Mobile Zahnmedizin

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Wissenschaft und Fortbildung
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BZB November 16
Mobile Zahnmedizin
Praxisnahe Tipps für Hausbesuche
E i n B e i t r a g v o n D r. D i r k B l e i e l , R h e i n b r e i t b a c h
Viele Kolleginnen und Kollegen zögern noch, neben der täglichen Routine in ihrer Praxis zusätzlich Hausbesuche zu organisieren. Oft werden
die Therapiefähigkeit und Wirtschaftlichkeit als
zu gering und der Aufwand und das Risiko für
medizinische Zwischenfälle als zu hoch eingestuft. Doch welche Probleme stellen sich tatsächlich und wie gehe ich konkret vor, wenn ich die
Praxis verlasse, um pflegebedürftige Patienten
mobil zu behandeln?
Unstrittig ist die erdrückende Notwendigkeit der
zahnmedizinischen Behandlung in der ambulanten und stationären Pflege, die in zahlreichen Studien belegt wurde [1-3]. Gesetzliche Anreize durch
das Versorgungsstrukturgesetz (VStG), das PflegeNeuausrichtungs-Gesetz (PNG) oder das Versorgungsstärkungsgesetz (VSG), die zu neuen Zuschlägen und Bema-Positionen geführt haben, betonen
diese Notwendigkeit, die durch die steigende Zahl
vorhandener Zähne bei Senioren und den demografischen Wandel noch weiter verstärkt wird.
Besuch auf Anforderung
Der Erstkontakt zu Patienten, die die Zahnarztpraxis nur schwer aufsuchen können, entsteht meist
am Telefon. Betreuende Angehörige, ambulante
Pflegedienste oder Mitarbeiter einer stationären
Einrichtung (Seniorenheim) rufen an und bitten
um Hilfe. Eine Checkliste für diesen Erstkontakt
Checkliste Erstkontakt
1. Name des Anrufers
2. T
elefonnummer für Rückrufe
3. N
ame des Patienten
4. W
ohnung, Ort, Einrichtung
5. W
elches Problem
6. A
nderer Zahnarzt: ja/nein
Wenn ja, Name
7. Versicherung: gesetzlich/privat
8. B
efreiung ZE: ja/nein
9. G
gf. Telefonnummer des Bevollmächtigten
fasst alle wichtigen Daten zusammen (siehe Kasten „Checkliste Erstkontakt“). Hiermit kann auch
gleich die Anforderung dokumentiert werden, die
später bei der Abrechnung des Zuschlags wichtig
ist. Hat der Patient einen Betreuer oder einen Bevollmächtigten? Das ist meist der Fall. Der Kontakt
zu diesem ist Pflicht, da die Behandlung ohne dessen Einwilligung den Straftatbestand der Körperverletzung darstellen kann.
Häufig nehmen alte und sehr alte Patienten regelmäßig eine Reihe Medikamente ein, die dem
Behandler oft unbekannt oder für ihn nicht einschätzbar sind. Ein interdisziplinärer Kontakt insbesondere mit dem hausärztlichen Kollegen ist
sinnvoll, hat er doch in aller Regel den Überblick
über die verordneten Medikamente. Auch hier ist
eine Checkliste sinnvoll – per Fax als interdisziplinäres Konsil mit dem Hausarzt ergibt sich in den
meisten Fällen schnell ein Überblick (siehe Kasten
„Interdisziplinäres Konsil mit dem Hausarzt“). Als
sehr hilfreich hat sich auch ein Medikamentencheck mithilfe des Programms „MedikamentenInfo für Zahnärzte“ (MIZ) erwiesen. Hier werden
Wechsel- und Nebenwirkungen speziell bei der zahnärztlichen Therapie beleuchtet, was zur Sicherheit
der Behandlung beiträgt (www.mizdental.de).
