5 Meningomyelozele

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5 Meningomyelozele
5.1
Meningomyelozele . . . . . . . . . . . . . . . . 376
D. Filipas und J. W. Thüroff
5.2
Orthopädische Probleme
bei Meningomyelozele . . . . . . . . . . . . . 392
K. Parsch
5.3
Meningomyelozele
aus neurologisch-neurochirurgischer
Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401
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M. Schwarz und D. Voth
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376
5.1 Meningomyelozele
D. Filipas und J. W. Thüroff
Die Betreuung von Kindern mit Myelomeningozele sollte interdisziplinär in einem Team aus pädiatrischen
Nephrologen, Neuropädiatern, Orthopäden, Neurochirurgen und Urologen erfolgen, um die Lebensqualität der
betroffenen Patienten und ihre Integration in die Gesell-
schaft zu optimieren. Mit diesem Konzept überlebten in
den 80er-Jahren bereits 65% sämtlicher Kinder mit einer
dysraphischen Störung die ersten 15 Lebensjahre (Ermert et al. 1994, Shurtleff 1986).
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Epidemiologie
Die Häufigkeit dysraphischer Fehlbildungen der Wirbelsäule (Abb. 5.1) und des Rückenmarkes ist regional unterschiedlich. In Deutschland ist mit einer Frequenz von
1 – 3 auf 1000 Lebendgeburten zu rechnen (Müller
1995), in Japan hingegen nur mit einer Frequenz von 0,3
auf 1000. Neben regional-geographischen Unterschieden sind auch ethische Unterschiede nachgewiesen
worden. So ist die Häufigkeit einer angeborenen dysraphischen Hemmungsmissbildung bei Afrikanern und
Mongolen niedriger als bei Europäern (Brooklehurst
1978). Weiterhin konnte eine jahreszeitliche Schwankung der Inzidenzen beobachtet werden. Neugeborene
der Monate Dezember bis Juni erkrankten demnach
häufiger an Spina bifida als solche, die zwischen Juli und
November zur Welt kamen (Guthkelch 1962).
Abb. 5.1 Myelomeningozele.
왘
Ätiologie
Dysraphische Hemmungsmissbildungen entstehen in
der vierten Schwangerschaftswoche durch den unvollständigen Verschluss des Neuralrohres. Eine multifaktorielle Genese wird angenommen, bei der endogene erbliche und exogene Noxen eine Rolle spielen. Für die Bedeutung erblicher Faktoren spricht die familiäre Häufung der
Erkrankung, die mit einem erhöhten Risiko bei Mittellinienverschmelzungsdefekten der Mutter einhergeht
(Schiltenwolf et al. 1992). Das Wiederholungsrisiko in einer Familie, in der bereits ein Kind mit Spina bifida geboren wurde, beträgt 5%. Chromosomale Anomalien lassen
sich bei 10% der Feten nachweisen (Luthy et al. 1991). Für
die Beteiligung chromosomaler Aberrationen spricht
auch die Untersuchung von Coerdt et al. (1996), wobei
unter den Spontanaborten eine Häufung von Embryonen
mit Neuralrohrdefekten gefunden wurde (9 von 91 Spontanaborten) (Abb. 5.2). Eine Störung des Folsäurestoffwechsels durch eine Mutation im Enzym Methyltetrahydrofolat-Reduktase wird als hauptsächlicher Faktor angesehen (Müller 1995, Van der Put et al. 1995, Whitehead
et al. 1995). Als exogene Faktoren können Medikamente,
Chemikalien, Virusinfektionen und exzessiver Alkoholund Tabakkonsum zur Entstehung der Spina bifida führen (Beetz 1994). Im Tierversuch erwiesen sich auch Sauerstoffmangel, Vitamin-A-Mangel und eine Vitamin-AÜberdosierung als auslösend.
Thüroff/Hohenfellner
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Neurogene Blasenentleerungsstörung im Rahmen einer dysraphischen Störung
377
a
b
Lokalisation
Dysraphische Störungen können in jedem Bereich der
Wirbelsäule auftreten: lumbal, sakral, seltener zervikal
oder thorakal (Neuhäuser 1995) (Tab. 5.1).
Bei jeder Lokalisation der Fehlbildung kann eine neurogene Blasen- und Sphinkterdysfunktion resultieren,
wobei man von der Höhe des Defektes nicht auf die zu
erwartende Blasenentleerungsstörung schließen kann
(Kaplan 1985). Entsprechend der Wachstumsbedingungen von Wirbelsäule und ZNS (z. B. „Tethered Cord“, Hydrozephalus) kann sich die Blasenentleerung im Verlauf
wiederum ändern.
Tabelle 5.1
Häufigkeit der Lokalisation einer Spina bifida
Lokalisation der Spina bifida Häufigkeit in Prozent (%)
lumbosakral
lumbal
thorakolumbal
sakrokokzygeal
zervikothorakal
50
20
20
9 – 10
1
Neurogene Blasenentleerungsstörung im Rahmen
einer dysraphischen Störung
Definition
Blasen- und Sphinkterdysfunktion
Bei der Blasen- und Sphinkterdysfunktion im Rahmen
von angeborenen dysraphischen Hemmungsmissbildungen handelt es sich primär um funktionelle Störungen von Blase und Schließmuskel, die häufig mit sekundären pathologisch-anatomischen Veränderungen des
unteren und auch oberen Harntraktes vergesellschaftet
sein können. Die Ursache der Funktionsstörung des un-
teren Harntraktes sind in einem angeborenen oder erworbenen Defekt der Innervation zu sehen, d. h. in der
peripheren oder zentralnervösen Modulation der Integration und Koordination verschiedener an der Innervation des unteren Harntraktes beteiligter Systeme. Solche
Innervationsstörungen entstehen aufgrund neurologischer Grunderkrankungen (neurogene Blase) oder mit
prinzipiell vergleichbaren Ausfallsmustern ohne nachweisbare neurologische Grunderkrankung (okkult neurogene Blase). Im Kindesalter stehen die angeborenen
dysraphischen Hemmungsmissbildungen als Ursache
einer neurogenen Blasenentleerungsstörung zahlenmä-
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Abb. 5.2
a Lumbale Spina bifida aperta mit
schwanzähnlicher Überschussfehlbildung des neuralen Gewebes bei einem Embryo der 9. Entwicklungswoche mit Trisomie 18
(Dorsalansicht).
b Sakrokokzygeale Spina bifida
aperta mit hämorrhagisch infarzierten Gewebsresten des Rückenmarkes am oberen Pol bei
einem Embryo der 11. Entwicklungswoche mit Trisomie 18
(Dorsalansicht).
