Mehrwertleistungen in der Kontraktlogistik DISSERTATION der Universität St. Gallen, Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften (HSG) zur Erlangung der Würde eines Doktors der Wirtschaftswissenschaften vorgelegt von Jan Frohn aus Deutschland Genehmigt auf Antrag der Herren Prof. Dr. Frank Straube und PD Dr. Daniel Corsten Dissertation Nr. 3210 Shaker Verlag, Aachen 2006 Die Universität St. Gallen, Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften (HSG), gestattet hiermit die Drucklegung der vorliegenden Dissertation, ohne damit zu den darin ausgesprochenen Anschauungen Stellung zu nehmen. St. Gallen, den 12. Juni 2006 Der Rektor: Prof. Ernst Mohr, PhD Die Arbeit erscheint unter dem Titel „Mehrwertleistungen in der Kontraktlogistik“ im Shaker Verlag Aachen 2006 ISBN 3-8322-5379-3 3 Geleitwort Immer mehr Logistikdienstleister haben in den letzten Jahren die strategische Bedeutung von Mehrwertleistungen erkannt. Sie resultiert aus der Tatsache, dass die Leistungsseite eines Angebots vielfältigere Differenzierungspotenziale als die Kostenseite bietet. Mit Mehrwertleistungen können Logistikdienstleister die Logistiknetzwerke ihrer Kunden flexibilisieren. Sie können Erfahrungen und neueste Logistiktechnologien zur Verfügung stellen und bspw. durch den Einsatz von RFID und Supply Chain Event Management die Prozesstransparenz und -qualität verbessern. Währenddessen können sich die Kunden auf eigene Kernkompetenzen fokussieren und dadurch ggf. höhere Kapitalrenditen erzielen. Die gegenwärtig diskutierten Mehrwertleistungen – egal ob Supply Chain Planung oder Bestandsfinanzierung – basieren auf dem Prinzip, Wertschöpfung neu zu verteilen und danach besser zu integrieren. Von der Integration können beide Seiten profitieren, sofern es ihnen gelingt, eine von Vertrauen und kontinuierlicher Verbesserung geprägte Arbeitsbasis zu schaffen. Bewährt sich eine solche Zusammenarbeit, dann kann sie in Richtung einer logistischen Entwicklungspartnerschaft intensiviert werden. In der vorliegenden Arbeit bereitet Jan Frohn den Entwicklungsstand und die Perspektiven von Mehrwertleistungen anschaulich auf. Eine besondere Leistung liegt darin, wie konsequent er die Anbieter- und Nachfragersicht verbindet. Ausgehend von einer schlüssigen Begriffsdefinition und Typologisierung erklärt er mit Hilfe eines situativen Modells wichtige Zusammenhänge zwischen Einflussfaktoren, Gestaltungsparametern und Performance-Grössen logistischer Mehrwertleistungen. Jan Frohn folgt einer empirisch qualitativen Forschungsmethodik, indem er anhand von Fallstudien richtungsweisende Kontrakte in der Automobil- und Elektronikindustrie aus Kundensicht analysiert. Wissenschaftlern sowie Vertretern von Logistikdienstleistern und ihren Kunden vermittelt das Werk gleichermassen wertvolle Erkenntnisse. Bspw. werden Erfolgsfaktoren erarbeitet, die Kunden bei einer weiteren Reduktion ihrer Logistiktiefe beachten sollten. Logistikdienstleister werden durch ein Gestaltungsmodell unterstützt, ein situativ passendes Portfolio von Mehrwertleistungen zu finden und damit ihre Positionierung zu stärken. Prof. Dr.-Ing. Frank Straube 4 5 Vorwort Während meiner Tätigkeit in der SCM-Beratung eröffnete sich die Chance, meine Umsetzungserfahrung durch wissenschaftliche Arbeit an der Universität St. Gallen zu ergänzen. Wie sich später herausstellte, lag eine noch grössere Chance darin, von Beginn an beim Aufbau des Kühne-Instituts für Logistik (KLOG) mitzuwirken. Gemeinsam mit tatkräftigen und sympathischen Kollegen konnte ich mit einem hohen Grad an Gestaltungsfreiheit Themen vorantreiben. Die vorliegende Dissertation repräsentiert einen Teil der Aufbauarbeit, die am Kühne-Institut für Logistik geleistet wurde. Zum Gelingen meines Dissertationsprojekts haben zahlreiche Menschen beigetragen. Ihnen bin ich zum Dank verpflichtet. Allen voran gilt mein Dank Prof. Dr.-Ing. Frank Straube von der Technischen Universität Berlin, der diese Arbeit während seiner Zeit als Leiter des Kühne-Instituts für Logistik und auch nach seiner Berufung nach Berlin betreut hat. Er war stets an meiner Weiterentwicklung interessiert und hat mich dafür gerne von seiner umfangreichen Erfahrung aus Universität und Praxis profitieren lassen. PD Dr. Daniel Corsten – Visiting Associate Professor an der London Business School – danke ich für die Übernahme des Korreferats. Seine forschungsmethodischen Ratschläge haben mich im Dissertationsprozess vorangebracht. Ebenso danke ich Prof. Dr. Günther Schuh von der RWTH Aachen und Prof. Dr. Wolfgang Stölzle von der Universität St. Gallen, die mein Dissertationsvorhaben unterstützt haben. Ein besonderer Dank gilt Klaus-Michael Kühne, der das Institut gestiftet und Rahmenbedingungen auf internationalem Niveau geschaffen hat, sowie Martin Willhaus, Geschäftsführer der Kühne-Stiftung, der immer ein offenes Ohr für die Anliegen der wissenschaftlichen Mitarbeiter hatte. Für meine Arbeit habe ich wichtige Impulse aus dem „Arbeitskreis Kontraktlogistik“ erhalten, den das KLOG in Kooperation mit führenden Logistikdienstleistern sowie dem Kühne-Zentrum für Logistikmanagement der WHU Koblenz durchgeführt hat. Allen Beteiligten, namentlich Prof. Dr. Jürgen Weber, Dr. Carl Marcus Wallenburg, Wolfdieter Keppler und Serena Trelle, sei an dieser Stelle gedankt. Zahlreiche Fach- und Führungskräfte vor allem aus der Automobil- und Elektronikindustrie haben sich für die Dissertation zu Interviews und Fallstudien bereit erklärt und damit die Praxisrelevanz der Arbeit gestärkt. Vielen Dank dafür! Von Seiten der KLOG-Mitarbeiter danke ich Jens Hamprecht für seine fachlichen Hinweise sowie Alfred Angerer, Daniel Fitzek, Jan Felde, Dr. Jörg Hofstetter und Andrea Meyer für die gute Zusammenarbeit. Hervorheben möchte ich Lars Dittmann, mit dem ich die „Bergetappen“ gemeinsam gefahren bin. Danke für die vertrauensvolle 6 Zusammenarbeit. Vom Institut für Technologiemanagement bedanke ich mich bei Michael Kickuth, Gerrit Reepmeyer, Dirk Völz und Christian Tellkamp. Mein besonderer Dank geht an Thomas Pock für die gemeinsamen Abschläge in Gonten. Abschliessend widme ich mich den wichtigsten Personen in meinem Leben. Lynette Tan danke ich für den unverzichtbaren Rückhalt und für wunderbare Wanderungen in den Schweizer Bergen. Ohne meine Eltern wäre diese Arbeit undenkbar. Sie haben mir gezeigt, wie wichtig und erfüllend lebenslanges Lernen ist. Baden-Baden, im Juli 2006 Jan Frohn Verzeichnisse 7 Inhaltsverzeichnis Einleitung .............................................................................................................. 17 1.1 Herausforderungen der Praxis........................................................................ 17 1.2 Stand der Theorie ........................................................................................... 22 1.3 Zielsetzung der Arbeit.................................................................................... 24 1.4 Aufbau der Arbeit .......................................................................................... 26 1.5 Forschungsmethodik ...................................................................................... 27 2 Grundlagen ............................................................................................................ 31 2.1 Grundlegende Begriffe................................................................................... 31 2.1.1 Logistik ................................................................................................... 31 2.1.2 Mehrwert................................................................................................. 33 2.1.3 Synergie .................................................................................................. 35 2.1.4 Logistische Mehrwertleistungen............................................................. 37 2.1.5 Kontraktlogistik ...................................................................................... 40 2.2 Grundlegende Zusammenhänge..................................................................... 43 2.2.1 Wertschöpfungstheorien ......................................................................... 43 2.2.2 Netzwerktheorien.................................................................................... 47 2.2.3 Theorie der Leistungssysteme ................................................................ 51 2.2.4 Kontingenztheorie................................................................................... 54 2.3 Zwischenfazit ................................................................................................. 56 3 Kontingenzmodell für Mehrwertleistungen .......................................................... 57 3.1 Kontextdimension .......................................................................................... 59 3.1.1 Mandantenkontext .................................................................................. 59 3.1.2 Kontext des Logistikdienstleisters.......................................................... 65 3.1.3 Kontext der Geschäftsbeziehung ............................................................ 73 3.2 Gestaltungsdimension .................................................................................... 82 3.2.1 Logistische Mehrwertleistungen und -lösungen..................................... 83 3.2.2 Materialfluss ........................................................................................... 86 3.2.3 Informationsfluss .................................................................................... 95 3.2.4 Finanzfluss und Rechtefluss ................................................................. 105 3.2.5 Bedeutung spezifischer Investitionen................................................... 111 3.2.6 Preisgestaltung...................................................................................... 116 3.3 Performance-Dimension .............................................................................. 122 1 8 4 5 6 7 Verzeichnisse 3.3.1 Potenziale für Mandanten ..................................................................... 122 3.3.2 Potenziale für LDL ............................................................................... 130 3.3.3 Risiken für Mandanten und LDL.......................................................... 134 3.4 Zwischenfazit ............................................................................................... 143 Fallstudien ........................................................................................................... 151 4.1 Vorgehensweise ........................................................................................... 151 4.2 Automobilunternehmen Alpha..................................................................... 154 4.3 Elektronikunternehmen Beta........................................................................ 166 4.4 Elektronikunternehmen Gamma .................................................................. 175 4.5 High-Tech-Unternehmen Delta.................................................................... 184 4.6 Fallstudienvergleich ..................................................................................... 191 Gestaltungsmodell für Mehrwertleistungen ........................................................ 197 5.1 Leistungssystem ........................................................................................... 199 5.2 Strategie........................................................................................................ 203 5.3 Idee und Konzept ......................................................................................... 212 5.4 Bewertung .................................................................................................... 221 Schlussbetrachtungen .......................................................................................... 225 6.1 Ergebnisse für die Wissenschaft .................................................................. 225 6.2 Ergebnisse für die Praxis.............................................................................. 229 6.3 Ausblick ....................................................................................................... 232 Anhang ................................................................................................................ 233 7.1 Literaturverzeichnis...................................................................................... 233 7.2 Fragebogen für Mandanten .......................................................................... 247 7.3 Lebenslauf .................................................................................................... 255 Verzeichnisse 9 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Kriterien für die Auswahl von Kontraktlogistikanbietern...................... 19 Abbildung 2: Wettbewerbsstrategien in der Kontraktlogistik ...................................... 20 Abbildung 3: Forschungsdesign ................................................................................... 28 Abbildung 4: Iterativer Forschungsprozess .................................................................. 29 Abbildung 5: Value Chain ............................................................................................ 44 Abbildung 6: Shareholder-Value-Netzwerk ................................................................. 46 Abbildung 7: Determinanten eines relationalen Wettbewerbsvorteils ......................... 50 Abbildung 8: Leistungssystem...................................................................................... 52 Abbildung 9: Kontingenzmodell für die Strategieforschung........................................ 55 Abbildung 10: Kontingenzmodell für logistische Mehrwertleistungen ....................... 57 Abbildung 11: Mandantentypologie ............................................................................. 64 Abbildung 12: Vertriebsansätze für komplexe Leistungen .......................................... 70 Abbildung 13: Typologie für Kontraktlogistik-Anbieter ............................................. 73 Abbildung 14: Interaktionsmodell für die Kontraktlogistik ......................................... 74 Abbildung 15: Gestaltungsbereiche logistischer Mehrwertleistungen ......................... 82 Abbildung 16: Abgrenzung von Mehrwertleistungen und –lösungen.......................... 84 Abbildung 17: Typologie logistischer Mehrwertleistungen ......................................... 86 Abbildung 18: Mehrwertleistungen des Materialfluss ................................................. 86 Abbildung 19: Mögliche Leistungen in den Bereichen JiT, JiS und Industriepark ..... 89 Abbildung 20: Mögliche Komponenten einer Postponement-Lösung ......................... 91 Abbildung 21: Mögliche Aufgaben für LDL im Bereich CKD ................................... 93 Abbildung 22: Mehrwertleistungen des Informationsfluss .......................................... 95 Abbildung 23: Aufgaben des Netzwerk-Designs ......................................................... 97 Abbildung 24: Aufgaben und Rollen im Rahmen einer SCEM-Lösung (Beispiel) ... 104 Abbildung 25: Mehrwertleistungen des Finanz- und Rechteflusses .......................... 105 Abbildung 26: Konstruktion einer Off-Balance-Bestandsfinanzierung (Beispiel) .... 109 Abbildung 27: Integrationsmodell für die Kontraktlogistik ....................................... 115 Abbildung 28: Ermittlung der Kosteneinsparung bei Risk-Sharing-Gain-Sharing.... 120 Abbildung 29: Potenzialnetzwerk (Mandantenperspektive) ...................................... 122 Abbildung 30: Verbundeffekte bei logistischen Dienstleistungen ............................. 126 Abbildung 31: Potenzialnetzwerk (Perspektive des LDL) ......................................... 131 Abbildung 32: Einordnung von Risiken in das Integrationsmodell ........................... 136 Abbildung 33: Stufenschema für Geschäftsmodelle in der Kontraktlogistik............. 143 10 Verzeichnisse Abbildung 34: Zeitplan der Interviewreihen .............................................................. 151 Abbildung 35: Phasen des Gestaltungsmodells .......................................................... 199 Abbildung 36: Generisches Leistungssystem für die Kontraktlogistik ...................... 200 Abbildung 37: Mögliche Segmentierung von Mandanten.......................................... 204 Abbildung 38: Mögliche Positionierungen im Geschäftsfeld Kontraktlogistik ......... 206 Abbildung 39: Wettbewerbsstrategien in der Kontraktlogistik .................................. 208 Abbildung 40: Hybride Wettbewerbsstrategien ......................................................... 209 Abbildung 41: Kontraktlogistik als konvergierendes Geschäftsfeld .......................... 211 Abbildung 42: Typologie von Kundenbedürfnissen................................................... 214 Abbildung 43: Perspektiven auf das Leistungssystem ............................................... 216 Abbildung 44: Analyse und Bewertung von Entwicklungsvorhaben (Stufe 1+2) ..... 222 Abbildung 45: Analyse und Bewertung von Entwicklungsvorhaben (Stufe 3) ......... 223 Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Stand der Theorie......................................................................................... 23 Tabelle 2: Synergiebegriffe und -typen ........................................................................ 35 Tabelle 3: Fremdvergabe von Logistikleistungen ........................................................ 39 Tabelle 4: Potenziale von SCEM................................................................................ 101 Tabelle 5: Typen und Beispiele spezifischer Investitionen ........................................ 111 Tabelle 6: Vergleich der Kontextfaktoren .................................................................. 191 Tabelle 7: Vergleich der Gestaltungsparameter.......................................................... 192 Tabelle 8: Vergleich der Performance-Kategorien..................................................... 195 Tabelle 9: Lösungstypen im Vergleich....................................................................... 217 Verzeichnisse Abkürzungsverzeichnis 3PL 4PL ABC AHP ATP BMS BoB bspw. BVL BWL bzgl. bzw. CBU CKD CMI CPFF CPFR CPIF EBIT EDV ERP et al. etc. EVA evtl. f FDA FDL ff FTL FTS FuE Ggf. Third Party Logistics Fourth Party Logistics Activity Based Costing Analytic Hierarchy Process Available-to-Promise Bonus-Malus-Schema Best-of-Bread beispielsweise Bundesvereinigung Logistik Betriebswirtschaftslehre bezüglich beziehungsweise Completely Build Up Completely Knocked Down Carrier Managed Inventory Cost Plus Fixed Fee Continuous Planning Forecasting and Replenishment Cost Plus Incentive Fee Earnings Before Interest and Tax Elektronische Datenverarbeitung Enterprise Resource Planning Et alii (und andere) et cetera (und so weiter) Economic Value Added eventuell folgende Federal Drug Administration Finanzdienstleister fortfolgende Full Truck Load Fahrerloses Transportsystem Forschung und Entwicklung gegebenenfalls 11 12 Hrsg. i.d.R. i.S.v. IAS ISV IT JiS JiT KEP KgV KMU KPI KVP LDL LLP LSFP MWL o.g. o.V. OEM OSS OTD PbP RBV RFID RSGS SARS SCEM SCM SCOR SGE SGF SLA SOP T&T TUL Verzeichnisse Herausgeber in der Regel im Sinne von International Accounting Standards Industry Structure View Informationstechnologie Just-in-Sequence Just-in-Time Kurier-Express-Post (Dienst) kleinstes gemeinsames Vielfaches kleine und mittelständische Unternehmen Key Performance Indicator Kontinuierlicher Verbesserungsprozess Logistikdienstleister Lead Logistics Provider Lump Sum / Fixed Price Mehrwertleistung oben genannt ohne Verfasser Original Equipment Manufacturer One Stop Shopping On Time Delivery Part by Part Resource Based View Radio Frequency Identification Risk-Sharing-Gain-Sharing Severe Acute Respiratory Syndrome Supply Chain Event Management Supply Chain Management Supply Chain Operations Reference (Model) Strategische Geschäftseinheit Strategisches Geschäftsfeld Service Level Agreement Standard Operating Procedure Tracking & Tracing Transport, Umschlag und Lagerhaltung Verzeichnisse u.a. u.U. US-GAAP vgl. VMI WOW z.B. unter anderem unter Umständen Generally Accepted Accounting Principles vergleiche Vendor Managed Inventory Warehouse on Wheels zum Beispiel 13 14 Zusammenfassung Die vorliegende Arbeit behandelt das Angebot und die Nachfrage von logistischen Mehrwertleistungen in der Kontraktlogistik. Nachfrager (Mandanten) sind in ihren Märkten mit einem verstärkten Kosten- und Servicewettbewerb konfrontiert. Die Anwendung innovativer Logistikkonzepte, wie bspw. Postponement, stärkt Unternehmen im Wettbewerb. Einige Mandanten haben erkannt, dass es für sie vorteilhaft sein kann, wenn Logistikdienstleister (LDL) bei der Umsetzung solcher Konzepte eine stärkere Rolle einnehmen. Sie vergeben daher zunehmend komplexe und spezifische Leistungsumfänge fremd. Für LDL ergibt sich daraus die Chance, einem rein kostenorientierten Wettbewerb zu entkommen, indem sie sich als Mehrwertanbieter positionieren. Diese Strategie setzt voraus, dass LDL durchgängige Funktionalitäten aufbauen, die für möglichst viele Mandanten nutzbar sind. Bisher existiert kein Beitrag, der die Beschreibung, Erklärung und Gestaltung von Mehrwertleistungen in der Logistik in den Mittelpunkt rückt. Es fehlt eine Begriffsdefinition, die der vollen Reichweite von logistischen Mehrwertleistungen gerecht wird und sie wirksam eingrenzt. Aus dieser Forschungslücke wurden drei Ziele für die Dissertation abgeleitet. Erstens soll der Begriff der logistischen Mehrwertleistung definiert und systematisiert werden. Zweitens soll ein Kontingenzmodell entwickelt werden, welches Einflussfaktoren, Gestaltungsparameter sowie Potenziale und Risiken von logistischen Mehrwertleistungen beschreibt und wesentliche Zusammenhänge erklärt. Abschliessend soll ein Gestaltungsmodell erarbeitet werden, dass LDL dabei hilft, Mehrwertleistungen proaktiv zu entwickeln und sie in einem Leistungssystem zu ordnen. Kernelement dieses Modells ist ein Stufenschema, dass LDL dabei unterstützt, sich schrittweise zum Materialfluss-, Transparenz-, Koordinations- oder Optimierungsanbieter weiterzuentwickeln. Die Thematik logistischer Mehrwertleistungen befindet sich in einer frühen Entwicklungsphase. Daher folgt die Arbeit einer qualitativ explorativen Forschungskonzeption. Dafür wurden die Erfahrungen von Kontraktlogistikanbietern und Mandanten aus den Branchen Automobil, Elektronik und High-Tech in Form von Interviews und Fallstudien untersucht. 15 Abstract This dissertation examines the supply and demand for value-added services in the contract logistics market. Currently, clients are confronted with intensified cost and service competition in their respective markets. The application of innovative logistics concepts such as postponement enhances these firms’ competitiveness. Some clients have recognised the benefits of giving logistics service providers a larger role in implementing and running such concepts. As a result, they outsource increasingly complex and specific service areas to external providers. Logistics service providers can benefit from this trend – they avoid purely cost-oriented competition by positioning themselves as value-added suppliers. This strategy however requires that logistics service providers proactively create integrated functionalities and, for economies of scale, extend them to several users. Previous studies have not focused explicitly on a description, explanation and conceptualisation of value-added services in logistics. A clear definition of concepts, which encompasses the full range of value-added logistics services, is also lacking. This dissertation fills the gaps in the literature in three ways. Firstly, it systematically defines the concept of value-added logistics services. Secondly, it develops a contingency model that incorporates drivers, conceptual parameters as well as potential benefits and risks of value-added logistics services. Major links in the model are also explained. Finally, it proposes a methodology that enables logistics service providers to systematically develop value-added services and to integrate them into a service portfolio. A key contribution of the model is an evolutionary path which helps logistics service providers progress step by step towards becoming providers of material flow, transparency, coordination or optimisation. The topic of value-added logistics services is still in its infancy. This study therefore undertakes a qualitative and explorative research approach by drawing on interviews and case-studies of contract logistics providers and clients in the automobile, electronics and high-tech industries. 16 Einleitung 17 1 Einleitung 1.1 Herausforderungen der Praxis Diese Arbeit beschäftigt sich mit dem Angebot und der Nachfrage von logistischen Mehrwertleistungen im Segment der Kontraktlogistik. Sie stellt die Markttrends und Herausforderungen aus Sicht der Anbieter und der Nachfrager – im Folgenden als Logistikdienstleister (LDL) bzw. Mandanten bezeichnet – dar. Mandanten aus nahezu allen Branchen sind spätestens seit den Marktöffnungen in Osteuropa und Asien mit einem verstärkten globalen Wettbewerb konfrontiert. Baumgarten und Thoms (2002, S.8) bewerten die Individualisierung der Kundenbedürfnisse und die sinkende Kundenloyalität als zentrale Veränderungstreiber der Logistik in Industrie und Handel. Unternehmen reagieren darauf, indem sie IT-Potenziale ausschöpfen, sich mit Partnerunternehmen vernetzen und Unternehmenswissen effektiver nutzen. Mandanten stehen in ihren Branchen in einem verstärkten Kosten- und Servicewettbewerb. Neuere logistische Konzepte, wie bspw. Vendor Managed Inventory oder Postponement, können hier vielversprechende Beiträge leisten. Einige Mandanten haben erkannt, dass es ggf. für sie vorteilhaft ist, wenn LDL bei der Umsetzung solcher Konzepte eine stärkere Rolle einnehmen als bisher. Kapitalmärkte - und spätestens seit Basel II auch Kreditinstitute - erzeugen einen erhöhten Renditedruck auf Industrie und Handel. Die Logistik konkurriert mit anderen Funktionsbereichen wie Marketing und Forschung und Entwicklung (FuE) um knapper werdende Investitionsbudgets. Derzeit liegt der Anteil der Logistikinvestitionen an den gesamten Investitionen bei 6% in der Automobilindustrie und bei 10% in der Konsumgüterindustrie. Davon entfällt bereits ein Viertel auf IT-Investitionen (Baumgarten und Thoms 2002, S.14). Auf der anderen Seite sind Anlage- und Umlaufvermögen der Logistik wie Fördertechnik, Informationstechnik und Bestände in vielen Unternehmen aufgrund schwankender Geschäfte nicht optimal ausgelastet. Diese Entwicklungen haben in den letzten Jahren zu einer verstärkten Wert- und Kernkompetenzorientierung bei Mandanten geführt. Bowersox weist darauf hin, dass Manager immer häufiger nachweisen müssen, wie ihre Organisationseinheiten (Projekte, Funktionen, Prozesse) zum Unternehmenswert beitragen. „The key is to identify activities that create value as contrasted to those that only increase revenue or decrease cost“ (Bowersox et al. 2000, S.13) 18 Einleitung Dort, wo ein Unternehmen starke Kompetenzen oder sogar Kernkompetenzen besitzt, ist es am ehesten in der Lage, Renditen über den Kapitalkosten zu erzielen. Es stellt sich bei Leistungsumfängen generell die Frage, ob das Unternehmen sie selber erbringen soll oder ob Externe den Umfang gleich gut oder sogar besser erbringen können. Umfänge, bei denen der Mandant Kompetenzvorteile aufweist, gehören laut Arnold (1999a, S.312) zum Unternehmenskern und werden intern erbracht. Einen klaren Kompetenzvorteil haben LDL üblicherweise bei kernfernen Aufgaben wie Transport und Lagerhaltung, die häufig schon seit längerem fremdvergeben sind. Schwieriger fällt Mandanten jedoch die Entscheidung im sogenannten kernnahen Bereich. Bei dieser Entscheidung müssen auch die Opportunitätskosten des Kapitals berücksichtigt werden, d.h. der LDL darf in der Leistungserstellung sogar etwas teurer als der Mandant sein. Als ein zentrales Ergebnis einer umfassenden Studie in der Kontraktlogistik stellen Langley et al fest, dass durch eine verstärkte Zusammenarbeit mit spezialisierten LDL zahlreiche Finanzkennzahlen optimiert werden können. „Respondents indicated impressive results in areas such as logistics cost reduction, fixed logistics asset reduction, reduction in length of order cycle, overall inventory reduction, and reduction in cash-to-cash cycles.“ (Langley et al. 2004, S.7) Vor dem Hintergrund einer verstärkten Fremdvergabe müssen Unternehmen ein klares Konzept für die mittel- bis langfristige Arbeitsteilung zwischen der internen Logistik und den externen Dienstleistern entwickeln. In Westeuropa geben Grossunternehmen heute bereits 61% des Logistikbudgets für 3PL-Dienstleistungen aus. Dieser Wert wird in den nächsten fünf Jahren weiter steigen (Langley et al. 2004, S.5). Entsprechend sehen Bowersox et al. (2000, S.9) die virtuelle Integration von Lieferanten als einen der 10 Megatrends der Logistik an. Auch mit der virtuellen Integration von Logistikpartnern können Mandanten Wettbewerbsvorteile erzielen. Die Autoren empfehlen, dass Unternehmen die Erfahrung und die Synergiepotenziale von externen Partnern für ihren Erfolg nutzen. Gerade weil bei einer niedrigen eigenen Leistungstiefe die Partner einen grossen Einfluss auf den Erfolg des Unternehmens haben, ist es wichtig, dass beide Seiten eine gemeinsame Vision für den Wertschöpfungsprozess und die Arbeitsteilung entwickeln. Die Harmonisierung beider Interessen ist dabei erfolgskritisch. Die Leistungstiefenreduktion hat in der Logistik mit Basisleistungen wie Transport und Lagerhaltung begonnen. In den letzten Jahren ist jedoch ein starker Bedeutungszuwachs von physischen und administrativen Mehrwertleistungen zu beobachten. Ge- Einleitung 19 3,5 3,5 2,9 2,6 2,5 1 (am unwichtigsten) 5 (am wichtigsten) mäss Langley et al (Langley et al. 2004, S.20) ist die Fähigkeit zum Angebot von Mehrwertleistungen ein zentrales Auswahlkriterium von Logistikdienstleistern im Segment der hochwertigen Kontraktlogistik geworden (vgl. Abbildung 1). Angebot an Mehrwertleistungen des Logistikdienstleisters Preisgestaltung des Logistikdienstleisters Kernleistungen des Logistikdienstleisters Zugang zum Logistikdienstleister Gesamterfahrung mit dem Logistikdienstleister Abbildung 1: Kriterien für die Auswahl von Kontraktlogistikanbietern Quelle: (Langley et al. 2004, S.20) Logistikdienstleister sind traditionell vor allem für Leistungen rund um Transport und Lagerhaltung von Mandanten beauftragt worden. Diese Basisaufgaben bergen bei der derzeitigen Marktentwicklung für LDL die Gefahr, dass sie sich auf einen Preiswettbewerb mit Konkurrenten einlassen und dadurch, sobald es einen günstigeren Anbieter gibt, austauschbar sind. Sie müssen sich entscheiden, ob sie in der Lage sind, standardisierte Leistungen zu niedrigsten Kosten zu produzieren oder ob es für sie günstiger ist, Basisleistungen mit einzigartigen Mehrwertleistungen1 anzureichern. Sie stehen also vor der Herausforderung, sich zwischen der Positionierung als Kostenführer oder als Mehrwertanbieter im Gesamtmarkt bzw. in der Nische zu entscheiden (vgl. Abbildung 2). Wenn einem LDL keine klare Profilierung gelingt, dann droht eine – wie Porter sie nennt – Stuck-in-the-middle-Situation, die mit unterdurchschnittlichen Renditen verbunden ist. Daher haben sich zahlreiche LDL entschieden, die technischen Innovationen der letzten Jahre als Grundlage für neue Mehrwertleistungen zu nutzen. Die weitreichendste Innovation der letzten Dekade stellt das Internet dar, mit dessen Hilfe Logistikdienstleister verteilte Logistiksysteme für ihre Mandanten vernetzen können. Die IT1 Verpackung, Transportplanung und Bestandsfinanzierung sind Beispiele für logistische Mehrwertleistungen. Der Begriff wird in Kapitel 2.1.4 definiert. 20 Einleitung basierte Gestaltung, Planung, Ausführung und Steuerung von Logistiksystemen bietet nicht nur neue Umsatzträger, sondern auch neue Rollen und Geschäftsmodelle für LDL (Straube und Frohn 2004, S.39f). Langley et al (S.16f) haben herausgefunden, dass Tracking und Tracing mit einer Nutzung von 71% der Befragten und internetbasierte Kommunikation mit 65% heute bereits eine hohe Bedeutung haben. Die Zahlen deuten darauf hin, dass in Zukunft RFID mit 61% und Supply Chain Planning SCP mit 29% an Bedeutung zunehmen werden. Gerade RFID gibt LDL eine Gelegenheit, sich als IT-Innovatoren zu positionieren und den Mandanten bei der Erfüllung von Kundenanforderungen, bspw. des Handels, zu unterstützen. Dennoch betonen die Autoren, dass die kundenbindenden Potenziale von Mehrwertleistungen noch längst nicht ausgeschöpft sind und die meisten Mandanten noch ihre eigenen logistischen IT-Systeme verwenden. „The issues that received the most attention included high-level disappointment with the 3PL provider’s ability to develop and offer value-added services (...).“ (Langley et al. 2004, S.7) Branche Branchensegment Ort des Wettbewerbs Schwerpunkt des Wettbewerbs Mehrwert Kosten Mehrwertanbieter Kostenführer Bedürfnis: einzigartige Leistung Produkt: Basisleistungen + Mehrwertleistungen Bedürfnis: niedrige Kosten Produkt: standardisierte Basisleistungen Fokussierter Mehrwertanbieter Fokussierter Kostenführer Bedürfnis: spezifische Leistung Produkt: Basisleistungen + Mehrwertleistungen Bedürfnis: niedrige Kosten Produkt: spezifische Basisleistungen Abbildung 2: Wettbewerbsstrategien in der Kontraktlogistik Quelle: Eigene Darstellung basierend auf (Porter 1998) und (Müller-Stewens und Lechner 2003) In der Vergangenheit haben LDL vielfach Leistungen reaktiv nach den Spezifikationen einzelner Mandanten entwickelt. Bei diesem Vorgehen besteht die Gefahr, dass eine unübersichtliche Leistungsvielfalt mit geringen Synergien und hohen Komplexitäts- Einleitung 21 kosten entsteht. Die Tatsache, dass Mandanten zunehmend durchgängige Funktionalitäten bei LDL suchen, verdeutlicht, warum eine proaktive und systematische Entwicklung von Leistungen erforderlich ist. Diese setzt eine Leistungsstrategie voraus, die eine Richtung für profitables Wachstum mit Mehrwertleistungen vorgibt und ein wirksames Kundenwissensmanagenent, dass bei der Früherkennung von Kundenbedürfnissen hilft (Straube und Frohn 2004, S.39f). Darüber hinaus müssen LDL nach dem Vorbild innovativer Branchen ihre Forschung und Entwicklung ausbauen. Veränderte Kundenbedürfnisse und neue technische Möglichkeiten haben in der Logistikbranche für eine Transformation gesorgt, die führende Anbieter für eine grundsätzliche Umpositionierung nutzen wollen (Zadek 2001, S.29f). Die höchste Evolutionsstufe – nach herrschender Meinung derzeit nicht in greifbarer Nähe – stellt der 4PL-Provider dar. Ein solcher Anbieter zeichnet sich dadurch aus, dass er die physischen Aufgaben an Subunternehmer fremd vergibt und seinen Schwerpunkt bei administrativen Mehrwertleistungen wie der Beratung, Planung und Steuerung von Logistiknetzwerken setzt. Solche Leistungen erhöhen die Einflussmöglichkeiten des LDL und erfordern gleichzeitig veränderte Kompetenzen. In FuE sowie Produktion sind dies die Entwicklung und Umsetzung innovativer Logistik- und IT-Konzepte und im Vertrieb müssen Kompetenzen bei konsultativen Vertriebsansätzen sowie beim Beziehungsmanagement aufgebaut werden. Neben der langwierigen internen Entwicklung spielen im fragmentierten Logistikmarkt auch externe Entwicklungsstrategien wie Kooperationen sowie Unternehmenskäufe eine Rolle, was die Übernahme von EXEL durch die Deutsche Post jüngst untermauert hat. Das Angebot von Mehrwertleistungen alleine reicht nicht aus, um nachhaltige Geschäftsbeziehungen zwischen Mandanten und LDL zu etablieren. Mehrwertleistungen können nur dann erfolgreich angeboten werden, wenn entsprechende Fähigkeiten im Beziehungsmanagement mit dem Mandanten aufgebaut werden. Mit diesen Fähigkeiten können sich LDL im derzeitigen Marktumfeld laut Langley et al. (S.6) von Wettbewerbern abheben. LDL stehen vor der Herausforderung, sich vom Transporteur zum logistischen Problemlöser umzupositionieren. Sie müssen die Zusammenarbeit mit ihren Mandanten intensivieren, um Bedürfnisse schneller zu identifizieren und das Vertrauen in ihre Problemlösungsfähigkeit zu fördern. Veränderte Merkmale von Mehrwertleistungen im Vergleich zu Basisleistungen können eine Anpassung der Geschäftsbeziehung erfordern. Bensaou (1999, S.36ff) sieht Kontexte als prädestiniert für strategische Partnerschaften, in denen Leistungen ausgetauscht werden, die kunden- 22 Einleitung spezifisch ausgestaltet sind, flexibel an Veränderungen angepasst werden müssen und auf innovativen, ggf. proprietären Technologien des Lieferanten basieren. Auch für LDL sind strategische (Entwicklungs-)Partnerschaften denkbar. Sie basieren auf einer Kultur des Wissensaustauschs und der ständigen Verbesserung, die ein hohes Mass an Vertrauen und Engagement bei den Partnern voraussetzen. 1.2 Stand der Theorie Über die wachsende Bedeutung von Mehrwertleistungen in der Logistik herrscht in Theorie und Praxis Einigkeit. Umso erstaunlicher ist es, dass es bisher keinen Beitrag gibt, der die Beschreibung, Erklärung und Gestaltung von Mehrwertleistungen in der Logistik in den Mittelpunkt rückt. Zum Themenschwerpunkt dieser Arbeit lassen sich einige angrenzende Literaturstränge identifizieren. Nachfolgend werden diese Stränge beschrieben und exemplarische Beiträge dargestellt (vgl. Tabelle 1). Mehrwertleistungen und Leistungssysteme wurden zuerst im Marketing übergreifend diskutiert bevor sie in unterschiedlichen Branchen aufgegriffen wurden. Vertreter dieser Marketingsicht sind Belz (1991), der sich mit dem Aufbau von Leistungssystemen befasst, und Laakmann (1995), der den Begriff Mehrwertleistung und seine Besonderheiten untersucht. Ein zweiter Literaturstrang beschäftigt sich mit ausgewählten logistischen Leistungen und Lösungen. Corsten et al (2002) vergleichen Bedürfnisse und durch Mandanten wahrgenommene Kompetenzen bei informationsbasierten Logistikdienstleistungen. Gareis (2002b) beschreibt das potenzielle Dienstleistungsspektrum rund um den Industriepark. Von Eisenhart-Rothe und Jütte (2003) befassen sich mit Beiträgen, die Logistikdienstleister mit Finanzierungskompetenz in Logistiknetzwerken leisten können. Eine Vielzahl von Studien versucht, die Nachfragepotenziale von Logistikdienstleistungen durch Befragung von Verladern quantitativ zu ermitteln. Wesentliche Vertreter dieses Vorgehens sind Langley et al. (2004), die die aktuelle und zukünftige Nachfrage nach Logistikdienstleistungen anhand unstrukturierter Leistungslisten erfragen. Einleitung 23 Rabinovich et al. (1999) analysieren Interdependenzen zwischen Logistikdienstleistungen. Dafür bilden die Autoren sechs Cluster physischer und administrativer Leistungen und zeigen, wie deren Fremdvergabe untereinander korreliert ist. 1995 Laakmann, K. (1995) 1999 Berglund, M., P. van Laarhoven, G. Sharman und S. Wandel (1999) 1999 Rabinovich, E., R. Windle, M. Dresner und T. Corsi (1999) 2001 Zadek, H. (2001) 2002 Corsten, D., M. Lenz und M. Klose (2002) 2002 Gareis, K. (2002) 2002 Nissen, V. und M. Bothe (2002) 2003 von Eisenhart-Rothe, F. und S. Jütte (2003) 2004 Langley, C. J., G. R. Allen und T. A. Dale (2004) 2005 Oymann, B., P. Schumann und B. Fleischmann (2005) x x x x x Zusammenhang zwischen der Vergabe von Basisleistungen und Zusatzleistungen Auswirkung der veränderten Kundenanforderungen auf Geschäftsfelder von LDL Vergleich der Bedürfnisse mit den von Mandanten wahrgenommenen Kompetenzen bei informationsbasierten Logistikdienstleistungen x x x x o x x x Dienstleistungen rund um den Industriepark mögliches Leistungsspektrum eines 4PL Logistikleistungen des Finanzflusses x x x x x x o x Nachfragehäufigkeit von Logistikleistungen x x x Entwicklung einer branchenübergreifenden Lösung für die Beschaffungslogistik x x x x o x x x o x x x x x o x x x x x Gestaltung Fallstudien x Erklärung Typologien Definitionen x o x x x x Beitrag x x x x Konzeptionell Empirisch qualitativ x Empirisch quantitativ x Nachfragersicht Mehrwertleistung Kontraktlogistik Logistik Marketing x Anbietersicht Aufbau von Leistungssystemen in diversen Branchen Planung von Mehrwertleistungen Entwicklung und Segmentierung der 3PLIndustrie. Vorgehen Leistungssystem 1991 Belz, C. (1991) Inhalt Autor(en) Jahr Einordnung x x x x x x x x Tabelle 1: Stand der Theorie Ein weiteres umfangreiches Literatursegment bilden die Beiträge über Geschäftsmodelle – also Third Party Logistics, Lead Logistics und Fourth Party Logistics Provider. Vertreter dieser Gruppe sind bspw. Berglund et al. (1999), die für die 3PL-Industrie eine Entwicklung prognostizieren und eine Segmentierung vorschlagen. Mögliche Leistungen eines Fourth Party Logistics Provider (4PL) werden von Nissen und Bothe (2002) vorgeschlagen. Einen Beitrag zu Leistungssystemen in der Logistik erbringen Oymann et al. (2005). Sie beschreiben mit einer branchenübergreifenden Lösung für die Beschaffungslogistik einen Ausschnitt eines solchen Leistungssystems bei einem Logistikdienstleister. Trotz zahlreicher wichtiger Publikationen im Umfeld von Mehrwertleistungen in den letzten Jahren weist das Themengebiet mehrere Forschungslücken auf. Es fehlen sowohl eine operationalisierbare Begriffsdefinition logistischer Mehrwertleistungen als auch eine Typologie, die das Thema in seiner ganzen Reichweite abdeckt. Aufgrund des noch frühen Entwicklungsstadiums ist eine empirisch qualitative Untersuchung 24 Einleitung notwendig. Besonders Fallstudien können dazu beitragen, die komplexen Entscheidungsprozesse rund um das Angebot und die Nachfrage logistischer Mehrwertlösungen zu beleuchten. Bisher fehlt ein Erklärungsmodell, welches die treibenden und hemmenden Kräfte auf die Nachfrage und das Angebot von Mehrwertleistungen sowie die erzielbaren Ergebnisse ganzheitlich darstellt. Das Konzept integrierter Leistungssysteme ist in der Logistik bisher nicht ausreichend diskutiert worden. Aufgrund dieser Defizite konnte die Wissenschaft der Praxis bisher kaum Gestaltungsempfehlungen für die Entwicklung logistischer Leistungssysteme geben, mit denen Leistungen effektiv und effizient verknüpft werden können. Zusammengefasst fehlt eine Untersuchung, die logistische Mehrwertleistungen in der Kontraktlogistik in ihren Mittelpunkt rückt. 1.3 Zielsetzung der Arbeit Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, Entwicklungsstand und Trends von logistischen Mehrwertleistungen in der Kontraktlogistik zu untersuchen. Dabei integriert sie die Perspektiven von Mandanten und Logistikdienstleistern in einem situativen Erklärungsmodell und leitet daraus einen Gestaltungsansatz für Logistikdienstleister ab. Sie leistet einen Beitrag zur Schliessung der oben identifizierten Forschungslücke und zur Lösung der damit verbundenen Praxisprobleme. Diese Zielsetzungen sollen durch die Beantwortung der folgenden fünf Forschungsfragen erreicht werden. Forschungsfrage 1: Wie können logistische Mehrwertleistungen definiert, typologisiert und gestaltet werden? In vielen Logistikpublikationen wird der Ausdruck Mehrwertleistung verwendet, ohne ihn angemessen zu erklären. Ausserdem verwenden diese Publikationen meist völlig unstrukturierte Leistungslisten. Daher soll sowohl eine Definition, die eine klare Begriffseingrenzung ermöglicht, als auch eine Typologie, die sämtliche Mehrwertleistungen strukturiert, erarbeitet werden. Dadurch wird eine einheitliche Terminologie geschaffen, die bei der Bearbeitung der nachfolgenden Fragen verwendet wird. Die Typologie wird mit zahlreichen Beispielen von Mehrwertleistungen gefüllt. Darüber hinaus sollen die wesentlichen Gestaltungsparameter von Mehrwertleistungen - Ressourcen, Prozesse und Preismodelle - dargestellt werden. Durch die Beantwortung dieser Einleitung 25 Frage wird der erste Baustein des Kontingenzmodells2 – die Gestaltungsdimension – geschaffen. Forschungsfrage 2: Welche Kontextfaktoren beeinflussen Nachfrage und Angebot von logistischen Mehrwertleistungen? Diese Frage bezweckt, die treibenden und hemmenden Faktoren bei Nachfrage und Angebot von komplexen Mehrwertleistungen zu identifizieren. Dabei werden Faktoren des Mandanten, des LDL und der Geschäftsbeziehung unterschieden. Durch die Beantwortung dieser Frage wird ein weiterer Baustein des Kontingenzmodells – die Kontextdimension – geschaffen. Forschungsfrage 3: Welche Potenziale und Risiken ergeben sich durch die Fremdvergabe von logistischen Mehrwertleistungen für Mandanten bzw. LDL? Ziel dieser Forschungsfrage ist es, die Chancen und Gefahren komplexer Mehrwertleistungen für Mandanten und Logistikdienstleister zu identifizieren. Durch die Beantwortung dieser Frage wird der dritte und letzte Baustein des Kontingenzmodells – die Performance-Dimension – hinzugefügt. Aufgrund der kombinatorischen Vielzahl werden ausgewählte, wesentliche Zusammenhänge der Performance mit dem Kontext und der Gestaltung dargestellt. Forschungsfrage 4: Welche Bedeutung haben spezifische Investitionen für die Erbringung logistischer Mehrwertleistungen? Mit der vierten Frage wird ein essentieller Gestaltungsaspekt von Mehrwertleistungen – die Spezifität von Ressourcen, Prozessen bzw. Ergebnissen – analysiert. Es soll untersucht werden, wie Mandanten und LDL gegenwärtig mit der Herausforderung massgeschneiderter Mehrwertleistungen umgehen und welche Entwicklungstrends zu beobachten sind. Forschungsfrage 5: Welche Implikationen ergeben sich für die Entwicklung von logistischen Mehrwertleistungen und deren Integration in Leistungssysteme? 2 In dieser Arbeit wird unter einem Kontingenzmodell ein situatives Beschreibungs- und Erklärungsmodell verstanden. 26 Einleitung Abschliessend soll ein situativer Gestaltungsansatz konzipiert werden, der Logistikdienstleistern dabei hilft, attraktive Einzelleistungen zu entwickeln und diese in einem strukturierten Leistungssystem zusammenzuführen. Dafür erfolgt eine Synthese des empirisch erarbeiteten Kontingenzmodells mit wesentlichen Erkenntnissen der Literatur. 1.4 Aufbau der Arbeit In den vorangehenden Abschnitten des Kapitels 1 wurden die Herausforderungen der Praxis mit dem Stand der Theorie abgeglichen und somit die Forschungslücke und die Zielsetzung der Dissertation hergeleitet. Das Kapitel 2 legt ein theoretisches Fundament für die Arbeit. Dort werden zentrale Begriffe wie Mehrwertleistung und Kontraktlogistik erklärt. Darüber hinaus werden die theoretischen Bausteine wie der Relational View, das Leistungssystem und die Kontingenztheorie präsentiert, die im Laufe der Arbeit für die Beantwortung der Forschungsfragen genutzt werden. Die Kapitel 3 und 4 beschreiben und erklären das Phänomen logistischer Mehrwertleistungen. In Kapitel 3 werden die Sichten von Mandanten und Logistikdienstleistern in ein ganzheitliches Kontingenzmodell integriert. Das Kontingenzmodell ist ein Bezugsrahmen, bei dem die für Mehrwertleistungen relevanten Untersuchungsobjekte den Dimensionen Kontext, Gestaltung oder Performance zugeordnet werden. Kapitel 4 stellt die Praxis von Mehrwertleistungen aus der Mandantenperspektive anhand von vier Fallstudien aus der Automobil- und Elektronikindustrie dar. Ein empirisches Vorgehen sichert die Relevanz der Ausführungen und kann bewährte Erfolgsfaktoren herausarbeiten. Die Mandantensicht wurde hier gewählt, weil Mandanten mit ihren Bedürfnissen und ihrem Kaufverhalten über die Entwicklung und den Erfolg der einzelnen Mehrwertleistungen massgeblich mitentscheiden. Die Fallstudien werden einem Quervergleich unterzogen, um Ähnlichkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten. Gestaltungsaspekte rund um logistische Mehrwertleistungen werden in Kapitel 5 diskutiert. Hier wird die Sicht der Logistikdienstleister eingenommen, weil die Gestaltungsaspekte aus Sicht von Mandanten, also die Logistiktiefengestaltung, häufiger untersucht wurden und einen höheren Entwicklungsstand in Wissenschaft und Praxis aufweisen. Stattdessen wird ein situativer Ansatz für die integrierte Entwicklung von Mehrwertleistungen und Leistungssystemen in der Kontraktlogistik präsentiert. Dabei erfolgt eine Synthese der Literatur über Serviceentwicklung und Leistungssysteme mit Einleitung 27 den Erkenntnissen der vorhergehenden Kapitel. Kapitel 6 fasst abschliessend die Beiträge der Arbeit für Wissenschaft und Praxis zusammen. 1.5 Forschungsmethodik Die wachsende aber dennoch kleine Zahl von Logistikkontrakten mit einem hohen Anteil an Mehrwertleistungen spricht für eine qualitative, explorative Untersuchung (Zikmund 2003, S.110ff). Darüber hinaus ist in den Gesprächen mit Praktikern festzustellen, dass Kontraktlogistik ein relativ junges Marktsegment ist, in dem sich die Interaktionsmuster von Anbietern und Nachfragern erst langsam verfestigen. Entsprechend dieser Erkenntnisse werden in den beiden folgenden Abschnitten für das Forschungsvorhaben die Komponenten des Forschungsdesigns spezifiziert und die Aktivitäten des Forschungsprozesses ausgestaltet. Forschungsdesign Das Forschungsdesign ist die Logik, welche die gesammelten Daten mit den Forschungsfragen verknüpft (Yin 1989, S.27). Dafür muss der Wissenschaftler im Forschungsprozess die Komponenten Forschungsfragen, Analyseeinheiten, Analyseobjekte und Analysemethoden ausgestalten (vgl. Abbildung 3). Die Forschungsfragen wurden aus der identifizierten Forschungslücke abgeleitet und aufgrund ihrer leitenden Bedeutung bereits separat dargestellt. Die logistische Mehrwertleistung ist das zentrale Konstrukt und damit auch zentrale Analyseeinheit dieser Arbeit. Darüber hinaus wird im Gestaltungsteil die Integration von Mehrwertleistungen in Leistungssysteme dargestellt. Analyseobjekte sind Logistikdienstleister, die im Segment Kontraktlogistik tätig sind sowie Mandanten aus den Branchen Automobil und Elektronik/High-Tech, die Kontrakte mit LDL haben. Diese Kontrakte können sich auf sämtliche Prozessketten – Beschaffungs-, Produktions-, Distributions- bzw. After-Sales-Logistik – beziehen. Die verwendete Analysemethode bezeichnet Yin als Mustererkennung. Dabei werden Interviewtransskripte bzw. Fallstudien auf Parallelen und Gegensätze hin untersucht, um so Hinweise auf Zusammenhänge zu finden. 28 Einleitung Analyseeinheiten Mehrwertleistung / -lösung Leistungssystem Analyseobjekte Logistikdienstleister Mandanten Analysemethoden Analyse von Interviewtransskripten Fallstudienvergleich Automobil Mustererkennung Elektronik High-Tech Abbildung 3: Forschungsdesign Fallstudien sind besonders geeignet, komplexe betriebswirtschaftliche Entscheidungssituationen zu erforschen. Fallstudien beleuchten nach gängiger Meinung Entscheidungen hinsichtlich der zugrunde liegenden Entscheidungsfindung und -begründung. Als konstituierende Merkmale von Fallstudien sieht Yin (1989, S.23) die „Untersuchung gegenwärtiger Phänomene in ihrem realen Kontext“, eine Verwischung der „Grenzen zwischen Phänomen und Kontext“ und die Nutzung „multipler Quellen“. Eisenhardt (1989, S.532) charakterisiert Fallstudien als eine induktive, iterative, datenorientierte, bottom-up Vorgehensweise. Anwendbar ist die Methode besonders in neuen Themenbereichen oder um bestehende Themenbereiche aufzufrischen. Im Gegensatz zu quantitativen, fragebogenbasierten Studien, die Forschungsfragen vom Typ wer, was, wo bzw. wie viel beantworten, richtet sich die Fallstudie primär an Fragestellungen vom Typ wie bzw. warum. Die Fallstudie hat aufgrund ihrer Stärken gerade in der anwendungsorientierten betriebswirtschaftlichen Forschung eine hohe Bedeutung. Es handelt sich um eine ganzheitliche Methode, die unterschiedlichste Quellen und damit Perspektiven integriert und dadurch mit höherer Wahrscheinlichkeit in neuer Theorie mündet. Aus Beobachtungen werden Konstrukte und daraus wiederum Theorien entwickelt. Die so gewonnenen Theorien sind aufgrund der empirischen Entwicklungsrichtung testbar. Die besonders enge – meistens personelle – Interaktion mit der Praxis bringt besonders realitätsnahe Ergebnisse hervor (Eisenhardt 1989, S.547). Eisenhardt gibt jedoch auch Schwächen der Methode zu bedenken. Erkenntnisse aus wenigen Tiefenfallstudien sind für den Forscher schwer zu generalisieren. Da der Forscher mit den Inter- Einleitung 29 viewpartnern in Gesprächen interagiert, sind die Datenquellen im Vergleich zu Befragungen weniger strukturiert. Der Forscher ist zu nah am Betrachtungsobjekt, um generische Aussagen treffen zu können. Es resultieren tendenziell komplexere Theorien als bei einer strukturierten Befragung. In Kapitel 4.1 wird dargestellt, wie die Fallstudienmethode in dieser Arbeit verwendet wird. Forschungsprozess Der in dieser Arbeit verfolgte Forschungsprozess (vgl. Abbildung 4) ist hochgradig iterativ. Im Laufe des Forschungsprozesses wurden immer wieder bei Bedarf neue Aspekte – Modellkonstrukte, Literaturquellen, Unternehmen und Interviewpartner einbezogen, sobald sie sich als relevant herausstellten. Dies ist konsistent mit dem von Eisenhardt skizzierten explorativen Forschungsprozess (1989, S.533). Phase Aktivitäten Ergebnisse Problemerfassung Kongressbesuche Arbeitskreis Forschungsfragen Forschungsmethodik Theorieauswahl Literaturstudium „Desk Research“ Aktueller Stand der Wissenschaft Fragebogendesign Interviews Transskription Empirische Rohdaten Interviewanalyse Kodierung Modellbildung Kontingenzmodell (Beschreibungs- und Erklärungsmodell) Fallstudientexte Fallstudienvergleich Fallstudien Erfolgsfaktoren Modellverfeinerung Literaturstudium Modellbildung Gestaltungsmodell Handlungsempfehlungen Empirie Modellbildung Fallstudien Ergebnissynthese Abbildung 4: Iterativer Forschungsprozess In der Phase der Problemerfassung wurden mit Hilfe von Kongressbesuchen und Expertengesprächen im Rahmen von Arbeitskreisen die aktuellen Herausforderungen in der Kontraktlogistik gesammelt. Dies mündete schliesslich in einer Auswahl von Forschungsfragen und einer geeigneten Forschungsmethodik. In der zweiten Phase wurden die problemrelevanten Theorien (Relational View, Leistungssysteme, etc.) gefunden. Im Rahmen eines umfassenden Literaturstudiums wurde der aktuelle Stand der Theorie rund um logistische Mehrwertleistungen aufgearbeitet und ein erster Bezugsrahmen für die Fragebögen erzeugt. Dies hatte den Vorteil, dass die Interviews strukturierter waren und damit die Vergleichbarkeit zwischen den Gesprächen stieg. 30 Einleitung Die Rohdaten wurden in der Phase Empirie durch zahlreiche Interviews erhoben. Vorher wurde das Fragebogendesign mit dem Forschungsziel abgestimmt. Die Gespräche wurden für eine spätere Textanalyse vollständig transskribiert. Als der Wissenszugewinn nach 36 Interviews marginal wurde, konnte man von einer theoretischen Sättigung ausgehen und die Empiriephase beenden (Senger und Österle 2004, S.17). Gemäss Eisenhardt (1989, S.533) wurden Datensammlung im Feld und Datenanalyse nicht streng sequentiell, sondern häufig parallel durchgeführt, so dass eine schnelle Rückkopplung gewährleistet wurde. In der Phase Modellbildung wurde ein Kontingenzmodell durch Interviewanalyse bottom-up generiert. Für die Interviewanalyse wurde die Software Atlas ti (Muhr 1997) eingesetzt. Jedes Mal, wenn während der Interviewanalyse ein zusätzliches relevantes Konstrukt auffiel, wurde es als Objekt in der Atlas Textdatenbank kreiert und in eine Hierarchie von Konstrukten (Code-Hierarchie) eingefügt. Jeder Textstelle, die dieses Konstrukt näher beschreibt, wurde dieser Code zugeordnet. Dieses Vorgehen ermöglicht bspw., mit einer Abfrage in der Textdatenbank über alle Interviewtransskripte hinweg die Textstellen, die mit „Postponement“ kodiert wurden, anzuzeigen. Damit können die Einflussfaktoren und Wirkungen von Postponement identifiziert werden. Die aussagekräftigsten Unternehmensbeispiele wurden ausgewählt und in Form von Fallstudien aufgearbeitet (vgl. Kapitel 4.1). Dabei konnten basierend auf den Erfahrungen der Gesprächspartner aus den zugrundeliegenden Projekten Erfolgsfaktoren für die Vergabe von Mehrwertleistungen gefunden werden. Ausserdem wurden die Fallstudien anhand des Kontingenzmodells miteinander verglichen, um Muster zu entdekken. Abschliessend erfolgte in der Phase Ergebnissynthese eine Zusammenführung der Zwischenergebnisse und der Literatur zu einem Gestaltungsmodell für die Entwicklung von Mehrwertleistungen und zu Handlungsempfehlungen. Grundlagen 31 2 Grundlagen 2.1 Grundlegende Begriffe In den folgenden Abschnitten werden die grundlegenden Begriffe dieser Arbeit erklärt und eingeordnet. Um das Verständnis für logistische Mehrwertleistungen zu erleichtern, werden zuerst die Begriffe Logistik, Mehrwert und Synergie dargestellt. Abschliessend wird die Kontraktlogistik definiert und von den anderen Logistiksegmenten abgegrenzt. 2.1.1 Logistik Die Logistik organisiert neben der effizienten und termingerechten Bereitstellung von Materialien und Produkten auch Zusatzleistungen, mit denen sich Unternehmen im Wettbewerb differenzieren können. Eine effiziente Belieferung wird mit minimalem Anlage- und Umlaufvermögen durchgeführt und trägt nachweislich zum Finanzergebnis bei (Wildemann 2001, S.1ff). Das Leistungsspektrum der Logistik reicht von Prozesssteuerung in der Beschaffungs-, Produktions-, Distributions- und After-SalesLogistik bis hin zur globalen Netzwerksteuerung. Zentraler Bezugspunkt der logistischen Aktivitäten ist der Kundenwunsch, nach dem sich im Idealfall die gesamte Wertschöpfungskette bis hin zu den Vorlieferanten ausrichtet. Ausgehend vom Kundenwunsch plant die Logistik Material- und Informationsflüsse, führt diese aus, steuert und kontrolliert sie. Indirekt beeinflusst sie auch ausgewählte Finanz- und Rechteflüsse. Logistik integriert nicht nur Prozesse und Wertschöpfungsketten, sondern auch Wissensgebiete. Nur mit einer interdisziplinären Denkhaltung, die Erkenntnisse aus BWL, Ingenieurwissenschaften, Informatik und Mathematik kombiniert, können die komplexen Aufgabenstellungen der Logistik bewältigt werden (Straube 2004, S.27ff). In der Literatur werden drei logistische Denkhaltungen - Systemdenken, Flussdenken und Querschnittsdenken – unterschieden (Alt 1997, Straube 2004, S.29f) (Alt 1997, S.14). Systemdenken strebt statt der Optimierung von Teilbereichen die Optimierung des Gesamtsystems an. Subsysteme werden unter Berücksichtigung von Leistungsund Kostenzielen miteinander koordiniert. Das Flussdenken beabsichtigt, kontinuierliche Materialflüsse in Logistiksystemen zwischen Quelle und Senke zu implementieren. Bestände sollen vermieden werden, sofern dies wirtschaftlicher ist. Hinter Quer- 32 Grundlagen schnittsdenken steht die Erkenntnis, dass Logistikentscheidungen häufig funktionsübergreifend getroffen werden müssen, weil die Ziele in Bereichen wie Beschaffung, Produktion und Distribution häufig gegenläufig sind. Daher müssen die vorliegenden Alternativen bzgl. ihrer Gesamtkostenkonsequenzen verglichen werden. Voraussetzung dafür ist, dass die relevanten Kosten und Leistungen vollständig erfassbar sind. Im Laufe der Zeit wurden zahlreiche Logistikdefinitionen vorgeschlagen. In dieser Arbeit wird der Definition der Bundesvereinigung Logistik gefolgt, da sie mit Ziel und Inhalt der Arbeit kompatibel ist und besonders klar das Logistikverständnis der befragten Unternehmen widerspiegelt. „Logistik umfasst die ganzheitliche Koordination und Durchführung aller Informations- und Güterflüsse von Unternehmen und Wertschöpfungsketten mit maßgeblichem Einfluss auf den Unternehmenserfolg.“ (Bundesvereinigung Logistik 2005) Die Unternehmenslogistik – und damit ihr Aufgaben- und Kompetenzspektrum – hat sich in den vergangen 50 Jahren kontinuierlich weiterentwickelt. Die Anfänge einer theoretischen Logistikdisziplin liegen in den 50er Jahren (Morgenstern 1956). In den 70er-Jahren verfolgten Unternehmen überwiegend das Ziel, einzelne Funktionen zu optimieren. In der Logistik wurden physische Abläufe bspw. durch Automatisierung verbessert. In den 80er-Jahren hatte sich in vielen Unternehmen die Einsicht durchgesetzt, dass man mit einer Logistik als Querschnittsfunktion unterschiedliche Bereiche verbinden und damit eine stärkere Flussorientierung durchsetzen kann. Es wurde erkannt, dass Logistik einen wichtigen Beitrag zur Koordination der Funktionsinterdependenzen leisten kann. Erste Unternehmen verstanden auch, dass Logistik nicht nur Kosten senkt, sondern auch im Wettbewerb differenzierend wirkt. In den 90er-Jahren setzte sich mit einem Denken in Prozessen bzw. Prozessketten allmählich eine Flussorientierung durch. In einem durch wachsende Produkt- und Prozesskomplexität gekennzeichneten Marktumfeld nahm die Logistik immer stärker eine Dienstleistungsund Führungsfunktion ein (Straube 2004, S.28f). Um die Jahrtausendwende sind vor dem Hintergrund von verstärkter Globalisierung und von Outsourcing unternehmensübergreifende Kostensenkungspotenziale in den Vordergrund gerückt. Logistik agiert seitdem stärker als vorher in Netzwerken. Dabei nutzt sie die Potenziale von IT und Supply Chain Management (SCM) aus, um externe Partner – Kunden und Lieferanten – für eine bessere Steuerung zu integrieren. Grundlagen 33 Uneinheitliche Begriffsverwendungen machen eine Abgrenzung von Logistik und SCM erforderlich. Die angelsächsische Literatur hat beide Begriffe oft entweder gleichgesetzt oder Logistik auf physische Aufgaben rund um Transport und Lagerhaltung reduziert. In Kontinentaleuropa wurde dagegen unter dem Begriff Logistik immer schon die ganzheitliche kundenorientierte Planung und Steuerung logistischer Prozessketten sowie Netzwerke verstanden (Straube 2004, S.39). In dieser Arbeit wird dem SCM-Verständnis von Pfohl (2000, S.1ff) gefolgt, der SCM als ein restriktionsbasiertes Regelwerk zur Steuerung logistischer Ketten betrachtet. Für SCM müssen demnach umfangreiche Voraussetzungen geschaffen werden, indem Restriktionen abgebildet und IT-Systeme integriert werden. Das Kernziel von SCM liegt darin, unternehmensübergreifende Koordinationsinstrumente, mit denen der sogenannte BullwhipEffekt wirksam bekämpft werden kann, bereitzustellen. Bei diesem Effekt schaukeln sich Bestellmengen durch mangelnde Transparenz über die Wertschöpfungsstufen auf und verlieren den Bezug zum echten Kundenbedarf (Forrester 1958). Straube (2004, S.41) sieht den zentralen Beitrag von SCM für die Logistik darin, Unternehmen zu einer engpassorientierten Lieferterminzusage3 zu befähigen. Im Idealfall kommt dieser Informationsleistung eine zentrale koordinierende Funktion in der Auftragsabwicklung zu. 2.1.2 Mehrwert Mehrwert4 repräsentiert die Wertdifferenz zwischen zwei Stufen im Wertschöpfungsprozess. Um den Begriff Mehrwert zu erklären, muss zuerst eine Definition für den Begriff Wert gefunden werden. Ähnlich wie andere fundamentale betriebswirtschaftliche Begriffe wird Wert häufig uneinheitlich definiert. Eine wichtige Begriffseingrenzung findet sich bei Porter: „...value is the amount buyers are willing to pay for what a firm provides them. Value is measured by total revenue, a reflection of the price a firm’s product commands and the units it can sell. A firm is profitable if the value it commands exceeds the costs involved in creating the product. Creating value for buyers that exceeds the cost of doing so is the goal of any generic strategy. Value, instead of cost, must be used in analyzing competitive position since firms often deliber- 3 4 Available-to-Promise (ATP) Synonyme: Wertbeitrag, Wertschaffung, Wertschöpfung 34 Grundlagen ately raise their cost in order to command a premium price via differentiation” (Porter 1998, S.38). Rutner und Langley (2000, S.75) präsentieren zwei alternative Definitionen. Wert wird erklärt als „quality of a thing, which determines its desireability, usefulness and importance“ und als „a fair price“. Der Wert eines Angebots für einen Kunden ergibt sich folglich aus dem von ihm wahrgenommenen Nutzen im Vergleich zu Konkurrenzangeboten. Entsprechendes gilt für logistische Leistungen (Straube und Frohn 2006). Manager stehen heute stärker denn je unter dem Druck, den konkreten Wertbeitrag von organisatorischen Einheiten, Initiativen und Leistungen darzustellen und zu vertreten. Diese Entwicklung hängt mit dem seit den 80er-Jahren aufkommenden Shareholder-Value-Ansatz zusammen, der immer wieder für Diskussionen gesorgt hat. Rechnerisch kann der Shareholder Value als Differenz aus Unternehmenswert und Fremdkapital ermittelt werden (Rappaport 1995, S.54). Hinter dieser vergleichsweise einfachen Formel verbirgt sich eine Philosophie, die am besten durch das ShareholderValue-Netzwerk beschrieben wird (S.79) (vgl. Kapitel 2.2.1.2). Eine Vielzahl von Unternehmen bekennt sich laut Rappaport (1995, S.3) aus folgenden Gründen zum Shareholder-Value-Ansatz. Unternehmen fürchten, dass sie aufgrund von Unterbewertung zu Übernahmekandidaten werden, dass die Vergütungssysteme für Manager nicht ausreichend mit den Unternehmenszielen wie bspw. Kurswertsteigerung verknüpft sind und dass herkömmliche Bewertungsindikatoren wie Return on Investment oder Gewinn pro Aktie keine starke Korrelation mit der Kurswertsteigerung aufweisen. Laut Bühner (1990, S.16ff) haben gewinnbasierte Bewertungskennzahlen im Vergleich zu cash-flow-basierten Kennzahlen zahlreiche Nachteile. Zum einen hängt der Gewinn davon ab, ob und in welcher Form bilanzielle Wahlrechte wahrgenommen werden. Bei wachsenden Unternehmen werden in Erwartung zukünftiger Umsätze Investitionen in Kapazitäten und Material getätigt. Daher weichen Gewinn und Cash Flow erheblich voneinander ab. Ausserdem kann in cash-flow-basierten Kennzahlen das Risiko und die Zeitpräferenz von Rückflüssen berücksichtigt werden. Aus diesen Gründen haben Kennzahlen wie der Economic Value Added (EVA) in den letzten Jahren steigende Bedeutung in Unternehmen für die Ermittlung von Mehrwert erlangt. Das EVA-Konzept ist skalierbar und kann neben der Unternehmensebene auch zur Bewertung einzelner Projekte oder Leistungsumfänge angewendet werden. Das Bera- Grundlagen 35 tungsunternehmen Stern Stewart hat sich das Konzept schützen lassen und definiert es wie folgt: EVA = Net Operating Profit After Taxes – (Capital x Cost of Capital) „Put most simply, EVA is net operating profit minus an appropriate charge for the opportunity cost of all capital invested in an enterprise. As such, EVA is an estimate of true "economic" profit, or the amount by which earnings exceed or fall short of the required minimum rate of return that shareholders and lenders could get by investing in other securities of comparable risk.