Einteilung der Patienten
Die mobile zahnärztliche Behandlung kann für
Außenstehende konzeptlos oder improvisiert erscheinen. Gerade, wenn Zähne vorhanden sind,
ergeben sich oftmals sehr unterschiedliche Therapieansätze und ein schwer zu fassendes Bild. So
spielt bei der Therapiewahl eine wichtige Rolle, in
Interdisziplinäres Konsil mit dem Hausarzt
∙ Liegen aus hausärztlicher Sicht internistische, neurologische und/oder psychiatrische Befunde mit zahnmedizinischer Relevanz vor?
∙ Ist oben genannte/-r Patient/-in immunsupprimiert oder
nimmt folgende Medikamente: Bisphosphonate, Antikoagulantien oder Antibiotika?
10. Hausarzt
∙ Nimmt der/die Patient/-in andere Medikamente ein?
11. Möglicher Termin
∙ Besteht eine Medikamentenunverträglichkeit?
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Abb. 1a und b: Beide Frauen sind 78 Jahre alt: Die Altersgruppe der Senioren ist sehr inhomogen – die Bandbreite reicht von fit (l.) bis
gebrechlich.
welchem Stadium sich der Patient befindet. Gehört
er noch zu den fitten Senioren oder ist er bereits eingeschränkt? Ist er ein „Slow Go“ oder befindet er
sich in der palliativen Endphase seines Lebens?
Keine Altersgruppe ist so inhomogen wie die der
Senioren (Abb. 1a und b). Eine Einteilung nach
Ampelfarben ist hilfreich: Bei „grünen“, fitten Patienten, die ihre gewohnte Umgebung noch gelegentlich verlassen, ist eine Durchführung der Behandlung in der Zahnarztpraxis angebracht, da
hier das gesamte Therapiespektrum abrufbar ist.
Bei den „gelben“, immobilen Älteren stellt der
Transport in die Praxis oft eine sehr große physische und psychische Belastung für den Patienten
dar. Hier stellt sich auch die Frage, ob der Patient
zumindest im Rollstuhl transportfähig und eine
Umsetzung in den Behandlungsstuhl möglich
ist. Wie schätzen die Bezugspflegekraft oder die
Angehörigen das Behandlungssetting ein? In der
gewohnten Umgebung des Patienten kann eine
Behandlung nicht selten zielführender sein. Dabei sollte der Erhalt der vorhandenen Strukturen
im Vordergrund stehen. Eine Modifikation des
schon seit Jahrzehnten getragenen Zahnersatzes
(dublieren, unterfüttern oder erweitern) stellt sich
bei nachlassender Adaptationsfähigkeit oft tragfähiger dar als eine Neuanfertigung.
Bei dem geriatrischen Lebensabschnitt der Pflege,
den „roten“ Patienten, ist das Krankheitsbild oft
durch Polypharmazie und Multimorbidität gekennzeichnet. Hier ist meistens nur noch ein palliativer,
rein symptomatischer Ansatz möglich. Ein Transport in die Praxis findet in aller Regel nicht mehr
statt. In erste Linie stehen pflegerische Maßnahmen
wie Schmerzbeseitigung und Schleimhautkonditionierung im Vordergrund, ebenso die Entfernung
von Borken durch rückfettende oder schäumende
Lösungen, Spülungen mit Fencheltee, das Glätten
von Wurzelresten oder die Beseitigung von Druckstel-
len. Dieses präfinale Stadium zu unterstützen und
die letzten Tage oder Stunden eines Patienten so angenehm und schmerzfrei wie möglich zu gestalten,
ergibt sich ethisch-moralisch aus unserem Berufsbild – fernab jeder wirtschaftlichen Hinterfragung.
