondern auf Artikel 73 Nr. 5 GG (die Freizügigkeit des Warenverkehrs und den Waren- und Zahlungsverkehr mit dem Ausland).
- Der Bund hat auf Grund dieser Kompetenzen das Gesetz zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung erlassen. Es sieht vor, dass Kunstwerke, die gegen Abwanderung geschützt werden sollen, in dem Land, in dem sie sich bei Inkrafttreten dieses Gesetzes befinden, in ein Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes einzutragen sind. Bei
Ortswechsel eingetragenen Kulturgutes innerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes
soll die Eintragung ihre Wirkung behalten. Über die Eintragung in das Kulturgutverzeichnis
entscheidet die oberste Landesbehörde. Die Landesregierungen regeln das Antragsrecht
auf Aufnahme in die Liste durch Rechtsverordnung.
2.
Zum Kulturgüterschutz sind bisher folgende Gemeinschaftsakte ergangen:
-
Verordnung (EWG) Nr. 3911/92 des Rates EWG vom 09.12.1992
Die Verordnung regelt die Ausfuhr von Kulturgütern in das EG-Ausland und fordert
eine behördliche Genehmigung des Staates, in dem sich das Gut rechtmäßig befindet. Zum Handel mit Drittstaaten legt ein Anhang der Verordnung fest, welche Kulturgüter besonderen Schutz durch die Gemeinschaft genießen und deshalb unter
das neue Ausfuhrgenehmigungsverfahren fallen. Dabei werden verschiedene Kategorien von Kulturgütern definiert, die von der Verordnung erfasst werden.
-
Verordnung (EWG Nr. 752 (93) der Kommission vom 30. März 1993
(betr. die Durchführung der Verordnung Nr. 3911/92)
-
Verordnung (EG) Nr. 2469/96 des Rates vom 16. Dezember 1996
(betr. Änderung des Anhangs der Verordnung Nr. 3911/92)
-
Verordnung (EG) Nr. 1526/98 der Kommission vom 16. Juli 1998
(betr. Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 752/93)
-
Verordnung (EG) Nr. 974/2001 des Rates vom 14. Mai 2001
(betr. Änderung der Verordnung(EWG) Nr. 3911/92)
Seite 155
-
Kulturgüterschutz
Richtlinie Nr. 93/7/EWG des Rates vom 15.03.1993
Sie betrifft die Rückgabe von Kulturgütern, die unrechtmäßig aus dem Staatsgebiet
eines Mitgliedstaats verbracht wurden (ABl. L Nr. 74 vom 27. März 1993, Seite 74)
und regelt das Verfahren der Rücküberstellung von widerrechtlich ausgeführten Kulturgütern. Der Herausgabeanspruch des Herkunftsstaates kann - grenzüberschreitend - in einem anderen Mitgliedstaat geltend gemacht werden. Artikel 1 der Richtlinie definiert, welche Gegenstände als Kulturgut im Sinne dieser Richtlinie gelten.
-
Richtlinie Nr. 96/100/EG vom 17.02.1997
(Inhalt: Änderung des Anhanges der Richtlinie 93/7/EWG).
-
Richtlinie 2001/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2001
(betr. Änderung der Richtlinie 93/7/EWG)
Während die Verordnungen direkte Rechtswirkung entfalten, besteht eine Transformationsverpflichtung für die Richtlinien, wobei diese keine Änderungen des deutschen Rechts
zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung enthalten113. Die allein zur Verbesserung der Markttransparenz vorgenommenen Änderungen und Ergänzungen des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung wurden auf Grund der
Kompetenz des Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 GG vorgenommen114.
3.
Die Gesetzgebungskompetenz zum Schutz des deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung ins Ausland ist daraufhin zu überprüfen, ob sie ausreichend ( Bund ) oder erforderlich
( Länder ) ist.
Nach Auffassung des Bundes hätte die Aufhebung der Bundesgesetzgebungskompetenz
zur Folge, dass der Schutz national wertvoller Kulturgüter durch 16 möglicherweise unterschiedliche Landesgesetze geregelt würde. Dies könnte zur Ungleichbehandlung von dem
gesamtstaatlich bedeutsamen Kulturgut führen, das es zu schützen gilt.
In diesem Zusammenhang sei auch von Bedeutung, dass es sich bei den durch das Abwanderungsschutzgesetz geschützten Kulturgütern um bewegliche Gegenstände handelt,
die von einem Land in ein anderes transferiert werden können. Unterschiedliche Landesgesetze hätten voraussichtlich zur Folge, dass zum Verkauf anstehende Kulturgüter in die
Länder mit niedrigstem Schutzniveau verbracht würden, um von dort in das zahlungskräftige und –willige Ausland ausgeführt werden zu können.
113
BT-Drucksache 13/10789, S. 8.
114
BT-Drucksache 13/10789, S. 7.
Kulturgüterschutz
Seite 156
Nach Auffassung der berichterstattenden Länder hätten die Länder, wenn ihnen die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiete des Kulturgüterschutzes zufiele,
bei der Gesetzgebung die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundsatzes des bundesfreundlichen Verhaltens zu beachten. Der Grundsatz gilt auch im Verhältnis der Länder
zueinander und verpflichtet sie auch bei der Gesetzgebung zu gegenseitiger Rücksichtnahme und Unterstützung. Treffen die Länder unterschiedliche Regelungen, so müssen
sie dagegen Vorkehrungen treffen, dass das Kulturgut in ein Land mit zu niedrigem
Schutzniveau verbracht wird, um von dort aus ins Ausland ausgeführt zu werden.
Da der Kompetenztitel national wertvolles Kulturgut umfasst, ist im gesamtstaatlichen Interesse auch aus Sicht der Länder ein möglichst einheitliches Mindestschutzniveau im Bundesgebiet erforderlich. Ein zu niedriges Schutzniveau in einzelnen Ländern muss vermieden werden.
Hierfür könnte die Regelung des § 1 Abs. 2 des Kulturgüterschutzgesetzes beispielgebend
sein, wonach beim Ortswechsel eingetragenen Kulturgutes innerhalb des Geltungsbereiches des Grundgesetzes von einem Land in ein anderes Land die Eintragung des Herkunftslandes ihre Wirkung behält; das schränkte das Risiko des Unterlaufens ein und wäre
zugleich auch Ausdruck des Prinzips der gegenseitigen Rücksichtnahme auf die legitimen
Interessen des Landes, das das betreffende Kulturgut unter besonderen Schutz stellen
will. Nicht die Einheitlichkeit der Landesregelung wäre dann aber entscheidend, sondern
die Garantie eines ausreichenden und nicht zu niedrig angesetzten Mindestschutzniveaus
im gesamten Bundesgebiet.
Ein weiterer Gesichtspunkt aus Sicht des Bundes ist die Frage nach der rechtzeitigen
Umsetzung künftiger Richtlinien:
Bei etwaigen künftigen Richtlinien im Bereich des Kulturgüterschutz, die umzusetzen sind,
können sich nach Auffassung des Bundes wegen des bei der Rahmengesetzgebungskompetenz erforderlichen zweistufigen Umsetzungsverfahrens im Bund und in den Ländern erhebliche Verzögerungen ergeben
Nach Auffassung der Länder erübrigte sich diese Frage im Falle eines Kompetenzüberganges auf die Länder. (siehe zu der Frage allgemein unter V.).
II.
Problembeschreibung
-
Die Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung ins Ausland ist zu prüfen im Hinblick auf das gesamtstaatlich
Seite 157
-
-
-
-
-
Kulturgüterschutz
bedeutsame Kulturgut und damit einhergehende Anforderungen an einheitliche Regelungen.
Unterschiedliche Landesgesetze könnten unterschiedliche Schutzniveaus in den Bundesländern zur Folge haben, so dass die Gefahr bestünde, dass schützenswertes Kulturgut in das Land mit den niedrigsten Schutzniveau verbracht würde, um von dort aus
ins Ausland ausgeführt zu werden. Es muss daher ein Mindestschutzniveau erhalten
werden, das mindestens dem bisher durch Bundesrecht einheitlich geregelten
Schutzniveau entspricht. Denn das Kulturerbe Deutschlands ist mehr als die Summe
der Kulturgüter seiner Länder; es hat eine eigene, gesamtstaatliche Bedeutung.
Aus Sicht des Bundes sollte deshalb der Schutz des gesamtdeutsch bedeutsamen
Kulturgutes als eine Aufgabe des Bundes ausgestaltet sein und zwar nicht nur in Form
einer Rahmenkompetenz. Dies gilt um so mehr, wenn es um seinen Schutz vor Abwanderung ins Ausland geht. Bundeseinheitliche Regelungen sollen auch durch den
Bund getroffen werden
Aus Sicht der Länder ist es dagegen vorstellbar, Mindestschutzniveaus durch Koordination zwischen den Ländern und deren Verpflichtung auf einen gemeinsamen Mindeststandard zu erreichen.
Beide Sichtweisen sollten gegeneinander abgewogen werden.
Aus Sicht des Bundes gründet sich seine Kompetenz auch auf Art. 73 Nr. 5 GG: Die
Freizügigkeit des Warenverkehrs und der Warenverkehr mit dem Auslande einschl.
des Zoll- und des Grenzschutzes obliegt der ausschließlichen Gesetzgebung des
Bundes (Art. 73 Nr. 5 GG). Obgleich es sich bei Kulturgütern um besondere, für das
kulturelle Erbe einer Nation wichtige Gegenstände handelt, sind diese dennoch auch
Waren sui generis, deren Kontrolle bei der Ausfuhr dem Zoll obliegt. Aus Gründen der
Einheitlichkeit im Bundesgebiet und um eine weitere Aufsplitterung der gesetzlichen
Regelungen zum Kulturgüterschutz, die heute bereits kaum vom Handel, geschweige
denn von Privatleuten verstanden werden können, zu vermeiden, sollte die Spezialisierung der Ware "Kulturgut" aufgehoben und auch deren Schutz der ausschließlichen
Gesetzgebungskompetenz, zumindest aber wieder der konkurrierenden Kompetenz
des Bundes unterstellt werden.
Rechtsetzung im Kulturgüterschutz war bisher durch verschiedene EG – Rechtsetzungsakte geprägt. Bei künftigen Richtlinien im Bereich des Kulturgüterschutzes, die
umzusetzen sein werden, könnten sich aus Sicht des Bundes wegen des bei der
Rahmengesetzgebungskompetenz erforderlichen zweistufigen Umsetzungsverfahrens
im Bund und in den Ländern unter Umständen Verzögerungen ergeben. Eine zeitgerechte Umsetzung von EG – Recht im Bereich der Rahmengesetzgebungskompetenz
ist deshalb sicherzustellen. Aus Sicht des Bundes dürfte auch dieses Problem im
Rahmen der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes am leichtesten
zu beheben sein.
Kulturgüterschut z
-
Seite 158
Aus Sicht der Länder ist dies jeder Form von Rahmenkompetenz eigen und tritt auch
im Falle der konkurrierenden Gesetzgebung ein, wenn der Bund von ihr nicht in vollem
Umfang Gebrauch macht. Weitere Möglichkeiten einer schnellen und problemadäquaten Umsetzung von EU-Recht in nationales Recht, die gleichwohl zur Reföderalisierung beitragen könnten, werden unter V. behandelt.
