Kapitel 6 Chemisches Potenzial Inhalt 6.1 Einleitung 6-3 6.2 Definition des chemischen Potenzials 6-3 6.3 Was ist das chemische Potenzial? 6-5 6.4 Chemisches Potenzial im Gleichgewicht 6-6 6.5 Chemisches Potenzial und Aktivität 6-7 6.6 Phasengleichgewicht reiner Stoffe 6-11 6.7 Abhängigkeiten des chemischen Potenzials 6-13 6.8 Gibbs-Energie, chem. Potenzial und Gleichgewicht 6-15 6.9 Gleichgewichtskonstante 6-18 6 Chemisches Potenzial Verzeichnis der Beispiele Beispiel Beispiel Beispiel Beispiel 6.1 6.2 6.3 6.4 Dampfdruck von Wasser bei 25 °C und 100 % Luftfeuchtigkeit Sauerstoffkonzentration in Wasser bei Luftkontakt Sättigungsdruck von Wasser bei verschiedenen Temperaturen Die Bleibatterie im Gleichgewicht 6-11 6-12 6-13 6-20 Verzeichnis der Figuren Figur Figur Figur Figur Figur Figur Figur 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6 6.7 Ein Stoff, zwei Phasen Ein Stoff, drei Phasen Kalk im Wasser Chemisches Potenzial als Funktion der Aktivität Phasengleichgewicht Standard-Gibbs-Energie und Reaktionsablauf Gibbs-Energie und Reaktionsablauf Hinweise zum Text • • • 6-2 Dieses Kapitel enthält einigen Text in Boxen. Darin stehen im Allgemeinen Definitionen, Erläuterungen und Beschreibungen von Versuchsanordnungen. Die Boxen mit einem Stern * enthalten mathematische Herleitungen der Gleichungen im Haupttext. Sie gehören nicht zur Lektüre des Haupttextes. Wenn Sie aber mehr über eine Herleitung wissen wollen, lesen Sie sie ruhig. Die wichtigen Formeln stehen im Haupttext und sind eingerahmt. 6-5 6-5 6-6 6-8 6-11 6-16 6-17 6.1 Einleitung 6.1 Einleitung 6.1.1 Die Sicht des Systems mit Einzelstoffen Die bisherigen Betrachtungen betrafen immer den Zustand und die Zustandsänderungen des Gesamtsystems: Seine innere Energieänderung ∆U , seine Enthalpieänderung ∆H , seine Entropieänderung ∆S und seine Gibbs-Energieänderung ∆G . Die Letztere fasst die voneinander unabhängigen Grössen der Enthalpieänderung und der Entropieänderung im Gesamtsystem im Ablauf einer chemischen Reaktion ξ zu einer einzigen Grösse zusammen: der Reaktions-Gibbs-Energie ∆rG . ∆rG beschreibt vollständig, wie sich das Reaktionssystem als Ganzes energetisch entwickelt: Ab Reaktionsstart nimmt seine Gibbs-Energie stetig ab ( ∆rG < 0 ), so lange, bis der Gleichgewichtszustand erreicht ist ( ∆rG = 0 ), von dem aus keine weitere Änderung mehr möglich ist, denn eine spontane Zunahme des Arbeitswerts G eines Systems wurde noch gar nie beobachtet. Wenn sich das Reaktionssystem als Ganzes derart und vorhersagbar bewegt, muss dies ebenso gelten für jede einzelne Reaktionsspezies. Es ist nur eine Frage des Blickwinkels, ob man Ungleichgewicht/Gleichgewicht aus der Sicht eines ganzen Stoffensembles mit ∆rG beschreibt, oder ob man dies für jeden Einzelstoff tut. Das chemische Potenzial von B ist nichts anderes, als ein Wechsel der Betrachtungsweise: Vom Gesamtsystem mit vielen Spezies B zur Betrachtungsweise des Einzelstoffs B im Gesamtsystem. 6.1.2 Die Sicht des Einzelstoffs im System Das chemische Potenzial µB beschreibt die Änderung der Gibbs-Energie des Gesamtsystems aus der Sicht der Änderung der Stoffmenge eines Einzelstoffs B. µB gibt an, um wie viel die Gibbs-Energie des Systems zu- oder abnimmt, wenn ihm Stoff B zugegeben oder weggenommen wird. Was immer in einer chemischen Reaktion geschieht, sie wird zur Abnahme einzelner Stoffe oder Spezies (Reaktanten) führen und zwangsläufig zur Zunahme anderer Stoffe oder Spezies (Produkte). Damit ein System als Ganzes ins Gleichgewicht kommt, muss jede einzelne ihrer Spezies im Gleichgewicht sein. Ist auch nur eine einzige Spezies bezüglich ihrer Umwandlungsmöglichkeiten nicht im Gleichgewicht, so kann die Gibbs-Energie des Systems weiterhin abnehmen, bis auch diese Spezies ein Gleichgewicht erreicht hat: Erst wenn alle Spezies im Gleichgewicht bezüglich ihrer Umwandlungsmöglichkeiten (chemische Reaktionen) sind, ist das Gleichgewicht des Systems erreicht. 6.2 Definition des chemischen Potenzials Für unsern Gebrauch bezieht sich das chemische Potenzial B immer auf die Gibbs-Energie. Es werden auch Definitionen auf der Basis der inneren Energie, der Enthalpie und der Helmholz-Energie verwendet, die von derjenigen der Gibbs-Energie etwas abweichen. Die Definition geht hervor aus dem totalen Differential der Gibbs-Energie, das die Änderung von G vollständig beschreibt: ∂G dG = ∂p T , nJ ∂G · dp + ∂T p, nJ N · dT + ∂G J=A ∂nJ p,T , n ∑ · dnJ . (5-13) K ≠J Die ersten zwei partiellen Ableitungen sind die zwei bekannten Grössen, das Volumen V (Gl. (5-15)) und die negative Entropie –S des Systems. Für die 6-3 6 Chemisches Potenzial Ableitung der Gibbs-Energie nach der Stoffmenge einer einzelnen Spezies hat Josiah Willard Gibbs (1839 - 1903) das chemische Potenzial eingeführt: ∂G µB : = ∂n B . [ µB ] = Jmol –1 (6-1) p,T , nJ ≠ B Das chemische Potenzial von B gibt an, um wie viel sich die Gibbs-Energie des Systems ändert, wenn man ihm eine infinitesimale Menge von B zufügt. µB ist, wie die Gibbs-Energie, eine Zustandsgrösse die vom Druck, der Temperatur und der Zusammensetzung abhängt. Ihre Zustandsfunktion ist: µB = µB ( p,T , x J ) . 