Wahl des Behandlungskonzepts
Nach dieser Gruppeneinteilung können sich Hinweise zum Umfang der Therapie ergeben. Sollen
zum Beispiel Wurzelreste entfernt werden oder
nicht (Abb. 2)? Bei einem „grünen Patienten“
wird sich nach Zustimmung eines möglicherweise
vorhandenen Betreuers nichts vom üblichen Vorgehen in der Praxis unterscheiden. Bei einem
„gelben Patienten“ erscheint ein klinisch symptomfreier Wurzelrest tolerierbar. Eine Extraktion
erschließt sich dem Patienten und Betreuer hier
eher bei Beschwerden mit entsprechender Symptomatik oder Gefährdungspotenzial. Bei „roten
Pflegebedürftigen“ verbleiben Wurzelreste regelmäßig in situ, wenn nicht mit einer bevorstehenden Autoextraktion gerechnet werden muss.
Zur übersichtlichen Planung der Therapie ist eine
Einteilung der Senioren nach Belastbarkeit und
dem Schema der funktionellen zahnmedizinischen
Kapazität [4] sehr hilfreich.
Abb. 2: Sollte man Wurzelreste bei Senioren besser entfernen oder
belassen?
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Abb. 3: Einen „gelben Patienten“ für einen Praxisbesuch zu mobilisieren, ist nur mit größter Mühe oder manchmal auch gar nicht
möglich.
Abb. 4: Alles mit einem Griff zur Hand: Material und Instrumentarium sollten bei der aufsuchenden zahnmedizinischen Betreuung
für jeden Patientenfall gesondert verpackt werden.
Aufsuchend tätige Zahnärzte behandeln sehr vielfältig. Manche Kollegen nehmen beim Hausbesuch
lediglich Befunde auf, stellen Diagnosen, konzentrieren sich auf Basics wie Druckstellenentfernung
oder geben Mundhygieneanweisungen unabhängig von der funktionellen Kapazität des Aufgesuchten. Die weitere Behandlung der Patienten erfolgt
dann in der Praxis. Andere Kollegen führen auch
einfache chirurgische Interventionen (Extraktionen,
Abszessspaltung), Füllungstherapien bis hin zu aufwendigen Teleskopkronenpräparationen außerhalb
der Praxis durch. Der hohe Aufwand erscheint nur
bei denjenigen Patienten gerechtfertigt, die nur mit
größter Mühe oder gar nicht mehr mobilisiert werden können oder so in ihrer Alltagskompetenz eingeschränkt sind, dass ein Praxisbesuch praktisch
unmöglich ist („gelbe Patienten“, Abb. 3). Der mobile Therapiegrundsatz entspricht dabei den drei
„S“: simple, save, solid.
Dennoch stößt man bei einer mobilen Behandlung
regelmäßig an die individuelle Grenze der Machbarkeit vor Ort und sollte sich fragen, was besser
in der Praxis oder sogar in Intubationsnarkose erfolgen sollte. Auch sollten Komplikationen berücksichtigt werden, die ein weiteres Vorgehen in der
Praxis und einen damit verbundenen Transport
erfordern können. Wird zum Beispiel beim Hausbesuch ein Zahn im Oberkiefer gezogen, muss man
mit einer Mund-Antrum-Verbindung rechnen. Eine
plastische Deckung im Wohnzimmer des Patienten
ist dann wohl nur wenigen Kollegen vorbehalten,
sodass die weitere Behandlung zu organisieren ist.
bei einer geplanten Füllungstherapie das Anästhetikum oder die UV-Lampe vergessen wurden.
Es hat sich bewährt, für jeden Behandlungsfall
eine Inventarliste zu erstellen und alles Benötigte
in eine Tasche (beispielsweise eine Labortüte oder
besser eine verschweißte Sterilguttüte) zu packen.
Instrumentarium sowie Material sind so jeweils für
einen Patientenfall gebündelt und die RKI-Richtlinien finden Berücksichtigung (Abb. 4).
Zum Transport haben sich stapelbare Plastikcontainer-Systeme durchgesetzt (z. B. Systainer der Firma
Tanos, www.tanos.de), die gut flächendesinfizierbar sind und in „rein“ und „unrein“ oder Abwurfcontainer getrennt werden können. Man sollte sich
immer darüber im Klaren sein, dass bei der mobilen Therapie keine mildernden Umstände zum
Tragen kommen und hinsichtlich der Hygiene dieselben Anforderungen wie in der Praxis gelten.
