Potenziale und Grenzen logistischer Mehrwertleistungen

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Mehrwertleistungen in der Kontraktlogistik
DISSERTATION
der Universität St. Gallen,
Hochschule für Wirtschafts-,
Rechts- und Sozialwissenschaften (HSG)
zur Erlangung der Würde eines
Doktors der Wirtschaftswissenschaften
vorgelegt von
Jan Frohn
aus
Deutschland
Genehmigt auf Antrag der Herren
Prof. Dr. Frank Straube
und
PD Dr. Daniel Corsten
Dissertation Nr. 3210
Shaker Verlag, Aachen 2006
Die Universität St. Gallen, Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften (HSG), gestattet hiermit die Drucklegung der vorliegenden Dissertation, ohne
damit zu den darin ausgesprochenen Anschauungen Stellung zu nehmen.
St. Gallen, den 12. Juni 2006
Der Rektor:
Prof. Ernst Mohr, PhD
Die Arbeit erscheint unter dem Titel
„Mehrwertleistungen in der Kontraktlogistik“
im Shaker Verlag Aachen 2006
ISBN 3-8322-5379-3
3
Geleitwort
Immer mehr Logistikdienstleister haben in den letzten Jahren die strategische Bedeutung von Mehrwertleistungen erkannt. Sie resultiert aus der Tatsache, dass die Leistungsseite eines Angebots vielfältigere Differenzierungspotenziale als die Kostenseite
bietet. Mit Mehrwertleistungen können Logistikdienstleister die Logistiknetzwerke
ihrer Kunden flexibilisieren. Sie können Erfahrungen und neueste Logistiktechnologien zur Verfügung stellen und bspw. durch den Einsatz von RFID und Supply Chain
Event Management die Prozesstransparenz und -qualität verbessern. Währenddessen
können sich die Kunden auf eigene Kernkompetenzen fokussieren und dadurch ggf.
höhere Kapitalrenditen erzielen. Die gegenwärtig diskutierten Mehrwertleistungen –
egal ob Supply Chain Planung oder Bestandsfinanzierung – basieren auf dem Prinzip,
Wertschöpfung neu zu verteilen und danach besser zu integrieren. Von der Integration
können beide Seiten profitieren, sofern es ihnen gelingt, eine von Vertrauen und kontinuierlicher Verbesserung geprägte Arbeitsbasis zu schaffen. Bewährt sich eine solche
Zusammenarbeit, dann kann sie in Richtung einer logistischen Entwicklungspartnerschaft intensiviert werden.
In der vorliegenden Arbeit bereitet Jan Frohn den Entwicklungsstand und die Perspektiven von Mehrwertleistungen anschaulich auf. Eine besondere Leistung liegt darin,
wie konsequent er die Anbieter- und Nachfragersicht verbindet. Ausgehend von einer
schlüssigen Begriffsdefinition und Typologisierung erklärt er mit Hilfe eines situativen
Modells wichtige Zusammenhänge zwischen Einflussfaktoren, Gestaltungsparametern
und Performance-Grössen logistischer Mehrwertleistungen. Jan Frohn folgt einer empirisch qualitativen Forschungsmethodik, indem er anhand von Fallstudien richtungsweisende Kontrakte in der Automobil- und Elektronikindustrie aus Kundensicht analysiert.
Wissenschaftlern sowie Vertretern von Logistikdienstleistern und ihren Kunden vermittelt das Werk gleichermassen wertvolle Erkenntnisse. Bspw. werden Erfolgsfaktoren erarbeitet, die Kunden bei einer weiteren Reduktion ihrer Logistiktiefe beachten
sollten. Logistikdienstleister werden durch ein Gestaltungsmodell unterstützt, ein situativ passendes Portfolio von Mehrwertleistungen zu finden und damit ihre Positionierung zu stärken.
Prof. Dr.-Ing. Frank Straube
4
5
Vorwort
Während meiner Tätigkeit in der SCM-Beratung eröffnete sich die Chance, meine
Umsetzungserfahrung durch wissenschaftliche Arbeit an der Universität St. Gallen zu
ergänzen. Wie sich später herausstellte, lag eine noch grössere Chance darin, von Beginn an beim Aufbau des Kühne-Instituts für Logistik (KLOG) mitzuwirken. Gemeinsam mit tatkräftigen und sympathischen Kollegen konnte ich mit einem hohen Grad an
Gestaltungsfreiheit Themen vorantreiben. Die vorliegende Dissertation repräsentiert
einen Teil der Aufbauarbeit, die am Kühne-Institut für Logistik geleistet wurde.
Zum Gelingen meines Dissertationsprojekts haben zahlreiche Menschen beigetragen.
Ihnen bin ich zum Dank verpflichtet. Allen voran gilt mein Dank Prof. Dr.-Ing. Frank
Straube von der Technischen Universität Berlin, der diese Arbeit während seiner Zeit
als Leiter des Kühne-Instituts für Logistik und auch nach seiner Berufung nach Berlin
betreut hat. Er war stets an meiner Weiterentwicklung interessiert und hat mich dafür
gerne von seiner umfangreichen Erfahrung aus Universität und Praxis profitieren lassen. PD Dr. Daniel Corsten – Visiting Associate Professor an der London Business
School – danke ich für die Übernahme des Korreferats. Seine forschungsmethodischen
Ratschläge haben mich im Dissertationsprozess vorangebracht. Ebenso danke ich Prof.
Dr. Günther Schuh von der RWTH Aachen und Prof. Dr. Wolfgang Stölzle von der
Universität St. Gallen, die mein Dissertationsvorhaben unterstützt haben.
Ein besonderer Dank gilt Klaus-Michael Kühne, der das Institut gestiftet und Rahmenbedingungen auf internationalem Niveau geschaffen hat, sowie Martin Willhaus, Geschäftsführer der Kühne-Stiftung, der immer ein offenes Ohr für die Anliegen der wissenschaftlichen Mitarbeiter hatte.