6.2.1 (6-2) Chemisches Potenzial reiner Substanzen Für eine reine Substanz B ist ihr chemisches Potenzial die molare GibbsEnergie, Gm(B). Dies ist leicht verständlich, denn: fügt man einem System, das nur den reinen Stoff B hat, 1 Mol des reinen Stoffs B zu, so ändert sich dessen Gibbs-Energie genau um so viel, wie das zugefügte Mol B an GibbsEnergie einbringt. Für reine Stoffe kann man die Analogie mit der molaren Masse von B verwenden, diese ist so gross, wie die Masse eines Systems zunimmt, wenn man ihm ein Mol B zufügt. Zur Kennzeichnung von Grössen reiner Stoffe verwendet man einen hochgestellten Stern (*). Damit gilt für das chemische Potenzial des reinen Stoffs B ihr Referenzzustand: µB∗ = Gm ( B ) . (6-3) Das chemische Potenzial reiner Stoffe ist nur eine Funktion des Drucks und der Temperatur, aber nicht der Zusammensetzung, da reine Stoffe keine solche haben (xB = 1); und das chemische Potenzial ist auch nicht von der Stoffmenge abhängig, weil es definitionsgemäss pro Mol B gilt: µB∗ = µB∗ ( p,T ) . 6.2.2 (6-4) Chemisches Potenzial ideal verdünnter Spezies Für gelöste Spezies B gilt sinngemäss zum reinen Stoff der Referenzzustand der unendlich verdünnten Lösung (Superscript ∞ ): µB∞ = Gm ( B, aq ) (6-5) Dieser ist ebenfalls unabhängig von der Zusammensetzung: µB∞ = µB∞ ( p,T ) . 6.2.3 (6-6) Chemisches Standardpotenzial Das chemische Standardpotenzial einer Substanz oder Spezies B ( µB ) ist das chemische Potenzial von B unter Standardbedingungen. Die Standardbedingungen sind dieselben, wie sie früher angegeben wurden (s. Kap. 3.7.9.1). Sie betreffen immer den Referenzzustand bei Standarddruck p° und für gelöste Spezies bei Standardkonzentration c°. Das chemische Standard-Potenzial ist nur noch eine Funktion der Temperatur, da der Druck und die Zusammensetzung (rein, bzw. ∞ verdünnt und Standardkonzentration) festgelegt sind: µB∗ ( p ,T ) µB = ∞ = µB (T ) . µB ( p ,T , cB ) 6-4 (6-7) 6.3 6.3 Was ist das chemische Potenzial? Was ist das chemische Potenzial? Potenziale werden die Grössen genannt, die danach streben, sich auszugleichen, also überall denselben Wert zu erlangen. Im Gleichgewicht gilt, dass ein Potenzial überall im System gleich ist. Damit kann ein Gleichgewicht beschrieben werden. Der Ausgleich von Potenzialdifferenzen geht über den Transfer von Energie, entweder als Wärme oder als Arbeit. Die Summe der Energietransfers in beide Richtungen (der eine Teil nimmt zu, der andere ab) bewirkt dabei immer eine Abnahme der Gesamtenergie. Es gibt mehrere physikalische und eine chemische Grösse die Potenziale sind. 6.3.1 Wird ein System durch ein Potenzial beschrieben, so ist dieses Potenzial an allen Stellen des Systems gleich, falls sich das System im Gleichgewicht befindet. Das chemische Potenzial Das chemische Potenzial ist die Arbeit der Gibbs-Energie pro Stoffumsatz. Existiert eine Spezies in verschiedenen Formen und sind diese durch chemische Reaktionen miteinander verbunden, so werden diese Formen so lange ineinander verwandelt werden, bis die Spezies im Gleichgewicht in allen Erscheinungsformen das gleiche chemische Potenzial hat. µB = Arbeit . Stoffmenge B [ µB ] = J molB –1 Das chemische Potenzial ist ein der Spezies innewohnendes Potenzial sich in andere Formen umzusetzen und dies so lange, bis es keine Potenzialdifferenzen mehr gibt zu irgendeiner anderen Auftretensform dieser Spezies. Ein System im Gleichgewicht ist im Gleichgewicht bezüglich aller Potenziale: Es hat überall die gleiche Temperatur und den gleichen Druck und die gleiche elektrische Spannung und das gleiche chemische Potenzial von A und das gleiche chemische Potenzial von B und von C und … . 6.3.2 Beispiele zum chemischen Potenzial 6.3.2.1 Eis und Wasserdampf bei –18 °C Bei Temperaturen im Tiefkühler kommt Wasser in zwei Phasen vor: Eis (H2O, s) und Wasserdampf (H2O, g). Im Gleichgewicht sind die chemischen Potenziale von Wasser im Eis und im Dampf gleich. Bei Temperaturen unter null Grad Celsius sublimiert Eis zu Wasserdampf oder Wasserdampf kondensiert direkt zu Eis; eine flüssige Phase kommt nicht vor (s. Figur 6.1). 6.3.2.2 Eis, flüssiges Wasser und Wasserdampf am Tripelpunkt Für reine Substanzen gibt es genau eine Kombination von Druck und Temperatur, bei der drei Phasen koexistieren können: Der Feststoff, die Flüssigkeit und das Gas der Substanz. Die Temperatur, bei der dies möglich ist, heisst Tripelpunkttemperatur, Tt. Ein Reinstoffsystem hat auch keine Luft (N2(g), O2(g), etc.) im System und der Gesamtdruck p ist gleich dem Partialdruck der Substanz (p = pB). Bei diesem Druck ist der Schmelzpunkt von Eis nicht bei 0 °C sondern bei 0.01 °C (Tt(H2O) := 273.16 K). Der Dampfdruck von Wasser (gleich Totaldruck) beträgt ca. 6 mbar (s. Figur 6.2). 