Kritiker der mobilen Therapie bezweifeln immer
wieder die „Hygienefähigkeit“ solcher Einsätze.
Unbestritten gibt es vergleichbare Einsätze in der
Notfallmedizin: hygienisch machbar und alternativlos. Teamwerk in München, ein Modellprojekt
für die zahnmedizinische Betreuung älterer und
pflegebedürftiger Menschen, hat mobile zahnmedizinische Behandlungspfade vom Referat für
Gesundheit und Umwelt (RGU), Abteilung Krankenhaushygiene, begleiten lassen. Dabei erschien
die aufsuchende Betreuung mit klaren, machbaren
Vorgaben – ähnlich wie in der Praxis – hygienisch
durchführbar [5].
Je nach Behandlungsumfang können tragbare
Absaug- und Kompressorsysteme mitgeführt werden. Dabei bleiben der Investitionsaufwand (zwischen 6.000 und 10.000 Euro), das Gewicht (bis
zu 20 kg) und die Frequenz des Einsatzes abzuwägen. Prophylaxemaßnahmen und viele Therapien
Gründliches Packen ist essenziell
Erst nach gründlichem Packen und guter Planung
sollte die Behandlung außerhalb der Praxis starten. Nichts ist ärgerlicher, als wenn zum Beispiel
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sind auch mit einem aufladbaren Mikromotor mit
Universalkupplung zur Aufnahme eines Technikhandstücks oder Winkelstücks hinreichend durchführbar (z. B. Bravo Marathon Portable 3, Hager
und Werken). Ohne Absaugvorrichtung können
Spülflüssigkeiten auch mit einer Nierenschale aufgefangen werden (Abb. 5).
Prophylaxe hat zentrale Bedeutung
Die medizinische Sinnhaftigkeit von Prophylaxeprogrammen ist eindrucksvoll belegt [6]. Mit einem Anteil von 38,5 Prozent aller Privatleistungen
ist die Professionelle Zahnreinigung auch ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor für die Zahnarztpraxis
[7]. Gilt das auch für Pflegebedürftige außerhalb
der Praxis? Unbedingt: Gerade in der aufsuchenden Betreuung erscheint dies medizinisch besonders wichtig [8]. Als Kardinalprobleme stellen
sich in der Seniorenzahnmedizin folgende drei
Punkte dar:
1. Viele ältere Patienten weisen freiliegende kompromittierte Zahnhälse auf. Die Gefahr der Wurzelkaries ist damit um 29,5 Prozent erhöht [9].
2. Die Mundhöhle ist die größte Eintrittspforte für
Keime und Bakterien. Eine hohe Keimbelastung
bei gleichzeitiger reduzierter Abwehrlage oder
Multimorbidität verstärkt die allgemeinmedizinischen Gefahren wie absteigende Candidosen,
Pulmonien, Herzinfarkt und Schlaganfall.
3. Mundtrockenheit: Jeder zweite Senior hat dieses
Symptom, das oft als Alterserscheinung missverstanden wird. Sehr oft stellt sie sich als ernst
Material für eine Prophylaxesitzung
∙ Patientenumhang, Handtuch
∙ Portabler eBite-Lichtkeil, Dentozone Corp.
∙ Aufbisskeil (z.B. Open Wide Mouth Rest)
∙ Spiegel, Sonde, Pinzette
∙ Universalkürette, Universalscaler
∙ Chlorhexidin-Spray 0,2 %, Chlorhexidin 1 % Gel, Wasserstoffperoxid-Lsg. 3 %, Chlorhexidin-Sp.-Lsg. 0,2 %, abgefüllt in Einmalspritzen mit stumpfen Aufsätzen
∙ Nierenschale aus Hartpappe
∙ Polierkelche und Bürsten, Prophy Angels mit Prophylaxehandstück
∙ Polierpasten
∙ tragbarer Mikromotor mit Universalkupplung
∙ Interdentalbürsten verschiedener Stärken
∙ Superbrush
∙ Colgate Duraphat 5 mg, Tooth Mousse Dry Mouth Gel
GC, Saliva natura Medac
Abb. 5: Das Auffangen von Flüssigkeiten ist auch ohne Absauganlage mit einer Nierenschale möglich.
zu nehmende Erkrankung und Nebenwirkung
zahlreicher Medikamente dar [10].
