Sozialauswahl – Erhaltung von Altersgruppen und Altersstruktur

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Sozialauswahl – Erhaltung von Altersgruppen und
Altersstruktur
Landesarbeitsgericht Berlin
Az: 13 Sa 2208/06
Urteil vom 13.04.2007
Leitsatz:
Die Erhaltung einer ausgewogenen Altersstruktur durch Altersgruppen bei der Sozialauswahl stellt eine
Rechtfertigung einer möglichen Benachteiligung wegen des Alters im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie
2000/78/EG dar.
In Sachen hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, 13. Kammer, auf die mündliche Verhandlung
vom 13. April 2007 für Recht erkannt:
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 8. November 2006 - 7 Ca
13090/06 - wird auf seine Kosten bei einem Streitwert von 8.384,28 EUR in beiden Instanzen zurückgewiesen.
II. Die Revision wird für den Kläger zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung vom 23. Juni 2006, zugegangen
am 27. Juni 2006, zum 31. Januar 2007, das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses und - eventualhilfsweise die Weiterbeschäftigung des Klägers.
Der am .... 1959 geborene ledige Kläger war seit dem 26. Juni 1986 bei der Beklagten beschäftigt und
verdiente als Maschinenbediener in Lohngruppe 2,5 zuletzt durchschnittlich 2.540,69 EUR brutto im Monat.
Die Beklagte, Zulieferbetrieb für die Automobilindustrie, beschäftigte in ihrem Berliner Werk am 01. Januar
2006 453 Arbeitnehmer. Ein Auftragsrückgang ließ im gewerblichen Bereich 80 Stellen entfallen, was bei
Berücksichtigung der natürlichen Fluktuation einen Personalabbau von 66 Mitarbeitern erforderlich machte.
Die Beklagte vereinbarte mit dem Betriebsrat am 12. Mai 2006 einen Interessenausgleich (vergl. dazu den
Interessenausgleich in Kopie Bl. 12 - 14 d. A.), dessen Anlage 1 eine Personalbedarfsberechnung, bezogen auf
den Arbeitsplatzwegfall des jeweiligen Bereichs und der entsprechenden Beschäftigungsgruppe, darunter unter
anderem der Tätigkeitsgruppen Maschinenbediener und Montierer enthielt. Im Bereich der Maschinenbediener
sollten 32 Arbeitsplätze entfallen. Als Anlage 2 war dem Interessenausgleich eine Namensliste (vergl. dazu die
Namensliste in Kopie Bl. 16 - 17 d. A.) mit den Namen von insgesamt 66 von der Personalmaßnahme
betroffenen Arbeitnehmern, davon 29 Maschinenbediener (Lohngruppen 2,5 oder 3) und 37
Montiererinnen/Montierern (vorwiegend Lohngruppe 2) beigefügt, auf der sich unter Nummer 10 auch der
Name des Klägers befand.
In einer Anlage 3 zum Interessenausgleich vereinbarten die Betriebsparteien eine Unabkömmlichkeitsliste
(vergl. dazu die Unabkömmlichkeitsliste in Kopie Bl. 18 d. A.) von 22 Arbeitnehmern, darunter unter anderem
die Montierer I. S.,
M. Sch., L. B. und H. J. und die Maschinenbediener M. Chr. und N. S..
Bei unvorhersehbaren Austritten sollte nach Ziffer 4 Abs. 2 des Interessenausgleichs der Arbeitnehmer von der
Namensliste genommen werden, der innerhalb der vergleichbaren Mitarbeiter und zugehörigen
Bewertungsgruppe die höchste Bewertung hatte.
Ebenfalls am 12. Mai 2006 vereinbarte die Beklagte mit dem Betriebsrat einen Sozialplan, die Errichtung einer
Transfergesellschaft und eine Sozialauswahlrichtlinie mit einem Punkteschema. Darin ist unter anderem
bestimmt:
" - Pro Beschäftigungsjahr erhält der Arbeitnehmer 2 Punkte
- Für jedes Lebensjahr erhält der Arbeitnehmer 1 Punkt, maximal 50 Punkte
- Für jedes unterhaltsberechtigte Kind erhält der Arbeitnehmer 10 Punkte, für jede andere unterhaltsberechtigte
Person 5 Punkte. Maßgebend ist der Lohnsteuereintrag vom Stichtag (Abschlussdatum), es sei denn, es werden
bis zum 05. Mai 2006 durch entsprechende Unterlagen abweichende Verhältnisse nachgewiesen.
- Arbeitnehmer mit einem Schwerbehinderungsgrad von bzw. mehr als 50 % oder Gleichgestellte erhalten 10
Punkte" (vergl. die Sozialauswahlrichtlinie in Kopie Bl. 27 d. A.).
Erhebliche Personalreduzierungen seit Anfang der neunziger Jahre begründeten einen Altersdurchschnitt in der
Fertigung der Beklagten von 48,7 Jahren. Ca. 75 % der Belegschaft waren 41 Jahre und älter. Bei einem
vorgefundenen Altersdurchschnitt sämtlicher Mitarbeiter in der Fertigung von 48,7 Jahren bzw. in der
Beschäftigtengruppe der Maschinenbediener von 47,4 Jahren und einem Anteil von ca. 75 % der Arbeitnehmer
mit einem Lebensalter von 41 Jahren und darüber hätte eine Sozialauswahl ohne Altersgruppenbildung
anlässlich eines Personalabbaus in der vorgesehenen Größenordnung von 22 % der 300 gewerblichen
Mitarbeiter in der Fertigung die Beklagte nahezu ihres gesamten Nachwuchses beraubt. Nach den
Berechnungen der Beklagten hätte dies zu einer noch weitergehenden Überalterung der Mitarbeiterstruktur,
nämlich zu einem Altersdurchschnitt von 50,5 Jahren geführt, den die Beklagte angesichts der schlechten
Auftragslage nicht mehr durch Neueinstellungen hätte ausgleichen können. Bei der zur Erstellung der
Namensliste in ständiger Rücksprache mit dem Betriebsrat entsprechend der Auswahlrichtlinie durchgeführte
Sozialauswahl wurden deshalb zur Sicherung einer ausgewogenen Altersstruktur innerhalb der jeweiligen
Beschäftigungsgruppen der Maschinenbediener und Montierer jeweils 5 Altersgruppen gebildet. Hierbei
handelte es sich um die Gruppen derjenigen bis 30 Jahre, derjenigen ab 31 - 40 Jahre, derjenigen ab 41 - 50
Jahre, derjenigen ab 51 - 60 Jahre und derjenigen ab 61 Jahre Lebensalter.