Für meine Arbeit habe ich wichtige Impulse aus dem „Arbeitskreis Kontraktlogistik“
erhalten, den das KLOG in Kooperation mit führenden Logistikdienstleistern sowie
dem Kühne-Zentrum für Logistikmanagement der WHU Koblenz durchgeführt hat.
Allen Beteiligten, namentlich Prof. Dr. Jürgen Weber, Dr. Carl Marcus Wallenburg,
Wolfdieter Keppler und Serena Trelle, sei an dieser Stelle gedankt.
Zahlreiche Fach- und Führungskräfte vor allem aus der Automobil- und Elektronikindustrie haben sich für die Dissertation zu Interviews und Fallstudien bereit erklärt und
damit die Praxisrelevanz der Arbeit gestärkt. Vielen Dank dafür!
Von Seiten der KLOG-Mitarbeiter danke ich Jens Hamprecht für seine fachlichen
Hinweise sowie Alfred Angerer, Daniel Fitzek, Jan Felde, Dr. Jörg Hofstetter und Andrea Meyer für die gute Zusammenarbeit. Hervorheben möchte ich Lars Dittmann, mit
dem ich die „Bergetappen“ gemeinsam gefahren bin. Danke für die vertrauensvolle
6
Zusammenarbeit. Vom Institut für Technologiemanagement bedanke ich mich bei Michael Kickuth, Gerrit Reepmeyer, Dirk Völz und Christian Tellkamp. Mein besonderer
Dank geht an Thomas Pock für die gemeinsamen Abschläge in Gonten.
Abschliessend widme ich mich den wichtigsten Personen in meinem Leben. Lynette
Tan danke ich für den unverzichtbaren Rückhalt und für wunderbare Wanderungen in
den Schweizer Bergen. Ohne meine Eltern wäre diese Arbeit undenkbar. Sie haben mir
gezeigt, wie wichtig und erfüllend lebenslanges Lernen ist.
Baden-Baden, im Juli 2006
Jan Frohn
Verzeichnisse
7
Inhaltsverzeichnis
Einleitung .............................................................................................................. 17
1.1
Herausforderungen der Praxis........................................................................ 17
1.2
Stand der Theorie ........................................................................................... 22
1.3
Zielsetzung der Arbeit.................................................................................... 24
1.4
Aufbau der Arbeit .......................................................................................... 26
1.5
Forschungsmethodik ...................................................................................... 27
2 Grundlagen ............................................................................................................ 31
2.1
Grundlegende Begriffe................................................................................... 31
2.1.1
Logistik ................................................................................................... 31
2.1.2
Mehrwert................................................................................................. 33
2.1.3
Synergie .................................................................................................. 35
2.1.4
Logistische Mehrwertleistungen............................................................. 37
2.1.5
Kontraktlogistik ...................................................................................... 40
2.2
Grundlegende Zusammenhänge..................................................................... 43
2.2.1
Wertschöpfungstheorien ......................................................................... 43
2.2.2
Netzwerktheorien.................................................................................... 47
2.2.3
Theorie der Leistungssysteme ................................................................ 51
2.2.4
Kontingenztheorie................................................................................... 54
2.3
Zwischenfazit ................................................................................................. 56
3 Kontingenzmodell für Mehrwertleistungen .......................................................... 57
3.1
Kontextdimension .......................................................................................... 59
3.1.1
Mandantenkontext .................................................................................. 59
3.1.2
Kontext des Logistikdienstleisters.......................................................... 65
3.1.3
Kontext der Geschäftsbeziehung ............................................................ 73
3.2
Gestaltungsdimension .................................................................................... 82
3.2.1
Logistische Mehrwertleistungen und -lösungen..................................... 83
3.2.2
Materialfluss ........................................................................................... 86
3.2.3
Informationsfluss .................................................................................... 95
3.2.4
Finanzfluss und Rechtefluss ................................................................. 105
3.2.5
Bedeutung spezifischer Investitionen................................................... 111
3.2.6
Preisgestaltung...................................................................................... 116
3.3
Performance-Dimension .............................................................................. 122
1
8
4
5
6
7
Verzeichnisse
3.3.1
Potenziale für Mandanten ..................................................................... 122
3.3.2
Potenziale für LDL ............................................................................... 130
3.3.3
Risiken für Mandanten und LDL.......................................................... 134
3.4
Zwischenfazit ............................................................................................... 143
Fallstudien ........................................................................................................... 151
4.1
Vorgehensweise ........................................................................................... 151
4.2
Automobilunternehmen Alpha..................................................................... 154
4.3
Elektronikunternehmen Beta........................................................................ 166
4.4
Elektronikunternehmen Gamma .................................................................. 175
4.5
High-Tech-Unternehmen Delta.................................................................... 184
4.6
Fallstudienvergleich ..................................................................................... 191
Gestaltungsmodell für Mehrwertleistungen ........................................................ 197
5.1
Leistungssystem ........................................................................................... 199
5.2
Strategie........................................................................................................ 203
5.3
Idee und Konzept ......................................................................................... 212
5.4
Bewertung .................................................................................................... 221
Schlussbetrachtungen .......................................................................................... 225
6.1
Ergebnisse für die Wissenschaft .................................................................. 225
6.2
