Konzepte zur Verbesserung unternehmensübergreifender Prozesse Dezentrale, lernfähige Multiagentensysteme zur Planung und Steuerung der Supply Chain Prof. Dr.-Ing. habil. Wilhelm Dangelmaier*, Dipl. Inform. Dipl. Inform. Ulrich Pape**, Dipl. Wirt.-Ing. Michael Rüther** Hubertus Franke**, * Professor für Wirtschaftsinformatik, insbesondere CIM, am Heinz Nixdorf Institut der Universität Paderborn, Paderborn ** Mitarbeiter im Bereich SCM, Heinz Nixdorf Institut der Universität Paderborn, Paderborn Anschrift zur Veröffentlichung: Heinz Nixdorf Institut Fürstenallee 11 33102 Paderborn URL: www.coagens.de Tel.: +49 (0) 52 51 / 60 – 64 54 Fax: +49 (0) 52 51 / 60 - 64 82 Abstract Erfahrungen aus der Praxis des Supply Chain Management zeigen einen Bedarf an kostengünstiger Software, die eine flexible unternehmensübergreifende Prozessgestaltung zulässt. Auf Basis eines Multiagentensystems ist im Rahmen des Projekts CoagenS eine Lösung entstanden, die eine zeitnahe Kommunikation der Bedarfsinformationen entlang der Supply Chain ermöglicht. Darüber hinaus sind verschiedene Heuristiken zur Optimierung der Disposition und der Tourenplanung entwickelt worden. Motivation Im Bereich der Produktionsplanung und -steuerung ergibt sich für Unternehmen durch die steigende Internationalisierung und die steigende Komplexität der Prozesse die Notwendigkeit, Konzepte und Systemlösungen einzusetzen, die sich durch hohe Flexibilität und Systemintegration auszeichnen. Im Blickwinkel des Interesses steht dabei eine Erweiterung von der unternehmensinternen hin zu einer unternehmensübergreifenden abgestimmten Planung und Steuerung. Daher wird aktuell über eine Vernetzung der Unternehmen im Rahmen des Supply Chain Management diskutiert. Hiermit verändern sich aber auch die zuvor meis t unternehmensinternen Optimierungsbestrebungen. Unternehmensübergreifende Verbesserungen des Material- und Informationsflusses nehmen an Bedeutung immer weiter zu. Die Anwendung von bisher eingesetzten PPS-Systemen stößt hier, getrieben durch die unternehmensinterne Sichtweise, an ihre Grenzen [1]. Die Konzeption der Systeme ermöglicht keinen Abbau von bestehenden Systemgrenzen zwischen den Unternehmen innerhalb einer Lieferkette. Zwar tauschen Unternehmen seit jeher Informationen in Form von Beschaffungs- und Absatzzahlen aus, aber oftmals reichen diese Daten insbesondere bei den nachgelagerten Unternehmen nicht aus, um eine abgestimmte Planung und Steuerung der Produktion zu ermöglichen. Das Forschungsprojekt CoagenS CoagenS - OPT Frachtenabrechnung Frachtenabrechnung Alternative Tourenplanung Werksübergreifende Bedarfsplanung Dispositionsoptimierung ERP-System Optimierte Produktionsplanung Spediteur Lieferant Dispositionsoptimierung CoagenS - Com CoagenS - Com Tourenplanungssystem Dispositionsoptimierung Optimierte Produktionsplanung Werksübergreifende Bedarfsplanung Frachtenabrechnung ERP-System XML - Nachrichten CoagenS - OPT Abnehmer CoagenS - Com Im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Verbundprojekts CoagenS werden praxisgerechte Lösungen für das Supply Chain Management erarbeitet. Im Fokus stehen hierbei die Prozesse der Beschaffung zwischen den Supply Chain Partnern Lieferant, Logistikdienstleister und Abnehmer. In diesem Bereich zeigen die Erfahrungen der Praxispartner einen offenen Bedarf an einfachen und kostengünstigen Softwareprogrammen, die eine flexible unternehmensübergreifende Prozessgestaltung zulassen. Die bisherigen Lösungsansätze konzentrieren sich zum einen auf die schnelle, zeitnahe Kommunikation der Bedarfsinformationen entlang der Supply Chain und zum anderen auf optimierte Dispositionsverfahren zwischen den Supply Chain Partnern (vgl. Abbildung 1). CoagenS - OPT Betriebliche Optimierungsmodule unter CoagenS-OPT Abruf- und Leergutbehältermanagement unter CoagenS-COM Abbildung 1: Zusammenspiel der CoagenS-Module COM und OPT