“ (Stern Stewart & Co. 2005) 2.1.3 Synergie Die Schaffung von Synergien durch Logistikdienstleister ist eine wichtige Quelle von Mehrwert und damit Treiber für die Fremdvergabe von Logistikaufgaben. Auf allen Strategieebenen eines Unternehmens nimmt die Schaffung von Synergien eine zentrale Bedeutung ein. Auf der Ebene der Unternehmensstrategie beschäftigt man sich beispielsweise im Rahmen von Post-Merger-Integration mit Synergien, auf der Ebene der Geschäftsstrategie spielen Synergien eine wichtige Rolle in der Formulierung von Wettbewerbsstrategien und auf der Ebene von Funktionalstrategien ist die Leistungstiefengestaltung eng mit den erzielbaren Synergien verbunden. Autor Jahr Definition Typen Ansoff 1987 (Synergy) is concerned with the desired characteristics of fit between the firm and its new product-market entries. (...) firm seeks a product-market posture with a combined performance that is greater than the sum of ist parts. Sales Synergy Operating Synergy Investment Synergy Management Synergy Goold und Campbell 1998 Synergy refers to the ability of two or more units or companies to generate greater value working together than they could working apart. Shared Know-How Coordinated Strategies Shared Tangible Resources Vertical Integration Pooled Negotiation Power Combined Business Creation Tabelle 2: Synergiebegriffe und -typen Quellen: (Ansoff 1987) und (Goold und Campbell 1998) 36 Grundlagen Das Wort Synergie leitet sich laut Goold und Campbell (1998, S.133) aus dem griechischen Synergos (zusammen arbeiten) ab. Tabelle 2 gibt einen Überblick über geläufige Definitionen und Typologien. Der Synergiebegriff von Goold und Campbell (1998, S.133) ist sehr breit angelegt und umfasst die Produktions- und Vertriebssicht genauso wie die materiellen und immateriellen Synergiepotenziale. Unter Wissensteilung verstehen sie, dass personengebundenes Wissen oder explizites Wissen aus Dokumenten bspw. für die Erschliessung von Märkten oder die Verbesserung von Prozessen genutzt werden. Koordinierte Strategien können zu Synergien führen, wenn man bspw. die Distribution von zwei Geschäftsbereichen zusammenlegt und dann fremd vergibt. Die Teilung von materiellen Ressourcen vermeidet, dass Unternehmen redundante Kapazitäten vorhalten und diese u.U. nur schlecht auslasten können. Die verbesserte Koordination von sequenziellen Wertschöpfungsaktivitäten nennen die Autoren vertikale Integration. Dadurch können Wartezeiten vermieden und Zeit- sowie Kostenvorteile erzielt werden. Die Bündelung von Einkaufsvolumina führt zu einer besseren Verhandlungsmacht gegenüber Lieferanten. I.d.R. ist es dadurch möglich, bessere Einstandspreise und Qualitäten durchzusetzen. Vor dem Hintergrund des Wachstumsdrucks in den Unternehmen betonen die Autoren die Möglichkeit, unternehmensinterne Allianzen zu bilden, um unterschiedliche Wissensquellen und damit zusätzliche Umsatzpotenziale auszuschöpfen. Wesentliche Potenziale des Logistik-Outsourcing lassen sich damit erklären, dass materielle und immaterielle Ressourcen mit anderen Nutzern geteilt werden und dadurch Skalen- sowie Verbundeffekte erzeugt werden. Skaleneffekte (Economies of Scale) werden von Bohr (1996, S.375ff) folgendermassen definiert: „Von Economies of Scale oder (...) Betriebsgrössenersparnissen spricht man, wenn der Zusammenhang zwischen zunehmender geplanter Betriebsgrösse (Kapazität), gemessen in der möglichen Ausbringung eines Produkts bzw. einer Produktpalette pro Zeiteinheit, und den zu erwartenden gesamten Herstellstückkosten durch abnehmende Herstellstückkosten gekennzeichnet ist.“ Im Gegensatz zu Skaleneffekten beziehen sich Verbundeffekte (Economies of Scope) explizit auf die Produktion verschiedener Leistungen. Es erfolgt eine Diversifikation in eine zusätzlich erbrachte Leistung, die eine vertikale oder horizontale Nähe im Wertschöpfungsprozess zu der ursprünglich erbrachten Leistung aufweist, so dass eine Grundlagen 37 „gemeinsame, jedoch nicht konkurrierende Nutzung von Produktionsfaktoren“ erfolgt. Bohr grenzt den Begriff Verbundeffekt wie folgt ein: „Economies of Scope sind dann gegeben, wenn die Kosten K(x1,x2) der Produktion zweier Produkte x1 und x2 in einer Unternehmung geringer sind als die Summe der Kosten K1(x1) und K2(x2) bei getrennter Produktion in den beiden verschiedenen Unternehmen 1 und 2.“ 2.1.4 Logistische Mehrwertleistungen Als Reaktion auf veränderte Bedürfnisse von Mandanten und neue technische Möglichkeiten haben LDL in den letzten Jahren ihr Leistungsspektrum ausgebaut. In fast allen Branchen ist in diesem Zeitraum die Globalisierung stark fortgeschritten. Die Mandanten mussten sich Gedanken machen, welche Rolle die interne Logistikfunktion in dem veränderten Wettbewerbsumfeld spielen soll. Parallel dazu kamen Diskussionen über den Shareholder Value und die Kernkompetenzen eines Unternehmens auf. Infolgedessen wurde vielerorts abgewogen, welche logistischen Aufgaben man selber erbringt und welche fremd bezogen werden. Daraus ergaben sich völlig neue Beschaffungsumfänge wie bspw. Vormontagen in der Autoindustrie. Es hat sich zusätzlich zu den Basisleistungen rund um Transport und Lagerhaltung eine Nachfrage nach komplexen Logistikdienstleistungen entwickelt (Langley et al. 2004). Bretzke (1999, S.221) weist jedoch darauf hin, dass man nicht nur auf die Wachstumsraten dieser Leistungen schauen sollte, sondern auch die aktuell teilweise noch relativ geringe Bedeutung im Auge behalten muss. LDL haben hohe Erwartungen in die Entwicklung von logistischen Mehrwertleistungen. Sie sollen neue Geschäftsfelder bspw. durch Lösungen für die Automobil-, Elektronik- und Textilbranche eröffnen und damit im Vergleich zu klassischen Leistungen rund um Transport, Umschlag und Lagerhaltung (TUL5) höhere Margen und eine verbesserte Kundenbindung aufweisen. Bevor die diskutierten Potenziale ausgeschöpft werden können, sind umfangreiche Investitionen in Informationstechnologie und – weil diese Leistungen häufig komplexer und wissensintensiver als herkömmliche Umfänge sind – auch in den Aufbau von Humankapital zu leisten (Chapman et al. 2002, S.361). 5 Synonym: Basisleistungen 38 Grundlagen Obwohl die Begriffe Logistikdienstleistung und Mehrwertleistung (MWL)6 häufig verwendet werden, ist es schwer, einheitliche und aussagekräftige Definitionen dafür zu finden und sie dadurch abzugrenzen. Bretzke (1999, S.220) bietet eine pragmatische Begriffsklärung für Logistikdienstleistungen. Danach fallen darunter alle Dienstleistungen, die von Logistikdienstleistern erbracht werden. Eine Schwäche dieses Verständnisses ist, dass Materialflussleistungen, die von LDL erbracht werden, häufig gar nicht logistischer Natur sind, sondern eher der Produktion zuzuordnen sind. Daher regt Bretzke an, die Definition von Logistikdienstleistungen eng mit dem Logistikbegriff zu verknüpfen. Er betont, dass Zusatzleistungen mit den Basisleistungen verwoben sind und meistens gemeinsam erbracht werden. Er ordnet die Basisleistungen als Kernleistungen ein, die durch geeignete Zusatzleistungen „angereichert“ werden und als integriertes System dem Kunden angeboten werden. Diese Vorgehensweise kann theoretisch bis hin zu One-Stop-Shopping (OSS) in der Logistik gehen. Bei diesem Konzept würde ein Mandant nahezu alle logistischen Beschaffungsumfänge (in einer Region) von einem präferierten Logistikdienstleister beziehen. Eine der wenigen Definitionen zu logistischen Mehrwertleistungen findet sich bei Klaus und Krieger (2004). „Value-Added-Service bezeichnet die zunehmend wichtiger werdenden Zusatzdienstleistungen, die gekoppelt mit den elementaren Logistikdienstleistungen angeboten werden.“ Diese Erklärung bedarf diversen Ergänzungen, weil sie weder die Leistungen genauer spezifiziert noch Hebel für die Erzeugung von Mehrwert aufzeigt. Daher wurde eine eigene Definition entwickelt, die in dieser Arbeit verwendet wird7. „Logistische Mehrwertleistungen sind über Basisleistungen in den Bereichen Transport, Umschlag und Lagerhaltung hinausgehende auf Mandanten oder Segmente zugeschnittene logistische Aufgaben, deren externe Erbringung durch spezialisierte Dienstleister eine Netto-Wertsteigerung im Vergleich zur internen Erbringung durch den Mandanten schafft. 6 Englisch: Value-Added Service (VAS) In dieser Arbeit wird Logistikleistung als Oberbegriff verstanden, der in die Begriffe Basisleistung (TUL), Mehrwertleistung und sonstige Logistikleistung untergliedert werden kann. Mehrwertleistungen zeichnen sich durch die Merkmale Wertbeitrag und Spezifität aus. Daraus lassen sich – wie im Laufe der Arbeit gezeigt wird – auch die Kundenbindung und Differenzierung als definitorische Merkmale ableiten. Leistungen, die weder den Basis- noch den Mehrwertleistungen zuzuordnen sind, kann man folglich als sonstige Logistikleistungen klassifizieren. 7 Grundlagen 39 Durch eine zweckmässige Zuordnung von Design-, Planungs-, Monitoring- und Fulfillmentaufgaben im Logistiknetzwerk können Material-, Informations-, Finanz- und Rechteflüsse verbessert werden.“ Die Definition nutzt die Flussdimension und die Führungsdimensionen, um die zahlreichen logistischen Mehrwertleistungen zu ordnen (Straube und Frohn 2004, S.43). In Kapitel 3.2.1 wird eine Typologie von Mehrwertleistungen entwickelt, die auf der vorliegenden Definition basiert. Anschliessend werden für die einzelnen Bereiche der Typologie detaillierte Beispiele dargestellt. Autor(en) Publikationsjahr Land Branche Langley / Allen / Colombo 2003 North America diverse Rechtefluss Knemeyer / Corsi / Murphy 2003 USA Manufacturers of Food, Industrial Equipment, Wholesalers, others Baumgarten / Thoms 2002 Deutschland u.a. Automobilindustrie Carrier Negotiation and Contracting (30) Freight Bill Payment (26) Customs Brokering (16) van Laarhoven / Berglund / Peters 2000 Nordeuropa diverse Invoicing (15) Finanzfluss Customs Brokerage (66) Customs Clearance (62) Freight Bill Auditing / Payment (54) Rate Negotiation (19) Inventory Ownership (6) Factoring (Trade Financing) (2) Informationsfluss - Design Consulting Services (29) Carrier Selection (24) Procurement of Logistics (23) Information Technology (16) 4PL-Services (7) EDI Capability (14) Logistik-Softwareentw. (31) SCM-Softwareentw. (38) IS Implementierung (19) IT Integration (13) Informationsfluss - Planung Inventory Mgt (19) Fleet Mgt (12) Transportation Planning (26) Route and Network Optimization (24) Inventory Management (15) Transportplanung (25) Tourenplanung (31) Logistikplanung (6) Bestandsmanagement (25) Informationsfluss - Monitoring Forecasting (2) Tracking & Tracing (65) Informationsfluss - Fulfillment Order Fulfillment (23) Order Entry / Processing (10) Customer Service (9) Freight Brokering (19) Order Fulfillment (17) Inventory Admin (65) Order Entry (10) Materialfluss - Transport Outbound Transp. (71) Inbound Transp. (62) Freight Forwarding (57) Outbound Traffic Control (47) Inbound Traffic Control (38) Freight Forwarding (23) Transporte (78) Line Haul (ca. 80%) Network based Transport (70) Emergency Transport (70) Materialfluss - Stationär Warehousing (73) Cross-Docking (37) Shipment Consolid. (37) Reverse Logistics (28) Selected Manuf. Act. (23) Product Marking / Labeling (20) Assembly / Installation (9) Freight Consolidation (27) Product Returns (18) Cross Docking (15) Pick and Pack (12) Kommissionierung (38) Lagerhaltung (44) Verpackungsentsorg. (44) Verpackung (31) Etikettierung (19) Behältersteuerung (19) Produktrückführung (25) Produktionssynchr. Materialzuführung (19) Merge-in-transit (35) Storage (85) Order Picking (80) Assembly (20) Customization (25) Labelling (50) Tabelle 3: Fremdvergabe von Logistikleistungen Quellen: (Langley et al. 2003), (Knemeyer et al. 2003), (Baumgarten und Thoms 2002) und (van Laarhoven et al. 2000) Mehrere Studien haben in den letzten Jahren meist quantitativ die Bedeutung von Logistikleistungen abgeschätzt. Tabelle 3 gibt eine Übersicht über diese Studien, die auf unterschiedliche Branchen in Europa und Nordamerika Bezug nehmen. Die Leistungen der Studien wurden entsprechend der obigen Definition bestimmten Bereichen (bspw. Informationsfluss - Planung) zugeordnet, weil die Studien keine Leistungstypo- 40 Grundlagen logie verwenden. Ausserdem lassen sich dadurch leichter Ähnlichkeiten und Unterschiede aufdecken. Die Studien weisen – teilweise durch ihr Alter bedingt – Lücken in den Leistungslisten auf. Bspw. ist der Bereich Monitoring kaum ausgefüllt. Es fehlen u.a. RFID8, Supply Chain Event Management und Reporting. Bei einigen Leistungen wird über eine ähnlich hohe Nachfrage berichtet, wohingegen bei anderen grosse Differenzen auftreten. Die Studien schätzen die Bedeutung von Auftragserfassung, Order Fulfillment und Bestandsmanagement ähnlich ein. Unterschiedlich ist die Einschätzung jedoch beim Customs Brokerage mit 16% versus 66% der Befragten in Nordamerika. Die Unterschiede lassen sich evtl. auf Branche, Land und Unternehmensgrösse der Befragten zurückführen. Im Gegensatz zu den europäischen Studien haben die amerikanischen umfassend den Status Quo bzgl. Leistungen des Finanz- und Rechteflusses erfragt. U.a. wird dort die Verzollung und die Bezahlung von Frachtrechnungen relativ häufig nachgefragt. Insgesamt lassen sich Leistungen mit hoher, mittlerer und niedriger gegenwärtiger Nachfrage unterscheiden. Wenn man bspw. die Intervalle bei 20% und 40% zieht, dann kann man eine hohe Nachfrage nach Verzollung und Labeling, eine mittlere Nachfrage nach Cross-Docking und Customization sowie eine niedrige Nachfrage nach Auftragserfassung und Prognose konstatieren. 2.1.5 Kontraktlogistik Parallel zu der Entwicklung neuer Mehrwertleistungen ergeben sich auch innovative Rollen und Segmente von Logistikdienstleistern in Netzwerken. Beispiele für Segmentierungen der Logistikbranche sind u.a. bei Zadek und Klaus zu finden. Zadek (2001, S.29) verwendet als Ordnungsdimensionen die Bedeutung von Mehrwertdiensten (gering versus hoch) und die Erbringung operativer Logistik-Dienstleistungen (Eigenerbringung versus Fremdvergabe). Einzeldienstleister (Standard- und Spezialdienstleister) haben auf beiden Achsen eine geringe Ausprägung, Verbunddienstleister (KEPDienstleister und Integratoren) haben auf beiden Achsen eine mittlere Ausprägung und System-Dienstleister (Third- und Fourth-Party-Logistics Provider) zeichnen sich durch eine hohe Bedeutung von Mehrwertdiensten und ebenfalls eine hohe Bedeutung der Unterbeauftragung operativer Leistungen aus. Der von Zadek verwendete Begriff Systemdienstleister ist gleichbedeutend mit dem Begriff Kontraktlogistik, welcher von Klaus wie folgt definiert wird: 8 Radio Frequency Identification Grundlagen 41 „(...) Geschäfte (...), bei denen in einer engen, individuell zwischen Dienstleister und Verlader gestalteten Beziehung mehrere logistische Funktionen integriert sind, diese Beziehung längerfristig vertraglich abgesichert ist und das Geschäftsvolumen einen erheblichen Mindest-Jahresumsatz überschreitet.“ (Klaus 2003, S.106f) Innerhalb der Kontraktlogistik sehen viele Autoren drei Entwicklungsstufen: Third Party Logistics Provider (3PL) als Ausgangsstufe, Fourth Party Logistics Provider (4PL) als höchste Entwicklungstufe und Lead Logistics Provider (LLP) als Zwischenstufe. Lange Zeit haben optimistische Marktteilnehmer den 4PL als Lösungsansatz für die Integration und Steuerung gesamter Wertschöpfungsketten gesehen (Delfmann und Nikolova 2002). Baumgarten (2002, S.36) weist jedoch darauf hin, dass das Konzept so enorme Anforderungen an potenzielle Anbieter stellt, dass bisher in Europa kein „vollwertiger“ 4PL existiert. Daher werden Logistikdienstleister auf dem Weg zum 4PL wohl zuerst Teile der Wertschöpfungskette integrieren (Delfmann und Nikolova 2002, S.423). Das 4PL-Konzept wurde Mitte der 90er Jahre von Andersen Consulting entwickelt und folgendermassen beschrieben: "Ein 4PL-Provider ist ein Supply Chain Manager, der die Ressourcen, Kapazitäten und Technologien seiner eigenen Organisation mit anderen Dienstleistungsorganisationen zusammenführt, um dem Endkunden eine vollständige Supply Chain-Lösung anzubieten." (Bauknight 2000, S.35) Baumgarten entwickelt die Definition weiter und geht insbesondere auf die Steuerungs- und Gestaltungsaufgaben sowie die Wissensintensität der Leistungen ein. „Der 4PL Provider übernimmt als Netzwerkintegrator die übergreifende Steuerung der im Netzwerk verteilten technologischen und personellen Ressourcen. Er bildet unter Einbeziehung der Ressourcen, Technologien und des Know-hows anderer, komplementärer Dienstleister, wie 3PL oder IT-Solution-Provider, das Business Process Management ab und entwickelt Gesamtlösungen für das Management komplexer Netzwerke.“ (Baumgarten 2001, S.36) 42 Grundlagen Das Konzept des 4PL sieht vor, dass sich der Anbieter in der Dienstleisterpyramide zwischen dem Mandant und den ausführenden Dienstleistern (bspw. 3PL, IT-Provider) positioniert. Es stellt sich die Frage, ob eine Zwischenstufe nur weitere Komplexität schafft oder ob der 4PL für den Mandanten einen Mehrwert erzeugt. Der könnte neben den Verbundeffekten vor allem im Zugang zu hochaktuellem Logistik- und Technologiewissen liegen. Um erfolgreich zu sein, müssen sich 4PL daher stets den Zugang zu den relevanten Wissensquellen sichern. Darüber hinaus müssen sie in der Lage sein, in der eigenen Organisation Erfolgsbeispiele zwischen Mandanten und Branchen zu übertragen. Aufgrund ihrer Marktkenntnis und umfangreicher Projekterfahrung liegt die Kernkompetenz von 4PL darin, Drittleistungen zielorientiert auszuwählen, zu implementieren und zu koordinieren sowie bei Fragestellungen rund um Logistik, IT und Organisation beratend zu agieren (Delfmann und Nikolova 2002, S.424f). Im Gegensatz dazu zeichnet sich der klassische 3PL nach Meinung von Delfmann und Nikolova dadurch aus, dass sein Schwerpunkt auf der physischen Logistik liegt und dass er keine vollständige IT-Systemlandschaft anbieten kann. Daher bietet er i.d.R. keine Komplettlösungen an und agiert nicht als zentraler Ansprechpartner im Dienstleisternetzwerk. Ausserdem sehen die Autoren Vorteile darin, dass der 4PL keine eigenen Logistikanlagen auslasten muss, somit neutraler sein kann und darüber hinaus durch ausgeprägte Fähigkeiten beim Beziehungsmanagement eine besonders enge Zusammenarbeit mit dem Mandanten realisieren kann. Beim LLP steht ähnlich wie beim 4PL die Konsolidierung des Dienstleisternetzwerkes durch die Etablierung eines führenden Akteurs, der die Subdienstleister koordiniert und eine einheitliche Schnittstelle zum Mandanten aufbaut, im Vordergrund. Klaus sieht den Unterschied zum 4PL darin, dass der LLP weniger gestaltet und berät (Klaus 2003, S.110). Insgesamt sind die Ausführungen zu den Entwicklunsstufen in der Kontraktlogistik eher konzeptionell, so dass ihre Realisierbarkeit in der Praxis erst noch bewiesen werden muss. Bspw. wurde in den Interviews deutlich, dass Mandanten ungern auf einen direkten Kontakt zu wichtigen Subdienstleistern verzichten, um die Einsparungspotenziale stets beurteilen zu können. Grundlagen 43 2.2 Grundlegende Zusammenhänge Bevor in Kapitel 3 die Modellbildung beginnt, werden die wesentlichen theoretischen Bausteine rund um logistische Mehrwertleistungen identifiziert sowie ihr Erklärungsbeitrag für diese Arbeit aufgezeigt. Zuerst werden Wertschöpfungstheorien dargestellt. Sie untersuchen, wie die Performance von Unternehmen von der Konfiguration ihrer Wertschöpfungsketten abhängt. Danach werden Netzwerktheorien vorgestellt. Sie analysieren, wie Anbieter und Nachfrager bei der Wertschöpfung zusammenarbeiten. Die Theorie der Leistungssysteme erklärt, wie Anbieter durch eine Integration ihrer Leistungen erfolgreich sein können. Abschliessend wird die Kontingenztheorie präsentiert. Sie postuliert, dass für jede Kombination eines Unternehmens- und eines Umfeldkontextes eine optimale Strategie existiert. 2.2.1 Wertschöpfungstheorien In diesem Abschnitt werden zwei Beiträge zur Wertschöpfungstheorie dargestellt, die sich mit den folgenden Fragestellungen beschäftigen: Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Konfiguration einer Wertschöpfungskette und den für ein Unternehmen erzielbaren Wettbewerbsvorteilen? Wie können Wettbewerbsstrategien Werttreiber adressieren und dadurch nachhaltige Wertsteigerungen bewirken? 2.2.1.1 Value Chain Um nachhaltig Werte zu schaffen, müssen sich Unternehmen in ihrer Industrie durch Wettbewerbsvorteile gegenüber der Konkurrenz positionieren. Porter (1998, S.12ff) unterscheidet vier Wettbewerbsstrategien, die auf den Aufbau und die Festigung solcher Positionierungen abzielen: Kostenführerschaft, Differenzierung, Kostenführerschaft in der Nische und Differenzierung in der Nische. Ein Kostenführer schafft es, ähnliche Leistungen wie der Wettbewerb aufgrund seiner einzigartigen Kostenposition, die bspw. auf Skaleneffekten oder eigenen Technologien basiert, zu niedrigeren Preisen am Markt anzubieten. Ein Unternehmen verfolgt laut Porter eine Differenzierungsstrategie, wenn es die für den Kunden wichtigen Leistungsmerkmale auf einzigartigem Niveau erbringt und somit einen „Premiumpreis“ erlösen kann. Das Unternehmen muss sicherstellen, dass die durchsetzbare Preisdifferenz die Kosten der Differenzierung übersteigt. Die beiden Nischenstrategien sind für Marktsegmente geeignet, in denen von den sonstigen Segmenten abweichende Kundenbedürfnisse oder Leistungsprozesse existieren. Unternehmen, die sich auf ein solches Segment fokussieren, 44 Grundlagen können durch massgeschneiderte Angebote in der Lage sein, nachhaltige Wettbewerbsvorteile gegenüber Vollsortimentanbietern zu erzielen. Geschäfte Geschäfte Unterstützungsaktivitäten Lieferanten Kunden Mandant Unternehmensinfrastruktur Personalmanagement Technologieentwicklung rge Ma Beschaffung EingangsLogistik Produktion AusgangsLogistik Marketing & Vertrieb Service Primäraktivitäten Abbildung 5: Value Chain Quelle: (Porter 1998, S.35 und 37) Da die Quellen von Wettbewerbsvorteilen in einzelnen Aktivitäten entlang der Wertschöpfungskette verborgen sind, hat Porter (1998, S.36ff) die Value Chain als Analyseinstrument entwickelt. Sie hilft dabei, primäre und sekundäre Aktivitäten entlang der firmeninternen und zwischenbetrieblichen Wertkette zu identifizieren und ihre Interdependenzen zu verdeutlichen. Da die Wertketten stark vom Produkt-Markt-Kontext beeinflusst werden, sollte für jede Geschäftseinheit eine separate Wertkette erstellt werden. Je nach ihrer Rolle im Transformationsprozess unterscheidet man primäre und sekundäre Aktivitäten in der Wertkette (vgl. Abbildung 5). Die primären Aktivitäten sorgen direkt dafür, dass eine Leistung erstellt, zum Kunden transportiert oder für ihn nutzbar wird. Dazu gehören Eingangslogistik, Produktion, Ausgangslogistik, Marketing und Vertrieb sowie Kundendienst. Die unterstützenden Aktivitäten sorgen dafür, dass die primären Aktivitäten plangemäss ablaufen und verbessert werden. Zu ihnen werden Unternehmensinfrastruktur, Personalmanagement, Technologieentwicklung Grundlagen 45 und Beschaffung gezählt. Für die Abbildung von Aktivitäten bietet sich ein Vorgehen entlang von Material- oder Informationsflüssen an. Hinsichtlich der Detaillierung schlägt Porter vor, dass eine Aktivität dann erfasst werden sollte, wenn sie hohes Differenzierungs- oder Kosteneinsparpotenzial birgt (1998, S.45). Als wesentliches Ergebnis der Wertkettenanalyse stellt Porter fest, dass Unternehmen Interdependenzen („Linkages“) zwischen Aktivitäten unterschiedlich managen und die Reichweite („Scope“) von Wertketten unterschiedlich konfigurieren, wobei diese beiden Parameter wesentlich Quellen von Wettbewerbsvorteilen darstellen. Eine sorgfältige Lieferantenauswahl reduziert bspw. Probleme in der Produktion. Allgemein definiert Porter diese Interdependenzen als „Beziehungen zwischen der Art, wie eine Wertaktivität durchgeführt wird und den Kosten und der Leistung einer anderen“ (1998, S.48). Aus einer Interdependenz ergibt sich die Notwendigkeit, Funktionen zu koordinieren und sie bei der Auflösung von Zielkonflikten zu unterstützen. Die Reichweite einer Wertkette wird entlang der vier Dimensionen Segment- und Industriereichweite sowie vertikale und geographische Reichweite gestaltet und sucht dabei die Wettbewerbsvorteile in einer breiten oder schmalen Reichweite. Der Vorteil einer breiten Reichweite liegt darin, dass man gezielt Interdependenzen zwischen den Aktivitäten im Sinne von Skaleneffekten ausnutzt, indem man bspw. zwei Kundenbranchen mit einem Kundendienst bearbeitet. Eine schmale Reichweite ist dann vorteilhaft, wenn sich Aktivitäten stark unterscheiden und eine massgeschneiderte Wertkette konfiguriert wird. 2.2.1.2 Shareholder-Value-Netzwerk Das Konzept des Shareholder-Value-Netzwerk von Rappaport (1995, S.79f) strukturiert das Wertmanagement in die vier Gestaltungsebenen Unternehmensziel, Bewertungskomponenten, Werttreiber und Führungsentscheidungen. Die Zielsetzung des Shareholder Value bzw. der Eigentümerrendite wird über die Bewertungskomponenten betrieblicher Cash Flow, Diskontsatz und Fremdkapital operationalisiert (vgl. Abbildung 6). Der Bereich Operations kann über seine Führungsentscheidungen die Werttreiber Umsatzwachstum, betriebliche Gewinnmarge und Gewinnsteuersatz und damit den betrieblichen Cash Flow adressieren. Investitionsverantwortliche beeinflussen, wie Anlage- und Umlaufvermögen aufgebaut bzw. des-investiert werden. Ein dritter Werttreiber mit Wirkung auf den Cash Flow ist die Dauer der Wertsteigerung. Fi- 46 Grundlagen nanzverantwortliche können über den Werttreiber Kapitalkosten den Diskontsatz sowie direkt die Höhe des genutzten Fremdkapitals festlegen. Zielsetzung des Unternehmens Bewertungskomponenten Werttreiber Führungsentscheidungen Geschaffener Shareholder Value Betrieblicher Cash-Flow Dauer der Wertsteigerung Eigentümerrendite Dividenden Kursgewinne Diskontsatz Umsatzwachstum Betriebliche Gewinnmarge Gewinnsteuersatz Investition ins Umlaufver mögen Investition ins Anlagever mögen Operating Investition Fremdkapital Kapitalkosten Finanzierung Abbildung 6: Shareholder-Value-Netzwerk Quelle: (Rappaport 1995) Rappaport verbindet das Shareholder-Value-Netzwerk mit der Wertkette von Porter, weil es damit „dem Management möglich [ist], die Werttreiber auf systematische Art und Weise zu schätzen“ (1995, S.90). Durch die Kombination von Wertketten- und Werttreiberanalyse kann die Identifikation und Realisierung von Wettbewerbsvorteilen unterstützt werden. Die Wertkette ist eine Strukturierungshilfe, mit der man die im Unternehmen verteilten Cash Flows einfacher lokalisieren kann. Dieses Vorgehen ermöglicht es bspw., die Geldzuflüsse und -abflüsse für die Primäraktivität Eingangslogistik zu erfassen. Zu den Geldabflüssen lassen sich die Betriebskosten für Materialtransport, Lagerhaltung, Wareneingang und Administration sowie Steigerungen beim Umlaufvermögen bspw. im Rohmateriallager und bei den Debitoren sowie Zugänge beim Anlagevermögen bspw. Fördertechnik und Transportflotte zählen. Für die Realisierung der gewählten Wettbewerbsstrategie arbeitet Rappaport generische Taktiken basierend auf den Werttreibern aus, die je nach Situation konkretisiert werden können (S.101). Anhand der Kostenführerschaft werden ausgewählte Taktiken erläutert, die auch einen Bezug auf den Einsatz von Logistikdienstleister erkennen lassen. Unternehmen können den Werttreiber Umsatzwachstum dadurch adressieren, dass Grundlagen 47 sie wettbewerbsgerechte Preise verlangen und damit eine Steigerung von Marktanteilen bspw. durch geographische Expansion anstreben. Skaleneffekte können theoretisch bei allen Aktivitäten in der Wertkette erzeugt werden und ermöglichen somit die betriebliche Gewinnmarge zu verbessern. Darüber hinaus schlägt Rappaport vor, die Marge über eine verbesserte Anbindung von Lieferanten und Kunden sowie eine Reduktion von solchen Gemeinkosten, die keinen klaren Wertbeitrag leisten, zu optimieren. Um die Investitionen in das Umlaufvermögen zu reduzieren, können Manager die Cash-to-Cash-Cycle-Time9 verbessern und unter Berücksichtigung der zu erzielenden Lieferbereitschaftsgrade die Bestände weiter senken. Rappaport fordert, dass Unternehmen, die eine Kostenführerschaft anstreben, die Auslastung des Anlagevermögens optimieren, indem sie bspw. unterausgelastete Anlagen veräussern. Ein weiterer Hebel auf das Anlagevermögen bietet der Einsatz von technischen Innovationen, die die Produktivität erhöhen. Als Beispiel ist die automatische Identifikation anstatt des manuellen Lesens von Barcodes zu nennen. Der Werttreiber Kapitalkosten kann über drei Hebel adressiert werden. Zum einen sind dies die Kosten für Eigen- und Fremdkapital und die Mischung beider Finanzierungsarten. Zusätzlich entscheidet das Management von Geschäftsrisiken über die zu entrichtende Risikoprämie. Es wird deutlich, dass zwischen den Werttreibern Zielkonflikte bestehen, denn die Automatisierung von Prozessen spart zwar Personal ein, führt aber zu hohen Investitionen ins Anlagevermögen. Durch die Fremdvergabe von Logistikaufgaben können die Betriebskosten gesenkt werden. Dieses Vorgehen führt jedoch u.U. zu höheren Risiken. 2.2.2 Netzwerktheorien Nachfolgend werden zwei Beiträge zur Netzwerktheorie dargestellt. Der erste Beitrag wird als „Transactional Value“ bezeichnet. Er beschäftigt sich mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen Transaktionen zwischen Unternehmen vorteilhafter als eine Eigenerstellung sind. Anschliessend wird mit dem „Relational View“ ein Beitrag vorgestellt, der erklärt, wie durch die Ausgestaltung der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen Kooperationsgewinne erzeugt werden. 2.2.2.1 Transactional Value Weil Zajak und Olsen (1993, S.132ff) der Meinung sind, dass die Transaktionskostenperspektive nur eingeschränkte Erklärungskraft für die gerade in der letzten Dekade 9 Durchschnittlicher Zeitraum zwischen dem Zahlungseingang vom Kunden und den für die Leistungserstellung erforderlichen Zahlungsausgängen. 48 Grundlagen stark aufgekommenen Unternehmenskooperationen besitzt, schlagen sie den Ansatz des Transaktionswertes vor. Die Autoren betrachten Transaktionskosten nur als Teil der für eine Organisationsentscheidung relevanten Kosten, die dem erzielbaren Nutzen gegenüber gestellt werden müssten (S.133). Die Transaktionskostentheorie, zu der Williamson (1985) wesentlich beigetragen hat, beschäftigt sich mit der Frage, welche Institution – Firma, Markt oder relationaler Vertrag – für ökonomische Aktivitäten gewählt werden sollte (S.15f). Bei der Entscheidung über die Organisation von Aktivitäten reicht der Vergleich von Produktionskosten nicht aus. Es müssen auch die Transaktionskosten berücksichtigt werden. Diese setzen sich u.a. zusammen aus den Kosten für die Ausarbeitung, Verhandlung und Sicherung von Abkommen sowie aus den Kosten einer fehlerhaften Umsetzung und einer Einigung bzgl. Korrekturmassnahmen (S.20ff). Für die Gestaltung ihrer Wertschöpfungstiefe müssen Unternehmen nach Auffassung von Williamson die drei interdependenten Parameter Technologie (Spezifität), Vertrag (Governance) und Preis simultan planen (S.34). Häufig gibt es mehrere akzeptable Alternativen hinsichtlich Technologie und Spezifität. Wenn keine spezifischen Ressourcen und Technologien erforderlich sind, kann eine Leistung i.d.R. von einem Lieferanten aufgrund von Skaleneffekten günstiger erbracht werden. Auch die Governance-Kosten sind in dieser Situation niedriger. Für Make-or-Buy-Entscheidungen formuliert Williamson folgende Entscheidungsheuristik (S.93f) „Market procurement has advantages in both scale economy and governance respects where optimal asset specificity is slight. (...) Internal organization enjoys the advantage where optimal asset specificity is substantial. (...) Only small cost differences appear for intermediate degrees of optimal asset specificity. (...) contracts may arise to serve these.“ Zajak und Olsen identifizieren zwei zentrale Merkmale des Transaktionskostenansatzes. Das erste ist die Analyse einzelner Unternehmen, welche als Zielsetzung eine Kostenminimierung verfolgen. Da die meisten Kooperationen jedoch freiwillig geschlossen werden, muss man davon ausgehen, dass sie auf beiden Seiten Werte schaffen. Daher sollten beide Perspektiven integriert werden (S.134). Zweitens berücksichtigt Williamson mit Ressourcenspezifität hauptsächlich strukturelle – d.h. statische – Elemente als Determinanten der Organisationsentscheidung und vernachlässigt damit nach Auffassung der Autoren die prozessualen Aspekte. Grundlagen 49 An diesen beiden Punkten setzt dann auch der Transaktionswertansatz mit Veränderungen an. Er betont eine gemeinsame Wertmaximierung der Transaktionspartner und eine prozessuale und damit evolutionäre Entwicklung in der Zusammenarbeit (S.137ff). Entscheider müssen die Abhängigkeit des eigenen Erfolgs von den Aktionen des Kooperationspartners verstehen. Um den durch Kooperationen erzielbaren Wertbeitrag zu erzielen und dann erfolgreich für das eigene Unternehmen abzuschöpfen, müssen Unternehmen die gleichen und divergierenden Interessen ihrer Partner erlernen (S.138). Der Lernfokus führt zur zweiten Säule des Frameworks, der Betonung prozessualer Aspekte. Die Autoren sehen Unternehmenskooperationen als einen dynamischen Prozess an, der immer wieder die Stufen Initialisierung, Durchführung und Re-Konfigurierung durchläuft und dabei Lernfortschritt in der Organisation erzeugt. Als Fazit stellen Zajak und Olsen fest, dass es für die Formierung von Kooperationen drei interdependente Erklärungen gibt: strategische Ziele, Lernziele und Transaktionskosten. Die beiden ersten Faktoren steigern häufig neben dem Transaktionswert eben auch die Transaktionskosten. Für den Fall, dass die Wertsteigerung die Kostensteigerung überkompensiert, würden Transaktionskosten- und Transaktionsansatz zu unterschiedlichen Bewertungen und Empfehlungen kommen. 2.2.2.2 Relational View Basierend auf langjährigen Untersuchungen von Kunden-Lieferanten-Beziehungen vor allem in der amerikanischen und japanischen Automobilindustrie haben Dyer und Singh (1998) einen neuen Erklärungsansatz für die Entstehung von Wettbewerbsvorteilen durch Kooperationen erarbeitet, den sie Relational View nennen. Basieren Industry Structure View (ISV) bzw. Resource Based View (RBV) auf den Analyseeinheiten Branche bzw. Einzelunternehmung, so bezieht sich der Relational View auf ein Kooperationspaar oder ein Netzwerk. Als Quelle eines überdurchschnittlichen Profits identifiziert der ISV die relative Verhandlungsmacht gegenüber anderen Anspruchsgruppen und der RBV die strategischen Ressourcen im Besitz einer Einzelunternehmung wie bspw. Humanressourcen oder seltene technologische Ressourcen. Demgegenüber postuliert der Relational View eine „relational rent“ als einen überdurchschnittlichen Profit in einer Interorganisationsbeziehung, der von den einzelnen Partnern alleine nicht erzielt werden kann. Als Quellen dieses Erfolges identifizieren sie die vier Faktoren, beziehungsspezifische Ressourcen (relation-specific assets), Prozeduren für die Wissensteilung (knowledge sharing routi- 50 Grundlagen nes), komplementäre Ressourcen und Fähigkeiten und eine effektive Governance (S.663). Beziehungsspezifische Vermögensgegenstände Dauer der Absicherung Transaktionsvolumen Relational Rent Lern- und Absorptionsfähigkeit Routinen der Wissensteilung Komplementäre Ressourcen und Fähigkeiten Anreize für Transparenz und gegen FreeRiding Fähigkeit zur Identifikation der Komplementaritäten Komplementäre Organisationen Selbst- statt Drittregulierung Effektive Governance Informale statt formale Regulierung Abbildung 7: Determinanten eines relationalen Wettbewerbsvorteils Quelle: (Dyer und Singh 1998, S.663), eigene Übersetzung Durch die Spezialisierung von Vermögensgegenständen geht ein Unternehmen erhebliche Risiken ein. Nach Meinung von Dyer und Singh lassen sich Wettbewerbsvorteile und überdurchschnittliche Erträge aber nur erzielen, wenn Unternehmen einzigartige und damit spezifische Aktivitäten verfolgen (S.662). Mit einer erhöhten Spezifität ist der Nachteil einer stärkeren Abhängigkeit und der Vorteil einer langfristig orientierten Kundenbindung verbunden. Risiken spezifischer Investitionen lassen sich durch eine längere Laufzeit der Absicherung (bspw. Verträge), durch das Volumen und die Breite der Transaktionen abfedern (S.663). Durch die Zusammenarbeit mit Kunden und Lieferanten im Netzwerk können Unternehmen Lerneffekte erzielen. Unternehmen, die diese Tatsache gezielt ausnutzen und solche kooperativen Lernprozesse fördern und institutionalisieren, können laut Dyer und Singh (S.664f) Wettbewerbsvorteile erlangen. Voraussetzung dafür sind die partnerspezifische Aufnahmefähigkeit (partner-specific absorptive capacity) - also die Fähigkeit, wertvolles Wissen des Kooperationspartners zu erkennen und aufzunehmen und die Schaffung von Anreizen für einen Wissensfluss in beide Richtungen bspw. durch Kapitalverflechtungen (S.666). Grundlagen 51 Durch die Kombination von komplementären Ressourcen können Kooperationspartner Synergien erzeugen, wenn diese Ressourcen, wie im Falle von Reputation oder Spezialwissen, nicht in Faktormärkten gehandelt werden (S.666f). Aus der Herausforderung, die passenden Kooperationspartner mit den gesuchten Ressourcen zu finden, ergeben sich Differenzierungsmöglichkeiten. Als wesentlichen Erfolgsfaktor identifizieren Dyer und Singh (S.668) die Kooperationserfahrung. Sie beeinflusst sowohl die Fähigkeit von Unternehmen, Informationen über Kooperationskandidaten zu beschaffen und zu bewerten, als auch die für eine erfolgreiche Umsetzung erforderlichen Kulturen und Strukturen. Unternehmen können durch die Ausarbeitung von effektiven Governance-Strukturen Beziehungserträge erzielen. Dyer und Singh begründen diese Tatsache damit, dass durch die Wahl geeigneter Sicherungsmechanismen die Transaktionskosten gesenkt werden können und gleichzeitig „Anreize für Wertschaffungsinitiativen wie bspw. Investitionen in beziehungsspezifische Ressourcen, Wissensteilung oder die Kombination komplementärer, strategischer Ressourcen“ (S.670) geschaffen werden. Mit den spezifischen Investitionen in Kooperationen steigt auch die Bedeutung von Governance, weil sich die Parteien grösseren Risiken durch opportunistisches Verhalten aussetzen (S.669). Die Autoren unterscheiden als grundlegende Governance-Typen die Selbstregulierung bspw. durch Vertrauen oder Reputation von der Drittregulierung, die üblicherweise auf Verträgen basiert. Sie argumentieren, dass man mit Selbstregulierung wahrscheinlicher Beziehungserträge generieren kann, weil sie u.a. niedrigere Kosten für die Schliessung und Anpassung von Verträgen und stärkere Anreize für Wertschaffung implizieren. Kooperationspartner können durch den Austausch von personengebundenem Wissen Werte schaffen. Ein solcher Vorgang ist durch Verträge jedoch nur unzureichend abbildbar (S.671). Die Selbstregulierung untergliedern die Autoren weiter in formale (finanzielle Verflechtung) und informale Arrangements (Vertrauen). Sie postulieren, dass Unternehmen durch die Verwendung einer informalen Governance die Wahrscheinlichkeit von Beziehungserträgen steigern, weil sie schwerer imitierbar ist. Allerdings starten Kooperationen häufig mit formaler Governance und werden dann nach längerer, positiver Erfahrung in informale Arrangements überführt. 2.2.3 Theorie der Leistungssysteme Im Laufe der Zeit ist in zahlreichen Unternehmen eine unübersichtliche Leistungsvielfalt entstanden, die Belz als „Leistungslisten“ beschreibt. Eine Ursache davon ist, dass 52 Grundlagen Kunden stetig steigende und heterogene Bedürfnisse haben. Produkte werden tendenziell komplexer und damit erklärungsbedürftiger. Daraus ergeben sich Potenziale für neue Leistungen wie Beratung oder Projektmanagement. Der Autor stellt fest, dass die Querbeziehungen zwischen Leistungen bisher vielfach ungenutzt sind. Häufig ist zu beobachten, dass die Loyalität von Kunden sinkt, weil sich Unternehmen mit ihren Produkten schwerer als früher von der Konkurrenz abheben können (Belz 1991, S.1ff). Emotionales Profil und Kundenerlebnis Innovative Zusammenarbeit mit Kunden Integriertes Projektmanagement: Gesamtentlastung des Kunden Integration der Leistungen in Abläufe des Kunden Dienstleistungen Sortiment Produktsystem Produkt Abbildung 8: Leistungssystem Quelle: (Belz 1991, S.12) Leistungssysteme zeichnen sich laut Belz vor allem dadurch aus, dass sie „Produkte und Dienstleistungen zu einer geschlossenen Problemlösung“ verknüpfen. Einzelne Komponenten lassen sich für den Kunden nachvollziehbar zu einem Leistungspaket zusammenfügen. Komponenten mit besonders hohem Wettbewerbsvorteil fördern dabei den Absatz von weniger attraktiven Komponenten. Leistungssysteme fokussieren auf besonders interessante Kunden bzw. Kundengruppen und lassen sich auf deren spezielle Bedürfnisse zuschneiden. Die Wertschöpfung zwischen Anbieter und Nachfrager wird neu aufgeteilt. Der Anbieter erhält eine umfassendere Rolle bei der Lösung des Kundenproblems. Er kommuniziert aktiv seinen veränderten Beitrag und passt die Preisgestaltung entsprechend an (Belz 1991, S.1). Zur Strukturierung von Leistungen entwickelt Belz ein Schalenmodell aus acht Elementen, welches in Abbildung 8 dargestellt ist. Unter einem Produktsystem versteht Grundlagen 53 der Autor modulare Ansätze wie Baukästen, die es Anbietern ermöglichen, individuelle Bedürfnisse wirtschaftlich zu befriedigen. Sortiment bedeutet, dass Produkte für Kundengruppen bspw. nach ihrer Anwendungssituation zusammengestellt werden. Mit Dienstleistungen können sich Anbieter im Wettbewerb differenzieren. Sie lassen sich entlang des Produktlebenszyklus strukturieren. Dazu gehören bspw. Beratung, Projektplanung, Finanzierung, Schulung und Wartung. Anbieter können ihren Beitrag zur Problemlösung des Kunden ausdehnen und die Gesamtverantwortung für bestimmte Abläufe übernehmen. Dies nennt Belz die „Integration der Leistung in Abläufe des Kunden“. Bspw. kann ein Schlüssellieferant die Bestandssituation bei seinem Kunden massgeblich verbessern, indem er ihm eine Just-in-Time-Belieferung anbietet. Anbieter können ihre Mandanten bei komplexen Vorhaben durch integriertes Projektmanagement entlasten. Durch ihre Erfahrung und Spezialisierung können sie die Implementierungszeit verkürzen, die Implementierungsqualität steigern und sogar Erfolgsgarantien abgeben. Wenn Anbieter ihren Beitrag von der partiellen zur ganzheitlichen Problemlösung ausbauen, dann erfordert dies innovative Formen der Zusammenarbeit mit Kunden. Wichtige Kunden können durch dedizierte Organisationseinheiten - sogenannte Key Account Teams – unterstützt werden. Ein anderer Weg ist, den Erfahrungsaustausch zwischen den Kunden durch den Aufbau von Nutzergruppen zu fördern. Wenn Leistungen schwer differenzierbar sind, dann können Unternehmen ihnen ein emotionales Profil verschaffen, indem sie ein unverwechselbares Image entwerfen. Ziel dieses Vorgehens ist, die Kaufentscheidung mit subjektiven Eigenschaften zu beeinflussen (Belz 1991, S.61ff). Im Rahmen einer Anbieterbefragung hat Belz herausgefunden, dass die drei wichtigsten Potenziale von Leistungssystemen darin bestehen, Kunden zu binden, Einfluss auf den Kaufprozess zu erlangen und sich von Konkurrenten zu differenzieren (S.19). Wenn Anbieter geschickt die Interdependenzen von Leistungen ausnutzen, dann können sie einen einseitigen Preiswettbewerb vermeiden und die Aufmerksamkeit vom Preis auf den Mehrwert lenken. Durch eine systematische, proaktive Leistungsentwicklung und die Ausschöpfung von Standardisierungspotenzialen wird die Konsistenz und Konstanz des Leistungsspektrums gestärkt. Im Falle von Leistungssystemen werden übergeordnete Probleme anstatt Teilprobleme des Kunden betrachtet. Dabei wird im Idealfall Kundenwissen generiert, welches es dem Anbieter ermöglicht, sich zum Kunden- bzw. Branchenspezialisten zu entwickeln (S.10). 54 Grundlagen Leistungssysteme sind auch mit potenziellen Gefahren verbunden. Wenn Unternehmen ihren Fokus auf Zusatzleistungen verlagern, laufen sie Gefahr, die Kernleistungen zu vernachlässigen. Sie überschätzen u.U. die Marktgrösse für die Zusatzleistungen verwässern die Grenzen ihres Geschäfts. Für Anbieter ergeben sich die Risiken, dass Zusatzleistungen wie Beratung die Kernleistungen kannibalisieren und dass Zusatzkosten nicht voll verrechenbar sind. Belz weist darauf hin, dass Kunden sich nicht selten opportunistisch verhalten und Konzepte von einem Premiumanbieter an Billiganbieter weiterreichen. Unternehmen müssen sich folglich vor einem Wissensabfluss schützen. Andere Kunden betreiben Cherry Picking und wählen nur die attraktivsten Komponenten aus. Der Autor empfiehlt in solchen Fällen, das Leistungssystem vertraglich zuzuschnüren. Die Transformation zu Leistungssystemen ist u.U. aufwendig, weil Kompetenzen aufgebaut werden müssen und Reorganisationen erforderlich werden. Es besteht hier die Gefahr, dass Wettbewerber das Leistungssystem verbal kopieren, ohne dass Kunden die Angebote objektiv vergleichen können (Belz 1991, S.87). 2.2.4 Kontingenztheorie Unternehmen agieren in unterschiedlichen Marktumfeldern und haben durch ihre historische Entwicklung einzigartige Organisationsstrukturen entwickelt. Daher gibt es weder einen einzigen „Königsweg“ der Organisation noch ist eine Organisationsform unter allen Konditionen gleich erfolgswirksam (Ginsberg und Venkatraman 1985, S.421). Auf dieser fundamentalen Erkenntnis basiert die Kontingenztheorie10 des strategischen Managements, die laut Harvey (1982, S.81) „vorschlägt, dass für eine bestimmte Kombination von organisatorischen und Umweltbedingungen eine optimale Strategie existiert“. Ginsberg et al. schlagen ein zweistufiges Schema vor, um das Themenfeld zu analysieren. Die erste Ebene, die in Abbildung 9 dargestellt ist, haben die Autoren als Prozessmodell konzipiert. Sie besteht aus vier Kontingenzen: Umweltvariablen, Strategie, Organisationsvariablen und Performance. Die Umweltvariablen werden als Input interpretiert, Organisationsvariablen als Prozess und die Performance als Output des Systems. Die Strategie als vierte Kontingenz spielt eine besondere Rolle. Sie stellt gegenüber den anderen drei Kontingenzen ein „pattern of response“ (S.423) und beeinflusst gleichzeitig die Organisation und deren Performance. Es lassen sich vier Kontingenzbeziehungen unterscheiden. Drei beschreiben, wie die anderen Kontingenzen 10 Synonym verwendet wird die Bezeichnung „situativer Ansatz“. Grundlagen 55 auf die Formulierung der Strategie wirken und die vierte stellt Implementierungswirkungen der Strategie auf die Organisation dar. Formulierung Input Umweltvariablen Output Organisationsvariablen Performance Implementierung Formulierung Strategie Prozess Formulierung Abbildung 9: Kontingenzmodell für die Strategieforschung Quelle: (Ginsberg und Venkatraman 1985, S.424) Auf der zweiten Ebene ihres Schemas operationalisieren Ginsberg et al. die Analysedimensionen weiter. Sie gehen vor allem darauf ein, welche Beziehungstypen zwischen einer unabhängigen Variablen, einer Kontextvariablen und einer abhängigen Variablen auftreten können. Eine denkbare Beziehung ist folgende: je grösser die Kontextvariable, desto stärker ist die Auswirkung der unabhängigen auf die abhängige Variable. Alternativ ist denkbar, dass es zu jedem Wert der Kontextvariablen einen passenden Wert der unabhängigen Variablen gibt, so dass für diese Kombination die abhängige Variable maximiert wird. Abweichungen von diesem passenden Wert – egal in welcher Richtung – wirken sich negativ aus (S.426). Ginsberg et al. weisen darauf hin, dass die Kontingenztheorie häufig dafür kritisiert wurde, dass sie ausschliesslich nach Ähnlichkeiten suche und dass Unterschiede, welche ebenfalls wichtige Erkenntnisbeiträge bringen können, aus dem Fokus geraten seien (S.425). 56 Grundlagen 2.3 Zwischenfazit In diesem Kapitel wurde zuerst das dieser Dissertation zu Grunde liegende Verständnis von logistischen Mehrwertleistungen und von Kontraktlogistik geklärt. Danach wurden die wesentlichen Theoriebausteine dieser Arbeit dargestellt. Anhand von Beiträgen der Wertschöpfungstheorie wurde erklärt, wie Mehrwert im Unternehmen erzeugt wird. Beiträge der Netzwerktheorie erweiterten die Perspektive auf die Wertschöpfung in Kooperationen. Durch die Arbeitsteilung in Kooperationen werden aus internen Aufgaben extern erbrachte Leistungen. Mit der Theorie der Leistungssysteme wurde ein Beitrag vorgestellt, der erklärt, wie Anbieter die Interdependenzen zwischen Leistungen gezielt für ihren Markterfolg ausnutzen können. Abschliessend wurde die Kontingenztheorie präsentiert. Sie fordert, dass Strategien aus dem Unternehmensund Umfeldkontext situativ abgeleitet werden. Die vorgestellten Theoriebausteine werden in den folgenden Kapiteln auf die Themenstellung „Mehrwertleistungen in der Kontraktlogistik“ angewendet und mit empirischen Daten zu neuen Erkenntnisbeiträgen verknüpft. Die Value Chain stellt den Ausgangspunkt der Typologie von Mehrwertleistungen dar. Mit Hilfe des ShareholderValue-Netzwerkes werden im Kontingenzmodell Leistungen mit Werthebeln und finanziellen Zielgrössen verknüpft. Die Forderungen des Transactional Value - Betrachtung von Kooperationen statt Einzelunternehmen sowie Wertfokus statt Kostenfokus beeinflussen die Reichweite des Kontingenzmodells. Darüber hinaus wird die geforderte Interessenharmonisierung zwischen Kooperationspartnern zum Leitprinzip für die Konzeptbewertung im Gestaltungsmodell. Der Relational View bildet die Grundlage für die Gestaltungsdimension im Kontingenzmodell und für die Gliederung der Interviews. Die Theorie der Leistungssysteme gibt wichtige Impulse für das Gestaltungsmodell. Sie hilft dabei, die zahlreichen Einzelleistungen und -lösungen zu einem Gesamtkonzept zusammenzuführen. Die Kontingenztheorie spielt in dieser Dissertation eine bedeutende Rolle, weil für die Erklärung und Gestaltung von logistischen Mehrwertleistungen situative Ansätze verfolgt werden. Daher wird das Beschreibungsund Erklärungsmodell im nächsten Kapitel auch als Kontingenzmodell bezeichnet. Kontingenzmodell 57 3 Kontingenzmodell für Mehrwertleistungen In dieser Arbeit wird unter Kontingenzmodell ein auf den Erkenntnissen der Kontingenztheorie basierendes situatives Beschreibungs- und Erklärungsmodell verstanden. Kontingenzmodelle können einen wichtigen Erklärungsbeitrag für strategische Entscheidungen und ihre Auswirkungen leisten (vgl. Kapitel 2.2.4). Das Modell besteht aus zwei Ebenen. Auf der ersten Ebene sind Cluster von Variablen und deren Beziehungen untereinander in einem Gesamtmodell dargestellt. Auf der zweiten Ebene werden diese Cluster durch ausgewählte Variablen, Typologien, Zusammenhänge und Beispiele konkretisiert (vgl. Abbildung 10). Mandant Mehrwertleistungen Mandantenkontext Formulierung Governance und Preisgestaltung Kontext der Geschäftsbeziehung LDL-Kontext Kontextvariablen Implementierung Beeinflussung Spezifische Investitionen Gestaltungsvariablen Formulierung Potenziale und Risiken für den Mandanten Potenziale und Risiken für den LDL Performance Logistikdienstleister Ebene 1 Gesamtmodell Ebene 2 Ausgewählte Variablen Typologien Zusammenhänge Beispiele Abbildung 10: Kontingenzmodell für logistische Mehrwertleistungen Das Modell ist in die drei sogenannten Kontingenzen Kontext, Gestaltung und Performance gegliedert. Innerhalb einer Kontingenz gibt es Variablen, die sich zu Clustern zusammenfassen lassen. Kooperationen in der Kontraktlogistik werden vom Nachfrager, vom Anbieter und von der Qualität der Zusammenarbeit beeinflusst. Der Kontext lässt sich also in die drei Cluster Mandantenkontext, Kontext des Logistikdienstleisters sowie Kontext der Geschäftsbeziehung unterteilen. Die Gestaltung von Mehrwertleistungen stellt den Kern dieser Arbeit dar. Dementsprechend werden sie als eigener 58 Kontingenzmodell Cluster der Kontingenz Gestaltung modelliert. Je nachdem, wie stark Mehrwertleistungen entsprechend individueller Kundenbedürfnisse massgeschneidert werden, steigt die Bedeutung spezifischer Investitionen, die ebenfalls einen eigenen Cluster darstellen. In dem Bereich „Governance und Preisgestaltung“ sind alle Parameter zusammengefasst, mit denen man Geschäftsbeziehungen regelt, Interessen harmonisiert und Verhalten beeinflusst. In der Kontingenz „Performance“ werden die erzielbaren Ergebnisse – Potenziale und Risiken – aus der Sicht von Mandanten und Logistikdienstleistern strukturiert. Zwischen den Objekten des Modells existieren sogenannte Kontingenzbeziehungen. In Abbildung 10 sind vier solcher Beziehungen durch Pfeile angedeutet. Der Kontext sowie die erzielbare Performance wirken sich auf die Formulierung des Gestaltungskonzepts aus. Die Implementierung dieses Konzepts determiniert die erzielbaren Potenziale und Risiken. Auch zwischen Gestaltung und Kontext existiert eine Beziehung, weil die Gestaltung längerfristig sogar den Kontext in einem bestimmten Masse beeinflussen kann. Die Gliederung des Kapitels orientiert sich an der Modellstruktur. Im Laufe der folgenden Abschnitte werden die Inhalte der zweiten Modellebene dargestellt. Dafür wurde Literatur aus den Bereichen Kooperations-, Logistik-, Wert- und Risikomanagement aufbereitet. Der aktuelle Stand und Entwicklungstrends in der Praxis wurde anhand von 36 Interviews mit Mandanten und Logistikdienstleistern ermittelt. Die Gespräche wurden transskribiert und in der Textdatenbank Atlas ti mit Schlagworten versehen. Mit diesem Vorgehen konnten Phänomene der Praxis bottom-up zu Konstrukten und Zusammenhängen und schliesslich zu einem Kontingenzmodell schrittweise verdichtet werden. Den Schlusspunkt dieses Kapitels bildet ein Stufenschema für Geschäftsmodelle in der Kontraktlogistik, in dem die wichtigsten Aspekte des Kapitels zusammengefasst werden. Kontingenzmodell 59 3.1 Kontextdimension Wenn Mandanten entscheiden, welche Mehrwertleistungen sie nachfragen, wie spezifisch diese gestaltet und wie die Zusammenarbeit reguliert wird, dann sollten sie sich nach ihrem Kontext richten. Dabei lässt sich der Kontext des Mandanten, des LDL und der gemeinsame Kontext der Geschäftsbeziehung unterscheiden. 3.1.1 Mandantenkontext Der Mandantenkontext ergibt sich aus zahlreichen für den Mandanten endogenen und exogenen Faktoren. Daher werden sie nachfolgend in die Bereiche Unternehmenskontext und Produkt-Markt-Kontext gruppiert. 3.1.1.1 Unternehmenskontext Im Bereich des Unternehmens haben sich im Rahmen von Interviews und der Literaturrecherche folgende Faktoren als treibende bzw. hemmende Faktoren bzgl. der Fremdvergabe komplexer Mehrwertleistungen herauskristallisiert. Wettbewerbsstrategie Unternehmen versuchen, sich durch Kostenvorteile oder Servicevorteile in den bearbeiteten Märkten oder Nischen von Wettbewerbern abzusetzen (Porter 1998, S.12ff). Für die Umsetzung der gewählten Wettbewerbsstrategie kann der Logistik eine hohe Bedeutung zukommen. Unternehmen müssen wettbewerbskritische Logistikfunktionen identifizieren und überprüfen, ob diese intern oder extern bei LDL verfügbar sind. Ein differenzierender Beitrag durch LDL entsteht dann, wenn Mandant und LDL gemeinsam eine einzigartige Lösung oder Geschäftsbeziehung realisieren. Ob der Wettbewerbsvorteil nachhaltig ist, hängt u.a. davon ab, inwiefern der Mandant ein Wettbewerbsverbot11 bzgl. seiner direkten Konkurrenten durchsetzt. Logistikkompetenzen Die Logistikkompetenzen von Unternehmen lassen sich anhand zahlreicher Analysedimensionen beurteilen. An dieser Stelle sollen exemplarisch die Prozesskette, die Führungsaufgabe und der Kundennutzen aufgrund ihrer Aussagekraft verwendet wer- 11 Interview LDL 02.08.2004 60 Kontingenzmodell den. Die Unternehmenslogistik muss sich an dem von ihr erzeugten Kundennutzen messen lassen. Unternehmen können ihre Marktposition in Bezug auf Logistik durch Benchmarking der drei Dimensionen Kosteneffizienz, Qualität und Service ermitteln. Voraussetzung für eine effiziente Logistik sind schlanke Prozesse, bspw. eine Auftragsabwicklung mit wenigen, produktiven Disponenten. Die Qualität hängt davon ab, wie robust Logistikprozesse gegenüber Störungen sind. Ein weiterer Erfolgsbeitrag der Logistik liegt im Service, also in der Fähigkeit, schnell und flexibel auf Kundenwünsche zu reagieren (Baumgarten 1999, S.231f). Der tatsächlich durch Logistik erzielte Kundennutzen hängt wesentlich von den Kompetenzen der operativen Logistik und ihrer Führung ab. Die Kompetenzen der operativen Logistik lassen sich mit Hilfe des Prozesskettenmodells von Baumgarten beschreiben, welches in der Logistik vier Prozessketten unterscheidet (1999, S.228f). Die Entwicklung umfasst die Aktivitäten von der Produktidee bis zur Realisierung. Die Versorgung erstreckt sich von der Einkaufsplanung bis zur Bereitstellung für die Produktion. Unter Auftragsabwicklung versteht man die Aktivitäten zwischen der Auftragserteilung und der Übergabe an den Kunden. Schliesslich befasst sich die Entsorgung mit der Rückführung von Gütern. Die vier Prozessketten werden je nach Unternehmen aufgrund variierender Kompetenzen bei Design, Planung und Monitoring unterschiedlich abgewickelt und geführt. Die Designkompetenz besagt, inwiefern ein Unternehmen in der Lage ist, für seine Produkt-Markt-Umfelder passende Prozessketten bzw. Logistiknetzwerke zu gestalten und diese durch die Anwendung moderner Logistik- und IT-Konzepte zu unterstützen. Die Planungskompetenz hängt davon ab, welche Planungsgenauigkeit die Prozesse und Systeme ermöglichen. Wenn ein Unternehmen über eine hohe Auskunftsfähigkeit hinsichtlich von Prozessindikatoren wie Kosten und Servicegraden verfügt, kann man von einer Monitoring-Kompetenz sprechen. Die Logistikkompetenzen sind in Unternehmen sehr unterschiedlich ausgeprägt. So haben bspw. Elektronikunternehmen aufgrund kurzer Lebenszyklen und schwankender Nachfrage üblicherweise eine hohe Planungskompetenz in der Logistik. Outsourcing-Kompetenz Je stärker Unternehmen ihre Leistungstiefe in der Logistik oder in anderen Funktionen reduziert haben, desto grösser ist ihre Outsourcing-Erfahrung. Unternehmen, die wenig Erfahrung haben, starten daher häufig Pilotprojekte, um über die Chancen und Risiken zu lernen, bevor sie im grösseren Umfang fremdvergeben. Aus den Unternehmensge- Kontingenzmodell 61 sprächen ergab sich, dass je erfahrener Unternehmen im Outsourcing sind, desto eher evaluieren sie komplexe Mehrwertleistungen. „Man hat keine Erfahrungswerte gehabt, weil wir Vorreiter waren. (...) Der Lieferant behauptet dazu in der Lage zu sein. Ob er in der Lage ist, muss sich erst mal zeigen in der Ausübung des Prozesses.“12 Organisationsstruktur Der Interdependenzgrad und die Schnittstellengestaltung von Aufbau- und Ablaufeinheiten im Unternehmen haben Einfluss darauf, wie einfach man Strukturen fremdvergeben kann. Diese beiden Faktoren können Unternehmen vor allem über die Modularisierung von Prozessen adressieren (Böhmann und Krcmar 2003). Nettesheim et al. (2003, S.27) weisen darauf hin, dass die Standardisierung von Prozessen im Unternehmen eine Fremdvergabe wesentlich begünstigen. Sie schlagen ein Phasenmodell vor, bei dem zuerst die dezentralen Einheiten hinsichtlich ihrer Prozesse und IT standardisiert werden, dann als „Shared Service“ zentralisiert werden, bevor sie an einen Spezialisten fremdvergeben werden. Als letzte Phase ist für bestimmte Prozesse auch ein Offshoring denkbar. Finanzielle Lage und Eigentumsverhältnisse Unternehmens- und Logistikstrategien können mit den Eigentumsverhältnissen variieren. Wenn ein Unternehmen nicht börsennotiert ist, hat es u.U. die Möglichkeit, längerfristigere Strategien zu verfolgen und steht weniger unter dem Druck, kurzfristig Gewinne zu erwirtschaften bzw. ausgewählte Kennzahlen zu optimieren. Ein Motiv für die Auslagerung von vormals intern erbrachten Logistikfunktionen kann eine schwierige wirtschaftliche Lage eines Unternehmens sein. Dieses Vorgehen zielt dann i.d.R. auf einmalige Erlöse durch den Verkauf von Logistikimmobilien und Logistikanlagen sowie niedrigere laufende Kosten im Betrieb ab. „Weil es Schwierigkeiten gab, mussten wir etwas tun. Die Kosten mussten runter. Insofern gab es diese Plattform für Veränderung.“13 12 13 Interview Mandant 17.02.2005 Interview Mandant 21.02.2005 62 Kontingenzmodell Mehrwert und Risiken Die Fremdvergabe von logistischen Mehrwertleistungen impliziert Chancen für den Mandanten bspw. durch sinkende Kosten oder höhere bzw. festgeschriebene Servicegrade. Dennoch impliziert sie auch umfangreiche Wandelprozesse im Unternehmen. Vor allem dann, wenn ein Unternehmen nur über geringe Outsourcing-Erfahrung verfügt, können daraus Risiken, also die Gefahr einer negative Zielabweichung, resultieren (vgl. Kapitel 3.3.3). Bspw. können hohe technische Risiken für die Implementierung eines logistischen Planungstools dazu führen, dass die kalkulierten Kostensenkungspotenziale nicht erreicht werden. Die Mandanten haben in Gesprächen bestätigt, dass die erwartete Relation aus Mehrwert und Risiko die Entscheidung über eine Fremdvergabe massgeblich beeinflusst. 