Die Therapie und vor allem die Vermeidung dieser
drei Punkte sind ein Schwerpunkt der Prophylaxe.
Alle weiteren Bemühungen haben sonst „sisyphalen“ Charakter. Daher ist es äußert sinnvoll, eine
fortgebildete Prophylaxe-Fachkraft in das mobile
Konzept einzubinden und zum Beispiel regelmäßig
vor Ort eine auf die Senioren abgestimmte unterstützende Parodontitistherapie durchführen zu lassen. Eine Prophylaxesitzung kann dabei nach dem
Zyklus von Axelsson (Kontrolle, Befunde, Plaqueund Zahnsteinentfernung, Politur, Fluoridierung,
Motivation und Reinstruktion) [6] gegliedert werden und bedarf nur einer übersichtlichen Menge
an Instrumentarium und Material (siehe Kasten
„Material für eine Prophylaxesitzung“).
Richtungsweisend sind dabei auch das Versorgungsstärkungsgesetz und die Anspruchsberechtigung
in § 22a des SGB V. Erstmals werden durch diese
Novelle im Bema ab 2017 Prophylaxeleistungen für
Senioren mit Pflegegraden festgeschrieben, ähnlich
den IP-Positionen bei Kindern und Jugendlichen.
Für eine kontroverse Diskussion sorgt dabei immer
wieder die Delegation oder gar Substitution von
zahnmedizinischen Leistungen an beziehungsweise
durch fortgebildete Zahnmedizinische Fachangestellte. Hingewiesen sei dabei auf die Stellungnahme der DGAZ: „Multimorbide Menschen sind
Hochrisikopatienten und wir arbeiten im Hochrisikogebiet Mundhöhle“, so Dr. Elmar Ludwig,
Referent für Alterszahnheilkunde der Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg. Problematisch
erscheint es, gerade bei dieser empfindlichen Klientel Pilotprojekte in Richtung Selbstständigkeit der
Assistenzberufe zu starten.
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Schulung der Pflegekräfte oder Angehörigen
Die mobile zahnärztliche Therapie ist ohne eine
Schulung der Pflegekräfte oder Angehörigen unvollständig, denn oft besteht hier ein mangelndes
Problembewusstsein. Bei der Fülle der Aufgaben
und der Belastung gerade bei schwerwiegenden
Pflegefällen erscheint die Mundhygiene verständlicherweise nebensächlich. Zusammenhänge mit
der Allgemeingesundheit sind oft unbekannt. Der
hohe Nutzen einer stabilen Mundhygiene sollte
daher an konkreten Beispielen aufgezeigt werden.
So lässt sich beispielsweise bei gesundem Zahnfleisch und einer schmerzfreien Mundhöhle die
Nahrung schneller anreichen, sodass sogar Zeit
in der Pflege gewonnen werden kann. Ebenso besteht oft Unkenntnis darüber, mit welchen Handgriffen und Hilfsmitteln die Mundhygiene bei demenziell veränderten Pflegebedürftigen überhaupt
erst durchgeführt werden kann. Denn oft wird die
Machbarkeit bestritten und ein Versuch mit „Gewalt in der Pflege“ betitelt, sodass hier einfühlsam, aber bestimmt Überzeugungsarbeit geleistet
werden muss.
Zur besseren Umsetzung der Mundpflege bietet
die Schulungs-CD der DGAZ „Mundpflege in der
Pflege“ wertvolle Unterstützung (www.dgaz.org).