378
5.1 Meningomyelozele
Tabelle 5.2 Ätiologie neurogener Blasen und Sphinkterdysfunktion
Angeboren:
Offene Läsionen:
Spina bifida cystica
– Meningozele
– Myelomeningozele
Erworben:
Frühkindlicher Hirnschaden
Spinalkanaltumoren
Spinale Tumormetastasen
Wirbelsäulenosteomyelitis
Rückenmarkstrauma
Myelitis transversalis
Masernenzephalitis
Poliomyelitis
ßig im Vordergrund. Dieser unvollständige Verschluss
des Neuralrohres beeinträchtigt die Entwicklung des
Rückenmarkes. Je nachdem, ob Rückenmark und Nervenwurzeln oder nur Teile der Cauda equina an der Fehlbildung beteiligt sind, ergeben sich mehr oder weniger
ausgeprägte urologische, neurologische und orthopädische Defizite (Thon et al. 1993). Die geschlossenen, d. h.
von Haut gedeckten leichteren Grade der Spaltbildung
haben generell eine geringere Inzidenz der Mitbeteiligung des Nervensystems und somit neurologischer Ausfallerscheinungen als die offenen Läsionen. Die Spina bifida occulta ist in bis zu 15% der Bevölkerung nachgewiesen, ohne dass eine klinische Relevanz für die Funktion
des unteren Harntraktes besteht (Duckett u. Raezer
1976). Bei dem Sakrallipom (Abb. 5.3) hingegen handelt
es sich um eine geschlossene Hemmungsmissbildung
des Neuralrohres mit einer hohen Inzidenz neurogener
Blasenfunktionsstörungen. Folgende Alterationen des
Rückenmarkes werden für die neurologische Ausfallserscheinung verantwortlich gemacht:
– die Fixation des Rückenmarkes im Spinalkanal
durch knorpelige oder knöcherne Spangen (Diastomyelie),
– die Traktion des Rückenmarkes bei Wachstum der
Wirbelsäule durch ein zu kurzes Filum terminale
(Tethered Cord).
Die seltene Sakralagenesie hat eine hohe Inzidenz der
Blaseninnervationsstörung und ist zusätzlich mit anderen Fehlbildungen, wie z. B. Anus imperforatus oder orthopädischen Missbildungen vergesellschaftet. Die
Myelomeningozele ist die häufigste Ursache der neurogenen Blasendysfunktion im Kindesalter. Während diese mit z. T. gravierenden Funktionsstörungen einhergehen, weisen die reinen Meningozelen, die lediglich die
Rückenmarkshäute, nicht aber das Nervengewebe in die
zystische Fehlbildung einbeziehen, seltener klinische
Abb. 5.3 Sakrallipom bei 19-jähriger Patientin mit kaudalem
Regressionssyndrom.
Symptome auf. Eine Spina bifida occulta bleibt in vielen
Fällen zeitlebens stumm oder wird nur zufällig röntgenologisch entdeckt (Hamer 1992). Durch die Beeinträchtigung der Ausbildung von Leistungsbahnen und Nervenzellen sowie des Stütz- und Versorgungsgewebes
kann es zu sensorischen und/oder motorischen Lähmungen kommen. Vorwiegende Lokalisation der Spina
bifida ist zu 50% der lumbosakrale, zu 20% der lumbale
und zu 20% der thorakolumbale Bereich, nur ein geringerer Anteil ist sakrokokzygeal (10%) oder zervikothorakal (1%) lokalisiert (Abb. 5.4). Bei der Lokalisation im
Lumbal- bzw. Sakralmark findet man zusätzlich eine Beeinträchtigung vegetativer Zentren. Diese steuern die
Speicher- und Entleerungsfunktionen von Blase und
Enddarm sowie die Funktion der Geschlechtsorgane. Dadurch wird die Entstehung der Blasen- und Mastdarmlähmung begünstigt, bei der z. B. Blase und/oder Verschlussapparat schlaff oder spastisch gelähmt sein können oder das Zusammenspiel zwischen Sphinkter und
Detrusor gestört ist (Neuhäuser 1994). Kinder mit zervikalen oder hohen thorakalen Meningomyelozelen sind
in der Regel nicht überlebensfähig, wenn eine Atemmuskelparese aufgrund einer ausgedehnten Rückenmarksschädigung existiert. Bei den überlebenden Kindern handelt es sich meist um reine Meningozelen oder
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Geschlossene Läsionen:
Spina bifida occulta
Sakrallipom
Diastomyelie
Filum-terminale-Syndrom
Sakralagenesie
Hydrozephalus
Neurogene Blasenentleerungsstörung im Rahmen einer dysraphischen Störung
379
Symptomatik
Die Lähmung der vegetativen Zentren infolge dysraphischer Störungen kann folgende Symptomatik zur Folge
haben:
– Urininkontinenz
– Restharnbildung
– Entstehung von vesikoureteralem Reflux
und Obstruktion
– Stuhlinkontinenz
– Sexualfunktion und Fertilität
Nur etwa 6,5% der Kinder mit einer Meningomyelozele
werden mit zunehmendem Alter spontan kontinent
(Reiner et al. 1992). Die Harninkontinenz ist praktisch
regelmäßig in Kombination mit einer funktionellen Blasenentleerungsstörung vergesellschaftet. Sie ist zurückzuführen entweder auf eine Reflexinkontinenz infolge
einer spastischen Lähmung des Detrusors (Detrusorhyperreflexie), eine Stressinkontinenz infolge schlaffer
Lähmung des Harnröhrensphinkters (Sphinkterinsuffizienz) oder in seltenen Fällen auf eine Überlaufinkontinenz bei funktioneller infravesikaler Obstruktion oder
Detrusorareflexie. Mit zunehmendem Alter stellt die
Harninkontinenz zusätzlich zu den weiteren körperlichen Behinderungen eine große soziale Belastung dar.
Abb. 5.4 Thorakolumbosakrale MMC.
Restharnbildung
nur eine minimale Beteiligung des Rückenmarks mit geringerer Inzidenz von Funktionsstörungen des unteren
Harntraktes. Auch eine Mehrzahl der Kinder mit lumbalen und sakralen Myelomeningozelen überlebte früher
selten das Kleinkindesalter aufgrund von aufsteigenden
Infektionen oder irreversiblen Hirnschäden durch den
meist gleichzeitig bestehenden Hydrozephalus. Seit den
50er-Jahren wurde die Prognose durch sofortigen operativen Verschluss der Meningomyelozele in der Neonatalperiode sowie durch Implantation eines ventrikulären
Shuntventils zur Behandlung des Hydrozephalus wesentlich gebessert. Kinder wurden trotz schwerer nervaler Schädigung überlebensfähig, aber schwere Blasenund Sphinkterdysfunktionen führten zu Komplikationen des oberen Harntraktes, die schlussendlich limitierend für die Lebenserwartung wurden (Rickwood 1984).
In zwei großen Studien mit 407 und 520 MMC-Patienten
(Laurence 1964, Lorber 1971) wurden als häufigste Todesursache nicht die Komplikationen des Hydrozephalus oder dessen Therapie, sondern das Nierenversagen
infolge von Harntransportstörungen oder rezidivierenden Refluxnephropathien angegeben.
Eine erhöhte Restharnbildung entsteht bei Vorliegen einer schlaffen Blase (areflexiver Detrusor, Überlaufblase)
bzw. einem erhöhten Blasenauslasswiderstand (z. B. Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie). Diese erhöhte Restharnbildung fördert bakterielle Harnwegsinfektionen und
kann in unterschiedlichem Maße den oberen Harntrakt
durch vesikoureterale Obstruktion oder Reflux in Mitleidenschaft ziehen.
Entstehung von vesikoureteralem Reflux
und Obstruktion
Die Ausbildung eines sekundären vesikoureteralen Refluxes erfolgt insbesondere bei erhöhtem Blaseninnendruck. Es findet sich eine enge Korrelation zwischen Blaseninnendruck und dem Auftreten eines Refluxes.