6.3.2.3 Eis und Wasser bei 20 °C: Thermodynamisch instabil Wie ist die Situation, wenn wir zu 20 °C warmem Wasser ein Eisstück zugeben? Das System aus Wasser und Eis ist bei diesen Temperaturen thermodynamisch nicht stabil: Unterhalb 0 °C können nur Eis und Wasserdampf vorkommen und über 0 °C können bei Normaldruck nur flüssiges und gasförmiges Wasser koexistieren. Dieses Nicht-Gleichgewicht besteht, weil die chemischen Potenziale des Wassers in den Phasen fest, flüssig und gasförmig nicht T = –18 °C Dampf Eis µH2O,g = µH2O,s Figur 6.1 Ein Stoff, zwei Phasen Eis und Wasserdampf im Gleichgewicht bei –18 °C. T = 273.16 K H2O(g) H2O(s) H2O(l) µH2O,g = µH2O,l = µH2O,s Figur 6.2 Ein Stoff, drei Phasen Eis, Wasser und Wasserdampf im Gleichgewicht beim Tripelpunkt. 6-5 6 Chemisches Potenzial gleich sind. Einerseits sind sie innerhalb einer Phase nicht überall gleich und andererseits sind auch ihre Mittelwerte verschieden: Eis hat das kleinere (mittlere) chemische Potenzial, Wasser das grössere. Auf dem Weg zum Gleichgewicht werden die Differenzen der chemischen Potenziale zunehmend geringer, bis sie ganz verschwinden, aber dann ist entweder die flüssige Phase verschwunden (TGG < 0 °C) oder die feste (TGG > 0 °C). 6.3.2.4 Ca2+(aq) CO32–(aq) T µCa2+,aq + µCO32+,aq µCaCO3,s Figur 6.3 Kalk im Wasser Fester Kalk (CaCO3, s) in wässriger Lösung im Gleichgewicht mit seinen Ionen. Kalk im Wasser Auch die Löslichkeit von Salzen lässt sich beschreiben über eine Gleichheit der chemischen Potenziale einer Spezies in zwei Phasen: Eingebunden im Kristallgitter des Festkörpers (s) und gelöst in der Umgebung Wasser (aq). Da man die Einzelwerte der chemischen Potenziale der Ionen im Kristallgitter nicht identifizieren kann, der Kristall aber eine bekannte Zusammensetzung der Ionen enthält, lassen sich die Summen der chemischen Potenziale beschreiben. Besteht Gleichgewicht zwischen Festkörper und gelösten Ionen, so heisst die Lösung gesättigt bezüglich dieses Feststoffs und die chemischen Potenziale eines Ions in Lösung und im Festkörper sind gleich (s. Figur 6.3). 6.4 Chemisches Potenzial im Gleichgewicht Im Abschnitt 6.3.1 wurde beschrieben, dass der Potenzialbegriff in verschiedenen Teilgebieten der Naturwissenschaften verwendet wird. Immer ist das Potenzial eine Grösse, die danach strebt, sich in allen zugänglichen Subsystemen auf einen gleichen (Potenzial-) Wert zu bringen. Der Absolutwert ist dabei unerheblich, und ohne (willkürliche) Nullpunktfestlegung auch nicht bestimmbar. Ebenso wurde im Abschnitt 6.3.2 dargelegt, dass für chemische Reaktionssysteme dem chemischen Potenzial jeder einzelnen Spezies B genau diese Eigenschaft zukommt. Die Subsysteme chemischer Systeme sind die Phasen in denen B vorkommen kann. 6.4.1 Phase und Spezies In Kapitel 2.2.2 wurden homogene Systeme als aus einer und heterogene als aus mehreren Phasen bestehend beschrieben. Der Begriff Phase wurde von J. Willard Gibbs eingeführt; er kommt aus dem Griechischen und heisst Erscheinung. Gibbs’ Definition besagt: Definition: Eine Phase ist der Zustand der Materie, in dem sie bezüglich ihrer chemischen Zusammensetzung und ihres physikalischen Zustands durch und durch gleichförmig ist. Verschiedene Phasen werden mit Superscripten α, β, γ, … unterschieden. Im Kapitel 2.2.2 wurde der Begriff „Spezies“ definiert, und dort sehr eng. Es wurden Spezies als verschieden definiert, wenn sie in verschiedenen Phasen (z. B. als Feststoff, als Flüssigkeit oder als Gas) vorliegen. Diese enge Festlegung ist für das chemische Potenzial nicht haltbar. Einen eigenen Begriff für «dasselbe Teilchen in verschiedenen Phasen» gibt es indessen nicht. Wir bleiben daher beim Wort Spezies (oder Stoff, falls es ein solcher ist). Also: H2O(s), H2O(l) und H2O(g) sind dieselbe Spezies in + + verschiedenen Phasen und Na(s) und Na+ sind verschiedene Spezies, aber Na (aq) und Na im NaCl(s) + und Na im Na2SO4(s) sind die gleiche Spezies in verschiedenen Phasen. 6.4.2 Im Gleichgewicht sind die chemischen Potenziale einer Spezies in allen Phasen gleich. 6-6 Chemisches Potenzial einer Spezies im Gleichgewicht Die grosse Leistungsfähigkeit der Grösse «chemisches Potenzial» ist seine Fähigkeit, Voraussagen zum chemischen Gleichgewicht zu machen: Ist ein System im chemischen Gleichgewicht, so gilt für jede Spezies B, dass die chemischen Potenziale µB in allen Phasen α, β, γ, … gleich sind: µBα = µBβ = µBγ = … (6.8) Obige Gleichung (6-8) gilt unabhängig für jede Spezies A, B, …, J, …, N im System, aber sie gilt nicht unter verschiedenen Spezies. Verschiedene Spezies haben im gleichen System i. A. verschiedene chemische Potenziale! µAα ≠ µBα ≠ µCα ≠ … (6-9) 6.5 Chemisches Potenzial und Aktivität 6.5.1 Aktivität einer Spezies Bei idealen Gasen hat man ein sehr einfaches Gesetz gefunden: p µideales Gas B = µideales Gas B + RT ln B p (6-10) Das Potenzial eines idealen Gases besteht aus einem Standardterm ( µ ) und einem Korrekturterm für nicht-Standard-Bedingungen (RTlnpB/p°). Um bei realen Systemen die gleiche Notation gebrauchen zu können, hat man den Begriff „Aktivität“ erfunden. Er beschreibt die Abweichung vom idealen Verhalten mit der gleichen Formel wie für die idealen Systeme. Daher kann man für reale Systeme den allgemeinen Zusammenhang so formulieren: (6-11) µB = µB + RT ln a B 6.5.1.1 Zustandsfunktionen der