Musikstunde: Geigenbauer I

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SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Musikstunde
Die Welt des Hieronymus Bosch
Zum 500. Todestages des Malers aus
Brabant (1)
Von Bettina Winkler
Sendung:
Montag, 08.08. 2016
Redaktion:
Bettina Winkler
9.05 – 10.00 Uhr
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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„Musikstunde“ mit Bettina Winkler
Die Welt des Hieronymus Bosch
Zum 500. Todestages des Malers aus Brabant (1-5)
SWR2 8. bis 12. August 2016 9h05 – 10h00
Teil 1 – Mehr als ein Monstermaler
Signet
…mit Bettina Winkler. In dieser Woche will ich Sie in die Welt des Hieronymus
Bosch mitnehmen – vor 500 Jahren starb er in seiner Heimatstadt ‘sHertogenbosch in Nord-Brabant. Monstermaler mit Jenseitsvisionen auf
Wimmelbildern – das sind gleich drei Klischees, die über diesen Maler kursieren –
ob das wirklich so stimmt? Wir werden sehen. Vor allem möchte ich in diesen fünf
Tagen Boschs Welt und seine Bilder zum Klingen bringen. Auf unserer SWR2-Seite
im Internet finden Sie mehrere Links, mit deren Hilfe sie sich viele der Bilder, von
denen ich erzählen werde, anschauen können. Ganz allein bin ich bei meiner
Erkundungstour durch Boschs Welt allerdings nicht, denn mir ist eine Begleitung
zugeflogen….
G0000625-040, 0'05 Käuzchen ruft (2. Ruf)
Indikativ ca. 0‘20
Immer wieder fällt sie mir ins Auge, eine Eule oder eher ein Käuzchen, vielleicht
ein Steinkauz – fast auf allen Bildern des niederländischen Malers Hieronymus
Bosch begegnet mir dieser Vogel. Mal klar erkennbar, mal gut versteckt. Der
spanische Historiker, Dichter und Theologe José de Sigüenza schreibt 1605 über
Boschs Bilder: „Ich möchte nur noch bemerken, dass er in fast allen Bildern…das
Feuer und die Eule zeigt. (..)Durch die letztere sagt er, dass seine Gemälde Werke
des Denkens und des Überlegens sind und dass man sie nachdenklich
betrachten muss. Die Eule ist ein Nachtvogel, geweiht der Minerva und der
Weisheit, das Symbol Athens, wo die Philosophie blühte, die sich in der Stille und
im Schweigen der Nacht erhebt.“ – Das klingt doch vielversprechend. In der
christlichen Ikonographie wird die Eule jedoch nicht als Symbol der Weisheit
interpretiert. Hier steht sie vielmehr für heimtückisches Verhalten und Sünde, für
das Böse, für Torheit oder Trug.
Auf einer von Boschs Feder-Zeichnungen steht oder vielmehr sitzt eine fast
überdimensionale Eule sogar im Mittelpunkt, der Titel: Der Wald hat Ohren, das
Feld hat Augen – ein altes Sprichwort im Sinne von „Reden ist Silber, Schweigen ist
Gold“. Aus der Höhle eines abgestorbenen Baumes heraus blickt sie den
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Betrachter skeptisch von der Seite an, in den Wurzeln sitzt ein Fuchs, der wohl
gerade einen Hahn erlegt hat. Im Wald zwischen den Baumstämmen stehen zwei
überdimensionale Ohren, aus der Wiese heraus schauen sieben Augen hervor. Ist
diese Zeichnung vielleicht eine Art Selbstporträt des Malers und seiner
Lebenseinstellung? – das vermutet jedenfalls der Wiener Kunsthistoriker Otto
Benesch. Hieronymus nennt sich Bosch, Bosch bedeutet Busch oder Gebüsch,
seine Heimatstadt heißt ‘s-Hertogenbosch – übersetzt Herzogenbusch. Der
Kunsthistoriker und Medientheoretiker Hans Belting schreibt über dieses Bild, es sei
eine subtile Darstellung von Boschs Lebensphilosophie und Überlebensstrategie
im gefährlichen Stadtleben. Damit bekommen der tote Baum und die Eule und
der Fuchs, die Schutz in ihm suchen, eine ganz eigene Bedeutung. Während die
Vögel in den Zweigen über der Eule laut schreien und flattern und so die
Aufmerksamkeit und auch die Gefahr auf sich ziehen, verstecken sich Eule und
Fuchs in aller Stille. Ein Zeichen von Weisheit?