McGuire et al. (1981) sahen im Laufe der Nachuntersuchung bei 70% ihrer Patienten mit neurogener Blasenfunktionsstörung und einem Detrusor-Leak-Point-Pressure (LPP) von ⬎ 4 kPa (Ⳏ 40 cm WS) einen neu aufgetretenen Reflux mit Nephropathie und rezidivierenden
Harnwegsinfektionen. Beim Detrusor-Leak-Point-Pressure handelt es sich um den intrinsischen intravesikalen
Druck (Detrusordruck – totaler intravesikaler Druck minus Abdominaldruck), bei dem bei der neurogenen Blase
ohne regelrechte Sensitivität und Willkürmiktion eine
Überlaufinkontinenz (Leak-Point) auftritt. Ein Detrusor-
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Urininkontinenz
5.1 Meningomyelozele
LPP von ⬍ 4 kPa (Ⳏ 40 cm WS) war assoziiert mit geringerer Inzidenz von vesikoureteralem Reflux und Schädigung des oberen Harntraktes. Eine vesikoureterale Obstruktion wird meist durch stattgehabte Blasenwandverdickung mit daraus resultierender Stenosierung der
Uretereneinmündung in die Blase verursacht.
Stuhlinkontinenz
Bei geschädigter Innervation von externem Analsphinkter und M. levator ani und/oder Dysfunktion des Rektums mit z. T. herabgesetzter Motilität kommt es beim
Großteil der Patienten zur Stuhlinkontinenz, die neben
der Harninkontinenz für die spätere soziale Integration
eine wesentliche Rolle spielt. Durch den unzureichenden Verschluss des analen Sphinkters kann Luft in den
Darm eindringen. Letzteres begünstigt eine Stuhlverhärtung und führt bei den Patienten meist zur Obstipation
(Beetz 1994).
Sexualfunktion und Fertilität
Das Problem der Sexualität und Fertilität junger Erwachsener mit MMC tritt aufgrund der verbesserten Lebenserwartung dieser Patientengruppe zunehmend in den
Vordergrund: Objektive Untersuchungen zur Sexualität
der MMC-Patienten liegen nicht vor, vorliegende Daten
beruhen auf Patienteninterviews.
89% der Frauen und 39% der Männer gaben an, regelmäßig sexuelle Kontakte zu haben. Die Erektions- und
Ejakulationsfähigkeit ist bei Männern mit tiefen sakralen Läsionen häufiger erhalten.
Die Inzidenz des Kryptorchismus ist bei Knaben mit
MMC mit 25% signifikant höher als bei der Normalbevölkerung (Lapides et al. 1972).
Latexallergie
In diesem Patientenkollektiv wird neuerdings über eine
signifikant gegenüber der Normalbevölkerung erhöhte
Rate an Latexallergien berichtet. Je nach Untersucher variieren die Angaben dabei zwischen 18% und 64% bei einer geschätzten Häufigkeit von 1% in der Normalbevölkerung (Banta et al. 1993, Laurence 1964, Yalla et al.
1976). Die verstärkte Exposition der Patienten zu Latexallergenen im Rahmen von notwendigen Therapiemaßnahmen wird als Ursache diskutiert (Ellsworth et al.
1993). Das klinische Erscheinungsbild ist abhängig von
der Art der Exposition. Es kann sich als Kontakturtikaria
mit Hautrötung und Juckreiz bei Hautkontakt (latexhaltige Handschuhe, latexhaltige Katheter), als allergische
Rhinitis oder als allergisches Asthma bronchiale bei Kontakt mit den Atemwegen (latexhaltige Intubationstuben) manifestieren. Ebenso wird zunehmend über intraoperative schwerste anaphylaktische Zwischenfälle berichtet (Gold et al. 1991, McKinstry et al. 1992, Merguerian et al. 1991, Nguyen et al. 1991).
Anders als bei der zumeist anatomisch gut definierten traumatischen Rückenmarksläsion, wo eine Läsion
oberhalb des betreffenden Rückenmarkskernes (supranukleäre Läsion) zu einer spastischen Lähmung führt
und jede Läsion des Rückenmarkskernes selbst oder der
intraspinalen und peripheren Nerven (infranukleäre Läsion) zu einer schlaffen Lähmung führt, besteht bei der
Meningomyelozele keine strenge Korrelation zwischen
der Höhe der neurologischen Läsion und der daraus resultierenden Blasen- und Sphinkterfunktionsstörung
(Eckstein u. Williams 1982, Heidler 1977). Darüber hinaus bleibt über die Jahre fast keine Blasenfunktionsstörung unverändert. Vielmehr kann sich eine große hypokontraktile Blase in eine kleine kontrakte, Low-Compliance-Blase verwandeln, und umgekehrt kann auch die
kleine hyperreflexive Blase aufgrund einer funktionellen
subvesikalen Obstruktion rasch dekompensieren und zu
einer ausgeprägten Stauung der oberen Harnwege führen (Eckstein u. Williams 1982). Auch kann sich über einen Zeitraum von Jahren nach primärem Verschluss der
Meningomyelozele ein sogenanntes sekundäres „Tethered Cord“ (Rückenmarksfixation) ausbilden. Diese
pathologische Fixation des Rückenmarks und dadurch
verursachte ischämische Schädigungen an den austretenden Nervenwurzeln führen zur Änderung des Typs
der neurogenen Blasenentleerungsstörung. Eine neu
aufgetretene neurogene Blasenentleerungsstörung kann
damit ein erster Hinweis auf ein klinisch relevantes Tethered-Cord-Syndrom sein (Hoffmann et al. 1976, Jackson et al. 1956).
Diagnostik
Erstes Ziel der Diagnostik ist die exakte Beschreibung
von Morphologie und Funktion des oberen Harntraktes
durch Ultraschalluntersuchungen, Infusionsurogramm
und Nierenfunktionsuntersuchung sowie die Einschätzung der Prognose des oberen Harntraktes durch radiologische und funktionelle Abklärung des unteren Harntraktes. Zur Erstellung eines rationalen Therapieplanes
und zur Einschätzung der Prognose bezüglich der Nierenfunktion steht im Zentrum des Interesses die funktionelle Abklärung des oberen und unteren Harntraktes
durch radiologische, urodynamische und elektromyographische Untersuchungen. Da der Blasenentleerung
bzw. der Therapie einer funktionellen Blasenentleerungsstörung im Gesamtplan der urologischen Behandlungsstrategie zentrale Bedeutung zukommt, ist in der
Regel eine komplette urodynamische Kombinationsuntersuchung erforderlich.