Aktivität Die Aktivität eines Stoffes B ist diejenige Grösse, für die der einfache Zusammenhang (6-11) gilt. Die Aktivität ist abhängig von den üblichen Zustandsvariablen. Für die Aktivität gilt daher die Zustandsfunktion: aB = aB ( p,T , xJ ) (6-12) Für reine Stoffe B fällt die Zusammensetzungs-Variable weg: aB∗ = aB∗ ( p,T ) (6-13) Reine Stoffe bei Standarddruck haben per Konventionem die Standard-Aktivität eins: aB∗ ( p °,T ) = a B (T ) = 1 6.5.2 (6-14) Abhängigkeit des chemischen Potenzials von der Stoffaktivität Der allgemeine Ausdruck für das chemische Potenzial einer Spezies B mit der Aktivität aB lautet: µB = µB + RT ln aB (6-11) µB Chemisches Potenzial von B [ µB ] = J mol µB Chemisches Standardpotenzial von B RT Gaskonstante mal absolute Temperatur [ µB ] = J mol [RT] = J mol -1 -1 -1 6-7 6 Chemisches Potenzial aB Aktivität von B [ aB ] = 1 1 µB /RT µB°/RT Merkmale der Gleichung (6-11) 0 -1 • Das chemische Potenzial wird angegeben als Abweichung zu seinem Standard-Potenzial. • Die Abweichung vom chemischen Standard-Potenzial wird hauptsächlich durch die Stoffaktivität bestimmt und zusätzlich durch die Temperatur T. • Für aB = 1 • Mit steigender Aktivität von B steigt µB stetig, aber nicht linear, sondern logarithmisch: Bei einer Verzehnfachung der Aktivität nimmt –1 das chemische Potenzial bei 25 °C um den fixen Wert 5.708 kJmol zu. -2 -3 -4 0.0 0.5 1.0 1.5 2.0 Aktivität a Figur 6.4 Chemisches Potenzial als Funktion der Aktivität Das chemische Potenzial µB als Funktion der Stoffaktivität aB. µB wächst logarithmisch zu aB. Man beachte, dass µB = µB für aB = 1. 6.5.3 wird: µB = µB . Aktivität und Messgrösse eines Stoffs Nur selten lassen sich Aktivitäten von Stoffen oder Spezies direkt bestimmen, d. h. messen, und es werden verschiedene Konventionen verwendet zur Beschreibung von Gasen (g), kondensierten Stoffen (s, l) oder für in Wasser gelöste Spezies (aq). 6.5.3.1 Ideale Gase Die Messgrösse für Gase ist ihr Partialdruck, pB. Bei idealen Gasen ist der gemessene Partialdruck direkt proportional zu ihrer Aktivität. aB = pB (6-15) p° Das chemische Potenzial idealer Gase lautet: µB = µB + RT ln µB bei pB µB bei p µB = µB + RT ln pB p 6.5.3.2 pB p = µB + RT ln pBi (6-16) Feststoffe, Flüssigkeiten und Lösemittel Für kondensierte Stoffe verwendet man als „Konzentrationsmass“ immer ihren Stoffmengenanteil xB. Die Vorschrift, für flüssige oder feste Stoffe den Molenbruch x und nicht die molare Konzentration c zu verwenden, hat Konsequenzen im Berechnen von Gleichgewichten, seien es Säure-Base-Gleichgewichte, Löslichkeitsgleichgewichte oder Redoxgleichgewichte. Es ist ein (leider häufig gemachter) Fehler, wenn in der Gleichgewichtskonstante der Wert für Wasser mit seiner Konzentration von 55.3 Molen pro Liter verwendet wird. Die Aktivität des Wassers als Lösungsmittel ist 1. Wir werden Flüssigkeiten (meistens Wasser) und Feststoffe (meistens Salze in Wasser) immer als reine Stoffe betrachten. Selbst wenn Wasser das Lösungsmittel eines gelösten Stoffs ist, so ist in verdünnten Lösungen sein Stoffmengenanteil so nahe bei 1, dass wir ihn gleich eins setzen. Die Aktivität reiner Feststoffe, reiner Flüssigkeiten und Lösungsmittel (bei p = p°) ist eins. a B* ( p° ) : = 1 (6-14) Daraus folgt das chemische Potenzial reiner kondensierter Stoffe (bei p°): 6-8 6.5 µB∗ ( p° ) : = µB 6.5.3.3 Chemisches Potenzial und Aktivität (6-16) Gelöste Stoffe oder Spezies in verdünnter Lösung Für gelöste Stoffe (z. B. Gase im Wasser oder Blut) und für gelöste Spezies (Ionen) ist (meistens) ihre Stoffmengenkonzentration cB (s. Kap. 1.7.3.3) die Messgrösse. In verdünnten(!) Lösungen ist die Aktivität aB direkt proportional zur Stoffmengenkonzentration cB. Um den gleichen Formalismus verwenden zu können, verwendet man folgende Konvention: aB = cB c° = cBi (6-17) und eingesetzt in Gleichung (6-11) erhalten wir für das chemische Potenzial gelöster Spezies in verdünnter Lösung bei p°: µB = µB + RT ln cB c° = µB + RT ln cBi (6-18) N.B.: in konzentrierten Lösungen gilt dieser einfache Zusammenhang nicht mehr! 6.5.3.4 Referenzzustand und Standardkonzentration gelöster Spezies Der Referenzzustand für Lösungen verlangt eine unendliche Verdünnung, aber der Standardzustand bezieht sich auf eine Standardkonzentration von c° = 1 mol dm−3 ; das scheint ein Widerspruch zu sein. Das Verfahren ist folgendes: Man hat eine sehr grosse Menge Lösemittel (eine Badewanne voll Wasser) bei T und p°. Zu dieser gibt man eine sehr kleine Menge des zu lösenden Stoffs B und misst den resultierenden Effekt, z. B. die Änderung des chemischen Potenzials µB . Dann gibt man stufenweise weitere kleinste Portionen von B zu und misst jedes Mal den Effekt. Dabei bewegt man sich immer im Bereich von ca. unendlich verdünnter Lösung (Referenzzustand). Nun lassen sich die gemessenen Auswirkungen extrapolieren auf die Zugabe von einem Mol des Stoffs B pro Liter Lösung und somit feststellen, wie der Effekt sein würde, wenn man bei unendlicher Verdünnung eine 1-molare Lösung gemacht hätte. Dieser Wert steht dann für den Referenzzustand