Diese kleine Eule habe ich mir also als Führerin durch die phantastischen Visionen
dieses Malers aus Brabant ausgesucht. Teufelsmacher nennt ihn Maurice Gossart
in seiner Monographie von 1907, ein Prädikat, das ihm schon seit dem 16.
Jahrhundert anhaftet. Karel van Mander schreibt in seinem Malerbuch von 1604:
„Wer sollte wohl all die wunderlichen und seltsamen Phantasien aufzählen
können, die Hieronymus Bosch in seinem Kopfe gehabt und mit dem Pinsel
dargestellt hat, all den Spuk und die Ungeheuer der Hölle, die manchmal mehr
grauenerregend als ansprechend anzusehen sind. […] Es ist wunderbar, was hier
alles an grotesken Spukgestalten zu sehen ist, und wie schön und natürlich er
Flammen, Brände, Glut und Rauch wiederzugeben verstanden hat.“
Die verblüffende Überschwänglichkeit der Phantasie, die unvorstellbare
Darstellung auch noch des kleinsten Details lässt die Betrachter von Boschs
Bildern immer wieder von neuem staunen. Und es bleibt einem gar nichts
anderes übrig, als sich ihnen auszuliefern – so wie es der große niederländische
Reiseschriftsteller Cees Nooteboom in seinem aktuellen Buch „Reisen zu
Hieronymus Bosch – Eine düstere Vorahnung“ tut.
Neben all den seltsamen und auch unheimlichen Figuren vergisst man schnell die
charakteristischen Menschen-Bilder, die Landschaftsentwürfe im Hintergrund von
Boschs Gemälden und die Genre-Szenen, die ihn als ausgezeichneten
Beobachter kennzeichnen. Boschs Universum ist voller Bilder, die aus Träumen
und Alpträumen zu kommen scheinen. War seine eigene Welt so alptraumhaft?
Harry Mulisch hat irgendwann einmal gesagt: „Das Beste ist, das Rätsel zu
vergrößern.“ Ich will das Rätsel Bosch nicht unbedingt vergrößern – verkleinern
kann ich es schon gar nicht, ich möchte aber seinen Bildern mit Musik antworten.
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Musik 1
Loyset Compère: O bone Jesu
Orlando Consort
07533 hyperion CDA68069, Take 10, 3’10
„O bone Jesu“, eine Motette des franko-flämischen Komponisten Loyset
Compère, einem Zeitgenossen von Hieronymus Bosch, es sang das Orlando
Consort.
Vor 500 Jahren starb der Maler, am 9. August 1516 gab es in der Johanniskirche
seiner Heimatstadt ‘s-Hertogenbosch ein Requiem für ihn, das die
Liebfrauenbruderschaft, der er seit vielen Jahren angehört hatte, ausrichtete.
Den genauen Todestag weiß man nicht. Wahrscheinlich wurde er Opfer einer
Rippenfellentzündung, die zu dieser Zeit in ‘s-Hertogenbosch grassierte und an
der so viele Menschen starben, „als ob die Pest geherrscht hätte“, wie in der
Stadtchronik zu lesen ist.