Seite 159
Umsetzung von EU-Recht in nationales Recht
Umsetzung von EU-Recht in nationales Recht
Auftrag
Praktische Probleme bei der Umsetzung von EU-Recht in nationales Recht sind insbesondere im Umweltrecht aufgetreten (vgl. die Umsetzung der EG-Richtlinie zur UVP und IVU). Zu prüfen ist, ob die teilweise
dort nur vorhandene Rahmengesetzgebungskompetenz sachgerecht ist (vgl. für die Länder CdS-Papier,
Ziffer 3.2. und 6).
Berichterstattung: Bund, SH, SL, TH
I.
Bestandsaufnahme und rechtliche Ausgangslage:
Auch wenn die „Umsetzung von EU-Recht in nationales Recht“ andere europabezogene
Themenbereiche tangiert, so geht es im Kern um die Frage der Zuständigkeit für die Umsetzung von Richtlinien in nationales Recht. Nach Artikel 249 des EG-Vertrages sind
Richtlinien für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet sind, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlassen jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form
und der Mittel. Die Zuständigkeit für die danach erforderliche Umsetzung von Richtlinien
richtet sich in Deutschland nach den durch das Grundgesetz vorgegebenen Gesetzgebungskompetenzen der Artikel 70 ff. GG. Dabei erscheinen insbesondere diejenigen Fallgestaltungen problematisch, in denen sich die Gesetzgebungskompetenzen von Bund und
Ländern bei der Umsetzung von EU-Recht „überlagern“. Dies ist der Fall, wenn dem Bund
die Gesetzgebungskompetenz für eine Rechtsmaterie zusteht, den Ländern daneben aber
ein eigener Regelungsspielraum verbleibt. Hierbei sind folgende Konstellationen zu unterscheiden:
Umsetzung von EU-Recht in nationales Recht
Seite 160
Umsetzung von EU-Recht (hier: Richtlinie) in nationales Recht
Regelungszuständigkeit / Kompetenztitel
EU-Recht
Umsetzung durch
Bund
Länder
Ausschließliche
Gesetzgebungskompetenz des Bundes
(Artikel 71, 73 GG)
Konkurrierende
Gesetzgebungskompetenz des Bundes
(Artikel 72, 74 GG)
die Länder haben im Falle von
Länderöffnungsklauseln einen
eigenen Regelungsspielraum
die Länder haben einen eigenen Regelungsspielraum, soweit der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz nicht
abschließend Gebrauch gemacht hat
Rahmengesetzgebungskomdie Länder haben den bundespetenz des Bundes (Artikel 75 gesetzlich
vorgegebenen
GG)
Rahmen auszufüllen; die Länder sind weiter zur Gesetzgebung befugt, soweit der Bund
keine abschließenden Regelungen getroffen hat
Im Falle der Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder als
eigene Angelegenheit regeln die Länder nach Artikel 84 Abs. 1 GG
die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren, soweit
nicht Bundesgesetze mit Zustimmung des Bundesrates etwas anderes bestimmen.
In den v.g. Fallkonstellationen kann es dazu kommen, dass für die Umsetzung von EURichtlinien (jedenfalls partiell) sowohl der Bund als auch die Länder zuständig sind.
II.
Umsetzungsbilanz und Problembeschreibung
Nach der letzten Aufstellung der KOM über die Defizite der einzelnen MS bei der Umsetzung von EU-Richtlinien in nationales Recht (Binnenmarktanzeiger Mai 2002) belegt D mit
einem Umsetzungsdefizit von 2,4% zusammen mit IRL den 12. Platz. Schlechter stellt sich
die Situation nur für F und GR mit einem Defizit von 3,1% bzw. 2,7% dar, während traditionell die skandinavischen Staaten mit einem Defizit von unter 1% am besten abschneiden.
Seite 161
Umsetzung von EU-Recht in nationales Recht
Die ebenfalls föderal strukturierten Länder Belgien und Österreich haben Umsetzungsdefizite von 1,5% (B, Platz 7) und 2,1% (A, Platz 10) aufzuweisen. Die Länder sehen sich
durch diese Aufstellung der EU-Kommission in ihrer Ansicht bestätigt, dass nicht ausschließlich die Staatsorganisation in den EU-Mitgliedstaaten für die Umsetzungsdefizite
ursächlich ist, denn gerade in zentral strukturierten Mitgliedstaaten, wie z.B. in Frankreich
und Griechenland, liegen die Defizite höher als in föderal organisierten Mitgliedstaaten.
Die Nichtumsetzung bzw. verspätete Umsetzung einer Richtlinie führt regelmäßig zu Mahnungen durch die Europäische Kommission und in einigen Fällen auch zu Klagen vor dem
EuGH. Im Falle einer Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland durch den EuGH
kommt es dann zur Verhängung von z.T. beträchtlichen Zwangsgeldern,. deshalb ist der
Bund der Ansicht, dass u.a. die Frage der Zahlungsverpflichtung in Bezug auf Zwangsgelder zwischen Bund und Ländern klargestellt werden sollte.
Als Ursache für die negative deutsche Bilanz können folgende Begründungen angeführt
werden:
-
Insbesondere in den Sachbereichen, wo Bund und Ländern gemeinsam die Umsetzung von EG-Recht obliegt, etwa bei der Rahmengesetzgebung und bei der konkurrierenden Gesetzgebung, soweit Teilbereiche des umzusetzenden Rechts in der Gesetzgebungszuständigkeit der Länder verbleiben, kann oftmals eine fristgemäße Umsetzung nicht gewährleistet werden. Es sind häufig langwierige Abstimmungen zwischen
Bund und Ländern bzw. dem Bundesrat notwendig. Eine Richtlinie gilt grundsätzlich
erst als umgesetzt, wenn alle 16 Länder die RL umgesetzt haben (Umsetzung der EUSeilbahnRL auch in Ländern, in denen es keine Seilbahnen gibt).
-
Die Länder sehen einen zusätzliche Ursache für die langwierigen Abstimmungs- und
Umsetzungsprozesse auch darin, dass EU-Richtlinien zunehmend grundsätzliche Fragen der Regelung aufwerfen. Dabei werden häufig im Zuge der Gesetzgebungsverfahren zusätzliche innerstaatlich begründete Regelungstatbestände eingeführt. Diese erfordern dann zusätzliche, über die eigentliche RL-Umsetzung hinausreichenden Meinungsbildungs-, Abstimmungs-, und Konsensfindungsprozesse und führen so zu einer
verlängerten Verfahrensdauer.
-
Die Umsetzung erfordert häufig förmliche Gesetzgebungsverfahren, an denen die jeweiligen Parlamente sowohl auf Bundes- als auch auf Länderebene zu beteiligen sind.
Diese Verfahren erfordern Zeit und Flexibilität. Zur Umsetzung von RL ist das Instrument der Rechtsverordnung nur in eingeschränktem Umfang anwendbar. Die zunehmende Regelungsdichte und Regelungstiefe auf europäischer Ebene mit vielfach zu
umfangreichen Detailregelungen und bei der Umsetzung bzw. Anwendung schwer zu
Umsetzung von EU-Recht in nationales Recht
Seite 162
interpretierender Formulierungen ist häufig ursächlich für die längere Verfahrensdauer.
Die Länder kritisieren zudem, dass ihr Regelungsspielraum durch die von EU und
Bund getroffenen Festlegungen so stark eingeengt werde, dass substantielle länderspezifische Regelungen letztlich nicht mehr möglich seien.
-
Die dargestellte Problematik stellt sich vor allem im Bereich des Umweltrechts, für den
sich die Gesetzgebungskompetenz zwischen konkurrierender Gesetzgebung und
Rahmengesetzgebung aufspaltet. Hier hat D regelmäßig ein besonders hohes Umsetzungsdefizit. Die mediale und sektorale Aufspaltung der Gesetzgebungskompetenzen
im Grundgesetz macht die einheitliche Umsetzung des EU-Umweltrechts auf einer Ebene nahezu unmöglich. Der Ansatz der EU geht zunehmend hin zu einem medienübergreifenden Konzept (Beispiele: UVP-RL, strategische UVP-RL 01/42/EG, IVU-RL
96/61/EG, Umweltinformations-RL 90/313/EG). Dies führt dazu, dass die Schwierigkeiten mit der Umsetzung von EU-Richtlinien bei Beibehaltung der gegenwärtigen Kompetenzverteilung im Umweltrecht in Zukunft eher noch zunehmen werden. Zu den Einzelheiten der Problemlage in D wird auf die Teilbeiträge Umweltgesetzgebung (Arbeitsplan IV.11) und Rahmengesetzgebung (Arbeitsplan II.2) verwiesen.
Handlungsbedarf:
Die derzeitige deutsche Umsetzungsbilanz (Rang 13 unter 15 Mitgliedstaaten) muss
verbessert werden. Angesichts der schon bestehenden und voraussichtlich wachsenden Umsetzungsproblematik könnten insoweit auch Verfassungsänderungen in Betracht gezogen werden. Es wird vor allem zu prüfen sein, ob und inwieweit die unterschiedlichen Vorschläge zur Veränderung der gegenwärtigen Kompetenzregelungen
des Grundgesetzes insoweit eine Verbesserung bewirken können. Wegen dieser Änderungsoptionen im einzelnen wird auf die Teilbeiträge zur Rahmengesetzgebung (Arbeitsplan II. 2) und zur konkurrierenden Gesetzgebung (Arbeitsplan II. 1) verwiesen.
-
Die Umsetzung von EG-Recht ist auf der staatlichen Ebene vorzunehmen, für die nach
der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung die Sachkompetenz gegeben ist. Soweit
im Bereich der Bundesregierung Verbesserungen erforderlich sind, ist dies durch den
Beschluss der Europa-StS vom 29. November 2001 geschehen. Der Beschluss sieht
im Kern vor, dass die Richtlinienumsetzung prioritäre Aufgabe aller Ressorts ist und mit
den Arbeiten zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu beginnen ist.
-
Ergänzend zur o.g. Beschleunigung der Abstimmungs- und Gesetzgebungsverfahren
im Bereich der Bundesregierung bleibt zu prüfen , ob bei umsetzungsrelevanten Gesetzgebungsvorhaben das Verfahren der Bundesratsbeteiligung beschleunigt werden
könnte, da – wie erwähnt – die Ursache für Umsetzungsverzögerungen zum Teil auch
Seite 163
Umsetzung von EU-Recht in nationales Recht
auf Maßgabebeschlüsse des Bundesrates zurückzuführen war. Auf den Beitrag zur
"Zustimmungsbedürftigkeit" wird insoweit verwiesen.
-
Angesichts der drängenden Problematik sollten neben der Prüfung von Verfassungsänderungen und dem Verfahren der Bundesratsbeteiligung als Sofortmaßnahmen ins
Auge gefasst werden:
-- Entsprechend dem Beschluss der Europa-StS des Bundes vom 29. November 2001,
wonach die Umsetzung von EU-Richtlinien eine prioritäre Aufgabe und mit den Umsetzungsarbeiten zum frühest möglichen Zeitpunkt zu beginnen ist, könnte auch auf
Länderseite ein entsprechender Beschluss gefasst werden.
-- Bei bestehender Rahmengesetzgebungskompetenz für die Richtlinienumsetzung
gemäß Art. 75 GG wirken Bund und Länder von Anfang an so eng zusammen, dass
die Länder mit den Arbeiten an den auf sie entfallenden Gesetzgebungsakten auch
dann schon beginnen können, wenn der Bund sein Rahmengesetz noch nicht verabschiedet hat
Kompetenzen in EU-Angelegenheiten (Art. 23 GG)
Seite 164
Kompetenzen in EU-Angelegenheiten (Art. 23 GG)
Auftrag
Die Mitwirkungsmöglichkeiten der Länder in EU-Angelegenheiten sind zu überprüfen (vgl. für die Länder
CdS-Papier, Ziffer 6). Dabei ist u.a. die Notwendigkeit von Flexibilität und Effektivität bei Verhandlungen zu
berücksichtigen.