Ergebnisse für die Praxis.............................................................................. 229
6.3
Ausblick ....................................................................................................... 232
Anhang ................................................................................................................ 233
7.1
Literaturverzeichnis...................................................................................... 233
7.2
Fragebogen für Mandanten .......................................................................... 247
7.3
Lebenslauf .................................................................................................... 255
Verzeichnisse
9
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Kriterien für die Auswahl von Kontraktlogistikanbietern...................... 19
Abbildung 2: Wettbewerbsstrategien in der Kontraktlogistik ...................................... 20
Abbildung 3: Forschungsdesign ................................................................................... 28
Abbildung 4: Iterativer Forschungsprozess .................................................................. 29
Abbildung 5: Value Chain ............................................................................................ 44
Abbildung 6: Shareholder-Value-Netzwerk ................................................................. 46
Abbildung 7: Determinanten eines relationalen Wettbewerbsvorteils ......................... 50
Abbildung 8: Leistungssystem...................................................................................... 52
Abbildung 9: Kontingenzmodell für die Strategieforschung........................................ 55
Abbildung 10: Kontingenzmodell für logistische Mehrwertleistungen ....................... 57
Abbildung 11: Mandantentypologie ............................................................................. 64
Abbildung 12: Vertriebsansätze für komplexe Leistungen .......................................... 70
Abbildung 13: Typologie für Kontraktlogistik-Anbieter ............................................. 73
Abbildung 14: Interaktionsmodell für die Kontraktlogistik ......................................... 74
Abbildung 15: Gestaltungsbereiche logistischer Mehrwertleistungen ......................... 82
Abbildung 16: Abgrenzung von Mehrwertleistungen und –lösungen.......................... 84
Abbildung 17: Typologie logistischer Mehrwertleistungen ......................................... 86
Abbildung 18: Mehrwertleistungen des Materialfluss ................................................. 86
Abbildung 19: Mögliche Leistungen in den Bereichen JiT, JiS und Industriepark ..... 89
Abbildung 20: Mögliche Komponenten einer Postponement-Lösung ......................... 91
Abbildung 21: Mögliche Aufgaben für LDL im Bereich CKD ................................... 93
Abbildung 22: Mehrwertleistungen des Informationsfluss .......................................... 95
Abbildung 23: Aufgaben des Netzwerk-Designs ......................................................... 97
Abbildung 24: Aufgaben und Rollen im Rahmen einer SCEM-Lösung (Beispiel) ... 104
Abbildung 25: Mehrwertleistungen des Finanz- und Rechteflusses .......................... 105
Abbildung 26: Konstruktion einer Off-Balance-Bestandsfinanzierung (Beispiel) .... 109
Abbildung 27: Integrationsmodell für die Kontraktlogistik ....................................... 115
Abbildung 28: Ermittlung der Kosteneinsparung bei Risk-Sharing-Gain-Sharing.... 120
Abbildung 29: Potenzialnetzwerk (Mandantenperspektive) ...................................... 122
Abbildung 30: Verbundeffekte bei logistischen Dienstleistungen ............................. 126
Abbildung 31: Potenzialnetzwerk (Perspektive des LDL) ......................................... 131
Abbildung 32: Einordnung von Risiken in das Integrationsmodell ........................... 136
Abbildung 33: Stufenschema für Geschäftsmodelle in der Kontraktlogistik............. 143
10
Verzeichnisse
Abbildung 34: Zeitplan der Interviewreihen .............................................................. 151
Abbildung 35: Phasen des Gestaltungsmodells .......................................................... 199
Abbildung 36: Generisches Leistungssystem für die Kontraktlogistik ...................... 200
Abbildung 37: Mögliche Segmentierung von Mandanten.......................................... 204
Abbildung 38: Mögliche Positionierungen im Geschäftsfeld Kontraktlogistik ......... 206
Abbildung 39: Wettbewerbsstrategien in der Kontraktlogistik .................................. 208
Abbildung 40: Hybride Wettbewerbsstrategien ......................................................... 209
Abbildung 41: Kontraktlogistik als konvergierendes Geschäftsfeld .......................... 211
Abbildung 42: Typologie von Kundenbedürfnissen................................................... 214
Abbildung 43: Perspektiven auf das Leistungssystem ............................................... 216
Abbildung 44: Analyse und Bewertung von Entwicklungsvorhaben (Stufe 1+2) ..... 222
Abbildung 45: Analyse und Bewertung von Entwicklungsvorhaben (Stufe 3) ......... 223
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Stand der Theorie......................................................................................... 23
Tabelle 2: Synergiebegriffe und -typen ........................................................................ 35
Tabelle 3: Fremdvergabe von Logistikleistungen ........................................................ 39
Tabelle 4: Potenziale von SCEM................................................................................ 101
Tabelle 5: Typen und Beispiele spezifischer Investitionen ........................................ 111
Tabelle 6: Vergleich der Kontextfaktoren .................................................................. 191
Tabelle 7: Vergleich der Gestaltungsparameter.......................................................... 192
Tabelle 8: Vergleich der Performance-Kategorien..................................................... 195
Tabelle 9: Lösungstypen im Vergleich....................................................................... 217
Verzeichnisse
Abkürzungsverzeichnis
3PL
4PL
ABC
AHP
ATP
BMS
BoB
bspw.
BVL
BWL
bzgl.
bzw.
CBU
CKD
CMI
CPFF
CPFR
CPIF
EBIT
EDV
ERP
et al.
etc.
EVA
evtl.
f
FDA
FDL
ff
FTL
FTS
FuE
Ggf.
Third Party Logistics
Fourth Party Logistics
Activity Based Costing
Analytic Hierarchy Process
Available-to-Promise
Bonus-Malus-Schema
Best-of-Bread
beispielsweise
Bundesvereinigung Logistik
Betriebswirtschaftslehre
bezüglich
beziehungsweise
Completely Build Up
Completely Knocked Down
Carrier Managed Inventory
Cost Plus Fixed Fee
Continuous Planning Forecasting and Replenishment
Cost Plus Incentive Fee
Earnings Before Interest and Tax
Elektronische Datenverarbeitung
Enterprise Resource Planning
Et alii (und andere)
et cetera (und so weiter)
Economic Value Added
eventuell
folgende
Federal Drug Administration
Finanzdienstleister
fortfolgende
Full Truck Load
Fahrerloses Transportsystem
Forschung und Entwicklung
gegebenenfalls
11
12
Hrsg.
i.d.R.
i.S.v.
