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Jazz Thomas Quasthoff
Tonhalle Zürich, 28.11., 20 Uhr.
Vorbei die Klassik-Karriere:
Jetzt singt Bariton Thomas
Quasthoff ein Jazz-Programm.
Die einen durchforsten auf ihren
Italienreisen Mailänder Modegeschäfte, die anderen toskanische Weinkeller. Maurice Steger,
der famose Zürcher Flötist, sammelt Musik. Für seine CD «Souvenirs d’Italie» überliess er diese
Arbeit allerdings zuerst dem
österreichischen Grafen Harrach
(1669–1742), der lange Zeit in
Neapel als Vize-König lebte. Im
Archiv dieses Musikkenners und
-förderers stiess Steger auf eine
Vielzahl von verschollenen Werken. Auf einer stimmungsvollen
CD hat er sie vereint und vor
einer Woche mit dem wandlungsfähigen Zürcher Kammerorchester im grossen Saal der
Zürcher Tonhalle einem jubelnden Publikum präsentiert: Hinreissend war es, mit den Werken
Leonardo Vincis oder Domenico
Sarros in die höfische Welt Neapels abzutauchen! Das Publikum
staunte über Stegers Virtuosität,
schien bald ob der brillanten
Spitzentönen zu jauchzen, bald
vor den rasenden Tempi zu
erbleichen. All das ist Teil von
Stegers Kunst, gewiss. Doch
noch vielmehr ist es sein Klang,
der immer wieder von neuem
verblüfft: Dieser Künstler kennt
unheimlich viele Farben, scheint
auf seiner Blockflöte bald zu
sprechen, bald zu singen, ja zu
weinen. Von Johann Adolf Hasse
(1699–1783) führte er tatsächlich
eine Kantate auf – nicht für Stimme geschrieben, sondern eben
für Flöte. Beim Komponieren
schwebte Hasse allerdings bestimmt ein mit tobenden Koloraturen triumphierender Kastrat
vor – mit Blockflötist Steger hat
er nun einen idealen Interpreten
für dieses funkelnde Werk gefunden. Dieser moderne Musiker
schafft es ganz allgemein, die
artifizielle Barockmusik zu seiner eigenen zu machen, es gelingt ihm, bei aller Kenntnis der
Quellen, für den heutigen Hörer
zu spielen. Selbst Flötensonaten,
die Jahrzehnte, ja Jahrhunderte
lang kein Mensch mehr hören
wollte, werden dank Steger
wieder quietschlebendig und
tauglich für grosse Konzertsäle.
Christian Berzins
Das Gespenst
rauslassen
auf die Folklore-Karte, sondern
besticht mit Dialogen und
Sprachwitz. Hans ten Doornkaat
Kinderbuch
Anushka Ravishankar: Moin und
das Monster. Illustrationen von
Im Halbschatten
seitestehens, des Scheiterns gar.
Emmanuel Bove (1898–1945),
französischer Schriftsteller jüdischer Herkunft, als Sohn eines
russischen Emigranten und
eines Luxemburger Dienstmädchens in Paris geboren, kannte
sich aus mit den Schicksalen
kleiner Leute in der grossen
Stadt. Die treffliche Colette entdeckte ihn; schon sein Erstling,
«Meine Freunde», wurde zum
sensationellen Erfolg. 23 (meist
kleine) Romane und 30 Erzählungen hat Bove verfasst. Nach
seinem Tod geriet er vorübergehend in Vergessenheit. Frankreich entdeckte ihn erst in den
Anitha Balachandran. Aus dem
Englischen von Barbara Brennwald. Baobab Books, Basel 2016.
120 S., Fr. 21.80 (ab 10 J.).
Wenn in Kinderbüchern Monster
auftreten, sind sie im Regelfall
irritierend andersartig, und im
besten Fall spiegeln sie die inneren Regungen der kindlichen
Hauptfigur. Auch Anushka
Ravishankar folgt diesem Muster, doch beginnt sie mit einem
Sätze-Pingpong, das seinen Witz
im Stil Karl Valentins aus der
Sprache selbst gewinnt. Die
Autorin, in Indien bekannt für
ihren Humor, erfindet ein Monster, das erst dann Gestalt annimmt, wenn man es zeichnet.
Es existiert anfänglich also nur
als Stimme unter Moins Bett.