Der Kläger fiel in die Altersgruppe der 41 - 50 Jahre alten Arbeitnehmer (vergl. die Auflistung der
Sozialauswahldaten und Sozialpunkte der Maschinenbediener dieser Altersgruppe Bl. 28 d. A. sowie die Daten
sämtlicher Arbeitnehmer sämtlicher Altersgruppen der Maschinenbediener und Montierer Bl. 176 ff d. A.). Bei
ihm wurden ein Lebensalter von 47 Jahren (47 Punkte) und eine Beschäftigungsdauer von 19 Jahren (38
Punkte), jedoch keine Unterhaltspflichten berücksichtigt, weshalb ihm 85 Punkte berechnet wurden.
42 Arbeitnehmer erklärten sich in der Folgezeit bereit, in die Transfergesellschaft zu wechseln. 11
Arbeitnehmer, die teilweise nicht auf der Namensliste standen, erklärten sich freiwillig mit der Beendigung des
Arbeitsverhältnisses einverstanden. Am 09. Juni 2006 vereinbarten die Betriebspartner eine Protokollnotiz als
Anlage 2 zum Interessenausgleich-Namensliste (vergl. die Protokollnotiz in Kopie Bl. 71 d. A.), wonach 9
Arbeitnehmer von der Namensliste genommen wurden, darunter der Maschinenbediener/Einrichter V. I. und
der Maschinenbediener S. A. (119 Punkte). Im Ergebnis wurden noch 13 Kündigungen ausgesprochen.
Der Kläger teilte der Personalleiterin der Beklagten kurz nach Abschluss des Interessenausgleichs und noch
vor Kündigungsausspruch mit, dass er seine Eltern in der Türkei unterstützen müsse, da diese über kein
Einkommen verfügten, und dass er deshalb auf den Arbeitsplatz dringend angewiesen sei.
Der mit Schreiben vom 19. Juni 2006 (vergl. dazu das Anhörungsschreiben in Kopie Bl. 29 - 30 d. A.)
angehörte Betriebsrat stimmte am 19. Juni 2006 der Kündigung des Klägers zu.
Mit Schreiben vom 23. Juni 2006, welches der Kläger am 27. Juni 2006 erhielt, kündigte die Beklagte das
Arbeitsverhältnis zum 31. Januar 2007 (vergl. das Kündigungsschreiben in Kopie Bl. 4 d. A.). Hiergegen
richtet sich die am 13. Juli 2006 beim Arbeitsgericht Berlin eingegangene Klage.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 23. Juni 2006
zum 31. Januar 2007 nicht aufgelöst worden ist, sondern fortbesteht,
hilfsweise für den Fall, dass dem Antrag nicht stattgegeben wird,
die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu
unveränderten Arbeitsbedingungen als Maschinenführer weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht Berlin hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass der
allgemeine Feststellungsantrag bereits unzulässig sei, da keine weiteren Kündigungen oder
Beendigungstatbestände außer der separat angegriffenen Kündigung vom 23. Juni 2006 vorgetragen oder sonst
erkennbar seien. Die Kündigungsschutzklage sei unbegründet. Denn die Kündigung sei gemäß § 1 Abs. 5 S. 1
i.V.m. Abs. 2 KSchG durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt. Der Kläger habe die nach § 1 Abs. 5
S. 1 KSchG bestehende gesetzliche Vermutung für das Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse nicht
widerlegt.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG seien erfüllt, da aufgrund eines
Personalabbaus von 66 von 453 Arbeitnehmern eine Betriebseinschränkung vorliege. Der Kläger sei auch auf
der Namensliste, die Bestandteil des Interessenausgleichs sei, unter der laufenden Nr. 10 namentlich
aufgeführt. Endlich sei die Namensliste nicht wegen des freiwilligen Ausscheidens von 11 Arbeitnehmern
ungültig geworden. Denn die Betriebsparteien hätten bereits bei Abschluss des Interessenausgleichs bedacht,
dass sich Änderungen durch unvorhergesehene Austritte ergeben könnten und dementsprechend in Zif-fer 4
Abs. 2 des Interessenausgleichs die von der Beklagten vorliegend eingehaltene Vorgehensweise vereinbart.
Das nachträgliche Ausscheiden der Mitarbeiter habe auch nicht zu einer veränderten Sachlage im Sinne von §
1 Abs. 5 S. 3 KSchG mit der Folge geführt, dass die Sätze 1 und 2 keine Geltung mehr beanspruchen könnten,
da die Beklagte ihre Absicht, die Arbeitsplätze von 66 Mitarbeitern entfallen zu lassen, keineswegs
aufgegeben, sondern nur die Anzahl der noch auszusprechenden Kündigungen auf insgesamt 13 reduziert
habe. Da die Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG vorlägen, hätte der Kläger darlegen müssen, dass
eine Beschäftigungsmöglichkeit für ihn mit Ablauf der Kündigungsfrist nicht wegfallen werde. Dies habe er
unter anderem deswegen nicht vermocht, weil er nicht konkret behauptet habe, dass zum Kündigungstermin
freie Arbeitsplätze vorhanden seien.
Die Kündigung sei auch nicht wegen fehlerhafter Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG unwirksam, da nach
dem Maßstab von § 1 Abs. 4 und Abs. 5 KSchG keine grobe Fehlerhaftigkeit bei der Sozialauswahl vorliege.