3.1.1.2 Produkt-Markt-Kontext Wesentlichen Einfluss auf die Attraktivität von Logistik-Outsourcing haben auch Produkt- und Marktfaktoren, die vom Mandanten nicht vollständig beeinflusst werden können. Produkttyp und Logistiknetzwerk-Typ Produktmerkmale determinieren logistische Konzepte und damit die Anforderungen an Logistikdienstleister. Fisher (1997, S.107) schlägt vor, Produkte nach der Vorhersagbarkeit ihrer Nachfrage in funktionale und innovative Produkte zu klassifizieren. Funktionale Produkte weisen einen im Vergleich zu innovativen Produkten deutlich niedrigeren Prognosefehler auf. Gleichzeitig sind sie durch eine geringere Variantenvielfalt gekennzeichnet. Dies hat mehrere Konsequenzen. Fehlmengen und -umsätze sollten bei ordnungsgemässem Management seltener auftreten. Auch Überbestände am Ende des Lebenszyklus sind weniger bedeutend, da der Lebenszyklus von funktionalen Produkten länger ist. Die höheren Risiken bei innovativen Produkten werden mit tendenziell höheren Stückdeckungsbeiträgen abgegolten. Fisher beschreibt darüber hinaus zwei Extremformen von Logistiknetzwerken14, deren Prozessgestaltung entweder auf Effizienz oder Reaktionsfähigkeit fokussiert (S.108) (vgl. auch Corsten und Gabriel (2004, S.247f), die vier Typen von Logistiknetzwerken unterscheiden). Im Falle einer effizienten Lieferkette wird die vorhersagbare Nachfra14 Fisher verwendet den Begriff Supply-Chain-Typ, der in der vorliegenden Arbeit als synonym angenommen wird. Kontingenzmodell 63 ge mit möglichst niedrigen Kosten bedient, wohingegen bei reaktionsfähigen Lieferketten aufgrund ungenauer Prognosen die Schnelligkeit im Vordergrund steht. Die beiden Netzwerktypen weisen grosse Unterschiede in ihrem Design auf. Das Bestandsmanagement von reaktionsfähigen Lieferketten ist nicht allein auf die Maximierung des Lagerumschlags ausgelegt, sondern es werden bewusst Pufferbestände an strategischen Punkten in der Kette platziert. Um trotz widriger Umstände eine akzeptable Lieferfähigkeit zu gewährleisten, wird „aggressiv“ in die Verkürzung der Lieferzeit investiert. Es werden bspw. Konzepte mit höheren Fertigungs- und Steuerungskosten wie bspw. Postponement genutzt, die in einer effizienten Lieferkette nicht zum Einsatz kommen würden. Was aus Sicht von LDL den entscheidenden Unterschied zwischen beiden Typen ausmacht sind jedoch die Auswahlkriterien für Lieferanten. Für eine erfolgreiche Umsetzung von reaktionsfähigen Strukturen kann man Lieferanten und LDL nicht allein auf der Basis von Kosten ermitteln, sondern es rücken Kriterien wie Geschwindigkeit und Flexibilität bei einer gegebenen Qualität in den Vordergrund. Damit Logistik den bestmöglichen Beitrag zum Produkterfolg leisten kann, sollten laut Fisher für funktionale Produkte effiziente Strukturen und für innovative Produkte reaktionsfähige Strukturen aufgebaut werden (S.109). Globalisierung Aufgrund externer Zwänge bzw. der wirtschaftlichen Attraktivität haben globale Beschaffung und Distribution auch für Mittelständler stark an Bedeutung gewonnen. Dieser Trend stärkt die Bedeutung von Mehrwertleistungen in mehrfacher Hinsicht. Rao und Young (1994, S.16) weisen darauf hin, dass internationale Transaktionen komplex sind und hohe Anforderungen an integrierte Transportnetzwerke, Verzollungs-Knowhow und Sendungsverfolgung stellen. Gleichzeitig unterliegen Mandanten der Unsicherheit, ob ihr Markteintritt erfolgreich und ihr Engagement dauerhaft sein wird. Die Globalisierung ist eine treibende Kraft hinter der Nachfrage nach komplexen Mehrwertleistungen und der Etablierung flexibler, virtueller Logistiknetzwerke. Diese Erkenntnis deckt sich mit den Erfahrungen der befragten Unternehmen, bei denen die Globalisierung besonders stark vorangeschritten ist. Marktstruktur Je niedriger der Konzentrationsgrad eines Marktes, desto mehr potenzielle Kunden hat ein LDL, der eine Branchenlösung skalieren möchte. Dies setzt aber voraus, dass ihm dies nicht durch Wettbewerbsverbote untersagt wird. Die Attraktivität von Märkten 64 Kontingenzmodell kann durch Markteintrittsbarrieren vermindert werden. Es ist bspw. zu beobachten, dass sich herkömmliche LDL noch schwer tun, die Outsourcing-Potenziale im Pharmamarkt, der bspw. durch die amerikanische Federal Drug Administration (FDA) stark reguliert ist15, zu erschliessen. Hier ergeben sich Potenziale für Nischenanbieter. 3.1.1.3 Mandantentypologie Nachdem relevante Einflussfaktoren aus dem Bereich des Mandanten auf die Fremdvergabe von Mehrwertleistungen dargestellt wurden, soll daraus nun im nächsten Schritt eine Mandantentypologie abgeleitet werden. Müller-Stewens und Lechner sehen den Nutzen einer Typologie in der Zerlegung eines „komplexen Analyseobjektes“ in handhabbare Teile (2003, S.169f) und leiten daraus mehrere Anforderungen ab. Eine Typologie bildet anhand von möglichst wenigen Kriterien Cluster von Analyseobjekten. Innerhalb eines solchen Clusters wird die Ähnlichkeit der Objekte maximiert, wohingegen sie zwischen den Clustern minimiert wird. Die Autoren weisen darauf hin, dass bei der Wahl der Segmentzahl der Zielkonflikt zwischen Einzelsegmenten und Massenmärkten berücksichtigt werden muss. Die gewählten Achsen müssen operationalisierbar sein und eine Zuordnung der Analyseobjekte zu den Segmenten ermöglichen. OutsourcingKompetenzen Logistikkompetenzen Basisleistungen durchschnittlich "integrierter Logistiker" überdurchschnittlich "integrierter Logistikexperte" Mehrwertleistungen "Logistikeinkäufer" "schlanker Logistikexperte" Abbildung 11: Mandantentypologie Die Liste der Einflussfaktoren wurde für die Typologie in Abbildung 11 durch Priorisierung oder Aufdecken von Korrelationen zu den beiden Dimensionen „Logistikkompetenzen des Mandanten“ und „Outsourcing-Kompetenzen des Mandanten“ verdichtet. Die Typologie ist deskriptiver Natur, so dass Aussagen vom Typ „ein Logistikdienstleister sollte möglichst viele Mandanten haben, die rechts oben einzuordnen sind“ 15 Interview Mandant 10.03.2005 Kontingenzmodell 65 nicht möglich sind. Dennoch hilft sie dabei, die Marketingaktivitäten auf die individuelle Situation einzelner Mandanten bzw. eines Mandantenportfolios auszurichten. Im Kapitel 5.2 werden die hier dargestellten Zusammenhänge als ein möglicher Ansatz für die Segmentierung der Unternehmensumwelt wieder aufgegriffen. 3.1.2 Kontext des Logistikdienstleisters Wenn es den Logistikdienstleistern gelingt, entsprechend der Bedürfnisse ihrer Mandanten innovative Mehrwertleistungen zu entwickeln, dann wird deren Umsatz deutlich über dem heutigen Niveau liegen (Langley et al. 2004). Die vielfältigen Möglichkeiten in der Kontraktlogistik bereiten Anbietern und Nachfragern jedoch Orientierungsprobleme. Berglund et al (1999, S.63-65) attestieren der Kontraktlogistik, dass sie sich im Branchenlebenszyklus in einer Phase der Segmentbildung befindet, d.h. es gibt derzeit noch viele Wettbewerber, deren Profilierung sich häufig noch im Anfangsstadium befindet. Die Autoren stellen fest, dass viele Anbieter ein heterogenes Kontraktportfolio aufweisen, so dass man sie vielen Marktsegmenten innerhalb der Kontraktlogistik zuordnen könnte. Da Logistik eine Querschnittsfunktion ist und je nach Branche unterschiedlich ausgeprägt sein kann, ist das resultierende Fähigkeitenspektrum enorm gross. Es wird, wenn überhaupt, nur wenigen Anbietern gelingen, dieses Spektrum grossflächig abzudecken. Die Autoren mahnen daher, dass LDL entsprechend ihrer Stärken klare Positionierungsentscheidungen treffen sollen. Nachfolgend werden die wichtigsten Merkmale von LDL beschrieben, die eine Fremdvergabe von Mehrwertleistungen beeinflussen. (Logistik)Kompetenzen Die Kompetenzen eines LDL ergeben sich aus der Summe seiner Ressourcen, Netzwerke und Fähigkeiten aller Unternehmensfunktionen (Probst et al. 1999, S.33ff). Die Logistikkompetenz als Teilmenge ist analog beschreibbar wie beim Mandanten. Ein Unterschied besteht jedoch darin, dass die meisten Logistikdienstleister historisch eine Kernkompetenz in Transport oder Lagerhaltung haben und diese auf die Logistik ausweiten möchten. Die tatsächlich fremdvergebenen Umfänge eines Mandanten hängen massgeblich von einem Kompetenzvergleich mit dem LDL ab (Arnold 1999a, S.312). Für die Erbringung komplexer Umfänge müssen LDL über ein breites Spektrum von Fähigkeiten verfügen. Boyson et al (1999, S.85) haben in einer Befragung festgestellt, dass Kundenservice- und IT-Fähigkeiten zu den wichtigsten Selektionskriterien von 66 Kontingenzmodell Logistikdienstleistern zählen. Durch informationstechnische Innovationen wie Internet und RFID sind neue Mehrwertleistungen entstanden. Zu ihrer Beherrschung müssen LDL hochqualifiziertes Personal rekrutieren. Heute werden im Geschäft der Logistiklösungen Fähigkeiten gefordert, die weit über die von klassischen Transportdienstleistern hinausgehen. LDL beraten ihre Mandanten bezüglich logistischer Konzepte und bei der Gestaltung von Logistiknetzwerken. Erste LDL planen und überwachen für ausgewählte Mandanten Aktivitäten in der Wertschöpfungskette. Dabei übernehmen sie auch Aufgaben wie Kostenrechnung und Reporting. Manche LDL finanzieren mit Hilfe interner Finanzdienstleister Bestände und Logistikimmobilien von Mandanten. Komplexe Systemleistungen erfordern auch verstärkte Fähigkeiten beim Beziehungsmanagement und juristisches Wissen zum Management der Subdienstleister. Referenzen Mandanten achten bei der Vergabe von Mehrwertleistungen, ob es LDL gibt, die Referenzen für den ausgeschriebenen Umfang vorweisen können. Dies lässt sich damit begründen, dass ein Anbieter, der die Implementierung und den Betrieb der Leistung mehrfach durchlaufen hat, Lernkurvenvorteile geltend machen kann. Dadurch sinken die Risiken einer verspäteten oder fehlerhaften Implementierung. Im Betrieb kann eine LDL seinen Erfahrungsvorteil im Idealfall in höhere Qualität und niedrigere Kosten umsetzen. Für das Management der Geschäftsbeziehung fördert Branchen- oder Mandantenkenntnis effiziente Kommunikation. Mandanten müssen Zielbranchen identifizieren und diese durch gezielte Investitionen in Referenzprojekte besetzen. Die Referenzen sind nicht immer kostendeckend, stellen jedoch eine Eintrittsvoraussetzung dar. Das Vorhandensein von Referenzen signalisiert dem Mandanten ein klares Bekenntnis des LDL zu seiner Branche. „Einerseits die Sprache. Es hilft halt ungemein, wenn man relativ schnell vom gleichen spricht. (...) Es gibt bestimmte Richtlinien für Datenkommunikation z.B. VDA-Richtlinien, die man kennen sollte, die man sich zwar auch als Aussenstehender aneignen kann, wenn man so was mal in der Chemieindustrie gemacht hat. Datenkommunikation wird in jeder Industrie anders gemacht, Felder werden anders belegt. Wenn man das einmal gemacht hat, dann hat man gewisse Kinderkrankheiten hinter sich, die man als Nicht-Branchenkenner erst mal durchlaufen muss.“16 16 Interview LDL 12.08.2004 Kontingenzmodell 67 Leistungsebenen Eng mit den Fähigkeiten verbunden sind die vom LDL abgedeckten Leistungsebenen. In der Vergangenheit hatten die meisten LDL einen Schwerpunkt auf dem Materialfluss. Aufgrund sich langsam verschiebender Kernkompetenzen vergeben Mandanten auch zunehmend Aufgaben und Prozesse auf den Ebenen Informationsfluss sowie Finanz- und Rechtefluss, um von den Verbundeffekten des LDL zu profitieren. Das Kriterium der Leistungsebene nutzen Baumgarten und Thoms (2002, S.67) für die Anbietersegmentierung und leiten daraus die drei Segmente „operativer Schwerpunkt“, „administrativer Schwerpunkt“ und „Full-Service-Anbieter“ ab. Leistungsbreite In ausgewählten Situationen entscheiden sich Mandanten dafür, ihre kompletten Beschaffungsumfänge der Logistik in einer Region aus einer Hand zu beschaffen. Diese Beschaffungsstrategie wird als One-Stop-Shopping (OSS) bezeichnet. Diese Strategie steht im Kontrast zum Best-of-Bread-Ansatz, der das Beschaffungsvolumen in Funktionen gliedert und diese jeweils vom stärksten Anbieter beschafft. OSS ist dann interessant, wenn die Kostennachteile bei den einzelnen Logistikfunktionen durch Vorteile bei Schnittstellen- und Komplexitätskosten überkompensiert werden. Eine gezielte Schliessung von Lücken im Leistungsportfolio kann – sofern eine integrierte Lösung vom Nachfrager überhaupt gewünscht ist – zu einer Differenzierung von Konkurrenzangeboten genutzt werden. LDL müssen entscheiden, ob sie sich als Spezialisten (bspw. After-Sales-Logistik) oder als Generalisten (bspw. für die Modebranche) positionieren wollen. Generalisten müssen entscheiden, welche Leistungen sie selber erbringen und welche sie von Spezialisten einkaufen. Ein Fremdbezug schmälert jedoch den Schnittstellenvorteil. Nachfolgendes Zitat zeigt, dass für die meisten Anbieter eine Generalistenrolle nur über eine klare Fokussierung auf die Bedürfnisse weniger Branchen erreichbar ist. „Wir haben uns in der Vergangenheit die Frage gestellt, inwieweit kann bzw. sollte man ganze Pakete rausgeben? Welche LDL kommen dafür in Frage? Da gab es zwei Bewegungen. Die eine Denkschule ging dahin: lass uns die Pakete so gross wie möglich schnüren, komplette Umfänge reinpacken und an einen Partner rausgeben, damit wir es nur mit einem Vertragspartner zu tun haben. die Erfahrung hat uns gelehrt, dass es diesen einen LDL, der das alles kann schlicht nicht 68 Kontingenzmodell gibt. Entweder er hat mit dem Transport ein Problem oder mit dem Lager oder mit IT oder mit Personal. Irgendwo gibt es immer was, wo er unsere Funktion nicht automobilspezifisch abbilden kann. (Kann man den aufbauen?) Das ist nicht unser Job, das ist sehr mühsam. Wir können punktuell Dienstleisterentwicklung betreiben.“ 17 Problemlösung Sehr eng mit der verfügbaren Leistungsbreite ist die Problemlösung korreliert. Wenn ein LDL einzelne Leistungen für Mandanten erbringt, dann erfüllt er ihre logistischen Bedürfnisse punktuell. Im Gegensatz dazu kann er Leistungssysteme entwickeln, aus denen für den Mandanten passende, ganzheitliche Problemlösungen konfiguriert werden können (vgl. Belz 1991). Als Zwischenstufe lässt sich die partielle Problemlösung durch Dienstleistungspakete unterscheiden. Eigentum von Logistikressourcen Seit der Erfindung des 4PL-Konzepts wurden virtuelle Dienstleisterkonzepte ausgiebig diskutiert (van Hoek und Chong 2001, Bretzke 2002, Nissen und Bothe 2002). Das Marktforschungsunternehmen Frost & Sullivan (2004, S.2-27) hat in einer Studie die wichtigsten Vorteile eines virtuellen 4PL-Konzepts untersucht und sieht den Mehrwert eines solchen Angebots in den Punkten One-Stop-Shopping, Mandantenkenntnis, Industrieerfahrung, globale Reichweite, verbesserte Transparenz und Flexibilität sowie Ertragsteilung. Der Markterfolg dieses Geschäftsmodells hängt davon ab, wie gut es den LDL gelingt, Mandanten von diesem Mehrwert zu überzeugen. In der Praxis gibt es bisher wenige echte 4PL-Kontrakte, weil es Skepsis bzgl. der Realisierung des Mehrwertes gibt. Manche Mandanten zweifeln bspw. daran, ob 4PL über die gleiche operative Logistikexpertise wie physische LDL verfügen. Darüber hinaus sehen Mandanten die Vermögensgegenstände des LDL als Garantien für evtl. entstehende Haftungsansprüche. Eine starke Barriere für die Etablierung des 4PL-Konzepts stellt auch das Management der Geschäftsbeziehung zwischen Mandant und 4PL dar. Letzterer muss sorgfältig ausgewählt und danach professionell geführt werden, damit Neutralität und Interessenharmonisierung stets gewährleistet sind. 17 Interview Mandant 08.03.2005 Kontingenzmodell 69 „Ein Vorteil ist, dass man über Grenzen hinweg sieht und dass der Aufwand, den das Reporting bedeutet, nicht mehr bei uns ist. Dass man über Firmengrenzen hinweg eine Konsolidierung von Daten bekommt. Die auch sehr schwierig ist. Wenn es jemand macht, der da Erfahrung hat, ist das für uns von Vorteil. Ziel ist, dass man sieht, welche Bestände sind auf welchen Strecken unterwegs. Wir haben zum Teil Rückmeldungen aber nicht 100% unserer Strecken. (...) Risiken sind, dass ein Provider sieht, was läuft wo auf welcher Strecke. Die Frage ist, wie unabhängig er ist oder wie weit er es nutzt, um sich in seiner Angebotsstellung auf die für ihn attraktiven Strecken zu fokussieren. Auf der anderen Seite sieht er, ob ein Wettbewerber da Schwächen hat. (Man könnte ihn ausschliessen.) Wenn man jemanden hat, der nicht LLP, sondern 4PL ist.“18 Kundenorientierung Die Kundenorientierung hängt davon ab, wie stark ein LDL spezifische Anforderungen seiner Mandanten bei der Gestaltung von Leistungen bzw. Lösungen berücksichtigt. Diese Frage wird in Kapitel 3.2.5 vertieft. Es lassen sich drei grundsätzliche Stufen der Kundenorientierung unterscheiden. Die geringste Ausprägung weisen übergreifende Lösungen auf, die darauf abzielen, Skaleneffekte zu realisieren. Mandantenlösungen weisen die höchste Ausprägung auf. Sie betonen die Berücksichtigung von individuellen Mandantenanforderungen. Die Segmentlösung stellt eine Hybridform dar und zielt darauf ab, die Vorteile der beiden anderen Lösungen zu verbinden. Vertriebsansatz Vertriebsansätze können danach unterschieden werden, welchen Mehrwert einer Leistung sie gegenüber dem Mandanten betonen. DeVincentis und Rackham (1998, S.36ff) definieren Wert als Differenz zwischen Nutzen und Kosten und leiten daraus ab, dass es mit Nutzenerzeugung und Kostenreduzierung zwei Wege der Wertschaffung gibt. Der richtige Weg hängt von der individuellen Wertpräferenz des Mandanten ab, welche der LDL genau kennen muss. Vertriebsansätze sind nur dann erfolgreich, wenn sie sich an den Erfordernissen und Strategien des Mandanten ausrichten. Folglich bietet es sich an, Mandanten nach ihren Wertpräferenzen zu segmentieren. 18 Interview Mandant 29.03.2005 70 Kontingenzmodell Verschwendung Unternehmerischer Vertrieb Investitionen des LDL Ausserordentlichen Wert schaffen Konsultativer Vertrieb Neuen Wert schaffen Kosten senken Transaktionsorientierter Vertrieb Verwundbarkeit Investitionen des Mandanten Abbildung 12: Vertriebsansätze für komplexe Leistungen Quelle: (DeVincentis und Rackham 1998, S.38), eigene Übersetzung Der transaktionsorientierte Vertriebsansatz trägt der Tatsache Rechnung, dass ein Mandant nur die Basisleistung wertschätzt und in der Beratung keinen Zusatznutzen sieht (S.38). Wenn der LDL trotzdem Ressourcen in Beratungsangebote investiert, dann ist dies Verschwendung. Der konsultative Ansatz trägt Situationen Rechnung, in denen der Mehrwert nicht allein aus der Basisleistung, sondern aus seiner ordnungsgemässen Verwendung resultiert. Bspw. wird der Mandant bei der Problemanalyse oder beim Veränderungsmanagement in der eigenen Organisation unterstützt. Den komplexesten und aufwendigsten Ansatz stellt der unternehmerische Vertrieb dar. Dabei möchte der Mandant die Kernkompetenz des Lieferanten (bspw. Lieferservice) voll ausschöpfen. Beide Parteien arbeiten hochgradig interdependent, so dass die Geschäftsbeziehung nur mit unternehmensübergreifenden und interdisziplinären Teams gesteuert werden kann. Dadurch dass beide Seiten kunden- bzw. lieferantenspezifisch investieren, kann ein ausserordentlicher Mehrwert geschaffen werden. „Von den Performance Leveln haben wir alles vorgegeben. Daher gab es keine grossen Unterschiede. Unterschiede gab es inwieweit IT-Lösungen angeboten worden sind. Es wurde am Anfang offen gelassen, ob wir unsere Lösung oder die des Anbieters nehmen. Da war der Hauptunterschied, wie weit sich da jemand Kontingenzmodell 71 reingedacht hat. Das waren Warehouse Management Lösungen. Geht natürlich später weiter, um sich die gesamte Supply Chain anzuschauen.“19 In den letzten Jahren war es eher so, dass der LDL Input gegeben hat und die Verbesserungen von (uns) durchgeführt wurden. Mittlerweile sind die LDL auf einem Know-how-Niveau, wo sie das selbständig durchführen können. Da ist dann der Anreiz drin, wenn der LDL auch einen Anteil von dem Kuchen bekommt. Die ganz großen Kostentreiber liegen allerdings bei (uns) im Produktdesign (...). Die richtigen Durchbrüche können sie nur machen, wenn sie an die Produktspezifikationen gehen. Das ist so eine Näherungskurve wo sie sagen die großen Verbesserungen haben sie schon abgeschöpft. Jetzt gehen sie in die 2,3,4,5%-Kategorie.20 Geographische Abdeckung LDL müssen den oben beschriebenen Trends der globalen Beschaffung, Fertigung und Distribution auf Seiten der Mandanten durch das Angebot länder- und verkehrsträgerübergreifende Logistiknetzwerke Rechnung tragen. In einem Arbeitskreis mit LDL wurde betont, dass es für Anbieter erfolgskritisch ist, der Wertschöpfungsverlagerung ihrer Kunden zu folgen, besser noch ihr vorauszueilen. Ein Mandant wies darauf hin, dass Verlader mit globalen LDL zusammenarbeiten, um Expansionsrisiken zu senken. In diesen Überlegungen spielen gerade Mehrwertleistungen eine wichtige Rolle. Globale LDL können ihre Mandanten bei der Realisierung von Prozessstandards in der Logistik unterstützen. Sie investieren in weltumspannende Logistiknetzwerke und verfügen über ein erweitertes Leistungsangebot, welches u.a. die Lieferantenkoordination, Qualitätssicherung, Sendungsverfolgung und Abwicklungsdokumentation umfasst (Zadek 1999, S.63). „Das wichtigste ist, dass der Dienstleister ein vernünftiges globales Netzwerk hat. (...) Damit die Prozesse ineinander greifen mit anderen Dienstleistern, mit dem Zoll und den Behörden. Das ist ein sehr wichtiges Kriterium.“21 19 Interview Mandant 29.03.2005 Interview Mandant 11.04.2005 21 Interview Mandant 01.03.2005 20 72 Kontingenzmodell „Customers come to us: you are one of the few true global providers. They want supply chain solutions.“22 Typologie für Kontraktlogistik-Anbieter Der Markt der Kontraktlogistik ist aufgrund einer Vielzahl heterogener Teilnehmer vergleichsweise unübersichtlich. Eine Typologie ist in einer solchen Situation sehr wertvoll, weil sie die Orientierung für Anbieter und Nachfrager verbessert. Mercer Management Consulting (2005) schlägt eine Typologie vor, die auf dem Kriterium „Kerngeschäft des Unternehmens“ basiert. In dieser Systematik werden sechs Ausprägungen unterschieden: KEP-Dienstleister mit Kontraktlogistik (z.B. TNT) Komplettanbieter Logistik (z.B. DPWN) Landverkehr mit Kontraktlogistik (z.B. Schenker) Kontraktlogistikspezialisten mit Landverkehrsnetz (z.B. Dachser) Luft- und Seefrachtspediteure mit Kontraktlogistik (z.B. Kühne+Nagel) Kontraktlogistikspezialisten (z.B. Thiel) Das Beratungsunternehmen hat Geschäftsberichte von gelisteten Anbietern analysiert und zieht zwei grundlegende Schlussfolgerungen. Zum einen seien Kontraktlogistikspezialisten deutlich weniger erfolgreich als Anbieter, die ihr Kerngeschäft mit Kontraktlogistik ergänzen und nur solche Leistungen anbieten, die gut über ihr bestehendes Netzwerk produziert werden können. Zum anderen fehle „reinen Kontraktlogistikern die Möglichkeit, Skaleneffekte zu realisieren.“ An der Mercer-Systematik sind folgende Kritikpunkte zu äussern. Es erfolgt keine Differenzierung zwischen Transportnetzwerken und stationären Netzwerken. Und dies, obwohl Transportaufgaben und stationäre Aufgaben häufig getrennt vergeben werden. Es ist richtig, dass die Erzeugung von Synergien in Produktionssystemen ein Erfolgsfaktor im Wettbewerb ist. Diese Synergien müssen aber nicht zwangsläufig mit einem Transportnetzwerk, sondern können auch mit einem stationären Netzwerk erzeugt werden. Darüber hinaus werden bestimmte Anbietertypen (IT-Dienstleister wie Accenture oder Vertragsfertiger wie Flextronics) mit Ambitionen im Kontraktlogistikbereich in der Systematik nicht berücksichtigt. Daher wurde eine 22 Interview LDL 23.08.2004 Kontingenzmodell 73 reich in der Systematik nicht berücksichtigt. Daher wurde eine eigene Typologie, die in Abbildung 13 dargestellt ist, entwickelt. Transportnetzwerk Stationäres Netzwerk Transporteur Lagerdienstleister Third Party Logistics Produktionsdienstleister Provider IT-Dienstleister Fourth Party Logistics administrativen Einkaufsdienstleister Provider Aufgaben Beratungsdienstleister Schwerpunkt bei physischen Kombiniertes Netzwerk Aufgaben Schwerpunkt bei Transportmarktplatz Finanzdienstleister Kombination von physischen und Spediteur Stationärer Lead Logistics Kontraktlogistiker Provider administrativen KEP-Dienstleister Aufgaben Abbildung 13: Typologie für Kontraktlogistik-Anbieter Quelle: Eigene Darstellung Kontraktlogistik ist ein konvergierendes Geschäftsfeld der Logistik, in das sich Anbieter mit unterschiedlichem Hintergrund diversifizieren. Abbildung 13 zeigt, dass in der Kontraktlogistik eine Vielzahl von Anbietern mit unterschiedlichen historischen Schwerpunkten hinsichtlich ihrer Netzwerk- und Aufgabenstruktur zu finden sind. 3.1.3 Kontext der Geschäftsbeziehung Bensaou (1999, S.43) weist darauf hin, dass Geschäftsbeziehungen erfolgreich sind, wenn sie an ihren Kontext angepasst sind. Damit kann vor allem eine Über- bzw. Unterausstattung mit Ressourcen vermieden werden. Je komplexer Mehrwertleistungen sind, desto eher erfordern sie partnerschaftliche Geschäftsbeziehungen. Umgekehrt bilden langfristig gewachsene Partnerschaften im Produkt- und Dienstleistungsgeschäft die Basis für die Nachfrage und das Angebot von höherwertigen Leistungen. 74 Kontingenzmodell Umwelt Atmosphäre • Macht-, Grössenverhältnis • Abhängigkeit, spezifische Investitionen • Sourcing-Strategie • Vertrauen • Interessenharmonisierung, Governance • Kooperationsdauer, -erfahrung • Kompatibilität, Kultur • Erzielbare Ergebnisse, Treiber • Risiken Interaktionsprozess LDL Organisation Individuum Kurzfristige Aspekte • Leistungsaustausch • Leistungsumfang • Integrationstiefe • Spezifität Komplexität • Innovationsgrad • Proprietarität • Informationsaustausch, Transparenz • Konfliktlösung Mandant Organisation Individuum Langfristige Aspekte • Institutionalisierung • Wissensaustausch • Anpassung • Verbesserungsstreben Abbildung 14: Interaktionsmodell für die Kontraktlogistik Quelle: eigene Darstellung basierend auf Hakansson (1982, S.24) Häufig werden bestehende Beziehungen zwischen Mandant und LDL im Zeitverlauf ausgebaut und um Mehrwertleistungen erweitert. Eine Analyse der Erfolgsfaktoren für eine langfristig erfolgreiche Zusammenarbeit ist daher wichtig. In Abbildung 14 sind für den Kontext der Kontraktlogistik Faktoren einer Geschäftsbeziehung, die sich in einer Interviewreihe mit LDL und Mandanten als relevant herauskristallisiert haben, dargestellt und den beiden interdependenten Bereichen Atmosphäre und Interaktionsprozess zugeordnet. 3.1.3.1 Atmosphäre Nicht nur die Leistungsmerkmale im engeren Sinne sondern auch die Atmosphäre in einer Geschäftsbeziehung entscheidet über Dauer und Erfolg der Zusammenarbeit. Nachfolgend werden fünf ausgewählte Einflussfaktoren auf die Atmosphäre dargestellt. Macht und Abhängigkeit Macht kann als Fähigkeit eines Unternehmens (der Quelle) definiert werden, die Intentionen und Aktionen eines anderen Unternehmens (dem Ziel) zu beeinflussen Kontingenzmodell 75 (Emerson 1962). French und Raven (1959) unterscheiden Machtgrundlagen, die auch auf die Kontraktlogistik anwendbar sind. „Reward“ bedeutet, dass die Quelle das Ziel belohnen kann. Dies bedeutet bspw., dass ein Mandant das Verhalten eines LDL dadurch beeinflusst, dass er neue Outsourcing-Umfänge in Aussicht stellt. „Coercion“ ist das Gegenteil davon und äussert sich bspw. darin, dass ein Mandant ein Geschäft von einem LDL abzieht. „Expert“ steht für eine Beziehung, in der ein LDL über eine Machtposition verfügt, weil er tief in die Abläufe des Mandanten integriert ist und über kritisches Wissen bspw. im Bereich Informationstechnologie verfügt. Wenn ein LDL sich gerne mit einer wichtigen Referenz in Verbindung bringen lässt, dann liegt eine Machtbasis vor, welche die Autoren als „Referent“ bezeichnen. Wenn sich der Mandant dieser Tatsache bewusst ist, kann er sich über vertragliche Verpflichtungen wie Preisanpassung oder Laufzeiten hinwegsetzen. Wenn sich Einflussmöglichkeiten in einer Geschäftsbeziehung aufgrund von Vertragsinhalten ergeben, dann sprechen die Autoren von „Legal Legitimate“. Grössenverhältnis Bei der Auswahl geeigneter Geschäftspartner ist nicht nur das Grössenverhältnis zwischen LDL und Mandant, sondern auch das zwischen mehreren Mandanten, für die eine gemeinsame Mehrbenutzerumgebung betrieben wird, relevant. Mandanten möchten lieber A- als C-Kunde bei einem LDL sein, weil sie dann stärker Einfluss ausüben können. Daher bevorzugen sie häufig LDL, die im Vergleich zu ihnen kleiner sind. Um evtl. Haftungsansprüche begleichen zu können und um das Insolvenzrisiko zu begrenzen, sollte ein LDL jedoch eine Mindestgrösse aufweisen, die vom Kontraktvolumen abhängt. Das folgende Beispiel zeigt, dass sich das Grössenverhältnis von Mandanten darauf auswirkt, wie einfach ein LDL eine Lösung skalieren kann. „Sie können selten einen dominierenden grösseren Kunden in so ein Asset reinbringen, weil ein Kunde in so einem Konzept glaubt, das fünfte Rad zu werden. Das ist psychologisch ganz wichtig, dass die Grössenverhältnisse stimmen. Der erste Initialkunde da muss der Dienstleister wesentlich kleiner sein, damit der seinen Einfluss ausspielen kann in einem kalten Outsourcing. (...) Dieser LDL, wenn er sich noch grössere Kunden an Land zieht, dann hat er Probleme in den Kundenbeziehungen, da übernimmt er sich in der Regel. Die Anforderungen des Neukunden sind so gigantisch, dass er den anderen Kunden mit kaputt macht. (...) Z.B. welcher Auftrag geht bei einem Engpass als erstes raus. Das kann man natürlich priorisieren, das kann man natürlich objektivieren. Aber im Leben da ruft 76 Kontingenzmodell (Kunde X) an und haut auf den Tisch und dann läuft die ganze Fabrik für (Kunde X) und der andere Kunde wird nach hinten gestellt.“23 Sourcing-Strategie Aus der Entscheidung über Art und Anzahl von Lieferanten ergeben sich Konsequenzen für Synergien, Risiken und Verhaltensmuster. Aus den zahlreichen Parametern einer Sourcing-Strategie (Arnold 1999b, S.219) werden hier zwei diskutiert. Mandanten müssen entscheiden, wie viele LDL sie für die Erbringung identischer Umfänge einsetzen wollen. Dabei unterscheidet man die Extremformen Single und MultiSourcing. Single-Sourcing bedeutet, dass sich der Einkäufer auf einen LDL fokussiert, weil er dadurch Skaleneffekte erzielt und Verwaltungsaufwand vermeidet. Im Gegensatz dazu reduziert Multi-Sourcing die Abhängigkeit vom LDL. Risiken können dadurch begrenzt werden, dass man weitere LDL einschaltet, die als Backup fungieren können. Darüber hinaus wird eine Vergleichsmöglichkeit für Benchmarking geschaffen, die motivationssteigernd wirkt. Ein weiterer Parameter in der Sourcing-Strategie ist die Anzahl von LDL, die unterschiedliche aber angrenzende Umfänge erbringen. Hier bietet sich ein Kontinuum zwischen One-Stop-Shopping (OSS) und Best-ofBread (BoB) an. Beim OSS werden umfangreiche Leistungspakete mit dem Hauptziel gebildet, Schnittstellen zu reduzieren und Verbundeffekte zu erzielen. Voraussetzung ist, dass starke Interdependenzen oder grosse Ähnlichkeiten zwischen den Elementen des Pakets bestehen. Die Realisierung von BoB setzt voraus, dass Umfänge teilbar sind. Wenn dies der Fall ist, dann können Module gebildet und an spezialisierte Logistikdienstleister mit marktführenden Preis- bzw. Leistungsniveaus vergeben werden. Beispielsweise werden häufig innerhalb einer Weltregion Transportwege an unterschiedliche Anbieter vergeben, um Transportkosten und Abholzeiten zu optimieren. „Generell muss man abwägen, ob man Wettbewerb am Standort als Priorität setzt oder ob man sagt, man möchte Synergien erzielen. Die erzielt man sowohl als Dienstleister als auch intern, weil ich weniger Schnittstellen zu bedienen habe. Man hatte diesen Wettbewerb am Standort und ist davon ausgegangen, wenn man Synergienetze anstrebt, dass das dann wirtschaftlich ist. In einer späteren Phase kann es durchaus sein, dass man sagt, Wettbewerb ist uns jetzt wieder wichtiger für die nächsten Jahre.“24 23 24 Interview LDL 02.08.2004 Interview Mandant 24.02.2005 Kontingenzmodell 77 „Da, wo wir einen Wettbewerb erhalten können, da wollen wir das. (...) Ich kann nicht das Montageversorgungslager dem einen geben und die Bandversorgung dem anderen. Weil dann habe ich zwischen zwei Dienstleistern eine Schnittstelle, wo sie die Schuld aufeinanderschieben. Da, wo es Prozesse erfordern, werden wir einen einsetzen. Wo es Prozesse nebeneinander gibt, ist es aus unserer Sicht wünschenswert, mehrere zu haben.“25 „One Stop Shopping mit Sicherheit nicht. Aber schon ein starker Trend zur Konsolidierung von Aufgaben innerhalb der Kette. Wo es früher fünf waren sind es jetzt zwei, die zusammenarbeiten. Der eine macht Transport und der andere Warehousing.“26 Vertrauen Zajak und Olsen (1993, S.140) definieren Vertrauen als „confidence in a firm's expectations of the future“. Dyer und Chu (2003, S.57) schliessen aus ihren Untersuchungen in der Automobilindustrie, dass Vertrauenswürdigkeit, Unsicherheit und Transaktionskosten reduziert und dadurch Mehrwert in der Zusammenarbeit schafft. Sie sorgt dafür, dass weniger Zeitaufwand für Vertragsgestaltung und Nachverhandlung erforderlich ist. Bspw. waren die Beschaffungskosten eines in der Befragung von Lieferanten als wenig vertrauenswürdig wahrgenommenen Autoherstellers fünfmal so hoch wie bei Wettbewerbern. Vertrauen fördert den Informationsaustausch in Geschäftsbeziehungen und kann dadurch Mehrwert schaffen. Unternehmen mussten immer wieder feststellen, dass Vertrauen schneller zerstört als aufgebaut wird. Für die Weiterentwicklung anspruchsvoller Mehrwertleistungen ist Vertrauen zwischen den Geschäftspartnern eine notwendige Basis. „Was nicht reparabel ist, ist Vertrauensverlust. Wenn sie einen Fehler machen und sie angesprochen haben, dass er passiert ist, dann verzeiht der Kunde ihnen alles. Vertrauensverlust, das führt zu einer Rückabwicklung. Das hat ganz fatale Folgen, wenn sie skaliert haben in der Branche und einer steigt aus. Das ist eine Palastrevolution, dann können sie bei allen Kunden antreten.“27 25 Interview Mandant 08.03.2005 Interview Mandant 01.03.2005 27 Interview LDL 02.08.2004 26 78 Kontingenzmodell „Diese Geschäftsebene ist ein sehr wichtiger Bereich für (uns). Wenn sie Lieferanten jedes Jahr austauschen, fangen sie jedes Mal bei null an. Sie müssen wissen, wie der Partner tickt, und der muss wissen wie (unser Unternehmen) tickt. Sonst werden sie nie zu dieser vertrauensvollen Zusammenarbeit kommen, wo sie diese Effizienzen erreichen können. Wenn ich mir die Namen jetzt anschaue, dann sind es grösstenteils Firmen mit denen wir schon 5-10 Jahre zusammenarbeiten in diesem Bereich.“28 Kooperationsdauer Die tatsächliche Dauer der Zusammenarbeit ergibt sich neben der im Vertrag spezifizierten Laufzeit vor allem aus der Zufriedenheit des Mandanten, weil es in den meisten Fällen Klauseln gibt, anhand derer ein Vertrag vorzeitig beendet werden kann. Im Laufe einer Kooperation wachsen Normen, d.h. Erwartungen an das Verhalten des Partners, die aus der gemeinsamen Erfahrung resultieren (Zajak und Olsen 1993, S.140). Durch eine langjährige Zusammenarbeit kann eine einzigartige Qualität und Effizienz der Zusammenarbeit entstehen. Auf der anderen Seite kann aber auch ein abnehmendes Verbesserungsstreben auf beiden Seiten resultieren. „Mit Unternehmen, mit denen sie 10 Jahre schon zusammenarbeiten und die mit ihnen offen sprechen und sagen, ok jetzt ist nun mal die Tendenz in Richtung Osten gekommen, wir können in (Deutschland) zu diesen Kosten nicht mehr produzieren (...) Dann sind wir auch bereit, unser Know-how mit in den Osten wachsen zu lassen. Das ist eine Beziehung, die ist belastbar. Die beruht dann auch auf gewissen Regeln, wie man miteinander umgeht. Da ist dann nicht mehr nur noch der Preis das entscheidende, sondern auch das Gesamtpaket. (...) Wenn wir aus der Zeitung erfahren, dass das Lager verschwindet und man hat vorher nicht mit uns gesprochen, dann werden wir in Zukunft mit denen aus Prinzip ein bisschen vorsichtiger agieren. Aber das entsteht denke ich über die Zeit, über die Beziehung, wie ist der Kontrakt gestaltet, was haben wir für einen Kontraktmanager dort sitzen.“29 28 29 Interview Mandant 11.04.2005 Interview LDL 10.08.2004 Kontingenzmodell 79 3.1.3.2 Interaktionsprozess Komplexe Mehrwertleistungen, wie bspw. die Materialdisposition, erfordern eine besonders intensive Interaktion zwischen Mandant und LDL. Hakansson (1982, S.24) unterscheidet kurz- und langfristige Aspekte der Interaktion. Als Beispiel für die kurzfristigen Aspekte wird die Konfliktlösung und für die langfristigen Aspekte der Wissenstransfer dargestellt. Ein ganz wesentlicher Aspekt der Interaktion ist der Leistungsaustausch, der ausführlich in Kapitel 3.2 behandelt wird. Konfliktlösung In den Interviews liessen sich immer wieder ähnliche Konfliktpotenziale in Geschäftsbeziehungen der Kontraktlogistik identifizieren. In der Betriebsphase wurde über Preise (bspw. Weitergabe von Mehrkosten, Belohnung für eine erzielte Einsparung) und Leistungen (bspw. zu realisierende Prozessverbesserungen, Verschulden bei Betriebsstörungen) gestritten. In der Abwicklungsphase von Kontrakten treten Fragen darüber auf, wer welche Vermögensgegenstände zu welchen Preisen erhält oder wie immaterielle Ressourcen wie geistiges Eigentum im Bereich von neuentwickelten ITLösungen aufgeteilt werden. Zwei Prinzipien können beim Konfliktmanagement helfen. Prinzip 1 besagt, dass alle Massnahmen zur Vermeidung von Konflikten bereits in der Konzeptphase ausgeschöpft werden sollten. Durch die gezielte Nutzung von Gestaltungsmöglichkeiten, wie bspw. Verteilung von Kompetenzen und Verantwortung im Prozessdesign, objektive Leistungsindikatoren, Leistungsanreize sowie Rückabwicklungsmatrizen, können zeitaufwendige Nachverhandlungen vermieden werden. Prinzip 2 fordert, Eskalationsmechanismen und -institutionen zu etablieren, die sicherstellen, dass Konflikte schnell gelöst werden und keine Partei gelähmt wird. Wenn diese Prinzipien konsequent befolgt werden, dann können die Beteiligten ihre Transaktionskosten senken und begünstigen damit die Fremdvergabe komplexer Leistungsumfänge (Bretzke 2004, S.13f). „Nehmen wir mal an, einer übernimmt die Bestände und wird dann konfrontiert mit einer Last-Buy-Aufforderung. Wenn ich jetzt die Bestände zahlen muss, dann würde ich ja sagen: möglichst wenig Last Buy, weil das kostet ja jetzt mein Geld. Dann bin ich irgendwann nicht lieferfähig. Das wirkt sich dann irgendwann bei der Firma aus, die die Maschinen nicht reparieren kann. Da muss man natürlich Regularien finden.“30 30 Interview Mandant 16.02.2005 80 Kontingenzmodell Wissenstransfer Unternehmen stehen laut Probst et al (1999, S.219ff) vor dem Dilemma, dass organisationales Wissen nicht am Ort der Anwendung, bspw. in Projekten, ankommt. Neben der gängigen Begründung, dass mit Wissen Macht verbunden ist, sehen sie die Ursache darin, dass Wissen an Einzelpersonen gebunden ist. Häufig schlägt die Verteilung durch eine zentrale Instanz fehl. Eine dezentrale Mitteilung in Form von Arbeitsgruppen sehen die Autoren als erfolgsversprechender an. Komplexe Mehrwertleistungen erfordern umfangreiches Wissen beim Dienstleister bspw. über die Produkte und Prozesse seiner Mandanten. Damit Service- und Kostenziele vom LDL eingehalten werden können, muss im Laufe des Beziehungslebenszyklus Wissen in unterschiedlichen Richtungen transferiert werden. In der Ausschreibungsphase wird Wissen vom Mandanten auf den LDL u.a. in Form von Prozessspezifikationen übertragen. In der Anlaufphase absorbiert der LDL Wissen durch Personalübergang und Einarbeitung vor Ort. Dieses Wissen sollte er schnell in seiner Projekthierarchie (Standortleiter, Schichtleiter, Teamleiter und Teammitarbeiter) durch interne Trainingseinheiten verbreiten. In der Betriebsphase kommt es regelmässig zu Quartalsgesprächen und Qualitätsaudits, in denen bspw. Wissen über Erfolgsbeispiele ausgetauscht werden kann. Im Laufe der Zusammenarbeit wird neues Wissen in der Kontraktorganisation erzeugt. Dies kann sich bspw. auf neuentwickelte IT-Lösungen beziehen. Im Vertrag muss daher vorab spezifiziert werden, welche Partei die Rechte an der Lösung halten wird. Mandanten können von der Logistikkompetenz leistungsstarker LDL lernen, indem sie optimierte Lösungen wieder insourcen und damit logistisches Prozesswissen akquirieren. Für Mandanten ist es gerade im Kontext von Mehrwertleistungen wichtig, dass sie das Wissen, welches sie in einem Pilotprojekt gewonnen haben, in der internen Organisation verbreiten, um so die eigene Outsourcing-Kompetenz zu stärken. „Man setzt sich gemeinsam an einen Tisch und geht seine spezifischen Anforderungen durch. Das man ihm erklärt, wie bei uns die Montageplanung arbeitet. Das man ihn mal mitnimmt, dass der LDL auch mal mit denen redet, die den Prozess auslösen, nämlich die Fertigung. Wenn es Störungen gab, dass man sich gemeinsam an einen Tisch setzt und durchgeht, wie man das besser machen kann. (...) Manchmal liegt es auch nicht beim Dienstleister. Um auch Druck auf die eigene Organisation auszuüben, das man sieht, dass die Auslösung zu spät kam. Kontingenzmodell 81 (...) Das ist einfach so, dass es da menschelt. Es ist ganz wichtig, dass sich die Personen kennen und eine Beziehung zueinander entwickeln.“31 31 Interview Mandant 24.02.2005 82 Kontingenzmodell 3.2 Gestaltungsdimension Logistische Mehrwertleistungen stellen das zentrale Untersuchungs- und Gestaltungsobjekt dieser Arbeit dar. Abbildung 15 verdeutlicht, dass Leistungen besonders starke Interdependenzen zu vier anderen Gestaltungsbereichen, nämlich Preis, spezifische Investitionen, Governance und Leistungsmessung aufweisen. Im Rahmen der Leistungsgestaltung werden u.a. die Aufgaben und Kompetenzen zwischen Mandant und LDL verteilt. Daraus ergibt sich, wie stark oder wie begrenzt ein LDL die Performance des Logistiksystems des Mandanten beeinflussen kann. Beide Parteien handeln ein Preissystem aus, anhand dessen man die monatliche Vergütung berechnen kann. Durch die Ausgestaltung dieses Systems entscheiden beide darüber, wie die in der Kooperation entstehenden Mehrwerte und Risiken verteilt werden. Ausserdem entstehen für beide Parteien Leistungsanreize, so dass im Idealfall die Interessen auf beiden Seiten harmonisiert werden. Spezifische Investitionen stellen bei der Erbringung komplexer Mehrwertleistungen eine zentrale Gestaltungsherausforderung für Mandant und LDL dar. Beide Parteien müssen die Vor- und Nachteile hochindividueller Leistungen abwägen. Spezifische Investitionen Motive von Mandant bzw. LDL Materielle versus immaterielle Ressourcen Grad der Spezifität Leistung Definition von Aufgaben und Kompetenzen für den LDL Beeinflussung der Performance des Logistiksystems durch den LDL Grenzen der Beeinflussung Governance Joint Venture Vertrag Leistungsbeschreibung Haftung Beendigung Preis Spezifische Investitionen Fokus der Arbeit Preis Verteilung des Mehrwerts Verteilung des Risikos Definition der Verantwortung des LDL Anreize für Qualität und Verbesserung Interessenharmonisierung Messung Auswahl Indikatoren Soll-Performance Ist-Performance Abweichung Verursachung Abbildung 15: Gestaltungsbereiche logistischer Mehrwertleistungen Der Gestaltungsbereich Governance beschäftigt sich damit, wie Austauschbeziehungen reguliert werden können und wie sich beide Seiten gegen Schäden bspw. aus op- Kontingenzmodell 83 portunistischem Verhalten absichern können. Werden besonders komplexe Leistungen ausgetauscht, dann liegt die grundlegende Entscheidung darin, ob die Geschäftsbeziehung durch Vertrag oder finanzielle Verflechtung reguliert werden soll. Eine leistungsgerechte Entlohnung setzt voraus, dass sich die Verhandlungspartner über die Leistungsmessung geeinigt haben. Von der Wahl der Messindikatoren hängt es ab, wie genau Abweichungen und ihre Verursachung ermittelt werden. Leistungsmessung und Governance in der Kontraktlogistik sind umfassende Themenfelder, die nicht im Fokus dieser Arbeit stehen, sondern separat untersucht werden müssen. 3.2.1 Logistische Mehrwertleistungen und -lösungen Die Grenzen zwischen logistischen Mehrwertleistungen und Mehrwertlösungen verlaufen ähnlich wie bei Aufgaben und Prozessen fliessend, so dass eine klare Abgrenzung häufig schwierig ist. Ein Ansatz für die Unterscheidung kommt von Berglund et al (1999, S.63): „Service providers focus on a few standard services, maybe add some features to attract extra customers and use scale economies to increase profits.“ „Solution providers focus on a few industries , take over complete, well-defined processes and customize their services.“ Sie schlagen eine Matrix mit den Dimensionen Mehrwert und Individualisierung vor. Dieser Ansatz ist verbesserungsbedürftig, da beide Dimensionen voneinander abhängig und dementsprechend nicht orthogonal zueinander sind. Der Mehrwert einer Leistung ist vom Fit zwischen ihrem Lösungsbeitrag und den konkreten Kundenbedürfnissen also von ihrer Individualisierung abhängig. Daher wird in Abbildung 16 eine alternative Matrix vorgeschlagen, bei der Mehrwert und Individualisierung zu einer Dimension zusammengefasst werden. Der Umfang der Problemlösung stellt die zweite Dimension dar. Eine Mehrwertlösung unterscheidet sich folglich von einer Mehrwertleistung dadurch, dass sie ein logistisches Problem des Mandanten nicht partiell sondern vollständig löst. Von einer Basislösung unterscheidet sie sich dadurch, dass sie stärker an den individuellen Bedürfnissen des Mandanten ausgerichtet ist und eine grösseren Mehrwert erzeugt. 84 Kontingenzmodell Oder - Standardleistungen (TUL) - Skaleneffekte Mehrwertlösung Basislösung Mittel - Mandantenspezifische Leistungen - Verbundeffekte Basisleistung Hoch - Segmentspezifische Leistungen - Skalen- und Verbundeffekte Mehrwertleistung Mehrwert Niedrig - Inhouse - Begrenzte Synergien Leistung Beitrag zur Problemlösung Lösung Vollständige Problemlösung Umfang Abbildung 16: Abgrenzung von Mehrwertleistungen und –lösungen Quelle: Eigene Darstellung In der Literatur konnte bisher keine Typologie ausfindig gemacht werden, die logistische Mehrwertleistungen angemessen strukturiert. Das Supply-Chain Council (2005) hat für Logistiknetzwerke ein Prozessreferenzmodell (SCOR) entwickelt. Dieses Modell bezweckt, heterogene Prozesslandschaften durch weitgehend standardisierte Abläufe zu ersetzen und damit Neugestaltung, Benchmarking und Leistungsmessung von innerbetrieblichen und zwischenbetrieblichen Abläufen zu vereinfachen. Es beinhaltet Standardbeschreibungen der Logistikprozesse „Plan“, „Source“, „Make“, „Deliver“ und „Return“ in unterschiedlicher Granularität: von einzelnen Aktivitäten bis hin zu vollständigen Prozessen. Ausserdem zeigt es Beziehungen zwischen Prozessen auf und schlägt Messindikatoren für die Prozesse vor. SCOR fördert, dass Prozesse eindeutig beschrieben, kommuniziert und verglichen werden können (S.1-4). Das Referenzmodell hat sich aufgrund seiner Verständlichkeit und Umsetzungsorientierung schnell weltweit verbreitet und wird vor allem von multinationalen Unternehmen zur innerund überbetrieblichen Prozessstandardisierung eingesetzt. Das Thema LogistikOutsourcing wird von dem Modell allerdings nicht explizit adressiert. Dennoch ist es sinnvoll, dass eine Typologie für logistische Mehrwertleistungen mit SCOR kompatibel ist, um dessen Potenziale zu nutzen. Kontingenzmodell 85 In den letzten 10 Jahren wurden zahlreiche Studien veröffentlicht, die sich mit der Nachfrage nach logistischen Leistungen beschäftigen. Die Leistungen werden aber immer unstrukturiert aufgelistet (vgl. bspw. Boyson et al. 1999, Murphy und Poist 2000, van Laarhoven et al. 2000, Langley et al. 2003). Das Defizit einer vollständigen Leistungstypologie konstatiert auch Deepen (2003, S.126ff), wobei er zurecht anmerkt, dass der Umfang einer solchen Systematik vom Logistikbegriff und den darin formulierten Grenzen der Logistik abhängt. Die Entwicklung einer eigenen Typologie für logistische Mehrwertleistungen sollte gewisse Anforderungen berücksichtigen, die sich vor allem aus den oben konstatierten Defiziten und Herausforderungen ergeben: Strukturierung: Hilfestellung bei der Definition, Abgrenzung, und Kommunikation von Leistungen zwischen Anbieter und Nachfrager, Konsistenz: Abbildung zentraler Elemente der verwendeten Logistikdefinition, wie bspw. Flussorientierung (vgl. Kapitel 2.1.1), Vollständigkeit: Abdeckung sämtlicher logistischer Leistungsumfänge, Adaptionsfähigkeit: Möglichkeit der Anpassung auf unterschiedliche Branchen- und Mandantenkontexte, Kompatibilität: Konsistenz mit grundlegenden Beiträgen wie bspw. der Prozesskettensicht der Logistik (Baumgarten 1999), dem Ordnungsraster der ELogistik (Straube 2004, S.321) sowie dem SCOR-Modell, Skalierbarkeit: Berücksichtigung von Mehrwertleistungen und -lösungen von unterschiedlichem Umfang. In Abbildung 17 wird eine Typologie entsprechend der oben formulierten Anforderungen vorgeschlagen. Sie besteht aus den vier Dimensionen Logistikfluss, Logistikprozess, Führungsaufgabe und Leistungsgranularität. Die Dimension Logistikfluss besteht aus den Ausprägungen Materialfluss, Informationsfluss, Finanzfluss und Rechtefluss. Der Materialfluss wird anhand der Logistikprozesse Beschaffungs-, Produktions-, Distributions- und After-Sales-Logistik weiter präzisiert. Der Informationsfluss besteht aus den Bereichen Design, Planung, Fulfillment und Monitoring (Straube 2004, S.321) (Straube und Dittmann 2004, S.870). Die vierte Dimension dient der Unterscheidung von Leistungen und Lösungen und orientiert sich an den Prozessebenen von SCOR (Supply-Chain Council 2005, S.6). 86 Kontingenzmodell Lösung Finanz- und Rechtefluss Prozess Monitoring Informationsfluss Planung Prozesselement Fulfillment Leistung Design Materialfluss Beschaffungslogistik Produktionslogistik Distributionslogistik After-SalesLogistik Aufgabe Aktivität Abbildung 17: Typologie logistischer Mehrwertleistungen 3.2.2 Materialfluss Die Typologie von Mehrwertleistungen wird in Abbildung 18 weiter verfeinert. Für die vier Bereiche des Materialflusses werden typische Leistungen für die in dieser Arbeit untersuchten Industrien Automobil und Elektronik aufgelistet. Manche Leistungen können mehrfach zugeordnet werden, so kann bspw. das Cross-Docking der Beschaffungs- und der Distributionslogistik zugerechnet werden. In den nachfolgenden Abschnitten werden ausgewählte Leistungen, wie bspw. Postponement, in Detail vorgestellt. Dabei werden basierend auf der Analyse von Interviews und Publikationen Aufgabenumfänge, deren Verteilung zwischen Mandant und LDL und resultierende Verbesserungen bzw. Risiken diskutiert. Materialfluss Beschaffungslogistik Just-in-Time Just-inSequence Industriepark Completely Knocked Down ... Produktionslogistik Behältermanagement Bandversorgung ... Distributionslogistik Etikettierung Verpackung Postponement Vendor Managed Inventory Cross Docking ... After-SalesLogistik Reparaturen Retouren Entsorgung ... Abbildung 18: Mehrwertleistungen des Materialfluss Kontingenzmodell 87 3.2.2.1 Just-in-Time, Just-in-Sequence und Industriepark Just-in-Time (JiT) kann als Denkhaltung beschrieben werden, die mit Hilfe umfangreicher Produkt- und Prozessneugestaltung darauf abzielt, schlanke und flussorientierte Strukturen umzusetzen. Dementsprechend ist Delfmann der Meinung, dass eine produktionssynchrone Beschaffung den Kern dieses Prinzips nur unzureichend beschreibt (Delfmann 2004, S.221)“. Zibell (1990, zit. bei Ihme 2000, S.247) strukturiert Merkmale und Instrumente des JiT-Konzepts. Lieferant und Hersteller arbeiten vertrauensvoll zusammen und erreichen dadurch eine verlässliche Nachfrage und Versorgung. Mitarbeiter werden befähigt, damit sie eigenverantwortlich die anspruchsvollen JiT-Prozesse ausführen und steuern können. Qualitätsmanagement und Prozessverbesserung führen zu einem kontinuierlichen Materialfluss. Beschaffungs- und Produktionsprozesse werden durch Segmentierung anforderungsgerecht und übersichtlich strukturiert. Beide Partner streben ausgeglichenere Produktionsmengen an, indem sie das Pull-Prinzip und reduzierte Losgrössen realisieren. Das JiT-Konzept ist neben attraktiven Potenzialen ebenfalls mit Umsetzungsrisiken wie bspw. Bandstillständen verbunden. Der Name JiT weist bereits darauf hin, dass die Senkung der Durchlaufzeit im Mittelpunkt dieses Konzepts steht. Es hat eine Hebelwirkung auf den Servicegrad (durch Verbesserungen bei Lieferzeit, Liefertreue, Lieferfähigkeit, Lieferflexibilität und Lieferqualität) und auf die Herstellkosten (durch Verbesserungen bei Bestandskosten und Steuerungsaufwand) (Zibell 1990, zit. bei Ihme 2000, S.244). Anwendung findet das JiT-Konzept in der Automobilindustrie vor allem bei Umfängen wie Antriebsstrang, Cockpit, Sitzgarnitur, Kabelsätzen und Frontend. Diese weisen im Sinne einer ABC-XYZ-GMK-Klassifikation eine hohe Eignung auf. Sie zeichnen sich durch einen hohen Teilewert (A), eine hohe Vorhersagegenauigkeit (X) und grosse Abmessungen (G) aus (Ihme 2000, S.255f). Ihme (S.257) unterscheidet drei Typen von JiT. Bei der blockgerechten Anlieferung ist eine Sortierung der Lieferung nicht erforderlich. Dies trifft bspw. auf Windschutzscheiben und Batterien zu. Die beiden anderen Typen haben die Gemeinsamkeit, dass Zulieferteile in einer Sequenz, die sich an den Aufträgen auf dem Montageband orientiert, angeliefert werden. Je nachdem, ob der Lieferant innerhalb eines bestimmten Radius (bspw. 40 km) vom Herstel- 88 Kontingenzmodell lerwerk entfernt angesiedelt ist, unterscheidet Ihme Just-in-Sequence (JiS) bei abnehmernaher bzw. abnehmerferner Fertigung. Bei abnehmerferner Fertigung ist weder Direktbelieferung noch Sammelbelieferung möglich. Der Hersteller muss über ein werksnahes Lager versorgt werden. Dieser Fall wurde in den letzten Jahren in der Fachpresse unter Begriffen wie Zulieferpark und Industriepark rege diskutiert. Gareis hat definitorische Merkmale eines Industrieparks erarbeitet (2002a, S.11). Mehrere Lieferanten siedeln sich in räumlicher Nähe eines Kunden an und bilden eine „Standortgemeinschaft“ mit dem Ziel einer „sicheren und kostengünstigen JiTVersorgung“. Dieser Prozess findet nicht zufällig statt, sondern ist als „bewusster Gestaltungsakt“ zu interpretieren. Vahrenkamp und Becker (2005, S.17) haben eine Studie über Industrieparks durchgeführt. Sie legen eine Kategorisierung vor und befassen sich mit Entwicklungsbedarfen aus Sicht der beteiligten Parteien. Mit steigender Verantwortungsbündelung unterscheiden sie den klassischen Zulieferpark, die Automotive Community, die Business Mall und das Produktionsversorgungszentrum. Besonders hohe Betätigungspotenziale für LDL bieten sich in den letzten beiden Kategorien. In der Business Mall sind ca. 60-80 Lieferanten angesiedelt. Die Lieferanten führen dort keine wertschöpfenden Aktivitäten durch. Im Produktionsversorgungszentrum sind mit 15-20 Lieferanten deutlich weniger Parteien angesiedelt, die dort jedoch mit ca. 20% ihrer Wertschöpfung signifikante Aktivitäten durchführen. Die Autoren konstatieren einen Veränderungsbedarf bei zahlreichen der untersuchten Industrieparkmodelle (S.18f). Für einige Lieferanten stellen sich die Modelle nicht als echte Win-Win-Konstellationen dar. Die finanziellen Risiken, welche aus einer Unterauslastung resultieren, tragen vor allem sie. Demgegenüber stehen Synergiepotenziale von Industrieparks, die in vielen Fällen noch nicht voll ausgeschöpft worden sind. Vahrenkamp und Becker identifizieren als zentralen Trend bzgl. Industrieparks, dass Verantwortungen gebündelt werden und die gesamte Parkkoordination durch eine Partei (bspw. einen LDL) wahrgenommen wird. Dies schafft interessante Perspektiven für LDL. Des Weiteren werden Best-Practices aus diversen Industrieparkmodellen vorgestellt, mit denen die geforderten Verbesserungen umsetzbar sind. Aus Synergiegesichtspunkten ist bspw. der Automotive Supplier Park in Rosslyn in Südafrika interessant. Dort werden mit BMW, Fiat, Ford und Nissan vier OEMs versorgt. Gleichzeitig ist man dort bestrebt, nicht nur Tier-1-Lieferanten, sondern ein tiefes Lieferantennetzwerk (bis Tier-N) anzusiedeln und dies bei vergleichsweise niedrigen Lohnkosten. Kontingenzmodell 89 In Abbildung 19 sind mögliche Leistungen getrennt nach den Bereichen JiT und Industriepark dargestellt. Bei den aufgeführten Leistungen handelt es sich nur dann um logistische Mehrwertleistungen, wenn sie die Definitionsmerkmale aufweisen: Die Leistung basiert im weiteren Sinne auf logistischen Aufgaben bzw. Prozessen; Es handelt sich nicht um eine Standardleistung aus den Bereichen Transport, Umschlag oder Lagerhaltung; Die externe Erbringung der Leistung durch spezialisierte Dienstleister schafft aufgrund verbesserter Material-, Informations-, Finanz- und/oder Rechteflüsse eine Netto-Wertsteigerung im Vergleich zur internen Erbringung durch den Mandanten. JiT- und JiS-Leistungen Grunddatenmanagement, Lieferabrufe, Montageaufträge, Tracking und Tracing InboundTransport, Konsolidierung Wareneingang, Lagerung Kommissionierung, Montage, Sequenzierung, Qualitätskontrolle, Entsorgung Versand, Outbound-Shuttle, Behältermanagement Industriepark-Leistungen Planung und Aufbau Grobkonzept, Betreibermodell, Investormodell, Planung, Errichtung, Verhandlung Anlagen Gebäude Mitarbeiter Sonstiges Beschaffung Installation Wartung Instandhaltung Reinigung Objektschutz Akquise Schulung Kantine Datenverarbeitung, Rechnungswesen Abbildung 19: Mögliche Leistungen in den Bereichen JiT, JiS und Industriepark Quelle: Eigene Darstellung basierend auf (Gareis 2002a, S.48, 129, 134) Der Inbound-Transport allein ist dementsprechend keine Mehrwertleistung. Er bildet jedoch eine Komponente einer JiT-Mehrwertlösung. Hochqualifizierte LDL erbringen JiT-Lösungen für Mandanten aus diversen Branchen und können aufgrund von Spezialisierungs- und Lerneffekten einen Mehrwert gegenüber der internen Erbringung erzeugen. Sie können bspw. Software für die Auftragssteuerung entlang der JiT-Prozesse entwickeln. Die Leistungsübersicht umfasst auch einige logistikfremde Leistungen wie 90 Kontingenzmodell Kantine und Objektschutz. Für diese Leistungen werden üblicherweise Spezialanbieter vom Parkbetreiber unterbeauftragt. 3.2.2.2 Postponement Postponement ist ein Konzept, welches Produkte und Prozesse so gestaltet, dass die Umsetzung von Kunden- oder Länderanforderungen möglichst spät erfolgt. Es stellt eine Umsetzungsmöglichkeit von Mass Customization, und damit eine Kombination aus Massenproduktion und Kundenwunschproduktion, dar. Die Bestandskosten können reduziert werden, weil anstatt kundenspezifischer Varianten generische Produkte auf Lager gehalten werden. Der Bedarf an generischen Produkten kann genauer prognostiziert werden, weil die Vorhersage verglichen mit den vielen Varianten auf aggregiertem Niveau erfolgt. Unternehmen, die Postponement umgesetzt haben, werden häufig als besonders kundenorientiert wahrgenommen, da sie eine Vielfalt von Varianten mit vergleichsweise kurzen Lieferzeiten anbieten können (Christopher 2005, S.216). Postponement findet vor allem in anspruchsvollen sogenannten „hybriden“ Logistiknetzwerken Anwendung. Diese Logistiknetzwerke stellen eine Kombination von schlanken und agilen Merkmalen dar. Sie sind besonders anspruchsvoll, weil die Versorgung mit langen Wiederbeschaffungszeiten verbunden ist und gleichzeitig die Nachfrage schwer vorhersagbar ist. Ein sogenannter Entkopplungspunkt trennt in solchen Netzwerken effizienzorientierte und reaktionsfähige Prozesse. Stromaufwärts vom Entkopplungspunkt werden unter möglichst hoher Kapazitätsauslastung prognosebasiert generische Module produziert. Stromabwärts wird basierend auf nicht verzerrtem „real Demand“ die Kundenindividualisierung vorgenommen (Christopher 2005, S.117ff). Mason-Jones und Towill (1999, S.18) unterscheiden je nachdem, ob die funktionale und/oder räumliche Gütertransformation aufgeschoben wird, vier Stufen des Postponement. „Full Postponement“ bezeichnet bspw. den Fall, dass räumliche und funktionale Transformation aufgeschoben werden, wohingegen „Full Speculation“ sich auf eine Situation bezieht, in der Varianten gebildet und bis in die unterste Stufe des Distributionsnetzes verteilt werden. 91 Materialfluss Informationsfluss Finanz- und Rechtefluss Kontingenzmodell Abrechnung, Bestandsfinanzierung Beratung Verpackung Prozesse IT Grunddatenund Auftragsmanagement Operatives Beschaffungsund Transportmanagement Konfigurationsmanagement Postponement InboundTransport, Konsolidierung Lagerhaltung, Kommissionierung Endmontage Produktkonfiguration Test Verpackung Installation OutboundTransport, Konsolidierung Vermutete Spezifität Generisch Segmentspezifisch Mandantenspezifisch Abbildung 20: Mögliche Komponenten einer Postponement-Lösung Postponement findet häufig in Distributionskanälen statt, in denen LDL eine zunehmend wichtigere Rolle einnehmen (van Hoek 2000, S.374ff). In Abbildung 20 sind mögliche Komponenten einer Postponement-Lösung dargestellt, so wie sie von einem LDL erbracht werden könnte. Die Darstellung ist nach den logistischen Flüssen gegliedert und nimmt auf die vermutete Spezifität der Aufgaben Bezug. Die Entwicklung von Postponement und verwandten Mehrwertleistungen hat van Hoek in mehreren aufeinanderfolgenden Jahren durch die Befragung von LDL untersucht. Für 1999 diagnostiziert er, dass Postponement-Leistungen noch keine hohe Bedeutung für das Geschäft von LDL aufweisen. Die Befragten erwarten jedoch mittelfristig für fast alle Postponement-Leistungen – egal ob Verpackung oder Endmontage eine steigende Bedeutung. Laut Analysen des Autors hängt die Bedeutung von Postponement-Leistungen für LDL davon ab, wie ihre Fähigkeiten in den Bereichen Account Management, IT-Integration und Performance-Messung sind. Logistikdienstleister, die in den drei Bereichen überdurchschnittliche Fähigkeiten aufweisen, haben signifikant mehr Erfahrung mit Postponement-Leistungen. Van Hoek erklärt dies u.a. damit, dass Postponement-Prozesse komplexer als bspw. Lagerprozesse sind (S.379) und dass mit Hilfe von dedizierten Account Managern ein präziseres Verständnis der 92 Kontingenzmodell Kundenbedürfnisse geschaffen werden kann. Eine Postponement-Lösung besteht aus Leistungsbausteinen, die unterschiedliche Organisationseinheiten bei LDL und Mandant betreffen. Ein Account Manager kann bei der Koordination und Integration der Bausteine eine wichtige Rolle einnehmen. 