Doch vor dem Sterben kommt erst einmal das Geboren werden – und auch da
gibt es keine exakten Angaben, irgendwann um 1450 muss Bosch als fünftes Kind
des Malers Anthonius van Aken in ‘s-Hertogenbosch auf die Welt gekommen
sein. Anthonius führte bereits in zweiter Generation eine der angesehensten
Malerwerkstätten der Stadt, sein Vater, Jan van Aken, hatte sich um das Jahr
1427 aus Nijmwegen kommend als Maler in der Stadt niedergelassen. Und schon
dessen Vater, Boschs Urgroßvater Thomas, war Maler. Aus Aachen – woher sich
auch der ursprüngliche Familienname van Aken ableitet – war er 1404 in die
Niederlande gezogen – also eine richtige Malerdynastie. Boschs Taufname
lautete Jheronimus, umgangssprachlich Joen oder Jeroen, sein vollständiger,
gelegentlich in Akten gebrauchter Name war Jheronimus Anthoniszoon van
Aken. Erst später wählte er mit Blick auf seine Heimatstadt ‘s-Hertogenbosch oder
kurz Den Bosch das Toponym „Bosch“ als Namenszusatz und signierte so auch
seine Bilder.
Als Hieronymus zur Welt kam, lebte noch Karl der Kühne, der übermütige
Burgunderherzog. In der Schlacht von Nancy im Januar 1477 verlor er gegen das
lothringisch-eidgenössische Heer nicht nur sein Herzogtum, sondern auch sein
Leben. Burgund hörte auf, ein selbständiges politisches Gebilde zu sein, und nur
durch Heirat mit dem Kaisersohn Maximilian konnte Karls Erbtochter Maria
verhindern, dass Burgund und alle Teile der Niederlande, die ihr Großvater und ihr
Vater dem Herzogtum einverleibt hatten, an Frankreich fielen. Aus dieser
Verbindung zwischen Maria und Maximilian stammte neben Margarete von
Österreich auch Philipp der Schöne, der wiederum Johanna von Kastilien,
genannt die Wahnsinnige, heiratete. Ihr Sohn war Karl V., jener HabsburgerKaiser, in dessen Reich die Sonne niemals unterging.
Bei der Schlacht von Nancy war auch Hayne van Ghizeghem dabei, Komponist
und Dichter am Hofe Karls des Kühnen. Nur zwei seiner Lieder sind überliefert:
5
"Amours, amours" und "De tous biens playne" – hier in einer Instrumentalfassung
mit Les Flamboyants.
Musik 2
Hayne van Ghizeghem
"De tous biens playne" (instr.)
Les Flamboyants
Raumklang RK 2005, Take 1, 1'55
Kämpfe und Schlachten, auf die einfache Bevölkerung kommen sie herab wie
unausweichliche Naturgewalten. Erst um 1496 konnten die flämischen Städte und
der niederländische Adel mit Maximilian als neuem Landesherrn ihre teils
gewalttätigen Auseinandersetzungen beilegen und für Stabilität sorgen. Und
bald avancierte ‘s-Hertogenbosch – inmitten sumpfigen Geländes auf einem
Decksandrücken südlich von Rhein und Maas gelegen – zu einem
militärstrategischen Brückenkopf für die Habsburger.
Der britische Maler und Schriftsteller John Ruskin schreibt 1860 über Boschs Zeit:
„Während Fra Angelico [der italienische Renaissance-Maler ] in seinem
Olivenhain betete und klagte, hatte man auf den nasskalten Feldern Flanderns
anderes zu tun – die wilde See mit Deichen zu bannen, endlose Kanäle
auszuhaben…frostigen Klee zu pflügen und zu ernten, kräftige Pferde aufzuziehen
und fette Kühe, Steinmauern zu errichten gegen Wind und Schnee.“
Brände in den Städten waren damals keine Seltenheit, sie glichen
Naturkatastrophen, vor denen es kein Entrinnen gab – am 13.Juni 1463 gab es in
‘s-Hertogenbosch ein verheerendes Feuer, das auch nicht vor Boschs Elternhaus
Halt machte. Ein Erlebnis, das den jungen Jeroen wohl sehr beeindruckt hat.