Die Beklagte habe Altersgruppen bilden dürfen, da sie ansonsten von einem Altersdurchschnitt in der
Fertigung von 48,7 auf einen Altersdurchschnitt von 50,5 Jahren gehoben und ihres gesamten Nachwuchses
beraubt worden wäre, der wegen der schlechten Auftragslage durch Neueinstellungen nicht mehr ausgleichbar
sei. In der Gruppe der Maschinenbediener hätte sich dies noch gravierender ausgewirkt.
Grobe Fehler bei der Gewichtung der Sozialauswahlkriterien Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter,
Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung seien nicht zu ersehen. Die Betriebsparteien hätten auch zulässig
eine Stichtagsregelung einführen dürfen und Nachweise für Unterhaltspflichten verlangen dürfen, sofern diese
von den Lohnsteuerunterlagen abwichen, da dies zur betrieblichen Handhabbarkeit nötig gewesen sei.
Danach seien dem Kläger 85 Sozialpunkte zutreffend zuerkannt worden, da die Unterhaltspflichten gegenüber
seinen Eltern wegen der fehlenden Nachweise zum 05. Mai 2006 ebenso wenig berücksichtigt werden konnten
wie weitere 2 Punkte für die Dauer der Betriebszugehörigkeit, da der Kläger erst nach Abschluss des
Interessenausgleichs das zwanzigste Jahr seiner Betriebszugehörigkeit vollendet habe. Sämtliche anderen vom
Kläger als sozial nicht schutzwürdiger bezeichneten Personen seien mit diesem entweder nicht vergleichbar, da
sie zum Beispiel Montierer und nicht wie der Kläger Maschinenbediener seien, oder wiesen eine höhere
Sozialpunktzahl auf.
Die Betriebsratsanhörung sei ordnungsgemäß erfolgt. Die Beklagte habe den Betriebsrat nicht über die
Unterhaltszahlungen des Klägers an seine Eltern unterrichten müssen, da das darauf weder aus ihrer
subjektiven noch aufgrund der Regelungen in der Sozialauswahlrichtlinie objektiven Sicht darauf ankam, da
der Kläger dies durch Unterlagen nicht nachgewiesen hätte.
Endlich sei vom Vorliegen einer nach § 17 KSchG ordnungsgemäßen Massenentlassungsanzeige auszugehen,
da mit dem Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 08. Juli 2006 inzident und bestandskräftig festgestellt
worden sei, dass eine wirksame Massenentlassungsanzeige vorlag. Die Stellungnahme des Betriebsrats nach §
17 Abs. 3 S. 2 KSchG sei durch den Interessenausgleich gemäß § 1 Abs. 5 S. 4 KSchG ersetzt.
Da dem Kündigungsschutzantrag nicht stattgegeben worden sei, habe es keiner Entscheidung über den
eventualhilfsweise gestellten Beschäftigungsantrag bedurft.
Wegen der weiteren konkreten Urteilsbegründung und des Vortrags der Parteien in der ersten Instanz wird auf
das Urteil vom 08. November 2006 (Bl. 93 - 119 d. A.) verwiesen.
Gegen dieses ihm am 14. Dezember 2006 zugestellte Urteil richtet sich die beim Landesarbeitsgericht Berlin
am 29. Dezember 2006 eingegangene und am 12. Februar 2007 beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
begründete Berufung des Klägers.
Er trägt weiter vor, dass der Arbeitsplatz des Klägers nicht weggefallen sei, da sowohl in der Zeit zwischen
Kündigungszugang und Kündigungstermin als auch danach im Jahr 2007 Überstunden angeordnet und
durchgeführt sowie Leiharbeitnehmer verpflichtet worden seien.
Die Sozialauswahl sei aus mehreren Gründen unwirksam. So hätten nach der Protokollnotiz vom 09. Juni 2006
die Betriebsparteien neun Mitarbeiter im Austausch für den freiwilligen Austritt von ebenfalls neun
Mitarbeitern von der Namensliste genommen, unstreitig seien aber elf freiwillige Austritte erfolgt, ohne dass
die Beklagte dargelegt habe, um welche elf Mitarbeiter es sich gehandelt habe. Damit sei die Namensliste, die
dem Interessenausgleich beigefügt gewesen sei, zum Zeitpunkt des Ausspruchs der streitbefangenen
Kündigung nicht mehr maßgeblich gewesen und damit irrelevant.
Die Beklagte habe außerdem nach den Nachvertragsverhandlungen vom 09. Juni 2006 die Mitarbeiter nicht
strikt von den Altersgruppenlisten, sondern quer durcheinander von der Namensliste genommen. Auch hieraus
ergebe sich, dass sich die tatsächlichen Voraussetzungen, wie sie zum Zeitpunkt des Abschlusses des
Interessenausgleichs und der Erstellung der Namensliste vorgelegen haben, bis zum 09. Juni 2006 erheblich
geändert hätten.
Ferner seien die Maschinenbediener und die Montierer als angelernte Arbeitnehmer entgegen der Auffassung
des Arbeitsgerichts miteinander vergleichbar, so dass der Arbeitnehmer S. vor dem Kläger hätte gekündigt
werden müssen. Dieser stehe auch zu Unrecht auf der so genannten Unabkömmlichkeitsliste.
Schließlich habe das Arbeitsgericht zu Unrecht dem Kläger nur 85 und nicht 95 Sozialpunkte zuerkannt,
obwohl er seine Eltern unterstützt habe, denen er gegenüber unterhaltspflichtig sei, was sich auch aus der
eingereichten Unterhaltsbescheinigung vom 12. Februar 2007 ergebe (vergl. dazu die Unterhaltsbescheinigung
in Kopie Bl. 164 d. A.). Er sei daher den Arbeitnehmern I. (93 Sozialpunkte), Chr. (90 Sozialpunkte) und S.