IAS
ISV
IT
JiS
JiT
KEP
KgV
KMU
KPI
KVP
LDL
LLP
LSFP
MWL
o.g.
o.V.
OEM
OSS
OTD
PbP
RBV
RFID
RSGS
SARS
SCEM
SCM
SCOR
SGE
SGF
SLA
SOP
T&T
TUL
Verzeichnisse
Herausgeber
in der Regel
im Sinne von
International Accounting Standards
Industry Structure View
Informationstechnologie
Just-in-Sequence
Just-in-Time
Kurier-Express-Post (Dienst)
kleinstes gemeinsames Vielfaches
kleine und mittelständische Unternehmen
Key Performance Indicator
Kontinuierlicher Verbesserungsprozess
Logistikdienstleister
Lead Logistics Provider
Lump Sum / Fixed Price
Mehrwertleistung
oben genannt
ohne Verfasser
Original Equipment Manufacturer
One Stop Shopping
On Time Delivery
Part by Part
Resource Based View
Radio Frequency Identification
Risk-Sharing-Gain-Sharing
Severe Acute Respiratory Syndrome
Supply Chain Event Management
Supply Chain Management
Supply Chain Operations Reference (Model)
Strategische Geschäftseinheit
Strategisches Geschäftsfeld
Service Level Agreement
Standard Operating Procedure
Tracking & Tracing
Transport, Umschlag und Lagerhaltung
Verzeichnisse
u.a.
u.U.
US-GAAP
vgl.
VMI
WOW
z.B.
unter anderem
unter Umständen
Generally Accepted Accounting Principles
vergleiche
Vendor Managed Inventory
Warehouse on Wheels
zum Beispiel
13
14
Zusammenfassung
Die vorliegende Arbeit behandelt das Angebot und die Nachfrage von logistischen
Mehrwertleistungen in der Kontraktlogistik. Nachfrager (Mandanten) sind in ihren
Märkten mit einem verstärkten Kosten- und Servicewettbewerb konfrontiert. Die Anwendung innovativer Logistikkonzepte, wie bspw. Postponement, stärkt Unternehmen
im Wettbewerb. Einige Mandanten haben erkannt, dass es für sie vorteilhaft sein kann,
wenn Logistikdienstleister (LDL) bei der Umsetzung solcher Konzepte eine stärkere
Rolle einnehmen. Sie vergeben daher zunehmend komplexe und spezifische Leistungsumfänge fremd. Für LDL ergibt sich daraus die Chance, einem rein kostenorientierten Wettbewerb zu entkommen, indem sie sich als Mehrwertanbieter positionieren.
Diese Strategie setzt voraus, dass LDL durchgängige Funktionalitäten aufbauen, die
für möglichst viele Mandanten nutzbar sind.
Bisher existiert kein Beitrag, der die Beschreibung, Erklärung und Gestaltung von
Mehrwertleistungen in der Logistik in den Mittelpunkt rückt. Es fehlt eine Begriffsdefinition, die der vollen Reichweite von logistischen Mehrwertleistungen gerecht wird
und sie wirksam eingrenzt. Aus dieser Forschungslücke wurden drei Ziele für die Dissertation abgeleitet. Erstens soll der Begriff der logistischen Mehrwertleistung definiert und systematisiert werden. Zweitens soll ein Kontingenzmodell entwickelt werden, welches Einflussfaktoren, Gestaltungsparameter sowie Potenziale und Risiken
von logistischen Mehrwertleistungen beschreibt und wesentliche Zusammenhänge erklärt. Abschliessend soll ein Gestaltungsmodell erarbeitet werden, dass LDL dabei
hilft, Mehrwertleistungen proaktiv zu entwickeln und sie in einem Leistungssystem zu
ordnen. Kernelement dieses Modells ist ein Stufenschema, dass LDL dabei unterstützt,
sich schrittweise zum Materialfluss-, Transparenz-, Koordinations- oder Optimierungsanbieter weiterzuentwickeln.
Die Thematik logistischer Mehrwertleistungen befindet sich in einer frühen Entwicklungsphase. Daher folgt die Arbeit einer qualitativ explorativen Forschungskonzeption.
Dafür wurden die Erfahrungen von Kontraktlogistikanbietern und Mandanten aus den
Branchen Automobil, Elektronik und High-Tech in Form von Interviews und Fallstudien untersucht.
15
Abstract
This dissertation examines the supply and demand for value-added services in the contract logistics market. Currently, clients are confronted with intensified cost and service competition in their respective markets. The application of innovative logistics
concepts such as postponement enhances these firms’ competitiveness. Some clients
have recognised the benefits of giving logistics service providers a larger role in implementing and running such concepts. As a result, they outsource increasingly complex and specific service areas to external providers. Logistics service providers can
benefit from this trend – they avoid purely cost-oriented competition by positioning
themselves as value-added suppliers. This strategy however requires that logistics
service providers proactively create integrated functionalities and, for economies of
scale, extend them to several users.
Previous studies have not focused explicitly on a description, explanation and conceptualisation of value-added services in logistics. A clear definition of concepts, which
encompasses the full range of value-added logistics services, is also lacking. This dissertation fills the gaps in the literature in three ways. Firstly, it systematically defines
the concept of value-added logistics services. Secondly, it develops a contingency
model that incorporates drivers, conceptual parameters as well as potential benefits
and risks of value-added logistics services. Major links in the model are also explained. Finally, it proposes a methodology that enables logistics service providers to
systematically develop value-added services and to integrate them into a service portfolio. A key contribution of the model is an evolutionary path which helps logistics
service providers progress step by step towards becoming providers of material flow,
transparency, coordination or optimisation.