Betrachtet man seine Höllen- und Weltuntergangsszenarien, so lodert und brennt
es überall im Hintergrund und züngelt zwischen schwarz verkohlten Gebäuden.
Das ist schon die Hölle auf Erden, ein Vorgeschmack auf das Fegefeuer, dem die
Verdammten und Ungläubigen ausgeliefert sind – und wohl eine eindrückliche
Umsetzung der eigenen Kindheitserinnerungen.
Musik 3
M0050813-011, 2'23
Pärt, Arvo Arbos. Für Bläser und Schlagzeug
Württembergischen; Davis, Dennis Russell
Brass Ensemble des
Das Brass Ensemble des Württembergischen Staatstheaters unter der Leitung von
Dennis Russell Davis mit Arvo Pärts „Arbos“.
Es scheint fast so, als hätte Hieronymus Bosch seine Heimatstadt so gut wie nie
verlassen. Nur um 1500 gibt es eine Lücke in den wenigen vorhandenen
Dokumenten, was aber vielerlei Gründe haben kann. In seinen Bildern kann man
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keinerlei Einflüsse der neuen Ästhetik der italienischen Renaissance erkennen.
Boschs Gemälde sind das Werk eines Forschers, eines Abenteurers im Geiste; alle
Utensilien für seine Reisen im Geiste fand er hier vor Ort – so der amerikanische
Schriftsteller und Fantasy-Autor Peter S. Beagle.
In seiner Heimat trifft der Maler offensichtlich auf ein Umfeld, das es ihm erlaubt,
seiner Phantasie und seiner Ästhetik freien Lauf zu lassen. Sicherlich trug dazu
auch die Heirat mit Aleyt van der Mervenne um 1480 bei. Sie stammte aus einer
begüterten Kaufmannsfamilie und verfügte über Geld, Grundbesitz und eine
weitverzweigte Verwandtschaft – also eine richtig gute Partie. Durch zahlreiche
Erbschaften fielen ihr diverse Ländereien in der Umgebung von ‘s-Hertogenbosch
und ein am Marktplatz gelegenes Haus zu. In dieses Haus „In den Salvatoer“ –
„Zum Erlöser“, das nur wenige Schritte von Boschs Elternhaus stand, zog das
Ehepaar ein, es bot genügend Platz für eine Malerwerkstatt, deren Mitarbeiter
und für zusätzliches Hauspersonal, das dort ebenfalls untergebracht war. Im
Gegensatz zu anderen Malern, die auf Aufträge angewiesen waren, konnte es
sich Bosch zumindest teilweise erlauben, das zu malen, was er malen wollte, wie
Paul Vandenbroeck in einer Abhandlung über Bosch schreibt – und man darf da
sicherlich noch ergänzen: so zu malen, wie er malen wollte.
Diese in jeglicher Hinsicht lukrative Ehe, die allerdings ohne Kinder blieb, mag mit
dafür verantwortlich gewesen sein, dass Bosch in die renommierte
Liebfrauenbruderschaft aufgenommen wurde, die der Johanniskirche angehörte
und religiöse mit wohltätigen Zielen verband. Zunächst war er nur einfaches
Mitglied, ab 1488/89 durfte er sich frater juratus oder „gezworen broeder“
nennen. Die Verbindungen, die Bosch hier knüpfen konnte, waren nicht nur für
seine soziale Stellung innerhalb der städtischen Gesellschaft von Vorteil, hier
entstanden auch Kontakte zu potentiellen Auftraggebern. Zu den ersten
Aufträgen der Bruderschaft gehörten zwei Altartafeln mit Johannes dem Täufer
und Johannes dem Evangelisten, die um 1488 entstanden sind. Johannes der
Täufer war zusammen mit der Gottesmutter Maria der Patronatsheilige von SintJan und der Liebfrauenbruderschaft.