(91 Sozialpunkte) vorzuziehen. Selbst in der Gruppe der Maschinenbediener würden aus der Altersgruppe des
Klägers noch ungekündigt Maschinenbediener weiterbeschäftigt, obwohl diese weniger Sozialpunkte als der
Kläger aufwiesen.
Endlich sei die Betriebsratsanhörung unwirksam, da dem Betriebsrat zumindest hätte mitgeteilt werden
müssen, dass der Kläger als Alleinverdiener seine Eltern in der Türkei finanziell unterstütze, und weil nach
Abschluss des Interessenausgleichs vorliegend elf Mitarbeiter freiwillig ihre Arbeitsverhältnisse beendet
hätten, mit dem Betriebsrat aber in der Nachverhandlung nur neun Arbeitnehmer erörtert worden seien.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 08. November 2006 - 7 Ca 13090/06 festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 23. Juni 2006
zum 31. Januar 2007 nicht aufgelöst worden ist, sondern fortbesteht,
hilfsweise für den Fall, dass dem Antrag stattgegeben wird,
die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu
unveränderten Arbeitsbedingungen als Maschinenführer weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Sie weist darauf hin, dass der Kläger nach wie vor nicht
dargelegt und unter Beweis gestellt habe, dass die Beschäftigungsmöglichkeit für ihn entgegen der
gesetzlichen Vermutung nicht weggefallen sei. Dafür reichten der Vortrag des Klägers zu Überstunden und
Leiharbeitnehmern nicht aus, da sich daraus unter anderem nicht die Existenz eines Dauerarbeitsplatzes
ergebe. Im Übrigen seien die Überstunden und der Einsatz von Leiharbeitnehmern durch unvorhergesehene
Sachverhalte wie verändertes Abrufverhalten von Kunden, zusätzliche Umrüstarbeiten, Maschinenausfälle,
langzeiterkrankte Mitarbeiter, Mitarbeiter in Elternzeit oder im Wehrdienst entstanden. Die Sozialauswahl sei
ordnungsgemäß erfolgt, insbesondere läge keine grobe Fehlerhaftigkeit vor. Zwar hätten die Betriebsparteien
den Austausch von neuen Mitarbeitern in der Protokollnotiz vom 09. Juni 2006 vereinbart. Erst danach seien
die freiwilligen Austritte von zwei weiteren Arbeitnehmern bekannt geworden. Für die freiwillig
ausgeschiedenen Mitarbeiter K. B. und C. B. seien die Mitarbeiter F.C. (101 Punkte) und Herr S. (99 Punkte)
von der Namensliste gestrichen worden. Dadurch sei eine zu berücksichtigende nachhaltige Veränderung der
tatsächlichen Voraussetzungen nach Abschluss des Interessenausgleichs nicht eingetreten, da dies dem
Prozedere des Interessenausgleichs entspreche.
Die Montierer und die Maschinenbediener seien von den Betriebsparteien einvernehmlich und ausdrücklich als
nicht vergleichbare Gruppen behandelt worden, was sich aus der Gruppierung in der Namensliste und aus
Anlage 1 zum Interessenausgleich deutlich ergebe. Dies sei auch nicht grob fehlerhaft, da beide Gruppen nach
unterschiedlichen Lohngruppen bezahlt und unterschiedlich eingesetzt würden.
Dementsprechend sei der Kläger auch nicht mit Herrn S. zu vergleichen, der sich zudem auf der
Unabkömmlichkeitsliste befinde. Auch die übrigen vom Kläger genannten Personen seien entweder mit
diesem nicht zu vergleichen, weil sie nicht seiner Altersgruppe angehörten, nicht zu den Maschinenbedienern
zählten, mehr Sozialpunkte aufwiesen als dieser oder auf der Unabkömmlichkeitsliste ständen.
Die Betriebsratsanhörung sei ordnungsgemäß erfolgt. Dem Betriebsrat seien weder die nicht nachgewiesene
Unterhaltsverpflichtung des Klägers für seine Eltern mitzuteilen gewesen noch die nachträglich freiwillig
ausgeschiedenen Mitarbeiter, da diese dem Betriebsrat bekannt gewesen seien.
Wegen des weiteren Vortrags der Parteien in der zweiten Instanz wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 08.
Februar 2007 (Bl. 128 ff d. A.), 20. Februar 2007 (Bl. 159 ff d. A.), 09. März 2007 (Bl. 162 ff d. A.) und 05.
April 2007 (Bl. 184 ff d. A.) sowie der Beklagten vom 16. März 2007 (Bl. 165 ff d. A.) und 13. April 2007 (Bl.
193 ff d. A.) verwiesen.
Entscheidungsgründe:
I.
Die gemäß §§ 8 Abs. 2; 64 Abs. 1, Abs. 2 Buchstabe c, Abs. 6; 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG; §§ 519; 520 Abs. 1 und
Abs. 3 ZPO fristgemäß und formgerecht eingelegte und begründete Berufung hinsichtlich der
Kündigungsschutzklage ist zulässig. Unzulässig ist die Berufung hinsichtlich des allgemeinen
Feststellungsantrages, da sich der Kläger mit der zutreffenden Begründung des Arbeitsgerichts nicht
auseinandergesetzt hat.
II.
Im Übrigen ist die Berufung nach dem unstreitigen Sachverhalt und dem zu seinen Gunsten als unstreitig
unterstellten Vortrag des Klägers als unbegründet zurückzuweisen, so dass dem Kläger kein
Schriftsatznachlass auf den letzten Schriftsatz der Beklagten vom 13. April 2007 zu gewähren war.
Das Landesarbeitsgericht folgt dem sorgfältig und ausführlich begründeten Urteil des Arbeitsgerichts sowohl
im Ergebnis als auch in der Begründung und sieht von einer nur wiederholenden Begründung gemäß § 69 Abs.