bei Standardbedingungen bei der Temperatur T. 6-9 6 Chemisches Potenzial 6.5.4 Konventionen für die Aktivität Konventionen für die Aktivitäten in idealen Systemen: = aB pB = pB• ideale Gase B p° x B∗ = 1 reine Festkörper B und reine Flüssigkeiten B cB gelöste Spezies B, stark verdünnt. c° = c• (6-19) Konventionen für die Aktivitäten in nicht-idealen Systemen: aB = fB = φB · pB p° p° γx , B · x B γc, B · cB c° nicht-ideale Gase B mit: fB = φB · pB Festkörper B oder Flüssigkeit B in nicht-idealer Mischung gelöste Spezies B in nicht-idealer Lösung. (6-20) Koeffizienten: Der Fugazitäts- und die Aktivitätskoeffizienten sind von den Zustandsvariablen abhängig: φB = φB ( p, T , x J ) und: γx , B = γB ( p, T , x J ) und: γc, B = γ B ( p, T , cJ ) . (6-21) Gelöste Spezies: Die molare Stoffmengenkonzentration ist die Messgrösse einer gelösten Spezies. Der Aktivitätskoeffizient γc, B charakterisiert die Abweichung vom idealen Verhalten von B in konzentrierter Lösung. Für unendlich verdünnte Spezies ( ∞ ) ist (bei Standarddruck) der Aktivitätskoeffizient konventionsgemäss eins: γ c,∞B ( p ° ) : = 1 . (6-22) * Gelöste Stoffe oder Spezies in konzentrierter Lösung Hat es schon höhere Konzentrationen des zu lösenden Stoffs im Wasser, oder hat es andere Ionen in Lösung (z. B. Meerwasser), so werden die neu dazukommenden Ionen ein wesentlich anderes Umfeld antreffen als dies reines Wasser ist (wie bei der Annahme unendlicher Verdünnung). Weil geladene Teilchen starke Anziehungs- und Abstossungskräfte aufeinander ausüben, wirken sich diese auf das chemische Potenzial (eine Energie) der gelösten Stoffe und Spezies aus: Das chemische Potenzial µB einer Spezies wird zusätzlich abhängig vom Ionengehalt der wässrigen Lösung. Diese Anpassung der Stoffmengenkonzentration von B für Ionenlösungen höherer Ionenkonzentrationen erfolgt mit einem Korrekturfaktor, dem Aktivitätskoeffizienten γB . Für gelöste Stoffe in konzentrierteren Ionenlösungen erhalten wir deshalb eine Verbesserung der Gleichung (6-18) mit: µB = µB + RT ln γ B · cB c° (6-23) Der Aktivitätskoeffizient γB lässt sich berechnen über die Ionenstärke I. Diese ist ein Mass von Ionengehalt und -wirkung einer wässrigen Lösung. 6-10 6.7 Abhängigkeiten des chemischen Potenzials 6.6 Phasengleichgewicht reiner Stoffe Bevor wir auf die Phasengleichgewichte eingehen, wollen wir kurz auf die Frage eingehen: welche Messgrössen haben wir bei den chemischen Potenzialen? 6.6.1 Differenzen chemischer Standard-Potenziale Chemische Potenziale sind als absolute Grössen nicht bekannt, da sie letzten Endes auf der inneren Energie U basieren. Differenzen von chemischen Potenzialen sind jedoch sehr gut zugänglich. ∆µ = ∆rG = 6.6.2 ∑ νJ µJ J = ∑ νJ ∆fGJ (6-24) J Dampfdruck über kondensierten Stoffen µ B,g Die Figur 6.5 zeigt ein geschlossenes System mit zwei Phasen des gleichen reinen Stoffes. Unterhalb der Trennlinie ist die kondensierte Phase B(l oder s) und darüber die Gasphase B(g). Die beiden Phasen seien im Gleichgewicht bei der Temperatur T. In der Gasphase gilt: µB, g = µB, g + RT ln pB• In der kondensierten Phase gilt: µB, l, s = µB, l, s + RT ln x B, l, s • Im Gleichgewicht sind die chemischen Potenziale gleich: µB, g = µB, l, s µ B,l Figur 6.5 Phasengleichgewicht Ein geschlossenes System mit zwei Phasen eines reinen Stoffs. 1 ∗ • Für den reinen kondensierten Stoff gilt: µB, l, s = µB, l, s = µB, l, s , weil x B = 1 ist. Damit erhalten wir: µB, g + RT ln pB• = µB, l, s (6-25) und daraus den normierten Partialdruck des Stoffes B in der Gasphase: ln pB• = 6.6.3 µB, l, s − µB, g RT = ∆fGB, l, s − ∆fGB, g RT (6-26) Rechenbeispiele zu Phasengleichgewichten Beispiel 6.1 Dampfdruck von Wasser bei 25 °C und 100 % Luftfeuchtigkeit Man berechne den Sättigungs-Dampfdruck p∗ von Wasser im Gleichgewicht mit reinem flüssigem Wasser bei 25 °C. Lösung Wir passen Gleichung Error! Reference source not found. an für B = H2O: ln pH• O = 2 µH O, l − µH O, g 2 2 RT 1 gilt strikt nur bei p°, aber die Druckabhängigkeit von µ B, l ist vernachlässigbar. 6-11 6 Chemisches Potenzial ∆fGH O, l = −237.13 kJ mol -1 Mit den Werten aus den Tabellen: und 2 ∆fGH O, g = −228.57 kJ mol -1 erhalten wir: 2 • ln pH O = −8.56·103 J mol -1 2 3 2.479·10 J mol -1 = −3.453 . Jetzt ersetzen wir den p• -Aus- druck durch den Originalausdruck und erhalten: ∗ pH O = e −3.453 = 3.16·10−2 ; 2 p° ∗ pH = 31.6·10−3 · p ° . Mit p° = 1 bar O 2 ∗ erhalten wir das Schlussresultat: pH = 31.6·10−3 bar = 31.6 mbar . O 2 Interpretation In einem geschlossenen Gefäss mit reinem flüssigem Wasser bei 25 °C wird sich genau dieser Dampfdruck einstellen. Der Gleichgewichtsdruck heisst (bei jeder Temperatur) allgemein Sättigungsdruck und bei Wasser auch 100 % Luftfeuchtigkeit oder Taupunkt. Wird zusätzlich Wasserdampf in das System eingebracht, so muss dieser zu Wasser kondensieren, dann haben wir Nebel oder Regen. Beispiel 6.2 Sauerstoffkonzentration in Wasser bei Luftkontakt Man berechne die Sauerstoffkonzentration im Wasser, das bei 25 °C im Kontakt mit der Atmosphäre steht, wenn der Gesamt-Luftdruck 0.955 bar ist. ∆fGO ,aq = 16.32 kJ mol -1 Daten: 2 Lösung Den Partialdruck von Sauerstoff bei einem Gesamtdruck von p = 0.955 bar müssen wir ausrechen über den Sauerstoffanteil yO = pO 2 3-22): pO 2 p (s. Tabelle S. 2 p = 0.20946; pO = 0.20946·0.955 = 0.200 bar . 