Ultraschalluntersuchung der Nieren und Blase
Durch diese minimalinvasive Untersuchung kann schon
im frühen Neugeborenenalter eine Beurteilung der
Harnwege erfolgen. Insbesondere ist sie zur regelmäßigen Verlaufsuntersuchung der Patienten geeignet. Erste
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380
Neurogene Blasenentleerungsstörung im Rahmen einer dysraphischen Störung
Radiologische Diagnostik
Neben dem Infusionsurogramm ist das Miktionszystourethrogramm wichtigster Teil der radiologischen Diagnostik, mit dem eine infravesikale Obstruktion lokalisiert und ein vesikoureterorenaler Reflux abgeklärt werden kann. Die radiologische Blasenkonfiguration erlaubt
zwar die Verdachtsdiagnose auf eine neurogene Blasendysfunktion, doch sind Rückschlüsse auf den neurologischen Läsionstyp und die daraus resultierende Blasendysfunktion unzuverlässig, da Sekundärphänomene das
Bild überlagern (chronische Zystitis mit Blasenwandfibrose, Detrusordekompensation bei subvesikaler Obstruktion infolge passiver Blasenexprimierung, Änderung des Läsionstypus). Immerhin lässt die trabekulierte, mit Pseudodivertikeln übersähte Blase den Rückschluss auf eine vermehrte Arbeitsbelastung des Detrusors zu, entweder in der Blasenentleerungsphase infolge
einer subvesikalen Obstruktion oder in der Speicherphase durch wiederholte isometrische Kontraktionen infolge einer Detrusorhyperaktivität. Dagegen korreliert die
große, glatt begrenzte Blase eher mit einer Detrusorhypokontraktilität bzw. Akontraktilität infolge einer infranukleären Nervenläsion oder infolge einer sekundären
Detrusorkompensation.
Das Infusionsurogramm erlaubt eine frühe Erkennung
von Risiken für den oberen Harntrakt. Hierbei sind insbesondere Verlauf, Motilität und Dicke des Harnleiters
von besonderem Interesse. Eine prävesikal beginnende
Harnleiterdilatation kann schon erstes Zeichen einer Dekompensation des oberen Harntraktes sein (Abb. 5.6).
Allerdings kann auch das nahezu normale IVP bei inkontinenten Patienten über die tatsächliche (intraoperativ gefundene) Harnleiterdilatation hinwegtäuschen.
In Zukunft könnte das MRT (ultraschnelle Sequenzen) in einem Arbeitsgang zur Gesamtabklärung verwandt werden (Funktion und Morphologie).
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Zeichen einer Änderung einer Blasenentleerungsstörung können hiermit ausreichend erkannt werden, wie
z. B. erhöhter Restharn oder eine beginnende Harntransportstörung. Im Verlauf sind halbjährliche Ultraschalluntersuchungen der Nieren und der Blase zu empfehlen.
381
Nierenfunktionsuntersuchung
Diese liefert weitere wichtige Parameter zur Beurteilung
des oberen Harntraktes. Entscheidend sind hierbei neben der Gesamtfunktion der Nieren die Seitendifferenz,
die Abflussverhältnisse und das Vorliegen eines Refluxes. Entwickelt sich im Verlauf eine Dekompensation der
funktionellen Harnabflussstörung, so ist dies Hinweis
für eine dringende therapeutische Intervention.
a
b
Abb. 5.5 a – b
18-jähriger urologisch unbehandelter Patient mit MMC, beidseitig Reflux und Christbaumblase.
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5.1 Meningomyelozele
Lobulus paracentralis
Formatio reticularis
1
1
2
2
3
3
4
4
5
5
6
6
7
8
7
9
8
10
11
9
12
1
10
2
3
11
4
5
12
1
2
3
4
5
Th12 -L2
N. hypogastricus
S2 -S4
sakrales Miktionszentrum
1
Andrologische Funktionsdiagnostik
Zur spezifischen Diagnostik der erektilen Dysfunktion
zählen die Pharmako-Doppler- bzw. Duplexsonographie
der Penisgefäße als auch die Skat-Testung.
5
2
Da in der Regel eine kombinierte Störung der Speicherfunktion der Blase (Inkontinenz) und der Entleerungsfunktion (Restharn) vorliegt, sollte die Video-Urodynamik eine Abklärung der Speicherphase (Zystometrie)
und der Miktionsphase (Miktiometrie) mit Registrierung der Beckenbodenkoordination (Elektromyographie) und – bei Stressinkontinenz – Aufzeichnung des
Urethradruckprofiles umfassen. Entsprechend der klinischen Bedeutung sollten die intravesikalen Drücke bevorzugt Beachtung finden und das klinische Inkontinenzproblem erst in zweiter Linie. Für die Einschätzung
des Risikos für den oberen Harntrakt ist prinzipiell die
Unterscheidung zwischen dem Vorliegen einer intravesikalen Hochdrucksituation und dem Vorliegen einer
Niederdrucksituation entscheidend.
4
1
Urodynamische Untersuchung
3
(schlaffe Lähmung)
Abb. 5.6 Infusionsurogramm: beginnende Harntransportstörung mit prävesikal dilatierten Ureteren.
infranukleäre Läsion
2
3
4
5
Abb. 5.7 Topographische Beziehung von Wirbelsäule und
Rückenmarkssegmenten: Die zu erwartenden neurologischen
Ausfallserscheinungen (Läsion des oberen motorischen Neurons = supranukleäre Läsion ⬎ spastische Lähmung, Läsion des
unteren motorischen Neurons = infranukleäre Läsion ⬎ schlaffe
Lähmung) lassen sich aus der Lokalisation einer Nervengewebsschädigung von relevanten Kernen und Bahnen im Gehirn, Rückenmark, intraspinalen und peripheren Nerven ableiten.
Detrusorhypokontraktilität
Die neurogene Detrusorhyporeflexie/-areflexie entspricht einer infranukleären Läsion im Konus-Kauda-Bereich (Abb. 5.7). Während der Blasenfüllungsphase hat
der Detrusor in der Regel eine normale Compliance, die
Harninkontinenz besteht auf dem Boden einer Sphinkterinsuffizienz. Die Blasenentleerung erfolgt durch Einsatz der Bauchpresse, wobei Drücke von mehr als 12 kPa
(Ⳏ 120 cm WS) produziert werden können. Eine subvesikale Obstruktion im Bereich des Blasenhalses oder der
proximalen Urethra aufgrund einer Distorsion oder
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(spastische Lähmung)
supranukleäre Läsion
1 2
2
3
3
4 4
5
5
6
6
7
7
8
Neurogene Blasenentleerungsstörung im Rahmen einer dysraphischen Störung
Funktionelle subvesikale Obstruktion
Funktionelle subvesikale Obstruktionen werden bei
kontraktilen, in der Speicherphase häufig hyperreflexiven Blasen gefunden, das Funktionsmuster entspricht
dem einer spastischen Lähmung bei supranukleärer Läsion zwischen S2 und dem pontinen Miktionszentrum,
das für Koordination von Detrusor- und Sphinktermechanismus (Synergie) verantwortlich ist (Abb. 5.7).
