Hessischer Rundfunk

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Hessischer Rundfunk
Hörfunk – Bildungsprogramm
Redaktion: Dr. Regina Oehler
WISSENSWERT
Der Schachtelhalm
Fast ein lebendes Fossil
Von Diemut Klärner
Sendung: 29.03.2006, 8:30 bis 8:45 Uhr, hr2
Wiederholung: 06.03.2007, 8:30 bis 8:45 Uhr, hr2
06-041
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Rundfunks.
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Schachtelhalme sind Pflanzen mit langer Geschichte. Schon zur Zeit der Dinosaurier waren
sie uralt, und sie haben sich seither kaum verändert. Schachtelhalme lassen sich also
fast als "Lebende Fossile" betrachten. Allerdings machen sie sich keineswegs rar. Manche
sind geradezu Feld-, Wald- und Wiesengewächse. Oft wachsen sie unbemerkt am
Wegrand, gut versteckt zwischen ebenso grünen Grashalmen.
O-Ton 01
Aber der Halm bei den Schachtelhalmen ist gegliedert, man kann ihn also an den
Knoten auseinanderreißen und im Grunde in diese Blattscheiden, aus denen man
die Stängelstücke rauszieht, auch wieder reinstecken. Also man kann das Ganze
wieder zusammensetzen wie mit Legosteinen. Und die Blätter sind winzig klein,
man sieht sie normalerweise gar nicht, und sind zu Scheiden verwachsen, zu so
tütenförmigen Scheiden, die um den Stängel gehen und, wie gesagt, nur
Millimeter-Größe haben.
Dr. Michael Schwerdtfeger arbeitet als Wissenschaftler im Botanischen Garten der
Universität Göttingen. Dort sind fast alle Arten von Schachtelhalmen versammelt, die
derzeit auf der Erde wachsen. Sehr viele sind das nicht, Botaniker unterscheiden nur
etwa zwei Dutzend Arten.
Die stattlichsten Schachtelhalme sind im tropischen Amerika zu Hause. Dort werden sie
mehrere Meter hoch - allerdings nur dann, wenn sie sich im Geäst von Bäumen
emporhangeln können. Dass Schachtelhalme aus eigener Kraft so weit in die Höhe
wuchsen, ist lange her.
O-Ton 02
Also im Karbon, vor 300 Millionen Jahren, da gab es Schachtelhalme ja viele,
viele Meter hoch, mit dicken Stämmen. Und die sind teilweise dafür verantwortlich,
dass die Steinkohle entstanden ist. Die Steinkohle besteht also teilweise aus
solchen ausgestorbenen Schachtelhalmverwandten.
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Deren urtümlichste Vertreter wuchsen vor mehr als 300 Millionen Jahren, als gerade die
ersten Vierbeiner an Land gekrochen waren. Auch damals waren es schon typische
Schachtel-Halme, aus vielen ineinander geschachtelten Teilen zusammengesetzt.
Atmo Auseinanderzupfen
Von Anfang an dasselbe Baukastensystem. Allerdings hätten sich die baumhohen
Exemplare mit ihren dicken Stämmen und reich verzweigten Kronen nicht so leicht
auseinander zupfen lassen.
Daneben wuchsen in der Steinkohlenzeit auch zahlreiche zierliche Schachtelhalmgewächse.
Anders als heutige Schachtelhalme hatten die fossilen Arten meist ansehnliche Blätter,
teils nadelartig schmale, teils keilförmige oder auch tief zerschlitzte.
Doch so vielgestaltig die Schachtelhalmgewächse einst waren, zur Zeit der Dinosaurier
war ihre Blütezeit bereits vorbei. Wenn man überhaupt von Blütezeit sprechen kann, denn
Schachtelhalme blühen ja eigentlich nicht.
O-Ton 03
Sie blühen überhaupt nicht, es sind natürlich Sporenpflanzen, die sich wie die
Farne oder wie die Moose durch mikroskopisch kleine Sporen vermehren. Und
wie fast alle Pflanzen - und das ist, finde ich, immer sehr faszinierend, der große
Unterschied zu den Tieren - wie fast alle Pflanzen können sich die Schachtelhalme
geschlechtlich vermehren über die Sporen und ungeschlechtlich in dem Fall - und
das kennt jeder Gartenbesitzer - durch die Ausläufer, die sie alle machen. Also
Schachtelhalme können sehr schön sein, manche sind auch sehr gartenwürdig,
aber alle, wo man sie einmal hat und wo sie sich wohlfühlen, machen sie
unterirdische Ausläufer, mit denen sie sich verbreiten.
Die Ausläufer des Acker-Schachtelhalms wachsen oft mehr als spatentief in der Erde.
Hacke und Pflug können dem Acker-Schachtelhalm deshalb wenig anhaben. Im nächsten
Frühjahr treibt er prompt wieder aus, oft schon im März, wenn in Gräben und Teichen
die Grasfrösche rumoren.