Regelmäßig luden sich die Mitglieder dieser Gemeinschaft untereinander zu
Banketten ein. Zu festlichen Anlässen trugen sie einen Kapuzenmantel, dessen
Farbe und Schnitt jeweils zum Johannestag, dem 24. Juni, gewechselt wurde. An
diesem roten, violetten, weißen, blauen oder grünen Mantel prangte ein silbernes
Abzeichen in Form einer Lilie, das mit einer aus dem Hohen Lied entnommene
Devise versehen war: „Sicut lilium inter spinas“ – „Wie die Lilie unter Dornen“.
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Musik 4
Antoine Brumel
„Sicut lilium inter spinas“
Ensemble Alamire, Leitung: David Skinner
Obsidian CD715, 1‘44
Das Ensemble Alamire mit Antoine Brumels Motette „Sicut lilium inter spinas“.
Die Liebfrauenbruderschaft bestellte aber nicht nur Gemälde bei Künstlern wie
Bosch, sondern auch Musik bei verschiedenen Komponisten: von Juni 1489 bis
März 1492 war der Komponist Pierre de la Rue für die Bruderschaft tätig, bevor er
Mitglied der burgundischen Hofkapelle wurde. Dort diente er unter Maximilian I,
Philipp dem Schönen und nach dessen frühem Tod schließlich seiner Schwester
Margarethe von Österreich an deren kunstsinnigem Hof in Mecheln. Schnell
wurde er zu ihrem Lieblingskomponisten und widmete ihr viele seiner Werke. In
dieser Zeit entstand auch die Missa Ave Maria.
Musik 5
Pierre de la Rue: Kyrie aus der Missa Ave Maria
Capilla Flamenca, Ltg.: Dirk Snellings
Musique en Wallonie MEW 0633, CD 1, Take 2, 3’35
Das Kyrie aus Pierre de la Rues Missa Ave Maria mit der Capilla Flamenca.
Es gibt noch einen weiteren Sänger, Komponisten und Kalligraphen, der der
Liebfrauenbruderschaft angehörte: Petrus Alamire. Eigentlich hieß er Peter Imhoff
und stammte aus einer Nürnberger Kaufmannsfamilie. In den „spanischen
Niederlanden“ legte er sich das Pseudonym Petrus Alamire zu. Es setzt sich
zusammen aus der Bezeichnung des Tones A, gefolgt von den drei
Solmisationssilben „la“, „mi“ und „re“, wie sie auch in den Hexachorden der
mittelalterlichen Musiktheorie verwendet werden. Schon 1496/97 hatte der
Komponist für die Bruderschaft gearbeitet und war bei dieser Gelegenheit auch
gleich Mitglied geworden. In seinen umfangreichen Sammelhandschriften finden
sich vor allem geistliche Werke von Pierre de la Rue und dessen Zeitgenossen wie
Heinrich Isaac, Jacob Obrecht, Johannes Ockeghem oderJosquin Desprez –
über 850 Komponisten, und damit sämtliche Stars der franko-flämischen
Vokalpolyphonie sind hier versammelt.
Aus Alamires eigener Feder ist nur eine einzige Komposition überliefert:
Variationen über das Volkslied T’Andernaken - Zu Andernach nah' am Rheine, da
fand ich zwei Mädchen sich amüsieren geh'n. Es spielt das Ensemble Piffaro.
8
Musik 6
M0010095-015, 2'42
Alamire, Pierre T'andernaken (Pommer, 2 Posaunen, Dulzian)
Renaissance Band, Mitglieder; Kimball, Joan
Piffaro - The
„T’andernaken“ – Variationen von Petrus Alamire, einem Komponist, der wie
Hieronymus Bosch Mitglied der Liebfrauenbruderschaft in ‘s-Hertogenbosch war.
Was mach eigentlich meine Begleiterin?