2 Im Gleichgewicht müssen die chemischen Potenziale von Sauerstoff pO in der Luft: µO , g = µO , g + RT ln 2 und 2 2 p° gelöst im Wasser: µO ,aq = µO , aq + RT ln 2 µO , aq + RT ln 2 ln ln 6-12 cO , aq 2 c° cO ,aq 2 c° = cO , aq 2 c° 2 c° 2 = µO , g + RT ln 2 µO , g − µO , aq 2 cO ,aq 2 + ln pO 2 = gleich sein: pO 2 p° ∆fGO , g − ∆fGO , aq 2 2 + ln RT p° RT 0 − 16320 = + ln 0.200 = −6.583 − 1.609 = −8.192 2479 ( pO 2 p° ) = −8.192; cO ,aq = 2.77 ·10−4 M = 8.85 mgO , aq dm -3 . 2 2 6.7 Abhängigkeiten des chemischen Potenzials 6.7 Abhängigkeiten des chemischen Potenzials Das chemische Potenzial ist eine Funktion des Drucks, der Temperatur und der Zusammensetzung im System, siehe Gleichung (6-2). 6.7.1 Druckabhängigkeit Was für die Gibbs-Energie festgestellt wurde (s. Kap. 5.5.1), gilt auch hier: Für kondensierte Stoffe ist die Druckabhängigkeit so marginal, dass sie vernachlässigt wird. Für ideale Gase ist sie nicht vernachlässigbar; dann gilt Gleichung (6-10). 6.7.2 Temperaturabhängigkeit Wir betrachten im Folgenden nur noch reine Stoffe, bzw. unendlich verdünnte Spezies; beide sind nicht von der Zusammensetzung abhängig. Für solche gelten die Zustandsfunktionen: µB∗ = µB∗ ( p,T ) und: µB∞ = µB∞ ( p,T ) (6-27) Die Temperaturabhängigkeit der Gibbs-Energie wurde im Kapitel 5.5.2 beschrieben; sie ist der negative Wert der Entropie (Gleichung (5-22)). Andererseits ist das chemische Potenzial eines reinen Stoffs B die molare GibbsEnergie von B (Gleichung (6-3)). Damit wird die Temperaturabhängigkeit des chemischen Potenzials des reinen Stoffs B gleich der negativen molaren Entropie, Sm(B) oder gleich der negativen partiellen molaren Entropie des reinen Stoffs B SB∗ (s. Gl. (4-24)). ∂Gm, B ∗ ∂µB = = − S B = −S ∗ m( ) B ∂T ∂T p p (6-28) Bei Standardbedingungen ist die Temperaturabhängigkeit des chemischen Standard-Potenzials die negative partielle molare Standard-Entropie von B: dµB dT = − SB (6-29) S B , S ( B ), S m ( B ) oder S m, B sind gleichwertige Benennungen tabellierter Werte für molare Standard-Entropien (partielle molare Standard-Entropien). 6.7.2.1 Chemisches Standardpotenzial bei beliebiger Temperatur Die Integration der Gleichung (6-29) ergibt für das chemische Standard-Potential bei einer beliebigen Temperatur T2, wenn es bei T1 bekannt ist (T1 = TR) und wenn die Entropie als konstant angenommen wird über T1 bis T2: µB (T2 ) = µB (T1 ) – S B · (T2 − T1 ) Beispiel 6.3 (6-30) Sättigungsdruck von Wasser bei verschiedenen Temperaturen Man berechne über das chemische Standardpotenzial den Sättigungsdruck reinen Wassers bei den Temperaturen: i) 0 °C; ii) 50 °C; iii) 75 °C und iv) 100 °C. Annahme: Die Standard-Entropie sei konstant von 0 ° bis 100 °C. 6-13 6 Chemisches Potenzial Lösung Bei allen Temperaturen gilt im Gleichgewicht (GG), dass die chemischen Potenziale von H2O gleich sind in der Gas- und in der Flüssigphase. Für alle vier Rechnungen mit je verschiedenen T2 und ∆T = (T2 − T1 ) gilt: µH O, l (T2 ) = µH O, l (T1 ) − S m, H O, l · ∆T 2 2 2 µH O, g (T2 ) = µH O, g (T1 ) − S m, H O, g · ∆T und für GG bei T2 gilt: 2 2 2 µH O, g (T2 ) = µH O, l (T2 ) und daraus: 2 2 µH O, g (T1 ) − S m, H O, g ·∆T + RT2 ln pH• O, g = µH O, l (T1 ) − S m, H O, l ·∆T 2 2 2 2 2 aus dem sich der gesuchte Gleichgewichtsdruck isolieren lässt: ln pH• O, g = ( ) µH O, l (T1 ) − µH O, g (T1 ) − S m, H O, l − S m, H O, g · ∆T 2 2 2 2 RT2 2 . Die erste Differenz im Zähler haben wir in Bsp. 9.1 berechnet zu: −8.56·103 J mol -1 und die der Standardentropien bei 298 K ist: 69.91 − 188.83 = −118.92 J K-1 mol -1 . Nach Einsetzen dieser Zahlenwerte und je Division durch R vereinfacht sich die Sache für alle Rechnungen i) bis iv) auf: ln pH• O, g = 2 1 ( −1029.5 K + ∆T ·14.303 ) . T2 i) ∆T = −25 K; T2 = 273.15 K : • ln pH O = − 5.078; pH∗ O = 6.23 mbar . ii) ∆T = 25 K; T2 = 323.15 K : ln pH• O 2 pH∗ O 2 iii) ∆T = 50 K; T2 = 348.15 K : ln pH• O = −0.9030; ∗ pH = 405 mbar . O iv) ∆T = 75 K; T2 = 373.15 K : ln pH• O 2 ∗ pH 2O 2 = −2.079; 2 = +0.1157; 2 = 125 mbar . 2 = 1.12 bar . Interpretation Die Resultate sind – abgesehen von dem bei 25 °C – nicht topp genau, da wir mit konstanter Entropie gerechnet haben, diese aber temperaturabhängig ist (s. Kap. 7.3.5). Man beachte den gewaltigen Zuwachs des Dampfdrucks von ca. 0.006 bar auf ca. 1 bar im Bereich von 0 bis 100 °C. 6-14 6.8 Gibbs-Energie, chemisches Potenzial und Gleichgewicht 6.8 Gibbs-Energie, chemisches Potenzial und Gleichgewicht Ziel dieses Abschnitts ist es, eine Beziehung zwischen der ReaktionsGibbsenergie und der Gleichgewichtskonstante K einer Reaktion herzuleiten. Wir kehren zurück zur Beschreibung des Gesamtsystems und beschreiben seine Gibbs-Energie über die chemischen Potenziale. In diesem System soll eine Reaktion stattfinden nach folgender Stöchiometrie: ν A A + ν B B + …+ν Ed Ed + … = … + ν Pr Pr + …+ν M M + ν N N . Natürlich schreiben wir diese Gleichung zuerst in die thermodynamische Form: −ν A A − ν B B − ⋯ − ν Ed Ed + ν Pr Pr + …+ν M M + ν N N = 0 ∑ νJ J = 0 . In abgekürzter Form (s. Kapitel Stöchiometrie): J Gleichung (6-24) zeigt, dass die Reaktions-Gibbsenergie ∆rG chemischen Potenziale dargestellt werden kann. ∆µ = ∆rG = als Summe der ∑ νJ µJ (6-24) J Findet die Reaktion nicht im Standardzustand statt, so haben wir als Reaktions-Gibbsenergie ∆rG , das ganz analog aufgebaut ist wie ∆rG . (6-31) ∑ νJ µJ ∆µ = ∆rG = J Andererseits können wir das chemische Potenzial des Stoffes J gemäss Gleichung (6-11) aus dem Standardpotenzial µJ und der Aktivität aJ aufbauen. (6-11) µJ = µJ + RT ln aJ Wir setzen (6-11) in (6-31) ein und erhalten: ∆rG = ∑ νJµJ J + RT ∑ νJ ln aJ (6-32) J Gleichung (6-32) kann umgeformt werden: ∆rG = ∑ νJµJ J Nun gilt: ∑ ln x J J + RT ∑ νJ ln aJ = J νJ ∑ νJµJ + RT ∑ ln (aJ ) J (6-33) J = ln ∏ x J . J (6-33) kann daher so geschrieben werden: ∆rG = ∑ νJµJ J νJ + RT ∑ ln ( aJ ) J νJ = ∆rG + RT ln ∏ (aJ ) (6-34) J In unserer gewohnten Schreibweise lautet (6-34): ν Pr ∆rG = ∆rG + RT ln … · (a Pr ) (a A ) νA ν ν νN · (…) … · ( a M ) M · ( a N ) · (a B ) νB (… ) ν … · ( a Ed ) ν Ed (6-35) ·… Q Der Quotient Q heisst Reaktionsquotient. 6-15 6 Chemisches Potenzial 6.8.1 Reaktionsquotient Q Die Gleichung (6-35) ist eine der wichtigsten Gleichungen in der chemischen Thermodynamik. Sie kann in verschiedenen Formen geschrieben werden. ν Pr ∆rG = ∆rG + RT ln … · (a Pr ) (a A ) νA ν ν νN · (…) … · ( a M ) M · ( a N ) · (a B ) νB (… ) ν … · ( a Ed ) ν Ed νJ (6-35) ·… ∆rG = ∆rG + RT ln ∏ ( aJ ) (6-34) ∆rG = ∆rG + RT ln Q (6-36) J 6.8.1.1 Definition des Reaktionsquotienten Q Q ist der Quotient, der als Faktoren die Aktivitäten hoch ihre stöchiometrischen Zahlen (die positiv oder negativ sein können) aller Reaktionsteilnehmer enthält. Seine Definition ist: N Q = νJ ∏ (aJ ) . (6-37) J=A Q > 0 Stoffaktivitäten sind immer positiv. [Q ] = 1 Stoffaktivitäten haben immer die Einheit 1. Der Reaktionsquotient ist keine feste Grösse einer Reaktion, er ändert seinen Wert im Ablauf einer Reaktion stetig. 6.8.1.2 Reaktions-Gibbs-Energie Sie wird am Einfachsten mit der Gleichung (6-36) beschrieben: ∆rG = ∆rG + RT ln Q . Gerade G°(ξ), Steigung: ∆rG° ∆G° G Mischungs-Gibbsenergie G°mix aus RTlnQ(ξ) Figur 6.6 6-16 ∆rG beschreibt den energetischen (Arbeit) Ablauf eines Reaktionssystems: Von seinem Start mit nur Reaktanten über alle Zwischenzustände mit variierender Produkte/Reaktantenmischung bis zum Gleichgewichtszustand und über diesen hinaus bis zum Ende, wo es nur noch Produkte gibt. Der ganze Durchlauf ist über ∆ξ = 1mol Stoffumsatz normiert. ∆rG ist die Steigung der Kurve: G ( ξ ) , die ein Minimum durchläuft und somit zwei Äste hat, einer mit negativer, der andere mit positiver Steigung (s. Figur 6.7). Q Standard-Gibbs-Energie und Reaktionsablauf Obere Kurve: ∆G ist die Differenz der Gibbs-Energien ungemischter Produkte und ungemischter Reaktanten. ∆rG ist die Steigung dieser Geraden G ( ξ ) mit ∆ξ = 1 Mol Stoffumsatz. Ohne Mischung würde die Gibbs-Energie jeder Reaktion linear abnehmen, bis nur noch Reaktanten blieben. Untere Kurve: Der Beitrag durch die Mischung von Reaktanten und Produkten ist die Mischungs-Gibbs-Energie: RT·lnQ. (6-36) Der Mischungsterm: Die Aktivitäten der Reaktanten nehmen im Reaktionsablauf ab, die der Produkte zu, das ändert den Wert des Quotienten Q in Gleichung (6-35) kontinuierlich, von (hypothetisch) unendlich bis (hypothetisch) null. Mischen liefert Arbeit ( ∆mixG ): Das Mischen reiner Stoffe liefert Enthalpie (Mischungsenthalpie) und vergrössert immer die Entropie. Die Mischungs-Gibbsenergie aus Mischenthalpie und Mischentropie ist: ∆mixG = ∆mix H − T ·∆mixS . (6-38) Die sich im Reaktionsablauf ändernde Mischung liefert eine sich ändernde Misch-Gibbs-Energie, welche die Gerade: G ( ξ ) in Figur 6.6 zur Kurve: G ( ξ ) in Figur 6.7 mit einem Minimum verformt. lnQ natürlicher Logarithmus des Reaktionsquotienten. Q > 1: lnQ > 0. 0 < Q < 1: lnQ < 0. 6.8 Gibbs-Energie, chemisches Potenzial und Gleichgewicht Macht aus dem reinen Zahlenwert lnQ die entsprechende molare –1 Grösse ∆rG . [RT ] = J mol . RT Figur 6.7 G Tangenten: ∆ G(ξ) r Kurve G(ξ) ∆G<0 ∆G>0 r r ξ ξ ξ min eq ξ max Gibbs-Energie und Reaktionsablauf Die Superposition der beiden Funktionen in Figur 6.6 ergibt die Kurve G ( ξ ) . Sie hat die von ξ abhängige Steigung ∆rG . Beim Minimum der Gibbs-Energie ist die Steigung der Tangente null. Dieser Ort hat eine bestimmte Zusammensetzung aller Reaktionsteilnehmer: Die Gleichgewichts-Zusammensetzung mit dem Wert K. Wo immer eine Reaktion startet, sei es von links oder von rechts, sie wird am tiefsten Ort enden. ∆ G(ξ ) = 0 r eq 6-17 6 Chemisches Potenzial 6.9 Jedes System ist bestrebt, energetisch ein Minimum zu erreichen. Das bedeutet aber gleichzeitig, dass dann die Gesamtentropie maximal wird. Gleichgewichtskonstante Die Gibbs-Energie G ( ξ ) quantifiziert den Arbeitsvorrat eines Reaktionssystems im Reaktionsablauf, und