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Atmo Grasfrosch
Die spannenlangen Stängel, die dann aus der Erde sprießen, sind allerdings nicht grün,
sondern blass bräunlich, und ihre Spitzen gleichen kleinen Tannenzapfen. Dort reifen
staubfeine Sporen heran. Sobald sie ausgestreut sind, verwelken die bleichen Stängel
und machen Platz für grüne Sprosse.
Bei anderen Arten sind alle Triebe gleichermaßen grün, ob sie nun Sporen produzieren
oder nicht.
Auf jeden Fall ist die Fortpflanzung bei den Schachtelhalmen eine ziemlich verwickelte
Sache, wie Michael Schwerdtfeger bestätigt.
O-Ton 04
Ja das ist ein bisschen kompliziert, aber auch sehr spannend, genau wie bei den
Farnpflanzen, das ist also vergleichbar. Die Sporen werden freigesetzt, die Sporen
sind mikroskopisch klein, also wie Staubkörner fliegen sie durch die Luft, und
wahrscheinlich ist das auch der Grund dafür, dass die Schachtelhalme so weit
verbreitet sind. Diese Sporen können also mühelos Hunderte und Tausende von
Kilometern verbreitet werden mit Luftströmungen. Die fallen irgendwo hin und
wachsen dann aus zu einem kleinen Vorkeim. Und dieser Vorkeim hat erst einmal
nichts mit dem Schachtelhalm, der hinterher vor uns steht, zu tun.
So ein Vorkeim ist eine Pflanze für sich, ein verzweigtes grünes Gebilde, einem
Lebermoos ähnlich, aber nur millimetergroß.
O-Ton 05
Auf diesen Vorkeimen entstehen weibliche Geschlechtsorgane mit Eizellen und
männliche Geschlechtsorgane, die Samenzellen produzieren. Und diese
Samenzellen sind beweglich, die können also mit einer Geißel schwimmen, so
wie unsere Spermien auch, und zum Schwimmen braucht man natürlich Wasser.
Also die Schachtelhalme sind sowieso an eher feuchte Lebensräume gebunden,
aber vor allen Dingen für diese Befruchtung auf diesem Vorkeim braucht man
tatsächlich richtig flüssiges Wasser, nicht nur feuchte Luft oder feuchten Boden.
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Aus der befruchteten Eizelle kann dann ein neuer Schachtelhalm heranwachsen,
vorausgesetzt, das Terrain erweist sich als tauglich. Am anspruchslosesten zeigt sich der
Acker-Schachtelhalm. Solange er in tiefen Bodenschichten genügend Feuchtigkeit findet,
kann er in Feld und Wald gleichermaßen zurechtkommen und sogar aus dem Schotter
von Bahndämmen hervorsprießen.
Feuchter und schattiger mag es der Wald-Schachtelhalm.
Atmo Waldquelle
Er wächst im Wald gern an Quellen und sumpfigen Stellen. Verglichen mit dem
Acker-Schachtelhalm wirkt er graziler, denn seine Sprosse sind fein verästelt.
O-Ton 06
Genau, der Wald-Schachtelhalm ist ein sehr hübscher, der eben viel stärker
verzweigt ist als der Ackerschachtelhalm, hat etwa die gleiche Höhe und kommt
an feuchten Waldwegen vor und ist, wie Sie sagen, viel stärker verzweigt, und
diese Zweige hängen dann so elegant über, also das sieht dann manchmal aus
wie so ein kleines Tannenbäumchen
oder wie viele kleine Tannenbäumchen. Ein Wald-Schachtelhalm kommt selten allein,
denn aus den langen unterirdischen Ausläufern wachsen immer gleich mehrere grüne
Sprosse.
Solchen Sprossen mit vielen dünnen Seitenzweigen verdankt die Gattung der
Schachtelhalme den wissenschaftlichen Namen Equisetum, was sich mit Pferdehaar oder
Pferdeschwanz übersetzen lässt. Dekorativ sind jedoch nicht nur filigran verzweigte Arten
wie der Wald-Schachtelhalm, Equisetum sylvaticum.
(sprich: Ekwi'setum sil'watikum)
O-Ton 07
Mein Favorit ist der Winter-Schachtelhalm, auch ein weltweit verbreiteter
Schachtelhalm, der nicht so verzweigte Triebe hat wie der Acker-Schachtelhalm,
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sondern eigentlich ganz und gar unverzweigte, ja wie Bleistifte stehen die also
senkrecht in der Landschaft in großer Zahl, und das kann dann sehr skurril
aussehen oder auch sehr vorsintflutlich. Also da kann man sich im Grunde den
Dinosaurier in solchen Beständen ganz gut vorstellen. Dunkelgrüne, manchmal fast
schwarzgrüne Triebe und wintergrün, deswegen heißt der Winter-Schachtelhalm
eben Winter-Schachtelhalm. Und das ist eine sehr, sehr schöne Pflanze für den
Gartenteich, allerdings, wie bei jedem Schachtelhalm, er breitet sich ein bisschen
aus. Also für Menschen, die ganz ordentlich ihren Gartenteich bepflanzt haben
und wo jede Pflanze ihren Zentimeter zugewiesen hat, dafür ist das nichts.