2 ArbGG ab. Nur im Hinblick auf den zweitinstanzlichen Vortrag des Klägers, die Erörterungen in der
mündlichen Verhandlung und die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg in der Parallelsache 10 Sa
2023/06 wird auf Folgendes hingewiesen:
1. Die Kündigung vom 23. Juni 2006 ist sozial gerechtfertigt im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG, welches
vorliegend gemäß §§ 1 Abs. 1; 23 Abs. 1 KSchG Anwendung findet, da ein betriebsbedingter Grund für die
Kündigung vorliegt. Dieser wird gemäß § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG vermutet, wenn die Kündigung aufgrund einer
Betriebsänderung nach § 111 BetrVG erfolgte und die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem
Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bestimmt worden sind. Wie das
Arbeitsgericht Berlin zutreffend ausgeführt hat, liegen diese Voraussetzungen vor, da eine Betriebsänderung
aufgrund des Personalabbaus von sogar mehr als 10 % vorlag, ein Interessenausgleich abgeschlossen wurde
und der Kläger in diesem Interessenausgleich auf einer Namensliste für die Kündigung erschien.
Auch insofern zutreffend hat das Arbeitsgericht Berlin entschieden, dass es ausreicht, wenn die Namensliste
laut Ziffer 4 des Interessenausgleichs deren fest verbundener Bestandteil und von den Betriebsparteien
unterschrieben ist (vergl. BAG 21.02.2002 EzA § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 10, zu B I 3 d der Gründe;
BAG 22.01.2004 - EzA, a.a.O., Nr. 11, zu C III 4 a der Gründe m.w.N.).
2. Der Kläger hat die sich aus § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG ergebende gesetzliche Vermutung nicht widerlegt.
a) Liegen die Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 KSchG vor, so muss der Kläger darlegen und beweisen, dass
seine Beschäftigungsmöglichkeit nicht weggefallen ist. Insoweit liegt eine Umkehr der Beweislast vor. Dies
entspricht auch der Gesetzesbegründung, die davon ausgeht, dass der Arbeitnehmer die vermutete
Betriebsbedingtheit "schlüssig und begründet widerlegen muss" (vergl. nur BAG 21.02.2002, a.a.O., zu B I 4 a
der Gründe m.w.N.).
b) Der Kläger hat nicht schlüssig dargetan, dass die Kündigung nicht durch dringende betriebliche
Erfordernisse bedingt ist. Soweit er auch in der zweiten Instanz auf Überstunden von Mitarbeitern und
eingestellte Leiharbeitnehmer verweist und dafür Beweis antritt, ist aus diesem Vortrag nicht ersichtlich, ob
danach der konkrete Arbeitsplatz des Klägers in Vollstundenzahl betroffen ist, worauf ebenfalls das
Arbeitsgericht Berlin bereits hingewiesen hat.
c) Zu Unrecht meint der Kläger ferner, § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG finde keine Anwendung, weil in einigen Fällen
von der Namensliste abgewichen und nicht alle bezeichneten Arbeitnehmer entlassen worden seien und sich
deshalb die Sachlage nach dem Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert habe (§ 1 Abs.
5 S. 3 KSchG). Denn auch insofern zutreffend hat das Arbeitsgericht Berlin darauf hingewiesen, dass sich
durch die freiwilligen elf Austritte nach Abschluss des Interessenausgleichs zwar die Zahl der Kündigungen im
Verpflichtet sich, gleich zum Zeitpunkt des Interessenausgleichs verringert habe, dies aber nicht zu einem
Wegfall der Geschäftsgrundlage (zu dieser Voraussetzung vergl. nur BAGE 21.02.2001 EzA § 1 KSchG
Interessenausgleich Nr. 8, zu II 3 der Gründe; BAG 22.01.2004, a.a.O., zu B V der Gründe; KR - Griebeling,
8. Aufl., § 1 KSchG Rz. 704) geführt hat, da die Anzahl der abgebauten Arbeitsplätze nach wie vor dieselbe
blieb und das Prozedere des Listenaustauschs in Ziff. 4 Abs. 2 des Interessenausgleichs bereits vorgesehen
war, so dass die Sachlage zum Zeitpunkt der Kündigung des Klägers die gleiche wie zum Zeitpunkt des
Abschlusses des Interessenausgleichs war.
3. Entgegen der Auffassung des Klägers und möglicherweise auch der 10. Kammer des LAG Berlin im
angesprochenen Urteil ist die Kündigung auch nicht gemäß § 1 Abs. 3 KSchG wegen fehlerhafter
Sozialauswahl sozial ungerechtfertigt. Die Sozialauswahl ist nicht zu beanstanden, erst recht ist sie nicht grob
fehlerhaft im Sinne von § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG.
a) Aus Gründen der Rechtssicherheit wird den Betriebspartnern bei der Beurteilung und Bewertung der
sozialen Auswahl eine hohe Präferenz eingeräumt. Allerdings obliegt auch im Anwendungsbereich des § 1
Abs. 5 KSchG dem Arbeitgeber weiterhin die Darlegungs- und Beweislast dafür, warum bestimmte
Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 3 S. 1 nicht in die Sozialauswahl einbezogen worden sind, ihre
Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen, im berechtigten
betrieblichen Interesse liegt. Dabei ist zu beachten, dass der Arbeitgeber auch in den Fällen des § 1 Abs. 5
KSchG verpflichtet bleibt, dem Arbeitnehmer auf dessen Verlangen hin Auskunft über die Entscheidung zur
sozialen Auswahl zu erteilen. Zwar trifft den Arbeitnehmer gemäß § 1 Abs. 3 S. 3 erster Halbsatz KSchG die
Darlegungs- und Beweislast für eine fehlerhafte Sozialauswahl. Der Arbeitgeber ist nach § 1 Abs. 3 S. 3
zweiter Halbsatz KSchG verpflichtet, dem Arbeitnehmer auf dessen Verlangen die Gründe mitzuteilen, die zu
der getroffenen Sozialauswahl geführt haben. Insoweit besteht eine abgestufte Darlegungslast. Als Konsequenz
aus der materiellen Auskunftspflicht des Arbeitgebers folgt, dass er auf das Verlangen des Arbeitnehmers im
Prozess substantiiert die Gründe vortragen muss, die ihn zu seiner Auswahl veranlasst haben. Erst nach
Erfüllung der Auskunftspflicht trägt der Arbeitnehmer die volle Darlegungslast für die Fehlerhaftigkeit der
Sozialauswahl. Der Prüfungsmaßstab der groben Fehlerhaftigkeit ändert an der Verteilung der Darlegungslast
nichts (vergl. nur BAG 21.02.2002, a.a.O., zu B I 5 b der Gründe m.w.N.).