Was der Bub dann als Körper
skizziert, steht schräger im
Leben als bisher bekannte Gespenster. Der Klamauk kann
beginnen! Der Gast singt gern
und natürlich laut und falsch,
und er isst gern und natürlich
unmässig viel. Wie Sams oder
Pippi lebt das Monster also das
aus, was richtige Kinder gelegentlich gern tun würden. Die
Gegenspieler sind ein Hausarzt,
der Schuldirektor,
der Psychologe
von Moins
Freund und so
weiter. Immer
wieder nimmt die
Handlung unerwartete Wendungen. Der
Baobab-Verlag, der
für kulturelle Vielfalt
steht, legt hier eine
Geschichte aus dem
urbanen Indien vor.
Vieles ist gleich,
einiges anders, aber
der Text setzt
bewusst nicht
Literatur
Emmanuel Bove: Geschichte
eines Wahnsinnigen. Sieben
Erzählungen. Deutsch von Martin
Zingg. Edition Diá, Berlin 201.
156 S., Fr. 24.40, E-Book Fr. 9.50.
Er war der Chronist der Aussenseiter und Träumer. In seinen
Romanen und Erzählungen
beschrieb er die Poesie des Bei-
Nairy Baghramian: Scruff of the Neck.
Haus Konstruktiv, Zürich, bis 15. 1. 2017.
Theaterfestival Secondo
Miller’s, Zürich, 20.11.–30.11.
Erst spricht man über die Chancen der modernen Migration,
dann heisst es «Fuck you, Eu.
ro.Pa!». Das Secondo-Festival
ist am Puls der Zeit. (bez.)
«Fuck you, Eu.ro.Pa!»
1970ern wieder, im deutschen
Sprachraum hat Peter Handke
sich – auch als Übersetzer – für
ihn eingesetzt. In jüngerer Zeit
kümmert sich der kleine Berliner
Verlag Diá nachhaltig um das
Werk des Franzosen; stolze 21
Titel bietet er als E-Book an. Der
Erzählungsband «Geschichte
eines Wahnsinnigen», der 1928
erstmals erschien und sieben
von Boves besten Texten vereint,
erweist den Autor, den wir gern
mit Kafka und Beckett in Verbindung bringen, als exemplarischen Vertreter der Moderne.
Martin Zinggs musikalische
Übersetzung ist makellos. (pap.)
PRO LITTERIS / ZÜRICH / 2016
Klassik
Maurice Steger: Souvenir d’Italie.
Harmonia Mundi. ★★★★★
Deponierte Gebiss-Teile eines Riesen?
In der Mundhöhle
UTE LANGKAFEL
Jahrhundertelang vergessene Blockflötensonaten werden dank Maurice Steger quietschlebendig.
Klassik Familienkonzert
Konservatorium Bern, 20.11.,
11 und 17 Uhr.
Mit argentinischem Tango von
Astor Piazzolla taucht das Kammerorchester Bern zusammen
mit Geiger Sebastian Bohren
und Märchenerzählerin Diana
Krüger ein in eine Geschichte
über die vier Jahreszeiten.
STEFAN ALTENBURGER
Kurz und knapp
Schauspiel Das Gelübde
Schauspielhaus, Zürich, 24.11.,
19.30 Uhr, Pfauen/Kammer.
Uraufführung eines Schweizer
Autors am Schauspielhaus:
Dominik Busch (*1979) hinterfragt Werte, auf deren Basis
wir Entscheidungen treffen.
Auf der Blockflöte
rasen und toben
Bücher
Ausstellung
MOLINA VISUALS
Musik und Theater
Tipps
NZZ am Sonntag 20. November 2016
Die vier Kunststudenten haben keine Angst.
Sie posieren für ein Selfie vor den Skulpturen, mir treten die Albträume der kommenden Nacht vor Augen. Hoch an den Wänden
des grossen Ausstellungssaales im Haus
Konstruktiv hängen sechs Gebilde dicht
unter der Ecke, die Zahnarzt-Atmosphäre
verströmen. An Halterungen, die von Ferne
an das Gestänge von Dachgepäckträgern
erinnern, hängen gegossene Aluminiumplatten, auf denen immer wieder weisse Mocken
aus Gips angebracht sind. Einige von diesen
haben stellenweise einen Wachsüberzug, der
sie so aussehen lässt, als habe sich da jemand
ein paar Wochen lang die Zähne nicht geputzt. Man meint förmlich die Zersetzungsprozesse zu riechen. Das alles ist in einer
Dimension gestaltet, als habe ein Riese hier
ein paar Gebissteile deponiert.