The topic of value-added logistics services is still in its infancy. This study therefore
undertakes a qualitative and explorative research approach by drawing on interviews
and case-studies of contract logistics providers and clients in the automobile, electronics and high-tech industries.
16
Einleitung
17
1 Einleitung
1.1 Herausforderungen der Praxis
Diese Arbeit beschäftigt sich mit dem Angebot und der Nachfrage von logistischen
Mehrwertleistungen im Segment der Kontraktlogistik. Sie stellt die Markttrends und
Herausforderungen aus Sicht der Anbieter und der Nachfrager – im Folgenden als Logistikdienstleister (LDL) bzw. Mandanten bezeichnet – dar. Mandanten aus nahezu
allen Branchen sind spätestens seit den Marktöffnungen in Osteuropa und Asien mit
einem verstärkten globalen Wettbewerb konfrontiert. Baumgarten und Thoms (2002,
S.8) bewerten die Individualisierung der Kundenbedürfnisse und die sinkende Kundenloyalität als zentrale Veränderungstreiber der Logistik in Industrie und Handel.
Unternehmen reagieren darauf, indem sie IT-Potenziale ausschöpfen, sich mit Partnerunternehmen vernetzen und Unternehmenswissen effektiver nutzen. Mandanten
stehen in ihren Branchen in einem verstärkten Kosten- und Servicewettbewerb. Neuere
logistische Konzepte, wie bspw. Vendor Managed Inventory oder Postponement, können hier vielversprechende Beiträge leisten. Einige Mandanten haben erkannt, dass es
ggf. für sie vorteilhaft ist, wenn LDL bei der Umsetzung solcher Konzepte eine stärkere Rolle einnehmen als bisher.
Kapitalmärkte - und spätestens seit Basel II auch Kreditinstitute - erzeugen einen erhöhten Renditedruck auf Industrie und Handel. Die Logistik konkurriert mit anderen
Funktionsbereichen wie Marketing und Forschung und Entwicklung (FuE) um knapper werdende Investitionsbudgets. Derzeit liegt der Anteil der Logistikinvestitionen an
den gesamten Investitionen bei 6% in der Automobilindustrie und bei 10% in der Konsumgüterindustrie. Davon entfällt bereits ein Viertel auf IT-Investitionen (Baumgarten
und Thoms 2002, S.14). Auf der anderen Seite sind Anlage- und Umlaufvermögen der
Logistik wie Fördertechnik, Informationstechnik und Bestände in vielen Unternehmen
aufgrund schwankender Geschäfte nicht optimal ausgelastet. Diese Entwicklungen
haben in den letzten Jahren zu einer verstärkten Wert- und Kernkompetenzorientierung bei Mandanten geführt. Bowersox weist darauf hin, dass Manager immer häufiger nachweisen müssen, wie ihre Organisationseinheiten (Projekte, Funktionen, Prozesse) zum Unternehmenswert beitragen.
„The key is to identify activities that create value as contrasted to those that only
increase revenue or decrease cost“ (Bowersox et al. 2000, S.13)
18
Einleitung
Dort, wo ein Unternehmen starke Kompetenzen oder sogar Kernkompetenzen besitzt,
ist es am ehesten in der Lage, Renditen über den Kapitalkosten zu erzielen. Es stellt
sich bei Leistungsumfängen generell die Frage, ob das Unternehmen sie selber erbringen soll oder ob Externe den Umfang gleich gut oder sogar besser erbringen können.
Umfänge, bei denen der Mandant Kompetenzvorteile aufweist, gehören laut Arnold
(1999a, S.312) zum Unternehmenskern und werden intern erbracht. Einen klaren
Kompetenzvorteil haben LDL üblicherweise bei kernfernen Aufgaben wie Transport
und Lagerhaltung, die häufig schon seit längerem fremdvergeben sind. Schwieriger
fällt Mandanten jedoch die Entscheidung im sogenannten kernnahen Bereich. Bei dieser Entscheidung müssen auch die Opportunitätskosten des Kapitals berücksichtigt
werden, d.h. der LDL darf in der Leistungserstellung sogar etwas teurer als der Mandant sein. Als ein zentrales Ergebnis einer umfassenden Studie in der Kontraktlogistik
stellen Langley et al fest, dass durch eine verstärkte Zusammenarbeit mit spezialisierten LDL zahlreiche Finanzkennzahlen optimiert werden können.
„Respondents indicated impressive results in areas such as logistics cost reduction, fixed logistics asset reduction, reduction in length of order cycle, overall inventory reduction, and reduction in cash-to-cash cycles.“ (Langley et al. 2004,
S.7)
Vor dem Hintergrund einer verstärkten Fremdvergabe müssen Unternehmen ein klares
Konzept für die mittel- bis langfristige Arbeitsteilung zwischen der internen Logistik
und den externen Dienstleistern entwickeln. In Westeuropa geben Grossunternehmen
heute bereits 61% des Logistikbudgets für 3PL-Dienstleistungen aus. Dieser Wert wird
in den nächsten fünf Jahren weiter steigen (Langley et al. 2004, S.5). Entsprechend
sehen Bowersox et al. (2000, S.9) die virtuelle Integration von Lieferanten als einen
der 10 Megatrends der Logistik an. Auch mit der virtuellen Integration von Logistikpartnern können Mandanten Wettbewerbsvorteile erzielen. Die Autoren empfehlen,
dass Unternehmen die Erfahrung und die Synergiepotenziale von externen Partnern für
ihren Erfolg nutzen. Gerade weil bei einer niedrigen eigenen Leistungstiefe die Partner
einen grossen Einfluss auf den Erfolg des Unternehmens haben, ist es wichtig, dass
beide Seiten eine gemeinsame Vision für den Wertschöpfungsprozess und die Arbeitsteilung entwickeln. Die Harmonisierung beider Interessen ist dabei erfolgskritisch. Die
Leistungstiefenreduktion hat in der Logistik mit Basisleistungen wie Transport und
Lagerhaltung begonnen. In den letzten Jahren ist jedoch ein starker Bedeutungszuwachs von physischen und administrativen Mehrwertleistungen zu beobachten. Ge-
Einleitung
19
3,5
3,5
2,9
2,6
2,5
1 (am unwichtigsten)
5 (am wichtigsten)
mäss Langley et al (Langley et al. 2004, S.20) ist die Fähigkeit zum Angebot von
Mehrwertleistungen ein zentrales Auswahlkriterium von Logistikdienstleistern im
Segment der hochwertigen Kontraktlogistik geworden (vgl. Abbildung 1).