Tabelle 5.3 Inzidenz und Lokalisation funktioneller subvesikaler Obstruktionen bei neurogener und okkult-neurogener Blasen und Sphinkterdysfunktion im eigenen Material
Neurogen
n = 32
kleine Obstruktion
Okkult-neurogen
n = 30
5
6
obstruktiv:
glatter Sphinkter
10
quergestreifter Sphinkter
13
⎫
6
⎪
⎬ 84% 17
⎪
⎭
1
beide Sphinkteren
4
⎫
⎪
⎬
⎪
⎭
80%
Während der Blasenfüllungsphase findet sich entweder
ein normaler oder ein hyperreflexiver Detrusor, in einigen Fällen kann die Hyperreflexie durch suprapubisches
Klopfen getriggert werden. Die zur Blasenentleerung
aufgebrachten Detrusordrücke liegen an der oberen
Normgrenze oder darüber, in jedem Fall wird ein inadäquater Harnfluss produziert. Der Harnstrahl ist aufgrund
einer funktionellen subvesikalen Obstruktion des quergestreiften Sphinkters (Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie) stark schwankend oder unterbrochen, wobei es jeweils zum Zeitpunkt der partiellen Relaxation des
Sphinkters zur Expulsion von Harnspritzern kommt
(Abb. 5.8). Bevor die Blase komplett geleert ist, ermüdet
in der Regel die primär kräftige Detrusorkontraktion. Die
funktionelle Blasenkapazität wird einerseits von der
Restharnmenge und andererseits von dem Füllungsgrad
bestimmt, an dem die Reflexkontraktion des Detrusors
ausgelöst wird (Reflexvolumen). Das Endresultat ist in
der Regel eine geringe funktionelle Blasenkapazität bei
Restharnmengen, die durch den Grad der DetrusorSphinkter-Dyssynergie bestimmt werden. Gründe der
Blasenentleerungsstörung sind die funktionelle subvesikale Obstruktion bei Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie
und eine wechselnd ausgeprägte Dekompensation des
Detrusors, die Inkontinenz ist eine Reflexinkontinenz
mit hyperreflexiver Detrusorkontraktion bei inadäquater Blasenfüllung. Die funktionelle Obstruktion des glatten Sphinkters ist seltener und meist sekundäre Folge einer Blasenwandhypertrophie bei funktioneller Obstruktion des quergestreiften Sphinkters. Bei einer isolierten
Obstruktion des inneren Blasenmundes wird ein obstruktiver Miktionstyp mit schwachem Flow bei hohem
Miktionsdruck gefunden, ohne dass die raschen
Schwankungen von Miktionsdruck und Harnflussrate
wie bei der funktionellen Obstruktion des schnell kontrahierenden und relaxierenden quergestreiften Sphinkters vorkommen (Abb. 5.9).
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Kompression der Urethra ist die Ausnahme, eine Obstruktion im Bereich des distalen Sphinkters kann bisweilen gefunden werden, wenn auch eine DetrusorSphinkter-Dyssynergie per definitionem bei areflexiver
Blasenfunktion nicht bestehen kann. Das symptomatische Erscheinungsbild bei der Detrusorhyporeflexie
hängt gänzlich von der Balance zwischen intrinsischem
Detrusordruck (Compliance und Detrusortonus), Druckübertragung bei intraabdomineller Druckerhöhung und
Auslasswiderstand ab. Bei kompletter Sphinkterinsuffizienz des proximalen und distalen urethralen Verschlussmechanismus wird die Blasenentleerung kein
Problem sein. Dabei steht dann die Inkontinenz symptomatisch im Vordergrund.
Durch Einsatz des sauberen, intermittierenden
Selbstkatheterismus wird eine restharnfreie Entleerung
möglich, und es kann damit eine Verbesserung der Kontinenz im Intervall erreicht werden. Die Anwendung der
Bauchpresse (Valsalva-Manöver) als auch des CredéHandgriffs in der Vergangenheit wurde durch den breiten Einsatz des prophylaktischen CIC (clean intermittent
catheterisation) verdrängt. Besteht bei Sphinkterinsuffizienz eine zusätzliche subvesikale Obstruktion, so kann
die Blasenentleerung das vorrangige Problem darstellen.
Die funktionelle Blasenkapazität wiederum ist weitgehend vom Grad der Sphinkterkompetenz bzw. -insuffizienz und dem Auslasswiderstand abhängig. Eine Obstruktion des distalen Sphinktermechanismus bei einer
Detrusorareflexie lässt sich auf dem Boden einer Dissoziation von Detrusor- und Sphinkterreflexaktivität erklären, wobei durch die intraabdominelle Druckerhöhung beim Miktionsversuch eine Reflexkontraktion des
Beckenbodens getriggert würde (Kropp u. Voeller 1981).
Dagegen spricht allerdings, dass bei einer Detrusorareflexie in der Regel auch keine Aktivität im EMG des quergestreiften Sphinkters nachweisbar ist (Koyanagi et al.
1982). Eine andere Erklärung wäre eine Fibrose des denervierten distalen Sphinkters (Bauer 1979) oder eine
autonome sympathische Hyperaktivität oder Hypersensitivität (Koyanagi et al. 1982, Parsons u. Turton 1980).
Das Endresultat ist entweder eine Blase mit kleiner Kapazität und geringen Restharnmengen bei einer vorherrschenden Inkontinenz oder eine großkapazitäre Blase
mit kleiner funktioneller Kapazität bei hohen Restharnmengen aufgrund einer vorherrschenden Entleerungsstörung. Das Speicherproblem (Inkontinenz) resultiert
zumeist aus der Sphinkterinsuffizienz oder einer reduzierten Compliance.
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5.1 Meningomyelozele
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Abb. 5.8 Funktionelle infravesikale Obstruktion des quergestreiften Sphinkters bei okkult-neurogener Blasen- und Sphinkterdysfunktion bei einem 8-jährigen Mädchen.
a Im Miktionszysturethrogramm vesikoureteraler Reflux beidseits und wechselnd ausgeprägte Engstellung der Harnröhre
im Sphincter-externus-Bereich mit proximaler Dilatation.
b Urodynamisch Nachweis einer obstruktiven Blasenentleerung mit inadäquatem, rasch wechselndem Flow bei wellenförmiger Detrusorkontraktion und dyssynerger, rasch wechselnder Beckenbodenaktivität.
a
b
Risikobeurteilung und Komplikationen
des oberen Harntraktes
Wenngleich bei 95% der Neugeborenen mit MMC der
obere Harntrakt unauffällig ist, sind dennoch bei einem
Großteil Komplikationen bereits im ersten Lebensjahr
zu erwarten. Vor Einführung des CIC entwickelte ein
Großteil aller neugeborenen MMC-Kinder bereits innerhalb des ersten Lebensjahres pathologische Veränderungen des oberen Harntraktes. So fanden Cass et al.
1985 bei 119 bisher nicht urologisch therapierten Neugeborenen eine Inzidenz von Harnwegsinfekten bei 23%,
einen Reflux bei 22% und 6% hatten eine Dilatation des
oberen Harntraktes. Im späteren Leben entwickelten
50% der Patienten eine sekundäre Pathologie des oberen
Harntraktes. Diese kann zu jedem Lebensalter neu auftreten oder sich verändern (Merguerian et al. 1991). Deshalb sollte prophylaktisch der CIC eingesetzt werden. Je
leichter die neurologischen Ausfallserscheinungen ausgeprägt sind, desto geringer ist das Risiko sekundärer
Veränderungen des oberen Harntraktes. Nach den Ergebnissen urodynamischer Untersuchungen scheint das
Risiko sekundärer Veränderungen des oberen Harntraktes dann besonders hoch zu sein, wenn aufgrund der Detrusorhyperreflexie und der funktionellen subvesikalen
Obstruktion hohe intravesikale Drücke ohne adäquate
Blasenentleerung entwickelt werden und beträchtliche
Restharnmengen mit rezidivierenden Harnwegsinfekten auftreten. Etwa 40% der Kinder mit Meningomyelozele haben einen urethralen Auslasswiderstand von
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Neurogene Blasenentleerungsstörung im Rahmen einer dysraphischen Störung
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Abb. 5.9 Funktionelle subvesikale Obstruktion des glattmuskulären Blasenhalses bei einem 8-jährigen Knaben mit okkultneurogener Blasen- und Sphinkterdysfunktion.