Nairy Baghramian hat sich einen Namen
dafür gemacht, mit reduzierten Mitteln Installationen und Skulpturen zu bauen, die
minimalistische Positionen mit solchen
verbinden, die unsere soziale Welt und unsere Körper zum Gegenstand machen. Die
Anspielung an die Zahntechnik ist natürlich
gewollt. Wenn wir beim Zahnarzt sitzen,
erleben wir einen Kontrollverlust, die meisten von uns phantasieren sich die Helferinnen zu Halbgöttinnen oder zählen still bis in
die fünfstelligen Regionen, nur um das Martyrium halbwegs unbeschadet hinter sich
zu bringen. Auf solche Situationen spielt der
Ausstellungstitel «Scruff of the Neck» an:
Wer am Kragen gepackt wird, hat es selten
gemütlich. Er wird zurechtgewiesen und
muss sich fügen.
Vielleicht winkt dann eine zweifelhafte
Belohnung. Einen Stock höher hat die 1971 in
Isfahan geborene, heute in Berlin lebende
Künstlerin einen überdimensionalen Spielzeugknochen für Hunde placiert, der in
Wachs gegossen und in zwei Teile zerlegt
wurde. So abstossend wirken die Beruhigungsspielzeuge für Hunde sonst selten.
Ob man deshalb aber gleich die gesamte
Hundeerziehung oder sogar die Erziehung
mit ihren Zückerchen und Verboten als ganze
hinterfragt, mag dahingestellt bleiben. Vielleicht reicht ja das Distanzgefühl, das die
Arbeit auslöst; pädagogische Absichten sind
in der Kunst meistens wenig wirksam. Auch
bei der Zahntechnik im Erdgeschoss irritiert
am meisten das Gefühl, sich in einer Mundhöhle für Giganten zu befinden.
Mit der Ausstellung bedankt sich Nairy
Baghramian für den Zurich Art Prize (80 000
Franken), den die Versicherungsgesellschaft
dieses Jahr zum neunten Mal verliehen hat.
Keine schlechte Wahl. (gm.)
Kurz und knapp
Musikmaschinen/Maschinenmusik
Museum Tinguely, Basel, bis 22. 1. 2017.
Die Maschinen Jean Tinguelys leben auch
vom Klang. Die Ausstellung vereint erstmals
seine vier «Méta-Harmonien».
Wade Guyton
Mamco, Genf, bis 29. 1. 2017.
Der amerikanische Künstler nutzt digitale
Mittel und Drucker für seine Bilder. In Genf
zeigt er über 30 neue Werke.
Comics waren so
heiss wie ein
rauchender Colt
This Was Tomorrow, hrsg.
von Ralf Beil / Uta Ruhkamp.
Wienand, Köln 2016. 420 S.,
320 Abb., 68 Fr.
Peter Blake malte 1954 auf dem
Bild «Children Reading Comics»
sich und seine Schwester in der
klassischen Form des Porträts.
Comics galten damals noch als
Lektüre für Analphabeten, bei
Blake sind sie anerkannter Teil
der Kultur. Pop-Art war ein
umfassendes Phänomen, das in
den fünfziger Jahren von der
Werbung bis zum Fernsehen
den englischen Alltag veränderte. So umfassend wie in
dieser Publikation (und in der
Ausstellung im Kunstmuseum
Wolfsburg, bis 19. 2. 2017) hat
man die Genese der britischen
Pop-Art noch nie gesehen. Ein
Standardwerk, das überdies
noch Spass macht. (gm.)
Werk- und Atelierstipendien Zürich
Helmhaus Zürich, nur noch heute Sonntag.
42 Positionen wurden für die Ausstellung
ausgewählt, 16 erhielten Stipendien.
Couleurs désert
Museum Bellerive, Zürich, bis 29. 1. 2017.
Berberfrauen in der marokkanischen Sahara
weben aus alter Wolle und Stoffen Teppiche und Kissen. Das Museum leuchtet. (gm.)
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