b) Die soziale Auswahl war nicht grob fehlerhaft.
aa) Die Beklagte ist ihrer Auskunftspflicht hinreichend nachgekommen, so dass es am Kläger war, die grobe
Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl darzulegen. Denn zumindest in der zweiten Instanz hat die Beklagte in den
Anlagen zur Berufungserwiderung (Bl. 176 ff d. A.) alle relevanten Arbeitnehmerdaten der beiden Gruppen
der Maschinenbediener und der Montierer in allen Altersgruppen aufgeführt nach Lebensalter,
Betriebszugehörigkeit, Unterhaltsverpflichtung und Schwerbehinderung sowie danach, wer für die Kündigung
vorgesehen war und wer nicht, mitgeteilt. Die Beklagte hat bereits in der ersten Instanz darauf hingewiesen,
wie diese Punkte zustande gekommen sind, sie ergeben sich zwanglos aus den Daten der Mitarbeiter und der
Sozialauswahlrichtlinie. Im Hinblick auf die unten näher erörterte rechtmäßige Auswahl nach Altersgruppen,
der Unterscheidung nach Montierern und Maschinenbedienern, die ebenfalls durch die Beklagte in der
Berufungserwiderung erläutert worden ist, und der sich daraus ergebenden Sozialpunktzahl des Klägers kommt
es auf die so genannte Unabkömmlichkeitsliste gar nicht an.
bb) (1) Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann die Erhaltung einer
ausgewogenen Altersstruktur einer Auswahl allein nach sozialen Gesichtspunkten entgegenstehen. Ein
berechtigtes betriebliches Bedürfnis im Sinne von § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG an der Erhaltung einer
ausgewogenen Altersstruktur kann insbesondere dann vorliegen, wenn bei einer Massenentlassung die Gefahr
besteht, dass es durch eine Auswahl allein nach sozialen Gesichtspunkten zu erheblichen Verschiebungen in
der Altersstruktur des Betriebes kommt, die im betrieblichen Interesse nicht hinnehmbar ist (vergl. nur BAG
06.07.2006 EzA § 1 KSchG soziale Auswahl Nr. 69, zu B II 3 c aa der Gründe m.w.N.). Dabei hat das
Bundesarbeitsgericht darauf verwiesen, dass es zu kaum mehr hinnehmbaren Ergebnissen führen würde, wenn
bei einer derart einschneidenden Personalkürzung wie der vorliegenden eine Auswahl allein nach Sozialdaten
zu einem Altersdurchschnitt über 50 des Personals führen würde, welches dann absehbar in verhältnismäßig
kurzer Zeit zu einem erheblichen Teil durch Berufsanfänger ersetzt werden müsste (vergl. nur BAG
06.07.2006, a.a.O. m.w.N. aus der Rechtsprechung).
(2) Hier liegen nicht nur diese Gründe vor, weil der Altersdurchschnitt sich nach den vom Kläger nicht
widersprochenen Berechnungen der Beklagten in der Fertigung bei über 50 nach einer Auswahl allein nach
sozialen Kriterien liegen würde, die Beklagte könnte diesen Altersdurchschnitt im Gegensatz zu den beiden
vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fällen der Sozialauswahl nach Altersgruppen in Kindergärten nicht
einmal durch Neueinstellungen ersetzen, weil ja gerade die Nachfrage nach den von der Beklagten gefertigten
Produkten eingebrochen ist. Bei einer Konsolidierung in der Zukunft würde sich aber genau das vom
Bundesarbeitsgericht dargestellte Szenario einer baldigen Neueinstellung von vielen Berufsanfängern ergeben.
Das Arbeitsgericht hat daher zutreffend die Auswahl nach Altersgruppen für gerechtfertigt gehalten. Auch die
vorgenommene Unterteilung in 10-Jahres-Schritten (vergl. dazu BAG 06.07.2006, a.a.O., zu B II 3 c dd der
Gründe) begegnet keinen Bedenken.
(3) Die Auswahl nach Altersgruppen zur Erhaltung einer ausgewogenen Altersstruktur stellt auch keine
ungerechtfertigte Diskriminierung im Sinne der EU-Richtlinie 2000/78/EG dar.
(a) Dabei kann es dahinstehen, ob es durch die Altersgruppenregelung überhaupt zu einer Diskriminierung
kommt, ob die Altersgruppenregelung bzw. § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG an der Richtlinie 2000/78/EG zu messen
ist, da der Bundesrepublik Deutschland die Frist zur Umsetzung der Richtlinie bis zum 02. Dezember 2006
zustand - zum Zeitpunkt der Kündigung im Juni 2006 also noch nicht abgelaufen war - oder ob sich dies aus
einem ungeschriebenen Europäischen Grundrecht auf Schutz vor Diskriminierungen wegen des Alters ergibt
(vergl. dazu nur EUGH 22.11.2005 < Mangold ./. Helm > EzA § 14 TzBfG Nr. 21, Rz. 66 ff und Rz. 74 ff;
BAG 26.04.2006 EzA § 14 TzBfG Nr. 28; vergl. auch BAG 27.06.2006 EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie
2000/78 Nr. 2, Rz. 23 ff).