Berichterstattung: Bund, BW, HB
I.
Bestandsaufnahme
1)
Gegenwärtige Regelung der Mitwirkung der Länder in Angelegenheiten der EU
Die europäische Integration hat – exponentiell ansteigend mit dem Binnenmarktprogramm, das zum Jahre 1993 verwirklicht wurde – immer stärker in die innerstaatliche
Rechtsordnung hineingewirkt. Diese Entwicklung hat sich von Anfang an nicht auf
das Wirtschaftsrecht beschränkt, sondern zunehmend auch andere Rechtsgebiete
erfasst. Der Vertrag von Maastricht, der am 01. November 1993 und der Vertrag von
Amsterdam, der am 01. Mai 1999 in Kraft getreten ist, berühren erheblich das innerstaatliche Kompetenzgefüge zwischen Bund und Ländern.
Der Kompetenztransfer auf die Europäische Union wurde innerstaatlich durch eine
„Mitwirkungskompensation“ – durch Einfluss auf den Willensbildungsprozess der
Bundesrepublik sowie auf europäischer Ebene – ausgeglichen. Artikel 23 GG war
hierzu ein wichtiger Schritt zur Stärkung der Mitwirkungsrechte der Länder.
Die Durchführung des Art. 23 GG regeln das Gesetz über die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBLG)
vom 12. März 1993 und die Bund-Länder-Vereinbarung (BLV) vom 29. Oktober
1993, zuletzt geändert aus Anlass des Amsterdamer Vertrags am 8. Juni 1998.
Die Mitwirkung der Länder in Angelegenheiten der EU erfolgt heute gemäß Art. 23
Abs. 2 S. 1 GG in erster Linie über den Bundesrat.
Im Einzelnen sind folgende - je nach Ausmaß der Betroffenheit von Länderinteressen
oder -zuständigkeiten - abgestufte Verfahren der Ländermitwirkung vorgesehen:
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•
•
Kompetenzen in EU-Angelegenheiten (Art. 23 GG)
Beteiligung von Ländervertretern an Beratungen zur Festlegung der deutschen
Verhandlungsposition, soweit der Bundesrat an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder die Länder innerstaatlich zuständig wären (§ 4 EUZBLG). Zu diesem Zweck ernennt der Bundesrat in der Regel zwei
Beauftragte.
Teilnahme von Ländervertretern an den Verhandlungen in den Beratungsgremien von Kommission und Rat, soweit wesentliche Interessen der Länder berührt
sind und soweit dies möglich ist (§ 6 Abs. 1 EUZBLG; besondere Regelungen für
Regierungskonferenzen und Erweiterungsverhandlungen in Abschnitt VII Ziff. 2
und 3 BLV).
Übertragung der Verhandlungsführung auf einen Ländervertreter in den Beratungsgremien von Kommission und Rat sowie in den Ratstagungen bei Vorhaben, die im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeiten der
Länder betreffen (§ 6 Abs. 2 EUZBLG).
Stellungnahmen des Bundesrates sind bei der Festlegung der deutschen Verhandlungsposition im Rat
•
•
•
zu berücksichtigen, soweit Interessen der Länder berührt sind, der Bund innerstaatlich aber das Recht zur Gesetzgebung hat (§ 5 Abs. 1 EUZBLG); die Bundesregierung ist in diesen Fällen nicht an die Stellungnahme des Bundesrates
gebunden;
maßgeblich zu berücksichtigen, soweit ein EU-Vorhaben im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse, die Einrichtung der Behörden der Länder
oder ihre Verwaltungsverfahren betrifft (§ 5 Abs. 2 EUZBLG). Bei abweichender
Sachposition muss die Bundesregierung in diesen Fällen Einvernehmen mit dem
Bundesrat herstellen. Im Streitfall ist die Auffassung des Bundesrates dann
maßgeblich, wenn sie mit 2/3 seiner Stimmen bestätigt wird, wobei die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren ist. Dies rechtfertigt nach Auffassung der Bundesregierung auch in diesen Fällen ein Abweichen vom Votum
des Bundesrates namentlich dann, wenn dies zur Wahrung der gesamtstaatlichen Verantwortung einschließlich außen-, verteidigungs- und integrationspolitisch zu bewertender Fragen erforderlich ist. Nach Ansicht der Länder rechtfertigt
Art. 23 Abs. 5 Satz 2 GG dagegen kein Abweichen der Bundesregierung von der
Stellungnahme des Bundesrates (Letztentscheidungsrecht des Bundesrates).
Besondere Regeln gelten für
•
die Zustimmung zu Vorhaben, die auf Art. 308 EGV (Kompetenzergänzung)
gestützt werden:
Kompetenzen in EU-Angelegenheiten (Art. 23 GG)
Seite 166
Hier stellt die Bundesregierung Einvernehmen mit dem Bundesrat her, wenn
nach innerstaatlichem Recht die Zustimmung des Bundesrats erforderlich
oder die Länder zuständig wären (§ 5 Abs. 3 EUZBLG). Falls das Einvernehmen nicht hergestellt werden kann, geht die Bundesregierung - im Gegensatz zur Position der Länder - davon aus, sich in Ausnahmefällen der
Stimme enthalten zu können. Hierüber wird der Bundesrat so früh wie möglich unterrichtet;
•
bei den durch den Amsterdamer Vertrag eingeführten Rahmenbeschlüssen
im Bereich der polizeilichen und strafjustiziellen Zusammenarbeit (Art. 34
Abs. 2 b EUV):
Hier berücksichtigt die Bundesregierung gemäß § 5 Abs. 2 EUZBLG maßgeblich die Stellungnahme des Bundesrats, soweit Gesetzgebungs- oder
Verwaltungszuständigkeiten der Länder im Schwerpunkt betroffen sind. In allen übrigen Fällen gilt § 5 Abs. 1 EUZBLG soweit nach innerstaatlichem
Recht die Zustimmung für eine bestimmte Regelung erforderlich wäre dergestalt, dass Stellungnahmen des Bundesrats den Verhandlungen ebenso zugrundegelegt werden wie solche des Deutschen Bundestags; die Zustimmung
der Bundesregierung zu einem Rahmenbeschluss erfolgt nur im Einvernehmen mit dem Bundesrat, wobei die gesamtstaatliche Verantwortung des
Bundes zu wahren ist (Ergänzende Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Länder vom 08.06.1998, zu Ziff. III Nr. 6).
2)
Funktionieren des gegenwärtigen Systems in der Staatspraxis
Die Staatspraxis hat die Tragfähigkeit dieser Bestimmungen grundsätzlich bestätigt.
Meinungsverschiedenheiten zwischen und Bund und Ländern bei der Anwendung
der Bestimmungen in den meisten Fällen konnten für den Einzelfall sowie durch ergänzende Abmachungen gelöst werden.
Eine Beeinträchtigung der Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland in
den Europäischen Organen ist nach Auffassung der Länder bislang nicht eingetreten;
nach Auffassung des Bundes haben solche Beeinträchtigungen jedenfalls kein unvertretbares Maß erreicht.
Seit dem Inkrafttreten des EUZBLG im Jahre 1993 bis Ende 2001 hat der Bundesrat
geschätzt etwa 1500 Stellungnahmen abgegeben. In 77 Fällen hat er die Maßgeblichkeit gefordert. Die Bundesregierung hat der Forderung in 30 Fällen wider-
Seite 167
Kompetenzen in EU-Angelegenheiten (Art. 23 GG)
sprochen, weil sie die Voraussetzungen für die Maßgeblichkeit nicht als gegeben ansah. Dennoch hat es rechtliche Auseinandersetzungen, die letztlich im Wege der Organstreitigkeit vor dem Bundesverfassungsgericht hätten geführt werden müssen,
nicht gegeben. Vielmehr hat der Bundesrat die Widersprüche der Bundesregierung
hingenommen, ohne allerdings seinen Rechtsstandpunkt aufzugeben. Die Sachpositionen der Bundesregierung und des Bundesrates waren hier allerdings im Regelfall
entweder nicht oder nicht wesentlich unterschiedlich.
Der zweite Grundpfeiler der Mitwirkung der Länder in EU-Angelegenheiten ist die Beteiligung von Ländervertretern, die vom Bundesrat benannt werden, an den Verhandlungen in den Beratungsgremien von Kommission und Rat und in besonderen Fällen
auch in den Ministerräten. Die Ländervertreter sind jeweils Mitglieder der deutschen
Verhandlungsdelegation. Sie können mit Zustimmung des Delegationsleiters das
Wort ergreifen und in bestimmten Fällen sogar die Verhandlungsführung übernehmen; allerdings ist die Möglichkeit der Verhandlungsführung in der bisherigen Praxis
eher selten zum Tragen gekommen.
II.
Problembeschreibung
Aus Sicht des Bundes ist das gegenwärtige System der Ländermitwirkung in EUAngelegenheiten im Ergebnis tragbar. Seiner Auffassung nach gehen die Mitwirkungsrechte der Länder bereits jetzt schon an die Grenze des verfassungsrechtlich
zulässigen (zu den verfassungsrechtlichen Bedenken vgl. nur die Nachweise bei
Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, 5. Auflage, Art. 23 Rn. 71), so dass schon aus diesem Grund eine Ausweitung nicht in Betracht komme. Bereits jetzt kompliziere das
Verfahren des Art. 23 GG den Aufbau wirkungsvoller deutscher Positionen im Vorfeld
der Brüsseler Entscheidungen und unterliege einer einschränkenden integrationsund verfassungskonformen Auslegung (siehe auch Hilf, VVdStRL 53 <1994>, S. 18
und 24).
Aus Sicht der Länder (siehe CdS-Papier vom 13. September 2001 Ziff. 6) sollen die
Mitwirkungsmöglichkeiten der Länder bei Angelegenheiten der EU durch Änderung
bzw. Ergänzung des Art. 23 GG weiter gestärkt werden; zur Diskussion stehen:
1)
Beseitigung der Befugnis der Bundesregierung, auch in Angelegenheiten der
ausschließlichen Länderkompetenz vom Bundesratsvotum abweichen zu
können (Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG),
Kompetenzen in EU-Angelegenheiten (Art. 23 GG)
2)
-
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Ausweitung der Verpflichtung der Bundesregierung, das Votum des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen auf die Angelegenheiten, in denen
Rechtsetzungsakte der EU die bei den Ländern durch den Vollzug verursachten Aufwendungen wesentlich verändern.“
Zur Forderung nach Pkt. 1:
•
Auffassung der Länder: Bereits zu der jetzt geltenden Regelung des Art. 23 Abs.
5 Satz 2 GG wird in der Literatur die Auffassung vertreten, dass dem Bundesrat
das Letztentscheidungsrecht bei Maßgeblichkeit seiner Stellungnahme dann zusteht, wenn es bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundesregierung und
Bundesrat nicht gelingt, Einvernehmen herzustellen (Scholz in Maunz/Dürig/Herzog Art. 23 GG RNr. 120). Eine entsprechende Klarstellung/Änderung in Art. 23
Abs. 5 GG in diesem Sinne, welche die umfassende und abschließende Entscheidungsbefugnis über das Vorgehen bei EU-Angelegenheiten im Bereich der
Gesetzgebungszuständigkeiten der Länder zum Inhalt hätte, wäre im Interesse
einer klaren Abgrenzung der Verantwortungsbereiche auch in Bezug auf die EUEbene konsequent.