3.2.2.3 Completely Knocked Down (CKD) In den letzten Jahren haben Automobilhersteller ihre Montagekapazitäten in Übersee ständig ausgebaut. Die Etablierung globaler Produktionsnetze geschieht mit den Zielsetzungen, Kostenstrukturen zu verbessern und gleichzeitig kundennah in wachsenden Märkten präsent zu sein. DaimlerChrysler bspw. verschifft ca. 40 000 Bausätze seiner C-Klasse in das Werk in Südafrika (Höcherl und Seide 2002, S.34). Ähnliches gilt für zahlreiche Hersteller in den aufstrebenden asiatischen Märkten. Wenn man berücksichtigt, dass ein Bausatz durchschnittlich aus 1500 Teilen von 450 Lieferanten besteht, dann wird der enorme Koordinationsaufwand eines solchen Logistikkonzepts deutlich. Die Motivation dieses Konzepts für OEMs liegt darin, dass durch die Versendung von Bausätzen anstatt fertiger Fahrzeuge (Completely Build Up, CBU), Einfuhrquoten und -zölle umgangen werden können. Daher nutzen auch einige Systemlieferanten diesen Ansatz (Voigt 2005, S.42f). Bei der Versendung von Bausätzen unterscheidet man verschiedene Konzepte wie Completely Knocked Down und Part by Part (PbP) (Höcherl und Seide 2002, S.34). Der erste Ansatz sieht vor, dass Bausätze entsprechend der Produktionslose im empfangenden Werk bestellt und geliefert werden. Dies impliziert, dass komplette Bausätze – inklusive C-Teilen – verpackt und versendet werden. Damit ergeben sich tendenziell geringere Bestände in der Senke. Dieses Konzept ist jedoch mit hohen Anforderungen an die Prozessqualität verbunden. Der Verpackungs- und Kontrollaufwand ist tendenziell höher als beim PbP-Vorgehen. Wenn die Lieferung der Teile nicht so eng mit dem Produktionsplan des Empfängerwerks synchronisiert ist, dann spricht man von Part-by-Part-Versorgung. Dieses Vorgehen impliziert höhere Bestände an der Senke, eröffnet jedoch gleichzeitig Freiheitsgrade für die Verpackungs-, Beladungs- und Transportoptimierung. Voigt (S.42) stellt fest, dass die Vorgehensweise vor allem von den Produktionsvolumina abhängt, wobei sich CKD eher bei hohen Volumina eignet. Kontingenzmodell 93 In Abbildung 21 ist ein mögliches Aufgabenspektrum für Logistikdienstleister im CKD-Umfeld und eine denkbare Abgrenzung zu den Kompetenzen des OEM dargestellt. Die Planungsprozesse von Automobilherstellern und ihr Grunddatenmanagement sind sehr komplex und bleiben wohl auf absehbare Zeit in ihrem Kompetenzbereich. Aufgrund niedriger Produktkomplexität kann dies in anderen Branchen anders aussehen. Die Aktivitäten des LDL und der Lieferanten werden i.d.R. über Lieferabrufe des OEM gesteuert. Die Auswahl von Transportdienstleistern kann sowohl vom OEM als auch vom Logistikdienstleister erbracht werden. Der OEM hat Erfahrungen im Aufbau von Gebietspeditionsnetzwerken und in der Konsolidierung von Versorgungsströmen. Auf der anderen Seite ist der LDL für einen Grossteil des Materialflusses verantwortlich und kann somit Kapazitätsbedarfe und -angebote kurzfristig und flexibel miteinander abgleichen. OEM Prozessdesign Änderungsmanagement Produktionsplanung Lieferabrufe LDL Umsetzung von Änderungen und Lieferabrufen Generierung von Transport-, Kommissionier-, Pack- und Beladungsaufträgen SCEM Leistungsmessung Verzollung Administrative Aufgaben Vorlauf Korrosionsschutz Exportverpackung Hauptlauf Wareneingang Vorverpackung Containerbeladung Nachlauf Qualitätskontrolle Lagerhaltung Physische Aufgaben Erwartete Spezifität Generisch Segmentspezifisch Mandantenspezifisch Abbildung 21: Mögliche Aufgaben für LDL im Bereich CKD Eigene Darstellung basierend auf (Höcherl und Seide 2002, S.35) Im Laufe des Lebenszyklus von Automobilen ändert sich ein hoher Anteil der verwendeten Teile. Diese Änderungen müssen in den Informationssystemen nachgeführt und 94 Kontingenzmodell in den Ausführungsprozessen berücksichtigt werden. Nur auf Basis von aktuellen Grunddaten kann das Auftragsmanagement die Zusammenstellung der Bausätze ordnungsgemäss ausführen. Mit Hilfe der Lieferabrufe steuert der Logistikdienstleister die physischen CKD-Prozesse, indem er daraus Transport-, Kommissionier-, Verpakkungs- und Beladungsaufträge generiert. Je nachdem, ob man den CKD-Standort und damit den Konsolidierungspunkt in die Nähe des OEM oder eines Seehafens setzt, kann man Synergien mit anderen Transportströmen des Herstellers bzw. des LDL erzeugen. Hohe Distanzen führen zu langen Wiederbeschaffungszeiten in den Überseewerken. Daher betonen Höcherl und Seide (S.34) das Prinzip einer „Null-Fehler-Toleranz“ in allen Prozessen. Daraus folgt für den Wareneingang, dass der LDL die eingehende Ware mit den Lieferabrufen bzgl. Art und Menge vergleicht und auf Beschädigungen untersucht. Die Verpackungsprozesse können entweder in einem oder mehreren Schritten durchgeführt werden. Dies hat u.a. Konsequenzen für den Platzbedarf im Lager und die Reaktionszeiten bei der Versendung. Im ersten Schritt, können Teile vorverpackt oder gegen Korrosion durch das Aufbringen eines Ölfilms geschützt werden. Im zweiten Schritt verpackt der LDL ein breites Spektrum an Gross- und Kleinteilen exportgerecht und etikettiert sie. Danach führt er die Containerbeladung durch und berücksichtigt dabei die Zielgrössen, Laderaumnutzung und Ladungssicherheit. Der LDL bucht bei der Reederei Kapazitäten für den Hauptlauf nach Übersee. In Sonderfällen muss er bei dringenden Bedarfen auch den Luftweg einsetzen, wodurch jedoch hohe Kosten entstehen. Am Zielort führt er die Verzollung durch und organisiert den Nachlauf zum Werk des OEM. Oymann et al (2005, S.91) betonen, dass die Überseeversorgung mit einer Lieferzeit von 30-40 Tagen verbunden und dabei einer starken Nachfrage- und Versorgungsunsicherheit unterworfen ist. Um den anspruchsvollen CKD-Gesamtprozess verlässlich und transparent abzuwickeln, bietet sich der Einsatz von Werkzeugen für Supply Chain Event Management an. Kontingenzmodell 95 3.2.3 Informationsfluss In Abbildung 22 wird die Leistungstypologie hinsichtlich des Informationsflusses weiter konkretisiert. Für die vier Bereiche Design, Planung, Fulfillment und Monitoring werden jeweils die wichtigsten logistischen Mehrwertleistungen aufgelistet. Nachfolgend werden mögliche Aufgabenumfänge, Kompetenzverteilungen zwischen LDL und Mandanten, Verbesserungen sowie Risiken am Beispiel des Logistiknetzwerk-Designs und des Supply Chain Event Management dargestellt. RFID, Barcode Tracking & Tracing Supply Chain Event Management Prozesskostenrechnung Reporting, Controlling Customer Collaboration Supplier Collaboration Bedarfsplanung Transportplanung Produktionsplanung Bestandsplanung Monitoring Planung Informationsfluss Fulfillment Auftragsmanagement Available-to-Promise Kundenservice Call Center Betrieb von IT-Systemen Design Logistiknetzwerk-Design Prozessdesign Entwicklung von IT-Systemen Abbildung 22: Mehrwertleistungen des Informationsfluss 3.2.3.1 Logistiknetzwerk-Design Die Bedeutung von Logistiknetzwerken für die Wettbewerbsposition von Unternehmen wird deutlich, wenn man zwei Aspekte betrachtet. Der Anteil der Logistikkosten an den Gesamtkosten ist mit 8,2% in der Automobilindustrie und 27,6% im Handel erheblich (Baumgarten und Thoms 2002, S.14). Andererseits erreichen die wenigsten Unternehmen eine zufriedenstellende Logistikleistung, wenn man ein strenges Kriterium wie Perfect Order32 zugrunde legt (Fawcett und Cooper 1998, S.355). Daher gestalten erfolgreiche Unternehmen ihre Logistiknetzwerke um, damit sie gegenüber Wettbewerbern Vorteile erzielen können. 32 „Complete orders delivered to customers by requested date and time in perfect condition, including all documentation“ (Fawcett und Cooper 1998) 96 Kontingenzmodell Hoppe und Conzen (2002, S.12f) nennen Merkmale, die darauf hindeuten, dass Unternehmen über eine Umgestaltung ihrer Logistiknetzwerke nachdenken sollten. Markteintritte können erfordern, dass Netzwerke erweitert werden bzw. ihre Schwerpunkte verschieben. Im Falle von Akquisitionen sollten Unternehmen prüfen, ob eine Konsolidierung der Netzwerke zu Synergien führt. Sobald ein Unternehmen über einen längeren Zeitraum deutliche Probleme mit seiner logistischen Performance hat – bspw. hohe Bestände oder einen niedrigen Lieferservice -, dann sollte es untersuchen, inwieweit sie sich auf die Netzstruktur zurückführen lassen. Weitere Anhaltspunkte lassen sich in der Organisationsstruktur finden. Wenn bei einem Mandanten in Freihandelszonen wie der Europäischen Union Läger von Landesorganisationen verantwortet werden, wenn Läger selber betrieben werden oder wenn an mehreren Stellen in der Organisation Logistikleistungen unkoordiniert beschafft werden, dann lassen sich Umgestaltungspotenziale vermuten. Eine Umgestaltung von Netzwerken bedeutet, dass die Netzwerkressourcen auf die aktuelle Unternehmens- und Logistikstrategie ausgerichtet werden. Im Laufe eines Netzwerk-Designs müssen zahlreiche Zielkonflikte analysiert werden. Unternehmen müssen bspw. die grundlegende Entscheidung treffen, wie sie für bestimmte ProduktMarkt-Kombinationen die Servicegrade und Logistikkosten ausbalancieren wollen. Zwischen den Komponenten der Logistikkosten – Bestandskosten, Lagerhaltungskosten, Transportkosten, Losgrössenkosten und Kosten des Informationsmanagement existieren wiederum weitere Zielkonflikte, die mit der Entscheidung über eine Netzstruktur zu einem grossen Teil festgelegt werden (Stock und Lambert 2001, S.193). Straube (2005) schlägt ein fünfstufiges Vorgehen für das Design von Logistiknetzwerken vor. Im ersten Schritt werden die Anforderungen analysiert, die kundenseitig an Lieferzeiten, Lieferkosten und Lieferservicegrade gestellt werden. Im zweiten Schritt werden die bestehenden Strukturen des Netzwerks untersucht. Existierende Quellen und Senken stellen Restriktionen dar, weil ihre Nichtberücksichtigung zu erheblichen Kosten führen kann. Für die kapazitative Auslegung des Netzwerkes untersucht man im dritten Schritt die Mengengerüste, also u.a. die Bedarfsmengen und ihre räumlichen und zeitlichen Verteilungen. Der vierte Schritt leitet die Gestaltung ein. Hier wird entschieden, wie viele Knoten an welchen Standorten mit welchen Funktionen genutzt werden und welche Versorgungs- und Liefergebiete ihnen zugeordnet werden. Damit wird die Netzwerkstruktur gestaltet. Abschliessend müssen innerhalb der Strukturen Kontingenzmodell 97 die Prozesse entlang der Knoten und Kanten des Netzwerkes gestaltet werden. U.a. werden Fahrpläne, Routen und Transportmodi festgelegt. Mit dem 4PL zeichnete Andersen Consulting das Idealbild eines hochentwickelten Logistikdienstleisters, dessen Ziele mit denen des Mandanten harmonisiert sind und der als „Visionary“, „Re-engineer“ und „Change Leader“ im Logistiknetzwerk des Mandanten agiert (Christopher 2005, S.296f). Die Komplexität und Spezifität vieler Logistiknetzwerke heutzutage lässt vermuten, dass diese Rolle in ihrer Reinform in naher Zukunft nicht eingenommen werden kann. Rudberg und Olhager (2003, S.30) weisen darauf hin, dass sich in Wertschöpfungsnetzwerken interdependente Produktionsnetzwerke und Logistiknetzwerke überlagern. Diese sind aufgrund getrennter Zuständigkeiten häufig nicht optimal aufeinander abgestimmt. Dementsprechend stellt Fine (1998, S.127) fest, dass Unternehmen, die Produkte, Prozesse und Netzwerke simultan gestalten, Wettbewerbsvorteile erlangen können. Ein solches Vorgehen erfordert interdisziplinäre und ggf. unternehmensübergreifende Teams. Ein LDL kann dabei nur eine tragende Rolle spielen, wenn er mit umfangreichem Wissen und Durchsetzungskraft ausgestattet ist. Markterschließung Standortsetzung Logistik ein Aspekt der Aufgabenstellung Lieferantenauswahl / Make-or-Buy-Entscheidung Bewertung Produktionsstrategie (Gleichteile, Variantenbildung) Bestimmung Werkbelegung (u.a. bei Produkteinführung) Gestaltung Versorgungsprozesse reine Logistikaufgabe Gestaltung Distributionsnetzwerk Bewertung / Auswahl Logistikdienstleister Behältermanagement Festlegung Transportrelation / Transportmittel Planungshorizont Abbildung 23: Aufgaben des Netzwerk-Designs Quelle: (Straube 2005) Immer weniger Unternehmen erachten heutzutage Ausführungsaktivitäten in Logistiknetzwerken als ihre Kernkompetenz (Hoppe und Conzen 2002, S.18). Entsprechend sollten sie überprüfen, ob eine Zuordnung ausgewählter Design-Aufgaben auf die Akteure, welche aufgrund der Ausführung bereits über umfassendes Wissen verfü- 98 Kontingenzmodell gen, vorteilhaft ist. In Abbildung 23 sind Aufgaben des Netzwerk-Designs nach ihrem Planungshorizont und ihrem Logistikbezug aufgetragen. Basierend auf den obigen Ausführungen und auf Mandanten-Interviews ist davon auszugehen, dass sich für LDL vor allem Betätigungsfelder im Bereich der Design-Aufgaben mit reinem Logistikbezug und mit kurzem sowie mittlerem Planungshorizont ergeben. Es gibt zahlreiche Faktoren, die den Einsatz von LDL für Design-Aufgaben im Logistiknetzwerk begünstigen. LDL betreiben umfangreiche Netzwerke aus Transport-, Lager- und IT-Ressourcen. Netzwerkmanagement sollte daher eine Kernkompetenz führender LDL sein. LDL können ihre eigenen Netzwerke mit denen von Mandanten verknüpfen und damit Skaleneffekte erzeugen. Sie können das operative Wissen ihrer Mitarbeiter und Informationen aus Tracking & Tracing bzw. Supply Chain Event Management-Systemen für die Umgestaltung von Netzwerken nutzen. „(Hat der 4PL Design-Software im Einsatz?) Das macht der 4PL schon für uns. Wir haben da momentan ein grosses Projekt, wo wir die Wertschöpfungsketten global optimieren. (...) Wir haben uns von unseren wichtigsten Kunden Aufträge ausgesucht und uns dann aufgemalt, wie die Ware eigentlich geflossen ist. (...) Wie lange die unterwegs waren, zu welchen Kosten. In der nächsten Phase werden die Daten in ein Modelling-Tool eingegeben, was auch dem 4PL-Partner gehört. (Erwarten sie Lernkurvenvorteile beim LDL?) Das ist, was wir uns davon erhoffen, nicht so sehr die tägliche Logistik zu übernehmen. Da kommen nicht die grossen Einsparungen her.“33 LDL können Design-Know-how und spezialisierte Software-Werkzeuge für mehrere Kunden einsetzen und damit Verbundeffekte erzeugen. Dies ist vor allem für mittelständische Mandanten interessant, die sich keine eigenen Design-Experten leisten können. LDL können als Logistikberater agieren, die Successful-Practices in ihren Kontrakten dokumentieren und auf andere Mandanten übertragen. Hoppe und Conzen (2002, S.49) nennen vier „Grundsätze“, über die bei einer Umgestaltung von Netzwerken entschieden werden muss: Flexibilität, Standardisierung, Zentralisierung und Differenzierung. Vor allem zu den ersten drei Grundsätzen können LDL einen grossen Beitrag leisten. Je weniger spezifisch die Anforderungen des Mandanten sind, desto besser kann der LDL ein strukturell, mengenmässig und technolo33 Interview Mandant 21.02.2005 Kontingenzmodell 99 gisch flexibles Netzwerk knüpfen. Zahlreiche Entwicklungen deuten darauf hin, dass im Rahmen der Globalisierung flexible Logistikstrukturen wichtiger werden. Grosse Mandanten setzen zunehmend auf zentrale europäische Strukturen in Marketing, Produktion und Logistik. Nach sinkenden Transportkosten aufgrund von Deregulierung beobachten die Autoren jedoch eine Trendumkehr durch Ökosteuer und LKW-Maut mit Konsequenzen für die Netzwerkkonfiguration. Es bietet sich an, die Umgestaltung einer Netztopologie mit einer Fremdvergabe von Logistikleistungen zu verbinden. Damit trägt der LDL die Risiken für den Aufbau der neuen Infrastrukturen und die Migration dahin. Dienstleister können für ihre Mandanten die Implementierung neuer Identifikationstechnologien wie RFID im Netzwerk vorantreiben. Dadurch verbessern sie die Visibilität und reduzieren ggf. die erforderliche Stufigkeit von Netzwerken. Als Ergebnis können trotz eines volatilen Umfelds reaktionsschnelle Versorgungs- und Distributionsnetzwerke realisiert werden (Straube et al. 2005, S.245). Allerdings gibt es auch einige Argumente, die gegen die Vergabe strategischer Aufgaben an LDL sprechen. Manche Mandanten trauen LDL nicht zu, dass sie immer neutral agieren und ihnen die tatsächlich besten Standorte bzw. Transportverbindungen anbieten. Mandanten wollen eine hohe Transparenz über das Handeln des LDL, was schwer umsetzbar ist. Sofern keine umfangreichen Messsysteme vorliegen, kann ein Mandant nie sicher sein, ob alle Einsparungen transparent gemacht und verteilt werden. Für eine anspruchsvolle Gestalterrolle des LDL müssten seine Kompetenzen und Verantwortungen massiv ausgeweitet werden. Ansonsten hätte er nicht genug Autorität, um Veränderungen gegenüber internen Funktionen sowie externen Netzwerkpartnern durchzusetzen. Wenn ein Mandant solche Design-Aufgaben über Jahre durch externe Parteien erbringen lässt, dann kann er zudem die Beurteilungskompetenz auf diesem Gebiet verlieren. „(Wir halten das) für unsere ureigenste Aufgabe, dieses Design selber zu übernehmen. Das kann man nicht outsourcen. Man kann sich unterstützen lassen. Aber da ich mit der Entwicklung sprechen muss: Was muss ich tun, um hier noch Potenziale zu heben? Man muss mit dem Einkäufer reden und gucken wie man die Liefernetze aufbaut. Da hätte ein Dienstleister auch nicht die Durchschlagskraft, die man braucht um solche Themen zu vertreten.“34 34 Interview Mandant 24.02.2005 100 Kontingenzmodell Die Vergabe von Design-Aufgaben wird offensichtlich mit steigender Produktkomplexität unwahrscheinlicher. Die Produktkomplexität ist bspw. bei Automobilen höher als bei Lebensmitteln. Im Falle einer hohen Komplexität bleibt dem LDL aber immer noch eine unterstützende Rolle. Wenn ein Mandant Design-Aufgaben fremdvergibt, dann muss er in regelmässigen Intervallen das Konzept des LDL benchmarken, um seine Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen. 3.2.3.2 Supply Chain Event Management Die Struktur von Warenströmen hat sich in den letzten Jahren stetig gewandelt. Im Gegensatz zu früher werden Lieferungen heute tendenziell in kleineren Mengen und kürzeren Intervallen abgewickelt. Dazu kommt die Tatsache, dass Lieferungen heute grenzüberschreitender und intermodaler sind. Konsolidierung und Dekonsolidierung sorgen dafür, dass Transportprozesse interdependenter sind. Die Situation wird noch anspruchsvoller dadurch, dass heutzutage Logistiknetzwerke mit niedrigen Beständen ausgestattet sind und durch eine Vielzahl von spezialisierten Dienstleistern betrieben werden (KPMG Consulting 2002, S.1). Als eine erste Generation von Monitoring-Systemen kam vor Jahren das Tracking & Tracing (T&T) auf. Üblicherweise loggen sich Prozessverantwortliche wie Disponenten in ein webbasiertes System ein und werden nach der Eingabe einer Referenznummer über den Status eines logistischen Objektes35 informiert. Diese Lösungen bedürfen einer Weiterentwicklung, weil sie aufwendig in der Anwendung und beschränkt in ihrem Informationsnutzen sind. Ausserdem bieten sie immer weniger Differenzierungspotenziale für LDL, weil sie mittlerweile relativ weit verbreitet sind. Das Konzept Supply Chain Event Management (SCEM) stellt eine neue Generation des Monitoring dar und kann – falls in einem Unternehmen bereits vorhanden - auf dem Tracking & Tracing aufsetzen. SCEM basiert nicht auf Stati, sondern auf Events, welche relevante, positive oder negative Ereignisse in der Supply Chain sind (KPMG Consulting 2002, S.34) (vgl. auch Stölzle 2004, S.503f). Die Relevanz kann erst dadurch festgestellt werden, dass Ist-Daten mit Plan-Daten verglichen werden. Daher argumentieren Vertreter dieses Konzeptes, dass es die Lücke zwischen Planung und Ausführung schliesst (S.29). Wenn man Events frühzeitig aufdeckt und kommuniziert, dann ist eine schnelle Reaktion und Fehlerbehebung möglich. Das Publish-andSubscribe-Prinzip stellt dabei sicher, dass Informationen an die richtigen Personen in 35 Produkt, Karton, Palette, Container oder Sendung Kontingenzmodell 101 den Organisationen verbreitet werden. Das SCEM-Konzept umfasst theoretisch ganze Wertschöpfungsnetzwerke und geht über die Reichweite traditionell auf die Transportfunktion beschränkter T&T-Systeme hinaus. Wie Tabelle 4 und das folgende Beispiel zeigen, verspricht das SCEM-Konzept bei korrekter Umsetzung umfangreiche Potenziale auf der Leistungs- und Kostenseite in Logistiknetzwerken. Im Idealfall werden transparente Netzwerke umgesetzt, in denen Planabweichungen schnell korrigiert werden und die daher mit niedrigen Beständen betrieben werden können. „Zweitens haben wir keine Transparenz über eintreffende Waren gehabt. Wir hatten so eine Ahnung, wann Ware eintreffen würde, aber genau wussten wir es nicht wegen der langen Durchlaufzeiten. Wir hatten keine konsequenten Ursachenanalysen, wenn etwas länger gedauert hat. Wenn etwas 4 Wochen unterwegs war, dann kann man schlecht nach einem Monat analysieren, wo ging es denn schief.“36 Kosten (Sicherheits)Bestände Auswahl Routen und Transporteure Qualität Termintreue Fehlmengensituationen Ressourcenauslastung Steuerungsaufwand Haftungskosten und Maluszahlungen Fehlerfolgekosten Zuordnung von Fehlleistungen Anreizwirkung Service Auskunftsfähigkeit Managementinformationen für die Umgestaltung von Prozessen und Netzwerken Differenzierung Kundenbindung Informationsgrundlage für Abrechnungen Dienstleistertransparenz Transparenz über Unternehmensund Ländergrenzen Transparenz über Verkehrsträger Warenrückverfolgung Reaktionszeit auf Abweichungen Wartezeit Tabelle 4: Potenziale von SCEM Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an (KPMG Consulting 2002, S.6) Bei SCEM handelt es sich um ein anspruchsvolles Konzept, bei dessen Umsetzung Unternehmen zahlreiche Barrieren überwinden müssen. Auf der technischen Seite haben sich noch keine Standards für die Datenerfassung und -übertragung durchgesetzt. Die Verfügbarkeit und Qualität von Grunddaten sowie Plandaten ist Voraussetzung dafür, dass Plan- und Istdaten präzise und aussagekräftig verknüpft werden können. 36 Interview Mandant 17.02.2005 102 Kontingenzmodell Logistiknetzwerke sind heute nicht selten fundamentalem Wandel ausgesetzt. Geschäftsbereiche werden ge- und verkauft, Produktion wird verlagert und Lieferanten werden ausgetauscht. Es besteht damit die Gefahr, dass Systeme mit diesem Wandel nicht mithalten können. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht stehen den hohen Implementierungskosten schwer quantifizierbare Potenziale gegenüber. Informationsbasierte Leistungen wie SCEM sind bzgl. der Verrechenbarkeit schwerer zu handhaben als klassische Basisleistungen, weil sich der Wert für den Mandanten aus der Bereitstellung des Systems, der Nutzung und der Erfolgswirkung ergibt. Es besteht weiterhin die Gefahr, dass Mitarbeiter und Geschäftspartner das System obstruieren, weil sie bspw. durch fehlerhafte Events in ihrer Produktivität beeinträchtigt wurden oder weil sie eine zu hohe Transparenz fürchten. Beim Aufbau von SCEM-Systemen ergeben sich drei wesentliche Gestaltungsdimensionen: das technische Konzept, die Beschaffungsstrategie und die Aufgabenverteilung zwischen Mandant und LDL. Stefansson und Tilanus (2000, S.256ff) haben T&TSysteme anhand von technischen Gestaltungsparametern klassifiziert. Diese lassen sich auf SCEM übertragen. Unternehmen müssen entscheiden, mit welcher Technologie sie Güter identifizieren möchten, und ob sich die Reichweite des Systems nur auf Transportprozesse oder darüber hinaus auf Lager- und Produktionsprozesse erstrecken soll. Das implementierende Unternehmen legt fest, wo es entlang der Prozessstrecke Messpunkte gibt und auf welcher Granularität die Messung erfolgt – Produkt, Karton, Palette, Container oder Sendung. Es entscheidet, ob neben den Kerninformationen wie Ort, Zeit und Identität des Logistikobjekts zusätzliche Informationen wie Quantität, Qualität oder Temparatur erhoben werden. Für die Nutzer des Systems – vor allem wenn sie aus anderen Organisationen sind - ist es wichtig, wie bequem sie sich mit dem System verbinden können. Dies kann manuell über Internetformular oder automatisch durch eine Systemkopplung erfolgen. Für die Beschaffung von SCEM-Leistungen ergeben sich für Mandanten prinzipiell vier strategische Optionen. Sie können im eigenen Haus eine interne Lösung aufbauen oder auf Lösungen bei externen Anbietern zurückgreifen. Kontraktlogistikunternehmen bieten Event-Management-Plattformen an, bei denen mehrere Mandanten mit einem LDL verknüpft werden. Diese Plattformen haben folglich einen eher privaten Charakter. Im Gegensatz dazu verknüpfen Application Service Provider auf ihren Kontingenzmodell 103 Plattformen mehrere Mandanten mit mehreren LDL und bieten daher Plattformen mit eher öffentlichem Charakter (Bretzke und Klett 2004, S.156ff). Mandanten müssen die Nachteile durch erhöhte Schnittstellenkosten bei privaten Plattformen mit dem Vorteil einer exklusiven, differenzierenden Lösung abwägen. Die vierte Variante ergibt sich, wenn Mandanten interne bspw. produktionsorientierte Systeme mit externen bspw. logistikorientierten Systemen verknüpfen. Das SCEM-Konzept hat mit der Behebung von Abweichungen eine ausführungsorientierte und mit der Korrektur fehleranfälliger Prozesse eine gestaltungsorientierte Dimension. Wenn der LDL einen Event nur meldet und nicht zur Lösung autorisiert ist, dann ist sein Ausführungsfreiraum niedrig und man kann ihm die Rolle des „Transparenzschaffers“ zuschreiben (vgl. Abbildung 24). Das folgende Beispiel zeigt, dass es nur in einem Kontext Sinn macht, in dem der LDL über eine umfangreiche Informations- und Wissensbasis sowie eine hohe Durchschlagskraft gegenüber Netzwerkpartnern verfügt, ihm die Rolle eines „Exception Managers“ zu übertragen. „Die Frage ist, kann ein Dienstleister überhaupt optimieren? Stellen sie sich vor, der Lieferant hat einen Abruf bekommen und liefert nicht, weil er Werkzeugbruch hatte. Wer ist in der Lage zu entscheiden, was da jetzt gemacht wird? Vielleicht haben wir noch 10 Behälter von dem Teil im Lager. Oder wir sagen, es brennt wir haben kein Teil mehr und das Teil ist im Produktionsprozess kritisch. Wir schicken dem einen Hubschrauber, der die nächsten fertigen Teile abholt. Der Externe müsste verstehen, wie unser Produktionsprozess funktioniert und was kritisch ist. Der (LDL) hätte uns in der Beschaffung unglaublich Arbeit abnehmen sollen. Was davon wirklich funktioniert hat: wenn der Lieferant den Abruf nicht erfüllt, dann macht er die erste Nachfrage, was ist eigentlich das Problem: Werkzeugbruch, Datenübertragung, habe den Abruf nicht erhalten. Er darf einmal nachfragen und wenn der Lieferant sagt, du bist doch eh nur der Spediteur, dann ist es wieder (der Mandant), der sich kümmern muss.“37 37 Interview Mandant 08.03.2005 104 Kontingenzmodell SCEM System-Design ++ o Sammlung Ist-Daten ++ - o ++ Datenverarbeitung ++ - Abweichungsmeldung ++ - Problembeschreibung ++ - Erste Problemlösung + o Eskalation o ++ o/+ ++ ++ o + + Sammlung Plan-Daten Problemlösung Reporting Verbesserungen im Netzwerk Ausführungsfreiraum des LDL hoch niedrig Gestaltungsfreiraum des LDL hoch Aufgabe bei Mandant niedrig Aufgabe bei LDL Prozessberater Prozessverantwortlicher Transparenzschaffer Exception Manager Abbildung 24: Aufgaben und Rollen im Rahmen einer SCEM-Lösung (Beispiel) Wenn ein LDL über längere Zeit für einen Mandanten eine SCEM-Lösung betreibt, dann kann er umfangreiches Wissen darüber sammeln, wie er die Lösung, aber auch die von ihm überwachten Prozesse verbessern kann. Wenn er den Gestaltungsfreiraum hat, dass er das generierte Wissen eigenverantwortlich umsetzen kann, sind für LDL auch die Rollen „Prozessberater“ oder „Prozessverantwortlicher“ denkbar. Bei der Aufgabenverteilung zwischen Mandant und LDL muss berücksichtigt werden, welche Partei aufgrund ihrer Rolle im Wertschöpfungsprozess für eine Aufgabe prädestiniert ist. Eine exemplarische Bewertung wird in Abbildung 24 vorgenommen. Bspw. kann ein LDL, wenn er SCEM für mehrere Mandanten implementiert, Vorteile beim System-Design haben. Viele Mandanten geben die Planung von Bedarfen und Beständen ungern aus der Hand, so dass in vielen Fällen die Sammlung von Plandaten besser durch den Mandanten erfolgt. Bezüglich der Eskalation und Problemlösung ist je nach Komplexität und Reichweite der betrachteten Netzwerke eine Zuordnung auf den LDL bzw. den Mandanten zu prüfen. Zusammenfasssend lässt sich festhalten, dass SCEM mittelfristig enorme Marktpotenziale für Logistikdienstleister birgt, vor allem im Kontext grenzüberschreitender Logistiknetzwerke. Die obigen Ausführungen deuten darauf hin, dass sich Logistikdienstleister bei SCEM in weiten Bereichen Kompetenzvorteile erarbeiten können. Diese Kompetenzen sind dann auch Voraussetzung, um langfristig eine tragende Rolle im Logistiknetzwerk des Mandanten einzunehmen. Um diese Leistung erfolgreich für den Mandanten einzusetzen, sollten Logistikdienstleister SCEM pragmatisch umsetzen und Kontingenzmodell 105 neben den technischen nicht die betriebswirtschaftlichen Voraussetzungen wie bspw. Vertrauen des Mandanten aus dem Blick verlieren. 3.2.4 Finanzfluss und Rechtefluss 3.2.4.1 Überblick Ähnlich wie Mehrwertleistungen der Produktionslogistik wurden Mehrwertleistungen des Finanz- und Rechteflusses traditionell nicht als Kernkompetenz von LDL angesehen. Dementsprechend ist in diesem Bereich die Fremdvergabe an LDL noch nicht weit fortgeschritten. Nachfolgend wird jedoch gezeigt, dass die Übernahme solcher Aufgaben durch kompetente LDL (vgl. Abbildung 25) die Finanz- und Rechteflüsse verbessern und Mehrwert für die Beteiligten erzeugen kann. Beispiel Warendistribution: Zollbehörde Mandant LDL/FDL Transport IT-DL Kunde Transport Landesgrenze Zentrallager Ausländischer Kunde Aufgaben des LDL: Mandant LDL/FDL Kunde Transport-DL IT-DL Zollbehörde Finanzfluss Rechnungsprüfung und -zahlung Internationaler Zahlungsverkehr Rechnungsstellung Verzollung Finanzierung bzw. Leasing von Gebäuden Finanzierung bzw. Leasing von Anlagen Bestandsfinanzierung Forderungsankauf, Forderungsmanagement Versicherungen Rechtefluss Contracting mit LDL Contracting mit IT-DL Contracting mit Finanz-DL Aufgabenverantwortlich Beteiligt Abbildung 25: Mehrwertleistungen des Finanz- und Rechteflusses38 Wenn man sich an dem in Abbildung 25 dargestellten Warenfluss orientiert, dann ergeben sich zahlreiche Möglichkeiten, bestehende Finanzflüsse durch die Einbeziehung 38 FDL = Finanzdienstleister, IT-DL = Informationstechnik-Dienstleister 106 Kontingenzmodell von LDL mit Finanzierungskompetenz39 zu verbessern. Die Bereitstellung von Logistikkapazitäten ist in vielen Branchen sehr kapitalintensiv. In diesem Fall ist die Finanzierung bzw. das Leasing von Logistikgebäuden und Fördertechnik zu prüfen. Die Einschaltung eines LDL für das Leasing von Logistikanlagen kann dem Mandanten zahlreiche Vorteile bringen (von Eisenhart-Rothe und Jütte 2003, S.155). Die Liquiditätsstruktur lässt sich für ihn verbessern und transparenter gestalten. Er kann u.U. regelmässig von technischen Neuerungen profitieren. Darüber hinaus bieten sich Möglichkeiten, Steuereffekte zu erzielen und über eine veränderte Bilanzstruktur die Bonität zu verbessern. Als viel diskutierte Mehrwertleistung des Finanzflusses wird die Bestandsfinanzierung unten gesondert dargestellt. Die Abwicklung globaler Warenströme unterliegt zahlreichen Risiken. Ein kompetenter LDL kennt den Materialfluss seines Mandanten und die damit verbundene Risikobelastung besonders gut. Daher kann es für den Mandanten interessant sein, wenn der LDL anforderungsgerechte Versicherungsleistungen für ihn auswählt (Stemmler 2002, S.171). Aufgrund seiner täglichen Arbeit im grenzüberschreitenden Verkehr kann ein LDL kontinuierlich Wissen über zollrechtliche und sonstige Bestimmungen in diversen Ländern aufbauen. Er kann aus den Sendungsdaten Zollpapiere generieren und insgesamt für einen reibungsloseren Grenzübergang sorgen. Ähnliches gilt für die Rechnungsstellung. Wenn der LDL Ware beim Kunden abgeliefert hat, kann er unverzüglich anhand der Lieferdaten eine Rechnung erstellen. Dementsprechend weist Stemmler (2002, S.171) auf die enormen Potenziale hin, die aus einer verbesserten Synchronisierung von Finanzflüssen mit bereits vorhandenen Informationsflüssen resultieren. Weil die Warenströme zunehmend grenzüberschreitend werden, kann der LDL auch Leistungen anbieten, die für den Mandanten den internationalen Zahlungsverkehr beschleunigen und dessen Kosten reduzieren. Mandanten müssen häufig umfangreiche Forderungen gegenüber Kunden über längere Zeiträume finanzieren. In diesen Fällen können LDL Unterstützung durch FactoringLeistungen anbieten. Factoring bedeutet, dass der LDL Forderungen des Mandanten ankauft und das Risiko eines Forderungsausfalls übernimmt. Für diese Leistung behält der LDL eine Factoring-Gebühr ein, die von der Bonität des Kunden abhängt. Wenn die Bonität des Kunden besser als die des Lieferanten ist, dann ergeben sich Arbitragemöglichkeiten für die Beteiligten. Der Mandant kann die ihm zugeführte Liquidität 39 In diesem Kapitel wird bei der Verwendung der Abkürzung LDL angenommen, dass es sich um einen FullService-Dienstleister handelt, der umfangreiche Finanzierungskompetenzen aufweist. Kontingenzmodell 107 für die Begleichung von Rechnungen verwenden und dadurch Skonti realisieren sowie seine Bilanz verkürzen (von Eisenhart-Rothe und Jütte 2003, S.162f). Häufig werden neben einem zentralen LDL noch spezialisierte Dienstleister bspw. für Transport oder IT unterbeauftragt. Die Auswahl, Vertragsverhandlung und Überwachung erfolgt dabei durch den Mandanten, gemeinsam oder durch den LDL. Systemdienstleister können anfallende Rechnungen von Subdienstleistern auf ihre Richtigkeit prüfen und begleichen. Darüber hinaus können sie den Mandanten administrativ entlasten, indem sie Aufgaben rund um das Contracting mit Subdienstleistern übernehmen. 3.2.4.2 Bestandsfinanzierung Nachdem Unternehmen in den letzten Jahren an der Abstimmung von Material- und Informationsflüssen entlang von Wertschöpfungsketten gearbeitet haben, wenden sie sich verstärkt der Integration von Finanzflüssen zu. Mandanten haben bisher das Mehrwertpotenzial durch logistikorientierte Finanzdienstleistungen kaum ausgeschöpft. Eine Ursache dafür ist, dass sich Logistik- und Finanzbereiche bisher zu wenig ausgetauscht haben. Mandanten kommen durch Basel II bzgl. ihrer Finanzen unter stärkeren Handlungsdruck. Grosse Logistikkonzerne, wie Deutsche Post World Net (DPWN) und United Parcel Service (UPS), haben auf die Trends und Marktpotenziale mit einer Verknüpfung von Logistik- und Finanzdienstleistungen reagiert. Je nachdem, ob die Bestände in der Bilanz des Mandanten aufgeführt werden, unterscheidet man zwei Typen der Bestandsfinanzierung: On-Balance und Off-Balance. Im Falle von On-Balance-Finanzierung bilanziert der Mandant den Kredit als Bankverbindlichkeit auf der Passivseite. Diese Form wird häufig gewählt, wenn ein Mandant den Zeitraum zwischen Bestellung und Bezahlung durch den Kunden mit einem kurzfristigen Kredit überbrücken möchte. Mit Hinblick auf Basel II geht der Trend dahin, dass sich die Zinskosten an der Bonität des Firmenkunden orientieren (von EisenhartRothe und Jütte 2003, S.157). Möchte ein Mandant seine Bilanzstruktur nachhaltig verändern, dann kommt für ihn die Off-Balance-Variante der Bestandsfinanzierung in Frage. Die Warenverwaltung erfolgt durch ein neugegründetes, spezialisiertes Unternehmen, an dem sich der Finanz- und Logistikdienstleister sowie der Mandant beteiligen. Wichtige Voraussetzung ist, dass die Neugründung seiner normalen Geschäftstätigkeit eigenständig nachkommen kann. Dies impliziert, dass weder eine Mehrheit an Eigenkapital oder an Stimm- 108 Kontingenzmodell rechten noch an betriebsnotwendigen Funktionen bei einer Partei liegt (von EisenhartRothe und Jütte 2003, S.159). Das Konzept der Off-Balance-Bestandsfinanzierung eignet sich dafür, mit dem Konzept Vendor Managed Inventory (VMI) kombiniert zu werden. Waller et al (1999, S.183ff) definieren VMI als eine Konstellation, bei der die Wiederbevorratungsentscheidung in einer Lieferanten-Kunden-Beziehung durch den Lieferant bzw. einen LDL (Disponentenrolle) erfolgt. Der Disponent überwacht die Bestände beim Kunden und entscheidet über Bestellzeitpunkte, Bestellmengen und Transportrouten. Er wird über genau definierte Servicegrade gesteuert. Durch eine verbesserte informationstechnische Integration und eine Anreizharmonisierung zwischen Kunden und LDL/Lieferanten wird der Bullwhip-Effekt wirksam eingedämmt. Durch regelmässigeren Nachschub kann der Zyklusbestand und durch höhere Transparenz der Sicherheitsbestand reduziert werden. Der LDL kann die Nachschubströme intelligent bündeln und durch einen höheren Anteil von Ganzladungen (Full Truck Loads, FTL) die Transportkosten senken. Auch auf der Service-Seite kann das VMI-Konzept erhebliche Wirkungen freisetzen. Der LDL bzw. Lieferant kann die Planungs- und Koordinationsmechanismen weiterentwickeln und so eine höhere Warenverfügbarkeit beim Kunden gewährleisten. Sie sind in der Lage, die Dringlichkeit von Bedarfen besser einzuschätzen und so über mehrere Kunden hinweg eine priorisierte Bestandsauffüllung vorzunehmen. Bestandsfinanzierung ist ein komplexes Konstrukt (vgl. Abbildung 26), das nur erfolgreich ist, wenn die Ziele der Beteiligten harmonisierbar sind. Von Eisenhart-Rothe und Jütte (S.158) nennen Zielsetzungen des Mandanten und des Konsortiums aus Finanzdienstleister (FDL) und Logistikdienstleister (LDL). Beide Parteien erwarten, dass die aus der Bestandsfinanzierung resultierenden Kosten- und Nutzeneffekte gemäss einem vorher vereinbarten Schlüssel verteilt werden. Der Mandant kann durch die Mehrwertleistung Kapital für andere Investitionsbereiche, wie bspw. Forschung, freisetzen und damit ggf. eine höhere Verzinsung erreichen. Dadurch, dass er eine externe Dienstleistung in Anspruch nimmt, kann er für seine Planungen mehr Sicherheit und Transparenz bei ausgewählten Kosten und Zahlungsströmen erzielen. Der Mandant erwartet vom Konsortium, dass die Bestandskosten mindestens konstant bleiben, wenn nicht sogar durch spezielles Dispositionswissen bzw. durch Anwendung des VMI-Konzepts gesenkt werden. Wie die Bezeichnung Off-Balance erahnen lässt, ist die entscheidende Zielsetzung für den Mandanten, seine Bilanz zu verkürzen. Dadurch kann er u.U. sein Kontingenzmodell 109 Rating verbessern und sich damit Kapital zu günstigeren Konditionen beschaffen. Die Autoren raten jedoch dazu, eine Realisierbarkeit des gewählten Konstruktes gemäss IAS bzw. US-GAAP40 fallweise durch Wirtschaftsprüfer untersuchen zu lassen. Service-Level-Agreement Lieferant „Mandant“ Kunden Beteiligung / Service Level Agreement / Abnahmegarantie Bestandsankauf Ergebnisteilung Joint Venture „Bestandsmanagement GmbH“ Unabhängige Geschäftsführung Übernahme und Bilanzierung von Beständen Bestandsdisposition Optimierung von Beständen (Segmentierung, VendorManaged-Inventory) Bestandsauffüllung Bestandsauffüllung VMI-Daten Beteiligung LDL / FDL „Konsortium“ Bestandsfinanzierung (Fremdkapital) Materialfluss Informationsfluss Finanzfluss Rechtefluss Abbildung 26: Konstruktion einer Off-Balance-Bestandsfinanzierung (Beispiel) Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an (von Eisenhart-Rothe und Jütte 2003) Hinter der Bestandsfinanzierung stehen für das Konsortium üblicherweise die Motive, das Geschäft mit dem Mandanten auszuweiten und ihn durch einzigartige Leistungen zu binden. Das Konsortium wird üblicherweise eine Konstruktion wählen, die eine Bilanzierung der Vermögensgegenstände bei sich vermeidet, damit nicht das eigene Rating verschlechtert wird. Dies wird durch das oben beschriebene Gemeinschaftsunternehmen gewährleistet. Bestandsfinanzierung kann je nach Kontext ein sehr komplexes Vorhaben sein, welches die Kompetenzbündelung von Wirtschaftsprüfern, Juristen und Unternehmensberatern erfordert. Die Beteiligten sollten Projektkosten in einer Wirtschaftlichkeitsrechnung berücksichtigen. Der LDL verfügt i.d.R. über eine Informationsbasis, die es dem Finanzdienstleister erlaubt, die Risikobelastung besonders präzise einzuschätzen und zu reduzieren. Durch die Zusammenarbeit der beiden Geschäftspartner bzw. internen Geschäftsbereiche – bspw. DHL und Postbank im 40 IAS: International Accounting Standards, US-GAAP: Generally Agreed Accounting Principles 110 Kontingenzmodell DPWN-Konzern – können Verbundeffekte erzeugt werden. Das Konsortium hat ein Interesse daran, die Kreditkonditionen mit dem tatsächlichen Risiko zu adjustieren (von Eisenhart-Rothe und Jütte 2003). Holdren und Hollingshead (1999, S.7) raten Kreditgebern, Bestände entsprechend ihrer Risiken zu segmentieren, um sie anschliessend mit geeigneten Zinssätzen zu versehen. Sie können Risiken mit Hilfe eines Multifaktorenindex klassifizieren. Lagerumschlag und Lebenszyklusphase können Bestandteile eines solchen Indexes sein. Der Lagerumschlag zeigt, wie effizient Bestandsinvestitionen getätigt werden (S.9). Langsamdrehende Waren sind mit einem tendenziell höheren Risiko behaftet. In den frühen sowie späten Phasen eines Produktlebenszyklus sind i.d.R. auch erhöhte Risiken von obsoleten Beständen zu erwarten. Der LDL verfügt in seinen Lagerverwaltungssystemen über umfangreiche und wertvolle Informationen zur Bestandssegmentierung. Er kann die Indikatoren mit anderen Mandanten – idealerweise der gleichen Branche – benchmarken und so die Situation beurteilen. Über die Bestandsstruktur kann das Konsortium aus den Einzelrisiken eine gewichtete Gesamtrisikoprämie berechnen. Positive Konsequenz von hohen Risikoprämien ist, dass die Dringlichkeit einer verbesserten Bestandsdisposition allen Beteiligten verdeutlicht wird (S.13). Bestandsfinanzierung ist eine massgeschneiderte Mehrwertleistung, die eine kooperative und vertrauensvolle Zusammenarbeit erfordert. Von Eisenhart und Rothe (S.159) weisen bspw. darauf hin, dass der Finanzdienstleister auf die üblichen Sicherheiten weitestgehend verzichten muss, um den Off-Balance-Effekt zu erzielen. Die Geschäftspartner müssen folglich die Risiken einer scheiternden Kooperation managen. Für den Mandanten ist der von Stenzel (S.145f) beschriebene Zielkonflikt zwischen niedrigen Finanzierungskosten und der erforderlichen Warenverfügbarkeit relevant. Es könnte schliesslich sein, dass das Management des Gemeinschaftsunternehmens trotz Service Level Agreement (SLA) in seinem Optimierungsbestreben die Bestände zu stark reduziert. Des Weiteren muss der Mandant abwägen, ob er bei einem so anspruchsvollen Vorhaben unter Totalkostenbetrachtung eine Verbesserung für umsetzbar hält. Aus der Sicht von LDL und Finanzdienstleister ergeben sich durch die Bestandübernahme untypische Finanzierungsrisiken wie bspw. überalterte Bestände. Stenzel (S.145) schlägt vor, Eventualitäten durch eine Abnahmegarantie des Mandanten zu begegnen. Kontingenzmodell 111 3.2.5 Bedeutung spezifischer Investitionen Investitionen sind dann spezifisch, wenn sie in einer alternativen Verwendung einen Grossteil ihres Wertes verlieren. Sie werden u.a. getätigt, um durch einzigartige Aktivitäten und Leistungen zu Wettbewerbsvorteilen zu gelangen. Die Ausführungen über Mehrwertleistungen in den Kapiteln 3.2.2 bis 3.2.4 verdeutlichen, dass mit der Komplexität der Leistung die Bedeutung von spezifischen Investitionen insgesamt zunimmt. Allerdings kann es zu einer strukturellen Verschiebung kommen. Je mehr sich LDL den Mehrwertleistungen des Informations-, Finanz- und Rechteflusses zuwenden, desto mehr gewinnen immaterielle spezifische Investitionen an Bedeutung. Mandantenspezifisch Segmentspezifisch / Branchenspezifisch Generisch Potenzial Wissen globales Key Account Team Branchenspezifisc he Sprache, Richtlinien für Datenkommunikat ion VMI-Konzept IT Bestände Produktionssteuer Fertigwaren ung für PostponementAktivitäten Anpassung eines Pooling von Sap-Systems für Ersatzteilen einen Lieferantenpark Transportplanung Rohstoffe Anlagen Stanzmaschine, Sortieranlage Standorte Lager im Bayerischen Wald, Lieferantenzentru m vor dem Werkstor Konservierungsm High-Tech Lager in Singapur aschine für Metallteile Gabelstapler Lager am Frankfurter Flughafen Prozess Prozesse Standard Operating Procedures Ergebnis Ergebnis Montiertes Produkt, Verfügbarkeitsmel dung (ATP) Sourcing von Textilien Bestandsreport, Servicegrad Wareneingang Event-Alert Tabelle 5: Typen und Beispiele spezifischer Investitionen Tabelle 5 bildet anhand der Dimensionen „Spezifitätsgrad“ und „Leistungsdimension“ eine Typologie spezifischer Investitionen mit Beispielen aus der Kontraktlogistik. Spezifisches Wissen kann man definieren als die Entwicklung eines kontextrelevanten Verständnisses, welches bei der effektiven Problemlösung hilft (Subramani 2004, S.50). Spezifisches Wissen kann zum einen marketingorientiert sein. Dies ist der Fall wenn ein LDL ein Key Account Team für einen globalen Kunden aufbaut. Mit diesem Beziehungsnetzwerk kann man Mandantenbedürfnisse früher erkennen und proaktiv mit den eigenen Fähigkeiten abgleichen41 (Belz et al. 2004, S.36). Zum anderen kann das Wissen produktionsorientiert sein. Standortleiter, Schichtführer und Mitarbeiter müssen das Logistiksystem des Mandanten verstehen, damit sie einen reibungsfreien Betrieb gewährleisten können. „Der Dienstleister wird nie unsere DV-Systeme kennen. Wir geben ihnen die Möglichkeit, bei uns trainiert zu werden. Es ist nicht so, dass wir dafür separat bezahlen. Wenn er Leute hat, die mit SAP fit sind und die brauchen nur eine kur41 „Der Key Account Manager wird zur „Spinne im Netz“ und koordiniert intern wie beim Kunden“ (Belz et al. 2004) 112 Kontingenzmodell ze Phase und der andere Anbieter braucht eine längere Trainingsphase, dann muss er das in seiner Gesamtkalkulation irgendwo berücksichtigen. Wenn einer von (uns) Prozesse erklärt, dann stellen wir das in der Anlaufphase nicht in Rechnung. Wenn du nach einem halben Jahr mit neuen Mitarbeitern dastehst und wir die Arbeit noch einmal machen müssen, dann kostet es Geld.“42 Generisches Logistikwissen und segmentspezifisches Wissen (bspw. über Kommunikationsstandards in der Automobilindustrie) sind häufig Mussanforderungen, um in die Endauswahl einer Ausschreibung zu kommen. Wenn ein LDL darüber hinaus über mandantenspezifisches Wissen verfügt, kann er sich dadurch differenzieren. Unter spezifischen Prozessen versteht man Routinen oder Standard Operating Procedures (SOP) für die effiziente Erledigung von ausgewählten Aufgaben (Subramani 2004, S.48). Diese Routinen bzw. SOPs werden häufig durch IT, die auf die Anforderungen des Mandanten bzw. LDL angepasst wurden, unterstützt und ggf. automatisiert. Der Mandant muss im Rahmen seiner Prozess- und IT-Strategie beantworten, ob er selber oder ob eine externe Partei langfristig seine Anforderungen besser abdecken kann. Die Lücken in den IT-Landschaften führender LDL werden nach Angaben der Gesprächspartner kleiner. Trotzdem muss dort die Umsetzbarkeit von Mandantenprozessen im Einzelfall geprüft werden. Ein Mandant berichtete beispielsweise, dass sich der Prozess im ERP des Mandanten abbilden liess. Der Mitarbeiter müsste aber viel mehr Schritte durchlaufen, was zu einer reduzierten Produktivität führen würde. Der Mandant muss abwägen, wie er am einfachsten globale Prozess- und IT-Standards umsetzen kann. Er entwickelt entweder eigene IT-Systeme, die vom LDL mitbenutzt werden, oder er greift auf Systeme des LDL zurück oder er realisiert eine Mischform aus beiden. Aus dieser Entscheidung leitet sich ab, welche Seite sich der anderen in Form spezifischer Investitionen anpassen muss. Bei spezifischen Anlagen handelt es sich um individuelle physische Ressourcen, die für die effiziente Erledigung von ausgewählten stationären Prozessen sowie Transportprozessen erforderlich sind. Ein LDL kann bspw. die Lagerung von High-TechGütern nur dann ordnungsgemäss ausführen, wenn er das Lager vorher sicherheitstechnisch aufrüstet und es mit Kameras, Zutrittskontrolle und Alarmanlage ausstattet. Die Investition in mandantenspezifische Bestände durch LDL wurde bereits unter dem Titel Bestandsfinanzierung ausführlich dargestellt. 42 Interview Mandant 08.03.2005 Kontingenzmodell 113 Wenn die Koordinaten einer Logistikimmobilie vom Mandanten vorgegeben werden und eine alternative Verwendung dadurch erschwert wird, kann man von einem mandantenspezifischen Standort sprechen. Dyer (1994, S.176f) hat für die Automobilindustrie herausgefunden, dass mit sinkender Distanz der Lieferanten vom Werk des OEM43 Vorteile in den Bereichen Bestandskosten, Time-to-Market und Qualität resultieren. Der Autor erklärt dieses Phänomen mit der Möglichkeit, dass Hersteller und Lieferanten regelmässig und bei Bedarf persönlich miteinander kommunizieren. Durch Standortvorgaben kann der Mandant neben der Versorgungssicherheit und den Bestandskosten vor allem die Personal- und Transportkosten beeinflussen. Er sollte jedoch abwägen, ob er einen bestimmten Standort vorgibt oder eine Region eingrenzt (bspw. das Ruhrgebiet), so dass die Ziele von LDL und Mandant besser harmonisiert werden können. Schenker hat ein Produktionsversorgungszentrum für VW Nutzfahrzeuge in Hannover gebaut und finanziert. Dieses befindet sich direkt neben dem Werk des Herstellers. Über eine Brücke können die Teile direkt ans Band geliefert werden. Schenker organisiert exklusiv die gesamte Zuführung von externen Teilen und fungiert als zentraler Ansprechpartner für die Materialversorgung. JiS-Teile werden vormontiert und sequenzgerecht bereitgestellt. Durch dieses Konzept, welches sich durch eine ungewöhnliche Kundennähe auszeichnet, kann eine hohe Versorgungssicherheit bei gleichzeitig geringen Bestands- und Prozesskosten erreicht werden (Vahrenkamp und Becker 2005, S.19). Logistikdienstleister können die Ergebnisse ihrer Leistungsprozesse unterschiedlich stark auf individuelle Bedürfnisse zuschneiden. Dies gilt für materielle wie immaterielle Ergebnisse. Ein im Rahmen von Postponement endmontiertes Produkt ist als mandantenspezifisch einzuordnen. Im Gegensatz dazu kann ein Bestandsreport so programmiert werden, dass er branchenspezifisch ist und ein Alert einer SCEMLösung kann so konzipiert werden, dass er branchenübergreifend einsetzbar ist. Aus Sicht des Mandanten gibt es einige Gründe für spezifische Investitionen. Wenn LDL logistische Mehrwertleistungen anhand mandantenspezifischer anstatt generischer Prozesse erbringen, dann steigt i.d.R. die Produktivität. Häufig macht es Sinn, vollständige Prozessmodule fremd zu vergeben. Dadurch müssen LDL u.U. spezifi- 43 OEM: Original Equipment Manufacturer 114 Kontingenzmodell sche Aufgaben und Anlagen übernehmen. Wenn LDL Eigentümer dieser Anlagen sind, dann sind sie gleichzeitig für ihre Wartung und Verfügbarkeit verantwortlich44. In gewissen Situationen können sich auch Nachteile für die Mandanten ergeben. Je spezifischer eine Lösung ist, desto weniger wahrscheinlich ist die Erzeugung von Skaleneffekten mit den Volumina anderer Mandanten. Ein Mandant betonte im Interview, seine Kernanforderung an LDL bestehe darin, dass sie die betrachtete Leistung schon für einen anderen Mandanten erbringen oder dies für die nahe Zukunft planen. Für die Skaleneffekte ist er sogar bereit, die Spezifikationen möglichst generisch und damit skalierbar zu halten 45. Ein anderer Mandant merkte an, dass er für Produktgruppen mit stark schwankenden Stückzahlen den Nachteil sieht, dass die Vergütung spezifischer Leistungen ständig nachverhandelt werden müsse und dass die Ressourcen am Ende der Kontraktlaufzeit dem LDL gehörten 46. Bretzke (2004, S.12f) argumentiert, dass mit der Spezifität von Lösungen die Transaktionskosten ansteigen. Er drückt die Sorgen einiger Marktteilnehmer aus, die befürchten, dass der Anbieterwettbewerb auf die Ausschreibungsphase beschränkt bleibt und danach die Gefahr einer „reduzierten Marktmacht“ besteht, weil LDL nicht mehr einfach ausgetauscht werden könnten. Er beobachtet dennoch eine ständige „Grenzverschiebung“ hin zu komplexeren Leistungen. Instrumente wie Open-Book-Kalkulation, Rückabwicklungsmatrix, Joint Venture und SCEM können nämlich dabei helfen, Transparenz und Einflussmöglichkeiten für den Mandanten zu schaffen. Auch LDL müssen – bevor sie spezifisch investieren – die Vor- und Nachteile aus ihrer Sicht abwägen. Durch spezifische Investitionen kann der LDL ggf. eine höhere Kundenbindung erreichen. Ein Dienstleister beschreibt, dass er den Aufbau von mandantenspezifischem Wissen als „Fels in der Brandung“ wahrnimmt, weil es den Mandanten davon abhält, den LDL vorschnell auszutauschen47. Die Übernahme neuer spezifischer Aufgaben ist für LDL regelmässig eine positive Herausforderung. Durch diese Vorhaben – eine erfolgreiche Durchführung vorausgesetzt – kann er nicht nur Geschäftsausweitung betreiben, sondern auch neue Kompetenzen aufbauen. Dies ist eine Voraussetzung dafür, sich in der Dienstleisterpyramide zum Systemdienstleister eines Mandanten zu entwickeln. Komplexe Lösungen erfordern die Regelung von Leistung 44 Interview Mandant 08.03.2005 Interview Mandant 11.04.2005 46 Interview Mandant 24.02.2005 47 Interview LDL 12.08.2004 45 Kontingenzmodell 115 und Gegenleistung in umfangreichen Verträgen. Trotzdem kann nicht jede Eventualität durch Verträge vorweggenommen werden. Ausserdem können vertragliche Ansprüche wie bspw. Preisanpassungen nicht in jeder Situation durchgesetzt werden. Insgesamt besteht für die Bereitstellung spezifischer Ressourcen durch den LDL im Falle rückläufiger Volumina die Gefahr einer Kostenunterdeckung48. Organisation Kontraktorg. Key Account Org. Kommunikation Schnittstellen Wissen Mandant Branche Logistik Technologie Geschäftsebene Prozess Beschaffungslogistik Produktionslogistik Distributionslogistik After-Sales-Logistik Fluss Materialfluss Informationsfluss Finanzfluss Rechtefluss Leistung/Lösung Übergreifend Branchen-/ Segmentspezifisch Mandantenspezifisch Umfang Aufgabe Design Planung Fulfillment Monitoring Prozessebene Informationstechnik Applikationen Schnittstellen Daten Systemebene Mandant Logistik-Dienstleister Governance Vertraglich Finanziell Informell Preisgestaltung Logistik- / Fördertechnik Standort / Geographie Abbildung 27: Integrationsmodell für die Kontraktlogistik Anhand quantitativer Untersuchungen hat Bensaou (1999, S.36ff) festgestellt, dass spezifische Investitionen stark mit der Integrationsintensität in einer Geschäftsbeziehung korrelieren und sich somit gut als Indikator dafür eignen. Der Autor rät dazu, Integration bzw. Spezifität situativ entsprechend dem vorliegenden Geschäftskontext, der von Leistungsmerkmalen, Anbieterfähigkeiten sowie der Anzahl der Marktteilnehmer abhängt, zu gestalten. Die gestalterische Umsetzung der Integration erfolgt auf den drei Ebenen Geschäftsebene, Prozessebene und Systemebene (vgl. Abbildung 27). Ausgangspunkt der Gestaltungsüberlegungen sind Art und Umfang der vom LDL zu erbringenden Leistungen. Davon hängt es ab, wie die Arbeitsteilung zwischen Mandant und LDL organisiert wird, wie die Zusammenarbeit der Parteien geregelt wird und welches (spezifische) Wissen erforderlich ist. Auf der Prozessebene wird entschieden, wie tief sich der LDL in die Abläufe des Mandanten integriert: übernimmt er nur den Materialfluss in der Distribution oder umfassen seine Aufgaben auch die Planung und das Monitoring? Von der Integrationstiefe hängt es ab, inwiefern spezifische 48 Interview LDL 23.08.2004 116 Kontingenzmodell Prozesse Anwendung finden müssen. Auf der Systemebene werden die (spezifischen) materiellen Ressourcen für die Leistungserbringung durch den LDL festgelegt. 3.2.6 Preisgestaltung Mandanten werden erfahrener und anspruchsvoller in der Beschaffung von Logistikdienstleistungen. Sie suchen dabei verstärkt nach innovativen Geschäfts- und Preismodellen für die Zusammenarbeit mit LDL (Langley et al. 2002, S.31). Als Orientierungsgrösse für das Outsourcing ermittelt der Mandant Zielkosten, die sich aus den optimierten Istkosten der Prozesse abzüglich von Migrationskosten und Kosten für das Management von Dienstleistern ergeben (Nettesheim et al. 2003, S.26). Anhand des verhandelten Preismodells werden die durch die Fremdvergabe entstehenden Mehrwerte und ausgewählte Risiken zwischen Mandant und LDL verteilt. Durch das Preismodell werden darüber hinaus Leistungsanreize für beide Parteien gesetzt. Diese Anreize bewirken im Idealfall eine Interessenharmonisierung zwischen Anbieter und Nachfrager. Im Rahmen der Interviews haben sich mehrere Preismodelle herauskristallisiert, die für die Kontraktlogistik eine hohe Bedeutung haben. Diese werden nachfolgend diskutiert. Bei umfassenden Logistiklösungen werden häufig unterschiedliche Modelle kombiniert. Transaktionsorientierung Wenn sich die Vergütung des LDL allein am Prozessdurchsatz - bspw. Auftragspositionen, Palettenübernachtungen, Picks oder Sendungen - orientiert, dann spricht man von einem transaktionsorientierten Preisschema. Für den Mandanten besteht der Nutzen des Schemas darin, dass er nur für durchgesetzte Mengen zahlen muss. Der LDL hingegen kann im Falle von Effizienzverbesserungen seine Marge erhöhen. Allerdings versuchen Mandanten häufig, Lernkurveneffekte durch Vorgaben bzgl. eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP) zu antizipieren und daran teilzuhaben. Umgekehrt muss der LDL, falls eine Preiserhöhung notwendig wird, nur die zugrundeliegenden Kostentreiber offen legen. In manchen Branchen geht der Trend dahin, dass Mandanten keine Mindestmengen garantieren wollen. Das heisst, dass ein LDL das Absatzrisiko mitträgt, obwohl er dies weniger stark beeinflussen kann als sein Mandant. Preise werden auf eine Plan-Absatzmenge berechnet. Wenn diese deutlich unterschritten wird, dann entsteht beim LDL eine Fixkostenunterdeckung49. 49 Interview LDL 30.08.2004 Kontingenzmodell 117 „Wir sind auf dem Weg zu einem Modell der 100%-Variabilisierung. Das ist auch der Trigger für eine relativ standardisierte Lösung, denn nur dann macht ein variables Modell Sinn. Sonst haben sie nur variabilisierte Fixkosten.“50 Fixanteil Wenn ein bestimmter Anteil der monatlichen Gesamtvergütung als Basisvergütung unabhängig von der Anzahl der Transaktionen bezahlt wird, dann spricht man von einem Fixanteil. Dieser resultiert aus den Kosten dedizierter Ressourcen wie bspw. Mieten, Abschreibungen und Gehälter für Standortleiter. Ein ähnlicher Effekt wird bei transaktionsorientierter Entlohnung mit Bandbreiten erzielt. Sobald in diesem Fall die Volumina die Bandbreite verlassen, verhandeln die Geschäftspartner nach. Cost Plus Cost Plus51 ist ein Preismodell, bei dem der LDL alle Kosten einer Abrechnungsperiode, die sich auf die vereinbarten Leistungen beziehen, unter Einbezug von Gemeinkostenzuschlägen für Zentralbereiche und Gewinnzuschlägen aufsummiert und dem Mandanten gegenüber offen legt. Dieses Modell eignet sich besonders für die Projektphasen Konzept und Implementierung mit ihren „inhärenten Unsicherheiten“ (Berends 2000, S.166). In Logistikprojekten stellen bspw. neuartige Software- und Identifikationstechnologien Unsicherheitstreiber bzgl. der Projektdauer und -kosten dar. Bei Cost Plus müssen zwei grundlegende Varianten – Fixed Fee bzw. Incentive Fee unterschieden werden. Im Falle von Cost Plus Fixed Fee (CPFF) kompensiert der Mandant den Dienstleister für die ausgeführten Beschaffungsaufträge und eingesetzten Subdienstleister und zahlt eine feste Rate für die erstellten Dienstleistungen. Aufgrund der festen Rate gibt es kaum Leistungsanreize für den Dienstleister. Dies impliziert eine zeitaufwendige Involvierung des Mandanten. Ein LDL hat mit diesem Schema die Erfahrung gemacht, dass es aufgrund des tiefen Einblicks, den der Mandant in die Kostenstrukturen des LDL hat, ständige Diskussionen gibt, wo es bspw. die günstigsten Finanzierungskonditionen gibt und wie viel die Zentrale des LDL kosten darf. In einer solchen Konstellation weiss der Mandant genau, wie viel der LDL verdient. Dies kann 50 51 Interview Mandant 11.04.2005 Synonym: Open Book 118 Kontingenzmodell dann zu Spannungen führen, vor allem wenn der Mandant mit der Fremdvergabe nicht seine Einsparungsziele erreicht, obwohl er das Kostenrisiko trägt52. Cost Plus Incentive Fee (CPIF) Vereinbarungen zeichnen sich dadurch aus, dass für den Dienstleister Leistungsanreize geschaffen werden. Es wird angenommen, dass der Dienstleister die Partei ist, die das Kostenrisiko am besten managen kann. Gemäss CPIF trägt er ein Risiko bzgl. der Höhe seines Gewinns, aber es gibt kein Risiko eines Verlusts für ihn. Das Projektkostenrisiko wird weiterhin auf den Mandanten allokiert, weil angenommen wird, dass er die Kostenkonsequenzen am besten tragen kann (Berends 2000, S.165). Am anderen Ende des Spektrums hinsichtlich der Allokation von Projektkostenrisiken gibt es das Modell Lump Sum / Fixed Price (LSFP). In diesem Fall wird ein Festpreis für die auszuführenden Aktivitäten vereinbart und der Dienstleister trägt das Risiko von Budgetüberschreitungen. Berends betont, dass dieses Modell besonders in komplexen Projekten den Nachteil einer hohen Risikoprämie birgt (S.166). Bonus-Malus Bei einem Bonus-Malus-Schema (BMS) findet eine leistungsorientierte Entlohnung des LDL statt. Positive Abweichungen von vorher definierten Leistungsniveaus werden mit einem Bonus honoriert und negative mit einem Malus sanktioniert. BMS haben vor allem im Versicherungsumfeld früh Anwendung gefunden. Anbieter von KFZ-Versicherungen möchten ihre Kunden durch den Einsatz von BMS zu unfallfreiem Fahrverhalten erziehen. Autofahrer werden in Schadensklassen geführt, die sich aus dem Status der Vorperiode und der Anzahl von Unfällen in der Betrachtungsperiode bestimmen (Lemaire 1988, S.660f). Schadensklassen kann man sich als Leistungsklassen bzw. Ratings von LDL vorstellen. Boni und Mali sorgen dafür, dass LDL trotz ständiger Kostensenkungen die Servicegrade nicht aus den Augen verlieren. Die Stärke von BMS liegt darin, dass man mit ihnen Anreize hinsichtlich einer Vielfalt von Leistungsdimensionen schaffen kann. Voraussetzung ist, dass man den Erfüllungsgrad durch objektive Indikatoren messen kann. Ein Beispiel von Oymann et al (2005, S.89ff) zeigt, dass BMS nicht nur auf Servicegrade, sondern auch auf Logistikkosten angewendet werden können. In der Just-in-Time-Versorgung eines Montagestandortes in Übersee gibt es zwei Risi52 Interview LDL 10.08.2004 Kontingenzmodell 119 koquellen: schwankende Lieferzeiten über den Seeweg und die Genauigkeit der JiT-Abrufe. Weil die Abrufentscheidung die Kostenblöcke, Kapitalbindung und Sonderfrachten festlegt, muss genau überlegt werden, welche Partei diese Entscheidung treffen soll. Für den Mandanten – Option A - spricht, dass er die Bedarfsprofile genau kennt. Nachteilig ist jedoch, dass sich die Inbound-Lieferkette für ihn als „Black Box“ darstellt. Die Kosten suboptimaler Dispositionsentscheidungen würde er selber tragen. Bei Option B ruft der LDL ab, weil er die Schifffahrpläne genau kennt und damit die Abrufe optimal lieferzeitverkürzend einsteuern kann. Dieses Konzept, in dem der LDL die Verantwortung für Bestände und Fehlmengen trägt, nennen die Autoren „Carrier Managed Inventory“ (CMI). Die Geschäftspartner einigen sich auf einen „Referenzwert“ (S.97), der den Sollwert des Gesamtbestandes in Pipeline und Empfangslager repräsentiert. Je nachdem, ob es zu einer Über- oder Unterschreitung kommt, erstattet der LDL oder der Mandant der jeweils anderen Partei die Kapitalbindungskosten. Die Autoren sind der Meinung, dass, wenn der Referenzwert zwischen den Erwartungswerten von Option A und B festgesetzt wird, gleichmässig geteilt wird. Risk-Sharing-Gain-Sharing Risk-Sharing-Gain-Sharing (RSGS) ist ein kollaboratives Preismodell, bei dem der Logistikdienstleister seinem Mandanten konkrete Kostensenkungen verspricht und im Gegenzug durch zusätzliche Umfänge sein Geschäftsvolumen ausweiten kann. Im Vergleich zum Bonus-Malus-Schema beinhalten RSGS einen stärkeren Kostenfokus. Es geht weniger darum in existierenden Strukturen verbesserte Servicegrade zu erreichen, sondern vielmehr darum, diese Strukturen zu hinterfragen und dadurch einen Mehrwert zu schaffen. Daher setzen LDL ein solches Schema vor allem in Verbindung mit einem konsultativen Vertriebsansatz ein. Der LDL verspricht, eine vereinbarte Kostensenkung in einem bestimmten Zeitraum herbeizuführen. Für ihn wird dadurch ein Anreiz geschaffen, dass er an den Einsparungen gemäss eines vereinbarten Prozentsatzes partizipiert. Das Risiko, dass er sein Versprechen nicht einhalten kann oder sein ursprüngliches Geschäft kannibalisiert, ist er bereit zu tragen, weil der Mandant ihm dafür zusätzliche Volumina in Aussicht stellt. Dieses Vorgehen ist auch deshalb notwendig, weil in den bisherigen Umfängen mit der Zeit die Optimierungspotenziale abnehmen. Thomson und Anderson (2000, S.40ff) schlagen aus ihren Erfahrungen mit RSGS in der Gesundheitsbranche ein Vorgehen in sechs Schritten vor. In Schritt 1 geht es dar- 120 Kontingenzmodell um, die Kosten- und Leistungsrechnung des Kunden zu untersuchen und ggf. anzupassen. Sie warnen davor, dass mit der Granularität der Kostenmessung die Wahrscheinlichkeit von Streitigkeiten steigt. Detaillierte Kostenerfassung mit Activity Based Costing (ABC) hilft dabei, Kostenineffizienzen aufzudecken und Einsparungen präzise vorzugeben. In Schritt 2 legen die Partner die Reichweite der Vereinbarung fest. Sie sollte auch Leistungen umfassen, bei denen der LDL die Kosten signifikant beeinflussen kann. Dennoch wird sich in der täglichen Durchführung manchmal die Frage ergeben, welche Seite die Kosten gesenkt hat (S.43). Die Partner tragen eine umfangreiche Datenbasis zusammen, um sich auf ein Ausgangsniveau der Kosten – die sogenannte „Baseline“ - zu einigen, die sich auf ein bestimmtes Mengengerüst bezieht. Weil der LDL die Daten mit anderen Mandanten benchmarken kann und dadurch Potenziale identifizieren kann, macht es Sinn, wenn er sich bei dieser Aufgabe mit einbringt. Die Autoren weisen darauf hin, dass sich der Mandant hierfür öffnen muss und eine Kultur des Vertrauens erforderlich ist (S.44). Kosten/Preise Angepasste Kosten t Kostensatz t (Baseline) Tatsächliche Kosteneinsparung Ist-Kosten t+1 Nominaler Kostensatz t+1 Inflationäre Effekte Realer Kostensatz t+1 Mengengerüst t t+1 Abbildung 28: Ermittlung der Kosteneinsparung bei Risk-Sharing-Gain-Sharing In Schritt 4 vereinbaren LDL und Mandant, wer die Messungen verantwortet. Je nach Indikator wird dies gemeinsam oder durch eine Partei ausgeführt. Strittige, schwer quantifizierbare Einsparungen sollten von Beginn an ausgeklammert werden. Der LDL ist daran interessiert, die in Abbildung 28 dargestellten Inflationseffekte – bspw. in den Kontingenzmodell 121 Bereichen Löhne, Benzin, Strassenbenutzungsgebühren, Mieten, Zinsen - zu ermitteln, weil sie Kosteneinsparungen verdecken können. Die Geschäftspartner dokumentieren in Schritt 5, welche Einsparungen und Risiken sie teilen möchten. Sie legen fest, zu welchem Prozentsatz der LDL an den Verbesserungen partizipiert. Dieser Prozentsatz kann im Laufe der Zeit mit dem Referenzniveau für Verbesserungen zugunsten des LDL steigen. Gleichzeitig müssen die Parteien sich einigen, in welcher Geschwindigkeit sie neues Volumen auf den LDL übertragen. Thomson und Anderson berichten von einem Medizintechniklieferanten, der einem Krankenhaus 500’000$ für nicht erzielte Verbesserungen zahlen musste. Dies stellte sich im Nachhinein als weniger dramatisch dar, weil man in nachfolgenden Perioden gemeinsam die Vorgaben der RSGS-Vereinbarung umsetzen konnte. Abschliessend setzen LDL und Mandant das Abkommen in Schritt 6 in Kraft. Vorher grenzen sie die Laufzeit des Abkommens genau ein. Jetzt kann der LDL beginnen, Verbesserungshebel wie bspw. Standardisierung, Skalierung, Benchmarking und Wissenstransfer in Bewegung zu setzen. 