(b) Denn jedenfalls wäre sowohl die Regelung des § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG als auch die konkrete
Altersgruppenregelung der Betriebsparteien nach Artikel 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG gerechtfertigt
bzw. diente einem billigenswerten Sachgrund im Sinne einer Ungleichbehandlung. Nach der Rechtsprechung
des EUGH wird dabei hinsichtlich des Verbots der Diskriminierung wegen des Alters verlangt, dass ein
legitimes Ziel vorliegt und die gewählten Mittel zur Erreichung des Ziels angemessen und erforderlich sind
(EUGH 22.11.2005, a.a.O., Rz. 58; BAG 26.04.2006, a.a.O., Rz. 48).
(c) Dem genügt sowohl § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG in der Auslegung durch das Bundesarbeitsgericht in seiner
Rechtsprechung zur Altersgruppenregelung als auch die vorliegende konkrete Regelung. Denn die
"ausgewogene Altersstruktur", die bei einer Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG zum Maßstab der
betriebsbedingten Kündigung gemacht werden darf, trägt gerade dem Umstand Rechnung, dass insbesondere
bei Massenentlassungen die soziale Auswahl nur an Hand der Kriterien Betriebszugehörigkeit, Lebensalter,
Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung des Arbeitnehmers dazu führen kann, dass sich die bisherige
Personalstruktur des Betriebes nachhaltig verschlechtert. Vor allem die bisherige Altersstruktur der
Belegschaft ändert sich in der Regel durch eine Sozialauswahl allein nach den Kriterien des § 1 Abs. 3 S. 1
KSchG. Ohne die Ausnahmevorschrift des § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG ließe sich daher bei der Kündigung eines
erheblichen Teils der Arbeitnehmer eine den berechtigten betrieblichen Interessen zuwider laufende
Überalterung der Belegschaft kaum vermeiden (BAG 06.07.2006 EzA § 1 KSchG soziale Auswahl Nr. 69, Rz.
53; BAG 23.11.2000 BAGE 96, 306 = EzA § 1 KSchG soziale Auswahl Nr. 46). Dies ist ein legitimes Ziel im
Sinne der Rechtsprechung des EUGH.
Angemessen und erforderlich in diesem Sinne ist dabei keine Altersdurchschnittsverbesserung, sondern ein
Erhalt der Altersstruktur, wie das die erwähnte BAG-Rechtsprechung fordert. Dieser Forderung ist die
Beklagte vorliegend nachgekommen, sie hat die Altersgruppen in 10-Jahres-Schritten so gewählt, dass der
Altersdurchschnitt von ca. 47 Jahren bei den Maschinenbedienern erhalten bleibt und nicht auf über 50 Jahre
anstieg.
cc) Die Betriebspartner durften die Arbeitnehmergruppen auch in Montierer und Maschinenbediener
unterteilen. Dabei kann es dahinstehen, ob nach der Behauptung des Klägers Montierer und
Maschinenbediener als beiderseits angelernte Arbeitskräfte miteinander zu vergleichen und austauschbar sind.
Die Betriebsparteien haben im Interessenausgleich sowohl bei der Bedarfsberechnung (Anl. 1, Bl. 15 d. A.),
bei der Namensliste (Anl. 2, Bl. 16 - 17 d. A.) als auch bei der Unabkömmlichkeitsliste nach Montierern und
Maschinenbedienern unterschieden. Da die beiden Gruppen nicht nur unterschiedlich tariflich vergütet und
eingestuft werden, sondern nach dem Konzept der Betriebsparteien im Interessenausgleich auch
unterschiedliche Rollen spielen, ist diese Untergliederung jedenfalls nicht grob fehlerhaft.
dd) Danach konnte dem Kläger ohne Verstoß gegen die Auswahlrichtlinie gekündigt werden:
(1) Der Kläger erzielt nach der Auswahlrichtlinie für die Beschäftigungsjahre 38 Punkte, da er zum Stichtag
der Auswahlrichtlinie (12.05.2006) erst 19 Jahre beschäftigt war. Nur wenn man den Zeitpunkt des
Kündigungszugangs zählte, käme der Kläger auf 40 Punkte, auch dies wäre jedoch kein Kündigungshindernis
(siehe unten).
(2) Der Kläger war sowohl zum Stichtag als auch zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs 47 Jahre alt, er erhält
dafür entsprechend 47 Sozialpunkte.
(3) Da der Kläger nicht schwerbehindert ist und auch keine Kinder hat, kommen keine weiteren Punkte hinzu.
Dies gilt auch für die von ihm behauptete Unterhaltspflicht gegenüber seinen Eltern. Selbst wenn man dies zu
seinen Gunsten annähme, hätte er dies nach der Auswahlrichtlinie bis zum 05. Mai 2006 durch Unterlagen
belegen müssen. Tatsächlich ist die Unterhaltsbescheinigung aber erst in der zweiten Instanz zu den Akten
gereicht worden, sie stammt vom 12. Februar 2007.
(4) Damit hat der Kläger jedenfalls nicht mehr als 87 Sozialpunkte aufzuweisen. Alle von ihm benannten
Personen, die er für sozial weniger schutzwürdig hält, sind entweder mit ihm nicht vergleichbar oder weisen
jeweils eine höhere Punktzahl auf:
(a) Herr S. ist Montierer und kein Maschinenbediener wie der Kläger, somit mit diesem nicht zu vergleichen,
so dass es auf die Punktzahl nicht ankommt.
(b) Auch die Arbeitnehmerinnen Sch., B. und J. sind Montiererinnen und daher mit dem Kläger nicht zu
vergleichen.
(c) Die Maschinenbediener Frau Chr. und Frau S. und der Maschinenbediener Herr I. weisen mehr
Sozialpunkte als der Kläger auf, selbst wenn man zu dessen Gunsten von 87 und nicht von 85 Punkten ausgeht,
nämlich mindestens 90 Punkte (Frau Chr., siehe die Liste Bl. 177 d. A.).