Der bloße Hinweis auf verhandlungstaktische Gesichtspunkte vernachlässigt die
Kompetenzverteilung des Grundgesetzes und setzt sich in Widerspruch zu ihr.
Die innerstaatliche ausschließliche (Länder-)Zuständigkeit muss auch „im Außenverhältnis“ Geltung erlangen. Nur diese Sichtweise wird auch der allgemeinen
Systematik des Art. 23 GG gerecht: Grundprinzip der Ländermitwirkung ist nämlich gerade jeweils die Parallelität der Mitwirkungsbefugnisse an EU-Entscheidungen zu den innerstaatlichen Zuständigkeiten des Bundesrates und der Länder.
Diesem Grundprinzip widerspricht ein Abweichen der Bundesregierung in Angelegenheiten der ausschließlichen Länderkompetenz vom Bundesratsvotum.
Die Befürchtung, dadurch würde die Verhandlungsposition Deutschlands gefährdet bzw. in Frage gestellt, ist nicht zwingend: Bereits die jetzige Regelung hat in
der Praxis gezeigt, dass es kaum zu echten Konfliktfällen zwischen Bundesregierung und Bundesrat kommt und der Bundesrat bereits bei Formulierung seiner
Stellungnahmen die in Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG zum Ausdruck kommende Verpflichtung zur Verwirklichung eines vereinten Europas beizutragen, Ernst nimmt.
Ferner wäre auch denkbar, im Rahmen einer möglichen Verfassungsänderung
diese allgemeine Verpflichtung aus Abs. 1 Satz 1 des Art. 23 GG ausdrücklich in
Bezug auf den Bundesrat und die Formulierung seiner letztentscheidenden Stellungnahme zu konkretisieren. Zudem dürften die Stellungnahmen des Bundesra-
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Kompetenzen in EU-Angelegenheiten (Art. 23 GG)
tes - wie die Praxis zeigt - kaum zu außen- und verteidigungspolitischen Konflikten mit der Bundesregierung führen; was darüber hinaus die integrationspolitischen Ziele betrifft, wäre der Bundesrat diesen ohnehin unmittelbar verpflichtet.
•
Auffassung des Bundes: Ein „Letztentscheidungsrecht“ des Bundesrates ohne
Rücksicht auf gesamtstaatliche Belange unterläge aus Sicht des Bundes erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken (s.o).
Die Umsetzung des Vorschlags würde die Flexibilität der Bundesregierung in EUGremien in den betroffenen Fallkonstellationen beseitigen. Für den Bund bedürfen - unbeschadet verfassungsrechtlicher Vorgaben (s.o. 1 a) - die Verhandlungen schon aus Sachgründen eines Spielraums, der auch Rückzugspositionen zulässt. Auch andere föderal organisierte Mitgliedstaaten wie Österreich und Belgien
sehen keine strikte und ausnahmslose Bindung der Regierung an Voten der
Gliedstaaten vor. Die Bundesregierung ist noch nie unter Berufung auf die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes von einer maßgeblichen Stellungnahme des Bundesrates abgewichen. Die jetzt dazu gegebene rechtliche Möglichkeit
muss jedoch schon von Verfassungs wegen erhalten bleiben, um einen möglichen schwerwiegenden Schaden für die Bundesrepublik Deutschland beispielsweise auf außen-, verteidigungs- und integrationspolitischem Gebiet abwehren zu
können. Die Befugnis zur Abweichung im gesamtstaatlichen Interesse folgt daraus, dass hier ein Kernbereich der ausschließlichen Zuständigkeiten des Bundes
für die auswärtige Gewalt, für die Sicherheitspolitik sowie für die Integrationsgewalt berührt ist.
Im Übrigen wirkt bereits die bestehende Regelung konfliktverhütend. Der Bundesrat muss bei Abfassung seiner Stellungnahme eine mögliche Berufung der Bundesregierung auf ihre gesamtstaatliche Verantwortung in Rechnung stellen und
durch eine sorgfältige Berücksichtigung der dafür maßgeblichen Gesichtspunkte
vermeiden. Entfiele diese Notwendigkeit, würde eine maßgebliche Grundlage für
das bisherige praktische Funktionieren der Bund-Länder-Zusammenarbeit in EUAngelegenheiten in Frage gestellt.
-
Zur Forderung nach Pkt. 2:
• Auffassung der Länder: Bereits nach der jetzigen Regelung ist die Stellungnahme
des Bundesrates dann maßgeblich zu berücksichtigen, wenn es um EU-Vorhaben
geht, die im Schwerpunkt die Einrichtung von Landesbehörden oder das von Landesbehörden zu beachtende Verwaltungsverfahren betreffen. Eine Erstreckung
des Maßgeblichkeitsgrundsatzes auch auf die EU-Regelungen, welche bei den
Kompetenzen in EU-Angelegenheiten (Art. 23 GG)
Seite 170
Ländern die durch den Vollzug verursachten Aufwendungen „wesentlich“ verändern, wäre insoweit eine konsequente Ergänzung der Mitwirkungsrechte der Länder: Finanzielle Folgewirkungen von EU-Vorhaben treffen die Länder auf Grund
ihrer wenig flexiblen Haushalte in ihrer Handlungsfähigkeit nicht weniger gravierend als Änderungen ihrer Behördeneinrichtung oder des Verwaltungsverfahrens.
Beispiel für eine EU-Regelung, die zwar nicht in die ausschließliche Zuständigkeit
der Länder fällt, die aber zu ganz erheblichen administrativen und auch finanziellen Auswirkungen im Länderbereich geführt hat, ist die Umsetzung der FFHRichtlinie, wo innerstaatlich für den Naturschutz eine Rahmenzuständigkeit des
Bundes besteht (Art. 75 Abs. 1 Nr. 3 GG). Im übrigen wäre eine Erstreckung des
Maßgeblichkeitsprinzips die Entsprechung zu Art. 23 Abs. 5 Satz 3 GG: danach
ist eine Zustimmung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates
dann notwendig, wenn diese zu Ausgabenerhöhungen oder zu Einnahmenminderungen des Bundes führt. Zur Verhandlungsfähigkeit der Bundesregierung gilt im
übrigen das oben gesagte.
• Auffassung des Bundes: Art. 23 Abs. 5 S. 2 GG (in Verbindung mit dem Ausführungsgesetz) sieht die Maßgeblichkeit von Bundesratsstellungnahmen nur vor,
wenn ausschließliche Kompetenzen der Länder, die zum Kern ihrer Eigenstaatlichkeit gehören (nämlich ihre ausschließlichen Gesetzgebungsbefugnisse, die
Einrichtung ihrer Behörden und ihre Verwaltungsverfahren), im Schwerpunkt von
EU-Regelungsvorhaben liegen. Würde sie auf alle Fälle erstreckt, in denen die
durch den Vollzug verursachten Aufwendungen der Länder wesentlich verändert
werden, hätte dies (zumal dann, wenn gleichzeitig auch die Möglichkeit gestrichen
würde, dass sich die Bundesregierung unter Hinweis auf die gesamtstaatliche
Verantwortung vom Votum des Bundesrats abweichen kann) einen für den Bund
inakzeptablen Systemwechsel zur Folge, der die Länder von mitwirkenden zu bestimmenden Akteuren deutscher Europapolitik machen würde. Da in der Bundesrepublik Deutschland der Vollzug von Rechtsetzungsakten der EU grundsätzlich
bei den Ländern liegt und der Vollzug regelmäßig mit zumeist "wesentlichen"
Aufwendungen verbunden ist, dürfte bei einer Akzeptanz der Länderforderung die
Maßgeblichkeit von Bundesratsstellungnahmen von der seltenen Ausnahme zur
Regel werden. Damit verbindet sich die Gefahr einer Inflexibilität der deutschen
Verhandlungsführung auf breiterer Front, welche die Europafähigkeit Deutschlands in Frage stellt.
Im übrigen gilt: Eine sachgerechte Berücksichtigung der Länderinteressen ist
auch ohne Änderung des GG und des Ausführungsgesetzes möglich. Das System sorgt dafür, dass die vielfältigen Erfahrungen der Länder bei der Anwendung
von EU-Recht in die deutschen Verhandlungspositionen einfließen, so dass ein
Seite 171
Kompetenzen in EU-Angelegenheiten (Art. 23 GG)
Bedürfnis aus dieser Perspektive nicht belegbar ist. Dies zeigt die in der Praxis
zufriedenstellende Erfahrung der Bund-Länder-Zusammenarbeit in EUAngelegenheiten.
Anhang
L:\Maiwald\2002\Dienstrecht_Grundsatz_021217.Doc
Innerstaatliche Kompetenzordnung
für das Besoldungs- und Versorgungsrecht
sowie für das Dienstrecht der Landes- und Kommunalbeamten
- Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung -
Stellungnahme des Bundes aus dienstrechtlicher Sicht
1
Gliederung
Seite
Vorbemerkung / Auftrag
1
I.
Besoldungs- und Versorgungsrecht (Art. 74 a GG)
1
1. Neue Aufgaben- und Verantwortungsteilung zwischen
Bund und Ländern
2
2. Bisherige Öffnungen und Kompetenzverlagerungen
zugunsten der Länder
2
a. Öffnung der Hochschullehrerbesoldung für leistungsbezogene, flexible Ausgestaltung durch die Länder
2
b. Öffnungen für ländereigene Regelungen zur
Leistungsbezahlung
3
c. Verlagerung der Regelungskompetenz für Stellenobergrenzen auf die Länder
4
d. Modernisierungsinitiative der Bundesregierung durch
Bezahlungsbandbreiten
4
3. Fortsetzung der Modernisierung und Flexibilisierung des
Bezahlungsrechts
5
4. Der Gesetzesantrag des Landes Berlin zur Öffnung für
landesrechtliche Konsolidierungsmaßnahmen
6
5. Der verfassungsrechtliche Gestaltungsspielraum des
Besoldungsgesetzgebers
7
6. Notwendigkeit bundeseinheitlicher Systems- und BezügeStrukturen zur Wahrung von Chancengleichheit und
Gleichklang
8
a. Gleichgerichtete System- und Bezügestrukturen als
Voraussetzung für wettbewerbsfähige und marktgerechte Beschäftigungsbedingungen
9
b. Finanzielle Abhängigkeiten und Wechselwirkungen
10
c.
11
Gleichklang der Bezahlungs- und Beschäftigungsbedingungen in Bund und Ländern
d. Notwendigkeit der bundeseinheitlichen Entwicklung
des Beamtenversorgungsrechts im Gleichklang mit
anderen Alterssicherungssystemen
11
2
e. Personalwirtschaftliche Flexibilitäts- und MobilitätsErfordernisse
II.
12
Dienstrecht der Landes- und Kommunalbeamten
(Art. 75 Abs. 1 Nr. 1 GG)
13
1. Zur Ausgangslage
13
2. Erforderlichkeit der Rahmengesetzgebungskompetenz
14
3. Zur künftigen Wahrnehmung der Rahmengesetzgebungskompetenz durch den Bund
16
1
Vorbemerkung / Auftrag
Der von den Regierungschefs von Bund und Ländern eingesetzte Lenkungsausschuss
„Föderalismusreform“ hat in seiner konstituierenden Sitzung am 18. April 2002 die Arbeitsgruppen „Finanzen“ und „Innerstaatliche Kompetenzordnung“ beauftragt, eine Bestandsaufnahme und Problembeschreibung zur Modernisierung der bundesstaatlichen
Ordnung vorrangig im Hinblick auf Zweckmäßigkeit und Effizienz der Aufgabenerfüllung
sowie Zuordnung der politischen Verantwortlichkeiten zu erarbeiten.