122 Kontingenzmodell 3.3 Performance-Dimension 3.3.1 Potenziale für Mandanten Zahlreiche Autoren haben in den letzten Jahren darauf hingewiesen, welchen Beitrag interne logistische Abteilungen zum Unternehmenswert haben (Lambert und Burduroglo 2000, Rutner und Langley 2000). Im gleichen Zeitraum erschienen auch zahlreiche Studien, welche die Potenziale eines gezielten Einsatzes von LDL vor allem für Basisleistungen untersucht haben (Boyson et al. 1999, van Laarhoven et al. 2000, Lieb und Hickey 2002, Knemeyer et al. 2003, Langley et al. 2003). Im Folgenden sollen darauf aufbauend die Potenziale von Mehrwertleistungen strukturiert werden. Aus zahlreichen Interviews und aus der Literatur wurden Muster für die Fremdvergabe komplexer Mehrwertleistungen erarbeitet. Anhand von ausgewählten Beispielen wird aufgezeigt, welche Hebel durch bestimmte Mehrwertleistungen genutzt werden und in welchen Leistungs- sowie Kostenbereichen dadurch Verbesserungen resultieren. Abbildung 29 stellt ein vierstufiges Wirkmodell dar, wobei zwischen den einzelnen Stufen jeweils eine M:N-Beziehung existiert. Mit einer Mehrwertleistung können also mehrere Hebel genutzt werden, die wiederum mehrere Verbesserungsbereiche betreffen können. Am Ende der Ursachen-Wirkungs-Kette stehen dann die Implikationen der Fremdvergabe für den Unternehmenswert des Mandanten. Mehrwertleistung Potenzial / Hebel Verbesserungsbereich Materialfluss Beschaffungslogistik Produktionslogistik Distributionslogistik After-Sales-Logistik Informationsfluss Design Planung Fulfillment Monitoring Finanzfluss Rechtefluss Kernkompetenzfokus Strategische Flexibilität Katalysator für Wandel Kostenvariabilisierung, Auslastungsoptimierung Skaleneffekte, Fixkostendegression Verbundeffekte, Wissensvorteile Prozessverbesserung Transparenz Lohnkostenarbitrage Dienstleistermentalität, Spezialisierung Risikotransfer Bilanzoptimierung Leistung Lieferzeit Lieferflexibilität Lieferqualität Liefertreue Lieferservice Kosten Transportkosten Bestandskosten Lagerhaltungskosten Informationssystemko sten Losgrössenkosten Prozesskosten Verwaltungskosten Shareholder-Value-Wirkung Umsatz Kosten Umlaufvermögen Anlagevermögen Kapitalkosten Abbildung 29: Potenzialnetzwerk (Mandantenperspektive) Kontingenzmodell 123 Kernkompetenzfokus. Obwohl die Logistik für den Markterfolg vieler Unternehmen eine wichtige Rolle spielt, haben einige Unternehmen festgestellt, dass ihre Kernkompetenzen53 in Bereichen wie Forschung und Entwicklung (FuE) sowie Marketing liegen. Investitionen in diese Unternehmensbereiche führen unter diesen Umständen zu höheren Kapitalrenditen als Investitionen in den eigenen Logistikbereich. Aus diesem Grund dürfen die am Markt erzielbaren Preise von Logistikleistungen auch bis zu einem bestimmten Grad über den Kosten der Eigenerstellung liegen (Bretzke 1998, S.397). Diese Tatsache ermöglicht, dass sogar spezifische Leistungsumfänge fremd vergeben werden können. Wenn man sich bspw. die Entwicklung der vergangenen Jahre in der Elektronikindustrie anschaut, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass sich Kernkompetenzen im Zeitablauf zwischen Anbietern und Nachfragern verschieben. Früher war die Fremdvergabe von Produktionsaufgaben ein Tabu für die meisten Unternehmen dieser Branche. Heute ist sie vielfach anzutreffen und begünstigt die Entstehung einer ganzen Branche - den Vertragsfertigern. Ein Automobilhersteller hat für ein neues Werk kein eigenes Personal im Bereich der Materialflusslogistik aufgebaut. Stattdessen wurden sämtliche Aufgaben der physischen Logistik an externe Dienstleister vergeben. Dazu gehörte auch die anspruchsvolle Aufgabe der Bandversorgung, die traditionell in der Automobilindustrie von Mitarbeitern des OEM durchgeführt wurde. Mit dieser konsequenten Abgrenzung von Kernkompetenzen erhofft das Unternehmen, seine Kapitalrendite zu verbessern. Strategische Flexibilität. Bei der operativen Flexibilität in der Logistik geht es vor allem darum, kurzfristige Anpassungen bei Aufträgen zu ermöglichen. Im Gegensatz dazu lässt sich das Ziel einer strategischen Flexibilität in der Logistik beschreiben als die Fähigkeit, logistische Strukturen in einem möglichst kurzen Zeitraum an veränderte Marktanforderungen anzupassen (Sjurts 2004, S.1109). Bei einem stark expandierenden Unternehmen wird u.U. eine Erweiterung des Distributionsnetzwerkes erforderlich. Bei einem Unternehmen, welches die Produktion nach Osteuropa oder Asien verlagert, verschiebt sich das Netzwerk der Inbound-Logistik entsprechend. Strategische Flexibilität kann sich auch auf Technologien beziehen. Dies ist für Mandanten interessant, bei denen sich Technologien bspw. durch wechselnde Kundenanforderungen ändern. Wenn der Kunde eines Mandanten fordert, dass die Identifikation von Barcode auf RFID umgestellt wird, dann kann ein LDL diesen Wandel evtl. besser als der Mandant bewältigen, weil er das alte Equipment bei anderen Mandanten weiter53 Eine Ausführliche Diskussion des Themas findet sich bei (Prahalad und Hamel 1990) 124 Kontingenzmodell nutzen kann. Strategische Flexibilität wirkt sich durch die Vermeidung von Investitionen und ausserplanmässigen Abschreibungen positiv auf die Kosten und das Anlagevermögen des Mandanten aus. Katalysator für Wandel. Wenn Mandanten Mehrwertleistungen an LDL vergeben, dann beabsichtigen sie damit nicht selten, eingefahrene Strukturen im operativen und administrativen Bereich aufzubrechen und eine verstärkte Kundenorientierung der Logistik durchzusetzen. Im Idealfall hinterfragt der LDL systematisch existierende Abläufe mit dem Ziel, nichtwertschöpfende Aktivitäten und Anlagevermögen zu beseitigen (Hammer 1990, S.104). Neben Kosten- können auch Leistungsverbesserungen resultieren. Mit schlankeren Prozessen kann man häufig eine höhere Lieferfähigkeit und -treue erzielen. Die stärkere Involvierung eines LDL bedeutet, dass die interne Logistik neu ausgerichtet wird. Ihre neue Rolle beinhaltet vor allem die Aufgabe, externe Partner zu lenken. Viele der Veränderungen durch einen LDL könnte der Mandant auch selbstständig erreichen. Dafür müssten jedoch Einstellungen und Fähigkeiten verändert werden. Ein solcher rein interner Wandelprozess kann langwieriger sein (Alexander und Young 1996, S.729). Auslastungsoptimierung und Kostenvariabilisierung. Die Bereitstellung eigener Kapazitäten, egal ob für physische oder für administrative Prozesse, ist nur wirtschaftlich sinnvoll, wenn ein Unternehmen sie ständig angemessen auslasten kann. Um die Auslastung von Anlagevermögen zu optimieren, können Mandanten entweder das gesamte Volumen vergeben, oder sie separieren es in Basisvolumen und Spitzenvolumen und beschränken sich bei der Fremdvergabe auf Letzteres (Bretzke 1998, S.395f). Durch die Einschaltung von LDL können Mandanten sowohl kurzfristige, saisonale als auch langfristige, strukturelle Bedarfsveränderungen abfangen. Saisonale Schwankungen treten bei Konsumentenelektronik vor Weihnachten und bei Freizeitartikeln im Sommer auf. Ein LDL kann Mandanten mit komplementären Volumenprofilen in einer Mehrbenutzerumgebung zusammenfassen. Dadurch kann er die Gesamtauslastung der technischen und personellen Ressourcen in den Bereichen Lager und Auftragszentrum glätten. Je nachdem, in welchem Lebenszyklus sich Geschäfte befinden, muss die Logistik steigende oder sinkende Volumina abwickeln. Wenn das Geschäftsvolumen zurückgeht, dann ist der Mandant mit einem unveränderbaren Fixkostenblock für die Bereitstellung der logistischen Infrastruktur konfrontiert. Da die meisten Mandanten sich nicht selber in die Logistikdienstleistung diversifizieren wollen, beauftragen sie einen LDL mit der Suche nach komplementären Mandanten. Durch die Realisierung Kontingenzmodell 125 einer Mehrbenutzerumgebung kann die Basisvergütung (fast) vollständig beseitigt werden. Die Bezahlung richtet sich dann nach der tatsächlichen Prozessmenge - ausgedrückt in Auftragspositionen, Palettenübernachtungen, verpackten oder montierten Einheiten. Ein High-Tech-Mandant hat seine Distributionszentren in Flughafennähe. Häufig betreibt der LDL Läger für diverse Mandanten mit ähnlichen Anforderungen in einer Art Campus. Diese Konstellation bietet dem Mandanten in einem volatilen Umfeld eine skalierbare Lösung, bei der er innerhalb von kurzer Zeit in der Fläche wachsen kann. Skaleneffekte und Fixkostendegression. LDL können Kosten für ihre Mandanten nicht nur variabilisieren, sondern auch senken. Ein wesentlicher Hebel dabei sind Skaleneffekte. LDL fassen mehrere Geschäfte zusammen, um so die Skalenposition zu vergrössern. Weil die Fixkosten eines Prozesses nun auf eine breitere Basis verteilt werden, sinken die Stückkosten. Die gemeinschaftliche Verzollung von Waren für mehrere Mandanten (Oymann et al. 2005) sowie der gebündelte Einkauf von Verpakkungsmaterial über mehrere CKD-Kontrakte stellen Beispiele für diesen Zusammenhang dar. Bretzke weist jedoch darauf hin, dass das Heben dieser „Schätze“ mühsam ist und dass Unternehmen sich diesbezüglich schon häufig verkalkuliert haben (Bretzke 1998, S.393). Eine Umsetzungsvoraussetzung ist, dass man die Anforderungen des Mandanten mit relativ standardisierten Leistungen befriedigen kann. Der LDL muss also immer die Frage stellen, inwieweit Besonderheiten des Produkt-Markt-Kontextes wirklich unterschiedliche Prozesse für seine Mandanten erfordern. Im Interview wurde von einem LDL berichtet, der an einem Standort für drei Mandanten drei verschiedene Lagerverwaltungssysteme operiert. Nicht ausgeschöpfte Skalenpotenziale lassen sich häufig auf Mandanten zurückführen, die sich nicht von gewohnten Abläufen trennen können. Aus diesem Grund ist die tatsächliche Skalenposition von Dienstleistern häufig nicht besser als die der Mandanten (Alexander und Young 1996, S.728). Eine weitere Barriere stellt die Tatsache dar, dass Mandanten sich schwer tun, eigene Volumina komplett auf einen LDL zu konzentrieren, weil ihnen sehr an einem ständigen Anbieterwettbewerb gelegen ist. Mit einer geschickten Anreizgestaltung (z.B. Gain Sharing) lassen sich diese Leistungsanreize jedoch nachbilden. Voraussetzung für Skaleneffekte ist also, dass beide Seiten gemeinsam darauf hinwirken. 126 Kontingenzmodell Verbundeffekte und Wissensvorteile. Bereits in Kapitel 2.1.3 wurde die hohe Bedeutung von Verbundeffekten für die Schaffung von Mehrwert in der Logistik angesprochen. Verbundeffekte sind Synergien, die durch die Zusammenführung von verschiedenen Leistungen in ein Unternehmen entstehen. Sie entstehen nur dann, wenn Produktionsfaktoren „gemeinsam, jedoch nicht konkurrierend“ genutzt werden können (Bohr 1996, S.381). Spezifisches Wissen, welches sich auf Mandanten, Branchen, Länder, Prozesse, Produkte oder Technologien beziehen kann, weist diese Charakteristika auf. Bei kurzfristiger Unterauslastung können die Wissensressourcen nicht am Markt angeboten werden und werden daher intern für ähnliche Leistungen eingesetzt. Daher können LDL bei der Erzeugung wissensintensiver Mehrwertleistungen Verbundeffekte erzielen. Administrativ z.B. Bestandsdisposition z.B. Auftragsmanagement z.B. Transport z.B. Lagerhaltung z.B. Verpackung Transport Bestand Kundenservice Vertikale Verbundeffekte z.B. Auswahl von Transporteuren Physisch Horizontale Verbundeffekte Abbildung 30: Verbundeffekte bei logistischen Dienstleistungen Quelle: Eigene Darstellung basierend auf (Rabinovich et al. 1999) Rabinovich et al (1999, S.363ff) haben Verbundeffekte im Bereich von Logistikdienstleistungen empirisch überprüft. Sie gliedern logistische Dienstleistungen anhand von zwei Dimensionen in sechs Bereiche (vgl. Abbildung 30). Die erste Dimension umfasst Transport, Bestand bzw. Kundenservice und die zweite Dimension umfasst die physischen bzw. administrativen Leistungen. Die Autoren stellen Muster bezüglich der gemeinsamen Vergabe von Leistungen fest, aus der sich die Beteiligten offensichtlich Vorteile versprechen. Mandanten integrieren offensichtlich in horizontaler Richtung – bspw. Auftragsmanagement und Bestandsdisposition - und in vertikaler Richtung – bspw. Auftragsmanagement und Verpackung. Eine negative Korrelation stellten die Kontingenzmodell 127 Autoren bei der Transportabwicklung und der Auswahl von Transporteuren fest. Einen Erklärungsansatz bieten die häufig genannten Interessenskonflikte. Die Interviews deuten auf ein wachsendes Bewusstsein von Verbundeffekten bei Mandanten und LDL hin. Mehrere Mandanten betonten das Gestaltungsprinzip von durchgehenden Prozessen, welches für die Vergabe selbst anspruchsvoller Aufgaben spricht. Ein Unternehmen bspw. evaluiert, einem LDL, der Postponement-Aufgaben durchführt, auch die operative Beschaffung und Produktionsplanung zu übergeben. Prozessverbesserung. Immer häufiger schalten Mandanten kompetente Logistikdienstleister ein, um ausgewählte Prozesse zu verbessern. Üblicherweise liegen Ansatzpunkte darin, Prozesse zu integrieren, sie weltweit zu standardisieren und sie ggf. zu automatisieren. Durch die Integration von bestands- und bedarfsführenden Systemen kann ein LDL bspw. eine Verfügbarkeitsprüfung (Available-to-Promise, ATP) realisieren. Indem er Vorgaben für Warnmeldungen und Reports für Subdienstleister entwickelt, treibt er die Standardisierung voran. Durch den Einsatz spezieller IT-Tools, die sich für Mandanten häufig finanziell nicht rentieren, automatisiert der LDL vormals manuelle Abläufe. Im Fall des Merge-in-Transit-Konzepts nutzt der LDL Informationen, um Materialflüsse auf dem Weg zum Kunden zusammenzuführen. Dahinter verbirgt sich die Zielsetzung, eine bestandsarme Distribution mit Komplettlieferungen zu verwirklichen. Das erhöht die Kundenzufriedenheit und kann sich in erhöhtem Umsatz niederschlagen. Bei Direktlieferungskonzepten setzt der LDL durch die Synchronisierung von Transporten und Informationen eine höhere Flussorientierung und damit ein reduziertes Umlaufvermögen durch. Die meisten Verbesserungsmassnahmen könnte der Mandant auch selber einleiten. Dennoch hat der LDL vielfach eine bessere Ausgangslage, weil er näher am Geschehen ist und als Spezialist einfacher Verbund- und Skaleneffekte in der Logistik erzeugen kann. Transparenz. LDL können Daten aus unterschiedlichen Quellen entlang der Lieferkette konsolidieren. Sie agieren damit als Informationsdrehscheibe und ermöglichen ihren Mandanten, über bisher existierende Grenzen zu schauen. Tracking-Daten informieren den Mandant darüber, wo sich Ware aus Übersee gerade befindet. Eine umfangreiche Datenbasis aus historischen Daten gestattet eine Ursachenforschung (Tracing) bei wiederholten Verspätungen. Durch die zeitnahe Versorgung mit Warnmeldungen ergeben sich für den Mandanten neue Möglichkeiten, Fehlerfolgekosten zu 128 Kontingenzmodell minimieren. Abgerundet wird das Informationsangebot des LDL durch regelmässige Berichte, die bspw. die Performance von Subdienstleistern in einem auf die Bedürfnisse des Mandanten angepassten Format darstellen. „Das Thema 4PL oder LLP analysieren wir gerade. Ich sehe da Chancen, durch die Zusammenarbeit mit einem 4PL mehr Transparenz in die Supply Chain zu bringen. Fachkompetenz bezüglich Monitoring und Reporting ist da. Die haben ja meistens dann ein standardisiertes Tool, einen Supply Chain Event Manager, um uns zeitnah Informationen über den gesamten Materialfluss in der Supply Chain geben zu können. Da sehe ich eben die Chance, noch mehr Transparenz zu haben und Optimierungspotenziale aufzudecken.“54 Lohnkostenarbitrage. Lohndifferenzen zwischen Branchen sind ein wichtiger Hebel für den Mandanten, Betriebskosten zu senken. Die Lohndifferenzen ergeben sich u.a. dadurch, dass Mandant und LDL an unterschiedliche Tarifverträge gebunden sind. Sie weichen häufig in mehrfacher Hinsicht ab, nämlich in der Wochenarbeitszeit, im Stundenlohn und in der Anzahl von Monatsgehältern pro Jahr. In Summe kann die Differenz bis zu 30% betragen55. Alexander und Young (1996, S.729) weisen darauf hin, dass durch die Lohnkostenarbitrage Werte lediglich umverteilt und nicht neu geschaffen werden. Eine noch deutlichere Diskrepanz tritt meistens auf, wenn man Nearbzw. Offshoring, also die Leistungserbringung in Billiglohnländern evaluiert. Wichtig ist, dass die Einsparungen im Personalbereich nicht durch den Aufbau von internen Schattenorganisationen kompensiert werden. Spezialisierung und Dienstleistermentalität. Spezialisierte Unternehmen wiederholen Prozesse tendenziell häufiger als diversifizierte Unternehmen. Dadurch gelingt es ihnen besser, Lernkurveneffekte auszuschöpfen. Bretzke (1998, S.396) geht davon aus, dass Lernkurveneffekte in der Logistik eine geringere Bedeutung als in der Produktion haben. Das mag auf Basisleistungen zutreffen, nicht jedoch auf anspruchsvolle Mehrwertleistungen. Es ist beispielsweise davon auszugehen, dass der Integrationsaufwand zusätzlicher Geschäftspartner in ein SCEM-System stetig abnimmt. Ein (kleiner) LDL misst einem Leistungsumfang ein tendenziell höheres Gewicht als eine Mandantenorganisation zu, vor allem wenn aus einem Randgeschäft ein Kerngeschäft wird. Dies kann sich u.U. dadurch ausdrücken, dass ein Dienstleister bereit ist, mehr in die Wei54 55 Interview Mandant 01.03.2005 Interview Mandant 08.03.2005 Kontingenzmodell 129 terbildung der betroffenen Mitarbeiter zu investieren (Alexander und Young 1996, S.729). Risikotransfer. Im Rahmen der Vertragsgestaltung können Mandant und LDL Risiken allokieren (vgl. Kapitel 3.3.3) und dadurch einen Mehrwert schaffen oder sich Werte von der anderen Partei aneignen (Alexander und Young 1996). Der erste Fall liegt vor, wenn der LDL das Risiko effektiver als der Mandant steuert und wenn der Vorteil für den Mandanten durch Risikotransfer die Risikoprämie des LDL übersteigt. Im zweiten Fall ist sich der LDL des Risikotransfers aufgrund von Informationsasymmetrien nicht bewusst oder er erhält dafür Anreize bspw. in Form eines Umsatzversprechens. Bezogen auf den ersten Fall einer nachhaltigen Wertschaffung werden zwei Beispiele dargestellt. Im ersten Beispiel transferiert der Mandant operative Risiken. Er hat mit seinen Kunden Serviceverträge für Maschinen geschlossen, in denen die Verfügbarkeit von Ersatzteilen mit 4h festgelegt ist. Wenn er es nicht schafft, die Ersatzteile rechtzeitig beim Kunden abzuliefern, muss er selber für eine Kompensation sorgen. Der Mandant überträgt Verantwortung und Risiko durch ein Service Level Agreement an einen LDL. Der Sinn dieses Vorgehens lässt sich damit begründen, dass eine termingerechte Bereitstellung von Material Kernkompetenz des LDL und nicht eines Maschinenbauunternehmens ist. Ähnliches gilt im zweiten Beispiel für das Absatzrisiko eines Mandanten. Wenn er die Logistikleistungen transaktionsorientiert abrechnet, dann sinken seine Logistikkosten mit dem Absatzvolumen. Er realisiert eine atmende Lösung, in der weniger Werte „vernichtet“ werden als in einer starren, internen Lösung. Auch hier lautet das Argument, dass der LDL bei der Auslastung logistischer Ressourcen einen Kompetenzvorteil hat. Bilanzoptimierung. Verbesserungen, die durch gute Kontraktlogistik-Konzepte erzielt werden, sind nicht nur für den Produktions- und Logistikvorstand, sondern wie im Rahmen eines Arbeitskreises mehrfach betont wurde auch für den Finanzvorstand relevant. Full-Service-Anbieter haben in den letzten Jahren ihr Angebot rund um den Finanzfluss ausgeweitet (vgl. Kapitel 3.2.4). Mit Hilfe innovativer Finanzierungskonzepte gelingt es ihnen, sogar dedizierte Vermögensgegenstände wie Standorte, Fördertechnik und Bestände aus der Bilanz des Mandanten zu entfernen. Dadurch verkürzt sich die Bilanz des Mandanten im Anlage- und Umlaufvermögen. Forderungsankauf durch LDL beschleunigt die Liquiditätszuführung für den Mandanten. Wenn er dadurch kurzfristige Verbindlichkeiten schneller bedient, dann verkürzt er insgesamt sei- 130 Kontingenzmodell ne Bilanz im Umlaufvermögen. Aus der Bilanzoptimierung verspricht sich der Mandant ein besseres Rating und günstigere Kapitalkosten. LDL können durch Mehrwertleistungen unterschiedlichste Potenziale für ihre Mandanten erschliessen. Diese Potenziale gehen über die Senkung von Logistikkosten weit hinaus. LDL müssen ihren Beitrag für Mandanten durch einen wertorientierten Vertriebsansatzes klar herausarbeiten. Es ist zu berücksichtigen, dass sich häufig mehrere Effekte überlagern und viele Effekte schwer quantifizierbar sind. Ausserdem ist eine Kooperation nur dann nachhaltig, wenn beide Parteien am erzielten Mehrwert partizipieren. 3.3.2 Potenziale für LDL Auch wenn Mehrwertleistungen für LDL eine unterschiedlich hohe geschäftliche Bedeutung haben, werden sie heute von fast jedem LDL angeboten. In Abbildung 31 sind die Potenziale von Mehrwertleistungen aus der Sicht von LDL dargestellt. Neben dem Ertragspotenzial ergeben sich Potenziale bei Kundenbindung, Synergien, Differenzierung und Positionierung, die nachfolgend kritisch diskutiert werden. Kundenbindung. Mehrwertleistungen erfordern im Vergleich zu Basisleistungen eine höhere Integration von LDL und Mandant. Der LDL erhofft sich daraus eine höhere Kundenbindung. Viele Märkte - auch in der Logistik - sind heute durch ähnliche Angebote und intensiven Wettbewerb gekennzeichnet. Daher haben sich Unternehmen Gedanken gemacht, wie sie die Loyalität ihrer Kunden stärken und Einzeltransaktionen zu stabilen Geschäftsbeziehungen entwickeln (Wallenburg 2004, S.7ff). Führende Anbieter demonstrieren Kundennähe, indem sie sich bemühen, individuelle Kundenbedürfnisse zu verstehen und auf sie einzugehen. Sie wirken darauf hin, dass eine positive Atmosphäre und Vertrauen in der Beziehung herrscht. Dennoch stellt der Kunde den eigentlichen „Flaschenhals“ in den Bemühungen um Kundenbindung dar, denn er entscheidet auf der Basis seiner Leistungs- und Preiszufriedenheit über die Fortführung der Zusammenarbeit. Kundenbindung stellt ein komplexes Konstrukt dar, das Wallenburg (S.89ff) über die Elemente Wiederbeauftragung, Zusatzbeauftragung und Weiterempfehlung operationalisiert. Er identifiziert vier Einflussfaktoren, nämlich Leistung und Zusammenarbeit, soziale Wechselbarrieren, ökonomische Wechselbarrieren (spezifische Investitionen) sowie verfügbare Alternativen. Kontingenzmodell Mehrwertleistung Materialfluss Beschaffungslogistik Produktionslogistik Distributionslogistik After-Sales-Logistik Informationsfluss Design Planung Fulfillment Monitoring Finanzfluss Rechtefluss 131 Potenzial / Hebel Akquisition und Ertrag Kundenbindung (externe Integration) Synergien (interne Integration) Differenzierung und Positionierung Shareholder-Value-Wirkung Umsatz Kosten Umlaufvermögen Anlagevermögen Kapitalkosten Abbildung 31: Potenzialnetzwerk (Perspektive des LDL) Eine in der Branche viel diskutierte Studie von Mercer Management Consulting (2004) kam zu dem Ergebnis, dass anspruchsvolle Logistikleistungen nur eine geringe Rolle spielen, weil Mandanten die LDL bewusst austauschbar halten, um Konkurrenzvorteile zu nutzen. In den Interviews zu dieser Arbeit konnten jedoch gerade bei im Outsourcing erfahrenen Mandanten zahlreiche Gegenbeispiele identifiziert werden. Die Studie weist darauf hin, dass sich bei einer durchschnittlichen Laufzeit von 4 Jahren jährlich 25% der Kontrakte als Ausschreibung auf dem Markt befinden. LDL berichten in Gesprächen konsistent von hohen Verlängerungsraten bei hochwertigen Lösungen. Es ist nicht davon auszugehen, dass dies nur an hohen Wechselkosten liegt. Kunden können heute durch geschickte Vertragsgestaltung ihre Wechselkosten deutlich senken. Sie können in der Ausschreibung unnötige Spezifität vermeiden und in Fällen, wo das nicht möglich ist, können sie spezifische Ressourcen beistellen. Dadurch wird der Nachverhandlungsaufwand reduziert. Mit Rückabwicklungsklauseln wird der kontinuierliche Zugriff auf Personal und Wissen gewährleistet. Synergien. Ein Interviewpartner sieht eine Kernaufgabe von LDL darin, dass sie leistungsfähige Mandantenlösungen in einer Branche skalieren56. Synergien spielen auch bei Mehrwertleistungen eine wichtige Rolle, obwohl sie schwerer zu realisieren sind. Mandant und LDL sollten daher bei der Spezifikation von Leistungen auch Skaleneffekte berücksichtigen. LDL partizipieren in unterschiedlichster Form an Synergien. Sie sparen Kosten, indem sie bestehende Netzwerke mit planbaren Volumina auslasten. 56 Interview LDL 02.08.2004 132 Kontingenzmodell Sie erweitern Netzwerke dadurch, dass neue Relationen, Standorte oder IT-Bausteine rentabel werden. Die Mercer-Studie kritisiert, einige LDL hätten zuviel Kundennähe gezeigt und die Synergieschaffung in ihren Produktionssystemen „vernachlässigt“. Es ist richtig, dass Spezifität kein Selbstzweck ist und dass man Skaleneffekte nicht aus den Augen verlieren sollte. Für eine vollständige Beurteilung von Mehrwertleistungen muss man jedoch auch Verbundeffekte berücksichtigen, die bei wissensintensiven Leistungen an Bedeutung gewinnen. Differenzierung und Positionierung. Wenn Leistungsangebote standardisiert sind, dann findet Wettbewerb hauptsächlich über den Preis statt. Neben einer Preisführerschaft können Unternehmen Wettbewerbsvorteile erzielen, indem sie bessere, neuere oder schnellere Leistungen anbieten. Die Boston Consulting Group hat eine Branchematrix entwickelt, in der die Anzahl möglicher Wettbewerbsvorteile in einer Branche der Grösse dieser Vorteile gegenübergestellt werden. Demnach ist das Transportwesen eine mengenbewegte Branche. Es sind wenige, aber dafür umfangreiche Wettbewerbsvorteile erzielbar. Die Marge eines LDL ist mit seinem Marktanteil korreliert. Im Kontrast dazu ist die Mehrwert-Logistik den spezialisierten Branchen zuzuordnen. Für LDL bieten sich zahlreiche und grosse Differenzierungsmöglichkeiten. Auch kleinere Unternehmen können mit hohen Margen im Markt erfolgreich sein. Differenzierung ist die Gestaltung von Leistungen, so dass sie sich „vom Angebot der Konkurrenten markant unterscheiden“ und der Kunde zur Zahlung einer Preisprämie bereit ist (MüllerStewens und Lechner 2003, S.265). Im Gegensatz dazu betrifft Positionierung die Wahrnehmung von Leistungsunterschieden durch Käufer des betreffenden Segments im Vergleich zum Konkurrenzangebot (Kotler und Bliemel 2001, S.467ff). In der Kontraktlogistik haben LDL nach Meinung eines Gesprächspartners die Wahl zwischen einem „Massengeschäft“, in dem Wettbewerber in Ausschreibungen gegeneinander antreten und ein preislicher Wettbewerb im Vordergrund steht, und einem spezifischen Geschäft, in dem sich der LDL intensiv mit den Bedürfnissen des Mandanten auseinandersetzt und im Sinne eines konsultativen Vertriebsansatzes ein massgeschneidertes Angebot ausarbeitet57. Das Massengeschäft können nur Kostenführer mit angemessener Marge betreiben. Das Mehrwertgeschäft bietet Entwicklungsmöglichkeiten für LDL, indem sie sich kontinuierlich in Richtung eines Systemlieferanten oder Vorzugslieferanten entwickeln und damit eine koordinierende Rolle in der Dienstleisterpyramide einnehmen. Mittelfristig können solche Systemdienstleister ihre 57 Interview LDL 02.08.2004 Kontingenzmodell 133 operative Involvierung durch die Einschaltung von Subunternehmern ggf. zurückfahren und somit ihre eigene Bilanzstruktur wieder entlasten. Mit der Stärkung des Mehrwertgeschäfts bekommen immaterielle Vermögensgegenstände beim LDL eine höhere Bedeutung, denn Mehrwertleistungen sind tendenziell wissensintensiver als Basisleistungen. Das Angebot innovativer Mehrwertleistungen birgt für Anbieter das Potenzial, Kompetenzen aufzubauen und die Umpositionierung vom Massen- in das Mehrwertgeschäft zu unterstützen. Wenn ein LDL bspw. für einen Referenzkunden eine Postponement-Lösung aufbaut, sammelt er Erfahrungen mit einem anspruchsvollen Konzept, die er bei anderen Mandanten nutzen kann. Er lernt u.a. die Herausforderungen von Grunddaten- und Änderungsmanagement kennen. Neben dem Konzeptwissen gibt es auch Mandantenwissen zu gewinnen. Mehrwertleistungen gestatten tiefere Einblicke in das Mandantenunternehmen. Wenn ein LDL die Bedürfnisse, Organisationsstrukturen, Qualitäts- und Innovationskultur des Mandanten kennt, dann hilft ihm das bei der Differenzierung von Angeboten. Mit der Differenzierung und Positionierung durch Mehrwertleistungen verfolgen LDL das Ziel, ihre Margen zu steigern bzw. zu sichern. Um herauszufinden, wie hoch die durchschnittlichen Margen in den Segmenten KEP, Spedition und Kontraktlogistik derzeit sind, hat Mercer für seine Studie die Geschäftsberichte von Anbietern hinsichtlich der Indikatoren EBIT-Marge58 und Kapitalintensität59 analysiert und verglichen. Dabei hat die Unternehmensberatung zwei wesentliche Zusammenhänge hinsichtlich der Margen in der Logistik festgestellt: „Profitabilität ist unabhängig von der Kapitalintensität, jedoch abhängig vom Geschäftstyp.“ Die Mercer-Studie zweifelt auch für die Zukunft daran, dass rein „virtuelle“, planende und koordinierende Anbieter genügend Zusatznutzen erwirtschaften, um eine Extramarge zu rechtfertigen. Hinsichtlich der Geschäftstypen stellen sie fest, dass im Gegensatz zu KEP- bzw. Speditionsanbietern keiner der untersuchten Kontraktlogistikanbieter über eine EBIT-Marge von 4 Prozent kommt. Derzeit übersteigen offensichtlich vielfach die Kosten der Differenzierung die Preisprämie. Beide Feststellungen von Mercer geben eine Momentaufnahme wieder. Die Kontraktlogistik und vor allem das Mehrwertgeschäft ist ein relativ junges Marktsegment, das sich noch entwickeln und profilieren muss, um die vorstellbaren Wirkungen, die in dieser Arbeit dargestellt werden, zu erzeugen. Es ist zu erwarten, dass sich Angebot und Nachfrage von Mehrwertleistungen und damit die gesamte 58 59 EBIT = Earnings Before Interest and Tax Anlagevermögen + Umlaufvermögen / Nettoumsatz 134 Kontingenzmodell Kontraktlogistik dynamisch entwickeln werden, so dass die von Mercer verwendeten Zahlen aus den Jahren 2002/03 nicht für die Zukunft Bestand haben müssen. 3.3.3 Risiken für Mandanten und LDL Verschiedene Entwicklungen sorgen dafür, dass die Verwundbarkeit von Logistiknetzwerken steigt. Im Vergleich zu früher sind Netzwerke tendenziell globaler und müssen damit längere Distanzen überbrücken. Durch Reengineering und Outsourcing sind schlanke und fragmentierte Netzwerke entstanden. Als Antwort darauf entwerfen Christopher und Peck (2004, S.1f) das Idealbild eines robusten Logistiknetzwerkes, das nach einer Störung in seinen ursprünglichen oder einen besseren Zustand zurückschwingt. Weil sich LDL und Mandant für Mehrwertleistungen enger vernetzen, können Risiken der einen Partei die andere stärker in Mitleidenschaft ziehen. Der Leser von Literatur über die Relation von Chancen und Risiken bekommt nach Meinung von Bowman (1980, S.17f) den Eindruck, dass ein höheres Risiko automatisch einen höheren Ertrag impliziert. Der grösste Anteil dieser Publikationen bezieht sich auf Kapitalmärkte. Basierend auf Daten der Jahre 1968-1976 aus 85 Branchensegmenten weist er für die realwirtschaftliche Sphäre keine positive, sondern eine negative Korrelation zwischen Risiko und Ertrag nach. Aufgrund perfekter Märkte sieht die Situation an den Kapitalmärkten grundsätzlich anders aus. Die Aktien von Unternehmen mit hohen Erträgen und niedrigem Unternehmensrisiko erzielen höhere Kurse und reduzieren dadurch den Ertrag für zukünftige Anleger. Das sogenannte „Bowman Paradox“ steht im Widerspruch zu der häufig angenommenen Risikoaversion des „Durchschnittsmanagers“. Die plausibelste Erklärung ist, dass – bedingt durch die Qualität ihrer Manager und ihrer (Risiko)Managementsysteme - weniger erfolgreiche Firmen gezwungen sind, Projekte mit höheren Risiken durchzuführen (S.25). Dieser Zusammenhang sollte von Mandanten und LDL bei der Nachfrage und dem Angebot von Mehrwertleistungen berücksichtigt werden. 3.3.3.1 Risikobegriff Für den Risikobegriff existieren zahlreiche Definitionen. Ursache dafür ist, dass sich der Begriff in den diversen wirtschaftswissenschaftlichen Teildisziplinen wie Finanztheorie und Entscheidungstheorie im Zeitablauf entwickelt hat. Wall (2003, S.666) definiert Risiko aus einer entscheidungstheoretischen Perspektive als Gewinnchance oder Verlustgefahr, wobei eine Wahrscheinlichkeitsannahme für das Eintreten von Umfeldzuständen möglich ist. Für die Untersuchung von Risiken in Logistiknetz- Kontingenzmodell 135 werken ist das reine Risiko (Verlustgefahr) relevanter als das spekulative Risiko (Gewinnchance und Verlustgefahr). Eine für diese Arbeit passende Definition ist bei Diederichs zu finden: „Unter Risiko wird die Gefahr verstanden, dass Ereignisse (externe Faktoren) oder Entscheidungen und Handlungen (interne Faktoren) das Unternehmen daran hindern (ursachenbezogenen Komponente), definierte Ziele zu erreichen bzw. Strategien erfolgreich zu realisieren (wirkungsbezogene Komponente).“ (Diederichs 2004, S.10) Hinter der Strategie, Mehrwertleistungen fremdzuvergeben, steht aus Sicht der Mandanten die Zielsetzung, Logistiknetzwerke effektiver und effizienter zu gestalten. LDL verfolgen das Ziel, profitable Umsätze zu generieren. Zielabweichungen stellen Risiken dar, die von beiden Parteien gesteuert werden müssen. Die Abweichungen können an vielen Stellen im Einzelunternehmen sowie im Unternehmensverbund ausgelöst werden (vgl. Abbildung 32). Im Zusammenhang von Mehrwertleistungen sind vor allem operative Risiken relevant. Diese haben häufig schwerwiegendere Folgen als Markt- oder Kreditrisiken (Lam 2003, S.207ff). Lam weist auf die alte Weisheit hin, dass man etwas nur steuern kann, wenn man es misst. Die Messung setzt wiederum eine Definition voraus. Greifbare und konsistente Definitionen sind im Risikomanagement selten, so dass er den Begriff „operatives Risiko“ wie folgt eingrenzt: „Operational risk is the risk of direct or indirect loss resulting from inadequat or failed internal processes, people, and systems or from external events.“ 3.3.3.2 Risikotypologie Die Fremdvergabe komplexer Mehrwertleistungen hat Konsequenzen für die Risikoposition von LDL und Mandant. Nettesheim et al (2003, S.26f) unterscheiden zwei Arten von Risiken im Rahmen der Fremdvergabe: Risiken, die zwischen Anbieter und Nachfrager allokiert werden, und originäre Outsourcing-Risiken, die erst durch die Fremdvergabe entstehen. Zu der ersten Gruppe zählen sie das Mengen- und das Haftungsrisiko. Sie empfehlen, es auf die Partei zu transferieren, die es am besten steuern kann. Der zweiten Gruppe ordnen sie bspw. das Vertrags- und das Abhängigkeitsrisiko zu. Gutes Management in den frühen Projektphasen mindert hier die Risikopositionen beider Parteien und stellt den zentralen Erfolgsfaktor dar. Als nächstes werden ausge- 136 Kontingenzmodell Kooperationsrisiko Vertragsrisiko Kündigungsrisiko Haftungsrisiko Mengenrisiko Insolvenzrisiko Kalkulationsrisiko Strategierisiko Unterlieferantenrisiko Schnittstellenrisiko Organisationsrisiko Abhängigkeitsrisiko Kannibalisierungsrisiko Kontroll- und Beurteilungsrisiko Reputationsrisiko Prozessrisiko Materialflussrisiko Informationsflussrisiko Finanzflussrisiko Rechteflussrisiko Lieferrisiko Liefertreuerisiko Lieferzeitrisiko Lieferortrisiko Lieferqualitätsrisiko Liefermengenrisiko Lieferfähigkeitsrisiko Faktorrisiko Personalrisiko Kapitalrisiko Betriebsmittelrisiko Bestandsrisiko Wissensrisiko Standortrisiko Technologierisiko Implementierungsrisiko Kapazitätsrisiko Patentrisiko Mandant Geschäftsebene Prozessebene Systemebene Interner oder externer LDL Umfeld Länderrisiko Währungsrisiko Gesetzgebungsrisiko Höhere Gewalt Marktrisiko wählte Risiken aus den vier Risikobereichen Geschäftsebene, Prozessebene, Systemebene und Umfeld erklärt. Abbildung 32: Einordnung von Risiken in das Integrationsmodell Risiken auf der Geschäftsebene Kooperationsrisiken sind darauf zurückzuführen, dass ein Verbund mit oftmals konträren Zielen und Motiven schwerer zu managen ist als ein Einzelunternehmen. Es ist bspw. denkbar, dass bei einer Off-Balance-Bestandsfinanzierung ein Interessenkonflikt zwischen dem Management des Joint Venture, das seine Bestandskosten minimieren will, und der Serviceabteilung des Mandanten, welche den Servicegrad maximieren möchte, kommt. Bei internen Logistikabteilungen können solche Konflikte auch auftreten. Dennoch ist ein direkterer und schnellerer Eingriff durch das TopManagement möglich. Das und Teng (1999, S.50f) untergliedern Kooperationsrisiken in Beziehungsrisiken und Performance-Risiken. Das Beziehungsrisiko ergibt sich aus der Gefahr, dass ein Kooperationspartner sich opportunistisch verhält und sich nicht für den Erfolg der Kooperation ausreichend engagiert. Er verfolgt beispielsweise versteckte Agenden und baut schädliche Informationsasymmetrien auf, erbringt schlechte Serviceleistungen und versucht darüber hinaus, die Partnerressourcen für sich zu nutzen. Demgegenüber ist das Performance-Risiko definiert als eine Verfehlung der Ziele, obwohl sich beide Parteien voll für die Kooperationsziele einsetzen. Dafür können Kontingenzmodell 137 externe Faktoren wie die Konjunktur oder interne Faktoren wie Unfähigkeit oder fehlender strategischer Fit verantwortlich sein. Die Möglichkeit einer Vertragskündigung wird durch das Kündigungsrisiko ausgedrückt. Durch eine Vertragsbeendigung ergeben sich zahlreiche Fragen: Wer kann bzw. muss die Ressourcen zu welchen Konditionen übernehmen und wie kann ein reibungsloser Betrieb gewährleistet werden? Ein wichtiges Instrument stellt hier die Rückabwicklungsmatrix dar. Sie kann z.B. regeln, dass der Mandant spezifische Investitionen des LDL zum Restwert übernehmen muss. LDL übernehmen heute auch physische Mehrwertleistungen. Sie sind also neben der räumlichen und zeitlichen auch in die funktionale Gütertransformation involviert. Mit einem steigenden Aufgabenspektrum wächst auch ihre Verantwortung und ihr Haftungsrisiko. Die Festlegung des Haftungsumfanges und die Abgrenzung von Folgeschäden ist eine enorme Herausforderung. Soll ein LDL etwa die Mitschuld daran tragen, dass ein Flugzeug abstürzt, für das er Teile zugeliefert hat? Im Fall des fremdvergebenen CKD-Prozesses ist es so, dass Fehlkommissionierungen meistens dramatische Kostenkonsequenzen haben. Der Fehler wird häufig erst an der Destination festgestellt. In diesem Fall haftet der LDL für die Kosten der Expressfracht und der Verzollung. Das zukünftige Verkaufsvolumen des Mandanten ist ungewiss und führt zu einem Mengenrisiko im Logistiksystem. Je nachdem auf welches Preissystem sich die Parteien einigen, wird mehr oder weniger von dem Mengenrisiko auf den LDL transferiert. Der LDL riskiert bspw. bei einer rein transaktionsorientierten Bezahlung ohne Bandbreiten eine Fixkostenunterdeckung. Wenn es dem LDL gelingt, ein flexibles „atmendes“ System zu errichten, dann kann er diese Risiken mindern. Es muss eine hohe durchschnittliche Auslastung erreichen und bei Nachfragespitzen immer noch lieferfähig sein. Bei komplexen Mehrwertleistungen führen schlecht dokumentierte Prozesse des Mandanten zu unvollständigen Ausschreibungsunterlagen. Daraus resultiert für den LDL ein Kalkulationsrisiko, weil er Kostentreiber falsch einschätzt. Dieses Risiko wird durch Markt- und Implementierungsrisiken häufig noch verstärkt. 138 Kontingenzmodell Insolvenzrisiken stellen für LDL eine signifikante Bedrohung dar. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Fremdvergabe von Mehrwertleistungen von Mandanten häufig im Rahmen einer Restrukturierung stattfindet. Wenn die Restrukturierung dann misslingt, bricht für den LDL u.U. ein umfangreiches Geschäft durch Insolvenz des Mandanten weg. Insolvenzrisiken betreffen auch die Organisation des LDL. Damit nicht plötzlich das Distributionssystem des Mandanten stillsteht, versuchen viele in der Ausschreibung die potenziellen Partner bspw. mit einer Kreditauskunft oder Bilanzanalyse zu prüfen. Wenn es doch zu einer Insolvenz in der Lieferantenbasis kommen sollte, dann haben viele einen Backup-Lieferanten, der schnell hochgefahren werden kann. Wenn die Markt- und Logistikstrategien des Mandanten wechselhaft und unvorhersehbar sind, dann entstehen für den LDL Gefahren. Diese Strategierisiken drücken sich bspw. dadurch aus, dass ein Mandant kurzfristig eine europäische Regionallagerstruktur in eine Zentrallagerstruktur umwandelt. LDL schalten für die Leistungserstellung häufig spezialisierte Unterlieferanten wie Transport- oder Finanzdienstleister ein. Dies erfolgt mit der Intention, Kompetenzen einzukaufen und Risiken weiterzureichen. Allerdings kommen durch diese Zusammenarbeit auch neue Unterlieferantenrisiken dazu. Kommunikationsrisiko bedeutet, dass durch Outsourcing die Kommunikation beeinträchtigt wird. Ein Mandant betont bspw. die Bedeutung von langjährig gewachsenen persönlichen Kontakten für die Behebung alltäglicher Lieferprobleme. Diese können durch Outsourcing verloren gehen.60 Ein Organisationsrisiko besteht bspw. dann, wenn ein LDL Postponement-Aufgaben übernimmt. Dafür muss er mit der FuE und dem Einkauf des Mandanten sowie mit den Lieferanten eng zusammenarbeiten. Es besteht die Gefahr, dass der LDL nicht mit der erforderlichen Autorität ausgestattet ist, um seine Aufgaben vereinbarungsgemäss zu erledigen. Nach einem umfangreichen Outsourcing verbleibt bei der internen Logistik des Mandanten die Aufgabe, zusammen mit dem LDL den Kontrakt zu managen. Dafür werden üblicherweise Organisationsstrukturen gebildet, die von beiden Seiten paritätisch besetzt werden. Weil die Ausführung jedoch dem LDL obliegt, besteht die Gefahr, 60 Interview Mandant 16.02.2005 Kontingenzmodell 139 dass Ineffizienzen oder Probleme für den Mandanten nicht oder zu spät transparent werden. Instrumente wie Open Book oder SCEM helfen dabei, Kosten und Leistungen transparent zu machen. Wenn eine Leistung über Jahre durch einen externen Partner erbracht wurde, dann kann der Mandant Beurteilungsrisiken ausgesetzt sein. Es besteht die Möglichkeit, dass er nicht mehr beurteilen kann, ob das für ihn betriebene Logistiksystem auf den aktuellsten und für ihn passendsten Konzepten basiert oder ob Verbesserungspotenziale unrealisiert bleiben. Ähnlich wie man es von grossen IT-Outsourcing-Deals kennt, besteht auch bei Mehrwertleistungen das Risiko einer Rückabwicklung. Dies kann mit einem Vertrauensund Reputationsverlust in der Branche einhergehen. Risiken auf der Prozessebene Hinter dem Prozessrisiko verbirgt sich die Gefahr, dass Prozesse nicht plangemäss ablaufen. Das Outsourcing bestehender Prozesse ist dann problematisch, wenn in der Mandantenorganisation die Abläufe kaum dokumentiert sind und dem LDL unvollständig oder falsch spezifiziert werden. Prozessrisiken entstehen vor allem dann, wenn das Outsourcing mit einem umfangreichen Prozess-Reengineering verbunden wird. Es ist bspw. denkbar, dass die Produktivität in der Auftragsannahme sinkt, weil der LDL eine andere Software einsetzt. Trotz der Vereinbarung von Servicegraden können Lieferrisiken nicht ausgeschlossen werden. Ein Interviewpartner betonte, dass vielfach Logistikleiter für Fehllieferungen von LDL mitverantwortlich gemacht werden. In solchen Fällen werden dann „Schattenorganisationen“ zur Kontrolle des LDL aufgebaut. Risiken auf der Systemebene Im Falle von Mehrwertlösungen muss der LDL ein komplexes Logistiksystem für den Mandanten aufbauen. Das Personalrisiko beschreibt den Fall, dass Personal für seine Aufgabe nicht ausreichend qualifiziert oder motiviert ist. Ein Mandant berichtete von einem wenig konfliktfähigen Mitarbeiter, der seinen Vorgesetzten immer gesagt hatte, dass die Leistungen durch den LDL ordnungsgemäss erbracht würden. Nach zahlreichen Beschwerden von internen Kunden über Spät- und Fehllieferungen wurde die Person ausgetauscht. Gegen Personalrisiken kann durch Training und die Schaffung eines Risikobewusstseins gegengesteuert werden. Ein weiteres Personalrisiko besteht 140 Kontingenzmodell für LDL darin, spezialisierte Humanressourcen wie Prozessingenieure aus der Produktionslogistik nach Ablauf eines Kontraktes weiterzubeschäftigen. Ähnliches gilt für das Standortrisiko. Häufig ergibt sich für den LDL eine Diskrepanz zwischen der Kontraktlaufzeit mit dem Mandanten und der Mietlaufzeit mit der Immobiliengesellschaft. Das Risiko, ob ein Standort nachher wirtschaftlich weitergenutzt werden kann, hängt von seiner Lage ab. Ein Lager in einem Ballungsraum zu errichten ist tendenziell weniger riskant, als dies im Bayerischen Wald zu tun. Informationstechnologien spielen für die Erbringung von Mehrwertleistungen eine grosse und weiter steigende Rolle. Eingeschränkte Systemverfügbarkeit, schlechte Datenqualität, unautorisierter Zugang und Programmierfehler (z.B. ungenaue Planungsmodelle) stehen exemplarisch für die steigende Verwundbarkeit. Wenn anspruchsvolle Konzepte, wie Postponement oder Merge-in-Transit, durch LDL bzw. Mandant nicht entsprechend Spezifikation, Zeitplan oder Budget erfolgen, dann entstehen Gefahren, die unter dem Begriff Implementierungsrisiko subsummiert werden. Die Risiken sind besonders signifikant, wenn ein Konzept – bspw. RFID – neuartig ist und wenig Erfahrungswissen vorliegt. Risiken aus dem Umfeld Die Ungewissheiten der Produkt- und Faktormärkte werden als Marktrisiken kategorisiert und haben häufig signifikante Auswirkungen auf einen Kontrakt. Aufgrund der Ölknappheit sind in den vergangenen Monaten bspw. die Benzinpreise stetig gestiegen. In diesem Fall sollte der LDL darauf hinwirken, dass er diese Faktorkosten an den Mandanten weiterreichen kann. Zahlreiche Gesetzesinitiativen wirken sich auf die Logistik aus. Als Beispiel kann man die Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln nennen oder die Rücknahmepflicht bei Elektronikprodukten und Automobilen. Mandanten müssen sich auf die neuen Aufgaben vorbereiten und vergeben diese vielfach fremd, weil sie diese nicht als Kernkompetenzen erachten. Zölle, Steuern sowie Ein- und Ausfuhrbeschränkungen können sich ständig ändern, was bei Unkenntnis zu Verzögerungen im grenzüberschreitenden Verkehr führt. Um dieses Gesetzgebungsrisiko zu mindern, hat z.B. ein High-TechUnternehmen einen spezialisierten Dienstleister für die Verzollung engagiert. Kontingenzmodell 141 Unter die Kategorie höhere Gewalt fallen einige Risiken, die ihren Ursprung in der natürlichen Umwelt haben. Ein Mandant berichtete über einen Wasserschaden in einem Lager des LDL nach einem Unwetter. Er zeigte sich sehr zufrieden mit dem Krisenmanagement und dem Engagement des LDL bei der Wiederherstellung der Betriebsfähigkeit und meinte, dass diese Erfahrung die Geschäftsbeziehung gestärkt hat.61 Immer mehr Lieferketten haben heutzutage ihren Ursprung in asiatischen Ländern. Epidemien wie SARS und Vogelgrippe haben das Potenzial, diese Lieferketten stillzulegen. Für Mandant und LDL stellt sich also immer die Frage, wie man vor dem Hintergrund von Worst-Case-Szenarien handlungsfähig bleibt. Zusammenfassend kann man sagen, dass mit einem strukturierten RisikomanagementProzess die meisten der oben dargestellten Risiken effektiv gesteuert werden können. Dafür müssen die Aufgaben und Verantwortungen des Risikomanagement eindeutig zugeordnet werden. Die Verantwortlichen können Risiko präventiv managen, indem sie es vermeiden, mindern oder diversifizieren, sie können es korrigierend managen, indem sie es transferieren, finanzieren oder versichern, oder sie können es übernehmen (Eberle 2005, S.44). Die notwendige Diskussion über Outsourcing-Risiken sollte nicht dazu führen, dass interessante Potenziale eines solchen Vorgehens übersehen werden. Stattdessen sollte die Outsourcing-Entscheidung auf einer integrierten Betrachtung von Potenzialen und Risiken basieren. „Generell glaube ich nicht, dass die Qualität einen bedeutenden Unterschied darstellt, wenn man es selber betreibt. (...) Dass zusätzlich Risiken auftreten, glaube ich nicht. Was ein Dienstleister falsch machen kann, ist in der Regel das, was ich selber auch falsch machen kann.“62 „Ich sehe keine Risiken, die wir beim Eigenbetrieb nicht hätten. Eher noch weniger, da die Sicherheitsstandards erhöht worden sind. Wir haben da auch mehr Fläche, sodass, wenn etwas passiert, man evtl. auf eine andere Fläche ausweichen kann. Die Workforce ist höher. Wenn dort bei uns ein Teil ausfallen würde, dann 61 62 Interview Mandant 01.03.2005 Interview Mandant 24.02.2005 142 Kontingenzmodell kann man immer noch aus anderen Bereichen im gleichen Unternehmen Mitarbeiter holen.“63 63 Interview Mandant 29.03.2005 Kontingenzmodell 143 3.4 Zwischenfazit Ziel dieses Kapitels war, ein Kontingenzmodell für Mehrwertleistungen in der Kontraktlogistik aufzubauen und damit zur Beantwortung der Forschungsfragen 1 bis 4 beizutragen. Die zahlreichen Praxisgespräche deuten darauf hin, dass bei Mehrwertleistungen die Bedürfnisse und Lösungsansätze sehr heterogen sind. Aus diesem Grund ist es wünschenswert, die wichtigsten Erkenntnisse dieses Kapitels in Form eines Stufenschemas zu rekapitulieren. Für die einzelnen Stufen lassen sich konkretere Aussagen über Leistungsgestaltung, erzielbare Resultate und Voraussetzungen im Kontext der Geschäftsbeziehung treffen als dies übergreifend möglich wäre. Rechtefluss Finanzfluss Optimierungsanbieter Koordinationsanbieter Informationsfluss Transparenzanbieter Materialflussanbieter Materialfluss Basisanbieter Ausführung Monitoring Planung / Fulfillment Design Abbildung 33: Stufenschema für Geschäftsmodelle in der Kontraktlogistik Quelle: Eigene Darstellung Das neuentwickelte Stufenschema für Geschäftsmodelle in der Kontraktlogistik, das in Abbildung 33 dargestellt ist, greift als Segmentierungskriterium auf die ausgetauschten Mehrwertleistungen zurück. Daraus ergeben sich fünf klar operationalisierbare Stufen: zwischen der untersten Stufe „Basisanbieter“ und der obersten Stufe „Optimierungsanbieter“ befinden sich die Zwischenstufen „Materialflussanbieter“, „Transparenzanbieter“ und „Koordinationsanbieter“. Diese Unterscheidung ist praktikabler als die bisher häufig verwendete aber nicht ganz trennscharfe Gliederung in 3PL, LLP und 4PL. Die Anbieter auf den drei oberen Stufen können entweder rein virtuell agieren oder ihre administrativen Leistungen mit physischen kombiniert erbringen. Das Mo- 144 Kontingenzmodell dell ist nicht normativ sondern deskriptiv zu interpretieren. Die obersten Stufen werden nur für ausgewählte Geschäftsbeziehungen realisierbar sein, da sie häufig weder vom Mandanten gewünscht noch für den LDL realisierbar bzw. profitabel sind. Materialflussanbieter Im Unterschied zu einem Basisanbieter erbringt ein Materialflussanbieter nicht Teilprozesse, sondern abgerundete Prozesse entlang des Materialflusses. Das Spektrum der vom LDL erbrachten Leistungen setzt sich hauptsächlich aus Ausführungsaufgaben zusammen. Darüber hinaus erbringt er in begrenztem Masse Steuerungsaufgaben. Beispielhafte Lösungen sind Sequenzierung und Bandbereitstellung, Postponement und CKD-Distribution. Die Lösungen erfordern umfassende mandanten- oder segmentspezifische Investitionen in Standorte, Fördertechnik und in die Schulung von Personal. Derzeit dominieren noch Mandantenlösungen, die einen erheblichen Fixanteil in der Entlohnung des LDL implizieren. Je nachdem wie gut den LDL eine Skalierung gelingt, wird hier die transaktionsorientierte Entlohnung an Bedeutung gewinnen. Trotz ihrer Spezifität lassen sich diese Lösungen vergleichsweise gut in Verträgen abbilden. Rückabwicklungsklauseln spielen eine wichtige Rolle, um den Zugriff des Mandanten auf wichtige Ressourcen zu gewährleisten. Durch die Fremdvergabe von abgerundeten Prozessen auf der Materialflussebene konzentriert sich der Mandant auf seine Kernkompetenzen. Er muss für die Aufgaben keine eigenen Ressourcen auslasten, transferiert dadurch je nach Vertrag Mengenrisiken und erhöht seine strategische Flexibilität. Die Aufgaben rund um den Materialfluss sind häufig personalintensiv. Wenn die Lohnkosten beim LDL niedriger als beim Mandant sind, dann bietet die Fremdvergabe Arbitragemöglichkeiten. Wenn es dem Anbieter gelingt, seine Leistungen zu skalieren, dann kann er die Kosten seiner Mandanten variabilisieren und Grössenvorteile erzielen. Je stärker der LDL in Bereiche der Produktion(slogistik) vordringt, desto relevanter werden für ihn Risiken der Produkthaftung und der Betriebsbereitschaft von Montage- und Verpackungskapazitäten. Aufgrund der schwankenden Auslastung steht er vor der Herausforderung, die Transaktionspreise präzise zu kalkulieren. Für den Mandanten geht es vor allem darum, Einschränkungen bei der Lieferfähigkeit durch Fehler des LDL auszuschliessen. Die Leistungen, die von einem Materialflussanbieter erbracht werden, zeichnen sich üblicherweise durch einen niedrigen bis mittleren Innovationsgrad aus. Meistens praktiziert der Mandant auf Standortebene ein Single Sourcing und auf der Ebene des Kontingenzmodell 145 Netzwerks ein Multiple Sourcing. Die Zusammenarbeit kommt über eine Ausschreibung zustande, bei der vor allem die Fähigkeit zum Kostensenken beim LDL bewertet wird. Entsprechend der begrenzten Integration beider Partner können ihre Interessen nur unvollständig harmonisiert werden. Um die beschriebenen Leistungen auszuführen, muss der LDL über ausgeprägte Kompetenzen in der physischen Logistik, wie dies bei Transporteuren, Lagerdienstleistern und 3PL vorkommt64, verfügen. Transparenzanbieter Ein LDL nimmt in einem Kontrakt die Rolle eines Transparenzanbieters ein, wenn er umfangreiche Monitoring-Leistungen für den Mandanten erbringt. Bei dieser Entwicklungsstufe verschiebt sich sein Betätigungsschwerpunkt zunehmend in den Bereich des Informationsflusses. Der Dienstleister erfasst Prozesszustände mit Hilfe von Barcode oder RFID, er verarbeitet diese in Tracking & Tracing- bzw. SCEM-Systemen und stellt dem Mandanten Inputs für die Prozesskostenrechnung, das Reporting und das Controlling zur Verfügung. Die verwendete IT-Plattform wird vom LDL i.d.R. übergreifend eingesetzt. Dennoch muss er die Prozesse rund um die Benachrichtigung, Problemlösung und Eskalation sowie die Ergebnisse (Events und Reports) individuell auf den Mandanten zuschneiden. Für die Implementierung eines komplexen Monitoring-Systems bietet sich als Preisschema Cost Plus Incentive Fee an. Die Betriebskosten können über eine Transaktionsrate ggf. ergänzt durch ein Bonus-Malus-Schema, dass sich auf die Dienstleister-Performance im Material- und Informationsfluss bezieht, verrechnet werden. Die Bezeichnung des Geschäftsmodells deutet darauf hin, dass es eine Transparenzverbesserung im Logistiknetzwerk des Mandanten bezweckt. Weil der LDL Logistiknetzwerke für diverse Mandanten überwacht, erreicht er Spezialisierungsvorteile. Wenn die gleiche Partei, die den Materialfluss ausführt, auch die Statusinformationen organisiert, dann kann sie Verbundeffekte erzeugen. Die verbesserte Informationsbasis sollte dafür genutzt werden, Flaschenhälse in Prozesse aufzudecken und zu beseitigen. Durch die Fremdvergabe innovativer Leistungen wie RFID transferiert der Mandant das Implementierungsrisiko und das Technologierisiko, welches Unsicherheiten bei Technologien und Standards umfasst, auf den LDL. Die verbesserte Transparenz senkt für ihn das Kontrollrisiko der fremdvergebenen Lösung. 64 vgl. die Dienstleistertypologie in Abbildung 13 146 Kontingenzmodell Eine Positionierung als Transparenzanbieter macht vor allem gegenüber Mandanten Sinn, die über ein stark globalisiertes und weit verzweigtes Logistiknetzwerk verfügen. Überdurchschnittliche Anforderungen an Effizienz oder Reaktionsfähigkeit stellen weitere Treiber dar. Für den Vertrieb komplexer Monitoring-Lösungen gewinnt der konsultative Ansatz für LDL an Bedeutung. Transparenzanbieter benötigen zusätzliches Wissen über Informationstechnologien und über Prozessinterdependenzen beim Mandanten. Abgesehen von solchen mit rein physischem Netzwerk kommen viele Anbieter – z.B. Spediteure, IT-Dienstleister und KEP-Dienstleister – für die Rolle in Frage. Monitoring-Lösungen lassen sich als übergreifende oder zumindest als branchenspezifische Plattformen realisieren, wobei ein umfangreiches Customizing möglich sein sollte. Je höher der Innovationsgrad der Lösung und je wichtiger dem Mandant eine flächendeckende Transparenz ist, desto schwerer teilbar wird die Lösung und desto eher wird er sich für ein (regionales) Single Sourcing entscheiden. Koordinationsanbieter Das Leistungsspektrum eines Koordinationsanbieters umfasst die Planung und/oder das Fulfillment im Logistiknetzwerk des Mandanten. Dieses Geschäftsmodell ist bisher selten zu finden, weil Mandanten die Planung und das Auftragsmanagement vielfach als eigene Kernkompetenz betrachten. Dennoch wird von Mandanten zunehmend Bedarf bei operativen Planungsaufgaben artikuliert. In den Bereich der Planung fallen Leistungen wie Collaboration mit Kunden bzw. Lieferanten, Bestandsplanung, Montageplanung und Transportplanung während dem Bereich des Auftragsmanagement Leistungen wie Auftragssteuerung und Verfügbarkeitsprüfung sowie Call Center und Kundenservice zuzurechnen sind. Neben der IT investiert der LDL vor allem in den Wissensaufbau über Besonderheiten des Produkt-Markt-Kontexts und die Planungsprozesse des Mandanten. Wenn der LDL die Off-Balance-Bestandsfinanzierung erbringt, dann investiert er darüber hinaus in spezifische Bestände. Die Leistungen werden dann vergütet, indem das finanzielle Ergebnis des speziell für diese Aufgaben gegründeten Joint Ventures geteilt wird. Bei anderen, durch einen Kontrakt geregelten Planungsaufgaben ist auch eine rein transaktionsorientierte Preisgestaltung denkbar oder ein Gain-Sharing-Risk-Sharing-Abkommen, bei dem bspw. ein Einsparungsziel bei Bestands- oder Transportkosten festgelegt wird. Durch den Einsatz eines Koordinationsanbieters profitiert der Mandant im Idealfall von den jeweils neuesten Werkzeugen für Planung und Auftragsmanagement. Der Koordinationsanbieter realisiert Lerneffekte bei der wiederholten Integration von Man- Kontingenzmodell 147 danten in seine Plattform. Wenn der Mandant seine Bestände an den LDL verkauft, dann fliesst ihm frisches Kapital zu, welches er für einen notwendigen Wandel in der Logistik oder in anderen Unternehmensbereichen verwenden kann. Zusätzlich gelingt es ihm, seine bilanziellen Kennzahlen zu verbessern. Für beide Parteien besteht die Gefahr, dass das Geschäftsmodell nicht adäquat in einem Vertrag abgebildet wird und dass sich durch Planungsungenauigkeiten Unter- bzw. Überbestände im Netzwerk ergeben. Die Beauftragung eines externen Dienstleisters mit Koordinationsaufgaben kann zu organisatorischen Reibungsverlusten führen, weil Schnittstellen entstehen und Kompetenzen verteilt werden müssen. Für LDL, die neben der Koordination auch physische Aufgaben erbringen, ergeben sich Risiken der Kannibalisierung des eigenen Geschäfts. Durch verbesserte Planung sinkt bspw. die Zahl übernachteter Paletten im Lager und damit die Vergütung des LDL. Auf der anderen Seite ist es möglich, dass der Mandant im Laufe der Zeit seine Beurteilungsfähigkeit der koordinativen Prozesse einbüsst und abhängiger wird. Durch die Fremdvergabe von koordinativen Aufgaben erzielt der Mandant eine extrem niedrige Logistiktiefe. Mögliche Motive dafür sind, dass er seine Kernkompetenzen in anderen Funktionsbereichen sieht, dass er seine Logistikkompetenzen als unterdurchschnittlich einschätzt oder dass er aufgrund einer angespannten finanziellen Lage Kapital benötigt. Eine erfolgreiche Fremdvergabe umfangreicher Koordinationsaufgaben setzt - egal welches Motiv dahinter steckt - eine hohe Outsourcing-Kompetenz voraus. Mandanten werden bei der Auswahl überprüfen, ob der LDL eine Reputation als zuverlässiger und innovativer Anbieter hat. Hinsichtlich der Frage, welcher Typ von LDL am besten geeignet ist, gibt es zwei alternative Argumentationen. Die erste Argumentation besagt, dass rein administrative LDL einen Vorteil haben, weil man bei ihnen Interessenkonflikte ausschliessen kann. Die zweite Argumentation differenziert nach der betrachteten Koordinationsaufgabe und kommt zu dem Ergebnis, dass ein LDL mit einem Transportnetzwerk Erfahrungsvorteile in der Transportplanung und ein LDL mit stationärem Netzwerk Erfahrungsvorteile in der Bestandsplanung hat. Weil die Risiken des Modells vergleichsweise hoch sind, muss der Anbieter einen klaren Mehrwert seiner Leistungen in Form von Skalen- oder Verbundeffekten mit anderen Mandanten nachweisen. Eine transparente Geschäftsbeziehung ist besonders wichtig, damit der Mandant die Leistung des LDL beurteilen und bei Bedarf schnell agieren kann. Darüber hinaus können beide Seiten die Erfolgswahrscheinlichkeit ihrer Zusammenarbeit erhöhen, indem sie ihre Interessen durch ein Joint Venture bzw. ein Gain Sharing möglichst weit harmonisieren. 