Die kleine Eule hat sich in der Zwischenzeit bei den steinernen Gestalten und
Verzierungen von Sint-Jan in Boschs Heimatstadt versteckt. Zwischen all den
Gnomen, Teufeln und Monstern scheint sie sich wohl zu fühlen. Boschs
Monstergeschöpfe sind in dieser Zeit keine Solitäre, das Groteske, Hybride oder
Monströse in Form verzerrter Menschendarstellungen, Mischwesen und
Fabelwesen markiert die Grenze von der alltäglichen zur jenseitigen Sphäre und
bildet theologisch, anthropologisch und moralisch einen Gegensatz zu Gestalt
und Handeln Christi als Gottessohn und als idealem Menschen, und zur
ursprünglichen Schöpfungsordnung. Diese Drolerien gab es nicht nur im
Figurenschmuck von Kirchen, sondern seit dem 14. Jahrhundert auch in der
Buchmalerei. Der Historiker Johan Huizinga schreibt in seinem Buch „Herbst des
Mittelalters“:
„Das Mittelalter vergaß niemals, daß alle Dinge absurd wären, wenn ihre
Bedeutung sich in ihrer Funktion erschöpfte und ihrem Platz in der uns
erscheinenden Welt, wenn sie in ihrem Kern nicht auf eine Welt jenseits der
unseren verweisen würden. … Die an sich widerwärtige Welt wurde nur
annehmbar durch ihren symbolischen Gehalt.“
Monster und Höllenqualen waren also keine Erfindung von Hieronymus Bosch,
auch der Isenheimer Altar mit der Versuchung des Hl. Antonius von seinem
Zeitgenossen Matthias Grünewald ist voll von bösartigen Vögeln mit
Hakenschnäbeln und Menschenarmen. Ein Höhepunkt der Erfindung grotesker
Figuren ist bei Bosch der sogenannte Baummensch, der im „Garten der Lüste“
auftaucht, von dem es aber auch eine Zeichnung gibt: ein hybrider Riese mit
eiförmigem Leib, in dem sich eine Schenke befindet, Beinen in Form von
Baumstämmen, die wiederum Boote als Füße haben. Auf der Zeichnung sitzen
übrigens gleich zwei Eulen, die die Szenerie beleben: eine auf einer Art Mast, der
aus dem Rücken des Baummenschen herausragt, und eine am Boden, die von
anderen Vögeln umflogen wird.
9
Musik 7
M0065460-021, 3'44
Janácek, Leos (10) Das Käuzchen ist nicht fortgeflogen! Andante aus: Auf
verwachsenem Pfade 15 kleine Stücke für Klavier Kupiec, Ewa
„Das Käuzchen ist nich fortgeflogen“, eines der Klavierstücke aus Leos Janáceks
Zyklus „Auf verwachsenem Pfade“, gespielt von Ewa Kupiec.
Bosch war Zeitgenosse von Albrecht Dürer, Michelangelo, Leonardo da Vinci und
Botticelli. Christoph Columbus entdeckte damals die Neue Welt und Vasco da
Gama den Seeweg nach Indien. Die Reformation warf ihre Schatten voraus und
der moderne Buchdruck mit beweglichen Metall-Lettern war gerade erfunden
worden. Die Renaissance-Humanisten, darunter Erasmus von Rotterdam, dem
Bosch vielleicht sogar persönlich begegnet ist, erhofften sich eine optimale
Entfaltung der menschlichen Fähigkeiten durch die Verbindung von Wissen und
Tugend. Das sind nur ein paar Fakten, die deutlich machen sollen, in welcher
Umbruchzeit Hieronymus Bosch gelebt hat.
Zu dieser Zeit ist auch zum ersten und einzigen Mal der Orden vom Goldenen
Vlies zu Gast in ‘s-Hertogenbosch, den Philipp der Gute von Burgund schon 1430
gegründet hatte und den die spanischen Habsburger weiterführten. Am 6. Mai
1481 sind die Stadt und die Stiftskirche Sint-Jan Gastgeber für dieses einmalige
Ereignis: die 14. Zusammenkunft des Ordens unter dem Vorsitz von Erzherzog
Maximilian I von Habsburg, dem späteren römisch-deutschen König und Kaiser
des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. Bei diesem Treffen nimmt der
Orden Herzog Philipp von Burgund auf, den nicht einmal drei Jahre alten Sohn
Maximilians, der später „der Schöne“ genannt wird.