Zur Vorbereitung ist auf Arbeitsebene eine länderoffene Unterarbeitsgruppe gebildet worden, die die von den Ländern u.a. benannten Kompetenzbereiche „Besoldungs- und Versorgungsrecht“ sowie „Dienstrecht der Landes- und Kommunalbeamten“ untersuchen soll.
Hessen und Niedersachen haben zur Handhabung der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit für Besoldungsrecht und Versorgungsrecht nach Art. 74 a GG sowie der
Rahmengesetzgebungskompetenz für das Dienstrecht der Landes- und Kommunalbeamten nach Art. 75 Abs. 1 Satz 1 GG eine Bestandsaufnahme und Problembeschreibung
vorgelegt. Diese Bereiche betreffen Grundfragen der Verantwortung des Bundes für den
Gesamtbereich des öffentlichen Dienstes und die Entwicklung der Personalkosten in den
öffentlichen Haushalten und damit ein zentrales Element der Dienstrechtspolitik der Bundesregierung. Dazu wird im Folgenden Stellung genommen.
I.
Besoldungs- und Versorgungsrecht (Art. 74 a GG)
Besoldung und Versorgung der Beamtinnen und Beamten sind mit Einfügung des Art. 74 a
GG im Jahre 1971 von der Rahmengesetzgebungskompetenz in die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit überführt worden. Der schon zuvor von den Ländern eingeleitete Prozess der Vereinheitlichung der Besoldung ist 1975 durch das Zweite Gesetz zur
Vereinheitlichung und Neuregelung des Besoldungsrechts in Bund und Ländern und mit
Wirkung ab 1977 durch das Beamtenversorgungsgesetz abgeschlossen worden.
Das Bundesrecht regelt seither Besoldung und Versorgung umfassend bundeseinheitlich
und grundsätzlich abschließend, soweit den Ländern nicht ausdrücklich Regelungsbefugnisse eingeräumt werden. Mit der Vereinheitlichung ist einem seinerzeit in den Ländern
einsetzenden Besoldungswettlauf entgegengewirkt worden, der durch rahmenrechtliche
Bundesregelungen nicht zu begrenzen war. Die Auseinanderentwicklung und Zersplitterung des Besoldungsrechts durch eigenständige landesrechtliche Regelungen ist seinerzeit vom damaligen Bundesinnenminister Genscher als „Scherbenhaufen einer Besoldungspolitik des Opportunismus, des föderalen Eigennutzes und der Konzeptionslosigkeit,
die jede innere Besoldungsgerechtigkeit vermissen lasse,“ bezeichnet worden.
2
1. Neue Aufgaben - und Verantwortungsteilung zwischen Bund und Ländern
Für die Ausfüllung der grundgesetzlichen Kompetenzzuordnung bei Besoldung und
Versorgung nach Art. 74 a GG setzt die Bundesregierung auf ein modernes Föderalismusverständnis, wonach eine neue Aufgaben- und Verantwortungsteilung zwischen
Bund und Ländern das bundesstaatliche Prinzip prägen soll. Die Bundesregierung will
nicht nur eine stärkere Kooperation zwischen den Ebenen erreichen, sondern die Länder durch mehr Eigenständigkeit und mehr Eigenverantwortung stärken, um innovatorische Entwicklungen zu fördern und größtmögliche Effizienz zu ereichen. Ziele sind die
Verbesserung der Transparenz durch den Abbau bundesstaatlicher Vorgaben sowie
die Stärkung der Eigenverantwortung, des Subsidiaritätsprinzips und der föderalen
Vielfalt. Die gegenläufigen Verfassungsprinzipien von Solidarität und Eigenstaatlichkeit
sind auch für den Bereich des öffentlichen Dienstrechts in eine ausgewogene Balance
von Einheitlichkeit und Vielfalt zu bringen.
Nach der Koalitionsvereinbarung vom 16. Okt. 2002 wird dazu die bereits in der
14. Legislaturperiode vorangebrachte Modernisierung des Staates mit dem Ziel der
Entbürokratisierung, Bürgerfreundlichkeit und Transparenz konsequent fortgesetzt werden. Die Bundesregierung steht für einen starken und handlungsfähigen Föderalismus
und für klare Regelungen von Verantwortung und Zuständigkeit.
2. Bisherige Öffnungen und Kompetenzverlagerungen zugunsten der Länder
Auf der Grundlage ihres umfassenden Programms „Moderner Staat- Moderne Verwaltung“ hat die Bundesregierung bereits in der vergangenen Legislaturperiode mit
weitreichenden Gesetzesänderungen (Besoldungsstrukturgesetz / Professorenbesoldungsreformgesetz/ Sechstes Besoldungsänderungsgesetz) den Ländern mehr Handlungs-, Entscheidungs- und Gestaltungsspielräume bei der Bezahlung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingeräumt.
a. Öffnung der Hochschullehrerbesoldung für leistungsbezogene, flexible Ausgestaltung durch die Länder
Im Rahmen einer umfassenden und zukunftsweisenden Hochschulreform hat die
Bundesregierung mit dem Gesetz zur Professorenbesoldungsreform vom 16. Februar 2002 ein leistungsabhängiges, flexibles Bezahlungssystem mit variablen
Leistungsbezügen eingeführt. Für die weitere Konkretisierung der leistungsbezogenen Bezahlung wurden den Ländern dabei umfassende Gestaltungs-, Entscheidungs- und Handlungsspielräume (Vergabeverfahren, Zuständigkeit, Voraussetzungen und Kriterien der Vergabe sowie Ausgestaltung der Leistungsbezüge)
eröffnet. Angesichts der Notwendigkeit, im Grundsatz gleiche Besoldungsverhält-
3
nisse im öffentlichen Dienst aufrechtzuerhalten, ist bundesrechtlich die Höhe der
Grundbesoldung sowie ein Budget-Rahmen für die Vergabe variabler Leistungsbezüge bestimmt worden. Die Budgetierung ist nicht nur zur Steuerung der Personalkosten erfolgt, sondern garantiert im Interesse der Professorinnen und Professoren
das bisherige Volumen.
Mit der Reform hat die Bundesregierung den Ländern die notwendigen Handlungsund Gestaltungsspielräume eröffnet und zugleich durch bundesrechtliche Rahmenbestimmungen eine gleichgerichtete Grundstruktur der Hochschulbezüge im
gesamtstaatlichen Interesse sichergestellt. Diese neu ausgerichtete Balance von
Einheitlichkeit und Flexibilität ist Leitbild für die weitere Dienstrechtspolitik, insbesondere für alle die Bereiche, in denen vorrangig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
beschäftigt sind und insoweit Personal- und Haushaltsverantwortung der Länder
gefordert sind.
Mit Blick auf diese bereits eingeleitete Erneuerung und neue Zuordnung von Verantwortlichkeiten haben die Regierungsparteien im Koalitionsvertrag vom 16. Oktober 2002 vereinbart, die bundesrechtlichen Voraussetzungen für eine stärkere Flexibilisierung der Lehrerbesoldung zu schaffen.
b. Öffnungen für ländereigene Regelungen zur Leistungsbezahlung
Mit dem Besoldungsstrukturgesetz im Jahr 2002 hat die Bundesregierung den
Ausbau der Leistungsbesoldung ermöglicht. Die erweiterten Grundlagen eröffnen
dem Bund und den Ländern Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten, jeweils auf
ihre Bedürfnisse ausgerichtete Regelungen zu treffen und den Aufgaben, Organisations- und Personalstrukturen jedes einzelnen Landes angemessen Rechnung
zu tragen. Die von der Bundesregierung geschaffenen Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten sind von den Ländern bisher nur teilweise ausgefüllt worden;
die Anwendung und der weitere Ausbau der Leistungsbezahlung sind zum Teil
wegen der angespannten Haushaltssituation zurückgestellt oder ausgesetzt worden, wenn auch durch die bundesrechtliche Neugestaltung der Gehaltstabellen finanzielle Gestaltungsmöglichkeiten im beamtenrechtlichen Bezahlungssystem erreicht worden sind. Es entspricht dem Wesen bundesrechtlicher Rahmenvorgaben,
dass es den Ländern auch möglich sein muss, Gestaltungs- und Handlungsspielräume auf Grund der finanziellen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht
zu nutzen.
Darüber hinaus sind auf Initiative der Bundesregierung einzelne Bezahlungsinstrumente wie beispielsweise Sonderzuschläge, Anwärtersondersonderzuschläge
oder bestimmte Zulagenregelungen dereguliert und auf die Ebene der Diensther-
4
ren delegiert worden. Damit sind Entscheidungsstrukturen entflochten und administrative Hierarchien abgebaut worden, um zu größerer Transparenz zu gelangen.
c. Verlagerung der Regelungskompetenz für Stellenobergrenzen auf die Länder
Die bisherige Vorgabe bundeseinheitlicher Höchstgrenzen für die Ausbringung von
Beförderungsstellen in den jeweiligen Personalhaushalten (sog. Stellenobergrenzen) ist mit dem Besoldungsstrukturgesetz in einem ersten Schritt geöffnet worden.
Die Bundesregierung hatte in ihrem Regelungsentwurf ursprünglich vorgeschlagen, diese Regelungskompetenz für die Stellenpläne gänzlich auf die Länder zu
verlagern, um dezentral kostensenkende und leistungssteigernde Maßnahme zu
ermöglichen. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme am 9. März 2001 (BTDrs. 14 / 630) allerdings die Notwendigkeit der Beibehaltung bundesrechtlicher allgemeiner Obergrenzen betont und die Öffnung teilweise zurückgenommen.
d. Modernisierungsinitiative der Bundesregierung durch Bezahlungsbandbreiten
Mit dem Entwurf des Besoldungsstrukturgesetzes hatte die Bundesregierung den
Ländern eine weitreichende Öffnung des Bezahlungsrechts durch die Einrichtung
variabler Bezahlungsbandbreiten für die Eingangsämter und ersten Beförderungsämter im gehobenen und höheren Dienst sowie die Delegation der Einstufungskompetenz auf die jeweiligen Dienstherren vorgeschlagen. Damit sollte das zentralistische, ausschließlich an Vor- und Ausbildung ausgerichtete bundeseinheitliche
Einstufungssystem für variable Bewertungen und Einstufungen zugunsten der
Länder geöffnet werden. Die starren bundeseinheitlichen Festlegungen und Detailvorgaben sollten durch einen Einstufungsrahmen ersetzt werden, damit künftig regional-, berufsgruppen-, aufgaben- oder dienstherrnspezifische Differenzierungen
möglich sind.
Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme am 9. März 2002 die Übertragung der
Entscheidungskompetenz über die Einstufung bei der Einstellung abgelehnt, weil
dadurch „die Einheitlichkeit der Besoldung im Bundesgebiet und sogar innerhalb
der einzelnen Länder nicht mehr gewährleistet“ sei (BT-Drs. 14 / 6390).
Die Bundesregierung hält unverändert an ihrer in der damaligen Gegenäußerung
vorgetragenen Auffassung fest, den Ländern durch Öffnungen im einfachen Recht
größere Gestaltungs- und Entscheidungsspielräume an die Hand zu geben, um im
Personalbereich differenzierter handeln zu können.