Angebot an
Mehrwertleistungen
des
Logistikdienstleisters
Preisgestaltung
des
Logistikdienstleisters
Kernleistungen des
Logistikdienstleisters
Zugang zum
Logistikdienstleister
Gesamterfahrung mit
dem
Logistikdienstleister
Abbildung 1: Kriterien für die Auswahl von Kontraktlogistikanbietern
Quelle: (Langley et al. 2004, S.20)
Logistikdienstleister sind traditionell vor allem für Leistungen rund um Transport und
Lagerhaltung von Mandanten beauftragt worden. Diese Basisaufgaben bergen bei der
derzeitigen Marktentwicklung für LDL die Gefahr, dass sie sich auf einen Preiswettbewerb mit Konkurrenten einlassen und dadurch, sobald es einen günstigeren Anbieter gibt, austauschbar sind. Sie müssen sich entscheiden, ob sie in der Lage sind, standardisierte Leistungen zu niedrigsten Kosten zu produzieren oder ob es für sie günstiger ist, Basisleistungen mit einzigartigen Mehrwertleistungen1 anzureichern. Sie stehen also vor der Herausforderung, sich zwischen der Positionierung als Kostenführer
oder als Mehrwertanbieter im Gesamtmarkt bzw. in der Nische zu entscheiden (vgl.
Abbildung 2). Wenn einem LDL keine klare Profilierung gelingt, dann droht eine –
wie Porter sie nennt – Stuck-in-the-middle-Situation, die mit unterdurchschnittlichen
Renditen verbunden ist.
Daher haben sich zahlreiche LDL entschieden, die technischen Innovationen der
letzten Jahre als Grundlage für neue Mehrwertleistungen zu nutzen. Die weitreichendste Innovation der letzten Dekade stellt das Internet dar, mit dessen Hilfe Logistikdienstleister verteilte Logistiksysteme für ihre Mandanten vernetzen können. Die IT1
Verpackung, Transportplanung und Bestandsfinanzierung sind Beispiele für logistische Mehrwertleistungen.
Der Begriff wird in Kapitel 2.1.4 definiert.
20
Einleitung
basierte Gestaltung, Planung, Ausführung und Steuerung von Logistiksystemen bietet
nicht nur neue Umsatzträger, sondern auch neue Rollen und Geschäftsmodelle für
LDL (Straube und Frohn 2004, S.39f). Langley et al (S.16f) haben herausgefunden,
dass Tracking und Tracing mit einer Nutzung von 71% der Befragten und internetbasierte Kommunikation mit 65% heute bereits eine hohe Bedeutung haben. Die Zahlen
deuten darauf hin, dass in Zukunft RFID mit 61% und Supply Chain Planning SCP mit
29% an Bedeutung zunehmen werden. Gerade RFID gibt LDL eine Gelegenheit, sich
als IT-Innovatoren zu positionieren und den Mandanten bei der Erfüllung von Kundenanforderungen, bspw. des Handels, zu unterstützen. Dennoch betonen die Autoren,
dass die kundenbindenden Potenziale von Mehrwertleistungen noch längst nicht ausgeschöpft sind und die meisten Mandanten noch ihre eigenen logistischen IT-Systeme
verwenden.
„The issues that received the most attention included high-level disappointment
with the 3PL provider’s ability to develop and offer value-added services (...).“
(Langley et al. 2004, S.7)
Branche
Branchensegment
Ort des Wettbewerbs
Schwerpunkt des Wettbewerbs
Mehrwert
Kosten
Mehrwertanbieter
Kostenführer
Bedürfnis: einzigartige Leistung
Produkt: Basisleistungen
+ Mehrwertleistungen
Bedürfnis: niedrige Kosten
Produkt: standardisierte
Basisleistungen
Fokussierter Mehrwertanbieter
Fokussierter Kostenführer
Bedürfnis: spezifische Leistung
Produkt: Basisleistungen
+ Mehrwertleistungen
Bedürfnis: niedrige Kosten
Produkt: spezifische
Basisleistungen
Abbildung 2: Wettbewerbsstrategien in der Kontraktlogistik
Quelle: Eigene Darstellung basierend auf (Porter 1998) und (Müller-Stewens und Lechner 2003)
In der Vergangenheit haben LDL vielfach Leistungen reaktiv nach den Spezifikationen
einzelner Mandanten entwickelt. Bei diesem Vorgehen besteht die Gefahr, dass eine
unübersichtliche Leistungsvielfalt mit geringen Synergien und hohen Komplexitäts-
Einleitung
21
kosten entsteht. Die Tatsache, dass Mandanten zunehmend durchgängige Funktionalitäten bei LDL suchen, verdeutlicht, warum eine proaktive und systematische Entwicklung von Leistungen erforderlich ist. Diese setzt eine Leistungsstrategie voraus, die
eine Richtung für profitables Wachstum mit Mehrwertleistungen vorgibt und ein wirksames Kundenwissensmanagenent, dass bei der Früherkennung von Kundenbedürfnissen hilft (Straube und Frohn 2004, S.39f). Darüber hinaus müssen LDL nach dem
Vorbild innovativer Branchen ihre Forschung und Entwicklung ausbauen.