a Miktionszysturethrogramm mit deutlicher Engstellung des
Blasenhalsbereiches.
b Urodynamisch Nachweis einer obstruktiven Miktion mit inadäquater Harnflussrate trotz kräftiger Detrusorkontraktion
bei guter Relaxation des quergestreiften Sphinkters im EMG.
a
b
⬎ 4 kPa (Ⳏ 40 cm WS), sodass der intravesikale Druck in
der Speicherphase über 4 kPa (Ⳏ 40 cm WS) liegt. Die
Folgen dieser intravesikalen Drücke führen ohne entsprechende Therapie in etwa 80% der Fälle zur Nierenfunktionsverschlechterung (Ghoniem et al. 1989,
McGuire et al. 1981, Wang et al. 1989). Im Rahmen von
Nachuntersuchungen registrierte McGuire bei 68% aller
Patienten und einem Leak-Point-Druck von ⬎ 4 kPa
(Ⳏ 40 cm WS) eine durch rezidivierende Harnwegsinfekte akquirierte Refluxnephropathie. Von 209 Patienten
mit Meningomyelozele fand sich in 27% ein niedriggra-
diger vesikoureteraler Reflux und in 58% ein hochgradiger vesikoureterorenaler Reflux. Eine Korrelation zwischen Blaseninnendruck und Grad des Refluxes konnte
nicht gefunden werden (Flood et al. 1994, Ghoniem et al.
1990). Folgen dieser hohen Detrusordrücke sind Blasenwandhypertrophie und Pseudodivertikelbildung, wobei
sich infolge paraureteraler Divertikel ein Reflux entwickeln kann oder durch die Blasenwandverdickung eine
ureterovesikale Obstruktion des intramuralen Ureters
entsteht. Restharnbildung und Harnwegsinfektionen
sind als besonders ernst anzusehen, wenn gleichzeitig
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5.1 Meningomyelozele
ein vesikoureterorenaler Reflux besteht. Die asymptomatische, nur auf die Blase beschränkte Bakteriurie
(ABU) hat häufig keinerlei Einfluss auf die Nierenfunktion.
Ein zusätzlicher Faktor zur Risikobeurteilung ist die
Blasencompliance. Eine Nierenfunktionsverschlechterung wird überwiegend bei den Patienten beobachtet,
die eine Compliance von ⬍ 10 ml pro cm WS und einen
Leak-Point-Druck von durchschnittlich 4,2 kPa (Ⳏ 42 cm
WS) aufweisen (Neuhäuser 1994). Das individuelle Risiko einer Nierenfunktionsstörung wird in einem Score
von 0 (geringes Risiko) bis 10 (hohes Risiko) zusammengefasst (Neuhäuser 1995). Hier werden Leak-PointDruck, Compliance, das Verhalten des Sphinkters bei der
Miktion und vesikoureteraler Reflux mit 1 – 3 Punkten
bewertet: Bei einem Score von ⬎ 5 tritt in 39% der Fälle
eine Nierenfunktionsverschlechterung im Langzeitverlauf ein, gegenüber in 9% der Fälle mit einem Score von
⬍ 5. Ein ungünstiger prognostischer Faktor ist das Vorliegen einer Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie (DSD). 72%
der Patienten mit einem DSD hatten bereits bei Diagnosestellung oder entwickelten im Verlauf eine Harntransportstörung (Bauer 1989). Hieraus wird ersichtlich, dass
langfristig die Prognose der Nierenfunktion von der
Compliance, den intravesikalen Drücken und der Detrusor-Sphinkter-Koordination abhängt. Die Nierenfunktionseinschränkung ist auf eine sekundäre ureterovesikale Harntransportstörung durch Obstruktion und/oder
Reflux und auf rezidivierende Harnwegsinfektionen zurückzuführen.
In der Risikoeinschätzung für den oberen Harntrakt
steht das Problem einer möglichen Veränderung der Befunde entsprechend der Entwicklungsbedingungen des
ZNS im Vordergrund. Eine engmaschige Kontrolle dieser
Patienten ist somit unabdinglich.
Therapie
Verschiedene urologische Therapiestrategien stehen für
Patienten mit MMC zur Verfügung. Im Mittelpunkt des
urologischen Bemühens steht die Protektion der Nierenfunktion und Prävention vor fieberhaften Harnwegsinfekten. Dies ist jedoch nur ein Teil eines Gesamtkonzeptes, in das sämtliche beteiligten Disziplinen im Rahmen
regelmäßiger Konferenzen mit eingebunden sind. Nur
die interdisziplinäre Kooperation kann auf die Dauer den
Patienten eine ausreichende Hilfestellung bei der Optimierung der Lebensqualität und der Integration in die
Gesellschaft geben. Die Therapiemöglichkeiten umfassen verschiedene konservative und operative Behandlungsverfahren.
Konservative Therapie
Die Möglichkeit einer willkürlichen Entleerung der gelähmten Blase sollte – wenn immer möglich – als einfachste Möglichkeit zuerst angestrebt werden. Blasen-
entleerung durch Erhöhung des intraabdominellen
Druckes mittels Valsalva-Manöver oder Credé-Manöver
ist in der jüngsten Vergangenheit durch den Einsatz des
CIC (s. u.) ersetzt worden. Besteht ein zu hoher subvesikaler Widerstand, so kann eine pharmakologische oder
chirurgische Reduzierung des Blasenauslasswiderstandes die Blasenexprimierung erleichtern helfen. Bei der
Detrusorhypotonie kann versucht werden, durch willkürliche Triggerung des Detrusors (suprapubisches
Klopfen, perineales Reiben, Dehnung des Sphincter ani)
eine Blasenentleerung zu erreichen. Allerdings werden
durch Triggermaßnahmen in der Vielzahl der Fälle
gleichzeitig dyssynerge Sphinkterkontraktionen im Sinne von unkoordinierten Massenreflexen ausgelöst, sodass eine effektive Miktion erschwert bzw. verhindert
wird (Yalla et al. 1976).
