234 Editorial ED ITO R IAL Sehr geehrte Leserinnen und Leser, ich vermute, dass die Wochenbettbetreuung das Arbeitsfeld ist, in dem (noch) die meisten Hebammen arbeiten. Die Themen unseres aktuellen Schwerpunktes zeigen die ganze Bandbereite der Wochenbettbetreuung. Sie reicht von medi­ zinischen (Hyperbilirubinämie) über körper-leibbezogene (Beckenbodenarbeit) bis hin zu psycho-sozialen (Sexualität) ­ oder pädagogischen Fragen (Fütterstörungen). Insofern kann man sagen, dass Hebammen Generalistinnen sind. Diese Vielfalt der Themen trägt dazu bei, dass die Wochen­ bettbetreuung sehr interessant und sehr selten langweilig ist. In vielen Fällen sind Hebammen bei der Beantwortung der Fra­ gen, was physiologisch, normal, gesund ist bzw. was abweicht, (noch) auf disziplin-fremde Definitionen angewiesen (Ernäh­ rungswissenschaft definiert Fütterstörung, Sexualwissenschaft definiert Sexualfunktionsstörung, Medizin definiert Hyper­bili­ rubin­ämie). Das wird bei vielen Themen auch so bleiben, eben weil wir ­Generalistinnen sind. Und es ist aus meiner Sicht unproblema­ tisch, wenn wir (zunehmend) das Handwerkszeug haben, um solche Definitionen für unsere Belange begründet anzunehmen, zu verwerfen oder anzupassen. Während bei sehr vielen Themen der Schwangerschafts- und Geburtsbegleitung die Definitionsmacht (noch) sehr statisch bei der Medizin liegt, ist die Wochenbettbetreuung ein Feld, das Hebammen kaum jemand streitig macht. Schade, dass es gerade hierzu noch relativ wenig Forschung gibt. Hebammen kommen Frauen und ihren Familien sehr nahe. Dies zeigt sich ganz besonders in der Wochenbettbetreuung, die ab dem zweiten, dritten Tag in der Regel zuhause bei den Frauen stattfindet, oft im Schlafzimmer der Eltern, in Umständen, in denen die Frauen viel Privates, Persönliches preisgeben müssen. Hebammen müssen sich das Vertrauen der Frauen erarbeiten, oftmals bekommen sie von den Frauen einen Vertrauens­ vorschuss. Ich glaube, wer an Menschen interessiert ist, dem verschafft es große Befriedigung, dem entgegengebrachten Vertrauen ge­ recht zu werden. Gleichzeitig zeigt die Landkarte der Unterversorgung gerade bei der Wochenbettbetreuung einen Hebammenmangel (www. unsere-hebammen.de/mitmachen/unterversorgung-melden/). In einer Pressemeldung vom September der Liga der freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg heißt es: „Jede siebte Frau in Baden-Württemberg wird nicht mehr von einer Hebam­ me versorgt, wenn sie drei Tage nach der Geburt das Kranken­ haus verlässt.“ (www.landesfamilienrat.de) Selbstverständlich sind die Ursachen hierfür vielschichtig. Ich bin jedoch davon überzeugt: An den Themen im Wochenbett liegt es nicht, denn die sind so vielfältig wie das pralle Leben selbst. Ich wünsche Ihnen zwischen den Jahren Zeit und Muße zum Lesen und viel Spaß dabei! Alles Gute für das neue Jahr 2016 (ab dem Die Hebamme 6-mal erscheint) und herzliche Grüße Christine Allgeier Ahrendt, Was leitet unser geburtliches Handeln maßgeblich? | Die Hebamme 2015; 28: 234 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Das pralle Leben