Veränderte Kundenbedürfnisse und neue technische Möglichkeiten haben in der Logistikbranche für eine Transformation gesorgt, die führende Anbieter für eine grundsätzliche Umpositionierung nutzen wollen (Zadek 2001, S.29f). Die höchste Evolutionsstufe – nach herrschender Meinung derzeit nicht in greifbarer Nähe – stellt der
4PL-Provider dar. Ein solcher Anbieter zeichnet sich dadurch aus, dass er die physischen Aufgaben an Subunternehmer fremd vergibt und seinen Schwerpunkt bei administrativen Mehrwertleistungen wie der Beratung, Planung und Steuerung von Logistiknetzwerken setzt. Solche Leistungen erhöhen die Einflussmöglichkeiten des LDL
und erfordern gleichzeitig veränderte Kompetenzen. In FuE sowie Produktion sind
dies die Entwicklung und Umsetzung innovativer Logistik- und IT-Konzepte und im
Vertrieb müssen Kompetenzen bei konsultativen Vertriebsansätzen sowie beim Beziehungsmanagement aufgebaut werden. Neben der langwierigen internen Entwicklung
spielen im fragmentierten Logistikmarkt auch externe Entwicklungsstrategien wie Kooperationen sowie Unternehmenskäufe eine Rolle, was die Übernahme von EXEL
durch die Deutsche Post jüngst untermauert hat.
Das Angebot von Mehrwertleistungen alleine reicht nicht aus, um nachhaltige Geschäftsbeziehungen zwischen Mandanten und LDL zu etablieren. Mehrwertleistungen
können nur dann erfolgreich angeboten werden, wenn entsprechende Fähigkeiten im
Beziehungsmanagement mit dem Mandanten aufgebaut werden. Mit diesen Fähigkeiten können sich LDL im derzeitigen Marktumfeld laut Langley et al. (S.6) von Wettbewerbern abheben. LDL stehen vor der Herausforderung, sich vom Transporteur zum
logistischen Problemlöser umzupositionieren. Sie müssen die Zusammenarbeit mit
ihren Mandanten intensivieren, um Bedürfnisse schneller zu identifizieren und das
Vertrauen in ihre Problemlösungsfähigkeit zu fördern. Veränderte Merkmale von
Mehrwertleistungen im Vergleich zu Basisleistungen können eine Anpassung der Geschäftsbeziehung erfordern. Bensaou (1999, S.36ff) sieht Kontexte als prädestiniert für
strategische Partnerschaften, in denen Leistungen ausgetauscht werden, die kunden-
22
Einleitung
spezifisch ausgestaltet sind, flexibel an Veränderungen angepasst werden müssen und
auf innovativen, ggf. proprietären Technologien des Lieferanten basieren. Auch für
LDL sind strategische (Entwicklungs-)Partnerschaften denkbar. Sie basieren auf einer
Kultur des Wissensaustauschs und der ständigen Verbesserung, die ein hohes Mass an
Vertrauen und Engagement bei den Partnern voraussetzen.
1.2 Stand der Theorie
Über die wachsende Bedeutung von Mehrwertleistungen in der Logistik herrscht in
Theorie und Praxis Einigkeit. Umso erstaunlicher ist es, dass es bisher keinen Beitrag
gibt, der die Beschreibung, Erklärung und Gestaltung von Mehrwertleistungen in der
Logistik in den Mittelpunkt rückt.
Zum Themenschwerpunkt dieser Arbeit lassen sich einige angrenzende Literaturstränge identifizieren. Nachfolgend werden diese Stränge beschrieben und exemplarische
Beiträge dargestellt (vgl. Tabelle 1).
Mehrwertleistungen und Leistungssysteme wurden zuerst im Marketing übergreifend
diskutiert bevor sie in unterschiedlichen Branchen aufgegriffen wurden. Vertreter dieser Marketingsicht sind Belz (1991), der sich mit dem Aufbau von Leistungssystemen
befasst, und Laakmann (1995), der den Begriff Mehrwertleistung und seine Besonderheiten untersucht.
Ein zweiter Literaturstrang beschäftigt sich mit ausgewählten logistischen Leistungen
und Lösungen. Corsten et al (2002) vergleichen Bedürfnisse und durch Mandanten
wahrgenommene Kompetenzen bei informationsbasierten Logistikdienstleistungen.
Gareis (2002b) beschreibt das potenzielle Dienstleistungsspektrum rund um den Industriepark. Von Eisenhart-Rothe und Jütte (2003) befassen sich mit Beiträgen, die
Logistikdienstleister mit Finanzierungskompetenz in Logistiknetzwerken leisten
können.
Eine Vielzahl von Studien versucht, die Nachfragepotenziale von Logistikdienstleistungen durch Befragung von Verladern quantitativ zu ermitteln. Wesentliche Vertreter dieses Vorgehens sind Langley et al. (2004), die die aktuelle und zukünftige Nachfrage nach Logistikdienstleistungen anhand unstrukturierter Leistungslisten erfragen.
Einleitung
23
Rabinovich et al. (1999) analysieren Interdependenzen zwischen Logistikdienstleistungen. Dafür bilden die Autoren sechs Cluster physischer und administrativer Leistungen und zeigen, wie deren Fremdvergabe untereinander korreliert ist.
1995 Laakmann, K. (1995)
1999 Berglund, M., P. van Laarhoven,
G. Sharman und S. Wandel
(1999)
1999 Rabinovich, E., R. Windle, M.
Dresner und T. Corsi (1999)
2001 Zadek, H. (2001)
2002 Corsten, D., M. Lenz und M.
Klose (2002)
2002 Gareis, K. (2002)
2002 Nissen, V. und M. Bothe (2002)
2003 von Eisenhart-Rothe, F. und S.