In Spanien nennt man den Niederländer Hieronymus Bosch „El Bosco“. Philipp II.,
Sohn von Karl V und Enkel von Philipp dem Schönen, Verfechter des wahren
katholischen Glaubens in seinen Erblanden, scheint geradezu verrückt nach
Boschs Bildern gewesen zu sein. Im Escorial sammelte er mehrere Werke, darunter
der Heuwagen, der Garten der Lüste und das Tafelbild mit den sieben
Todsünden. Felipe de Guevara, der spanische Humanist und Kunstsammler,
schreibt im Jahr 1563 (beschwichtigend) an seinen König:
„Ich wage zu behaupten, dass Bosch nichts Unnatürliches in seinem Leben
gemalt hat, außer in Sachen der Hölle und des Fegefeuers, wie ich bereits
bemerkte. Er bemühte sich zwar, für seine Erfindungen höchst seltsame Dinge zu
suchen, aber naturgemäß der Art, dass man es als ein allgemeingültiges Gesetz
aufstellen kann.“
10
Der Historiker Alphonse-Jules von Wauters sieht Philipps II. Beziehung zu Boschs
Bildern 1883 in seinem Buch „La peinture flamande“ etwas anders: „…eine
glühende und irre Einbildungskraft… Wie es scheint, schätzte Philipp II. die Werke
Boschs aufs höchste; die teuflischen Alpdrücke dieses Visionärs mußten ihm ja
gefallen, ihm, von dessen Eingebungen sich die Inquisition leiten ließ…“
Und der Schriftsteller Cees Noteboom meint etwas versöhnlicher in seinem jüngst
erschienen Buch „Reisen zu Hieronymus Bosch“: „Dass ein frustrierter Mystiker wie
Philipp II., der ein Weltreich zu regieren hatte, sich in diesen Bildern verlieren
konnte, ist vorstellbar. Staatsräson als Pflicht als Gegenpol zum inneren Hang zum
Metaphysischen mit der unberechenbaren Welt des Hieronymus Bosch als
Zufluchtsort – das ist denkbar, genauso wie der Gedanke, dass diese so
spanische Phantasie aus dem kühlen Norden hier in Spanien ihren eigentlichen
Platz gefunden hatte.“
Musik 8
M0076938-011, 2'05
Morales, Cristóbal de; Liturgie Jam Christus astra ascenderat Vesperhymnus zu
Pfingsten à 4 (Vokalensemble a cappella) Ensemble Plus Ultra; Noone, Michael
Renaissance-Musik aus Spanien, gesungen vom Ensemble plus Ultra: Christobal
de Morales Pfingsthymnus „Jam Christus astra ascenderat“.
In den folgenden Jahrhunderten geriet Hieronymus Bosch immer mehr in
Vergessenheit. Zwar hat sich Francisco deGoya in seinen phantastischen Visionen
und seinen schwarzen Bildern von Bosch inspirieren lassen, aber erst die
Surrealisten wie Salvador Dali oder Max Ernst suchten dann wieder das Kreative
und Ungewöhnliche in seinen Werken. Gerade seine Hybridität begeisterte diese
Künstler, die das Unterbewusste erforschen, das Bewusstsein erweitern,
Konventionen aushebeln und Ordnungen aufbrechen wollten. Bisweilen glaubte
man, Bosch habe bestimmten Sekten angehört und geheime Botschaften in
seinen Bildern versteckt, er habe Drogen genommen, um dann seine Visionen zu
realisieren. Auch der Liebfrauenbruderschaft dichtete man sektiererische
Absichten an. Das alles ist zwar äußerst spannend, Verschwörungstheorien haben
ja immer einen ganz besonderen Reiz, muss aber mit einem großen Fragezeichen
versehen werden.