Der Beschaffungsprozess wird durch eine regelbasierte Kommunikation unter Einbeziehung von Informationen aller Supply Chain Partner verbessert. Umgesetzt wird dies im Rahmen einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit. Der Abnehmer ermittelt im ersten Schritt die Bedarfe für seine Fremdprodukte und disponiert diese dann werksübergreifend unter Berücksichtigung der entstehenden Frachtkosten. Die Übermittlung der Bedarfe an den Logistikdienstleister und den Lieferanten erfolgt mit einem Optimierungszeitraum, innerhalb dessen die Abholung der Bedarfe erfolgen kann, um damit die Fahrzeugauslastung des Logistikdienstleisters erhöhen respektive die Produktionsplanung des Lieferanten flexibler gestalten zu können (vgl. Abbildung 2). I Ermittlung Optimierungszeitfenster III Optimierter Abruf mit Bereitstellungstermin und spätesten Eintrefftermin VII Transportmeldung Abnehmer Werk 1 Werk 2 Ermittlung werksübergreifender Bedarfe Werk 3 Liefer- und T ranspor tdaten Optimierter Abr uf mit Bereitstellungstermin VI II Werk 4 Spediteur IV Avise zum Bereitstellungstermin V Verbindlicher Abholtermin Lieferant Abbildung 2: Neue Kommunikationsstruktur der Supply Chain Partner Kommunikation- und Verhandlung mit CoagenS-COM Die Umsetzung der Kommunikation- und Verhandlungskomponente erfolgt mit Hilfe eines Multi-Agenten-Systems. Dieses besteht aus dezentralen Softwareagenten, die besondere Anpassungsfähigkeiten besitzen und sowohl voneinander, als auch von ihrer Umwelt lernen können und die Abbildung von intelligenten selbstgesteuerten Regelkreisen erlauben. Die grundlegende Eigenschaften des Multi-Agenten-Systems im Projekt CoagenS sind [2]: q q q Innerhalb der beschriebenen Prozesse agieren die Agentensysteme, die die einzelnen Partner in der Supply Chain repräsentieren, autonom über ein hinterlegtes Regelwerk. Das Verhandeln zwischen den Agentensystemen in Ausnahmesituationen, z.B. Nichteinhalten des Liefertermins, wird über Ausnahmeprotokolle geregelt. Das Einschalten des menschlichen Bearbeiters erfolgt in der Regel nur in Ausnahmefällen. Innerhalb dieses Projektrahmens wurden unter anderem ein Prototyp für das Management von Leergutkreisläufen erstellt. Zum einen deckte dieses genau einen Bedarf bei den beteiligten Praxispartnern und diente zum anderen zur Validierung des Agentenkonzeptes. Die Kerneigenschaften des Systems sind dabei: q q q Verteilte Planung, Erfassung und Buchung von Behälterflüssen Automatische Berechnung von Bedarfen / Angeboten Priorisierung der Leergutbedarfe bei Lieferanten Ein weiterer Prototyp realisiert die in Abbildung 2 gezeigte Kommunikationsstruktur. Grundlegende Eigenschaften des Systems sind: q q q q q Übermittlung von Bestellabrufen an den Lieferant Avisierung und Versenden der Informationen zum Abnehmer und Logistikdienstleister Übermittlung der Transportavise an Lieferant und Abnehmer Überwachung und Kontrolle des Bestell-/Beschaffungsprozesses Autonome verhandlungsbasierte Regelkreise zwischen den Supply Chain Partnern, insb. zwischen Lieferant und Abnehmer Abbildung 3: Portalseite des Abnehmers im Multi-Agenten System Einsatz von optimierten Dispositionsstrategien mit CoagenS-OPT Für den optimalen Einsatz der Kommunikations- und Verhandlungskomponenten ist der Einsatz einer Dispositionsoptimierung auf Seiten des Abnehmers erforderlich. Dies umfasst sowohl die interne Optimierung der Bedarfsermittlung wie auch die werksübergreifende Bestelloptimierung zum Lieferanten. Betrachtet man die Ermittlung der Bedarfe in klassischen PPS-Systemen stößt man häufig auf das Sukzessivplanungskonzept mit seinen bekannten Nachteilen. Um diesen zu begegnen, wurde das Konzept der dynamischen, belastungsabhängig berechneten Durchlaufzeiten entwickelt. Bei der Planerstellung innerhalb der Sekundärbedarfsplanung werden die Durchlaufzeiten der Fertigungsstufen nicht als fix angesehen, sondern