Biofeedback und Elektrostimulation
Unter Biofeedback versteht man das (Wieder-)Erlernen
einer gezielten Beeinflussung unwillkürlicher Funktionsmuster (Konditionierung) durch Training mit geeigneter Selbstkontrolle des Effektes (Feedback = Rückkopplung). Solche Verfahren, die der aktiven Mitarbeit
des Kindes bedürfen, erfordern Intelligenz und Kooperationsbereitschaft sowie eine zumindest teilweise intakte
Innervation des unteren Harntraktes und sind somit
eher für okkult-neurogene Funktionsstörungen des unteren Harntraktes geeignet als für Kinder mit ausgeprägten neurologischen Läsionen. Die funktionelle subvesikale Obstruktion des quergestreiften Sphinkters ist für
eine Biofeedbackbehandlung deshalb besonders prädestiniert, weil quergestreifte Muskeln prinzipiell der
Willkürkontrolle unterliegen und ihre Aktivität elektromyographisch ableitbar ist. Die elektromyographische
Aktivität der quergestreiften Beckenboden- und Sphinktermuskulatur wird dazu durch perineale Klebeelektroden abgenommen und dem Kind mittels geeigneter Geräte durch optische oder akustische Signale unmittelbar
mitgeteilt. Das Miktionstraining besteht darin, beim
Wasserlassen den Sphinkter dadurch zu relaxieren, dass
die optischen oder akustischen Signale der EMG-Aktivität durch spielerisches Probieren möglichst gänzlich
„abgeschaltet“ werden (Maizels et al. 1979). Bei Detrusorakontraktilität kann die transurethrale Elektrostimulation der mit Kochsalz gefüllten Harnblase durchgeführt werden. Katona, der diese Methode der Behandlung einführte und über positive Resultate bei 312 von
420 behandelten Patienten berichtete, erklärt die Wirkungsweise der über mehrere Wochen täglich für 11/2
Stunden durchgeführten Elektrostimulation so, dass ein
stufenweiser Prozess der Reaktivierung sensorischer Rezeptoren (Afferentierung) eingeleitet werde, wodurch
ein Harndrangsgefühl erreicht werde. Harndrang, zentral reduzierte Hemmung und sensomotorische Reflexbahnung führten dann schließlich zur Detrusorkontraktion, deren willkürliche Kontrolle durch zystomanometrische Registrierung mit Übersetzung in optische oder
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sind einige Einschränkungen für eine universelle Anwendung des CIC gegeben. Der CIC ist dann sinnvoll,
wenn der Patient auch zwischenzeitlich kontinent ist,
d. h., wenn eine ausreichende Blasenkapazität besteht
oder wenn die hyperreflexiven Detrusorkontraktionen
medikamentös so weit gehemmt werden können, dass
die Reflexinkontinenz sistiert. Weitere wesentliche Faktoren sind die Compliance des Patienten sowie häufig
vergesellschaftete Wirbelsäulen- und Beckenmissbildungen, die insbesondere bei weiblichen Rollstuhlfahrern den Selbstkatheterismus unmöglich machen können. Zunehmend wird der CIC auch prophylaktisch zur
Protektion des oberen Harntraktes eingesetzt.
Komplikationen des CIC werden nur selten berichtet.
Bei männlichen Kindern und jungen Erwachsenen
kommt es in bis zu 14% der Fälle zu einer Epididymitis
(Stein et al. 1996). Bakteriurien im Rahmen des CIC treten bei ca. 90% der Patienten auf, jedoch in nur einem
Drittel mit einer einhergehenden klinischen Symptomatik (Perkash u. Giroux 1993). Rezidivieren diese Harnwegsinfektionen und besteht ein Reflux, so sollte bei
Aufnahme des CIC eine niedrig dosierte antibiotische Infektprophylaxe durchgeführt werden.
Medikamentöse Therapie
Abb. 5.10 5-jähriges Kind mit sakraler MMC am urodynamischen Messplatz im Rahmen eines Biofeedback-Trainings.
akustische Signale für ein Biofeedbacktraining zugänglich wird (Abb. 5.10). Madersbacher (1984) berichtet
über eine 51-prozentige Erfolgsrate.
Intermittierender, sauberer Einmalkatheterismus
Der durch Lapides et al. (1972) eingeführte intermittierende Einmalkatheterismus (clean intermittent catheterisation = CIC) steht in der Therapie der funktionellen intravesikalen Obstruktion beim MMC-Patienten an erster
Stelle. Bei Neugeborenen und Kindern stehen für den CIC
spezielle kleine Katheter mit Charriere-Größen 8 – 12
zur Verfügung. Entsprechende Schulung der Eltern und
der Familie für diese Therapiemaßnahme ist erforderlich, um die Akzeptanz zu erhöhen (Hannigan 1988).
Kinder ab dem 4. – 6. Lebensjahr sind erfahrungsgemäß
in der Lage, nach entsprechender Schulung (meistens
durch die Eltern) den Katheterismus auch selbständig
durchzuführen (Kaplan 1985). Die Einfachheit und die
Effektivität dieser Therapieform bedeuten einen wesentlichen Fortschritt in der Behandlung der neurogenen Blasenentleerungsstörung. In einem Langzeitverlauf konnte bei 61 Kindern mit CIC gezeigt werden, dass
die Inzidenz von Harnwegsinfekten signifikant abnahm
und die Kontinenzrate signifikant zunahm (Van Gool et
al. 1991). Bei ebenfalls bestehender Detrusorhyperreflexie sind adjuvante Therapiemaßnahmen in Form einer
anticholinergen Therapie (s. u.) erforderlich. Allerdings
Detrusorhyperreflexie: Das Ziel der Therapie besteht in
der Dämpfung der Detrusorhyperreflexie und Verbesserung der Blasencompliance. Die Detrusorkontraktilität
wird durch Anticholinergika gehemmt, wobei Unterschiede in der Wirksamkeit von Anticholinergika im
Wesentlichen durch unterschiedliche Absorptionsraten
im Gastrointestinaltrakt bedingt sind. Gebräuchliche
Substanzen sind Oxybutynin, Propiverin und Trospium,
um eine signifikante Reduktion der Detrusorhyperreflexie zu erreichen (Thüroff u. Petri 1996). Eine hohe anticholinerge Aktivität hat jedoch auch den Nachteil erhöhter Nebenwirkungen, was meist zum Absetzen dieser
Therapie führt. Ein neues wirksames Anticholinergikum
mit geringeren Nebenwirkungen, insbesondere Mundtrockenheit und ZNS-Nebenwirkungen, ist Tolterodine
(Jonas et al. 1997). Die Nebenwirkungsrate kann durch
topische intravesikale Applikation von Oxybutynin in
Verbindung mit dem sauberen intermittierenden Einmalkatheterismus weitgehend reduziert werden
(Brendler et al. 1989, Greenfield u. Fera 1991). Es zeigte
sich, dass intravesikal verabreichtes Oxybutynin gut absorbiert wird und zu gleich hohen Plasmaspiegeln wie
bei oraler Applikation führt, trotzdem beobachtet man
weniger Nebenwirkungen als bei oraler Applikation.
Bei der Detrusorhyporeflexie/-areflexie kann eine
medikamentöse Stimulationstherapie mit Cholinergika
versucht werden, der praktische Wert für die Behandlung der neurogenen Blasendysfunktion ist jedoch gering, da nicht nur eine Tonuserhöhung des Detrusors,
sondern auch des Sphinkters induziert wird. Dies erklärt
sich 1. durch die parasympathische Mitinnervation der
glattmuskulären Harnröhre, 2. durch eine sympathische
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Neurogene Blasenentleerungsstörung im Rahmen einer dysraphischen Störung
5.1 Meningomyelozele
c
a
Stimulation des Sphinktertonus bei zusätzlichem ganglionärem Angriffspunkt von nikotinartig wirkenden
Cholinergika und Acetylcholinesterasehemmern und 3.
durch eine Stimulationswirkung an der motorischen
Endplatte des quergestreiften Sphinkters.