5
3. Fortsetzung der Modernisierung und Flexibilisierung des Bezahlungsrechts
Die von der Bundesregierung in der letzten Legislaturperiode eingeleitete Modernisierung und Flexibilisierung des Bezahlungsrechts ist ohne Alternative. Nach wie vor wird
das gegenwärtige Besoldungssystem vorrangig durch Ämter- und Besoldungsordnungen bestimmt, die in ihrer Grundstruktur seit Jahrzehnten unverändert sind. Aufgabenund anforderungsbezogenen Differenzierungen sind nur in einem eingeschränkten
Umfang möglich. Individuelles Leistungsprofil und arbeitsmarktnahe Bezahlungskonditionen können gegenwärtig nur unzureichend berücksichtigt werden. Nach wie vor
werden zu viele unterschiedliche Sachverhalte mit einer pauschalen Bewertung zusammengefasst und einer einzigen Einstufung zugeordnet. So wird zum Beispiel für
jeden Hochschulabsolventen - gleich welcher Fachrichtung - an jedem Ort in
Deutschland bei seinem Eintritt in den öffentlichen Dienst zentral eine bundeseinheitliche Bezahlung vorgeschrieben. Das bisherige, stark zentralistische, ausschließlich an
Vor- und Ausbildung ausgerichtete bundeseinheitliche Einstufungs- und Entgeltsystem
ist zu öffnen, um künftig im Personalbereich markt- und leistungsgerechter handeln zu
können. Dies ist nicht nur zur sachgerechten Erfüllung der Aufgaben notwendig, sondern vor allem auch im Interesse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Deshalb wird die Bundesregierung den eingeleiteten Weg der Modernisierung und
Flexibilisierung konsequent fortsetzen und die Reformarbeiten zur Erneuerung von
Staat und Gesellschaft künftig noch intensivieren. Die Reform des öffentlichen Dienstes ist ein wesentliches Element der Modernisierung von Staat und Verwaltung. Im Zusammenhang mit der angestrebten Neugestaltung des Tarifrechts des öffentlichen
Dienstes und einer gleichgerichteten Umsetzung im Beamtenrecht wird die Bundesregierung weitere Vorschläge unterbreiten, um gezielter und flexibler auf arbeitsmarktund beschäftigungspolitische Situationen reagieren zu können.
Eine nachhaltige Erneuerung setzt voraus, dass die neue Verantwortungsteilung zwischen Bund und Ländern umfassend auf allen staatlichen Ebenen verwirklicht wird.
Für das öffentliche Dienstrecht besteht auch unterhalb der gesetzlichen Regelungsebene Raum für Deregulierungen und Öffnungen zugunsten der Länder. So unterliegt
beispielsweise die Ausfüllung der im Bundesrecht geschaffenen Gestaltungs- und Entscheidungsspielräume gegenwärtig dem Abstimmungsverfahren nach der sog. Gemeinsamen Erklärung vom 1. 7.1977 / 25.6.1992. Danach haben sich der Regierungen
des Bundes und der Länder verpflichtet, auf eine gemeinsame, stabilitätskonforme
Steuerung der Personalkosten im öffentlichen Dienst hinzuwirken und kostenwirksame
strukturelle Maßnahmen untereinander abzustimmen. Die Regierungen haben sich
nach dieser Vereinbarung gebunden, kostenwirksame Strukturmaßnahmen im Personalbereich wie etwa beispielweise die Einstufungen einzelner landesrechtlicher Leitungsämter oder die Regelungen einzelne Stellenplanverhältnisse bzw. Zulagen dann
6
nicht vorzunehmen, wenn die Bundesregierung und vier Landesregierungen oder zehn
Landesregierungen diesen Regelungen widersprechen. Im Bereich der Besoldung
führt dies dazu, dass nahezu alle Maßnahmen, die der Bundesgesetzgeber zur eigenständigen landesrechtlichen Regelung freigegeben hat, innerhalb von Bund und Länder vereinheitlicht werden. Dieser durch Verwaltungsvereinbarung vorgenommene
detaillierte Abgleich führt in der Praxis zu bundeseinheitlichen Regelungsmustern und
starren Standards gerade auch in den Bereichen, die der Gesetzgeber ausdrücklich für
selbstverantwortete länder- und dienstherrnspezifische Maßnahmen geöffnet hat.
4. Der Gesetzesantrag des Landes Berlin zur Öffnung für landesrechtliche
Konsolidierungsmaßnahmen
Mit dem Gesetzesantrag des Landes Berlin v. 5. Nov. 2002 zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften (BR-Drs. 819 /02) soll das Bundesbesoldungsrecht für landesgesetzliche Konsolidierungsmaßnahmen bei allgemeinen Besoldungs- und Versorgungsanpassungen sowie zur Reduzierung der jährlichen Sonderzuwendung und zur Streichung Urlaubsgeldes geöffnet werden. Nach der Begründung sind die Öffnungen im Bundesrecht notwendig, um den Ländern auf Grund der
durchweg schwierigen, teils extrem belasteten Situation der öffentlichen Haushalte angemessene Konsolidierungsspielräume bei den Personalkosten einzuräumen. Dies sei
notwendig, um die finanzpolitischen Handlungsmöglichkeiten zu erweitern und die
Personalkosten in erforderlichem Umfang zu dämpfen und zu verringern (BR-Drs.
819 / 02 - Allg. Teil der Begründung).
Zu diesen Regelungsvorstellungen bleiben zunächst die Ergebnisse der im Bundesrat
aufgenommen Beratungen abzuwarten. Nach einem Beschluss des Bundesrates wird
die Bundesregierung im weiteren Gesetzgebungsverfahrens zu den Vorschlägen der
Länder Stellung nehmen.
Vorab ist festzustellen, dass differenzierte Lösungen und flexible Maßnahmen notwendig sind, wenn die allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse unterschiedlich sind und auch die Entwicklungen in den öffentlichen Haushalten voneinander abweichen. Unterschiedliche Sachverhalte müssen grundsätzlich unterschiedlichen Lösungen zugänglich sein. Bundeseinheitliche Vollregelungen sind nicht überall
und immer notwendig. Allerdings hat der Gesetzgeber durch klare tatbestandliche
Vorgaben sicherzustellen, dass der verfassungsrechtlich geschützte hergebrachte
Grundsatz des Alimentationsprinzips gewahrt bleibt und die Untergrenze der amtsangemessenen Alimentation wie auch das Abstandsgebot eingehalten werden. Deshalb
sind Flexiblisierungen und Öffnungen grundsätzlich an Voraussetzungen zu knüpfen
und können nicht losgelöst von der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und
finanziellen Verhältnisse erfolgen.
7
Solche Öffnungen stärken die Länder durch mehr Eigenständigkeit und mehr Eigenverantwortung. Die praktische Umsetzung des Subsidiaritätsprinzip entspricht dem
gewandelten Verständnis der Aufgaben- und Verantwortungsteilung zwischen Bund
und Ländern. Die stärkere Akzentuierung föderativer Konkurrenz kann Flexibilitätspotentiale erschließen, zur Erprobung von Alternativen anregen sowie die Experimentierfreudigkeit und Innovationsbereitschaft fördern, um im Wettbewerb zu besseren Problemlösungen zu kommen.
5. Der verfassungsrechtliche Gestaltungsspielraum des Besoldungsgesetzgebers
Einer Öffnung und Flexibilisierung des Besoldungsrechts stehen Wesen und Intention
der konkurrierenden Gesetzgebung nicht entgegen, die dem Bund nach Art. 72 Abs. 2
GG nur dann ein Gesetzgebungsrecht gibt, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder
Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung
erforderlich macht. Diese Voraussetzungen bestehen für den Kernbereich und die
Grundstrukturen des Besoldungsrechts und des Versorgungsrechts grundsätzlich unverändert weiter fort.
Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung kann der Bundesgesetzgeber grundsätzlich ebenso wie bei der Rahmengesetzgebung verfahren und statt einer umfassend erschöpfenden bundeseinheitlichen Vollregelung ein Bundesgesetz erlassen,
dass in Teilen auf Ausfüllung und Ausgestaltung durch die Länder angelegt ist. Das
Bundesverfassungsgericht hat betont, dass der Bund im Rahmen des Art. 74 a GG
befugt sein, „von seiner im umfassend eingeräumten konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit partiellen Gebrauch zu machen und somit für die Länder einen
Raum eigener Gestaltung auszusparen“, er sei „nicht gehalten, seine Kompetenz vollständig zu nutzen“ (BVerfGE 62, 355, 369).
Das Recht des öffentlichen Dienstes und damit das Besoldungsrecht ist nach Art. 33
Abs. 5 GG unter Beachtung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums
zu regeln. Zu diesen hergebrachten Grundsätzen zählt der Anspruch der amtsangemessenen Alimentation, in dessen Rahmen der Gesetzgeber das Gebot gleicher Besoldung zu beachten hat. Dabei steht dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Der Rechtsanspruch auf Alimentation richtet sich nicht auf einen ziffernmäßig
zu bestimmenden Betrag, sondern auf die Gewährleistung eines Kernbestandes der
Alimentierung. Auch in schwierigen Haushaltssituationen muss allerdings bei jeder Besoldungsänderung die untere Grenze der amtsangemessenen Alimentierung gewahrt
bleiben, die der Gesetzgeber keinesfalls unterschreiten darf (vgl. BVerfGE 21, 329,
344).
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Aus Art. 33 Abs. 5 GG ist die Forderung abzuleiten, dass für gleiche und vergleichbare
Dienstposten derselben Laufbahn im Hinblick auf die vom Träger des öffentlichen
Amtes geforderte gleiche Tätigkeit, gleiche Leistung, gleiche Verantwortung und gleiche Arbeitslast gleich - und zwar der Bedeutung von Leistung und Verantwortung entsprechende - Besoldung gewährt wird (BVerfGE 12, 326, 334). Allerdings bedeutet
dies keineswegs eine absolut gleiche Besoldung. Ähnlich wie im unmittelbaren Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 1 GG sind auch im Geltungsbereich des Alimentationsprinzips und des hierauf ruhenden Gebots gleicher Besoldung Differenzierungen
gestattet, wenn hierfür sachliche Gesichtspunkte sprechen (vgl. nur BVerfGE 12, 326,
337 f.; 76, 256,329). So war zu Beginn der siebziger Jahre die Differenzierung der tatsächlichen Besoldung nach regional unterschiedlichen wirtschaftlichen und finanziellen
Verhältnissen des jeweiligen Dienstherren gängige Praxis. Damit ist eine nominal völlig
gleiche bundeseinheitliche Besoldung in allen Ländern und Regionen kein durch den
Grundsatz der Gleichheit der Besoldung oder das Alimentationsprinzip zwingend vorgegebenes Verfassungsgebot, sondern beruht auf einer wertenden Entscheidung des
Besoldungsgesetzgebers, bei nur geringen wirtschaftlichen und finanziellen Unterschieden durch bundeseinheitlichen Bezahlungsfestlegungen eine Konkurrenzsituation
der Dienstherren untereinander zu vermeiden.