Bosch blieb immer ein radikaler Moralist, er ließ sich über die menschliche Natur
nicht täuschen. Jeder Betrachter kann seine Weltanschauung in seine Bilderwelt
hineintragen, doch Bosch meint mit seinen Bildern immer noch genau die Welt, in
der er lebt, eine höchst widerspruchsvolle Welt der Kirchenherrschaft, der Kämpfe
des reich und selbstbewusst gewordenen Bürgertums gegen Kirche und Adel, der
Verrohung nicht zuletzt des Klerus, der Sektenbildungen, der religiösen Heuchelei,
des nun auch in Westeuropa erfolgreichen Humanismus, des wachsenden
11
Widerstandes gegen die Ablasskrämerei, der Hexenprozesse, der Epidemien, der
Inquisition. All das spiegelt sich in Boschs Bildern wider. Vieles, was für den
damaligen Betrachter auf den ersten Blick verständlich war, müssen wir heute
erst wieder mühsam entziffern. Vielleicht kann uns die Musik in den nächsten
Tagen helfen, Boschs Welt auf eine andere Art zu begreifen.
Musik 9
Jackson Hill: Ma fin est mon commencement
New York Polyphony
BIS-SACD-1949, Take 15, 5’54
Das war die Musikstunde: Die Welt des Hieronymus Bosch – zum 500. Todestag
des Malers aus Brabant, Teil 1: Mehr als ein Monstermaler. Zuletzt sang das
Ensemble New York Polyphony ein Stück, das sie bei dem amerikanischen
Komponisten Jackson Hill in Auftrag gegeben haben, eine Fantasie über
Guillaume Machauts Vertonung des Textes „Ma fin est mon commencement“ –
„Mein Ende ist mein Anfang und mein Anfang mein Ende“. Vielleicht tauchen Sie
ja morgen wieder zusammen mit mir in Boschs Welt ein, die kleine Eule ist
sicherlich auch dabei. Davor empfehle ich Ihnen noch SWR2 Wissen am 9.8. um
8.30 Uhr: Der Maler Hieronymus Bosch – Meister der Fantasiewelten, eine Sendung
von Martina Conrad. Am Mikrophon hier und jetzt verabschiedet sich Bettina
Winkler.
Literatur-Tipps:
Belting, Hans: Hieronymus Bosch. Garden of Earthly Delights. Prestel 2002
Borchert, Till-Holger: Bosch. Meisterwerke im Detail. Detsch 2016.
Büttner, Nils: Hieronymus Bosch. C. H. Beck Wissen 2012.
Fischer, Stefan: Hieronymus Bosch. Das vollständige Werk. Taschen 2016.
Fischer, Stefan: Im Irrgarten der Bilder. Die Welt des Hieronymus Bosch. Reclam 2016.
Hieronymus Bosch. Visionen eines Genies. Hrsgg. v. Matthijs Ilsink und Jos Koldeweij. Belser 2016 (Het
Noordbrabants Museum, ‘s-Hertogenbosch , Katalog)
Nooteboom, Cees: Reisen zu Hieronymus Bosch. Eine düstere Vorahnung. Schirmer/Mosel 2016.
Unverfehrt, Gerd: Wein statt Wasser. Essen und Trinken bei Jheronimus Bosch. Vandenbroeck & Ruprecht
2003
Verkehrte Welt. Das Jahrhundert von Hieronymus Bosch. Hrsgg. v. Franz Wilhelm Kaiser und Michael Philipp.
Bucerius Kunstforum 2016 (Katalog)
Internet-Tipps:
Bosch beim Google Art Project: www.google.com/culturalinstitute/beta/project/art-project?hl=de
Bosch in 3-D: www.bdh.net/work/boschvr/
Bosch unter die Lupe genommen: http://boschproject.org/
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