148 Kontingenzmodell Optimierungsanbieter Logistikdienstleister, die umfangreiche Gestaltungsaufgaben für Mandanten wahrnehmen, kann man als Optimierungsanbieter bezeichnen. Zu ihrem Leistungsspektrum gehören u.a. die Verbesserung von Prozessen und Logistiknetzwerken sowie die Weiterentwicklung von IT, Logistiktechnologien und Verpackungen. Falls beide Seiten besonders intensiv zusammenarbeiten, kann man von einer Entwicklungspartnerschaft sprechen. Heute ist dieses Geschäftsmodell noch nicht häufig anzutreffen. Es ist jedoch zu erwarten, dass bei einem anhaltend hohen Innovationstempo in der Logistik manche Unternehmen zur kooperativen Entwicklung übergehen werden. Im Laufe der Einarbeitung und der eigentlichen Entwicklungsprojekte investiert der LDL in beziehungsspezifisches Wissen über die Produkte, Prozesse und zugrundeliegenden Technologien des Mandanten. Um sich erfolgreich als Optimierungsanbieter zu positionieren, müssen LDL ihre logistische Grundlagenforschung intensivieren, um einzigartiges, firmenspezifisches Wissen zu kreieren. Aufgrund der weitreichenden Kompetenzen für den LDL bietet neben dem Vertrag auch das Joint Venture eine bedeutsame Alternative für die Governance. Houston und Johnson (2000, S.3) sehen drei treibende Faktoren für vertikale Joint Ventures. Erstens steigt mit den spezifischen Investitionen des LDL die Wahrscheinlichkeit eines Joint Ventures. Ein Vertrag bietet zu wenig Schutz gegen einen Wissensabfluss zum Mandanten und keine Garantie für eine adäquate Verzinsung der vom LDL getätigten Investitionen in Wissen. Joint Ventures hingegen sind tendenziell mit höherer Kontinuität und niedrigerem Opportunismus verbunden, weil es auf beiden Seiten zu Investitionen also Sunk Costs kommt. Beide Seiten können das Gemeinschaftsunternehmen und damit auch die eingesetzten Wissensressourcen wirksam kontrollieren. Nachteilig sind jedoch die hohen Administrationskosten. Zweitens steigt die Wahrscheinlichkeit eines Joint Ventures, je schwieriger eine vertragliche Zielharmonisierung ist. Im Joint Venture hat der LDL stets einen Anreiz für gute Performance, da sein Ergebnis vom Ergebnis des Gemeinschaftsunternehmens abhängt. Drittens existiert eine negative Korrelation zwischen der Reputation des LDL und der Governance durch ein Joint Venture. Laut Houston und Johnson wird im Joint Venture die Rolle, welche Reputation in Verträgen spielt, durch Zielharmonisierung und Monitoring ersetzt. Im Falle einer vertraglichen Regulierung macht es Sinn, verschiedene Entlohnungsmechanismen zu kombinieren. Für die Entwicklung und Implementierung neuartiger Konzepte, welche in einem solchen Geschäftsmodell eine hohe Bedeutung haben, bietet sich bspw. Cost Kontingenzmodell 149 Plus Incentive Fee an. Aber auch erprobte Logistikkonzepte lassen sich in der Betriebsphase ständig weiterentwickeln. Anreize dafür schafft bspw. ein Gain-SharingAbkommen. Mandanten können eine enge Zusammenarbeit mit einem Optimierungsanbieter suchen, um den Wandel ihrer Logistikstrukturen voranzutreiben und die Leistungsfähigkeit ihrer Prozesse zu verbessern. Spezialisierte Entwicklungs- und Beratungseinheiten des LDL können für mehrere Mandanten arbeiten und dadurch Skalen- und Verbundeffekte erzeugen. Eine enge Logistikkooperation bietet die Möglichkeit, dass beide Parteien komplementäres Wissen kombinieren. Dadurch gelingt es im Idealfall, nachhaltige Wettbewerbsvorteile zu generieren und den Unternehmenswert zu steigern. Im Rahmen der Entwicklung liegt die grösste Herausforderung darin, das Eigentum von Wissen zu regeln und es vor unkontrolliertem Abfluss zu schützen. Bei anspruchsvollen Veränderungsprojekten besteht immer auch die Gefahr, dass deren Umsetzung misslingt. Die Rolle des Optimierungsanbieters konfrontiert LDL mit neuen Fragestellungen. Bspw. können aus seiner Involvierung in die Verpackungsentwicklung Haftungsfragen entstehen. Auch für die Entwicklung von Logistiksystemen gilt das Gesetz des abnehmenden Grenzertrags. Es ist schon häufiger vorgekommen, dass Mandanten nach grösseren Verbesserungserfolgen ein Insourcing vorgenommen haben. Ausserdem muss jedes Mal, wenn der Mandant seine Logistikstrategie grundlegend ändert, die Zusammenarbeit neu definiert werden. Das beschriebene Geschäftsmodell ist vor allem für Mandanten interessant, die ihre Logistik weiterentwickeln wollen und dabei Unterstützung benötigen. Eine erfolgreiche Positionierung eines LDL als Optimierungsanbieter setzt voraus, dass er über eine schlagkräftige FuE- und Beratungsabteilung verfügt. Er sollte proprietäre Technologien und Lösungen entwickeln, die er für einen proaktiven und wertorientierten Vertrieb nutzen kann. Ein strukturierter beidseitiger Wissensaustausch in der Geschäftsbeziehung verhindert Abhängigkeit und eine Free-Rider-Haltung. Wenn sich die Zusammenarbeit bewährt, kann sie mittelfristig zu einer Entwicklungspartnerschaft ausgebaut werden. 150 Fallstudien Fallstudien 151 4 Fallstudien 4.1 Vorgehensweise Das Outsourcing umfangreicher Mehrwertleistungen stellt eine komplexe Entscheidung für den Mandanten dar. Die Fallstudienmethode eignet sich besonders gut für die Untersuchung solcher Entscheidungsprozesse in Unternehmen. Mit der Methode lässt sich erforschen, wie das Phänomen Mehrwertleistung in seinen Kontext eingebettet ist, d.h. die Fallstudien beschreiben Status Quo und Trends für das Angebot und die Nachfrage von Mehrwertleistungen in ausgewählten Unternehmen. Darüber hinaus stellen sie dar, welche Mehrwerte und Risiken mit komplexen Logistikdienstleistungen verbunden sind und wie bestimmte Kontextfaktoren deren Nachfrage und Gestaltung beeinflussen. Dieses Vorgehen verfolgt das Ziel, Informationen aus der Praxis zu sammeln, um die Wissensbasis zum Thema „Mehrwertleistungen in der Kontraktlogistik“ zu erweitern. Aus den Fallstudien können Bedürfnisse der Mandanten abgelesen werden. Diese Erkenntnisse werden dann in Kapitel 5 für die Gestaltung aufgegriffen. „Fokusgruppe Kontraktlogistik“ Wissenschaftler und Vertreter führender KontraktlogistikUnternehmen Arbeitskreissitzungen und Interviewreihe mit LDL Zeitraum: März 2004 – April 2005 Empirische Diplomarbeiten im Themenbereich „Kontraktlogistik“ Betreuung von sechs Diplomarbeiten Interviewreihen mit LDL Zeitraum: März 2004 – Oktober 2005 Untersuchung „Mehrwertleistungen in der Kontraktlogistik“ Interviewreihe mit Mandanten Branchen: Automobil, Elektronik und High-Tech, Konsumgüter Zeitraum: Januar 2005 – April 2005 Abbildung 34: Zeitplan der Interviewreihen Für diese Arbeit wurden drei Interviewreihen mit Mandanten und LDL durchgeführt, so dass sie beide Perspektiven – Nachfrage und Angebot – berücksichtigt (vgl. Abbildung 34). Die Wirtschaftspresse, Kongresse und persönliche Kontakte wurden dazu genutzt, um Beispiele für anspruchsvolle Mehrwertleistungen und geeignete In- 152 Fallstudien terviewpartner in den entsprechenden Unternehmen zu identifizieren. Anfragen per eMail und Telefon führten zu einer hohen Zusagequote, welche die Aktualität des Themas bestätigt. Im Laufe des Forschungsvorhabens hat der Autor 36 Interviews davon 21 bei LDL und 15 bei Mandanten - geführt. Mit den Interviewpartnern wurden jeweils 1-2 Gespräche, die ca. 60-90 Minuten dauerten, geführt. Ein semi-strukturierter Fragebogen bestehend aus allgemeinen Fragen zu Mehrwertleistungen sowie Fragen zu einem konkreten Projektbeispiel führte durch das Gespräch (vgl. Kapitel 7.2). Aufgrund des explorativen Charakters des Forschungsvorhabens wurden im Gesprächsverlauf Fragen flexibel ergänzt. Logistik-Outsourcing stellt für die meisten Unternehmen ein sensibles Thema dar. Daher wurden die Fallstudien in anonymisierter Form verfasst. Die gewählte Darstellung ermöglicht es, für Wissenschaft und Praxis interessante Muster herauszuarbeiten, ohne vertrauliche Informationen preiszugeben. Die Struktur der Fallstudien orientiert sich weitestgehend an dem Kontingenzmodell aus dem vorigen Kapitel. Die Auswahl der Fallstudien aus der Grundgesamtheit aller durchgeführten Interviews erfolgte basierend auf folgenden Kriterien und Überlegungen: Kundenorientierung. Die Fallstudien nehmen bewusst die Mandantenperspektive ein, um die aktuellen und zukünftigen Kundenbedürfnisse bzgl. logistischer Mehrwertleistungen präzise abzubilden. Auf dieser Informationsgrundlage können dann in Kapitel 5 fundiertere Gestaltungsempfehlungen für LDL gegeben werden. Vergleichbarkeit. Um verwertbare Erkenntnisse über Ähnlichkeiten oder Unterschiede zwischen den Fallstudien herauszuarbeiten, ist es sinnvoll, auf wenige Branchen zu fokussieren. Progressive Branchen. Es stellt sich die Frage, welche Sektoren für die Vergabe von informationsbasierten und physischen Mehrwertleistungen prädestiniert sind. Straube (2004, S.210ff) stellt fest, dass einige Merkmale der Automobil- und Elektronikindustrie darauf hindeuten, dass sie bei der Nachfrage von informationsbasierten Mehrwertleistungen eine Vorreiterrolle einnehmen werden. Sie sind gekennzeichnet durch eine „Fragmentierung von Beschaffungs- und Produktionsnetzen“, hohe Folgekosten bei einer Nichteinhaltung von Zeithaushalten und ein hohes Gewicht von Logistikkosten innerhalb der Gesamtkosten. Der Autor ermittelt das Marktpotenzial von informationsbasier- Fallstudien 153 ten Mehrwertleistungen, indem er die Komplexität der Logistik – die mit dem möglichen „Optimierungsbeitrag“ korreliert – und die Outsourcing-Neigung des Mandanten abschätzt und in einer Matrix gegeneinander aufträgt. Repräsentativität. Die Fallstudienunternehmen können nach wirtschaftlichen und technischen Gesichtspunkten als für ihre Branchen repräsentativ angenommen werden. Sie verfügen jeweils über eine bedeutende Wettbewerbsposition und ein Produktportfolio, dass auf repräsentative Logistikprozesse und netzwerke hindeutet. Breite und Tiefe. Vier Fallstudien ermöglichen eine in Breite und Tiefe ausgewogene Darstellung der Einzelfälle sowie einen Quervergleich. Im Gegensatz zur Einzelfallstudie lässt sich so ein breites Spektrum von Mehrwertleistungen und Geschäftskontexten abdecken. Die Fälle wurden bewusst so ausgewählt, dass sie die unterschiedlichen Ausprägungen des Kontingenzmodells möglichst vollständig abdecken. Ein solches Mehrfallstudiendesign bezeichnet Yin (2003, S.47) als „theoretical replication“. Im Gegensatz dazu werden bei der „literal replication“ ähnliche Fallstudien untersucht. 154 Fallstudien 4.2 Automobilunternehmen Alpha Ausgangssituation Alpha ist ein europäisches Automobilunternehmen. Sie entwickelt, produziert und vertreibt zahlreiche Modellreihen. Die Autos von Alpha geniessen weltweit ein ausgeprägtes Qualitätsimage. Ähnlich wie bei den Wettbewerbern wurde in den letzten zehn Jahren das Modellspektrum ausgeweitet und die Internationalisierung des Produktionsnetzwerkes vorangetrieben. Im gleichen Zeitraum wurde verstärkt Outsourcing von Fahrzeugmodulen und -systemen sowie Logistikdienstleistungen praktiziert.65 „Da gab es zwei Bewegungen. Die eine Denkschule ging dahin: Lass uns die Pakete so gross wie möglich schnüren, komplette Umfänge reinpacken und an einen Partner rausgeben, damit wir es nur mit einem Vertragspartner zu tun haben. Die Erfahrung hat uns gelehrt, dass es diesen einen Dienstleister, der das alles kann, schlicht nicht gibt. Entweder er hat mit dem Transport ein Problem oder mit dem Lager oder mit der IT. (...) Dann sind wir wieder zurückgerudert und haben gesagt, jetzt paketieren wir die Dinge.“ In einem ausländischen Werk hatte man die komplette Inbound-Logistik an einen LLP vergeben. Dieses Vorgehen brachte nicht den erwarteten Erfolg, vor allem weil der LLP Defizite beim automobilspezifischen Prozessverständnis aufwies. LogistikOutsourcing blieb trotzdem ein anhaltender Trend bei Alpha. Mit der Vergabe von Teilprozessen anstatt ganzer Prozessketten verfolgte Alpha nun einen modifizierten Ansatz. In dieser Fallstudie werden zwei Logistikprojekte, bei denen Mehrwertleistungen eine wichtige Rolle spielen, exemplarisch dargestellt: die CKD-Versorgung eines Werkes in Asien und die Bandbereitstellung für ein neues europäisches Werk. Alpha möchte in Asien kundennah produzieren. Dafür werden die Bauteile überwiegend aus Europa zugeliefert, weil Werkzeuge sehr teuer sind und das Werk in Asien daher nicht über ein eigenes Presswerk verfügt. Im Falle der Bandbereitstellung handelte es sich um eine klassische Grüne-Wiese-Situation, weil das Werk neu errichtet 65 Diese Fallstudie basiert auf einem Interview mit Alpha am 08.03.2005. Fallstudien 155 wurde. Alpha verfügte also über hohe Gestaltungsfreiräume hinsichtlich sämtlicher Parameter wie bspw. Logistikkonzept, IT, Fördertechnik und Personal. Handlungsdruck Beide Projekte sind sich bezüglich ihrer Entscheidungsoptionen und Zielsetzungen ähnlich. Alpha musste in beiden Fällen entscheiden, ob sie für die Aufgaben eigene Personalkapazitäten aufbaut oder diese versorgungskritischen Aufgaben an einen LDL fremd vergibt. Die Expansion in neue Geographien oder Produkte ist üblicherweise mit umfassenden Risiken verbunden. Alpha untersuchte, wie sie Investitions- und Absatzrisiken sowie Länderrisiken begrenzen konnte. Die Aufgaben waren ausserordentlich personalintensiv bei gleichzeitig hohen Arbeitskosten in Europa. Darüber hinaus lagen sie ausserhalb der eigenen Kernkompetenzen. Vor diesem Hintergrund überlegte Alpha, wie sie eine schlanke und flexible Lösung schaffen konnte. Lösungskonzept Bei Alpha folgte man der Leitlinie, keine internen Kapazitäten für Aufgabenumfänge der physischen Logistik, die nicht direkt mit dem Automobilbau verbunden sind, neu aufzubauen. Sie vergab also in beiden Fällen abgerundete Prozesse an qualifizierte LDL. Der Prozessumfang ergab sich aus dem Prinzip, Performance-Abweichungen möglichst eindeutig einem Verursacher zuordnen zu können. Beim CKD-Prozess werden Autos als vollständige Bausätze verpackt und in Containern zu einem Werk in Übersee verschifft. Um die Raumnutzung zu optimieren, werden jeweils gleiche Teile zusammen mit Holz- oder Pappverpackungen versehen und verstaut. Die Aufgaben entlang der CKD-Prozesskette sind auf mehrere Parteien verteilt. Transportdienstleister liefern die Teile im CKD-Standort an. Dort wird von einem CKD-Dienstleister überprüft, ob die gelieferten Teile mit den Vorgaben übereinstimmen. Karosserieteile werden durch einen Sprühnebel ölkonserviert und dann verpackt. Ungenauigkeiten im CKD-Prozess werden aufgrund langer Transportwege meist spät entdeckt und haben daher dramatische Auswirkungen. „Wir hatten es, dass ein Fusshebelwerk für einen Rechtslenker mit den Teilen eines Linkslenkers verpackt wurde. Die haben dann angefangen zu montieren und 156 Fallstudien irgendwann haben sie gemerkt, dass sie ein Auto haben wo die Lenksäule links und das Fusshebelwerk rechts ist.“ Mehrere Reedereien bringen die Container nach der Verpackung und Lagerung nach Asien. Wenn an der Destination Fehlkommissionierungen oder Transportbeschädigungen festgestellt werden, muss eine schnelle Nachlieferung per Flugzeug erfolgen. Im Empfängerwerk führt Alpha dann Rohbau, Lackierung und Endmontage durch. Die Steuerung des CKD-Prozesses durch Packaufträge liegt bei Alpha. Sie ist stark mit anderen Prozessen und Informationssystemen von Alpha vernetzt, so dass eine Fremdvergabe sehr schwierig wäre. Eine Zentralabteilung plant das Produktionsprogramm, indem festgelegt ist, welches Werk wann welches Modell fertigt. Dabei sind für CKD-Märkte üblicherweise die technischen Varianten (Motorisierung und Sonderausstattung) und farblichen Varianten eingeschränkt, um die Komplexität besser zu beherrschen. Danach werden ebenfalls zentral die Stücklisten aufgelöst und konkrete Packaufträge für CKD generiert. Im Fall der Bandbereitstellung hat Alpha einen „ungewöhnlichen“ weil besonders versorgungskritischen Umfang fremd vergeben. Das Teilespektrum weist unterschiedliche Muster hinsichtlich Verbau- und Ausschussraten auf. Dementsprechend mussten unterschiedliche Regelkreise für die Auslösung der Bandbereitstellung aufgebaut werden. Wenn ein rotes Auto auf das Band gesetzt wird, dann folgt daraus, dass nach einer bestimmten Taktzahl zwei rote Aussenspiegel benötigt werden. Für solche Teile wird ein vollautomatischer Regelkreis verwendet. Wenn bei Teilen bspw. ein hoher Ausschuss auftritt und dieser nicht entsprechend verbucht wird, dann kann der Bestand am Band nicht korrekt vom System mitgerechnet werden. In diesem Fall ist eine manuelle Überwachung und Auslösung angebracht. Diese manuelle Steuerung nimmt der LDL vor. Er schaut in die Behälter und schätzt ab, wie lange der Bestand noch reicht und wann er abrufen muss. Eine Zwischenform liegt vor, wenn das System einen theoretischen Verbrauch mitrechnet und der LDL trotzdem überprüfen muss, ob der berechnete Bestand tatsächlich vorhanden ist. Sperrige Teile werden an den Andockstellen von LKW-Anhängern entladen und mit Gabelstaplern direkt an das Band gefahren. Dazu gehören bspw. Stossfänger und Auspuffanlagen. Die Versorgung aus dem Lager erfolgt über ein fahrerloses Transportsystem. Das System lässt die vollen Behälter an vordefinierten Punkten stehen. Von dort Fallstudien 157 zieht der Mitarbeiter des LDL sie an das Band. Umgekehrt zieht er leere Behälter zurück zur Spur, wo sie automatisch wieder aufgenommen werden. „So wie wir den Prozess jetzt gestaltet haben, ist ganz sicher (der LDL) schuld, wenn am Band nicht der richtige Behälter steht. Es mag sein, dass es unser System vermurkst hat, aber das kann man nachvollziehen. Wenn menschliches Versagen vorliegt, dann war es (der LDL).“ Vergabe weiterer Mehrwertleistungen Es ist aufschlussreich, welche Erfahrungen Alpha mit der Vergabe von Mehrwertleistungen neben der Bandbereitstellung und dem CKD gesammelt hat und welche Einstellungen daraus resultieren. Dies wird nachfolgend dargestellt, wobei die Leistungen nach den logistischen Flüssen strukturiert werden. Materialfluss. Für die Vergabe von Mehrwertleistungen in der Inbound-Logistik durch einen OEM ist entscheidend, wie stark er selber die Prozessgestaltung und Dienstleisterauswahl im Lieferantennetzwerk vorgibt. Für das neue Werk hat Alpha folgende Leitlinien ausgegeben. Für Teileumfänge, bei denen die Produktion über Lager versorgt wird, bestimmt Alpha den Prozess und den Dienstleister. Sie hat ein Versorgungszentrum errichtet, bei dem der physische und administrative Wareneingang sowie die Kommissionierungs- und Sequenzierungsfunktion fremdvergeben wurde. Bei Systemen, für die umfangreiche Vormontagen erforderlich sind, wird in dem neuen Werk nicht auf das klassische Industriepark-Konzept zurückgegriffen. Alpha lässt den Lieferanten Freiräume, wie sie den Logistikprozess bei sich gestalten und durch welche Partei sie ihn durchführen lassen. „Ich persönlich meine, (mit dem Industriepark-Konzept) binde ich mir nur Probleme ans Bein. Wenn der LDL nicht funktioniert, sagt der Lieferant: Das ist euer LDL. Ihr habt gesagt, ich muss den nehmen. Oder wenn die beiden nicht miteinander klarkommen, weil der Lieferant bspw. alle Schäden auf den LDL abdrückt. (...) Er darf es so machen wie er es am besten findet. Dafür haben wir Zulieferer und machen die Leistung nicht selber.“ 158 Fallstudien Das Thema Behältermanagement trennt Alpha in einen operativen und einen konzeptionellen Teil. Der operative Teil ist personalintensiv und wurde in dem neuen Werk fremdvergeben. Durch die Gestaltung von Behälterkreisläufen, bspw. für Gitterboxen, hebt Alpha enorme Effizienzpotenziale. Dafür hat sie ein werksübergreifendes Team aufgebaut. Informationsfluss. Full-Service-Dienstleister möchten für ihre Mandanten auch das Design von logistischen IT-Systemen übernehmen. In der Automobilindustrie findet man meistens eine Vielzahl von interdependenten IT-Systemen vor. Häufig handelt es sich um proprietäre Systeme, was das Verständnis für Aussenstehende erschweren. Oben wurde bereits dargestellt, dass bspw. die Bandbereitstellung durch mehrere Prozessvarianten geregelt wird. Wenn ein LDL die Steuerung vollständig übernimmt, dann müsste er diese Prozesse in seinen Systemen abbilden und komplexe Schnittstellen zu vielen Systemen von Alpha bauen. Das wäre extrem aufwändig und „praktisch nicht umsetzbar“. Zudem ergäben sich für Alpha hohe Wechselkosten bzgl. des LDL. Offensichtlich gibt es für das IT-Design hohe Eintrittsbarrieren in der Automobilindustrie. Alpha ist dazu übergegangen, den LDL die notwendigen Systeme zur Verfügung zu stellen. Die Planung von Beständen und Transporten wird immer wieder als attraktives Betätigungsfeld für LDL genannt. Bei Alpha wird die Disposition von direkten Produktionsteilen als Kernprozess angesehen, der intern durchgeführt wird. Anders ist es bei indirekten Materialien bspw. Verpackungen im CKD-Prozess, die vom LDL disponiert werden, weil er den Verbrauch besser überblicken kann. Die strategische Planung von Transportströmen führt Alpha im Rahmen von Ausschreibungen in regelmässigen Intervallen durch. Sie vergütet die Transporteure überwiegend nach festen volumenbasierten Sätzen. Daher haben die Transporteure ein Eigeninteresse, durch operative Transportplanung die Effizienz zu verbessern. Dafür werden sie nicht separat vergütet. Ein LLP hat für Alpha die Inbound-Logistik eines Auslandswerkes gesteuert. Aus den Erfahrungen, die man dabei gesammelt hat, leitet der Interviewpartner die Frage ab, inwiefern ein LDL in einem komplexen Umfeld ein aktives Störungsmanagement für den Mandanten betreiben kann. „Stellen sie sich vor, der Lieferant hat einen Abruf bekommen und liefert nicht, weil er Werkzeugbruch hatte. Wer ist in der Lage zu entscheiden, was da jetzt gemacht wird? Vielleicht haben wir noch 10 Behälter von dem Teil im Lager. Fallstudien 159 Oder wir sagen, es brennt, wir haben kein Teil mehr und das Teil ist im Produktionsprozess kritisch. Wir schicken dem einen Hubschrauber, der die nächsten fertigen Teile abholt. Der Externe müsste verstehen, wie unser Produktionsprozess funktioniert und was kritisch ist.“ Um fundierte Entscheidungen zu treffen, benötigt der LDL eine umfassende Informationsbasis, für die er zahlreiche IT-Systeme integrieren müsste. Eigentlich sollte der LLP den Mandanten operativ entlasten. Tatsächlich führte er im Falle einer Lieferverzögerung nur eine erste Nachfrage durch. Dadurch konnte er zumindest feststellen, ob Werkzeugbruch, Probleme bei der Datenübertragung oder ein fehlender Lieferabruf die Verzögerung beim Lieferanten verursacht hat. Die Störungsbewältigung erfolgte dann wieder durch Alpha, auch weil sie über die erforderliche Durchsetzungskraft verfügt. Finanz- und Rechtefluss. Alpha nimmt für die Finanzierung von Beständen keine LDL in Anspruch. Vertragsmanagement als Leistungspaket bestehend aus Beschaffungsmarktforschung sowie Auswahl, Verhandlung und Vertragsschliessung mit Subdienstleistern zu vergeben, hat Alpha einmal erprobt. Sie hat das Fazit gezogen, dass sie für eine Leistung eine festgelegte Rate bezahlen möchte. Wenn ein LDL einen Subdienstleister einschaltet, dann soll er neben der Leistungs- auch die Kostenverantwortung tragen. Sollte er sich dabei verkalkulieren, dann muss er aus Sicht von Alpha auch die Verluste tragen. Aus diesem Grund ist es unwahrscheinlich, dass die Dienstleistung Vertragsmanagement in der nächsten Zeit genutzt wird. Auswahl von LDL Der Auswahlprozess eines LDL kann in die Phasen Planung und Ausschreibung untergliedert werden. Die Vergabe komplexer Umfänge wird sorgfältig geplant und konzipiert. Dieser Vorgang kann mehrere Monate dauern. Im Falle von CKD und Bandbereitstellung hat Alpha Referenzprojekte besucht, die aber extrem selten und häufig weniger anspruchsvoll waren. Alpha erstellt in der Planungsphase ein detailliertes Leistungsverzeichnis, aus dem der LDL wichtige Informationen für die Kalkulation entnehmen kann. Dazu gehören bspw. Layouts und Spezifikationen von Gestellen. Sie gibt dem LDL das Konzept weitestgehend vor, weil sie ihm sonst grosse Informationsmengen als Planungsgrundlage zur Verfügung stellen müsste. Um die Angebote der LDL zu bewerten, erstellt Alpha zudem eine „Schattenkalkulation“, die die Pro- 160 Fallstudien zesskosten einer internen Erbringung darstellt. Damit liegen unterschriftsreife Vertragsunterlagen bei Alpha frühzeitig vor. Die Resonanz auf Ausschreibungen von Alpha ist hoch. Üblicherweise nimmt eine zweistellige Anzahl von LDL teil. Offensichtlich zählen viele LDL die Automobilindustrie zu ihren Zielbranchen. Die Longlist verkürzt sich recht schnell, weil Anbieter sich zurückziehen oder mit ihrer Kalkulation deutlich über der Schattenkalkulation liegen. Wenn die Kandidaten in einem angemessenen Rahmen unter der internen Kalkulation liegen, haben sie gute Chancen, auf die Shortlist zu kommen. Danach geht es darum, dass Prozessverständnis der LDL zu überprüfen und Unplausibilitäten zu eliminieren. „Bei der Bandversorgung hatten wir phantastische Vorschläge, wie viele Leute das ans Band schieben. Einer hatte einen Mann vorgesehen. Er fängt hier oben an und schiebt immer einen Behälter nach dem anderen ans Band. Dann haben wir aber gesagt, die Behälter werden alle zu unterschiedlichen Zeiten leer. Der muss dann gucken, was leer wird. (...) Dann muss jemand einen 500 m Sprint hinlegen, um zu sehen, wo leere Behälter sind. Der bräuchte Inline-Skates. Die meisten werden schnell teurer. Preis und Haftungsbedingungen sind die häufigsten Verhandlungspunkte. Der LDL braucht ein tiefes Prozessverständnis, um ein attraktives Angebot zu kalkulieren. Dabei muss er die Lernkurven, die aus einer wiederholten Prozessdurchführung resultieren, berücksichtigen. Alpha formuliert in ihren Verträgen bewusst „harte“ Haftungsbedingungen, weil sie darüber sicherstellt, dass hinterher die Qualität stimmt. Dadurch wird bspw. bei CKD ein Anreiz geschaffen, die Teileprüfung und -kommissionierung sorgfältig durchzuführen. Integration von Mandant und LDL System- und Prozessebene. Für den CKD-Prozess hat der LDL eine Anlage zur Konservierung von Karosserieteilen von Alpha für einen sechsstelligen Betrag gekauft. Die Abschreibung der Anlage ist in der monatlichen Basisvergütung enthalten, so dass der Kaufpreis über die Laufzeit vergütet wird. Nach den International Accounting Standards (IAS) muss Alpha in einer solchen Konstellation den Vermögensgegenstand im Anlagevermögen ausweisen. Folglich war nicht die Optimierung bilanzieller Kennzahlen, sondern die Vergabe eines abgerundeten Prozesses, Treiber des Vorgehens. Fallstudien 161 Wenn es zu Störungen der Anlage kommt, dann wird nicht über die Verursachung gestritten, sondern es ist klar, dass der LDL die Wartung nicht richtig durchgeführt hat. Im Falle der Bandbereitstellung kommt der LDL mit wenigen spezifischen Investitionen aus. Er investiert hauptsächlich in Personal und Gabelstapler, wohingegen Alpha eine vollständige Werks- und Lagerumgebung inklusive Grundstück, Immobilie, Regalen, Lagerautomation und IT-Systemen bereitstellt. Geschäftsebene. Für die Übernahme der Bandbereitstellung muss der LDL kurzfristig in grösserem Umfang Personal einstellen und diesem Kenntnisse über mandantenspezifische und branchenspezifische Zusammenhänge vermitteln. Seine Mannschaft besteht dabei aus unterschiedlichen Rollen, die eigene Qualifikationsprofile aufweisen und jeweils über einen Gegenpart bei Alpha verfügen. Der Standortleiter ist für grundsätzliche Fragen und Probleme zuständig. Er ist ein hochqualifizierter Logistikexperte, der umfangreiche Projekt- und Führungserfahrung gesammelt hat. „Das sind Leute, die haben so etwas schon dreimal anlaufen lassen und die wissen, was da schief gehen kann.“ Darunter gibt es mehrere Schichtführer für die Funktionsbereiche wie Wareneingang oder Bandbereitstellung. Sie lösen die im Tagesgeschäft auftretenden operativen Probleme. Wenn bspw. ein EDV-System ausgefallen ist, schichten sie Ressourcen um, damit der Prozess manuell überwacht werden kann. Darunter gibt es in der Kontraktorganisation noch Teamleiter und Teammitglieder. Der LDL steht vor der Herausforderung, seiner Mannschaft das erforderliche spezifische Wissen schnell und effizient zu vermitteln, damit der Kontrakt reibungslos anläuft. Alpha fordert, dass die Experten früh an Bord sind und sich von ihr schulen lassen. Danach sollen sie in ihrer Mannschaft das erworbene Wissen systematisch weitergeben. Je spezifischer das Wissen ist, desto weniger kann Alpha erwarten, dass der LDL darüber verfügt. Bei proprietären IT-Systemen muss er mehr schulen als bei SAP-Systemen. Je mehr der LDL über die Automobilbranche und über Alpha weiss, desto weniger muss er trainieren und desto enger kann er kalkulieren. Umgekehrt folgt für Alpha, dass sie Mehrwertleistungen so gestalten sollte, dass sie minimalen Trainingsaufwand erfordern, damit die Wechselkosten niedrig bleiben. Die Vergütung der Leistungen des LDL ist nicht ausschliesslich transaktionsorientiert, weil der LDL für Alpha spezifische Ressourcen bereitstellt. Standortleiter und andere Experten müssen ständig verfügbar sein, auch und gerade wenn Volumina bspw. durch 162 Fallstudien Produktionsänderungen heruntergefahren werden. Ausserdem fallen die Abschreibungen bspw. der Konservierungsanlage im CKD-Prozess unabhängig vom Volumen an. Diese Bestandteile werden üblicherweise in eine fixe monatliche Basisvergütung eingerechnet. Die einzelnen Handling-Vorgänge im Rahmen der Bandbereitstellung werden dann transaktionsorientiert vergütet. Bei der Gestaltung des Entlohnungsschemas folgt Alpha der Leitlinie, dass die Aufwandsmessung eine aufwandsgerechte Entlohnung bei möglichst geringen Messkosten gewährleisten soll. „Es ist so, dass wir uns auf möglichst wenige Zählpunkte beschränken. Der schönste Punkt, um die Leistung zu zählen, ist die Übergabe vom Lager ans Band. Danach kann ich sowohl die Auslagerung aus dem Lager vergüten wie auch die Bereitstellung am Band. Eigentlich muss es nicht sein, dass ich den Wareneingang im Lager noch mal vergüte. Denn eigentlich habe ich, wenn ich das über die Auslagerung bezahle, nur einen Zeitversatz, aber ich erwische die Behälter 1:1.“ Alpha bevorzugt einen Anbieterwettbewerb gegenüber exklusiven One-StopShopping-Beziehungen. Dieser Wettbewerb ist jedoch nicht in jedem Kontext möglich. Bspw. hat man die Bandbereitstellung an den gleichen LDL wie das Versorgungszentrum vergeben, damit sich nicht zwei Parteien die Schuld für Störungen gegenseitig zuschieben. Ähnliches gilt für den CKD-Prozess. Alpha setzt bei unabhängigen Prozessen mehrere LDL ein, weil sie dann an einem Standort über ein Backup und ein Benchmark verfügt. Alpha setzt für die Bandbereitstellung und das CKD externe Dienstleister ein, um für sich selber die Expansionsrisiken zu begrenzen. Daher war es ihr wichtig, im Vertrag eine Ausstiegsklausel aufzunehmen, die es ihr erlaubt, sich aus dem Vertrag mit dem LDL herauszukaufen, wenn die Volumina deutlich unter den Erwartungen bleiben. Potenziale und Risiken Bei der Entscheidung hat Alpha gegen den Aufbau eigener Personalkapazitäten und für die Fremdvergabe versorgungskritischer Umfänge votiert. Dahinter standen zwei zentrale Motive. Für die interne Durchführung des physischen Materialflusses bis zur Bereitstellung am Band hätte Alpha über 100 neue Mitarbeiter einstellen müssen. Das Risiko, dass das Fallstudien 163 neue Modell den Absatzplan verfehlt, teilt Alpha nun mit dem LDL. Durch die Gestaltung der Ausstiegsklausel und der Kompensationszahlungen für den LDL kann Alpha den finanziellen Schaden für sich begrenzen. Die Lohnkostenarbitrage ist das zweite Argument für die Fremdvergabe. Externe Dienstleister können bestimmte Aufgaben um bis zu 30% kostengünstiger erbringen, weil ihre Mitarbeiter anderen Entlohnungsmodellen unterliegen als ihre Kollegen bei OEMs. Die Mitarbeiter des LDL erhalten meistens einen niedrigeren Stundenlohn als die des OEM. Gleichzeitig stehen sie u.U. für eine höhere Wochenarbeitszeit zur Verfügung oder können flexibler bei Belastungsspitzen für Überstunden eingesetzt werden. Auch die freiwilligen Sozialleistungen mancher OEMs sind in der LDL-Branche geringer. Bei der Fremdvergabe von Mehrwertleistungen gibt es theoretisch eine Vielzahl von Gründen, warum Prozesse nicht wie geplant ablaufen. Weil Alpha seine LDL sorgfältig auswählt, gut einarbeitet und mit hohem Schadenersatz Anreize gegen schlechte Leistungen schafft, hat sie bisher wenige Negativerfahrungen gesammelt. Der LDL kann über effektive Führung seine Mannschaft zu Disziplin anleiten und dadurch Qualitätsrisiken deutlich senken. Wenn der LDL Fehler bei der Kommissionierung bzw. Bandbereitstellung macht, dann wird es relativ schnell aufgedeckt. Alpha arbeitet hier mit einem pauschalen Schadenersatz. Sie musste ihn bisher kaum einfordern, weil der LDL sich gut in die Prozesse eingelebt hat und sehr gute Fehlerraten erreicht. Der CKD-Prozess ist anders gelagert, weil Teile per Luftfracht nachgeliefert werden müssen und Fehler damit dramatischere Kostenkonsequenzen haben. Alpha betont, dass die meisten Fehler vermieden werden können, wenn der LDL diszipliniert die Teileidentität vor der Verpackung prüft. Im CKD-Prozess arbeitet Alpha nicht mit einer Pauschale, weil der Schaden stark schwanken kann. Der Betrag errechnet sich als der Wiederbeschaffungswert am Ort, an dem der Schaden festgestellt wurde. Im schlechtesten Fall muss der LDL also die Kosten für Luftfracht und Verzollung übernehmen. Wenn die Leistungserbringung durch den Mandanten nicht ausreichend überwacht wird oder Probleme nicht schnell genug eskaliert werden, dann liegt ein Kontrollrisiko vor. Bei Alpha gab es einen Fall, dass der interne Verantwortliche einen Kontrakt trotz offensichtlicher Defizite hat anlaufen lassen. Er berichtete wiederholt, dass alles nach 164 Fallstudien Plan läuft, solange bis sich die Beschwerden der internen Kunden häuften. Alpha hat das Problem schnell in den Griff bekommen, indem sie die Person durch eine konfliktfähigere ausgetauscht hat. Verträge mit kapitalschwachen Tochtergesellschaften von LDL sieht man bei Alpha als potenzielle Risikoquelle an. Die Muttergesellschaft könnte die Tochter in die Insolvenz gehen lassen oder verkaufen, so dass man es plötzlich mit anderen Vertragspartnern zu tun hat. Daher schliesst Alpha die Verträge mit der Muttergesellschaft, holt Kreditauskünfte ein und prüft ggf. auch die Bilanz mit Hilfe der eigenen Finanzabteilung. Zwischenfazit Logistik-Outsourcing ist bei Alpha ein anhaltender Trend. Mittlerweile erbringen LDL sogar versorgungskritische Aufgaben in der Produktionslogistik. Alpha hat es geschafft, die Potenziale des Outsourcings zu realisieren und mögliche Gefahren effektiv zu unterbinden. Dies ist im Wesentlichen gelungen, weil sie im Vorfeld der Ausschreibung ein klares Leistungsverzeichnis mit abgerundeten Prozessen erstellt hat, sie den LDL in der Anlaufphase eng betreut und gesteuert hat und weil sie beim LDL Anreize für eine disziplinierte Leistungserstellung geschaffen hat. Dennoch fällt auf, dass die Fremdvergabe weitgehend auf den Materialfluss beschränkt bleibt. Alpha greift nicht auf Systeme der LDL zurück, sondern stellt eigene Systeme zur Verfügung. Offensichtlich stellen die Produkt- und Logistikkomplexität in der Automobilindustrie Eintrittsbarrieren für das Angebot informationsbasierter Mehrwertleistungen dar. Diese Barrieren erscheinen höher zu sein als in anderen Branchen. Für LDL folgen bezogen auf solche Leistungen zwei Kernbotschaften: Nur LDL, die konsequent und proaktiv an spezialisierten Angeboten für die Automobilindustrie arbeiten, werden in diesem Segment erfolgreich sein. Sie müssen in der Lage sein, den Mandanten einen deutlichen und umsetzbaren Mehrwert im Vergleich zur internen Erbringung anzubieten. LDL müssen gewohnte Denkmuster aus ihren traditionellen Geschäftsfeldern überdenken. Für komplexe Mandantenprozesse, wie Anlauf- und Änderungsmanagement, sind neuartige Kompetenzen erforderlich. Dafür muss das eigene Fallstudien 165 Kompetenzprofil durch erfahrene Wissensträger bspw. aus der Automobilbranche systematisch ergänzt werden. 166 Fallstudien 4.3 Elektronikunternehmen Beta Ausgangssituation Beta stellt elektronische Geräte für Geschäftskunden aus unterschiedlichen Branchen her. Die Kunden nutzen die Geräte lange und intensiv und sind auf deren Funktionsfähigkeit angewiesen. Daher sind die Lebenszykluskosten wichtig für die Kaufentscheidung. Neben den Anschaffungskosten berücksichtigen die Kunden auch planbare Wartungs- und Ausfallkosten in der Vergleichskalkulation. Eine reibungslose Versorgung der Kunden mit Ersatzteilen gewährleistet die Einsatzbereitschaft der Geräte, verhindert Ausfallkosten und stärkt Beta im Wettbewerb. 66 Mit den Kunden werden detaillierte Serviceverträge geschlossen, in denen die Reaktionszeiten genau spezifiziert sind. Dort wird bspw. festgehalten, ob eine Maschine innerhalb von 4 oder 24 Stunden repariert sein muss. Aus diesem Serviceziel und den Erfahrungen mit Geräteausfällen leitet Beta ab, welche Teile an welchem Ort im Servicenetzwerk vorgehalten werden. Eine verspätete Lieferung würde zu einer Vertragsstrafe führen und die Kundenzufriedenheit gefährden. „Was sich keiner erlauben kann ist, sich von allen Teilen ausreichend weltweit hinzulegen. Das ist unbezahlbar. Was hier wichtig ist, ist hochgradige Flexibilität in der gesamten Lieferkette und vor allem Transparenz über die Systeme.“ Spätere Cut-off-Zeiten bei der Abholung in den Lagerpunkten und verkürzte Lieferzeiten sind Hebel für eine verbesserte Flexibilität. Systemübergreifende Transparenz erreicht Beta dadurch, dass sie die bestandsführenden Systeme unterschiedlicher Länder integriert und somit eine Gesamtsicht erzeugt. Auf dieser Informationsgrundlage können die Disponenten die Ersatzteilbelieferung situativ optimieren. Sie prüfen mehrere Materialquellen wie Depot, Regionallager, Nachbarländer, Zentrallager und Lieferanten auf Verfügbarkeit und wählen die geeignete aus. Je nach Dringlichkeit wählen sie Regionallager, Depot, Techniker oder Kunde als Lieferort aus. Beta deckt mit einem mehrstufigen Distributionsnetzwerk die weltweite Ersatzteilversorgung ab. Das zentrale Weltlager befindet sich in Europa und wird intern bewirt- 66 Diese Fallstudie basiert auf einem Interview mit Beta am 16.02.2005. Fallstudien 167 schaftet. Fremdvergeben sind dagegen das Regionallager USA, die meisten weltweiten Landesläger und die darunter verankerten strategischen Depotnetzwerke. Die Läger in USA, Lateinamerika und Asien werden vom Weltlager aus per Luftfracht beliefert. In Europa werden die Kunden und Techniker per KEP-Dienst beliefert. Die Versorgung eines Technikers mit einem strategischen Teil67 erfolgt in zeitkritischen Situationen aus einem strategischen Depot in seiner Nähe. Basierend auf dem Gerätebestand in einem Land und dem Vergangenheitsbedarf legt der zentrale Service gemeinsam mit den Landesgesellschaften die Ersatzteilbestückung der strategischen Depots fest. „Strategisch ist ja oft so, dass man die haben muss, aber es bewegt sich nichts. Dann geben wir die Regel aus: ist es über 1000 €, sollte eins liegen, ist es unter 1000 €, sollten nicht mehr als zwei liegen. Überwachen wir auch und bitten dann um Rückführung, wenn die mehr haben.“ Der Nachschub in die europäischen Depots erfolgt automatisch basierend auf dem gemeldeten Verbrauch. Nach jedem Verbrauch wird automatisch ein Nachschubauftrag erzeugt und über Nacht ausgeführt. Die Bestände im Depotnetzwerk werden über vordefinierte Mindestbestände gesteuert. Die Zentralisierung von Beständen hilft, für einen vorgegebenen Servicegrad die Kapitalbindungskosten weiter zu senken. Daher werden alle Bestände, die über die Reichweite hinausgehen, aus den dezentralen Standorten abgeschöpft und in das Zentrallager zurückgeführt. Unkritische Aufträge vor allem aus Europa werden häufig direkt im Weltlager platziert und über Nacht ausgeliefert. Gegenüber einer Entnahme aus einem strategischen Depot können durch dieses Vorgehen vor allem Prozesskosten gespart werden. Anstatt zwei Lieferungen – vom Depot zum Kunden und der Nachschub vom Weltlager zum Depot – muss nur eine Lieferung administriert und ausgeführt werden. Die Ersatzteile werden in fünf sogenannte Sortimente klassifiziert. Die Geräte des Sortiments 1 werden noch produziert. Bei Sortiment 2 wurde die Produktion dagegen eingestellt aber es gibt noch Service im vollen Umfang. Ein Jahr vor Ablauf der festgelegten Servicezeit werden die Teile in das Sortiment 3 umklassifiziert. Nach dem Ende der Servicezeit bezeichnet Beta die Teile als Sortiment 4. Obwohl die offizielle Servicezeit abgelaufen ist, bemüht sich Beta im Rahmen von Kulanz um die Beschaffung 67 Ein Teil ist strategisch, wenn Geräte ohne das Teil nicht funktionieren. 168 Fallstudien solcher Teile. Erst wenn Sortiment 5 in Kraft tritt, werden die Teile im Zentrallager entsorgt. Die Länder können abweichend davon handeln. „Wenn sie ein neues Gerät entwickeln, dann haben sie da Platinen drin. Und wenn sich die Entwicklung über 2-3 Jahre hinzieht, dann können sie sich vorstellen, so schnelllebig wie die EDV ist, dass u.U. eine Zulieferfirma, bevor das Gerät überhaupt in der Produktion ist, uns schon auffordert, einen Last Buy zu definieren. Das stösst auf das Problem, dass keiner weiss, wie viel je von dem Gerät produziert werden wird. Last Buys sind für uns das grösste Problem in der Bestandsführung.“ Nicht benötigte Gutteile werden auf Basis einer globalen Bestandsanalyse identifiziert und monatlich ins Weltlager gegen Gutschrift zurückgeführt. Teure Defektteile werden sofort ins Weltlager zurückgeführt. Sie werden vereinnahmt und liegen solange auf Lager bis das Dispositionssystem einen Bedarf anzeigt. Daraufhin wird eine Reparatur beim Lieferanten oder in der eigenen Produktion veranlasst. Das gleiche Prinzip gilt, wenn die Landesgesellschaften sich entscheiden, Teile von Kunden zurücknehmen. Handlungsdruck Für die Ersatzteillogistik hält Beta eine moderne Infrastruktur in den Bereichen Fördertechnik und Informationstechnik bereit. Den umfangreichen Ressourcen des Anlagevermögens stehen rückläufige Aktivitätsvolumina gegenüber. Seit 5 Jahren ist die Anzahl der Pick-Vorgänge im Ersatzteilgeschäft jedes Jahr gesunken. Dieser Trend hat sich sogar verstärkt. Der Schwerpunkt in der Artikelstruktur hat sich in den letzten Jahren kontinuierlich von einfachen Teilen zu komplexen, kapitalintensiven Baugruppen verschoben. Nur ein geringer Prozentsatz der Artikel kann als Schnelldreher bezeichnet werden. Ein hoher Anteil hat sich in den letzten sechs Monaten gar nicht bewegt. Diese Entwicklungen erfordern ein Umdenken in der Ersatzteillogistik. „Wir sehen uns nicht in der Lage, das auf Dauer hier aufzufangen. Wir können unsere Kosten einfach nicht so anpassen. Der Kostenblock ist unveränderbar. Der wird durch immer weniger Aktivitäten gedeckt. Wir versuchen jetzt, einen zu finden, der, weil er schon andere Kunden hat, unser Geschäft mit übernehmen kann und dann Synergieeffekte für alle seine Kunden entwickeln kann.“ Fallstudien 169 Lösungskonzept Derzeit evaluiert Beta verschiedene Outsourcing-Szenarien. Prinzipiell lassen sich vier strategische Optionen unterscheiden. Es besteht die Möglichkeit, die Distribution von Ersatzteilen vollständig auf Teilelieferanten zu verlagern. Drei weitere Szenarien beziehen sich auf das Outsourcing an LDL. Beta vergibt entweder nur die physischen Aufgaben rund um das Weltlager oder im weitgehendsten Szenario vergibt sie auch die Bestandsdisposition und -finanzierung. Die kombinierte Vergabe von Aufgaben des Materialflusses und des operativen Informationsflusses stellt eine Zwischenstufe dar. Eine Verlagerung auf die Lieferanten wird aus mehreren Gründen nicht weiter verfolgt. Die Koordination von ca. 400 Lieferanten ist sehr schwierig. Sie verfügen nicht über gleichwertige IT-Systeme, um knappe Cut-off-Zeiten und schnelle Versandwege zu realisieren. Des Weitern gibt es Wissensdefizite in Bezug auf Warenverzollung. Das entscheidende Argument gegen ein solches Konzept ist jedoch, dass Ware nicht mehr konsolidiert beim Kunden ankommt. Allerdings wendet Beta dieses Konzept bei teuren Langsamdrehern erfolgreich an. Derzeit befindet sich Beta in einer grösseren SAP-Implementierung. Dieses Vorhaben wirkt sich auf die Evaluierung informationsbasierter Mehrwertleistungen und einen möglichen Zeitplan aus. Beta möchte bspw. nur einmal die umfangreichen ITSchnittstellen zum LDL programmieren. Das Szenario einer Vergabe der Bestandsdisposition von Ersatzteilen wird derzeit umfassend von Beta analysiert. In zahlreichen Gesprächen diskutieren Logistik, Kundenservice und Geschäftsführung die Vor- und Nachteile und versuchen das Konzept zu konkretisieren. Besonderes Gewicht legt Beta auf die Vertragsgestaltung. Sie möchte die Servicegrade präzise definieren und messen und den LDL für eine Schlechtleistung mit einer Vertragsstrafe belegen. Auswahl von LDL Die Zusammenarbeit mit Transportdienstleistern ist geprägt von einer kurzfristigen Auswahl des besten KEP-Anbieters auf einer Relation im Sinne eines „Cherry Pikking“. Diese Fähigkeit sichert höchste Servicegrade zu niedrigen Kosten und ist daher 170 Fallstudien eine Kernanforderung in der Auswahl des neuen Anbieters. Eine weitere Stärke ist die Konsolidierung von Sendungen über Geschäftsbereiche hinweg durch einen automatischen Adressenabgleich, wodurch Beta viel Geld einspart. „Wir wollen natürlich alles, was wir heute an guten Dingen haben, erhalten. Wir sind halt sehr stark auf der IT-Seite, weil wir vieles hier selbst entwickelt haben und wir haben noch keinen gefunden, der das so 1:1 abbildet. Die haben alle nur Teile davon. (...) Dann schauen wir uns die IT an. Wie kommen wir da zusammen? Wie passt das? Sind die Sachen, die bei uns heute Kosteneinsparungen bringen, auch bei ihm vorhanden oder kann man die kurzfristig für wenig Geld bei ihm einrichten?“ Das Ersatzteilgeschäft ist sensibel und es dauert lange, Reputationsschäden aufgrund verfehlter Servicegrade zu reparieren. Daher fordert Beta, dass die Anbieter ihr Erfahrungswissen aus ähnlichen Projekten durch Referenzen nachweisen. Der LDL kann die Kosten nur variabilisieren und senken, wenn es ihm gelingt, andere Parteien in das Zentrallager zu integrieren und eine Mehrbenutzerumgebung aufzubauen. Die Bereitschaft zu einem solchen Vorgehen ist bei Beta vorhanden. Beta sieht keine potenziellen Ressourcenkonflikte, weil ausreichende Kapazitätsreserven vorhanden sind. Die Übernahme von Personal von Beta ist ein weiteres Auswahlkriterium. Einige vor allem kleinere LDL sind dazu bereit, weil sie das vorhandene Wissen gerne integrieren möchten. Vergabe von Mehrwertleistungen Materialfluss. Derzeit führt Beta sämtliche stationären Logistikaufgaben rund um das Weltlager, wie Wareneingang, Lagerhaltung, Kommissionierung und Verpackung intern aus. Diese Aufgaben sollen an einen LDL übergeben werden, damit er den Standort skaliert und seine Auslastung optimiert. Informationsfluss. Je nachdem für welches Outsourcing-Szenario Beta sich entscheiden wird, übernimmt der LDL Aufgaben rund um Design, Planung, Fulfillment und Monitoring. Für die IT-Architektur sind drei Alternativen denkbar. Die Bereitstellung sämtlicher Systeme durch den LDL, die Übernahme der Altsysteme von Beta und Fallstudien 171 Mischformen daraus. Der Gesprächspartner bestätigt, dass die grossen LDL tendenziell eigene Lösungen anbieten und die kleineren LDL eher bereit sind, Systeme zu übernehmen. Manche haben bspw. drei Kunden in einem Standort und operieren für jeden ein unterschiedliches System. Beta würde auf die Weiternutzung der eigenen Systeme verzichten, wenn der gewählte LDL die Lösungsmerkmale garantieren kann, mit denen in der logistischen Abwicklung grosse Geldbeträge eingespart werden. Wenn Beta seine Ersatzteilbestände an einen LDL verkauft, dann wird sie auch die Planungs- und Dispositionshoheit übertragen. Die Disposition von Ersatzteilen ist jedoch eine anspruchsvolle Aufgabe, weil die Disponenten regelmässig vor der Entscheidung stehen, wie sie die Erstbevorratung (Initial Load) bzw. die Endbevorratung (Last Buy) von Ersatzteilen dimensionieren. Die Erstbevorratung ist schwierig, weil für neu auf den Markt kommende Geräte noch keine Erfahrungswerte - wie historische Bedarfsverläufe - vorliegen. Auf der anderen Seite müssen ab der Markteinführung Ersatzteile vorgehalten werden, da mit Ausfällen bspw. aufgrund von „Kinderkrankheiten“ gerechnet werden muss. Wegen der Schwierigkeit, den Markterfolg eines neuen Produktes vorherzusagen, besteht die Gefahr von Fehlmengen bzw. Überbeständen mit entsprechenden finanziellen Konsequenzen. Beta bündelt hier das Erfahrungswissen der Bereiche FuE, Produktion, Service und Marketing, um das Dispositionsrisiko effektiv zu managen. „Wenn sie jetzt anfangen, Geräte in den Markt zu verkaufen, dann müssen sie mit einem Geräteausfall rechnen. Gerade bei neuen Geräten hat man oft Kinderkrankheiten. Wenn sie jetzt keine Ersatzteile vor Ort haben, wie wollen sie das Gerät reparieren. Da können sie viel an Image kaputt machen. Das spricht sich herum und wird Auswirkungen auf den Absatz dieses Gerätes haben. Wenn ich in England in den nächsten 2 Monaten 100 Maschinen installiere, was könnte kaputt gehen und was brauche ich dafür vor Ort?“ In den letzten Jahren hat Beta die Integration seiner IT-Systeme vorangetrieben und damit seine Leistungsfähigkeit im Fulfillment deutlich gesteigert. Sie hat eine länderübergreifende Transparenz auf Bestände und kann kurzfristig den besten Transporteur auswählen. Dadurch erreicht sie eine sehr gute Lieferfähigkeit und Liefertreue in der Ersatzteildistribution. Darüber hinaus vergleicht Beta auch die von den LDL angebotenen Funktionalitäten rund um das Monitoring. Das bisher erreichte Niveau in den Bereichen Status-Tracking und Berichtswesen möchte sie mindestens halten. 172 Fallstudien Finanzfluss. Beta untersucht derzeit, welche Vor- und Nachteile die Übernahme von Bestandsmanagement und -finanzierung durch einen qualifizierten LDL hat. Es liegen diesbezüglich mehrere konkrete Angebote vor. Die Entscheidung ist aber noch offen, gerade weil die Geschäftsführung von Beta die Bestandsdisposition im Ersatzteilgeschäft als Kernkompetenz des Unternehmens ansieht. Die Bestandsübernahme durch den LDL ist mit einem Abschreibungsmodell verbunden. Je mehr Teile als „Non-Mover“ klassifiziert werden müssen, desto höher ist das Abschreibungspotenzial. Beta kann auswählen, ob die Bestandsabschreibung vor oder nach der Bestandsübernahme erfolgen soll. Daraus resultieren später entsprechend niedrigere oder höhere Transaktionspreise. Es ergeben sich drei Optionen. Entweder übernimmt der LDL die Bestände zu Buchwerten68 oder er wertet sie auf Basis eigener Analysen weiter ab oder er wertet sie auf, indem er die bereits vorhandenen Wertberichtigungen zurücknimmt. Die gewählte Variante hängt also davon ab, welches CashFlow-Profil Beta bevorzugt. Wenn sie vor der Übernahme auf eine Abwertung verzichtet, dann zahlt der Investor einen höheren Geldbetrag, den Beta für Investitionen in ihre Kernkompetenzen nutzen kann. Im Laufe der Zeit zahlt sie die Differenz in Form höherer Transaktionspreise wieder zurück. Der LDL und seine Finanziers kombinieren ihr Logistik-, Geschäfts- und Finanzwissen und verfügen über Analysewerkzeuge, die bei der Bestandsbereinigung helfen. Integration von Mandant und LDL Hinsichtlich der Preisgestaltung strebt Beta eine möglichst weitgehende Variabilisierung an. In der Ausschreibung forderte sie die LDL dazu auf, für Wareneingang, Pikken und Verpackung Preise auf Stückebene anzubieten. Die Variabilisierung von Kosten setzt voraus, dass der LDL die Logistik- und IT-Ressourcen im Zentrallager durch ein Pooling mehrerer Mandanten gleichmässig und hoch auslastet. Er greift entweder auf die spezifische Lösung von Beta zurück und findet zusätzliche Kunden, deren Anforderungen sich damit abbilden lassen, oder er bringt eine Segmentlösung für AfterSales-Logistik in der Elektronikindustrie mit, die mit wenig Aufwand auf individuelle Bedürfnisse angepasst werden kann. „Das ist eine offene Diskussion, die wir haben. Wir haben ja auch mit einem zusammengesessen, da war ein nächster möglicher Kunde schon mit am Tisch. (...) 68 Bereits vorhandene Wertberichtigungen werden berücksichtigt. Fallstudien 173 Der kam auch schon mit einem an, dem haben wir hier unsere Systeme gezeigt. Der war begeistert und hat gesagt, wenn ich da mit reingehe, dann möchte ich gerne Zugang zu diesen Systemen haben und bin auch gerne bereit, etwas dafür zu bezahlen.“ Potenziale und Risiken Mit der Vergabe des rückläufigen Ersatzteilvolumens transferiert Beta das Mengenrisiko auf einen LDL. Die Bündelung von mehreren Geschäften durch einen LDL bietet Beta die Möglichkeit, von Betriebsgrössenvorteile zu profitieren und die Aktivitätskosten in der Logistik zu senken. Durch das Outsourcing erreicht Beta ggf. eine stärker ausgeprägte Dienstleistermentalität als bei der internen Erbringung. Der LDL kann bei kurzfristigen Kapazitätsengpässen flexibler als Beta agieren, weil er dies i.d.R. nicht beim Betriebsrat vorankündigen muss. Die Vergabe der Bestandsdisposition und finanzierung ist, wenn sie erfolgreich umgesetzt wird, mit umfangreichen Potenzialen verbunden. Beta kann dadurch sein Umlaufvermögen verkürzen und seine bilanziellen Kennzahlen verbessern. Beta verkauft seine Ersatzteilbestände und beschafft Kapital zu günstigen Konditionen. Diese Mittel kann sie in ihr Kerngeschäft investieren und ihre finanzielle Position stärken. Der Interviewpartner sieht ein grundlegendes Risiko darin, dass ein Vertrag mit dem LDL „nicht absolut wasserdicht“ ausgearbeitet wird. Er erwartet Diskussionen über Sonderarbeiten, für die Beta zusätzlich bezahlen soll. Das Szenario eines fremdvergebenen Bestandsmanagement birgt neben den oben genannten Chancen Risiken in Bezug auf die Lieferfähigkeit. Ein schlechter Lieferservice führt zu nachhaltigen Reputationsverlusten für Beta, weil ihre Kunden aufgrund einer intensiven Nutzung auf funktionsfähige Geräte angewiesen sind. Für Beta ergeben sich vor allem Fragen, wie sie die Erst- und Endbevorratung von Ersatzteilen vertraglich regeln und die Ziele zwischen beiden Parteien harmonisieren soll. „Nehmen wir mal an, einer übernimmt die Bestände und wird dann konfrontiert mit einer Last-Buy-Aufforderung. Wenn ich jetzt die Bestände zahlen muss, dann würde ich ja sagen: Möglichst wenig Last Buy, weil das kostet ja jetzt mein Geld. Dann bin ich irgendwann nicht lieferfähig. Das wirkt sich dann irgendwann bei der Firma aus, die die Maschinen nicht reparieren kann. Da muss man natürlich Regularien finden.“ 174 Fallstudien Die Bestände gelten als „Lebensader“ von Unternehmen. Viele Unternehmen können sich heute eine Fremdvergabe von Beständen noch nicht vorstellen, da sie befürchten, dadurch ein Abhängigkeitsrisiko einzugehen. Zwischenfazit In der Fallstudie von Beta führen rückläufige Aktivitätsvolumina zur Evaluation eines weitreichenden Outsourcing auf den Ebenen Material-, Informations- und Finanzfluss. Durch eine Kombination von Logistik- und Finanzdienstleistungen verspricht sich der Mandant Spielraum für Investitionen in seine Kernkompetenzen. Die Fremdvergabe von komplexen Logistikleistungen erfordert, dass er die zugrundeliegenden Prozesse, die Anforderungen an LDL sowie die Potenziale und Risiken detailliert beschreibt. Diese Informationen bilden eine wichtige Grundlage sowohl für die Evaluierung unterschiedlicher Outsourcing-Szenarien als auch für den Vertrag. Beta fordert von den LDL, dass sie in der Lage sind, das Logistiksystem zu skalieren. Wenn der LDL die IT-Systeme skalieren soll, dann müssen sich beide Seiten vorher auf einen Systemstandard einigen. Dieser basiert entweder auf den Systemen des Mandanten, des LDL oder einer dritten Instanz – bspw. einem Software-Hersteller. Mit der Erst- bzw. Endbevorratung trifft der LDL dispositive Entscheidungen mit weitreichenden Folgen. Wenn er Defizite bei der Planungskompetenz hat oder wenn seine Ziele nicht ausreichend mit denen des LDL harmonisiert sind, dann sind teure Fehlmengen (vgl. Corsten und Gruen 2004, S.26ff) oder Überbestände die Folge. Fallstudien 175 4.4 Elektronikunternehmen Gamma Ausgangssituation Gamma entwickelt, produziert und vermarktet ein breites Produktspektrum im Bereich IT-Hardware. Ein hoher Anteil der Produkte ist innovativ und verfügt über einen Lebenszyklus zwischen 6 und 24 Monaten.69 Die Produkte werden sowohl an private Endkunden als auch an Geschäftskunden verkauft. Als Vertriebskanäle nutzt Gamma den Grosshandel und Einzelhandel sowie den Direktvertrieb für Grosskunden bzw. Investitionsgüter. Das Weihnachtsgeschäft und das Geschäftsjahresende sorgen für saisonale Nachfrageschwankungen. In Abhängigkeit von seinen Merkmalen wird ein Produkt entweder auf Lager oder auf Kundenauftrag gefertigt. Die Ware kommt als Fertigprodukt oder generisches Produkt per Schiff aus Übersee. In den europäischen Distributionszentren werden die Waren umgeschlagen oder entsprechend der Kundenaufträge fertiggestellt. Von dort aus transportieren LDL die Waren in die Läger bzw. Läden der Händler. Bei Bedarf wird Ware mit gleichen Länder- oder Kundendestinationen in Hubs konsolidiert. Handlungsdruck Die Logistiknetzwerke von Gamma mussten im Laufe der Zeit ständig den steigenden Marktanforderungen angepasst werden. Die hohe Variantenvielfalt und Nachfrageschwankungen beeinträchtigten oftmals die Performance. Die Variantenzahl resultiert dadurch, dass Gamma mit funktionalen Varianten und Ländervarianten die individuellen Kundenbedürfnisse bestmöglich befriedigen möchte. Gerade die Nachfrage langsamdrehender Produkte ist schwer vorherzusagen. „Wenn sie zwei aufeinanderfolgende Monats-Forecasts vergleichen und da 1020% Schwankung haben, dann ist das gut. Das ist nahezu nicht vorhersagbar.“ 69 Diese Fallstudie basiert auf zwei Interviews mit Gamma am 07.04.2005 und am 11.04.2005. 176 Fallstudien Demgegenüber steht der lange Seeweg von ca. 4 Wochen. Wenn die Prognosen nicht stabil sind und im Laufe der Transportzeit obsolet werden, dann führt dies zu einem hohen Nacharbeitsaufwand. Die Anforderungen des Handels an Lieferzeit und Lieferfähigkeit sind heterogen. Aufgrund der schwierigen Nachfrageprognose besteht immer die Gefahr von Fehlmengen am Point-of-Sale. Wenn Gamma dort nicht mit den gefragten Produkten präsent ist, dann riskiert sie, dass Kunden ein Konkurrenzprodukt kaufen. Diese Gefahr wird dadurch verstärkt, dass neue Anbieter aus Asien in den Markt eintreten. Der Handel stellt hohe Ansprüche an die Lieferflexibilität von Gamma. Manche erwarten, dass sie die Bestellmenge bspw. um 50% im Vergleich zum Vormonat steigern oder senken können. Lösungskonzept Zahlreiche Faktoren sprachen für das Postponement-Konzept, also die Segmentierung der Wertschöpfungskette in einen effizienten, prognosebasierten Upstream-Bereich und einen reaktionsfähigen, auftragsgesteuerten Downstream-Bereich. Das Management von Gamma hat dies früh erkannt und das Konzept erfolgreich implementiert. Dabei setzte es von Anfang an auf die Dienste von LDL. Grundlage für diese Entscheidung waren die Argumente, dass man keine eigenen Kompetenzen im Materialfluss aufbauen wollte und das Geschäft skalierbar halten wollte. Die Aufträge aus den Landesgesellschaften werden von Gamma gebündelt. Sämtliche Aktivitäten rund um die Demand und Supply Planung werden ebenfalls von Gamma ausgeführt. Sie beauftragt auf dieser Grundlage die LDL, Produkte zu montieren oder zu verpacken. Die LDL schaffen Visibilität über die Anlieferungen, Bestände und den Arbeitsfortschritt. Obwohl Postponement bei vielen Produkten von Gamma technisch realisierbar ist, ist es nicht immer wirtschaftlich. Gammas Logistikmanager verwenden drei Kriterien, um festzustellen, ob ein Produkt für Postponement geeignet ist. Erstens muss eine hohe Variantenvielfalt vorliegen. Zweitens werden die Transportkosten von unverpackten, generischen Produkten mit denen von verpackten Fertigprodukten verglichen. Dafür wird untersucht, wie viele Produkte in beiden Fällen auf eine Palette passen. Wenn die Fertigprodukte ungünstig abschneiden, dann spricht das für Postponement. Ein dritter Fallstudien 177 Indikator liegt vor, wenn das Verhältnis von Gewicht und Volumen gegen einen Transport per Luftfracht aus Übersee spricht. Bei Gamma existieren nach Art und Intensität drei Typen einer verspäteten Variantenbildung. Lokalisierung bedeutet, dass Produkte länderspezifisch angepasst werden. Bspw. wird eine Verpackung mit italienischer Bedruckung verwendet und es werden die entsprechenden Handbücher, CDs und Netzteile beigepackt. Kommt es im Rahmen eines Build-to-Order-Prozess zu einer kundenspezifischen Endmontage, bei der Zusatzkomponenten oder -module eingebaut werden, dann spricht man von Integration. Der dritte Typ umfasst Grossaufträge von Händlern, bei denen bspw. Farb- oder Softwarevarianten erstellt werden. Vergabe von Mehrwertleistungen Materialfluss. In Europa gibt es mehrere Logistikzentren, die von LDL betrieben werden. Dort werden neben Aktivitäten wie Endmontage, Kommissionierung und Verpackung auch Retouren danach sortiert, ob sie verschrottet oder einem Ersatzteilkreislauf zugeführt werden. Transport und Cross-Docking wird durch andere externe Partner erbracht. Informationsfluss. Die Hoheit für das Design von IT-Systemen und Prozessen liegt jeweils bei der Partei, die den Prozess verantwort, also bei Gamma oder einem Dienstleister. Gamma gibt die Schnittstellen mit Anforderungen an Datenfelder und Formate vor. „(Der LDL) soll seine Systeme nutzen oder Systeme aufbauen, die er nicht nur für uns nutzen kann, sondern auch für andere Kunden, damit wir wieder beim ursprünglichen Ziel der Fremdvergabe, nämlich Skaleneffekten und variablen Kosten sind. Wir möchten hier keine Abhängigkeit kreieren. Da müssen wir dann, wenn wir unsere Anforderungen definieren, die so formulieren, dass die nicht nur für uns Sinn machen, sondern auch für andere Kunden verwendbar sind. Dass wir also nicht sagen, wir hätten noch gerne diese zusätzliche Information und die ist nicht marktüblich und die hat sich bei uns sowieso niemand angeschaut. Das wir nicht diesen Bandwurm weitergeben: das haben wir immer so gemacht.“ Die Kundenschnittstelle inklusive der (gemeinschaftlichen) Absatzplanung und des Auftragsmanagements ist und bleibt Kernkompetenz von Gamma. Momentan befindet 178 Fallstudien sich die Supply Planung in einem Wandel. Man evaluiert, ob die taktische Beschaffungs- und Produktionsplanung auch auf den Postponement-Dienstleister übergehen kann. Gamma würde weiterhin den strategischen Einkauf verantworten, d.h. Lieferanten auswählen, Preise verhandeln u.s.w. Die taktischen Aufgaben, also Bestellungen dimensionieren, terminieren, kontrollieren und bei Bedarf reklamieren, würden an den LDL übergehen. Gamma ist sich bewusst, dass dieses Vorgehen präzise Servicegrade und klare Kommunikationsregeln in der „Dreiecksbeziehung“ zwischen ihr, dem LDL und den Lieferanten erfordert. LDL tracken und tracen diverse Kosten- und Leistungsindikatoren. Gamma sieht eine Herausforderung darin, die Verursacher von Zielabweichungen zu lokalisieren. Mit der Kaskadierung von Lieferketten durch Outsourcing steigt die Anzahl von Schnittstellen und Prozessbeteiligten, die solche Abweichungen verschulden können. Bezogen auf den taktischen Einkauf, führt ein Ist-Servicegrad von 90% anstatt von 99% zu der Frage, wer in der Dreiecksbeziehung welchen Teil der Abweichung verantwortet. Finanz- und Rechtefluss. Gamma steuert die Bestandshöhen bei den LDL und ist überwiegend auch Eigentümerin der Bestände. Standardmaterial wie Paletten wird von LDL gepoolt und nach Nutzung abgerechnet. Teilweise halten LDL Ware für Gamma in Konsignation. Hierbei geht es weniger darum, Finanzierungskosten abzuwälzen, weil diese sowieso meistens vom LDL eingepreist werden, sondern darum, dem LDL Anreize für eine effiziente Lagerhaltung und eine Senkung von Schwund zu geben. In der Fremdvergabe des Contracting sieht der Interviewpartner zwar einen potenziellen Mehrwert, jedoch nicht für ein Unternehmen der Grösse von Gamma. Die zentrale Einkaufsorganisation verfügt in den relevanten Geographien über die notwendigen Marktinformationen für den Einkauf logistischer Dienstleistungen. Auswahl von LDL Transportaufgaben und stationäre Aufgaben werden separat vergeben, weil Gamma die Meinung vertritt, dass aus einer Integration wenig Mehrwert entsteht. Für die stationären Aufgaben greift sie auf einen Pool von LDL zurück, mit dem sie schon längere Zeit zusammen gearbeitet hat. Es gibt mehrere LDL, die in der Lage sind, eine Lokalisierung vorzunehmen. Eine Teilmenge dieser Anbieter kann auch die Integration übernehmen. Gamma beabsichtigt, einen Anbieterwettbewerb aufrechtzuerhalten und keine unnötige Abhängigkeit zu kreieren. Sie ist relativ kurzfristig in der Lage, bei Fallstudien 179 Kapazitätsengpässen oder Performance-Problemen auf einen anderen LDL zurückzugreifen. Im Rahmen einer Ausschreibung teilt Gamma den Bietern Produkt- und Volumenprofile sowie Standortregionen als Planungsinput mit. Durch die Vorgabe von Regionen wird gewährleistet, dass die Gesamtkosten aus Personal, Immobilie und Transport minimiert werden. Innerhalb der sechs Segmente Technologie, Qualität, Flexibilität, Liefertreue, Umwelt und Kosten werden Anforderungen an die Angebote formuliert. Gamma vergibt Mehrwertleistungen an LDL, die im entsprechenden Bereich einschlägige Referenzen vorweisen können, weil sie keine Lieferantenentwicklung im grossen Umfang betreiben möchte. Aus den oben genannten Gründen ist es insbesondere wichtig, dass der LDL über umfangreiche IT-Fähigkeiten verfügt und entsprechende Systeme schon betreibt oder entwickeln wird. Er muss in der Lage sein, den monatlichen Output in einer bestimmten Prozenthöhe zu steigern oder zu senken und einen schnellen Hochlauf bei Neuprodukten zu gewährleisten. Für anspruchsvolle stationäre Aufgaben findet Gamma mittlerweile eine relativ hohe Anzahl von Kandidaten. Der Interviewpartner begründet dies damit, dass sich die externen Anbieter weiterentwickelt haben. Ausserdem beobachtet er, dass mit Vertragsfertigern und Kontraktlogistikern zwei Branchen konvergieren. Durch Kooperationen und Zukäufe beabsichtigen einige, ihre jeweiligen Kompetenzlücken zu schliessen. Integration von Mandant und LDL System- und Prozessebene. Derzeit betreiben die LDL überwiegend dedizierte Standorte für die Lokalisierung und Integration. In Zukunft will Gamma Mehrbenutzerumgebungen vorantreiben. Für das Postponement benötigt der LDL spezifische Anlagen. Dazu gehören Förderbänder, Rollenbahnen, Hebevorrichtungen sowie Teststationen für Funktionstests. Die Bemühungen nach Standardisierung stossen an dieser Stelle an Grenzen. Die Produkte weisen bspw. spezifische Formen auf, die eine Wiederverwendung der Rollenbahnen erschweren. Einfacher ist die Skalierung von ITSystemen. Gamma erwartet vom LDL, dass er bereits über entsprechende Systeme verfügt oder diese als Mehrbenutzersysteme entwickelt. Geschäftsebene. Für die Vertragsgestaltung bei Mehrwertleistungen sieht der Interviewpartner keine gravierenden Besonderheiten. Die Leistungen, Messgrössen und 180 Fallstudien Rückabwicklungsmodalitäten müssen tendenziell detaillierter spezifiziert werden. Er sieht insbesondere bei den Laufzeiten keine Unterschiede. Diese verlängern sich nach einer vorbestimmten Vertragslaufzeit automatisch und sind mit relativ kurzen Kündigungszeiten verbunden. „Wir haben als Philosophie, dass wir langfristig mit Partnern zusammenarbeiten wollen, und dass diese Partner sich das Geschäft verdienen müssen.