Es sei denn, man setzt den Winter-Schachtelhalm in einen Plastikkübel. Auch derart
eingesperrt bildet er hüfthohe Stängel aus. Um im Winter nicht schlapp zu machen,
müssen diese schlanken Röhren sehr stabil gebaut sein. Doch auch Schachtelhalmsprosse, die nur einen Sommer überdauern, fühlen sich auffallend hart und rau an.
Und das aus gutem Grund, weiß Michael Schwerdtfeger.
O-Ton 08
Die ganze Gattung Schachtelhalm heißt auch Zinnkraut, weil sie ja zum Polieren
von Metall benutzt wurde. Die Schachtelhalme ja sehr stark kieselsäurehaltig, im
Grunde ist es das dasselbe Material wie Quarz oder wie Glas. Also Siliziumdioxid
ist da in großen Mengen eingelagert, und deswegen sind diese Sprosse so hart
und so rau. Und man kann sie also tatsächlich benutzen, um damit Metall
blankzuputzen und man kann zum Beispiel, wenn man den Winter-Schachtelhalm
am Teich hat, finde ich, ist es immer sehr faszinierend, man kann sich mit diesen
Halmen die Nägel feilen.
Atmo Feilen
Was tatsächlich funktioniert, die rauen Halme taugen für Feinarbeit an Fingernägeln. Kein
Wunder, dass Pflanzenfresser nicht gern auf Schachtelhalmen herumkauen. Der
Sumpf-Schachtelhalm enthält darüber hinaus auch Giftstoffe, die ihn für Rindvieh
unbekömmlich machen. Die Moor- und Sumpf-Wiesen, auf denen er gedeiht, sind jedoch
ohnehin kein sonderlich wertvolles Weideland.
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Während sich der Sumpf-Schachtelhalm gern von der Sonne bescheinen lässt, wächst
der Riesen-Schachtelhalm lieber im Schatten des Waldes. Bis zu zwei Meter hoch, ist
er der Stattlichste unter den hiesigen Schachtelhalmen. Sein elfenbeinfarbener Stengel
kontrastiert hübsch mit dem schwarzen Saum der Blattscheiden und den zarten grünen
Seitenzweigen.
O-Ton 09
Der ist extrem dekorativ, ist aber auch ein arger Wucherer. Einerseits, wo man
ihn einmal hat, kann man ihn nicht kontrollieren. Er wuchert also so stark wie
der Acker-Schachtelhalm oder noch schlimmer im Grunde genommen. Wo man
ihn aber nicht hat und ihn haben will, ist er sehr schwer anzusiedeln,
denn wer ihn verpflanzen will, muss oft zwei Meter tief graben. In dieser Tiefe wachsen
unterirdische Ausläufer mit kleinen Knollen, in denen der Riesen-Schachtelhalm
Nährstoff-Reserven speichert. Solche Ausläufer mit Knollen gilt es zu erwischen, und das
ist leichter gesagt als getan.
O-Ton 10
Es haben schon öfter Menschen mit größeren Gärten, die also Parks ihr eigen
nennen, die haben dann gesagt, ich hätte gerne diesen Riesen-Schachtelhalm.
Und wir haben dann versucht, was auszugraben, und das ist meistens nicht
gelungen.
Schließlich können die Gärtner im Botanischen Garten keine regelrechte Baugrube
ausheben.
In freier Natur derart herumzubuddeln, verbietet sich ohnehin. Ist auch nicht nötig, denn
einige Gärtnereien haben in ihrem Sortiment auch passende Schachtelhalme für den
Gartenteich. Aus Nordamerika stammt beispielsweise eine imposante Variante des
Winter-Schachtelhalms mit mannshohen Sprossen.
O-Ton 11
–7–
Für den Gartenteich gibt es aber auch einen, das ist Equisetum scirpoides, der
kommt zum Beispiel in Nordeuropa vor und in England und Schottland gibt es
den, bei uns aber leider nicht. Das ist der Kleinste aller Schachtelhalme, da sind
die Halme fadendünn und nur zehn Zentimeter hoch. Und das ist im Grunde ein
niedlicher Kontrast, den ich zu Hause am Gartenteich habe, den großen
Winter-Schachtelhalm und zu dessen Füßen einen Rasen von dem Kleinsten aller
Schachtelhalme.
Fast eine Idylle aus längst vergangenen Erdzeitaltern, wären da nicht die Blumen und
Bäume im Hintergrund. Der Konkurrenz moderner Blütenpflanzen zeigen sich die
urtümlichen Schachtelhalme eben doch nur selten gewachsen. Unter anderem dehalb, weil
sie ihren Nachwuchs weder vor Austrocknung schützen noch ihm Nährstoffpakete mitgeben
können.
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