Dem Gesetzgeber ist bei der Konkretisierung der Verpflichtung zur amtsangemessenen Alimentation ein weiter Gestaltungsspielraum belassen (vgl. BerfGE 8,1, 16; 71,
39, 52 f.; 76, 256, 330; 83, 89, 100; st. Rspr.). Dieser ist allein dadurch begrenzt, dass
eine Besoldung und Versorgung in Form eines grundsätzlich lebenszeitigen, amtsangemessenen Lebensunterhalts (Alimentation) gewährleistet wird, der dem Dienstrang,
der Verantwortung des Amtes, der Bedeutung des Berufsbeamtentums, den allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnissen sowie dem allgemeinen Lebensstandard entspricht (BVerfGE 99, 300, 315; BVerfG, Beschluss vom 14. Dez. 2000 –
2 BvR 1457/ 96- DÖD 2001, 86 ; st. Rspr.). Innerhalb dieses Rahmens kann der Gesetzgeber die Struktur der Besoldungsordnung jederzeit für die Zukunft ändern. Dies
umfasst auch eine Änderung von Gehaltsbeträgen und Zahlungsweisen. Solange die
untere Grenze einer amtsangemessenen Alimenation nicht erreicht ist, sind sogar Gehaltskürzungen zulässig, denn einen verfassungsrechtlich gesicherten Anspruch auf
Erhaltung des Besitzstandes in Bezug auf ein einmal erreichtes Einkommen gibt es
nicht (BVerfGE 8, 332, 342; 44, 249, 263; st. Rspr.).
6. Notwendigkeit bundeseinheitlicher System- und Bezügestrukturen zur Wahrung
von Chancengleichheit und Gleichklang
Zur Herstellung gleichwertiger Beschäftigungsbedingungen für die Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes in ganz Deutschland sind für den Kernbereich gleichförmige Entgeltsysteme und Grundstrukturen notwendig. Im gesamtstaatli-
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chen Interesse und zur Wahrung der bundesstaatlichen Solidarität müssen die gegenläufigen Spannungspole von Einheitlichkeit und Vielfalt künftig so austariert werden, dass soviel bundesrechtliche Einheitlichkeit geschaffen wird, wie sie zur Herstellung von Chancengleichheit und fairen Wettbewerbsbedingungen notwendig ist, und
zugleich soviel Vielfalt ermöglicht wird, damit leistungs- und marktgerecht bezahlt werden kann.
Zur Wahrung einheitlicher Grundstrukturen ist aus grundsätzlichen dienstrechts- sowie
haushalts- und finanzpolitische Überlegungen an der grundgesetzlichen Kompetenzordnung für das Besoldungs- und Versorgungsrecht festzuhalten.
a. Gleichgerichtete System- und Bezügestrukturen als Voraussetzung für wettbewerbsfähige und marktgerechte Beschäftigungsbedingungen
Die Attraktivität des öffentlichen Dienstes als Arbeitgeber/Dienstherr muss mit Blick
auf die demographische Entwicklung auch in der Zukunft erhalten bleiben. Wenn
auch im öffentliche Dienst gegenwärtig keine ausgeprägten Nachwuchsprobleme
bestehen, muss auch für die Zukunft gewährleistet bleiben, dass der öffentliche
Dienst qualifizierte und leistungsstarke Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter findet.
Wenn auch der Sicherheit des Arbeitsplatzes weiterhin ein entscheidender Stellenwert beizulegen ist, muss die Bezahlung wettbewerbsfähig und marktgerecht bleiben. Dazu ist erforderlich, dass die notwendigen Anpassungen vorgenommen werden, indem das System für mehr Flexibilität und eine stärkere Individualisierung und
Leistungsdifferenzierung geöffnet wird.
Nur durch differenzierte, wettbewerbsfähige Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen kann ein Bezahlungswettbewerb mit der Wirtschaft vermieden werden, dem die
öffentlichen Haushalte in der gegenwärtigen Situation nicht gewachsen wären.
Aber auch innerhalb des öffentlichen Dienstes muss ein Wettbewerbsföderalismus
zwischen den Dienstherrn untereinander mit Blick auf künftige Nachwuchsprobleme vermieden werden. Zwar nimmt der Föderalismus von jeher funktional den
Wettbewerbsgedanken auf und ist dessen effizienzsteigernder und leistungsfördender Charakter unbestritten, einem verabsolutierenden Wettbewerbsdenken
steht jedoch die nach wie vor unterschiedliche finanzielle Leistungsfähigkeit der
Länder entgegen. Ein Bezahlungs-Wettbewerb beispielsweise um qualifizierte Lehrerinnen und Lehrer oder bei der Übernahme neu ausgebildeter Polizeibeamtinnen
und Polizeibeamten würde die Personalhaushalte der Länder weiter gefährden und
wäre hinsichtlich der unausweichlichen Folgewirkungen für die Finanzierung der
Versorgungshaushalte ein nicht kalkulierbares Risiko.
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Nach den bisherigen Erfahrungen und der Lebenswirklichkeit führen gesonderte
landesrechtliche Verbesserungen bei den Bezahlungsregelungen früher oder später immer zu einer Angleichung an das höchste Bezahlungsniveau bzw. an den finanziell stärksten Arbeitgeber / Dienstherrn. Diese Wirkungsmechanismen und
Wechselwirkungen, die in den siebziger Jahren zur Übertragung der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz auf den Bund geführt haben, bestehen heute unverändert fort und dürften sich wegen der größeren Mobilität der Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter sowie der gegenwärtig schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse eher noch verstärkt haben. So ist beispielsweise der Anpassungsdruck bei der Angleichung der Ostbezüge an das Westniveau trotz der unverändert schwierigen gesamtwirtschaftlichen Situation sehr groß. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat gewarnt, dass die öffentlichen
Haushalte mit einer Anpassung bis 2007 überfordert würden mit negativen Auswirkungen auf die öffentlichen Investitionen, auf Wachstum und Beschäftigung. Diese
Wechsel- und Folgewirkungen gelten über die unmittelbaren Entgeltregelungen
hinaus für die gesamten allgemeinen Beschäftigungs- und Einstellungskonditionen
im öffentlichen Dienst. Die mit der sog. Zweigeteilten Laufbahn für den Polizeivollzugsdienst in den Ländern eingeleitete Entwicklung der Überleitung des mittleren
Polizeivollzugsdienstes in den gehobenen Dienst belegt die bestehenden Abhängigkeiten und Wechselwirkungen, insbesondere auch mit Blick auf die weitreichenden Folgewirkungen für die Finanzierung der Versorgungshaushalte.
b. Finanzielle Abhängigkeiten und Wechselwirkungen
Die Ausgestaltung der System- und Bezügestrukturen ist auch vor dem Hintergrund
bundesstaatlicher Solidarpflichten zu betrachten. Wenn es bei den Einkommensbedingungen im öffentlichen Dienst auf Grund fehlender einheitlicher Grundstrukturen zu einem erneuten Bezahlungswettlauf wie in den siebziger Jahren käme,
könnte dies dazu führen, dass z. B. die Personalausgaben in einzelnen Ländern zu
Lasten der öffentlichen Investitionen ausgeweitet und auf diese Weise Wirtschaftsund Finanzkraftunterschiede zwischen den Ländern entstehen und vertieft werden.
Den Personalausgaben kommt insbesondere bei den Ländern herausgehobene
Bedeutung zu, dort sind sie mit einem Anteil von rd. 40 % die wichtigste Ausgabenart. Eine grundlegende Änderung der Kompetenzordnung in diesem Bereich
würde daher neben der Ermittlung der unmittelbaren quantitativen Auswirkungen
eine genaue Analyse aller Finanzströme mit aktiver und passiver Ausgleichswirkung voraussetzen. Insoweit werden enge Berührungspunkte zur Arbeitsgruppe
„Finanzen“ gesehen.
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Mit Blick auf die zwingend notwendige Einhaltung der Haushaltsdisziplin und eine
Begrenzung des gesamtstaatlichen Defizits sind unkalkulierbare Bezahlungswettläufe wie zu Beginn der 70-er Jahre um qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst zu verhindern. Auf der Grundlage der konkurrierenden
Regelungskompetenz bei Besoldung und Versorgung kann auf die Gleichförmigkeit der weiteren Entwicklung der Personalkosten hingewirkt werden.
Die weitere Entwicklung der Personalausgaben ist vor allem auch mit Blick auf die
Defizitvorgaben aus dem Maastricht- Vertrag von Bedeutung, deren Einhaltung eine gemeinsame Aufgabe aller Gebietskörperschaften ist. Bund und Länder haben
sich im Maßstäbegesetz auf eine Regelung verpflichtet, durch eine gemeinsame
Ausgabenlinie die Bestimmungen des Maastricht-Vertrages und des europäischen
Stabilitäts- und Wachstumspaktes zur Begrenzung des gesamtstaatlichen Defizits
umzusetzen.
Die Gewährleistung der Tragbarkeit und Nachhaltigkeit der öffentlichen Haushalte
kann für einen handlungsfähigen Staat und für die Realisierung von Generationengerechtigkeit nicht hoch genug eingeschätzt werden.
c. Gleichklang der Bezahlungs- und Beschäftigungsbedingungen in Bund und Ländern
Die dienstrechtspolitische Leitlinie eines gerechten Gleichklangs der Beschäftigungs- und Bezahlungsbedingungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im
öffentlichen Dienst gilt nicht nur im Verhältnis der Statusgruppen zueinander, sondern für alle staatlichen Ebenen. Eine Änderung der grundgesetzlichen Kompetenzordnung im Bereich von Besoldung und Versorgung hätte weitreichende Folgewirkungen für den Bereich der Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes und würde langfristig zu entsprechenden Entwicklungen im Tarifbereich führen.
Gleichgerichtete Entgeltsysteme und Bezügestrukturen für alle Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst sind für die Akzeptanz und den sozialen
Frieden innerhalb des öffentlichen Dienstes von herausragender Bedeutung; sie
stärken die Einheit des öffentlichen Dienstes.
d. Notwendigkeit der bundeseinheitlichen Entwicklung des Beamtenversorgungsrechts im Gleichklang mit anderen Alterssicherungssystemen
Besoldung und Versorgung sind eng miteinander verknüpft, da die Versorgung an
die Besoldung, die im aktiven Dienstverhältnis zuletzt zugestanden hat, anknüpft.
Nach dem 2. Versorgungsbericht der Bundesregierung (BT- Drs. 14 /7220) steht
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die Beamtenversorgung ebenso wie die anderen Altersicherungssysteme vor dem
Problem erheblich steigender Ausgaben. Ursachen hierfür sind die allgemeine demographische Entwicklung, die erhebliche Verlängerung der Pensionslaufzeiten
sowie die Folgen der Ausweitung des Personalbestandes im öffentlichen Dienst in
den 60er und 70er Jahren. Nach den Vorausberechnungen werden die Versorgungsausgaben der Gebietskörperschaften bis 2015 um 108 % und bis 2025 um
insgesamt 213 % auf rd. 69 Mrd. € ansteigen. Mit rd. 53 Mrd. € entfällt der größte
Teil des Ausgabenanstiegs dabei auf die Länder. Vor diesem Hintergrund hat die
Bundesregierung mit dem Versorgungsänderungsgesetz 2001 die Reformmaßnahmen der gesetzlichen Rentenversicherung wirkungsgleich und systemgerecht
auf die Beamtenversorgung übertragen.
e. Personalwirtschaftliche Flexibilitäts- und Mobilitätserfordernisse
Die künftig noch stärker geforderte Mobilität der Beamtinnen und Beamten sowohl
innerhalb des deutschen öffentlichen Dienstes aus auch im Rahmen der wachsenden europäischen Integration erfordert grundsätzlich kompatible Einkommens- und
Beschäftigungsbedingungen, um die personalwirtschaftlich notwendigen Wechsel
zu unterstützen und zu fördern.