Umfangreiches Material ist inzwischen auch bei
vielen Landeszahnärztekammern abrufbar. Zum
Beispiel hat der Arbeitskreis Alterszahnheilkunde
der LZK Baden-Württemberg unter Vorsitz des Kollegen Dr. Elmar Ludwig viele Informationen zusammengetragen, und das nicht nur zum Thema
Schulung. Unter www.lzkbw.de können nützliche
Informationen, Flyer und Formulare kostenfrei heruntergeladen werden.
Die Bundeszahnärztekammer und das Zentrum für
Qualität in der Pflege (ZQP) haben sehr anschauliche Kurzfilme auf YouTube eingestellt, die Angehörigen und Pflegekräften sehr gute Hinweise zur
Mund- und Zahnpflege geben (www.youtube.com
> Suche > BZÄK ZQP).
Sind Hausbesuche wirtschaftlich?
Der Besuch eines gesetzlich versicherten Patienten
außerhalb der Praxis wird ohne weitere Folgeleistungen mit circa 75 Euro vergütet, wenn dieser
angefordert wurde (Besuchsgebühr, Zuschlag und
Wegegeld). Wird ein weiterer Patient aufgesucht,
so erhält man für diesen Folgebesuch circa 60 Euro.
Eine Übersicht aller notwendigen Positionen und
abrechenbaren Leistungen sind bei jeder KZV abrufbar und können regional abweichen.
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Die Wirtschaftlichkeit der aufsuchenden Zahnmedizin ist abhängig von der Anzahl der Patienten pro Besuch und dem Umfang der erbrachten
Leistungen. Wirtschaftlichkeit kann vor allen Dingen durch Regelmäßigkeit und Planung erreicht
werden: Wöchentliche Besuche am gleichen Tag,
bei mehr als zwei Bewohnern und im Team tragen
dazu bei. Dadurch werden Synergien geschaffen.
Es spricht sich herum, wenn der Zahnarzt in die
Senioreneinrichtung kommt. In stationären Einrichtungen sind damit Umsätze zu erzielen, die an
die Tätigkeit in der Praxis heranreichen, insbesondere dann, wenn ein Kooperationsvertrag besteht.
Der entscheidende Vorteil liegt darin, dass der
Besuch dann nicht mehr abhängig von einer Anforderung ist. Es kommt nicht nur zur Notfallbehandlung, wenn es bereits zu spät ist, sondern
es kann ein präventives und auch wirtschaftliches
Konzept verwirklicht werden.
Zahnersatz gilt als entscheidender wirtschaftlicher
Faktor in der Zahnarztpraxis. Gerade bei Senioren
ist das ein zentrales Thema: Mit 77 Jahren ist der
Bedarf an Zahnersatz am höchsten [11]. Der vorhandene Zahnersatz der Bewohner von Senioreneinrichtungen ist zu 65 Prozent mangelbehaftet [12] und ein Drittel der Prothesen hat einen
schlechten Halt [13]. Damit ergeben sich auch in
der aufsuchenden Therapie durchaus wirtschaftlich interessante prothetische Aufgaben.
Fazit
Zweifelsohne ist es mühsam, einen Behandlungskoffer zu packen, zu planen und nicht selten unter Campingbedingungen zu therapieren. Es stellt
aber auch eine charmante Abwechslung zum täglichen Praxisalltag dar, denn Hausbesuche sind
sehr nah an unserem Berufsbild. Hier kann viel
Gutes getan werden. Wirtschaftlich sind sie sicherlich tragbar. Und schlussendlich ist es niemals vergebens, gerade einer besonders hilfsbedürftigen
und meist zahnmedizinisch schlecht versorgten
Klientel am Rande der Gesellschaft zu helfen und
ihre Lebensqualität dadurch zu verbessern.
Korrespondenzadresse:
Dr. Dirk Bleiel
Im Sand 1
53619 Rheinbreitbach
[email protected]
Literatur beim Verfasser
Diese Publikation hat sich an früheren Publikationen des Autors zur selben Thematik orientiert und ist in manchen Teilen mit diesen identisch.
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