“ Bei der Preisgestaltung dominiert das transaktionsorientierte Schema. Es soll in Zukunft weiter ausgebaut werden. Dies ist aber nur möglich, wenn die Standardisierung und Skalierung der Lösungen weiter vorangetrieben wird, um den Fixkostenanteil am Transaktionspreis zu reduzieren. Das transaktionsorientierte Preismodell impliziert, dass die LDL Absatzrisiken mittragen. Diese Risiken sind durch den abklingenden ITBoom und gesättigte Märkte gestiegen. Bei transaktionsorientierten Preisen ist es wichtig, dass der LDL Anreize zur Verbesserung erhält. Dafür nutzt Gamma neben Open Book auch die Marktpreisfindung. Die Harmonisierung von Leistungen und Kostendefinitionen hat den Vorteil, dass Gamma die Angebote innerhalb des LDL-Pool mit begrenztem Aufwand benchmarken kann. Ein Instrument der Anreizgestaltung mit wachsender Bedeutung bei Gamma ist das Gain Sharing. Gamma ist der Meinung, dass die LDL heute besser denn je in der Lage sind, Verbesserungen zu initiieren und umzusetzen. Verbesserungen implizieren häufig, dass der LDL eigenen Umsatz wegrationalisiert. Allerdings kann er sich als Vorzugslieferant positionieren und ggf. Volumina von anderen LDL dazugewinnen. Gamma ist sich jedoch bewusst, dass durch das Produktdesign die grössten Kostenblöcke intern beeinflusst werden und dass für das Logistiksystem das Gesetz der abnehmenden Grenzerträge gilt. Verbesserungen sind folglich eher im einstelligen Prozentbereich zu erwarten. Potenziale und Risiken Durch die Implementierung des Postponement-Konzepts gekoppelt mit der Fremdvergabe dieser Aufgaben an LDL konnte Gamma im Laufe der Jahre umfangreiche Potenziale realisieren. Durch das veränderte Prozessdesign konnte die Performance bei Fehlmengen, Nacharbeit und Ausschuss signifikant verbessert werden. Fallstudien 181 Zu Beginn des IT-Booms musste Gamma entscheiden, ob sie in physische Logistikressourcen investiert. Gamma hat sich dagegen entschieden, weil sie sich auf ihre Kernkompetenzen Entwicklung und Vermarktung von IT-Produkten konzentrieren wollte. Der Interviewpartner betont die dynamischen Verschiebungen von (Kern)Kompetenzen im eigenen Unternehmen und bei den Dienstleistern. Dies erfordert, dass regelmässig auch komplexe Umfänge wie taktischer Einkauf und taktische Produktionsplanung bzgl. einer Fremdvergabe evaluiert werden. „Jetzt können (einige LDL) planen, vor fünf Jahren war das bei denen, die wir haben noch nicht so stark ausgeprägt. Zum Anderen auch unsere Expertise ändert sich. Wir sind immer noch gut in dem Thema. Aber sind wir immer noch so gut, dass es wert ist, das im Hause zu machen? Sind nicht andere auch gut und wir können uns auf andere Dinge fokussieren? Kernkompetenzen ändern sich.“ Outsourcing war und ist attraktiv für Gamma, weil ihr Geschäft starken Schwankungen unterliegt. Die Schaffung von strategisch flexiblen Lösungen ist ein zentrales Anliegen. Diese Lösungen erlauben es, mit wachsenden, sinkenden sowie sich regional verschiebenden Volumina umzugehen. So konnte Gamma bspw. im IT-Boom die Lösung schnell skalieren. Gamma ist auf dem Weg, eine wirklich „atmende“ Lösung mit grösstenteils variablen Kosten aufzubauen. Durch transaktionsorientierte Entlohnung erreicht sie, dass sich die LDL mit am Absatzrisiko beteiligen. Dieser Ansatz schafft auch Anreize für die LDL, Lösungskomponenten für andere Mandanten wiederzuverwenden und Skaleneffekte zu erzeugen. Dadurch, das Gamma relativ generische Lösungen nachfragt, kann sie den Angebotswettbewerb unter den LDL aufrechterhalten. Neben den Skaleneffekten rücken mit der Evaluierung von taktischen Aufgaben Verbundeffekte in den Blickwinkel. Es ist denkbar, dass Gamma in mittlerer Zukunft die Disposition und Ausführung des Postponement aus einer Hand als integrierte Prozesskette bezieht. Der Interviewpartner ist der Meinung, dass sich durch die Fremdvergabe von Mehrwertleistungen die Risikoposition von Gamma nicht wesentlich verändert. Die Gefahr, dass Umfeld- bzw. Prozessrisiken die Lieferfähigkeit beeinträchtigen, bleibt nahezu unverändert. Störungen werden durch Bestände und redundante Lieferanten abgefedert. 182 Fallstudien Durch die Einschaltung eines LDL besteht theoretisch die Gefahr, dass durch eine zusätzliche Instanz – neben Mandant und Lieferant – Koordinationsprobleme in der Wertschöpfungskette entstehen. Im Idealfall sind bei internen Lösungen die Schnittstellen effizienter und es erfolgt ein direkterer Durchgriff als bei externen Lösungen. Dennoch treten auch und gerade in der Hierarchie Schnittstellenrisiken bspw. durch politisches Verhalten auf. Eng mit den Schnittstellen verbunden ist auch die Frage, ob durch die Vergabe von Mehrwertleistungen die Prozesstransparenz für den Mandanten sinkt. „Wenn sie wie wir eine Organisation im wahrsten Sinne sind, dann organisieren und managen sie ja nur. Sie managen Prozesse und Informationen. (...) Sie haben dann natürlich intern wie extern eine grosse Anzahl an Interfaces. Wie arbeiten die zusammen? Liefert der eine den Output, den der andere als Input braucht.“ Die Vergabe von taktischen Planungs- und Einkaufsaufgaben birgt aufgrund der Novität für einige LDL ein Kompetenzrisiko, also die Gefahr, dass der LDL nicht über die erforderliche Erfahrung verfügt, um den Prozess anforderungsgerecht durchzuführen. Der Mandant kann dieses Risiko senken, indem er bspw. die Referenzen des LDL sorgfältig untersucht und indem er den LDL umfassend in den Prozess einführt. Der Interviewpartner betont, dass Gamma aufgrund seiner langjährigen Erfahrung in der Fremdvergabe von Leistungen Outsourcing-Risiken effektiv managen kann. Zwischenfazit Die vorliegende Fallstudie von Gamma stellt drei Zusammenhänge eindrucksvoll dar: (Kern-)Kompetenzen verändern sich kontinuierlich. Das Beispiel Vertragsfertigung zeigt, dass Umfänge, deren Outsourcing früher undenkbar erschien, fremdvergeben werden können. Eine ähnliche Entwicklung ist für materialflussnahe Steuerungsaufgaben der Logistik denkbar. Unternehmen sollten systematisch eine Outsourcing-Kompetenz aufbauen, bevor sie komplexe Umfänge fremdvergeben. Diese Kompetenz kann zum Wettbewerbsfaktor werden, wenn es einem Unternehmen gelingt, sich stärker auf den eigenen Kern zu fokussieren als es die Wettbewerber tun. Die Erfahrung hilft dabei, komplexe Leistungen zu definieren, die Möglichkeiten der Preisgestaltung zu nutzen und Risiken wirksam zu managen. Standardisierung von Prozessen und Leistungen ist Voraussetzung, um zahlreiche Outsourcing-Potenziale wirklich zu realisieren. Standardisierte Umfänge Fallstudien 183 unterschiedlicher Mandanten können vom LDL kostensenkend gebündelt werden. Darüber hinaus setzt eine echte Kostenvariabilisierung standardisierte Kapazitäten voraus, die der LDL im Falle eines Nachfragerückgangs anderweitig belegen kann. 184 Fallstudien 4.5 High-Tech-Unternehmen Delta Ausgangssituation Delta ist ein Unternehmen der High-Tech-Branche, dessen Geschäfte überwiegend auf entwicklungsintensiven Produkten mit kurzen Innovationszyklen basieren. Delta verkauft kundenspezifisch gefertigte Systeme. Die Nachfrage unterliegt starken Konjunkturschwankungen.70 Das anspruchsvolle Produkt-Markt-Umfeld von Delta stellt hohe Anforderungen an die Supply Chain71. Umfangreiche Materialflüsse werden koordiniert, weil das Produktions- und Lieferantennetzwerk über die Kontinente Nordamerika, Asien und Europa verteilt ist. Die Supply Chain hat einen virtuellen Charakter, da umfangreiche Produktionsaufgaben an Auftragsfertiger ausgelagert wurden. Delta betreibt nur noch wenige Werke in Eigenregie. Die Auftragsbearbeitung erfolgt in mehreren Stufen. Zuerst platziert ein Kunde seinen Auftrag bei der jeweiligen Landesgesellschaft von Delta. Dort wird der Auftrag auf Machbarkeit geprüft. Danach wird er an ein zentrales Order Desk weitergeleitet, wo nach definierten Kriterien über die Beschaffungsquellen der Systemkomponenten entschieden wird. Die Logistikmanager stehen vor der Herausforderung, die Informations- und Materialflüsse so zu synchronisieren, dass eine pünktliche und vollständige Lieferung von den Quellen über ein Logistikzentrum an die Kunden effizient abgewickelt werden kann. Handlungsdruck Die Logistik leistet schon in der frühen Angebotsphase einen wichtigen Beitrag zur Kundenzufriedenheit. Gemeinsam mit dem Vertrieb muss sie sicherstellen, dass es in der Auftragsausführung nicht zu ungeplanten Überraschungen kommt. In der Vergangenheit war die Einbindung noch nicht optimal. Im Idealfall kann die Logistik Auskunft über die tatsächliche Lieferfähigkeit geben und gewährleistet damit eine hohe Liefertreue. Nur durch eine intensivere Zusammenarbeit von Vertrieb und Logistik ist eine angemessene Kundenorientierung realisierbar. 70 71 Diese Fallstudie basiert auf zwei Interviews mit Delta am 17.02.2005 und 21.02.2005. An dieser Stelle wird gemäss der Begriffsverwendung von Delta von Supply Chains gesprochen. Fallstudien 185 Das folgende Statement verdeutlicht den Zeitdruck in den Geschäften von Delta: „Liefergeschwindigkeit und -zeit sind momentan wichtiger als der Preis. Die Kunden sind momentan bereit, einen höheren Preis zu bezahlen, wenn die ihre Ware schneller kriegen. Das hat vor allem damit zu tun, dass die Wirtschaft wieder anzieht (...) Es gibt sehr viel Druck auf die Logistik. Lieferzeit und -fähigkeit sind äusserst wichtig.“ Die Kunden erwarten, dass die Systemkomponenten vollständig und pünktlich im Sinne der Kennzahl On-Time-Delivery (OTD) geliefert werden, wobei die Vollständigkeit der Lieferung vorausgesetzt wird. Ganz abgesehen davon ist es auch teurer, mehrfach zum Kunden zu fahren. Dieser Anforderung ist Delta in der Vergangenheit nicht immer gerecht geworden. Die oftmals langen Lieferwege waren mit langen Transportzeiten verbunden. Die Warenströme wiesen nicht die Transparenz auf, die man benötigt, um kurzfristig abzuschätzen, wo sich Ware gerade befindet und wann sie eintreffen wird. Darüber hinaus fehlten häufig Informationen, um Ursachen zu analysieren und Schwachstellen zu beseitigen. Deswegen wurden Kennzahlen wie OTD eingeführt und die Performance signifikant gesteigert. Die Strategie der Lagerfertigung (Make-to-Stock) verursachte Bestandskosten von mehr als 1 Mrd. €, die das Unternehmen finanziell belasteten und seinen Spielraum einengten. Mit ca. 40 Lägern verfügte Delta über ein dichtes Distributionsnetzwerk, das nicht nur Indikator für Defizite in der Flussorientierung war, sondern diese Situation auch mitverursachte. Das Transportaufkommen war über eine Vielzahl von Frachtfirmen verstreut. Insgesamt waren die Frachtkosten zu hoch, u.a. auch deshalb, weil Premium-Transporte dafür genutzt wurden, um Fehler in vorgelagerten Prozessstufen zu korrigieren. Die Marktsituation erzeugte einen „unheimlichen Druck“ auf die Logistikkosten von Delta. Lösungskonzept Delta erkannte den Handlungsbedarf und startete ein umfangreiches Programm zur Transformation der Supply Chain. Dahinter steckte die Vision, eine Lieferkette zu schaffen, die gleichzeitig „lean“ und „agile“ ist. „Lean“ steht dabei für wenig Bestände und eigenes Personal und „agile“ für schnelle und transparente Prozesse, die teilweise fremdvergeben sind. 186 Fallstudien Die Massnahmen, die Delta getroffen hat, orientieren sich an den folgenden Gestaltungsprinzipien. Kundenorientierung. Die operativen Funktionen - also Auftragsmanagement, Logistik und die Schnittstelle zu den Vertragsfertigern – wurden in einer Organisationseinheit gebündelt. Dadurch spielt die Logistik eine grössere koordinierende Rolle und wird immer einbezogen, bevor man dem Kunden eine Zusage gibt. Auftragsteuerung. Die Supply Chain ist von einer Drucksteuerung auf eine Zugsteuerung umgestellt worden. Dadurch lassen sich Bestände senken und Bestandsabschreibungen wegen überschüssigem Material vermeiden. Zentralisierung und Standardisierung. Das Unternehmen verfügt heute über eine Logistikorganisation. Dadurch war es auch einfacher, konsistente und standardisierte Logistikprozesse zu etablieren. Transparenz. Delta und seine Logistikpartner überwachen die weltweiten Warenströme mit einem Tracking-und-Tracing-System. Der verbesserte Transparenzgrad vereinfacht es, Beschaffungsaufträge aus unterschiedlichen Werken zu einer Kundenlieferung zusammenzuführen. Dadurch entstehen wertvolle Informationen darüber, wo sich in der Lieferkette Engpässe befinden, die eliminiert werden müssen. Outsourcing und Lieferantenkonsolidierung: Bisher war vor allem der Materialfluss an externe Partner vergeben worden. Delta hat die Anzahl der Frachtfirmen stark reduziert. Im Bereich der stationären Umfänge hat man ein dichtes europaweites Distributionsnetzwerk auf unter 10 Standorte ausgedünnt. Das Unternehmen baut schrittweise einen 4PL-Partner auf, der eine integrierte Steuerung der Lager- und Transportdienstleister übernimmt. Die Logistikmanager von Delta agieren dadurch mehr als Ansprechpartner für Eskalationen und widmen sich stärker der Weiterentwicklung der Supply Chain. Vergabe von Mehrwertleistungen Materialfluss. Strategische Transporteure führen die Warenbewegungen aus. Sie haben sich auf jeder Relation neben Preis und Qualität vor allem über die Durchlaufzeit qualifiziert. Für jedes Logistikzentrum gibt es einen stationären Dienstleister, der die Ware auf dem Weg zum Kunden aus unterschiedlichen Quellen zusammenführt. Neben den üblichen Kommissionierfunktionen übernimmt er dabei auch einfache Montagetätigkeiten wie das Schneiden von Kabeln. Fallstudien 187 Informationsfluss. Delta hat entschieden, dass Supply-Chain-Design eine eigene Kernkompetenz ist. Allerdings lässt man sich vom 4PL bei ausgewählten Aufgaben unterstützen. Gemeinsam untersucht man bspw. für Aufträge von wichtigen Kunden, wie die Waren geflossen sind und welche Lieferzeiten und Kosten damit verbunden waren. Mit einem Design-Werkzeug des 4PL werden die Warenströme simuliert bzw. optimiert. Nach Ansicht des Interviewpartners bietet das Design Hebel für beträchtliche Einsparungen. Durch ein Gain-Sharing-Abkommen werden für den 4PL Verbesserungsanreize geschaffen. Der 4PL ist auch beratend in Ausschreibungen für stationäre Leistungen sowie Transportleistungen involviert. Die Kundenschnittstelle ist ebenfalls Kernkompetenz von Delta. Daher werden Absatzplanung, Auftragsmanagement und Kundenservice intern durchgeführt. Die ITSyteme für das Fulfillment werden weitestgehend von Delta selber bereitgestellt. Nachdem früher viele Insellösungen existiert hatten, war dem Management sehr daran gelegen, eine weltweite Architektur mit einheitlichen Komponenten in den Bereichen ERP, WMS sowie Tracking umzusetzen. Delta sieht Monitoring als gemeinsame Aktivität mit dem 4PL an. Der 4PL operiert ein Data Warehouse, in das die Materialfluss-Dienstleister Kosten- und Leistungsdaten schreiben. Er generiert auf dieser Grundlage monatliche Berichte über KPIs, mögliche Abweichungsursachen und korrigierende Massnahmen. Die Berichte sind an die individuellen Informationsbedürfnisse von Delta angepasst. Finanz- und Rechtefluss. Die meisten Warenbewegungen bei Delta sind grenzüberschreitend. Daher wurde ein spezialisierter Dienstleister eingeschaltet, der dafür verantwortlich ist, dass Einfuhrzölle, -steuern und -richtlinien berücksichtigt werden. Die Prüfung und Zahlung von Frachtrechnungen wird ebenfalls durch einen externen Partner abgewickelt. Der Partner gleicht die Rechnungen mit den Vereinbarungen ab und kürzt sie bei Bedarf. Der Dienstleister partizipiert an den so erzielten Einsparungen über einen Bonus. Delta erhält eine aggregierte monatliche Rechnung. Derzeit unterstützt der 4PL bei der Auswahl von Transporteuren, indem er Angebote einholt, Vergleiche vornimmt und Empfehlungen abgibt. Die abschliessende Entscheidung liegt jedoch bei Delta. Die Übergabe des Contracting an den 4PL lohnt sich, wenn er Logistikumfänge von Delta bspw. mit der Konkurrenz bündelt und dadurch Skaleneffekte realisiert. 188 Fallstudien Integration von Mandant und LDL Auf der Geschäftsebene hat Delta mit seinen Partnern eine enge Zusammenarbeit institutionalisiert. Je nach Grösse des Partners hält er neben dem Kontraktmanagement auch ein dediziertes Account-Management für Delta vor. Es gibt regelmässige Treffen, in denen die aktuellen und zukünftigen Themen besprochen werden. Jedes Vierteljahr findet bei den LDL ein Audit statt, um Verbesserungsbereiche zu identifizieren. Im Rahmen des umfangreichen Outsourcings wurden auf der Prozessebene auch spezifische Aufgaben im Logistikzentrum an LDL vergeben. Das erforderliche Wissen wurde beim Partner aufgebaut, indem man die existierenden Prozesse übertragen hat und den LDL durch den Prozess geführt hat. In wenigen Fällen ist auch Personal zum LDL gewechselt. Nahezu alle erforderlichen spezifischen Ressourcen auf der Systemebene stellt Delta seinen LDL zur Verfügung. Dazu gehören u.a. umfangreiche logistische IT-Systeme, die der 4PL über Schnittstellen anbinden musste. Der 4PL ergänzt die Systemlandschaft durch ein eigenes Data Warehouse. Die stationären Dienstleister operieren dedizierte Standorte für Delta, weil das Unternehmen sich auf sein Geschäft konzentrieren möchte. Sie bringen neben dem Personal und dem Standort keine wesentlichen spezifischen Ressourcen ein. Potenziale und Risiken Durch die Fremdvergabe von weiteren Logistikumfängen und die Konsolidierung der Lieferantenbasis hat Delta eine Veränderungsdynamik erzeugt, die den Wandel der europäischen Logistikstrukturen und -prozesse gefördert hat. Es ist gelungen, in Europa eine länderübergreifende, schlanke Logistikorganisation aufzubauen. Damit kann sich das Technologieunternehmen Delta stärker auf seine Kernaufgaben in der Entwicklung und Vermarktung kümmern. Die externen Partner entlang der Lieferkette werden klar definierten KPIs und Servicegraden vertraglich verpflichtet. Dies soll für den Kunden in Form einer stärkeren Dienstleistermentalität spürbar sein. Für den 4PL werden durch das Gain-Share-Abkommen klare Verbesserungsanreize geschaffen. Im Rahmen des Supply-Chain-Programms hat Delta einige Prozesse verbessert. Die Supply Chain wurde von einer Prognosesteuerung auf eine Auftragssteuerung umgestellt. Dadurch wurden beträchtliche Bestände, die bisher die Pipeline verstopft haben, abgebaut. Auch die LDL tragen zu einer erhöhten Flussorientierung bei. Der stationäre Fallstudien 189 Dienstleister unterstützt bei der Umwandlung von Distributionslägern in Bündelungspunkte. Die Lieferantenbasis wurde mit dem Ziel konsolidiert, Transportleistungen und stationäre Leistungen bei wenigen strategischen Partnern mit besonders leistungsfähigen Angeboten unterzubringen. Dadurch erzielt Delta bessere Raten und senkt die Prozesskosten für die Interaktion mit den LDL. Darüber hinaus stabilisieren die einheitlicheren und übersichtlicheren Prozesse die Interaktion. Mit der Vergabe umfangreicher Mehrwertleistungen kann auch das Abhängigkeitsrisiko steigen. Delta ist sich dessen bewusst und versucht, unnötige Abhängigkeiten bspw. durch die Bereitstellung von IT-Systemen zu vermeiden. Der Interviewpartner weist darauf hin, dass sich bei 4PL-Leistungen Kommunikationsrisiken ergeben können: „Die grösste Herausforderung ist die Fähigkeit, sich in die Geschäftsprozesse des Kunden einzuleben und die gleiche Beziehung zu den internen und externen Kunden aufzubauen, wie das die eigene Logistik macht.“ Auf der Prozessebene kann Delta durch Outsourcing Risiken sogar senken bzw. transferieren. Durch die Nutzung eines auf Import und Export spezialisierten Dienstleisters sinkt die Gefahr, dass Lieferungen aufgrund von fehlenden Dokumenten oder Informationen aufgehalten werden. Das Liefer(zeit)risiko kann zumindest teilweise transferiert werden, indem sich die externen Partner auf bestimmte Durchlaufzeiten und Servicegrade verpflichten. Aus der Systemsicht steht bei komplexen Outsourcing-Vorhaben vor allem das Implementierungsrisiko im Vordergrund. Die High-Tech-Branche nimmt bei der Fremdvergabe umfangreicher Pakete eine Vorreiterrolle ein. Neuartige Vorhaben implizieren jedoch immer, dass es wenige oder keine Referenzprojekte zur Orientierung gibt. Das erschwert die Auswahl des LDL. Wenn ein Mandant einen Prozess über mehrere Jahre extern durchführen lässt, dann entsteht ggf. ein Beurteilungsrisiko, d.h. er kann nur noch eingeschränkt beurteilen, ob der LDL den Prozess optimal für ihn erbringt. 190 Fallstudien Zwischenfazit Aus seinen Erfahrungen mit dem 4PL-Konzept leitet der Interviewpartner von Delta drei wesentliche Erfolgsfaktoren ab: Der Mandant muss eine klare Vorstellung haben, welche strategische Ausrichtung und Ziele er mit der internen Logistik mittel- bis langfristig verfolgt. Durch einen sorgfältigen Auswahlprozess muss ein passender LDL identifiziert werden. Komplexe Mehrwertleistungen erfordern entsprechende Projekterfahrungen des LDL und der im Kontrakt eingesetzten Mitarbeiter. Die Migration zum 4PL-Konzept funktioniert nicht nach dem Plug-and-PlayPrinzip, sondern sie erfordert ein konsequentes Projekt- und ChangeManagement von beiden Seiten. Fallstudien 191 4.6 Fallstudienvergleich Anhand der Struktur des Kontingenzmodells werden die vier Fallstudien jetzt einem Quervergleich unterzogen. Dabei werden Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den Beispielen aufgezeigt und Zusammenhänge herausgearbeitet. Für jedes der drei Teilmodelle Kontext, Gestaltung und Performance gibt es nachfolgend eine Tabelle. Neben den vier Fallstudien werden auch Erkenntnisse aus zusätzlichen Interviews herangezogen, um die abgeleiteten Zusammenhänge auf eine breitere Empirie zu stützen. Alpha Mandantenkontext Branche Wettbewerbsstrategie Logistikkompetenzen Outsourcing-Kompetenz Finanzielle Lage Produkttyp Globalisierung LDL-Kontext Eigentum von Logistikressourcen Vertriebsansatz Anforderungen an LDL Geschäftsbeziehung Machtverhältnis Sourcing-Strategie Vertrauen Informationsaustausch Institutionalisierung Verbesserungsstreben Typologisierung Mandantentyp Beziehungstyp LDL-Typ Beta Gamma Delta Automobil Servicedifferenzierung sehr hoch hoch positiv funktional hoch Elektronik Servicedifferenzierung hoch mittel angespannt funktional-innovativ mittel Elektronik Servicedifferenzierung sehr hoch hoch angespannt innovativ sehr hoch High-Tech Servicedifferenzierung hoch hoch Talsohle durchlaufen innovativ sehr hoch 3PL transaktionsorientiert Kostenniveau Prozessverständnis Branchenverständnis 3PL konsultativ IT-Systeme Schaffung von Synergien Referenzen 3PL transaktionsorientiert IT-Systeme Referenzen Kostenniveau Flexibilität 3PL und 4PL konsultativ Qualität Kostenniveau Erfahrene Mitarbeiter LDL will Referenz Belohnung oder LDL als Experte Bestrafung mit Volumen single hoch hoch stark niedrig single hoch sehr hoch hoch multi hoch hoch stark mittel single hoch hoch stark hoch integrierter Logistikexperte fokussiert Materialflussanbieter integrierter Logistiker schlanker Logistikexperte umfangreich Koordinationsanbieter schlanker Logistikexperte integriert Optimierungsanbieter integriert Optimierungsanbieter Tabelle 6: Vergleich der Kontextfaktoren Im Kontext der Fallstudien lassen sich Ähnlichkeiten finden. Keiner der untersuchten Mandanten ist als reiner Niedrigpreisanbieter in seinen Märkten positioniert. Stattdessen differenzieren sie sich überwiegend durch Servicemerkmale. Die Besonderheiten von Mehrwertleistungen im Vergleich zu Basisleistungen führen zu Parallelen in der Zusammenarbeit. In den meisten Fällen wurden dedizierte Strukturen für das Projektmanagement und Key Account Management etabliert. Die Beziehungen sind durch intensiven Informationsaustausch geprägt. Dies ist nur möglich, weil sich die Partner gegenseitig ein höheres Vertrauen entgegenbringen als dies beim Austausch einfacher Leistungen üblich ist. 192 Fallstudien Die Fälle repräsentieren Beispiele aus den Branchen Automobil sowie Elektronik und High-Tech. Damit werden sowohl funktionale Produkte mit einer hohen Teile- und Variantenvielfalt als auch innovative Produkte mit kurzen Lebenszyklen betrachtet. Die Branchen haben sich historisch unterschiedlich entwickelt, so dass die Unternehmen andere Erfahrungen mit Logistikkonzepten sowie umfangreichem Outsourcing gesammelt haben. Die Beispiele beschreiben sowohl physische 3PL, die nach Durchsatz entlohnt werden, als auch wissensbasierte LDL, die zusätzlich für Verbesserungen mit einem Gain Share belohnt werden. Die Machtverteilung ist in allen vier Fällen asymmetrisch mit einem Übergewicht auf Seiten des Mandanten, wobei sich die Machtbasen unterscheiden. Der LDL von Alpha möchte die neuartige Dienstleistung der Bandbereitstellung als Referenz verwenden. Gamma greift für Mehrwertleistungen auf einen Pool internationaler LDL zurück. Je nach Kosten- und Leistungsperformance kann Gamma die LDL mit erhöhtem Volumen belohnen oder mit reduziertem Volumen sanktionieren. Bei Delta sind die Interessen zwischen Mandant und LDL harmonisiert. Der LDL hat sich als Branchen- und Logistikexperte positioniert und arbeitet partnerschaftlich mit dem Mandant zusammen. Alpha Beta Gamma Leistungen Prozesskette Materialfluss Versorgung, Produktion Bandbereitstellung, CKD After-Sales Zentrallager Informationsfluss - Design - IT-Design Informationsfluss - Planung - Bestandsplanung taktische Produktionsund Beschaffungsplanung wird evaluiert Informationsfluss - Fulfillment Informationsfluss - Monitoring - Order Fulfillment Tracking, Reporting - Finanzfluss - Bestandsfinanzierung - Rechtefluss - - - sonstige Gestaltungsparameter Umfang Umgebung Spezifität Leistung-Lösung Dediziert mandantenspezifisch Lösung Mehrbenutzer segmenspezifisch spezifisches Wissen spezifische Prozesse und IT spezifische Anlagen spezifische Bestände spezifische Standorte Preisgestaltung Anlauf- und Änderungsprozesse, ITSysteme, Teileidentifikation Konservierungsanlage Fix und variabel Produktion, Distribution Postponement, Verpackung IT-Design Delta Distribution Warenkonsolidierung Supply Chain Design Support - konsolidiertes KPIReporting Rechnungsprüfung, Trade Compliance Support bei Ausschreibungen Leistung-Lösung Dediziert-Mehrbenutzer mandantenspezifisch segmentspezifisch Erst- und Endbevorratung Wissen über Produkte und Dispositionsprozesse Lösung Dediziert-Mehrbenutzer mandantenspezifisch komplette IT-Systeme Ersatzteile Zentrallager variabel Data Warehouse Logistikzentrum zusätzlich Gain Sharing Dispositionssysteme Fördertechnik Distributionszentrum variabel und fix Supply Chain Design, Trade Compliance, Reportingprozesse Tabelle 7: Vergleich der Gestaltungsparameter Wenn man die Fallstudien in Bezug auf die Gestaltungsdimension vergleicht, dann fällt auf, dass die Fremdvergabe von Materialflussaufgaben in allen vier Beispielen weit fortgeschritten ist. Die Spezifität von Aufgaben und Ressourcen stellt kaum eine Barriere dar. Niemand hat das Order Management ausgegliedert. Begründen kann man Fallstudien 193 das damit, dass an der Kundenschnittstelle Bedürfnisse beobachtet werden und die Qualitätswahrnehmung des Kunden beeinflusst wird. Die Demand und Supply Planung wird ebenfalls als Kernkompetenz betrachtet, weil sie einen grossen Einfluss auf die Lieferfähigkeit und die Kosten hat. Planung wird nur dann vergeben, wenn es darum geht, Prozesse abzurunden. Falls der LDL von Beta in Zukunft die Bestände finanziert, dann soll er sie auch planen. Mandanten stellen häufig IT-Systeme bereit, weil die proaktive Entwicklung von Segmentlösungen bei LDL zeitintensiv ist und vielfach noch nicht abgeschlossen ist. Beide Seiten tun sich schwer, sich auf Standards zu einigen und aus dedizierten Umgebungen Mehrbenutzerumgebungen zu entwickeln. Bei Unternehmen, deren Logistik kapital- und personalintensiv ist, begünstigt eine angespannte finanzielle Lage umfangreiches Outsourcing. Dies zeigt die finanzielle Hebelwirkung, die von bestimmten Mehrwertleistungen ausgeht. Bei anderen wird in schlechten Zeiten die Logistik als Einsparungsquelle entdeckt. Vor allem Unternehmen mit einer überdurchschnittlichen Logistikkompetenz und Einkaufsmacht führen in solchen Situation ein Insourcing durch. Die Branchen weisen unterschiedliche Eintrittsbarrieren für das Angebot von Mehrwertleistungen auf. In der Automobilindustrie sind sie besonders hoch. Aufgrund der komplexen Produktstrukturen sind über die Zeit umfangreiche Prozess- und IT-Systemlandschaften entstanden, die spezialisierte LDL gegenüber Allroundern begünstigen. Je niedriger die Logistikkompetenz und je höher die Outsourcing-Kompetenz des Mandanten, desto wahrscheinlicher fragt er Mehrwertleistungen auch ausserhalb des Materialflusses nach. Für das Design von Logistiknetzwerken, -prozessen und IT gibt es ein Nachfragepotenzial vor allem im Mittelstand, der dafür weniger eigene Kapazitäten vorhalten kann. Diese Leistungen erfordern umfangreiches Wissen auf Seiten des LDL. Dazu gehören mandantenspezifisches Wissen (Prozesse, Netzwerke), branchenspezifisches Wissen (Kundenbedürfnisse, Produkte) und übergreifendes Wissen (Logistik, IT). Trotz der aktuellen Zurückhaltung der Mandanten bei Planungsleistungen ist gerade im Mittelstand ein attraktiver Mehrwert durch LDL möglich. Dafür muss der Dienstleister in eigene Advanced-Planning-Systeme investieren. Je innovativer die Produkte oder je globaler die Beschaffungs-, Produktions- und Vertriebsnetze, desto höher ist der Bedarf nach Monitoring-Lösungen. Dieser Bedarf wurde vor allem in der Elektronik- und High-Tech-Branche artikuliert. Neben der Visibilität von Logistiknetzwerken in Echtzeit ist eine integrierte Datenbasis historischer Kennzahlen wertvoll, die ein zentraler LDL zusammentragen kann. Je breiter die Lieferantenbasis, desto wichtiger wird ein 194 Fallstudien konsolidiertes Reporting. Durch den Verkauf seiner Bestände kann ein Mandant sein Umlaufvermögen verkürzen und Kapital freisetzen. Eine angespannte finanzielle Lage ist Treiber eines solchen Vorgehens. Für LDL, die Kompetenzen bei Finanzdienstleistungen und bestandsarmen Logistikkonzepten haben, ist Bestandsfinanzierung ein attraktives Betätigungsfeld. Mandanten vermeiden Abhängigkeiten, indem sie dem Dienstleister spezifische Fördertechnik oder IT zur Verfügung stellen. Umfangreiche spezifische Investitionen in materielle Ressourcen kommen nur in wenigen Kontrakten vor. Sie erfolgen meistens dann, wenn dadurch die Prozessverantwortung eindeutiger zugeordnet oder die Prozessqualität gesteigert werden kann. Die Bedeutung von immateriellen spezifischen Ressourcen – bspw. Wissen – steigt jedoch enorm durch die Vergabe von Mehrwertleistungen. Für LDL ergibt sich der Vorteil, dass sie leichter wiederverwendbar und mobiler als physische Ressourcen sind. Die Vergabe von Beständen ist noch nicht weit verbreitet, weil Mandanten diese als „Lebensader“ ihres Unternehmens betrachten und ungern auf den direkten Zugriff verzichten. Gleichzeitig sind erst wenige Dienstleister in der Lage, logistikorientierte Finanzdienstleistungen anzubieten. Heute kommen Mandanten für die Kompensation von Mehrwertleistungen meist nicht ohne Fixanteile im Preisschema aus. Für eine variable Entlohnung müssen die Lösungen umgestaltet werden. Die Ressourcen müssen standardisiert werden, damit mehrere Mandanten in eine Umgebung integrierbar sind. Der Gain-Sharing-Ansatz gewinnt vor allem bei Mandanten mit hoher Outsourcing-Kompetenz an Bedeutung. Eine erfolgreiche Anwendung setzt voraus, dass der LDL die Fähigkeit zur Optimierung in die Geschäftsbeziehung einbringt und dass der Mandant ihm entprechende Freiräume überträgt. Tabelle 8 zeigt, dass sich alle vier Mandanten nach der Vergabe von Mehrwertleistungen stärker auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren. Interessanterweise haben die bei Basisleistungen so wichtigen Skaleneffekte bei komplexen Mehrwertleistungen (bisher) keine hohe Bedeutung. Die Transparenzpotenziale durch einen gezielten Einsatz von LDL in Logistiknetzwerken werden von vielen Mandanten bestätigt. Sie werden derzeit jedoch bei weitem nicht ausgeschöpft. Viele der denkbaren Störungen in einem fremdvergebenen System treten auch bei interner Aufgabenerstellung auf. Umfeldrisiken und zahlreiche operative Risiken bleiben vom Outsourcing unberührt. Fallstudien 195 Alpha Mehrwert Kernkompetenzfokus Strategische Flexibilität Katalysator für Wandel Kostenvariabilisierung, Auslastungsoptimierung Skaleneffekte, Fixkostendegression Verbundeffekte, Wissensvorteile Prozessverbesserung Transparenz Lohnkostenarbitrage Dienstleistermentalität, Spezialisierung Risikotransfer Bilanzoptimierung Risiken Umfeld Geschäft Prozess System hoch mittel Beta mittel mittel hoch mittel Gamma hoch mittel Delta hoch hoch mittel mittel hoch mittel hoch hoch hoch mittel hoch Kontrollrisiko Vertragsrisiko Reputationsrisiko Abhängigkeitsrisiko Lieferfähigkeitsrisiko Bestandsrisiko Qualitätsrisiko mittel mittel mittel Mengenrisiko Schnittstellenrisiko Kompetenzrisiko Abhängigkeitsrisiko Beurteilungsrisiko Kommunikationsrisiko Lieferzeitrisiko Implementierungsrisiko Tabelle 8: Vergleich der Performance-Kategorien Auf Basis der Empirie dieser Arbeit lassen sich zahlreiche Zusammenhänge zwischen der Vergabe von Mehrwertleistungen und den erzielbaren Verbesserungen hypothetisieren. Für expansive Unternehmen ist die Fremdvergabe des Materialflusses attraktiv, weil sie strategisch flexibel bleiben. Das Outsourcing von physischen und administrativen Mehrwertleistungen begünstigt den strukturellen Wandel bei Mandanten. Komplexe Aufgaben werden häufig an LDL vergeben, die damit interdependente Aufgaben erbringen, um Prozesse abzurunden und Verbundeffekte zu erzeugen. Prozessverbesserungen durch LDL erfordern Gestaltungsfreiräume und monetäre Anreize. Lohnkostenarbitrage stellt in Situationen mit personalintensiven und repetitiven Aufgaben vor allem im Materialfluss ein Outsourcing-Motiv dar. Bestimmte Aufgaben, wie bspw. die Modellierung von Logistiknetzwerken, fallen im Mittelstand seltener an, so dass sich für LDL Spezialisierungsvorteile bieten. Durch die Wahl geeigneter LDL und eine entsprechende Gestaltung der Lösung können Mandanten ausgewählte Risiken auf LDL transferieren. Ein kleiner Leistungsumfang eines Mandanten kann eine hohe Bedeutung für einen kleinen LDL haben und ihn zu einer sorgfältigen Leistungserbringung motivieren. Mandanten können Geschäftsbeziehungen mit Grössenunterschieden kreieren und Nutzen daraus ziehen. Die Nachfrage nach bilanzoptimierenden Mehrwertleistungen hängt vor allem vom finanziellen Handlungsdruck des Mandanten ab. Bezogen auf die Risikoimplikationen logistischer Mehrwertleistungen lassen sich aus der Empirie ebenfalls einige Zusammenhänge konstatieren. Je komplexer eine Mehrwertleistung desto schwerer ist sie in Verträgen abbildbar. Leistungen des Informations- und Finanzflusses sind tendenziell schwerer abbildbar als die des Materialflusses. Sie sind weniger repetitiv und erfordern eine höhere Qualifizierung des Personals. 196 Fallstudien Aus der möglichen Schlechtleistung bei komplexen Mehrwertleistungen ergeben sich Reputationsrisiken für beide Seiten. Das gleiche gilt für Basisleistungen, jedoch ist ein Versagen hier unwahrscheinlicher. Abhängigkeitsrisiken für Mandanten sind zu prüfen, wenn der LDL spezifisch investiert oder umfangreiche Planungskompetenz (bspw. über Bestände) erhält. Die Abhängigkeit kann im ersten Fall jedoch durch Rückabwicklungsklauseln für Ressourcen und Personal wesentlich reduziert werden. Dennoch bleiben potenzielle juristische Konflikte. Durch die Standardisierung und Skalierung von Lösungen können Mandanten Mengenrisiken reduzieren. LDL können unter diesen Umständen auch Ausfallrisiken von Ressourcen besser abfangen, weil sie für mehrere Mandanten ähnliche Ressourcen vorhalten. Durch die Einschaltung der zusätzlichen Institution LDL werden Schnittstellen- und Kommunikationsrisiken erhöht. Nur, wenn der Nutzen einer Leistung diese Ineffizienzen deutlich übersteigt, dann hat sie eine Marktchance. Besonders dann, wenn zeitgleich zum Outsourcing von Mehrwertleistungen neue Konzepte realisiert werden, treten Implementierungsrisiken auf. Dennoch nutzen Mandanten die Dynamik einer Fremdvergabe für eine Neugestaltung von Strukturen. In solchen Situationen sind auf beiden Seiten Erfahrungen im Projekt- und Change-Management gefragt. Die vorliegende Arbeit verfolgt das Ziel, das Feld logistischer Mehrwertleistungen umfassend und explorativ zu untersuchen. Die Erkenntnisse beziehen sich auf mittlere und grosse Unternehmen der Branchen Automobil sowie Elektronik und High-Tech. Eine Übertragung in andere Kontexte ist nicht ohne weiteres möglich und muss analytisch sorgfältig geprüft werden. Die Generalisierung bei Fallstudien erfolgt nicht statistisch sondern analytisch (Yin 2003, S.32f). Bei der statistischen Generalisierung wird von der Stichprobe (Rücklauf eines Fragebogens) auf die Grundgesamtheit geschlossen. Mit Hilfe mathematischer Formeln kann die Verlässlichkeit (Confidence) der Schlussfolgerungen berechnet werden. Bei der analytischen Generalisierung werden die beobachteten Zusammenhänge einer Fallstudie mit einem theoretischen Modell verglichen. Entweder das Modell wird bestätigt oder es muss ergänzt werden. Die Bedürfnisse und Anforderungen der untersuchten Mandanten divergieren stark. Daher gibt es weder derzeit noch in naher Zukunft einen einzelnen Anbieter, der alle Mehrwertleistungen für jeden Mandanten erstellen kann. LDL müssen sich positionieren und ein eigenes Profil ausbilden. Das nächste Kapitel soll einen Beitrag leisten, damit LDL ihre eigenen Stärken mit den Kundenbedürfnissen zu einer Entwicklungsstrategie für Mehrwertleistungen integrieren. Gestaltungsmodell 197 5 Gestaltungsmodell für Mehrwertleistungen Die Entwicklung von neuen Leistungen ist häufig eine Antwort auf Wettbewerbs- und Margendruck bei den etablierten Leistungen. Viele Unternehmen reagieren dabei auf Wünsche, die von ihren Kunden bspw. in Form von Ausschreibungen artikuliert werden. Neue Bedürfnisse, Technologien und Märkte bieten jedoch vor allem Chancen auf Wettbewerbsvorteile, wenn LDL proaktiv Leistungen entwickeln. Dies setzt voraus, dass sie in die Organisation und Abläufe der Forschung und Entwicklung investieren. Das Gestaltungsmodell soll einen Beitrag leisten, die Entwicklung von neuen Mehrwertleistungen bei Logistikdienstleistern mit Hilfe eines Prozesses und eines Leistungssystems zu strukturieren. Bei der Vielzahl möglicher Stossrichtungen – u.a. neue Kundenbranchen, Geographien, Technologien, Prozesse – fällt es LDL schwer, sich zu orientieren. Ähnlich wie in der Produktwelt sind viele neuentwickelte Services nicht erfolgreich, so dass das Geld meist mit wenigen Kernleistungen verdient wird. Trotz des hohen Finanzbedarfs für FuE und der Gefahr von Fehlinvestitionen müssen LDL vermehrt neue Leistungen entwickeln, um im Konsolidierungsprozess langfristig erfolgreich zu sein. Patentschutz hat noch eine geringe Bedeutung in der Logistikbranche. Daher gibt es kaum Imitationsbarrieren und nur wenige Anreize für umfangreiche proaktive Entwicklungsinitiativen. Bzgl. des Status Quo von FuE konstatieren Scheuing und Johnson (1989) für viele Serviceindustrien Defizite, die auch heute vor allem im Mittelstand noch Gültigkeit haben dürften. Sie fordern, dass der Prozess der Serviceentwicklung stärker formalisiert wird. Nach ihrer Erfahrung wird der Prozess durch das Marketing erbracht, weil es keine umfangreiche dedizierte FuE-Organisation gibt. Damit ein Gestaltungsmodell wirksam ist, sollte es die charakteristischen Merkmale des Gestaltungsobjekts berücksichtigen. Im vorliegenden Fall stellen logistische Mehrwertleistungen das Gestaltungsobjekt dar. Ihre Merkmale können in die Bereiche Potenzial, Prozess und Ergebnis untergliedert werden. Im Bereich des Potenzials zeichnen sich Mehrwertleistungen dadurch aus, dass ein breites Spektrum von Ressourcen und Fähigkeiten bereitgehalten und ausgelastet werden muss. Im Vergleich zu Basisleistungen sind Mehrwertleistungen noch personal- und wissensintensiver. Der „Produktionsfaktor Mensch“ erhöht die Flexibilität, birgt aber auch Risiken im Bereich der Qualität. Aus Prozesssicht sind Mehrwertleistungen mit einer besonders tie- 198 Gestaltungsmodell fen Kundenintegration verbunden. Bspw. erfordert die Mehrwertleistung Logistikplanung eine intensivere Interaktion zwischen LDL und Mandant sowie den Aufbau komplexerer organisatorischer und informationstechnischer Schnittstellen als dies bei einer Basisdienstleistung wie dem Transport der Fall ist. Aus Ergebnissicht weisen Mehrwertleistungen mehrere Besonderheiten auf. Sie zeichnen sich durch ein im Vergleich zu Basisleistungen höheres Mehrwertpotenzial aus. Dieses wird aber durch höhere Umsetzungsrisiken erkauft. Mehrwertleistungen müssen aufgrund der tiefen Integration mit dem Mandanten ein mandanten- oder segmentspezifisches Customizing erlauben. Aus den vorangegangenen Ausführungen lassen sich konkrete Anforderungen an ein Gestaltungsmodell für die Entwicklung logistischer Mehrwertleistungen formulieren: Berücksichtigung der charakteristischen Merkmale logistischer Mehrwertleistungen, Situatives Vorgehen durch die Bereitstellung von Typologien, Interessenharmonisierung durch eine simultane Ausrichtung an den Bedürfnissen potenzieller Mandanten sowie der Strategie des LDL, Integration von einzelnen Leistungen bzw. Lösungen in ein Leistungssystem, Unterstützung eines proaktiven Entwicklungsverständnisses bei Idee, Konzept und Design, Effektives und effizientes Vorgehen durch ständige Prioritätensetzung, Gegenüberstellung von Mehrwert und Risiko bei Auswahlentscheidungen. Aus Gründen der Effizienz und Verlässlichkeit ist es sinnvoll, bei der Entwicklung eines Gestaltungsmodells für logistische Mehrwertleistungen auf bestehende konzeptionelle Bausteine zurückzugreifen und diese mit den Ergebnissen der vorliegenden Arbeit zu kombinieren. Scheuing und Johnson (1989, S.28ff) haben im Rahmen einer Metastudie 15 Aktivitäten aus der Literatur über Produkt- und Serviceentwicklung zusammengetragen. Ihr Ansatz zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass er eine hohe Detaillierung aufweist, zahlreiche und frühzeitige Iterationen zwischen Design und Test vorsieht und die Berücksichtigung interner wie externer Informationsquellen betont. Die Aktivitäten wurden in Abbildung 35 in die vier Phasen Strategie, Idee und Konzept, Bewertung sowie Design, Test und Anlauf gruppiert. Diese Gruppierung stellt gleichzeitig – die letzte Phase wird aus Platzgründen ausgeklammert – die Gliederung des aktuellen Kapitels dar. Gestaltungsmodell „Strategie“ Formulierung von Servicezielen und strategien 199 „Idee und Konzept“ Ideengenerierung IdeenRanking Konzeptentwicklung Konzepttest „Bewertung“ Wirtschaftlichkeitsanalyse Projektautorisierung „Design, Test und Anlauf“ Service Design und Test Prozess- und Systemdesign Marketingprogramm PersonalTraining Service Test und PilotLäufe Testmarketing Anlauf Nachbetrachtung und Controlling Abbildung 35: Phasen des Gestaltungsmodells Eigene Darstellung basierend auf (Scheuing und Johnson 1989) 5.1 Leistungssystem Mit Hilfe von Leistungssystemen versuchen Anbieter ihre Leistungen zu verknüpfen, um die Mandanten bei der Bewältigung von Herausforderungen besser und umfassender zu unterstützen. Damit wollen sie Kundenbindungspotenziale ausschöpfen und sich wirksamer von Wettbewerbern abheben. Dieser Ansatz wirft für Anbieter viele neue Fragestellungen auf. Sie müssen bspw. einen Weg finden, wie sie Komplexitätskosten vermeiden und möglichst viele Komponenten wiederverwenden. Das Gestaltungsmodell bezweckt, die proaktive Entwicklung logistischer Mehrwertleistungen durch ein Leistungssystem zu strukturieren und zu koordinieren. Dafür wird basierend auf dem Schalenmodell von Belz ein entsprechendes Modell für die Kontraktlogistik (vgl. Abbildung 36) entwickelt. Die Darstellungsweise fördert ein gemeinsames Verständnis bei Mitarbeitern aus unterschiedlichen Funktionen und wird dennoch der Vielschichtigkeit des Sachverhalts gerecht. Ausgehend von einem generischen Leistungssystem können LDL gemäss ihrer Fähigkeiten, Ressourcen und Strategien ein individuelles System konfigurieren. Nachfolgend werden die Schalen erklärt und mit dem Industriepark als durchgängigem Beispiel illustriert. 200 Gestaltungsmodell Emotionales Profil und Mandantenerlebnis Innovative Zusammenarbeit mit Mandanten Integriertes Projektmanagement Mandantenintegration Nutzerintegration Mehrwertlösung Mehrwertleistung Basisleistung Mandanten-, Segment- oder übergreifende Lösung Materialfluss-, Transparenz-, Koordinations-, Optimierungsanbieter Analyse, Konzept, Implementierung, Betrieb Key Account Team, Entwicklungspartnerschaft, Gain Sharing Marke, Vertrauen, Geschäftsbeziehung Abbildung 36: Generisches Leistungssystem für die Kontraktlogistik Quelle: Eigene Darstellung basierend auf (Belz 1991) Die Basisleistungen stellen den Kern des Schalenmodells dar. Im Falle des Industrieparks sind dies Leistungen wie Lagerhaltung und Kommissionierung von Zulieferteilen für ein Werk. Logistikdienstleister, die einen Preiswettbewerb vermeiden wollen, ergänzen die Basisleistungen gezielt durch Mehrwertleistungen. Mit der wachsenden Bedeutung von Mehrwertleistungen steigt jedoch die Gefahr eines inkonsistenten und inkonstanten Leistungsspektrums. LDL sollten neue Leistungen zentral koordinieren, vor allem dann, wenn sie viele ihrer Ideen dezentral generieren. Im Industriepark bieten sich das Auftragsmanagement, die Sequenzierung und die LieferantenCollaboration als Zusatzleistungen an. Bei einer Mehrwertlösung verschiebt sich die Bedeutung von Mehrwertleistungen vom ergänzenden zum zentralen Bestandteil. Der LDL übernimmt einen vollständigen Prozess und kann zum Nutzen beider Seiten die Interdependenzen zwischen Leistungen voll ausschöpfen. Damit der LDL massgeschneiderte Prozesse anbieten kann, muss er passende und attraktive Mandanten(gruppen) auswählen und darüber kontinuierlich Expertise aufbauen. Ein Dienstleister für Lagerhaltung kann sich somit zum Betreiber einer Versorgungslösung weiterentwickeln. Die Schale Nutzerintegration steht für die Entscheidung, wie spezifisch einzelne Lösungen gestaltet werden. Entweder realisiert ein LDL eine mandantenspe- Gestaltungsmodell 201 zifische Lösung oder wiederverwendbare Module, die er auf variierende Bedürfnisse innerhalb einer Branche oder sogar über Branchengrenzen hinweg anpassen kann. Der Anbieter der Industriepark-Lösung erzeugt Skaleneffekte, indem er weitere Lieferanten oder sogar weitere Hersteller als Nutzer in den Standort integriert. Darüber hinaus realisiert er Verbundeffekte, wenn er das Lösungskonzept multipliziert. Mandantenintegration bedeutet, dass ein LDL sich tief in die Prozesse des Mandanten integriert und ihn von einem Aufgabenbereich vollständig entlastet. Ein solches OneStop-Shopping ist nur mit einem vollständigen und attraktiven Gesamtpaket möglich. Dafür muss der LDL Lücken in seinem Leistungsangebot identifizieren und selektiv schliessen. Relative Wettbewerbsnachteile bei einzelnen Komponenten muss er durch andere kompensieren. Als Ergebnis soll eine klare und starke Positionierung beim Mandanten stehen. Im Beispiel des Industrieparks kann der LDL seine Positionierung als Basisanbieter zum Materialflussanbieter oder wenn gewünscht auch zum Koordinationsanbieter ausbauen. LDL können für logistische Vorhaben ein integriertes Projektmanagement anbieten, indem sie schrittweise Verantwortung auch für Frühphasen bis hin zur Gesamtprojektverantwortung übernehmen. Dahinter steht der Anspruch, den Mandanten in seiner Entscheidungsfindung zu unterstützen. Ein LDL könnte bspw. die Erweiterung des Industrieparks planen. Einen solch umfangreichen Gestaltungsspielraum wird der Mandant allerdings nur aus der Hand geben, wenn der LDL einen klaren Mehrwert herausarbeitet. Wenn in grossem Umfang Wertschöpfung auf einen LDL transferiert wird, dann erfordert dies innovative Formen der Zusammenarbeit. Durch Key Account Teams wird die Zusammenarbeit institutionalisiert und es wird sichergestellt, dass der Mandant weltweit mit anforderungsgerechten Leistungen versorgt wird. Diese Teams können auch dabei helfen, komplementäre Expertise zu identifizieren und in Form gemeinsamer Entwicklungsprojekte zu bündeln. Im Beispiel des Industrieparks könnte man die Lieferanten-Collaboration oder die Behälterkreisläufe gemeinsam weiterentwickeln. Mit dem Aufkommen komplexer Logistiklösungen treten neben den Sucheigenschaften immer stärker auch Vertrauenseigenschaften in den Vordergrund. Dieser Tatsache wird die Schale „Mandantenerlebnis“ gerecht. Sie umfasst Leistungselemente, die beim Mandanten das Vertrauen und die positive Wahrnehmung des LDL fördern. Auch im industriellen Umfeld kommt der Marke eine wichtige Rolle bei der Vertrauensbildung zu. Ein LDL kann seine Expertise in der Inbound-Logistik durch Markenund Produktnamen signalisieren und diese an OEMs und Lieferanten kommunizieren. 202 Gestaltungsmodell In den nachfolgend geschilderten Phasen des Gestaltungsmodells stellt das Leistungssystem ein zentrales Instrument für die Analyse und Zielplanung dar. Anwender können das Leistungssystem in unterschiedlichen Granularitäten – z.B. Mandant, Branche oder Gesamtunternehmen – nutzen. Je weiter ein LDL, ausgehend von der inneren Schale, die äusseren Schalen ausgestaltet, desto höher ist seine Integration mit dem Mandanten und desto höher ist der potenziell erzielbare Mehrwert in der Zusammenarbeit. Dennoch werden LDL eine hohe Integration aufgrund der damit verbundenen Kosten und Risiken nur in ausgewählten Fällen umsetzen. Gestaltungsmodell 203 5.2 Strategie Ohne eine Leistungsstrategie laufen LDL Gefahr, dass unübersichtliche Leistungslisten anstatt strukturierter Leistungssysteme entstehen. In diesem Abschnitt wird dargestellt, wie das Management über eine Leistungsstrategie die Richtung für neue Mehrwertleistungen vorgibt. Dafür wird mit leichten Modifikationen auf den von MüllerStewens und Lechner (2003) vorgeschlagenen Strategieprozess zurückgegriffen. Die einzelnen Phasen werden auf den Kontext logistischer Mehrwertleistungen angepasst. Unternehmensanalyse Die Segmentierung eines Unternehmens in strategische Geschäftseinheiten (SGE) ist für eine systematische Marktbearbeitung wichtig (Müller-Stewens und Lechner 2003). Insbesondere LDL sind mit heterogenen Mandantenanforderungen konfrontiert. Hier bietet die Segmentierung der Unternehmensumwelt in strategische Geschäftsfelder (SGF) anhand von Abgrenzungskriterien wie Produktgruppe und Marktsegment die Chance, Komplexität zu reduzieren und die Segmente gezielter zu bearbeiten. Das innerbetriebliche, organisatorische Gegenstück zu den SGF stellen die SGE dar. Viele Logistikdienstleister organisieren die Kontraktlogistik als eigenständige strategische Geschäftseinheit. Bei der Bildung von SGE müssen Unternehmen darauf achten, dass sie grosse Überschneidungen zwischen den SGE vermeiden und dass sie Strategiekompetenzen sowie Ergebnisverantwortung in den jeweiligen SGE bündeln. Logistikdienstleister tun sich derzeit noch schwer, lokale Mandanten und solche, die global integrierte Lösungen verlangen, in einer Unternehmensorganisation abzubilden. Mit der Leistungsstrategie legen LDL fest, mit welchem Leistungssystem sie in Zukunft im Markt Erfolg haben wollen. Bevor sie jedoch ein Soll-Leitungssystem formulieren können, müssen sie erst eine Bestandsaufnahme des Ist-Leistungssystems und der damit verbundenen Ressourcen, Fähigkeiten und Kernfähigkeiten vornehmen. In Abbildung 36 wurde ein Leistungssystem für LDL mit acht Schalen vorgestellt. Ausgehend von den Basisleistungen steigt mit jeder weiteren Schale tendenziell die Problemlösung für den Mandanten. Dafür sind aber auch zusätzliche Ressourcen und Fähigkeiten beim LDL erforderlich. Entsprechend definieren Müller-Stewens und Lechner organisationale Fähigkeiten als Problemlösungsmuster im Unternehmen. Kernfähigkeiten sind wertvolle, seltene, schwer imitierbare und nicht substituierbare 204 Gestaltungsmodell Fähigkeiten (S.224). Sie sind Grundlage für eine erfolgreiche Geschäftsausdehnung, weil sie in zahlreiche Leistungen und Lösungen multipliziert werden können. Die Fähigkeit eines KEP-Anbieters, Güter über Nacht auszuliefern, kann er in zahlreiche Anwendungen wie bspw. eine Ersatzteillösung für den Maschinenbau multiplizieren. Die Autoren weisen darauf hin, dass bei einer Geschäftsbereichsorganisation die Gefahr besteht, dass sich kein Bereich für die Entwicklung bzw. Sicherung von Kernfähigkeiten verantwortlich fühlt und sich keine bereichsübergreifende Plattform bildet. Umweltanalyse Bei der Umweltanalyse (Müller-Stewens und Lechner 2003, S.171ff) geht es darum, die Beziehungen zu den Anspruchsgruppen des Unternehmens zu untersuchen. Neben den in diesem Abschnitt betrachteten Gruppen, den Kunden und Wettbewerbern, gehören dazu die Lieferanten, die Investoren und der Staat. Unternehmen können nicht zu allen Kunden gleich gute Beziehungen aufbauen, weil sie die variierenden Kundenbedürfnisse nicht gleich gut befriedigen können. Stattdessen müssen sie sich auf attraktive Kundensegmente konzentrieren. Die Technik der Marktsegmentierung hilft dabei, diese Segmente zu identifizieren. Mit bestimmten Kriterien wird der heterogene Kundenbestand in homogene Kundengruppen gegliedert. In Kapitel 3.1.1 wurde eine mögliche Segmentierung erarbeitet, die in diesem Zusammenhang verwendet werden kann (vgl. Abbildung 37). Sie unterscheidet anhand der beiden Kriterien „Logistikkompetenzen“ und „Outsourcing-Kompetenzen“ vier Mandantentypen. Implikationen für die Marktbearbeitung des LDL werden nachfolgend diskutiert. OutsourcingKompetenzen Logistikkompetenzen Basisleistungen durchschnittlich "integrierter Logistiker" überdurchschnittlich "integrierter Logistikexperte" Mehrwertleistungen "Logistikeinkäufer" "schlanker Logistikexperte" Abbildung 37: Mögliche Segmentierung von Mandanten Die Logistikkompetenz von Mandanten kann dadurch in zwei Gruppen differenziert werden, indem bestimmte auszuwählende Leistungsindikatoren mit dem Branchenschnitt verglichen werden. Von der Logistikkompetenz hängt ab, welche Leistungen Gestaltungsmodell 205 und Nutzenkategorien ein Logistikdienstleister dem Mandanten anbieten sollte. Mandanten, deren Logistik im Branchenvergleich als unterdurchschnittlich einzuordnen ist, bieten ein grosses Potenzial für das gesamte Leistungsspektrum des LDL. Ein konsultativer Ansatz (vgl. Kapitel 3.1.2), d.h. die Einbeziehung des LDL mit seinem Logistikwissen in einer frühen Projektphase, stösst hier u.U. auf Akzeptanz. Der LDL kann ein Gesamtkonzept entwickeln und anbieten, dafür die Gesamtverantwortung zu übernehmen. Für Mandanten, deren Logistikkompetenzen überdurchschnittlich sind, müssen LDL die Bedürfnisse präzise ermitteln. Dabei kommen Key Account Teams – dedizierte Gruppen für Schlüsselkunden – eine grosse Bedeutung zu. Sie sammeln Informationen, die für die Entwicklung und das Angebot bedarfsgerechter Mehrwertleistungen verwertet werden. Best-Practice-Mandanten eignen sich nicht nur als Referenzen für LDL, in manchen Fällen bietet sich für beide Parteien eine Entwicklungspartnerschaft an. Die Outsourcing-Kompetenz eines Mandanten hängt davon ab, ob sich seine Outsourcing-Erfahrungen ausschliesslich auf Basisleistungen oder auch in grösserem Umfang auf Mehrwertleistungen beziehen. Die Outsourcing-Kompetenz des Mandanten determiniert, wie der Logistikdienstleister komplexe Leistungen anbieten sollte. Verfügt der Mandant nur über Erfahrung mit der Fremdvergabe von Standardleistungen, dann ergeben sich ggf. Möglichkeiten für den LDL, sich als gesamtverantwortlicher Projektmanager zu positionieren und bereits in frühen Projektphasen zusätzliche Leistungen wie Beratung und Projektmanagement anzubieten. Dadurch kann er den Mandanten bspw. dabei unterstützen, Spezifikationen zu schreiben und den Wandelprozess zu managen. Allerdings haben Mandanten in den Interviews Bedenken geäussert, ob LDL stets neutral agieren. Selbst eine Trennung von Konzept und Umsetzung bringt alleine noch keine Abhilfe, weil LDL u.U. ein Konzept entwickeln, das sich an ihren Stärken orientiert und sie somit in der Ausschreibung um die Umsetzung begünstigt. Einen möglichen Ansatz bieten hier Pilotprojekte, mit denen bei Mandanten schrittweise Vertrauen in komplexe Mehrwertleistungen und die Neutralität des LDL aufgebaut werden. Verfügt der Mandant auch über Erfahrung mit der Fremdvergabe von Mehrwertleistungen, dann versteht er die erzielbaren Potenziale und kennt die Voraussetzungen in den Bereichen Zusammenarbeit, Vertrags- und Preisgestaltung. Hier ergibt sich für LDL die Möglichkeit, Mehrwertleistungen weiter auszubauen und ihre Position zum bevorzugten Systemlieferanten weiterzuentwickeln. Er kann den hohen Ansprüchen 206 Gestaltungsmodell des Mandanten an eine Geschäftsbeziehung durch innovative Formen der Zusammenarbeit, wie bspw. eine Interessenharmonisierung durch Gain Sharing, gerecht werden. Auch in diesem Kontext spielt Key Account Management eine wichtige Rolle, um die enge Geschäftsbeziehung zu institutionalisieren. Strategie der Geschäftseinheiten Strategische Initiativen auf der Ebene der SGE befassen sich mit der „zielorientierten Veränderung der Beziehung zu den Anspruchsgruppen (S.252)“. Je nach der anvisierten Anspruchsgruppe sind Markt- und Wettbewerbsstrategien zu unterscheiden. Rechtefluss Finanzfluss Optimierungsanbieter Koordinationsanbieter Informationsfluss Transparenzanbieter Materialflussanbieter Materialfluss Basisanbieter Ausführung Monitoring Planung / Fulfillment Design Abbildung 38: Mögliche Positionierungen im Geschäftsfeld Kontraktlogistik Quelle: Eigene Darstellung Marktstrategien. Müller-Stewens und Lechner nennen vier wesentliche Gestaltungsparameter für Marktstrategien, nämlich Variation, Substanz, Feld und Stil. Variation bedeutet, dass sich Unternehmen regelmässig fragen, ob sie ihre Positionierung, also den im Markt wahrgenommenen Nutzen, anpassen oder beibehalten sollen. Erfolgreiche Unternehmen gestalten basierend auf ihrer detaillierten Kundenkenntnis bewusst und konkret, welchen Nutzen sie den Kunden anbieten wollen (vgl. auch Straube und Frohn 2006). Abbildung 38 beinhaltet eine Übersicht über mögliche Positionierungen im Geschäftsfeld Kontraktlogistik, die in Kapitel 3.4 erarbeitet wurden. Für LDL sind fünf Positionierungen vom Basisanbieter bis hin zum Optimierungsanbieter genannt, je Gestaltungsmodell 207 nachdem welche Aufgaben (Ausführung etc.) sie auf welcher Leistungsebene (Materialfluss etc.) übernehmen. Innerhalb einer SGE wird üblicherweise nochmals segmentiert, um festzulegen, welche Felder das Unternehmen bearbeiten möchte und welche es bewusst meidet. Wenn man eine aus vier Feldern bestehende Produkt-Markt-Matrix zugrunde legt, dann ergeben sich folgende generische Stossrichtungen: Marktdurchdringung. Ein LDL konzentriert sich mit seinem gegenwärtigen Leistungsspektrum auf die aktuell bearbeiteten Marktsegmente. Dieser Fall ist für die Leistungsentwicklung weniger relevant. Marktentwicklung. Ein LDL stösst mit bestehenden Leistungen in neue Marktsegmente vor. Dieser Sachverhalt ist für LDL sehr relevant, da die Internationalisierung ihrer Mandanten erfordert, dass sie entsprechend nachziehen. Die Marktentwicklung kann zu Schwierigkeiten bei der Kapazitätsauslastung und der Skalenposition führen. Etwas anders sieht es bei den Verbundeffekten aus, die ähnlich wie bei der Beratung auch grenzüberschreitend realisierbar sind. Produktentwicklung. Ein LDL bietet neue Leistungen in etablierten Marktsegmenten an. Dabei handelt es sich entweder um neue Varianten, zusätzliche Leistungsmerkmale oder um vollständig neuentwickelte Leistungen. Diversifikation: Ein LDL entwickelt neue Leistungen für ein neues Marktsegment. Diese Situation ist üblicherweise besonders risikoreich und muss durch entsprechend hohe Chancen gerechtfertigt werden. Die Vor- und Nachteile von Diversifikation werden im Abschnitt „Strategie des Gesamtunternehmens“ diskutiert. Die Marktstrategie wird durch Entscheidungen über den Marketing-Mix komplettiert (Stil). LDL müssen sich insbesondere Gedanken machen, wie sie ihre Leistung und ihren Kundennutzen kommunizieren und wie sie die Preise von Einzelleistungen und Lösungen gestalten. Wettbewerbsstrategien. Um erfolgreich im Wettbewerb zu bestehen, müssen Unternehmen über Schwerpunkte, Orte, Taktiken und Regeln für die Auseinandersetzung mit der Konkurrenz entscheiden. Sie setzen einen Schwerpunkt im Wettbewerb, indem sie festlegen, ob sie einen Konkurrenzvorteil bei den Kosten oder beim erzeugten 208 Gestaltungsmodell Mehrwert anstreben. Die Projektportfolios vieler LDL sind heute noch recht heterogen, so dass eine Aussage über den gewählten Schwerpunkt schwierig ist. Die Heterogenität ist Indikator dafür, dass sich die Branche in einem frühen bis mittleren Entwicklungsstadium befindet. Mit zunehmender Reife wird sich eine stärkere Profilierung der Anbieter durchsetzen. LDL beschliessen, ob sie die logistischen Bedürfnisse einer gesamten Branche oder eines Branchensegments befriedigen wollen. Es ist nur dann sinnvoll, Branchensegmente zu adressieren, wenn sie sich durch besondere spezifische Anforderungen auszeichnen, die auf Konkurrenzanbieter, die sich an der Gesamtbranche ausrichten, wie Eintrittsbarrieren wirken. Die beiden ersten Gestaltungsparameter entsprechen den Achsen der bekannten Wettbewerbstypologie von Porter, die in Abbildung 39 auf den Kontext der Kontraktlogistik angepasst wurde. Branche Branchensegment Ort des Wettbewerbs Schwerpunkt des Wettbewerbs Mehrwert Kosten Mehrwertanbieter Kostenführer Bedürfnis: einzigartige Leistung Produkt: Basisleistungen + Mehrwertleistungen Bedürfnis: niedrige Kosten Produkt: standardisierte Basisleistungen Fokussierter Mehrwertanbieter Fokussierter Kostenführer Bedürfnis: spezifische Leistung Produkt: Basisleistungen + Mehrwertleistungen Bedürfnis: niedrige Kosten Produkt: spezifische Basisleistungen Abbildung 39: Wettbewerbsstrategien in der Kontraktlogistik Quelle: Eigene Darstellung basierend auf (Porter 1998) und (Müller-Stewens und Lechner 2003) Der Kostenführer bietet überwiegend standardisierte Basisleistungen rund um Transport, Umschlag und Lagerhaltung an. Seine Zielgruppe besteht aus allen Teilnehmern einer Branche, bspw. aus allen Konsumgüterherstellern. Er positioniert sich vor allem über niedrige Kosten im Markt. Im Unterschied zum Kostenführer bezweckt der Mehrwertanbieter, eine einzigartige Kombination von Basis- und Mehrwertleistungen zu erbringen. Das könnte z.B. neben der Lagerhaltung die Übernahme von CPFRProzessen72 im Konsumgüterbereich sein. Der fokussierte Kostenführer ähnelt dem 72 CPFR = Continuous Planning Forecasting and Replenishment Gestaltungsmodell 209 Kostenführer. Er weist jedoch den Unterschied auf, dass sich sein Angebot nicht an die gesamte Branche, sondern an Branchensegmente - wie bspw. temperaturgeführte Güter - richtet. Der fokussierte Mehrwertanbieter reichert die Basisleistungen mit Mehrwertleistungen an und kann bspw. eine Komplettlösung im Bereich hängender Textilien bieten. LDL A – Schritt 2 LDL B – Schritt 1 Segmentlösung Leistungsdifferenzierung (Wertorientierung) LDL B – Schritt 2 Mandantenlösung Wer gewinnt den Wettlauf? LDL A – Schritt 1 Ausgangssituation Generische Lösung Prozesssynergien (Kostenorientierung) Abbildung 40: Hybride Wettbewerbsstrategien Quelle: Eigene Darstellung basierend auf (Gilbert und Strebel 1987, S.32) Wenn LDL keine Profilierung gelingt, dann droht ihnen eine Stuck-in-the-middlePosition mit niedrigeren Renditen. Mehrere der generischen Strategien können auch zu einer sogenannten hybriden Strategie kombiniert werden. Durch einen bewussten „Strategiewechsel zur richtigen Zeit“ (S.266) kann eine überlegene betriebswirtschaftliche Performance erzielt werden. Im Unterschied zu Stuck-in-the-Middle gibt es zu jedem Zeitpunkt eine klare Positionierung gegenüber dem Wettbewerb. Abbildung 40 stellt zwei alternative Entwicklungspfade73 gegenüber. LDL A kommt ursprünglich aus dem KEP-Segment. Er hat durch standardisierte Abläufe sehr viel Wert auf Prozesssynergien gelegt. Er möchte aber jetzt stärker in bestimmten Zielbranchen wachsen, die eine Affinität zu Expresslieferungen aufweisen. Eine davon ist die Textilbranche, für die A im zweiten Schritt Mehrwertleistungen als Differenzierungsleistungen 73 Die Beispiele sind fiktiv. 