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II. Dienstrecht der Landes- und Kommunalbeamten (Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GG)
Die Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes für die Rechtsverhältnisse der Beamten der Länder und Gemeinden nach Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GG hat 1957 zum
Erlass des Beamtenrechtsrahmengesetzes (BRRG) geführt, um eine drohende Auseinanderentwicklung der Beamtengesetze zu verhindern.
[Anmerkung: Es waren alle Länder, im Übrigen bereits oben erwähnt.]
1. Zur Ausgangslage
Das BRRG hat den Ländern von Anfang an differenzierte Vorgaben gegeben, die – je
nach der Bedeutung des Sachgebiets für die Einheitlichkeit der beamtenrechtlichen
Statusverhältnisse – dem Landesgesetzgeber enge oder weite Spielräume eröffnen.
Daneben gab es aber auch Vorschriften, die gleichermaßen für Bund und Länder gelten.
Das BRRG ist seither fortentwickelt worden, um die an den öffentlichen Dienst gestellten steigenden Anforderungen (z.B. Zuweisungen bei Privatisierungen) und die berechtigten Belange der Beamtinnen und Beamten bei der Ausgestaltung ihrer Rechtsstellung (z.B. Teilzeit und langfristiger Beurlaubung) zu berücksichtigen. Dabei wurde
die bisherige Systematik grundsätzlich beibehalten.
Demgemäss finden sich im geltenden BRRG folgende Regelungsstrukturen:
Regelungen,
die sich an den Landesgesetzgeber wenden, wobei das Rahmenrecht zum
Teil
♦
♦
♦
♦
-
Vollregelungen enthält, die der Landesgesetzgeber so übernehmen
muss (Aufgaben von Beamten, Ernennungsrecht, Rechte und Pflichten
der Beamten u.a.),
zu einer gesetzlichen Regelung verpflichtet – ohne oder nur mit begrenzten inhaltlichen Vorgaben (z.B. Teilzeitbeschäftigung),
keine Verpflichtung zur Regelung enthält, aber im Falle einer Regelung
den Inhalt voll oder in wesentlichen Punkten vorgibt (z.B. Führungsfunktionen auf Zeit),
auf Vorgaben für bestimmte Regelungsbereiche ganz verzichtet (z.B.
Arbeitszeit),
die einheitlich und unmittelbar für alle Dienstherren gelten (z.B. Dienstherrnfähigkeit, Versetzung zu anderen Dienstherrn).
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Bei der Wahrnehmung der Rahmengesetzgebungskompetenz war und ist Leitlinie des
Bundes, eine einheitliche Struktur des beamtenrechtlichen Statusrechts in Bund und
Ländern sicherzustellen. Demgemäss entspricht das Bundesbeamtengesetz in den
substanziellen Regelungsbereichen weitestgehend dem Beamtenrechtsrahmengesetz.
Das Ergebnis ist ein einheitliches Statusrecht für Beamtinnen und Beamte in der Bundesrepublik.
2. Erforderlichkeit der Rahmengesetzgebungskompetenz
Im Unterschied zur konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für Besoldung und
Versorgung nach Art. 74a GG bleibt bei der Rahmengesetzgebungskompetenz des
Bundes nach Art. 75 GG für das Statusrecht der Beamten der Länder und Gemeinden
die Verantwortung und Handlungsfähigkeit der Landesgesetzgeber grundsätzlich bestehen. Der Bund kann nur einen Rahmen für die Länder setzen und dies nur nach
Maßgabe der Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG.
Nach der Grundgesetzänderung des Jahres 1994 hat der Bund diese Rahmengesetzgebungskompetenz nur, „wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder der Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im
gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht.“
Dieses Erfordernisse bestehen aber gerade für die Rechtsverhältnisse der Landesund Kommunalbeamten grundsätzlich unverändert fort.
In den wesentlichen Strukturelementen übereinstimmende Rechtsverhältnisse der Beamtinnen und Beamten aller Dienstherren sind vor allem erforderlich,
-
für die Gewährleistung der Handlungsfähigkeit des Staates und die Einheitlichkeit der Exekutivgewalt:
Die Ausübung „hoheitsrechtlicher Befugnisse“ ist nach Art. 33 Abs. 4 GG dem
Berufsbeamtentum vorbehalten. Da trotz der bundesstaatlichen Gliederung die
Staatsgewalt dem Bürger als einheitliche Gewalt gegenübertritt und das Grundgesetz auch nur eine und nicht 17 Staatsgewalten formuliert, ist im Verhältnis
Staat - Bürger eine Einheitlichkeit der Staatsgewalt in den Grundelementen unerlässlich. Diese Einheitlichkeit der Exekutivgewalt hängt aber auch davon ab,
dass die Personen, die als Amtswalter öffentliche Gewalt ausüben, in ihrer
Rechtsstellung im wesentlichen vergleichbar sind. Deshalb muss deren persönliche Rechtsposition strukturell vergleichbar sein, da das Anstellungsverhältnis
auch Auswirkung auf die Dienstausübung hat.
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Unter diesem Aspekt sind vor allem solche Regelungen wichtig, die ein einheitliches fachliches Niveau, eine einheitliche Pflichtenbindung und die Wahrung
des Leistungsprinzips sicherstellen.
-
für die Berücksichtigung der Vorgaben des Grundgesetzes:
Zentrale Strukturprinzipien des Beamtenverhältnisses sind durch die Verfassung vorgegeben. Dazu gehören der Leistungsgrundsatz ( Art. 33 Abs. 2 GG),
der Funktionsvorbehalt (Art. 33 Abs. 4 GG) und zentrale Strukturprinzipien für
das Beamtenrechtsverhältnis (Art. 33 Abs. 5 GG: u.a. Lebenszeitprinzip, Laufbahnprinzip, volle Dienstleistungspflicht, persönliche Verantwortung und Remonstrationspflicht).
Diesen Verfassungsgeboten kann nur dann optimal Rechnung getragen werden, wenn die einfachgesetzliche Umsetzung nicht jedem Dienstherrn überlassen bleibt, sondern durch Bundesgesetz auch für die Länder und Kommunen
die statusrechtlichen Vorgaben der Verfassung einheitlich umgesetzt werden.
Durch die Mitwirkung des Bundesrates an der Gesetzgebung ist insoweit auch
die angemessene Berücksichtigung der Belange der Länder gewährleistet.
-
für die Bewältigung wachsender Mobilitätserfordernisse innerhalb des deutschen öffentlichen Dienstes, auf Grund der wachsenden europäischen Integration und durch den Prozess der Globalisierung:
Die Verwaltung der Zukunft wird geprägt sein von einem schnelleren Wandel
der öffentlichen Aufgaben. Dies verlangt mehr Mobilität der Beamtinnen und
Beamten sowohl innerhalb eines Dienstherrn als auch dienstherrnübergreifend
sowie in fachlicher und räumlicher Hinsicht, um gerade im Hinblick auf den sich
jeweils - ggfs. auch kurzfristig - ändernden Bedarf die personellen Ressourcen
des öffentlichen Dienstes bestmöglich zu nutzen.
Deshalb muss bei allen Dienstherren das beamtenrechtliche Statusverhältnis
so gestaltet sein, dass die Möglichkeit des Wechsels von einem Dienstherren
zum anderen sichergestellt ist. Das gilt insbesondere für die Anerkennung der
bei einem Dienstherrn erworbenen laufbahnrechtlichen Befähigung durch alle
Dienstherrn.
Entsprechende Anforderungen an Mobilität stellen sich aber auch für die zunehmende Zuweisung von Beamtinnen und Beamte zu über- oder zwischenstaatlichen Organisation oder zu nichtöffentlichen Einrichtungen. Auch insoweit
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sind übereinstimmende Rechtsstrukturen bei den innerdeutschen Dienstherren
geboten.
-
um Bewerbern insbesondere aus EU-Mitgliedsstaaten den Zugang zum deutschen öffentlichen Dienst unter bei allen Dienstherren weitestgehend gleichen
Voraussetzungen zu ermöglichen:
In Europa wird die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zunehmend an Bedeutung
auch für die nationalen Verwaltungen gewinnen.
Bloße Koordination und Kooperation zwischen Bund und Ländern können diesen Erfordernissen gesetzlicher Festlegung eines im Kern einheitlichen Beamtenstatus aber
nicht genügen.
Bei der Verfassungsreform des Jahres 1994 ist deshalb der Verzicht auf diese Rahmenkompetenz des Bundes von Länderseite nicht zur Diskussion gestellt worden.
Im Rahmen der aktuellen Diskussion haben sich fast alle Länder im Arbeitskreis für
Beamtenrechtsfragen nachdrücklich für die Beibehaltung dieser Rahmenkompetenz
des Bundes ausgesprochen. In dem Beschluss vom 14./15. November 2002 wird dabei auf die Notwendigkeit verwiesen, „Gesetze und sonstige Vorschriften durch vergleichbar mit Rechten und Pflichten ausgestattetes und unter vergleichbaren Kriterien
ausgebildetes Personal zu vollziehen. Eines weitgehend vereinheitlichten Beamtenrechts bedürfe es auch im Hinblick auf das bundeseinheitliche Tarifrecht, weil sonst
Beamten- und Tarifrecht noch mehr als bisher schon unvertretbar auseinanderfallen.“
Vor allem aber weisen die Länder darauf hin, dass, solange grundsätzlich an einem
einheitlichen Besoldungs- und Versorgungsrecht festgehalten werde, „es als Anknüpfungspunkt auch eines weitgehend vereinheitlichten Statusrechts“ bedürfe.
3 . Zur künftigen Wahrnehmung der Rahmengesetzgebungskompetenz durch den
Bund
Die Ausübung der Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 75 Abs. 1
Nr. 1 GG ist durch die Verfassungsreform des Jahres 1994 unter eingeschränkte Voraussetzungen gestellt worden. Insbesondere sind dem Bundesgesetzgeber künftig
Vollregelungen weitgehend verwehrt (Art. 75 Abs. 2 GG).
Für die Bundesregierung geht es bei der Erneuerung des Staates gerade auch um die
Stärkung der föderalen Eigenverantwortung. Dieses Ziel ist in der Koalitionsvereinbarung ausdrücklich festgeschrieben worden.
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Die Bundesregierung strebt deshalb für diese Legislaturperiode eine Novellierung des
Beamtenrechtsrahmengesetzes an, die dem Sinngehalt der Verfassungsreform von
1994 und dem politischen Ziel der Stärkung einer Verantwortung der Länder Rechnung trägt. Sie legt dabei aber ein besonderes Gewicht auf einen engen Abstimmungsprozess mit den Ländern.
In dem Bund-Länder-Arbeitskreis für Beamtenrechtsfragen ist bereits ein erster Novellierungsvorschlag für das BRRG erarbeitet worden. In diesem Entwurf sind die Handlungsspielräume für die Landesgesetzgeber erweitert worden. Insgesamt sollen vor
allem in den Bereichen Teilzeitbeschäftigung und langfristige Beurlaubung, Nebentätigkeits- und Personalaktenrecht erheblich erweiterte Regelungsmöglichkeiten der
Länder bestehen.
Bund und Länder haben sich inzwischen darauf verständigt, den vorliegenden Entwurf
nochmals dahingehend zu überprüfen, die Regelungsdichte weiter zu begrenzen und
für die Landesgesetzgebung größere Freiräume zu schaffen.
Es wird darauf ankommen, die gesamtstaatlichen Erfordernisse für eine einheitliche
Struktur des Beamtenverhältnisses in Einklang zu bringen mit dem Ziel der Stärkung
von Länderkompetenzen.
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