resultieren aus der Belegungs- und Reihenfolgeplanung. Dieser dynamische Ansatz realisiert eine stärkere Erfüllung der vier primären PPS-Ziele, die die Minimierung der Durchlaufzeit, der Bestände und der Terminabweichungen sowie die Maximierung der Kapazitätsauslastung fordern. An die Ermittlung der Sekundärbedarfe über die internen Produktionsstufen hinweg schließt sich zur Lieferantenseite die Disposition der Materialabrufe an. Oft werden dabei die anfallenden Frachtkosten für den Transport nicht ausreichend berücksichtigt. Eine Verbesserung wird durch eine werksübergreifende Optimierungsheuristik beabsichtigt. Diese aggregiert die verschiedenen Lieferabrufe der Werke unter dem Gesichtspunkt der Frachtkostenoptimierung. Ergebnis der Heuristik sind individuelle, untereinander synchronisierte Lieferabrufe je Werk. Die im Rahmen des Projektes entwickelte Architektur ist softwaretechnisch umgesetzt und an ein bei einem der Praxispartner im Betrieb stehendem SAP-System angebunden worden (vgl. Abbildung 4). Die Auswertung der ersten Evaluierungsphase zeigt das erhebliche Optimierungspotential dieses Ansatzes [3]. DBMS SAP R/3 Server SAP R/3 Clients BAPI Interface DBMS (MySQL) TCP/IP Java Connector oLAB config.xml DBMS Driver GUI Design Abbildung 4: Architektur des Moduls zur Frachtkostenoptimierung Transportoptimierung Im Rahmen der neuen Kommunikationsstruktur erhält auch der Spediteur einen zusätzlichen Optimierungsspielraum. So wird dem Spediteur nicht mehr wie bisher ein fixer Abholtermin vom Lieferanten vorgegeben, sondern es wird zusammen mit dem Abnehmer ein artikelabhängiges Zeitfenster vereinbart. Dadurch ergeben sich für den Spediteur neue Freiheitsgrade bei der täglichen Transportdisposition, die er zur Kostenreduzierung bzw. besseren Auslastung nutzen kann. Allerdings erhöht sich auch die Komplexität der Planungsproblematik, da in Zukunft eine Tourenplanung unter Berücksichtigung von Zeitfenstern gelöst werden muss. Die zugrundeliegenden Inputdaten zeigt beispielhaft Abbildung 5. Artikel Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Bestellungen 4715 800 Stück Wochenbedarfe 4714 500 Stück 4713 Just in Time Freitag 200 Stück 4712 2000 Stück 4711 1500 Stück Abbildung 5: Zeitfenster bei der Frachtkostenoptimierung Ein besonderer Schwierigkeitsgrad ergibt sich durch die Ausdehnung der Zeitfenster auf mehrere Tage, so dass eine Lösung mit vertretbarem Aufwand an Zeit und Rechenkapazitäten nur mittels einer Heuristik zu finden ist. Im Rahmen des Projekts werden entsprechende Algorithmen auf Grundlage des Tabu-Search Verfahrens entwickelt. Ausblick Das vorgestellte Konzept stellt für die Supply Chain Partner eine Möglichkeit dar, den Prozessablauf der Beschaffung von Sekundärbedarfen zu optimieren. Die werksübergreifende Bedarfsanmeldung ermöglicht dem Abnehmer, signifikant niedrigere Frachtkosten zu erzielen. Die Nutzung des Optimierungszeitraums für den Spediteur, innerhalb dessen die Abholung der Bedarfe beim Lieferanten erfolgt, ist für diejenigen Spediteure besonders vielversprechend, die mit mehreren Kunden bzw. Abnehmergruppen auf die vorgestellte Weise zusammenarbeiten. Der Zugriff auf stets aktuelle Daten ermöglicht es schließlich, die Planungen zwischen den Supply Chain Partnern schneller und sicherer durchzuführen. Literatur [01] [02] [03] Dangelmaier, W; Pape, U.; Rüther, M. (2001): Supply Chain Management am Beispiel werksübergreifender Frachtkostenoptimierung. Wisu – Das Wirtschaftsstudium (2001) 10, S.1120 – 1127 Dangelmaier, W; Gajewski, T; Pape, U.; Rüther, M. (2002): Multi-AgentenSysteme als Ansatz zur Optimierung der Supply Chain. Wisu – Das Wirtschaftsstudium (2002) 3, S.552 – 563 Dangelmaier, W; Krebs, W; Pape, U.; Rüther, M. (2002): Optimierung einer Wertschöpfungskette am Beispiel der Frachtkostenoptimierung im Projekt CoagenS., Integriertes Supply Chain Management, Paderborn (2002)