jedes System ist bestrebt, energetisch ein Minimum zu erreichen. Der Ort minimaler Gibbs-Energie ist das Gleichgewicht (equilibrium, eq). Wir finden ihn, wenn wir die Steigung der Funktion ∆rG gleich null setzen: ∆rG = dG dξ = 0 . Dabei erhalten wir mit Q = Qeq für Gleichung (6-36): 0 = ∆rG + RT ln Qeq . (6-39) Der Gleichgewichtszustand hat eine herausragende Bedeutung. Es macht daher Sinn, für diesen Spezialfall von Q ein eigenes Symbol zu wählen: K. Die Konstante ist definiert für Aktivitäten im chemischen Gleichgewicht. ν K = ∏ aJ J J (6-40) Gleichgewicht Nach Einsetzen von K anstelle von Qeq in Gleichung (6-39) erhalten wir die Formel zu ihrer Berechnung aus thermodynamischen Daten: ln K (T ) = −∆rG (T ) RT (6-41) Die Gleichung (6-41) liefert den Zusammenhang zwischen thermodynamischen Daten der an der Reaktion beteiligten Stoffe ∆rG (T ) aus ∆fG Werten und der Gleichgewichtskonstante K. Diese beschreibt das Verhältnis aller Speziesaktivitäten im Gleichgewicht. Figur 6.6 und Figur 6.7 veranschaulichen die Gibbs-Energie-Grössen im gesamten Reaktionsablauf einer beliebigen Reaktion. ∆rG° > 0 ∆rG° < 0 6.9.1 ⇔ ⇔ K < 1, Reaktion endergonisch K > 1, Reaktion exergonisch pK-Wert Viele Gleichgewichtskonstanten sind entweder extrem gross oder extrem klein. Um bei extrem kleinen Konstanten nicht immer die Minuszeichen zu tabellieren, sind oft ihre negativen Logarithmen notiert. Für das «negativer Logarithmus von» steht der Buchstabe p, ein Operator einer Zahl. Definition: 6.9.2 pK : = − log10 K (6-42) Reaktionssysteme Ein Gleichgewicht ist ein absolut stabiler Zustand. Aus ihm heraus bewegt sich nichts, es sei denn, man investiere von aussen Energie. Interessant sind Systeme, die nicht im Gleichgewicht sind. Für solche Systeme gilt: sie bewegen sich alle in Richtung des Gleichgewichts. 6-18 6.9 Gleichgewichtskonstante Die Systeme in der Natur (insbesondere die biologischen) sind nicht im Gleichgewicht. Sie benötigen einen konstanten Energiezufluss (letztlich immer Sonnenenergie), um im Ungleichgewicht gehalten zu werden und sobald dieser aufhört, beginnen sich diese Systeme in Richtung Gleichgewicht zu bewegen. Das Verhältnis Q/K liefert uns eine Aussage darüber in welche Richtung sich ein Reaktionssystem bewegt. Q kann durch Messungen der Grössen pB, xB und cB ausgerechnet werden. K berechnet man aus tabellierten Standardwerten nach Gleichung (6-41). Der Quotient der beiden Werte liefert die Antwort auf unsere Frage: Q <1 ⇒ K Q >1 ⇒ K Q ≈1 ⇒ K ∆rG < 0 : Reaktion spontan von links nach rechts ∆rG > 0 : Reaktion spontan von rechts nach links (6-43) ∆rG ≈ 0 : Reaktion ca. im Gleichgewicht 6.9.3 Abhängigkeiten der Gleichgewichtskonstante 6.9.3.1 Druckabhängigkeit So wie hier die Gleichgewichts-Konstante definiert wurde und auf der Standard-Reaktions-Gibbs-Energie bei Standarddruck basiert, ist sie nicht druckabhängig. In diesem Basis-Kurs wird dies immer so gehandhabt2. Dies darf jedoch nicht verwechselt werden mit einem druckabhängigen Gleichgewicht (s. Kap. 10, Prinzip von LeChatelier)! Gleichgewicht und Gleichgewichtskonstante sind nicht dasselbe. 6.9.3.2 Temperaturabhängigkeit Die Gleichgewichtskonstante ist von der Temperatur abhängig; in vielen Fällen recht stark. Die Gleichung: : d ln K (T ) = − 1 ·∆ H R r 1 T (T ) · d gilt unter der Annahme einer über das Temperaturintervall konstanten Reaktionsenthalpie und ergibt integriert und nach lnK(T2) aufgelöst: ln K (T2 ) = ln K (T1 ) − 2 ∆rH 1 1 − R T2 T1 (6-44) Die Gleichgewichtskonstante ist in guter Näherung druckunabhängig, wenn mindestens ein gasförmiger Stoff im Gleichgewicht vorkommt. Sind hingegen nur kondensierte oder gelöste Stoffe an einem Gleichgewicht beteiligt, so kann – wegen anderer Konventionen – eine Druckabhängigkeit der Konstante resultieren. 6-19 6 Chemisches Potenzial Beispiel 6.4 Die Bleibatterie im Gleichgewicht a) Berechne die Gleichgewichtskonstante der Reaktion der Bleibatterie (TR). b) Man formuliere den Reaktionsquotienten im Gleichgewicht. c) Man berechne die Gleichgewichtskonzentration von H2SO4(aq) im GG. d) Welche Spannung hat die Batterie im Gleichgewicht, und wie viel Strom kann man ihr noch entnehmen? Die Reaktionsgleichung ist: − Pb ( s ) − PbO2 ( s ) − 2 H2SO4 ( aq ) + 2 PbSO4 ( aq ) +2 H2O ( l ) = 0 Lösung a) Wir nehmen Gleichung (6-42) und das in Bsp. 5.5 zu dieser Reaktion berechnete Resultat der Reaktions-Gibbs-Energie bei TR: ( 25 °C ) = −394.27 k J mol-1 −∆rG ( 25 °C ) − ( −394.27 ) kJ mol -1 = log K ( 25 °C ) = -1 -1 ∆rG 5.708 kJ mol 5.708 kJ mol = 69.1 K = 1069.1 = 1.2·1069 –1 –1 –2 b) K = a Pb, s ·a PbO , s ·a H SO 2 4 ,aq 2 2 ·a PbSO ·a 2 , s H O, l 4 2 c) Für die Aktivitäten von Festkörpern und Flüssigkeiten setzt man: x = 1. • −2 –1 –1 K = x Pb, s · x PbO , s · cH SO 2 • cH SO 2 4 ,aq −1 2 = (K ) 2 4 , aq • −2 2 · x PbSO ·x2 = 1·1· cH SO , s H O, l ≈ 3·10−35 ; 4 2 cH SO 2 4 , aq 2 4 , aq ·1·1 = 1.2·1069 ≈ 3·10−35 M . d) Im Gleichgewicht sind alle Potenzialdifferenzen null, also auch die elektrische, es fliesst also kein Strom! Eine Batterie im Gleichgewicht ist «leer». 6-20