4. Die Kündigung ist auch nicht wegen einer mangelhaften Betriebsratsanhörung gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG
unwirksam.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts fehlt es an einer ordnungsgemäßen Anhörung des
Betriebsrats, wenn der Arbeitgeber die ihm obliegenden Mitteilungspflichten fehlerhaft, insbesondere nicht
ausführlich genug erfüllt, wobei an die Mitteilungspflicht im Anhörungsverfahren nicht dieselben
Anforderungen zu stellen sind, wie an die Darlegungslast des Arbeitgebers im Kündigungsschutzprozess. Es
gilt vielmehr der Grundsatz der so genannten subjektiven Determination, nachdem der Betriebsrat immer dann
ordnungsgemäß angehört worden ist, wenn der Arbeitgeber ihm die aus seiner Sicht tragenden Umstände
unterbreitet hat. Der Betriebsrat ist dabei substantiiert über alle Gesichtspunkte zu unterrichten, die den
Arbeitgeber zur Kündigung veranlassen. Die die Kündigung begründenden Umstände sind dem Betriebsrat so
genau und umfassend darzulegen, dass er ohne zusätzliche eigene Nachforschung in der Lage ist, selbst die
Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu prüfen und sich über seine Stellungnahme schlüssig zu werden.
Diese Pflicht besteht auch bei einer im Zusammenhang mit einem Interessenausgleich nach § 1 Abs. 5 KSchG
stehenden Kündigung. Die Betriebsratsanhörung unterliegt beim Vorliegen eines Interessenausgleichs mit
Namensliste keinen erleichterten Anforderungen. Sie muss vielmehr wie die Anhörung des Betriebsrats zu
jeder anderen Kündigung den von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen zu § 502 BetrVG
entsprechen (vergl. nur BAG 21.02.2002, a.a.O., zu B II 2 a der Gründe m.w.N.).
b) Gleichwohl bleibt zu berücksichtigen, dass es nach § 102 BetrVG keiner weiteren Darlegung der
Kündigungsgründe durch den Arbeitgeber mehr bedarf, wenn der Betriebsrat bei Einleitung des
Anhörungsverfahrens bereits über den erforderlichen Kenntnisstand verfügt, um zu der konkret beabsichtigten
Kündigung eine sachgerechte Stellungnahme abgeben zu können. Regelmäßig gehen dem Abschluss eines
Interessenausgleichs, der mit einer Namensliste der zu kündigenden Arbeitnehmer verbunden ist, längere
Verhandlungen voraus, aufgrund derer beim Betriebsrat erhebliche Vorkenntnisse über die vom Arbeitgeber
geltend gemachten Kündigungsgründe und über die mit dem Betriebsrat zusammen vorgenommene
Sozialauswahl vorhanden sein können. Die dem Betriebsrat aus diesen Verhandlungen bekannten Tatsachen
muss der Arbeitgeber im Anhörungsverfahren nicht erneut vortragen. Es kann deshalb zur Darlegung einer
ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG ausreichen, wenn der Arbeitgeber zur
Betriebsratsanhörung weitgehend auf den dem Betriebsrat aus den Verhandlungen über den
Interessenausgleich und die Namensliste bekannten Sachverhalt Bezug nimmt. Trägt etwa der Arbeitgeber im
Prozess vor, zur Sozialauswahl seien dem Betriebsrat schon bei den Verhandlungen über den
Interessenausgleich die nach § 102 BetrVG erforderlichen Angaben über die Gruppe der für vergleichbar
gehaltenen Arbeitnehmer und deren Sozialdaten gemacht worden, so genügt der Arbeitgeber insoweit seiner
Darlegungslast. Erst wenn der Arbeitnehmer diesen Sachvortrag konkret bestreitet, muss der Arbeitgeber in
diesem Punkt gegebenenfalls die Vorkenntnisse des Betriebsrats weiter substantiieren bzw. beweisen (vergl.
nur BAG, a.a.O., zu B II 2 b der Gründe m.w.N.).
c) Diesen Grundsätzen genügt die ausführliche Anhörung des Betriebsrats vom 16. Juni 2006, in der nicht nur
die Einzeldaten des Klägers, sondern eine ausführliche Darlegung der Kündigungsgründe unter Bezugnahme
auf die mit dem Betriebsrat abgeschlossenen Vereinbarungen zum Interessenausgleich, Sozialplan und
Auswahlrichtlinie enthalten ist. Dies reicht nach der dargelegten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
aus.
Daher musste die Beklagte dem Betriebsrat auch nicht die Nachrücker mitteilen, die zu einem Austausch auf
der Namensliste führten. Denn auch dies war dem Betriebsrat vom Prozedere her bereits aus dem
Interessenausgleich gemäß § 4 Abs. 2 bekannt, konkret waren ihm die Namen durch die von ihm
unterschriebene Protokollnotiz vom 09. Juni 2006 bekannt (vergl. die Anl. B 8, Bl. 71 d. A.).
Dem Betriebsrat mussten auch nicht die Unterhaltspflichten des Klägers gegenüber angegeben werden, da
diese zum Zeitpunkt der Anhörung durch den Kläger nicht nachgewiesen und daher für die Sozialauswahl auch
nicht relevant waren.
5. Endlich ist die Kündigung auch nicht wegen eines fehlerhaften Verfahrens bei der Massenkündigung gemäß
§ 17 KSchG unwirksam. Das Landesarbeitsgericht schließt sich auch insofern den überzeugenden
Ausführungen des Arbeitsgerichts an, der Kläger hat dies in zweiter Instanz auch nicht mehr gerügt.
III.
Der Kläger trägt daher die Kosten seiner erfolglosen Berufung gemäß § 97 Abs. 1 ZPO.
IV.
Die Revision war sowohl im Hinblick auf eine mögliche Divergenz zur Entscheidung der Kammer 10 des
LAG Berlin vom 19. Februar 2007 - 10 Sa 2023/06 - als auch im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung
der Bildung von Altersgruppen als möglicher Verstoß gegen die Richtlinie 2000/78/EG zuzulassen.
Post date: 2013-10-12 18:19:58
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