210 Gestaltungsmodell entwickelt. LDL B geht in umgekehrter Reihenfolge vor. Der international agierende Spediteur, entwickelt mit einem Referenzkunden eine interkontinentale Beschaffungslösung. Im zweiten Schritt sucht er Mandanten, die nicht direkt mit dem Referenzmandanten konkurrieren, aber dennoch wichtige Anforderungen mit ihm teilen. Strategie des Gesamtunternehmens Auf der Ebene des Gesamtunternehmens muss die Zentrale bestimmen, ob ein Unternehmen in einem oder mehreren Geschäftsfeldern aktiv sein soll (Konzentration versus Diversifikation), welche Geschäftsfelder das Unternehmen bearbeitet und wie es die Aktivitäten über die Geschäftsfelder hinweg koordiniert (Müller-Stewens und Lechner 2003, S.276ff). Für die Konzentration auf ein Geschäftsfeld spricht, dass ein Unternehmen einen Markt besonders gezielt bearbeiten kann und alle Ressourcen dafür bündelt. Ein Beispiel aus der Logistikindustrie ist das Unternehmen Fiege, das überwiegend in der Kontraktlogistik tätig ist. Gängige Motive für eine Diversifikation sind, neue Wachstumschancen zu eröffnen, Marktrisiken durch gegenläufiges Geschäft auszugleichen und Kapazitäten auszulasten. Die Deutsche Post und UPS stellen Beispiele von diversifizierten Logistikunternehmen dar. Das Pendant zum Wettbewerbsvorteil auf der Geschäftsebene ist auf der Unternehmensebene der Parenting Advantage (S.38). Dieser Vorteil erwächst, wenn die Zentrale die strategischen Geschäftseinheiten besonders wirksam unterstützt und koordiniert. Vor allem die nichtkonkurrierende gemeinsame Ressourcennutzung im Sinne von Verbundeffekten ist vielversprechend. Die Zentrale kann bspw. fördern, dass Successful-Practices - wie bspw. ein Netzwerk in einem bestimmten Schwellenland aufgebaut wird – transferiert werden oder dass eine SGE den Markennamen einer anderen mitnutzt (bspw. UPS Express und UPS Supply Chain Solutions). Auch Skaleneffekte zwischen Geschäften bergen ein hohes – häufig nur im Ansatz gehobenes – Potenzial. Wenn der Parenting Advantage kleiner als die Kosten der Zentrale ist, dann werden Werte vernichtet. Es kommt zu einem Abschlag am Kapitalmarkt, der als „conglomerate discount“ bezeichnet wird (S.278). Kontraktlogistik ist ein konvergierendes Geschäftsfeld der Logistik, in das sich Anbieter mit unterschiedlichem Hintergrund diversifizieren. Abbildung 41 zeigt, dass in der Kontraktlogistik eine Vielzahl von Anbietern mit unterschiedlichen historischen Schwerpunkten bei Netzwerkstruktur und Aufgabenstruktur zu finden sind. In dem Beispiel aus dem vorherigen Abschnitt konkurrieren zwei LDL mit einer Branchenlö- Gestaltungsmodell 211 sung für die Textilindustrie. LDL A kommt aus dem KEP-Bereich und LDL B aus der Spedition. Sie verfügen daher über ungleiche Ressourcen, Fähigkeiten und Synergiepotenziale, aus denen sie unterschiedliche Mehrwertversprechen ableiten können. Es ist bspw. denkbar, dass LDL A den Mandanten einen Zugang zu einem besonders schnellen und zuverlässigen Netzwerk anbietet, wohingegen LDL B einen Zugang zu einem besonders flexiblen Netzwerk anbietet. Transportnetzwerk Stationäres Netzwerk Transporteur Lagerdienstleister Third Party Logistics Produktionsdienstleister Provider IT-Dienstleister Fourth Party Logistics administrativen Einkaufsdienstleister Provider Aufgaben Beratungsdienstleister Schwerpunkt bei physischen Kombiniertes Netzwerk Aufgaben Schwerpunkt bei Transportmarktplatz Finanzdienstleister Kombination von physischen und Spediteur Stationärer Lead Logistics Kontraktlogistiker Provider administrativen KEP-Dienstleister Aufgaben Abbildung 41: Kontraktlogistik als konvergierendes Geschäftsfeld Quelle: Eigene Darstellung Für Kontraktlogistiker ergibt sich hinsichtlich ihrer Strategie eine zentrale Herausforderung. Sie müssen Markt- und Wettbewerbsstrategien entwickeln, die ihrem Geschäftsportfolio gerecht werden, und sie müssen durch wirksame Koordination der Geschäftseinheiten gewährleisten, dass diese Strategien auch umgesetzt werden. Je besser Marketingaktivitäten zwischen den Geschäftseinheiten abgestimmt werden, desto einheitlicher ist der Marktauftritt und desto besser wird ein Cross Selling gelingen. Der einheitliche Marktauftritt wird dadurch erleichtert, dass das Leistungsportfolio konsolidiert und harmonisiert wird. Auch in der Produktion von Logistikdienstleistungen sind erhebliche Verbesserungen durch Koordinationsmassnahmen zu erwarten. Dazu gehört, dass die Prozesse und Netzwerke kompatibler zueinander werden. 212 Gestaltungsmodell 5.3 Idee und Konzept Untersuchungen über die Entwicklung neuer Dienstleistungen haben ergeben, dass Synergien zu bestehenden Leistungen der wichtigste Erfolgsfaktor ist (De Brentani 1991, S.52). Je besser der Fit mit den bestehenden Ressourcen und Fähigkeiten, desto wahrscheinlicher ist ihre Qualität und Effizienz und damit ihr Markterfolg. Um eine langsame Leistungsevolution zu vermeiden, müssen Dienstleister jedoch auch andere Suchkriterien in Erwägung ziehen. Ideengenerierung Zahlreiche LDL wollen die überwiegend reaktive Leistungsentwicklung durch einen proaktiven Ansatz ersetzen. Dafür müssen sie auf interne und externe Ideenquellen zugreifen. Sie müssen Ideen ausarbeiten und ihre Machbarkeit überprüfen, ohne dabei gute Ideen vorzeitig zu verwerfen. Auf die Bewertung wird im nächsten Kapitel eingegangen. LDL sollten für einen strukturierten Suchprozess die verwendeten Suchrichtungen, Quellen, Mitarbeiter und Werkzeuge spezifizieren. Für die Ideengenerierung werden Mitarbeiter und Werkzeuge aus den Funktionen FuE, Marketing, Produktion und IT benötigt. Die Ideensuche bezieht sich entweder auf das Unternehmen oder sein Umfeld. Suche im Umfeld. Häufig gewinnen Unternehmen Ideen, indem sie beobachten, welche Leistungen die Wettbewerber anbieten. Diese kann ein LDL über die Fachpresse oder frühere Mitarbeiter der Konkurrenz in Erfahrung bringen. Es besteht allerdings die Gefahr, dass anstatt einer wünschenswerten Abhebung von den Wettbewerbern eine kontinuierliche Annäherung erfolgt. Erfolgreiche Suchstrategien setzen daher vielfach an beobachtbaren oder abstrakten Bedürfnissen des Kunden an. Belz (1991) schlägt bspw. vor, die Wertkette des Kunden als Referenzpunkt zu nutzen. Dadurch kann ein LDL feststellen, an welchen Punkten in der Wertkette er stärker bzw. schwächer als der Mandant bzw. die Wettbewerber ist und daraus konkrete Entwicklungsmassnahmen ableiten. Da sich die Typologie von Mehrwertleistungen (vgl. Abbildung 17) an der Wertkette anlehnt, ist sie für diese Aufgabe sehr nützlich. Die oben beschriebene Segmentierung von Geschäftsfeldern und Märkten bietet ebenfalls Anhaltspunkte über ähnliche Segmente, die noch nicht bedient werden. Gestaltungsmodell 213 Logistikdienstleister müssen für eine langfristig erfolgreiche Zusammenarbeit mit Mandanten den Kundennutzen ihres Angebots entsprechend der Mandantenbedürfnisse ständig weiterentwickeln. Egli und Stutz (1989, S.48ff) meinen, dass Kundennutzenforschung die Bedürfnisse der Kunden ganzheitlich erfasst und daher eine Querschnittsaufgabe für Dienstleistungsanbieter darstellt. Sie schlagen vor, die Unternehmensstrategie repräsentativer Kunden selbst zu erarbeiten und dabei zu beantworten, welches Kerngeschäft der Kunde betreibt, wie er sich vom Wettbewerb abhebt, welche Funktionalstrategien er verfolgt und welche Kostenstrukturen er erreichen muss. Diese Informationen ermöglichen es, den eigenen Beitrag besser einzuschätzen und „treffsicher“ zu kommunizieren. Die Autoren schlagen eine dreistufige Typologie von Kundenbedürfnissen (vgl. Abbildung 42) vor, welche konsistent mit den in Kapitel 3.3 entwickelten Potenzialnetzwerken logistischer Mehrwertleistungen ist: Funktionale Bedürfnisse. Diese Bedürfnisse artikulieren Mandanten bspw. in Pflichtenheften, Ausschreibungen oder Workshops. LDL müssen diese Spezifikationen bei ihrer Serviceentwicklung berücksichtigen. Sie können entsprechend dieser Informationen neue Mehrwertleistungen bzw. zusätzliche Varianten mit entsprechenden Merkmalen und Leistungsniveaus entwickeln. Die Ergänzung eines Auftragserfassungssystems um eine Verfügbarkeitsprüfung (ATP), die Erweiterung eines Lagerverwaltungssystems um die Funktionalität einer Bestands-Collaboration (vgl. BVL und BearingPoint 2003) sowie die Reduktion der Lieferzeit in der Europadistribution von 48h auf 24h sind Beispiele für Weiterentwicklungen, die sich an funktionalen Bedürfnissen orientieren. Problemlösungsbedürfnisse. Logistikdienstleister, die sich bei der Entwicklung an den logistischen Herausforderungen und Strategien ihrer Mandanten orientieren, können ganzheitliche statt punktuelle Lösungsbeiträge erbringen. Diese Stossrichtung bietet stärkere Differenzierungsmöglichkeiten im Wettbewerb, erfordert aber umfangreiche Kompetenzen der Anbieter. Die Problemlösungsbedürfnisse im Kontext logistischer Mehrwertleistungen sind äquivalent zu den Nutzenpotenzialen aus Abbildung 29. Mandanten wollen sich stärker auf Kernkompetenzen ausserhalb der Logistik fokussieren, sie brauchen Logistikstrukturen, die sich flexibel an ständig veränderte Märkte anpassen und Dienstleister, die ihnen beim Wandel ihrer internen Prozesse helfen. Sie suchen variable Kostenstrukturen trotz teurer Infrastrukturen und einen Logistikpartner, der in der Lage ist, Kosten mit Hilfe von Skalen- und Verbundeffekten zu senken. Einige Mandanten streben auch die Zusammenarbeit mit LDL an, um die 214 Gestaltungsmodell Flussorientierung und Transparenz in Prozessen zu verbessern. LDL können Mandanten auch dadurch unterstützen, dass sie ihnen einen kostengünstigen und flexiblen Zugang zu qualifiziertem Personal ermöglichen. Darüber hinaus helfen manche LDL ihren Mandanten, Bilanzstrukturen zu optimieren und Risiken im Logistiknetzwerk besser zu managen. Erfolgsbedürfnisse. Mandanten mit umfangreicher Erfahrung im Outsourcing wollen durch den Einsatz von Dienstleistern deutliche Ergebnisverbesserungen im Vergleich zur internen Erbringung einkaufen. Diese werden dann in Verträgen bspw. durch Gain-Sharing-Risk-Sharing-Abkommen festgeschrieben. Progressive LDL stellen sich schon jetzt auf solche Trends ein und entwickeln Leistungen und Lösungen, mit deren Hilfe die Logistikkosten und die Servicegrade in einem festgelegten Zeitraum verbessert werden. Diese Anbieter sind in der Lage, die Wirkungen ihrer Lösungen auf den Shareholder Value für den Mandanten transparent darzustellen. Kernkompetenzfokus Strategische Flexibilität Katalysator für Wandel Kostenvariabilisierung Skaleneffekte Verbundeffekte Prozessverbesserung Transparenz Lohnkostenarbitrage Spezialisierung Risikotransfer, -teilung Bilanzoptimierung Funktionale Bedürfnisse Problemlösungsbedürfnisse Erfolgsbedürfnisse Abbildung 42: Typologie von Kundenbedürfnissen Suche im Unternehmen. Oben wurde bereits auf die Bedeutung von Synergien als Erfolgsfaktor in der Leistungsentwicklung hingewiesen. Kundenorientierung ist wichtig, um Mehrwertleistungen nicht am Bedarf der Kunden vorbei zu entwickeln. Zusätzlich muss jedoch eine unternehmensorientierte Suche erfolgen. Dafür bestimmt der LDL einen Status Quo als Ausgangspunkt, indem er die Leistungen, Ressourcen und Fähigkeiten der bestehenden Kontrakte aufzeichnet. Auch hier bietet sich wieder die Nutzung der Leistungstypologie an. Ausgehend von den aktuell für einen Mandant erbrachten Leistungen sucht der LDL in horizontaler sowie vertikaler Richtung nach Gestaltungsmodell 215 neuen Leistungen, die Verbindungen und Ähnlichkeiten mit den bisherigen aufweisen. Vertikal bedeutet, dass der LDL die vor- und nachgelagerten Wertschöpfungsaktivitäten betrachtet. Horizontal drückt dagegen aus, dass er nach ähnlichen Aktivitäten wie den bisherigen sucht. Postponement könnte er bspw. auch für andere Geschäftseinheiten des Mandanten erbringen. Bei den Ähnlichkeiten sind Ergebnis-, Prozess- und Potenzialähnlichkeiten zu unterscheiden. Mehrwertleistungen weisen Potenzialähnlichkeiten auf, wenn man für sie vergleichbare Ressourcen und (Kern)Fähigkeiten vorhält. Der Grad der Gleichartigkeit zwischen Abläufen mehrer Mandanten oder Branchen determiniert die Prozessähnlichkeit. Ein Dienstleister mit starker Position in der Textilindustrie könnte sich bspw. fragen, welche Ähnlichkeiten zu den dispositiven Prozessen in der Elektronikindustrie bestehen. Neben Ähnlichkeiten, die tendenziell zu inkrementeller Innovation führen, sollten LDL auch nach Neuigkeiten für ihr Leistungsportfolio suchen. Dazu gehören bspw. Finanzdienstleistungen rund um die Logistik. Konzeptentwicklung Eine Priorisierung von Entwicklungsvorhaben ist nur möglich, wenn bewertungsfähige Konzepte für Mehrwertleistungen und -lösungen vorliegen. In der Phase Konzeptentwicklung beschreiben Dienstleister die Leistungen hinsichtlich ihrer Merkmale und Zielgruppe, des adressierten Kundenproblems sowie der quantifizierbaren und nichtquantifizierbaren Potenziale für beide Parteien. Anschliessend testen sie mit potenziellen Mandanten, ob diese das Konzept verstehen und positiv darauf reagieren. Mandanten könnten bspw. Zweifel bzgl. der Machbarkeit oder des Nutzens artikulieren, die der Dienstleister in eine Konzeptüberarbeitung einfliessen lässt (Scheuing und Johnson 1989). LDL sollten ein strukturiertes Leistungssystem aufbauen, um trotz Leistungsvielfalt nicht bei der Übersichtlichkeit und Verständlichkeit einzubüssen. Auf dieses System gibt es wie in Abbildung 43 dargestellt zwei Perspektiven, nämlich die des LDL und die des Mandanten. Die Perspektive des LDL ist durch eine Vielfalt an Leistungen und Leistungsvarianten gekennzeichnet, die es zu beherrschen gilt. Dabei nehmen Plattformen nicht nur im Produktumfeld, sondern zunehmend auch im Dienstleistungsumfeld eine bedeutende Rolle ein. Meyer und Lenhard (1997) definieren eine Plattform als „a set of subsystems and interfaces that form a common structure from which a stream of derivative 216 Gestaltungsmodell products can be efficiently developed and produced“. Aus der Definition kann man Modularisierung, Standardisierung und Wiederverwendung als charakterisierende Merkmale einer Plattform herauslesen. Eine konsequente Umsetzung des Plattformgedankens wirkt sich in nahezu allen Funktionsbereichen eines Unternehmens aus. Sie führt zu einer schnelleren und kostengünstigeren Entwicklung. In der Produktion kommt es aufgrund der Wiederverwendung von Komponenten zu Lerneffekten mit spürbaren Kosten- und Qualitätswirkungen. Im Marketingbereich sorgen kundenindividuelle Angebote für engere Partnerschaften mit den Mandanten. In der Beschaffung lassen sich Volumina kostenwirksam bündeln (Stauss 2003, S.330f). Mandantenlösungen Segmentlösungen / Branchenlösungen Ergebnisplattform Übergreifende Lösungen Prozessplattform Potenzialplattform Perspektive des LDL Perspektive des Mandanten Abbildung 43: Perspektiven auf das Leistungssystem Die Perspektive des Mandanten kann durch ein fiktives Beispiel illustriert werden. Ein LDL beteiligt sich an einer Ausschreibung. Er bietet eine Mandantenlösung an und konkurriert gegen zwei weitere LDL. Einer davon bietet eine übergreifende Lösung und der andere eine Branchenlösung (vgl. Tabelle 9). Der Mandant wird die Alternativen hinsichtlich bestimmter Fragestellungen untersuchen, nämlich wie einfach er eine Lösung konfigurieren kann, die seine Kernanforderungen erfüllt, wie aufwendig die Realisierung bestimmter Sonderwünsche ist und welcher Mehrwert bzw. welche Risiken mit den Lösungen verbunden sind. Gestaltungsmodell 217 Mandantenlösung Begriff Übergreifende Lösung Branchenlösung / Segmentlösung Konfiguration von BasisKonfiguration von BasisKonfiguration von Basisund Mehrwertleistungen aus und Mehrwertleistungen aus und Mehrwertleistungen des dem Leistungssystem, die dem Leistungssystem, die Leistungssystems, die überwiegend für einen überwiegend für mehrere überwiegend für eine Mandanten genutzt werden. Branchen genutzt werden. Branche bzw. ein Segment genutzt werden. Lösungsstrategie Kundennutzenorientierung Synergieorientierung Strategiewechsel (Standardisierung oder Verjüngung) Mehrbenutzer / Einbenutzer Mehrbenutzer / Einbenutzer Umgebung Einbenutzer Preisgestaltung hoher Fixanteil Mehrwert für LDL Verbundeffekte Kundenbindung Risiken für LDL Mehrwert für Mandant Auslastungsrisiko Komplexität Lösungsmerkmale Absatzrisiko New Entrants Kostenstruktur Risiken für Mandant Abhängigkeit Change Management überwiegend transaktionsorientiert Skaleneffekte überwiegend transaktionsorientiert Skaleneffekte Verbundeffekte Kundenbindung Investitionsrisiko Change Management Lösungsmerkmale Kostenstruktur Change Management Tabelle 9: Lösungstypen im Vergleich Quelle: Eigene Darstellung Aus Tabelle 9 wird deutlich, dass es drei grundsätzliche Lösungsstrategien gibt, die jeweils mit einem Lösungstyp verbunden sind. Die rein synergieorientierte Lösungsstrategie führt zu einer übergreifenden Logistiklösung, die für mehrere Branchen genutzt werden kann. Die Lösung wird so gestaltet, dass mehrere Nutzer integriert werden. Dadurch entstehen Skaleneffekte und der LDL kann transaktionsorientiert entlohnt werden. Der Nachteil eines solchen Ansatzes liegt darin, dass der Wettbewerb alleine über die Skalenposition stattfindet und der Anbieter dadurch gegenüber (neuen) Wettbewerbern verwundbar wird. Eine rein kundennutzenorientierte Lösungsstrategie führt tendenziell zu Mandantenlösungen. Die Komponenten einer solchen Lösung werden überwiegend für einen Mandanten exklusiv erbracht, so dass sich in der Abrechnung ein hoher Fixanteil ergibt. Die Stärke des Lösungstyps liegt in seinem hohen Kundenbindungspotenzial für den LDL. Allerdings ist es gerade in schwankenden Geschäften schwierig für ihn, die Ressourcen adäquat auszulasten. Bei LDL, die überwiegend Mandantenlösungen im Portfolio haben, entsteht eine enorme Variantenvielfalt und Komplexität. Schuh et al. (1998, S.78ff) warnen vor einer falsch verstandenen Kundennähe, weil Komplexität den wichtigsten Kostentreiber in produzierenden Unternehmen – und damit auch in Logistikunternehmen – darstellt. Misserfolge stellen sich häufig ein, weil es Unternehmen nicht gelingt, die Variantenvielfalt an der tatsächlichen Bedürfnisvielfalt op- 218 Gestaltungsmodell timal auszurichten. Stattdessen subventionieren sie exotische Anforderungen aufgrund mangelnder Kostentransparenz quer. LDL müssen ein ganzheitliches Bewusstsein für die Konsequenzen von Komplexität entwickeln, um sie gezielt zur Schaffung von Kundenwert einzusetzen (S.80). Der gezielte Strategiewechsel – das sogenannte „Outpacing“ – stellt die dritte Lösungsstrategie dar. Im Laufe der Evolution von Branchen und Segmenten variieren die Spielregeln des Wettbewerbs. Gilbert und Strebel weisen darauf hin, dass grosse Spieler in einer Branche eine Veränderung der Spielregeln provozieren können. Branchenteilnehmer können diese Veränderung nutzen und durch einen entsprechenden Strategiewechsel Wettbewerber überholen, die eine eindimensionale Strategie verfolgen (Gilbert und Strebel 1987, S.28ff). Wenn die Strategie von kundennutzenorientiert auf synergieorientiert wechselt, dann sprechen die Autoren von „Standardisierung“, wohingegen sie im umgekehrten Fall von „Verjüngung“ sprechen. Die Standardisierung ist vor allem für entwickelte Segmente relevant. Im Reifeprozess einer Branche sinkt nämlich die Innovationsrate, einzigartige Leistungsmerkmale verlieren zunehmend ihre differenzierende Wirkung und Standards (bspw. SAP) setzen sich durch. Als Beispiel aus der Logistik lässt sich Tracking & Tracing nennen, das seine Rolle als Differenzierungsleistung immer weiter einbüssen wird. Im Kontrast dazu ist ein rückläufiges Marktwachstum Indikator dafür, dass ggf. eine Verjüngung angebracht ist. Um von einer solchen Marktentwicklung verschont zu bleiben, treiben Unternehmen massgeschneiderte Leistungen voran und bewegen sich weg vom Massenmarkt hin zu Segmenten und Nischen. Auch in der Logistik ist zu beobachten, dass LDL Lösungen auf Mandantengruppen, die sie anhand von Branchen oder anderen Segmentierungskriterien bilden, zuschneiden. Solche Lösungen sind für LDL attraktiv, weil sie gleichzeitig kundenbindend wirken und Skaleneffekte erzeugen. Strategiewechsel implizieren meistens tiefgreifende Wandlungen in der internen Organisation und erfordern daher ein gekonntes Change Management. Deswegen eignet sich eine solche Lösungsstrategie nur für LDL mit ausgeprägten organisatorischen Kompetenzen. Im Idealfall zeichnet sich das Mandantenportfolio in der Kontraktlogistik dadurch aus, dass alle Mandanten dem gleichen Lösungstyp zugeordnet werden können. Ist das nicht der Fall, so bietet sich eine Segmentierung der Mandanten anhand des verwendeten Lösungstyps an, um eine Verwässerung der mit dem Typ verbundenen Strategien zu vermeiden. Gestaltungsmodell 219 Im Folgenden wird jeweils ein Praxisbeispiel für eine übergreifende Lösung sowie eine Branchenlösung dargestellt. Im Fallstudienkapitel wurden bereits mehrere Mandantenlösungen präsentiert. Übergreifende Lösung. Oymann et al. (2005, S.80ff) berichten über das Angebot „Supply Net Solutions“ (SNS), dass Schenker für die internationale Beschaffungslogistik entwickelt hat. In SNS ist der komplette Material- und Informationsfluss rund um die JiT-Versorgung von Überseewerken abgebildet. Schenker hat dafür branchenübergreifende Plattformen entwickelt. Die Potenzialplattform besteht aus hafennahen Standorten (Consolidation Center (CC) bzw. Deconsolidation Center (DC)), die extra für Aktivitäten der Verpackung und Containerisierung ausgelegt sind. Ein IT-System, das auf der ERP-Standardsoftware SAP R/3 4.7 basiert, steuert die Aktivitäten. Standardisierte und konfigurierbare Module, Funktionsgruppen und Funktionen bilden die Prozessplattform. Konfigurierbare Service- und Preismodelle stellen die Ergebnisplattform dar. SNS ist ein bewusster Schritt weg von der reinen Projektbasis hin zur Produktbasis. Dieser Schritt ist u.a. auf Druck von Vertrieb und Tender Management vollzogen worden, die schnellere Entwicklungs- und Implementierungszeiten realisieren wollten. SNS ist entsprechend der Ebenen Modul, Funktionsgruppe und Funktion hierarchisch aufgebaut. Das Modul „Order Management“ nimmt u.a. Kundenaufträge entgegen und generiert Pack-, Kommissionier- und Montageaufträge. Das Modul „Logistics Center Operations“ umfasst stationäre Aufgaben wie bspw. physische Mehrwertleistungen und „Transport Management“ sorgt für eine nahtlose Integration unterschiedlicher Verkehrsträger. Zusätzlich gibt es noch „Event Management“ und „Performance Management“. Bei dieser Strategie ist das Versionsmanagement erfolgskritisch und kostenintensiv. Schenker sammelt Best Practices in den Projekten und lässt sie in den Produktumfang einfliessen. Das Unternehmen hat die Produktstrategie in der Organisation verankert, indem es zentrale Produkteigner für die Produktstrategie und Systemeigner für die Umsetzungskonzepte definiert hat. Auf regionaler Ebene halten Kompetenzzentren den direkten Kontakt zu den Projekten und sorgen für die Verbreitung und Verbesserung des Produkts. Branchenlösung. Die SwissPost bietet über ihr Tochterunternehmen Setz eine Branchenlösung für Reparaturlogistik in den Bereichen Unterhaltungselektronik, Haushaltsgeräte und Telekommunikation an. Die Lösung mit dem Namen „repairlogistics“ wird nach Angaben des Unternehmens von Referenzkunden wie Media Markt und 220 Gestaltungsmodell Carrefour genutzt74. Der Reparaturprozess stellt den Handel vor Herausforderungen, weil die Anzahl von Produkten und Servicepartnern ständig steigt. Trotz aufwendiger Koordination führten lange Reparaturzeiten und hohe Kosten immer wieder zu Unzufriedenheit bei den Konsumenten. Das Konzept von repairlogistics wirkt diesen Problemen mit der Standardisierung von Potenzialen, Prozessen, Ergebnissen und externen Faktoren entgegen. Als Potenziale stellt die SwissPost standardisierte Transportgebinde mit hohem Produktschutz für den Materialfluss sowie ein webbasiertes ITSystem für die Auftragserfassung und Auftragsverfolgung zur Verfügung. Die Reparaturprozesse laufen für die Nutzer überwiegend gleich ab. Sie erfassen Aufträge im Internet und drucken Begleitdokumente sowie Barcodes im Sinne einer Selbstbedienung aus. Mit der Bereitstellung von Transportgebinden entfällt der aufwendige Verpakkungsschritt. Setz holt die defekten Geräte beim Fachhandel ab und bringt sie nach der Reparatur wieder dorthin zurück. Sie hat bei der Distribution von Neugeräten einen Marktanteil von ca. 80% und kann mit den defekten Geräten somit Rückladungen bilden. Das IT-System avisiert die reparierten und im Geschäft abholbereiten Geräte per SMS oder eMail beim Konsumenten. Fixe Laufzeiten ermöglichen es dem Handel, dem Konsumenten ein einheitliches Ergebnisversprechen zu geben. Die Standardisierung des externen Faktors beruht darauf, dass SwissPost auf Produkte mit ähnlichen logistischen Anforderungen fokussiert. Mit repairlogistics bietet sie dem Handel eine Gesamtlösung aus einer Hand, was sich in sinkenden Administrationskosten bemerkbar macht. Der Handel ist durch die Lösung jederzeit auskunftsfähig hinsichtlich Status und erwartetem Rückgabetermin. Das Angebot ist zudem gekoppelt mit einfachen und transparenten Preisstrukturen. 74 (o.V. 2003) Gestaltungsmodell 221 5.4 Bewertung Aufgrund der Vielzahl möglicher neuer Leistungen ist es erforderlich, ihr Geschäftspotenzial zu analysieren und zu bewerten. Zum Abschluss der Phase „Bewertung“ autorisiert das Management Entwicklungsvorhaben und entscheidet über ihre Ressourcenausstattung. Scheuing und Johnson (1989, S.32) weisen darauf hin, dass dies ein bedeutendes „Gate“ im Entwicklungsprozess darstellt. Daher sollten die Vorhaben hinsichtlich Indikatoren - u.a. Marktgrösse, Marktwachstum, Marge und Risiko - sorgfältig analysiert werden. Aus den Ergebnissen dieser Arbeit und aus der Praxis der Dienstleistungsentwicklung (De Brentani 1991, S.52ff) lassen sich zwei zentrale Anforderungen an ein Bewertungsinstrument ableiten. Die erste Anforderung ist, dass ein Instrument entsprechend der Unternehmensziele eine wert- und risikoorientierten Analyse ermöglicht. Für Dienstleister ist es häufig schwierig, die Chancen und Risiken einer proaktiven, langfristig orientierten Leistungsentwicklung zu lokalisieren. Entsprechend hat De Brentani festgestellt, dass Anbieter ihren Schwerpunkt auf „Low cost/risk modifications“ (S.54) legen. Die zweite Anforderung ist, dass ein Instrument die Interessenharmonisierung zwischen LDL und Mandant fördern soll, indem es Win-Win-Konstellationen aufzeigt. Damit fördert es den Aufbau nachhaltiger Geschäftsbeziehungen mit Mandanten. Die Wahrscheinlichkeit, dass neue Leistungen erfolgreich sind, steigt, wenn sie mit den internen Fähigkeiten und Ressourcen des LDL sowie mit den externen Bedürfnissen des Marktes kompatibel sind (S.52ff). Logistikdienstleister stehen regelmässig vor der Frage, ob sie die Entwicklung einer neuen (Mehrwert)Leistung finanzieren sollen. Entscheidungen über die Allokation von Ressourcen sind Portfolio-Entscheidungen (Wind und Mahajan 1981, S.155). Portfolios sind Gestaltungsmodelle, die dem Entscheider ermöglichen, komplexe Entscheidungssituationen zu visualisieren und daraus situative anstatt allgemeingültige Empfehlungen abzuleiten. Wind und Mahajan stellen fest, dass die Auswahl eines geeigneten Portfolios für Unternehmen aufgrund der Vielzahl verfügbarer Ansätze schwierig ist. Bevor der in dieser Arbeit verwendete Ansatz vorgestellt wird, werden drei bedeutende PortfolioTypen verglichen. Das „Business Assessment Array“ besteht aus den zwei gleich gewichteten Dimensionen Branchenattraktivität und Geschäftsstärke. Im Gegensatz zu 222 Gestaltungsmodell univariaten Dimensionen wie Marktanteil oder Marktwachstum handelt es sich um gemischte Dimensionen, die aus mehreren Kriterien konstruiert werden. Die Autoren beurteilen die fehlende Berücksichtigung von Risiko als Schwäche dieses Ansatzes (S.158f). Das „Risk/Return Model” basiert auf den Dimensionen erwarteter Gewinn und Risiko. Die Autoren würdigen, dass man mit diesem Ansatz theoretisch optimale Portfolios ableiten kann. Sie sehen jedoch Schwächen bei der Operationalisierbarkeit. Im Unterschied dazu legt beim „Analytic Hierarchy Process“ (AHP)75 das Management die Dimensionen fest. Dieses Verfahren ist besonders anpassungsfähig, weil die Entscheider über Art, Anzahl und Gewichtung von Dimensionen entscheiden. Wind und Mahajan empfehlen die Verwendung von massgeschneiderten Portfolios, weil somit die Dimensionen Risiko und Ertrag berücksichtigt werden können und weil sie das Management zwingen, sich in die Modellierung aktiv einzubringen (S.165). Dementsprechend wird nachfolgend ein Ansatz vorgeschlagen, der die Stärken der drei oben geschilderten Portfolios kombiniert. B C Risiken für Mandant hoch...niedrig Nachfragepotenzial hoch...niedrig Mehrwert für Mandant hoch...niedrig A B A C Angebotspotenzial niedrig...hoch Mehrwert für LDL hoch...niedrig A B C Entwicklungsvorhaben A B C Risiken für LDL hoch...niedrig Abbildung 44: Analyse und Bewertung von Entwicklungsvorhaben (Stufe 1+2) Quelle: Eigene Darstellung 75 Eine Beschreibung des AHP findet weiter unten statt. Gestaltungsmodell 223 In Abbildung 44 und Abbildung 45 wird ein dreistufiges Bewertungsverfahren dargestellt. Die erste Stufe besteht aus einem Portfolio mit den zwei gemischten Dimensionen Angebots- und Nachfragepotenzial. Auf der zweiten Stufe werden das Angebotsund Nachfragepotenzial durch jeweils ein Portfolio weiter operationalisiert. Diese Portfolios werden aus zwei gemischten Dimensionen Mehrwert und Risiko konstruiert. Für die insgesamt vier Dimensionen der zweiten Ebene wird auf der dritten Ebene jeweils eine Bewertungshierarchie gemäss des Analytic Hierarchy Process (AHP) aufgebaut. Das Bewertungsverfahren wird bottom-up durchgeführt. Zuerst werden die Entwicklungsvorhaben hinsichtlich ihres Wertbeitrags und Risikos aus den Perspektiven von LDL sowie Mandant bewertet. Dann werden die Ergebnisse zu einem Portfolio konsolidiert und diskutiert. Mit Hilfe von Sensitivitätsanalysen lassen sich Auswirkungen von alternativen Modellierungen untersuchen. Ziel dieses Vorgehens ist es, divergierende Einschätzungen der Manager möglichst auszuräumen. Das Management muss sich ausserdem auf einen Algorithmus einigen, anhand dessen Vorhaben freigegeben und Ressourcen allokiert werden. Lösungstyp Mehrwert -leistung Potenzial / Hebel Shareholder-ValueKomponente Nachfragepotenzial: Mehrwert für den Mandanten Umsatz Kosten Prozessverbesserung Transparenz Barcode RFID Mandantenlösung Anlagevermögen Umlaufvermögen Kernkompetenzfokus Tracking & Tracing Segmentlösung Kapitalkosten Skaleneffekte Supply Chain Event Mgt. Analytics & Reporting Übergreifende Lösung Abbildung 45: Analyse und Bewertung von Entwicklungsvorhaben (Stufe 3) Quelle: Eigene Darstellung 224 Gestaltungsmodell In Abbildung 45 wird für eine exemplarische Modellierung gezeigt, wie Mehrwertleistungen aus dem Bereich Monitoring hinsichtlich ihres Wertbeitrags für den Mandanten beurteilt werden können. Als Modellierungs- und Messinstrument wird auf den AHP76 zurückgegriffen. Laut Wind und Saaty (1980, S.641) „strukturiert (der AHP) sämtliche komplexe Probleme mit mehreren Entscheidern, Kriterien und Perioden hierarchisch.“ Manager vergleichen paarweise Gestaltungsoptionen auf einer Hierarchieebene hinsichtlich ihres Beitrags zum Element der nächsthöheren Ebene. Am Ende dieses Prozesses ergeben sich die relative Bedeutung (Priorität) von Gestaltungsobjekten auf der untersten Ebene bezogen auf das höchste Ziel der Hierarchie. Diese Informationen werden abschliessend als Input für die Ressourcenallokation verwendet. 76 Alternativ kann man an dieser Stelle auch die Nutzwertanalyse verwenden. Schlussbetrachtungen 225 6 Schlussbetrachtungen 6.1 Ergebnisse für die Wissenschaft Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeiten können gemäss Schneider (1981, S.41) als theoretische Beiträge klassifiziert werden, wenn sie drei Anforderungen erfüllen. Es muss eine Problemstellung, einen vollständig formulierten Strukturkern sowie ein Musterbeispiel geben. Bei der Problemstellung handelt es sich um eine beabsichtigte Anwendung einer Lösungsidee auf Fragen aus der Wirklichkeit. Ein Strukturkern liegt vor, wenn die wesentlichen Begriffe und Begriffsbeziehungen aus Frage und Lösungsidee definiert sind. Ein Musterbeispiel sieht der Autor als gegeben, wenn es eine erfolgreiche Anwendung der Lösungsidee in der Praxis gibt. Die vorliegende Arbeit bearbeitet die Problemstellung, wie Mehrwertleistungen in der Kontraktlogistik erfolgreich nachgefragt und angeboten werden und in einem Leistungssystem strukturiert werden. LDL stehen vor der Herausforderung, wie sie weg von austauschbaren Basisleistungen und unstrukturierten Leistungslisten kommen. Mandanten wiederum stellen sich die Frage, wie sie bei steigenden Serviceerwartungen und Kostendruck sowie begrenztem Kapital ihre Logistiktiefe gestalten sollen. In der Arbeit wurden logistische Mehrwertleistungen definiert und typologisiert. In einem Kontingenzmodell wurden Kontextfaktoren, Gestaltungsparameter und PerformanceGrössen für Mehrwertleistungen in der Kontraktlogistik beschrieben und die wesentlichen logischen Beziehungen zwischen ihnen erklärt. Damit wurde ein „Strukturkern“ geschaffen. Das Modell wurde erarbeitet, indem theoretische Bausteine wie die Kontingenztheorie, der Relational View und das Shareholder-Value-Netzwerk auf die Kontraktlogistik angewendet wurden. Es ist gelungen, für komplexe Mehrwertleistungen auf allen Ebenen – Materialfluss, Informationsfluss, Finanzfluss und Rechtefluss – Fallstudien als Musterbeispiele aus der Praxis zu präsentieren. Forschungsfrage 1: Wie können logistische Mehrwertleistungen definiert, typologisiert und gestaltet werden? Obwohl der Begriff Mehrwertleistung häufig verwendet wird, gibt es weder brauchbare Definitionen noch Typologien für Mehrwertleistungen in der Kontraktlogistik. Diese Arbeit schaffte einen Überblick über bisherige Beiträge und ihre Defizite, aus denen sie Anforderungen an eine Definition und eine Typologie ableitete. Die Definition 226 Schlussbetrachtungen zeichnet sich dadurch aus, dass sie die Felder der Zusammenarbeit benennt und Hebel für die Erzeugung von Mehrwert aufzeigt. Die Stärken der vorgeschlagenen Typologie liegen darin, dass sie das Leistungsspektrum vollständig abdeckt, die Komplexität reduziert und an unterschiedliche Branchenkontexte adaptiert werden kann. Logistische Mehrwertleistungen werden anhand der vier Dimensionen Logistikfluss (Materialfluss etc.), Logistikprozess (Beschaffungslogistik etc.), Führungsaufgabe (Design, Planung, etc.) und Leistungsgranularität (Aufgabe, Prozess, etc.) eingegrenzt. Mit Hilfe von konkreten Lösungsbeispielen, wie bspw. CKD-Distribution, wurde gezeigt, wie Ressourcen, Prozesse und Preismodelle gestaltet werden können. Forschungsfrage 2: Welche Kontextfaktoren beeinflussen Nachfrage und Angebot von logistischen Mehrwertleistungen? Hinter dieser Frage steckt die Zielsetzung, treibende und hemmende Faktoren für die Nachfrage und das Angebot von Mehrwertleistungen zu identifizieren. Diese Faktoren lassen sich entweder beim Mandanten, beim LDL oder in der Geschäftsbeziehung lokalisieren. Die Forschungsfragen 1-4 haben alle einen Beitrag zum Aufbau des Kontingenzmodells geleistet. Dies geschah in einem iterativen, explorativen Forschungsprozess, bei dem Erkenntnisse aus Interviewtransskripten und der Literatur generiert wurden. So wurden u.a. die Kontextfaktoren bottom-up aus Phänomenen zu Konstrukten und Zusammenhängen und schliesslich zu einem Kontingenzmodell verdichtet. Die Arbeit verbindet Konkretisierung durch Fallbeispiele mit Abstraktion und weist somit analytische Tiefe auf (Dyllick 2002 zitiert bei Gebauer 2004, S.260). Die Frage wurde beantwortet, indem Kontextfaktoren beschrieben und – sofern dies möglich war – Auswirkungen auf die Gestaltung erklärt wurden. Begrenzte Logistikkompetenzen des Mandanten oder eine hohe Outsourcing-Erfahrung sind Beispiele für treibende Kräfte bei der Fremdvergabe von Mehrwertleistungen. Weiter wird seine Bedarfssituation bspw. durch die Merkmale seiner Produkte – variantenreiche Automobile stellen andere Anforderungen als Unterhaltungselektronik – determiniert. Ein anderes Beispiel ist das Monitoring von Logistiknetzwerken, dass vor allem von Mandanten mit globalen Netzwerken nachgefragt wird, um die Warenströme transparent zu machen. Auf Seiten des LDL sind die historischen Schwerpunkte bei Ressourcen und Fähigkeiten wichtige Einflussfaktoren auf das Leistungsangebot. In den Interviews wurde deutlich, dass neben den strukturellen Faktoren auf Seiten der Kooperationspartner vor allem die weichen Faktoren über die Ausgestaltung von Geschäftsbeziehungen entscheiden. Es wird anhand von Beispielen aufgezeigt, dass zwischen komplexen Mehr- Schlussbetrachtungen 227 wertleistungen und intensiven Geschäftsbeziehungen eine wechselseitige Beziehung existiert. Komplexe Mehrwertleistungen erfordern eine intensive Zusammenarbeit. Umgekehrt werden intensive Kooperationen – gekennzeichnet durch ausgeprägtes Vertrauen, Wissenstransfer sowie Streben nach Verbesserung und Konfliktlösung – mit höherer Wahrscheinlichkeit zu Mehrwertlösungen ausgebaut. Forschungsfrage 3: Welche Potenziale und Risiken ergeben sich durch die Fremdvergabe von logistischen Mehrwertleistungen für Mandanten bzw. LDL? Das Kontingenzmodell soll die Potenziale und Risiken von komplexen Mehrwertleistungen für Mandant und LDL aufzeigen. Darüber hinaus soll es ausgewählte Zusammenhänge zwischen der Gestaltung von Leistungen und ihrer Performance strukturieren. Dafür wurde analog zu Rappaports Shareholder-Value-Netzwerk in einem mehrstufigen Wirkmodell gezeigt, welche Hebel Mehrwertleistungen auf den Shareholder Value bieten. Einige Mandanten überlassen Investitionen in die physische Logistik LDL und konzentrieren sich stattdessen konsequent auf eigene Kernkompetenzen wie Entwicklung und Marketing, weil sie sich davon eine erhöhte Kapitalrendite versprechen. Andere setzen neutrale LDL für das Design von Logistiknetzwerken ein, weil sie von den Erfahrungs- und Spezialisierungsvorteilen profitieren wollen. Mit spezieller Modellierungssoftware und einem Expertenteam des LDL lassen sich u.U. die Servicegrade und Logistikkosten deutlich verbessern. Aus Sicht der LDL ist das Angebot von Mehrwertleistungen attraktiv, wenn es ihnen gelingt, Mandanten dadurch längerfristig an sich zu binden und sich von Wettbewerbern zu differenzieren. Die Erzeugung von Synergien im eigenen Produktionssystem ist ebenfalls ein Argument. In der Arbeit wurden auch die Risiken der Fremdvergabe definiert und in eine Systematik mit den Ebenen Systemrisiken, Prozessrisiken sowie Geschäftsrisiken eingeordnet. Dabei wurden Risiken, deren Höhe sich durch den Outsourcing-Vorgang verändert, von solchen unterschieden, die mittels Outsourcing zwischen den Parteien transferiert werden. Das Auslastungsrisiko kann bspw. durch entsprechende Vertragsgestaltung teilweise oder vollständig auf den LDL übertragen werden, wohingegen das Risiko einer rückläufigen Beurteilungsfähigkeit der eigenen Logistik durch den Outsourcing-Vorgang für den Mandanten entsteht. 228 Schlussbetrachtungen Forschungsfrage 4: Welche Bedeutung haben spezifische Investitionen für die Erbringung logistischer Mehrwertleistungen? Im Grundlagenteil wurden mit Hilfe des Relational View die Herausforderungen und Chancen, die aus spezifischen Ressourcen in Geschäftsbeziehungen resultieren, aufgezeigt. Mandanten und Logistikdienstleister wurden interviewt, um festzustellen, wie stark LDL heute und in Zukunft für Mehrwertleistungen ihre Ressourcen, Prozesse und Ergebnisse den individuellen Bedürfnissen von Mandanten oder (Branchen)Segmenten anpassen. Mandanten fordern spezifische Leistungen von LDL, weil die Individualisierung Voraussetzung für eine hohe Produktivität ist. Barrieren ergeben sich dann, wenn der Anbieterwettbewerb stark eingeschränkt wird. LDL können Kunden wirksamer binden und sich im Lieferantennetzwerk als Systemanbieter positionieren. Mittelfristig können spezifische Leistungen skaliert werden. Dieser Vorgang ist jedoch mit erheblichen Anstrengungen und Kompromissen auf beiden Seiten verbunden. Aus den Gesprächen liessen sich für die Elektronik- und Automobilbranche sowohl der Status als auch Trends bzgl. spezifischer Leistungen erarbeiten. Die interviewten Mandanten stellten spezifische Ressourcen überwiegend bei und liessen LDL nur dann investieren, wenn dadurch Prozesse abgerundet wurden und Verantwortlichkeiten besser zugeordnet wurden. Interessanterweise sahen die meisten aufgrund von Rückabwicklungsklauseln nur geringe Wechselbarrieren. Es ist davon auszugehen, dass spezifische Investitionen kurzfristig – solange bis eine Skalierung von Leistungen gelingt – mit dem Fremdvergabegrad von Mehrwertleistungen zunehmen. Begründen lässt sich diese Tatsache damit, dass LDL vor der Skalierung einer Lösung eine Referenz vorweisen müssen, für deren Realisierung sie häufig auch mandantenspezifische Lösungen in Kauf nehmen. Vor allem auf den Ebenen des Informations- und Finanzflusses gibt es noch unerschlossene Potenziale für Mehrwertleistungen. Daher ist eine Verschiebung hin zu Investitionen in immaterielle Ressourcen wie Kundenwissen zu erwarten. Als weiterer Trend vor allem bei IT-Lösungen zeichnet sich ab, dass sich der Markt aus Synergie- und Komplexitätsgründen, von mandantenspezifischen hin zu segmentspezifischen Investitionen bewegt. Schlussbetrachtungen 229 6.2 Ergebnisse für die Praxis Die vorliegende Arbeit untersucht die Nachfrage und das Angebot von logistischen Mehrwertleistungen. Es bietet sich daher an, die praxisrelevanten Ergebnisse entsprechend ihrer Zielgruppe – Anbieter, Nachfrager oder beide Seiten – zu gliedern. Forschungsfrage 5: Welche Implikationen ergeben sich für die Entwicklung von logistischen Mehrwertleistungen und deren Integration in Leistungssysteme? In der Arbeit wurde demonstriert, wie ein Logistikdienstleister den Entwicklungsprozess von Mehrwertleistungen formalisieren und die Ergebnisse in einem Leistungssystem ordnen kann. Dafür wurden zentrale Beiträge aus der Entwicklungs-, Marketingund Strategieliteratur mit den Ergebnissen der vorliegenden Arbeit synthetisiert. Resultat ist ein Leistungssysstem als Ausgangs- und Zielpunkt einer kontinuierlichen Weiterentwicklung sowie ein Entwicklungsprozess, der aus den drei Phasen Strategie, Idee und Konzept sowie Bewertung besteht, die nachfolgend zusammengefasst dargestellt werden. Das Leistungssystem ist ein zentrales Instrument für die Analyse und Planung von Mehrwertleistungen. Ohne ein solches System entstehen häufig nicht abgestimmte Leistungslisten. Die proaktive Entwicklung eines Leistungssystems erfordert dedizierte Organisationsstrukturen und formalisierte Prozesse beim LDL. Dadurch werden dezentral generierte Ideen zentral koordiniert und es entsteht ein gemeinsames Verständnis der vorhandenen Leistungen. Hinter dem Leistungssystem steht das Prinzip, Wertschöpfung zu integrieren und dadurch Synergien für Mandant und LDL freizusetzen. Dabei werden u.a. Leistungen, Nutzer, Mandanten und/oder Projektphasen integriert. Eine Leistungsstrategie erlaubt dem LDL, sich wirksam gegenüber Mandanten zu positionieren und von Wettbewerbern abzuheben. Neue Mehrwertleistungen müssen diese Strategie konsequent widerspiegeln. Damit keine Stuck-in-the-MiddlePositionierung mit niedrigen Renditen droht, müssen sich Anbieter entscheiden, ob sie über Mehrwert oder Kosten konkurrieren und ob sie die Gesamtbranche oder Nischen adressieren. Mit neuen Mehrwertleistungen können sich LDL schrittweise vom Basisanbieter zum Materialfluss-, Transparenz-, Koordinations- oder Optimierungsanbieter umpositionieren. Die Kontraktlogistikstrategie eines LDL muss seine individuellen 230 Schlussbetrachtungen historischen Schwerpunkte berücksichtigen. Erfolgreiche LDL entwickeln Lösungen, welche die Fähigkeiten ihrer Geschäftseinheiten bündeln. Dafür müssen die Produkte und Prozesse der Geschäftseinheiten harmonisiert und kompatibler gestaltet werden. Mit Hinblick auf die Bedürfnisse von Mandanten lassen sich die drei Stufen funktionale Bedürfnisse, Problemlösungsbedürfnisse und Erfolgsbedürfnisse unterscheiden, aus denen LDL Ideen für neue Leistungen herleiten können. Lücken hinsichtlich der Befriedigung funktionaler Bedürfnisse kann der LDL bspw. mit Hilfe der Leistungstypologie ausfindig machen. Problemlösungs- und Erfolgsbedürfnisse kann er aus der Logistikstrategie repräsentativer Mandanten erarbeiten und in Leistungsideen überführen. Je höher die Bedürfnisstufe, die der LDL beim Mandant adressiert, desto umfassender muss er sein Leistungssystem ausgestalten. Die Priorisierung von Entwicklungsvorhaben setzt bewertbare Konzepte voraus. Die Spezifizierung der Nutzergruppe ist dabei ein wesentlicher Konzeptbestandteil. Anhand des Kriteriums Nutzergruppe wurden die drei Lösungstypen Mandantenlösung, Segmentlösung und übergreifende Lösung vorgestellt und verglichen. Im Logistikumfeld gibt es ein hohes Potenzial für Outpacing-Strategien, bei denen der LDL durch ein bewusstes Wechselspiel zwischen Kundennutzen- und Synergieorientierung Segmentlösungen entwickelt und damit versucht, die Stärken von Mandantenlösungen und übergreifenden Lösungen zu verbinden. Es handelt sich jedoch um ein anspruchsvolles Vorgehen, dass enorme Anforderungen an die Agilität der Dienstleisterorganisation stellt. Logistikdienstleister benötigen für die Bewertung ein Verfahren, mit dem sie vielversprechende Mehrwertleistungen aus der Vielzahl möglicher Vorhaben aufspüren. In dieser Arbeit wurde ein Verfahren entwickelt, dass die Mehrwertpotenziale und Risiken von Vorhaben aus beiden Perspektiven – LDL und Mandant – abbildet. Damit unterstützt das Verfahren die Abkehr von einer „low cost low risk“ Entwicklungsphilosophie und von kurzfristig orientierten Geschäftsbeziehungen. Es lässt sich flexibel an unterschiedliche Entscheidungssituationen anpassen und gibt situative statt allgemeingültiger Empfehlungen. Im Laufe des Forschungsprozess wurden zahlreiche Interviews mit führenden Unternehmen der Automobil- und Elektronikindustrie geführt. In den Gesprächen wurde jeweils auf richtungsweisende Projekte mit einem hohen Anteil von Mehrwertleistun- Schlussbetrachtungen 231 gen fokussiert. Aus den Erfahrungen der Interviewpartner lassen sich einige Handlungsempfehlungen für Mandanten ableiten. Mandanten sollten bei komplexen Mehrwertleistungen... die sich intern und extern verändernden (Kern-)Kompetenzen ständig überprüfen, vor der Vergabe Outsourcing-Kompetenzen aufbauen und diese als Wettbewerbsfaktor begreifen, einen Entwicklungsplan hinsichtlich der mittel- bis langfristigen Rollenverteilung zwischen der internen Logistik und der Logistik des LDL entwerfen, die zugrundeliegenden Prozesse, die Anforderungen an den LDL und sein Personal sowie die Potenziale und Risiken detailliert beschreiben. Diese Informationen bilden eine wichtige Grundlage sowohl für die Evaluierung unterschiedlicher Outsourcing-Szenarien als auch für die Vertragsgestaltung, den uneingeschränkten Zugriff auf kritische und spezifische Ressourcen durch Rückabwicklungsklauseln gewährleisten, im Rahmen der Leistungs- und Preisgestaltung auf eine Interessenharmonisierung mit dem LDL hinwirken, für die Erzielung von Skaleneffekten und für die Kostenvariabilisierung Kompromisse mit dem LDL hinsichtlich der IT- und Prozessgestaltung in Betracht ziehen, der anspruchsvollen Migrationsaufgabe mit einem passenden ChangeManagement-Konzept gerecht werden, sicherstellen, dass sie nie die logistische Beurteilungskompetenz verlieren und daher immer ein Expertenteam in der Logistik behalten. Das Kontingenzmodell (vgl. Kapitel 3) untersucht die Zusammenarbeit von Mandanten und LDL bzgl. logistischer Mehrwertleistungen. Entsprechend kann das Modell als Checkliste für beide Seiten bei Outsourcing-Vorhaben verwendet werden. Ausgehend von den angestrebten Verbesserungen können die Akteure ableiten, wie sie die Mehrwertleistungen, Prozesse, Ressourcen und Preismodelle zielführend ausgestalten und welche Risiken sie im Auge behalten müssen. Die Akteure können die Typologien, bspw. bezüglich Mehrwertleistungen (vgl. Abbildung 17) und Geschäftsmodellen in der Kontraktlogistik (vgl. Abbildung 33), verwenden, um ihre Ist-Position bzw. Soll-Position zu untersuchen und darauf aufbauend Veränderungsmassnahmen zu priorisieren. 232 Schlussbetrachtungen 6.3 Ausblick Logistische Mehrwertleistungen in den Branchen Automobil und Elektronik sowie die Implikationen für die Gestaltung von Leistungssystemen standen im Zentrum dieser Arbeit. Einige Aspekte konnten aufgrund der Schwerpunktsetzung und des Untersuchungsdesigns nicht behandelt werden. Sie sind für ein vollständiges Bild des Themenbereichs wichtig und sollten in Zukunft untersucht werden. Die Betrachtung weiterer Branchen, die für die Kontraktlogistik eine hohe Bedeutung haben, ist aufschlussreich. Dazu gehören u.a. die Textil-, Konsumgüter- und Pharmabranche. Dabei ist zu erwarten, dass das Kontingenzmodell durch zusätzliche Faktoren erweitert wird. Ähnliches gilt, wenn die Betrachtung auf Klein- und Mittelunternehmen (KMU) ausgedehnt wird. Das Outsourcing informationsbasierter Logistikleistungen sorgt für einen erhöhten Bedarf nach flexiblen und modularen IT-Architekturen für die Logistik. Diese erleichtern es dem Mandanten, den Dienstleister eines Leistungsumfanges zu wechseln, und dem LDL, zusätzliche Mandanten zu integrieren. Ein weiterer informationstechnischer Trend in der Kontraktlogistik sind Identifikationstechnologien wie RFID. Logistikdienstleister können diese Entwicklung nutzen, um sich als Transparenzanbieter in den Logistiknetzwerken ihrer Mandanten zu positionieren. Auch diese Entwicklung, die erst in einem Frühstadium ist, sollte weiter beobachtet werden. Mehrwertlösungen implizieren, dass Kompetenzen und Verantwortungen zwischen Mandanten und Logistikdienstleistern neu verteilt werden. Hier ist zu untersuchen, welche Rolle innovative Preismodelle spielen können und welche Anwendungsvoraussetzungen in der Prozesstransparenz und im Controlling geschaffen werden müssen. Das Forschungsdesign der Arbeit ist qualitativ und basiert auf strukturierten Gesprächen mit Mandanten und LDL. Das Themenfeld logistischer Mehrwertleistungen ist so umfangreich, dass zusätzliche Untersuchungen mit anderen inhaltlichen und methodischen Schwerpunkten ergiebig sein dürften. Zum einen könnte man die Erkenntnisse aus dem Kontingenzmodell für eine quantitative Untersuchung über Mehrwertleistungen verwenden. Darüber hinaus ist es nützlich, die Entwicklung von Leistungssystemen bei LDL über einen längeren Zeitraum empirisch zu begleiten. Dabei liesse sich das analytisch gewonnene Gestaltungsmodell testen. Anhang 233 7 Anhang 7.1 Literaturverzeichnis Alexander, M. und D. Young (1996): Outsourcing: Where's the Value?, in: Long Range Planning 29 (5) 728-731. Alt, R. (1997): Interorganisationssysteme in der Logistik. Analyse interorganisatorischer Koordinationsinstrumente aus interaktions- und institutionentheoretischer Sicht., Wiesbaden, Dissertation: Universität St. Gallen. Ansoff, H. I. (1987): Corporate strategy, London. Arnold, U. (1999a): Basisstrategien des Outsourcing aus Sicht des Beschaffungsmanagement, in: Controlling 11 (7) 309-316. --- (1999b): Global Sourcing: Strategiedimensionen und Strukturanalyse, in: D. Hahn und L. Kaufmann, Handbuch industrielles Beschaffungsmanagement, Wiesbaden. Bauknight, D. N. (2000): The Supply Chain's Future in the e-Economy, in: Supply Chain Management Review 4 (1) 28-36. Baumgarten, H. (1999): Prozesskettenmanagement in der Logistik, in: J. Weber und H. 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Anhand dieser sollen die aktuelle Struktur, zukünftige Trends und Anforderungen für die Nutzung und Integration von Logistikdienstleistern erarbeitet werden. Im zweiten Teil wird eine konkrete Lieferantenbeziehung mit einem LDL, der umfangreiche logistische Mehrwertleistungen erbringt, analysiert. Dafür werden die logistischen Herausforderungen, das Lösungskonzept und das Implementierungsvorgehen diskutiert. Logistik-Dienstleister (LDL) Mehrwertleistungen (MWL) Rechtefluss Finanzfluss Informationsfluss Transport Lager Hersteller / Mandant Leistungsbündel Produktmerkmale Servicemerkmale Order Qualifiers Order Winners Markt / Endkunde Status und Trends Bedürfnisse Kaufmuster Verwendungsmuster Material fluss Supply Chain Wettbewerbsstrategie: Supply Chain Strategie: Vertikale Integration: Kostenführerschaft oder Differenzierung Effizienz oder Reaktionsfähigkeit Eigenerstellung oder Fremdvergabe von Aufgaben Abbildung 1: Einflussfaktoren 248 Anhang Teil 1 Bitte beschreiben Sie kurz Ihren Aufgabenbereich. Bitte wählen Sie eine Produktgruppe aus, deren Lieferkette sie gut kennen und für die ein Logistikdienstleister umfangreiche logistische Mehrwertleistungen erbringt. Struktur und Trends in der Supply Chain Wie sieht die Struktur der betrachteten Lieferkette gegenwärtig aus? Welchen Weg legt das ausgewählte Produkt von der Produktion bis zum Kunden typischerweise zurück? Weltweites Distributionskonzept (Zentrallager, Regionallager, Umschlagpunkte) Durch welche Merkmale zeichnet sich der Demand der gewählten Produktgruppe aus? Bspw. Vorhersagbarkeit, Produktlebenszyklus, Bestandskosten, Variantenvielfalt, Prozessänderungen, Volumen per SKU, Fehlmengenkosten, Überbestände Durch welche Merkmale zeichnet sich der Supply der gewählten Produktgruppe aus? Bspw. Anzahl Lieferquellen, Zuverlässigkeit Lieferquellen, Prozessänderungen, Kapazitätsbeschränkungen, Wechselkosten, Lieferzeit, Flexibilität Wie muss im betrachteten Markt für eine erfolgreiche Positionierung im Wettbewerb ein Logistiksystem hinsichtlich folgender Parameter ausgestaltet werden? Lieferzeit Lieferfähigkeit / Flexibilität Lieferqualität Kosten ... Welche Veränderungen mit Relevanz für die Logistik sind auf Seiten von Kunden, Wettbewerbern und Lieferanten zu beobachten? Liegt der Fokus bei der betrachteten Lieferkette eher auf der Steigerung der Effizienz oder der Reaktionsfähigkeit? Welche Rolle spielen LDL für die Effizienzsteigerung in der betrachteten Lieferkette? Bspw. Transportplanung Anhang 249 Welche Rolle spielen LDL für die Steigerung der Reaktionsfähigkeit in der betrachteten Lieferkette? Bspw. Postponement-Konzepte Welche strategischen und operativen Anforderungen muss ein System-Dienstleister für die Übernahme der betrachteten Prozesskette erfüllen? Nutzung und Integration von LDL Eine erhöhte Integration von Mandant und Logistikdienstleister kann zu Verbesserungen bei der Effizienz und Reaktionsfähigkeit von Lieferketten führen. Integration ergibt sich erstens dadurch, dass logistische Aufgaben nicht an viele verschiedene Anbieter sondern an einen Systemanbieter vergeben werden und zweitens dadurch, dass der Anbieter keine Standardlösungen sondern auf den Hersteller zugeschnittene Lösungen entwickelt. Für massgeschneiderte Lösungen muss der LDL beziehungs- bzw. branchenspezifisch investieren. Beziehungsspezifische Investitionen bedeuten, dass Ressourcen nur in einer bestimmten Kunden-Lieferanten-Beziehung genutzt werden können. Diese Investitionen können sich auf Standorte, Anlagen, Bestände, IT, Prozesse oder Humanressourcen beziehen. Die oben erwähnten positiven Effekte einer erhöhten Integration zwischen Mandant und LDL müssen mit den operativen und strategischen Risiken eines solchen Ansatzes abgewogen werden. Abbildung 2 verschafft einen Überblick über Integrationsfelder zwischen Mandanten und LDL. Organisation Kontraktorg. Key Account Org. Kommunikation Schnittstellen Wissen Mandant Branche Logistik Technologie Geschäftsebene Prozess Beschaffungslogistik Produktionslogistik Distributionslogistik After-Sales-Logistik Fluss Materialfluss Informationsfluss Finanzfluss Rechtefluss Leistung/Lösung Übergreifend Branchen-/ Segmentspezifisch Mandantenspezifisch Umfang Aufgabe Design Planung Fulfillment Monitoring Prozessebene Informationstechnik Applikationen Schnittstellen Daten Systemebene Logistik- / Fördertechnik Standort / Geographie Abbildung 2: Integrationsfelder zwischen Mandanten und LDL Mandant Logistik-Dienstleister Governance Vertraglich Finanziell Informell Preisgestaltung 250 Anhang Wie schätzen Sie die Beschaffungssituation für logistische Mehrwertleistungen ein? Komplexität und wirtschaftliche Bedeutung des Beschaffungsobjekts Anzahl Anbieter und Nachfrager Fähigkeiten Anbieter Welche Implikationen ergeben sich für Sourcing-Konzepte? Welche Sourcing-Konzepte nutzen Sie heute (in mittlerer Zukunft) für logistische Mehrwertleistungen? Warum? Single, Dual, Multiple Sourcing One-Stop-Shopping, Best-of-Bread Für welche Aufgaben setzen sie heute (in Zukunft) LDL ein? Warum? Materialfluss o Beschaffungslogistik Materialbeschaffung JiT, JiS VMI Behältermanagement o Produktionslogistik Bandversorgung, Shuttle Postponement Etikettierung Verpackung o Distributionslogistik Cross-Docking, Konsolidierung o After-Sales-Logistik Retouren Reparaturen Entsorgung Informationsfluss o Design o Supply Chain Design Prozessdesign Entwicklung von IT-Systemen Planung Customer Collaboration Supplier Collaboration Bedarfsplanung Transportplanung Produktionsplanung Bestandsplanung Anhang 251 Monitoring RFID, Barcode Tracking & Tracing Supply Chain Event Management Prozesskostenrechnung Reporting, Controlling o Fulfillment Auftragsmanagement Available-to-Promise Kundenservice, Call Center Betrieb von IT-Systemen Finanzfluss o o Rechnungsprüfung und -zahlung o Internationaler Zahlungsverkehr o Verzollung o Finanzierung bzw. Leasing von Gebäuden o Finanzierung bzw. Leasing von Anlagen o Bestandsfinanzierung o Forderungsankauf, Forderungsmanagement o Versicherungen Rechtefluss o Contracting mit 3PL o Contracting mit Transportdienstleistern o Contracting mit IT-Dienstleistern o Contracting mit Finanzdienstleistern Welche Motive dominieren bei der Fremdvergabe? Warum? Logistikleistung, Kompetenzen des LDL nutzen Fokus auf Kernkompetenzen Kapazitätsauslastung, Skaleneffekte Transparenz Mengen-, Struktur-, Technologieflexibilität des LDL Risiko-Teilung Logistikkosten Anlagevermögen freisetzen, Kennzahlen optimieren Welche Komponenten müssen für eine Total-Cost-Betrachtung bei der Vergabe von Mehrwert-Leistungen berücksichtigt werden? Was sind versteckte Kosten? Vor, während, nach Vertragslaufzeit 252 Anhang Welche beziehungsspezifischen Investitionen werden von Ihrem Unternehmen (dem LDL) getätigt? Warum? Beziehungsspezifische Humanressourcen Beziehungsspezifischer Wissensaustausch Beziehungsspezifische Prozesse Beziehungsspezifische IT Beziehungsspezifische Anlagen Beziehungsspezifische Bestände Beziehungsspezifische Standorte Welche Chancen sehen sie in der Vergabe umfangreicher logistischer MehrwertLeistungen? Welche Risiken sehen sie in der Vergabe umfangreicher logistischer Mehrwert-Leistungen? Wo beobachten Sie derzeit Kompetenz-Defizite bei LDL? Welche Abläufe und Ressourcen sind nach einem Outsourcing für die Erzeugung von Skaleneffekten (nicht) standardisierbar? Wie wird sich die Bedeutung logistischer System-Dienstleister in Ihrer Branche entwickeln? Warum? Teil 2 Projektbeispiel: Vergabe umfangreicher Mehrwertleistungen Bitte beschreiben Sie zwei bis drei Projektbeispiele, in denen Logistikdienstleister mit der Erbringung umfangreicher logistischer Mehrwertleistungen beauftragt wurden. Welches Projektbeispiel eignet sich besonders gut für die Diskussion? Auf welche Produktgruppe und Prozesskette bezieht sich das Projektbeispiel? Anhang 253 Ausgangssituation Wie sah die Prozesskette vor der Fremdvergabe aus? Welche logistischen Herausforderungen waren zu bewältigen? Welche Motive bewogen sie zur Vergabe der Mehrwert-Leistungen? Projektphasen Welche Kernanforderungen hatte ihr Unternehmen an die Lösung des Logistikdienstleisters? Wie lief der Auswahlprozess ab? Welche Besonderheiten ergaben sich in der Verhandlungsphase? Welche Mehrwert-Leistungen wurden fremdvergeben? Physische MWL, administrative MWL Welche beziehungsspezifischen Investitionen wurden durch Ihr Unternehmen (den LDL) getätigt? Humanressourcen, Wissensaustausch, Prozesse, IT, Anlagen, Bestände und Standorte Neue Lösung Welche Merkmale weist die neue Logistik-Lösung auf? Welche Verbesserungen konnten gegenüber der Ausgangssituation realisiert werden? Welche Risiken beinhaltet die neue Lösung für ihr Unternehmen (für den LDL)? Interne Risiken (betriebswirtschaftlich, technisch) Externe Risiken Wie lässt sich die Integration auf Geschäftsebene zwischen ihrem Unternehmen und dem LDL beschreiben? (vgl. Abbildung ) Wie lässt sich die Integration auf Prozessebene zwischen ihrem Unternehmen und dem LDL beschreiben? (vgl. Abbildung ) 254 Anhang Wie lässt sich die Integration auf Systemebene zwischen ihrem Unternehmen und dem LDL beschreiben? (vgl. Abbildung ) Welche Besonderheiten sind bei komplexen Mehrwert-Leistungen bezüglich der Vertragsgestaltung zu beachten? Welche Besonderheiten sind bei komplexen Mehrwert-Leistungen bezüglich der Preisgestaltung zu beachten? Was sind die Lessons Learned aus der Fremdvergabe? Vielen Dank für das Interview! Jan Frohn Forschungsassistent Kühne-Institut für Logistik Universität St. Gallen Dufourstrasse 40a CH-9000 St. Gallen [email protected] Telefon: +41 71 224-7288 Mobil: +41 79 374 72 68 Anhang 255 7.3 Lebenslauf Persönliche Angaben Name: Jan Frohn Geburtsdatum: 16. Januar 1977 Geburtsort: Krefeld Ausbildung 1987 – 1995 1995 – 2000 1998 – 1999 2003 – 2006 Berufserfahrung 1999 2000 2000 – 2002 2003 – 2005 2006 – Luise-von-Duesberg-Gymnasium, Kempen, Abitur Rheinisch Westfälische Technische Hochschule Aachen, Studium Betriebswirtschaftslehre University College Dublin, Auslandsstudium Universität St.Gallen, Doktorandenstudium Henkel KGaA, Düsseldorf, Praktikum German American Chamber of Commerce, New York, Praktikum KPMG Consulting, München, Consultant Kühne-Institut für Logistik, St. Gallen, Research Associate Robert Bosch GmbH, Trainee