Direkte Cholinergika sind Bethanechol (Myocholine)
und Carbachol, wobei Bethanechol wegen des vorwiegend muskarinartigen Effektes (postganglionärer Angriffspunkt) vorzuziehen ist, während Carbachol stärkere nikotinartige Wirkung hat (ganglionärer und postganglionärer Angriffspunkt). Der intravesikale Druckanstieg nach subkutaner Injektion von Carbachol kann zur
Diagnose der neurogenen Ätiologie einer Detrusorakontraktilität verwandt werden (Lapides u. Dodson 1962)
(Denervierungs-Hypersensibilitätstest). Das indirekte
Cholinergikum Distigminbromid wirkt durch Cholinesterasehemmung an parasympathischen Rezeptoren,
parasympathischen und sympathischen Ganglien sowie
an der motorischen Endplatte. Dadurch kommt es zu einer noch stärkeren unerwünschten Mitstimulation des
glattmuskulären und quergestreiften Sphinkters als bei
b
Abb. 5.11
a Funktionelle subvesikale Obstruktion des quergestreiften
Sphinkters (Detrusor-Beckenboden-Dyssynergie) bei einem
2 1/2-jährigen Mädchen mit neurogener Blase (lumbosakrale
Dysplasie).
b IVP: vor Therapiebeginn.
c IVP: Kontrolle nach 6-monatiger Behandlung mit Baclofen
(Lioresal), 30 mg/die.
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Neurogene Blasenentleerungsstörung im Rahmen einer dysraphischen Störung
Operative Therapie
Entsprechend dem Gesamtkonzept sollte insbesondere
bei der Entscheidung einer operativen Versorgung von
MMC-Kindern eine interdisziplinäre Absprache erfolgen. Diese richtet sich bei erforderlicher Harnableitung
insbesondere nach der orthopädischen Rehabilitation
des Gehvermögens bzw. der selbständigen Fortbewegung als auch noch dem neurologischen Status und hier
insbesondere evtl. noch erforderlichen neurochirurgischen Maßnahmen. Durch letztere kann es zu Veränderungen der Motorik der oberen Extremitäten kommen
z. B. bei Dekompression eines Arnold-Chiari-Syndroms
und somit zu erheblichen Beeinträchtigungen bei der
Versorgung einer inkontinenten oder kontinenten Harnableitung.
Wurde in den 60er-Jahren bei vielen Patienten mit
neurogener Blase eine supravesikale Harnableitung
durchgeführt, so ist diese heute als primäre Maßnahme
seit Einführung des intermittierenden sauberen Einmalkatheterismus seltener geworden. Sind die konservativen Maßnahmen ausgeschöpft, sollte zur Protektion des
oberen Harntraktes frühzeitig die Indikation zur Harnableitung gestellt werden. Zunehmend kommen heute
MMC-Patienten im jugendlichen Alter mit der gezielten
Frage einer kontinenten Harnableitung bei bestehender
Harninkontinenz.
Folgende operative Maßnahmen stehen zur Verfügung: die inkontinente und kontinente Harnableitung
und in selektionierten Fällen die Blasenaugmentation.
Inkontinente Harnableitung
Die Anlage eines Ileum-Konduits sollte heute nicht mehr
durchgeführt werden, da wir aus Langzeituntersuchungen wissen, dass in bis zu 60% der Fälle mit einer Nierenfunktionsverschlechterung zu rechnen ist (Stein et al.
1996). Hier ist dem Kolon-Konduit der Vorzug zu geben
(Stein et al. 1996). Das Augenmerk sollte hierbei auf die
korrekte Positionierung des Stomas in Relation zur meist
durch Skoliose verursachten Körperdeformität gelegt
werden.
Kontinente Harnableitung
Voraussetzung für die Durchführung einer kontinenten
supravesikalen Harnableitung z. B. in Form eines Ileozäkal-Pouches mit katheterisierbarem Nabelstoma ist die
intakte Motorik der oberen Extremitäten (Stein et al.
1996). Insbesondere in diesen Fällen sollte das urologische Behandlungskonzept im Dialog mit den neurochirurgischen Kollegen erfolgen.
Blasenaugmentation
Die Differentialindikation zur Blasenaugmentation bzw.
Blasensubstitution unter Benutzung intestinaler Segmente empfiehlt sich nach den folgenden Kriterien:
nicht rollstuhlpflichtiger Patient, suffizienter Urethralverschlussdruck, unauffälliger oberer Harntrakt (keine
Dilatation), unbeeinträchtigte Motorik der oberen Extremitäten. Voraussetzung für eine erfolgreiche Blasenaugmentation bzw. Blasensubstitution ist die Absenkung
des intravesikalen Druckes unter 2,5 kPa (Ⳏ 25 cm WS)
bei einem urethralen Verschlussdruck ⬎ 2,5 kPa und eine Blasenentleerung mittels Bauchpresse oder CIC.
Bemerkung: Aufgrund der ebenfalls bestehenden
neurogenen Darmentleerungsstörung müssen die Patienten als auch die Eltern über mögliche Veränderungen des Stuhlverhaltens aufgeklärt werden, insbesondere über eine Zunahme von Diarrhöen bei Verwendung
des ileozäkalen Segmentes. Grundsätzlich sollte bei
MMC-Patienten auf eine Rekonstruktion der Ileozäkalklappe geachtet werden (s. Kapitel 6.1 „Harnableitung“).
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den nikotinartig wirkenden Cholinergika, die selbst wiederum den rein postganglionär angreifenden muskarinartigen Cholinergika unterlegen sind. Nebenwirkungen
erklären sich als systemische cholinerge Effekte: Übelkeit, Hypersalivation, Schweißausbrüche, Bradykardie,
Magen-Darm-Krämpfe und Diarrhö. Kontraindikationen
ergeben sich aus Grunderkrankungen, bei denen die Induktion einer Vagotonie unerwünscht ist, wie Asthma
bronchiale, Herzinsuffizienz, Hyperthyreose, Ulkuserkrankung, Epilepsie und Morbus Parkinson. Da die durch
cholinerge Stimulation induzierte intravesikale Drucksteigerung in vielen Fällen nicht zu einer effektiven Blasenentleerung führt, empfiehlt sich die gleichzeitige Gabe eines α-Blockers zur Herabsetzung des infravesikalen
Widerstandes (Thüroff u. Petri 1996).
Bei einer funktionellen subvesikalen Obstruktion des
glatten Sphinkters (Blasenhals, glattmuskuläre Harnröhre), der α-adrenerg innerviert ist, werden α-Blocker
mit Erfolg eingesetzt, wobei – je nach Ätiologie – eine
Ansprechrate von 50 – 75% erwartet werden kann. Bewährt hat sich Phenoxybenzamin, wobei die Dosierung
prinzipiell einschleichend erfolgen soll. An Nebenwirkungen können Sedierung, orthostatische Dysregulationen mit reflektorischer Tachykardie, Schwellung der Nasenschleimhaut und Menstruationsstörungen auftreten.
Selektive α1-Rezeptoren-Blocker (Prazosin, Terazosin,
Alfuzosin, Doxazosin, Tamsulosin) haben einen guten Effekt bei relativ geringen systemischen Nebenwirkungen.
Im Kindesalter und zur Therapie neurogener Blasenentleerungsstörungen sind sie allerdings noch nicht zugelassen. Kontraindikationen stellen sämtliche Erkrankungen dar, bei denen eine Absenkung des Blutdruckes unerwünscht ist. Liegt die funktionelle subvesikale Obstruktion in Höhe des quergestreiften Sphinkters (Detrusor-Beckenboden-Dyssynergie), so können Antispastika eingesetzt werden, von denen sich Baclofen (Lioresal) vornehmlich bewährt hat (Abb. 5.11), bei Diazepam
(Valium) überwiegt der sedierende Effekt. Insgesamt ist
bei einer enteralen Therapie – je nach Ätiologie – mit einer Ansprechrate von 60 – 70% zu rechnen.
389
5.1 Meningomyelozele
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