Jütte (2003)
2004 Langley, C. J., G. R. Allen und T.
A. Dale (2004)
2005 Oymann, B., P. Schumann und B.
Fleischmann (2005)
x
x
x
x
x
Zusammenhang zwischen der Vergabe von
Basisleistungen und Zusatzleistungen
Auswirkung der veränderten
Kundenanforderungen auf Geschäftsfelder von
LDL
Vergleich der Bedürfnisse mit den von
Mandanten wahrgenommenen Kompetenzen bei
informationsbasierten Logistikdienstleistungen
x
x
x
x
o
x
x
x
Dienstleistungen rund um den Industriepark
mögliches Leistungsspektrum eines 4PL
Logistikleistungen des Finanzflusses
x
x
x
x
x
x
o
x
Nachfragehäufigkeit von Logistikleistungen
x
x
x
Entwicklung einer branchenübergreifenden
Lösung für die Beschaffungslogistik
x
x
x
x
o
x
x
x
o
x
x
x
x
x
o
x
x
x
x
x
Gestaltung
Fallstudien
x
Erklärung
Typologien
Definitionen
x
o
x
x
x
x
Beitrag
x
x
x
x
Konzeptionell
Empirisch qualitativ
x
Empirisch quantitativ
x
Nachfragersicht
Mehrwertleistung
Kontraktlogistik
Logistik
Marketing
x
Anbietersicht
Aufbau von Leistungssystemen in diversen
Branchen
Planung von Mehrwertleistungen
Entwicklung und Segmentierung der 3PLIndustrie.
Vorgehen
Leistungssystem
1991 Belz, C. (1991)
Inhalt
Autor(en)
Jahr
Einordnung
x
x
x
x
x
x
x
x
Tabelle 1: Stand der Theorie
Ein weiteres umfangreiches Literatursegment bilden die Beiträge über Geschäftsmodelle – also Third Party Logistics, Lead Logistics und Fourth Party Logistics Provider.
Vertreter dieser Gruppe sind bspw. Berglund et al. (1999), die für die 3PL-Industrie
eine Entwicklung prognostizieren und eine Segmentierung vorschlagen. Mögliche Leistungen eines Fourth Party Logistics Provider (4PL) werden von Nissen und Bothe
(2002) vorgeschlagen.
Einen Beitrag zu Leistungssystemen in der Logistik erbringen Oymann et al. (2005).
Sie beschreiben mit einer branchenübergreifenden Lösung für die Beschaffungslogistik einen Ausschnitt eines solchen Leistungssystems bei einem Logistikdienstleister.
Trotz zahlreicher wichtiger Publikationen im Umfeld von Mehrwertleistungen in den
letzten Jahren weist das Themengebiet mehrere Forschungslücken auf. Es fehlen sowohl eine operationalisierbare Begriffsdefinition logistischer Mehrwertleistungen als
auch eine Typologie, die das Thema in seiner ganzen Reichweite abdeckt. Aufgrund
des noch frühen Entwicklungsstadiums ist eine empirisch qualitative Untersuchung
24
Einleitung
notwendig. Besonders Fallstudien können dazu beitragen, die komplexen Entscheidungsprozesse rund um das Angebot und die Nachfrage logistischer Mehrwertlösungen zu beleuchten. Bisher fehlt ein Erklärungsmodell, welches die treibenden und
hemmenden Kräfte auf die Nachfrage und das Angebot von Mehrwertleistungen sowie
die erzielbaren Ergebnisse ganzheitlich darstellt. Das Konzept integrierter Leistungssysteme ist in der Logistik bisher nicht ausreichend diskutiert worden. Aufgrund dieser
Defizite konnte die Wissenschaft der Praxis bisher kaum Gestaltungsempfehlungen für
die Entwicklung logistischer Leistungssysteme geben, mit denen Leistungen effektiv
und effizient verknüpft werden können. Zusammengefasst fehlt eine Untersuchung,
die logistische Mehrwertleistungen in der Kontraktlogistik in ihren Mittelpunkt rückt.
1.3 Zielsetzung der Arbeit
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, Entwicklungsstand und Trends von logistischen
Mehrwertleistungen in der Kontraktlogistik zu untersuchen. Dabei integriert sie die
Perspektiven von Mandanten und Logistikdienstleistern in einem situativen Erklärungsmodell und leitet daraus einen Gestaltungsansatz für Logistikdienstleister ab. Sie
leistet einen Beitrag zur Schliessung der oben identifizierten Forschungslücke und zur
Lösung der damit verbundenen Praxisprobleme. Diese Zielsetzungen sollen durch die
Beantwortung der folgenden fünf Forschungsfragen erreicht werden.
Forschungsfrage 1: Wie können logistische Mehrwertleistungen definiert, typologisiert
und gestaltet werden?
In vielen Logistikpublikationen wird der Ausdruck Mehrwertleistung verwendet, ohne
ihn angemessen zu erklären. Ausserdem verwenden diese Publikationen meist völlig
unstrukturierte Leistungslisten. Daher soll sowohl eine Definition, die eine klare Begriffseingrenzung ermöglicht, als auch eine Typologie, die sämtliche Mehrwertleistungen strukturiert, erarbeitet werden. Dadurch wird eine einheitliche Terminologie geschaffen, die bei der Bearbeitung der nachfolgenden Fragen verwendet wird. Die Typologie wird mit zahlreichen Beispielen von Mehrwertleistungen gefüllt. Darüber hinaus sollen die wesentlichen Gestaltungsparameter von Mehrwertleistungen - Ressourcen, Prozesse und Preismodelle - dargestellt werden. Durch die Beantwortung dieser
Einleitung
25
Frage wird der erste Baustein des Kontingenzmodells2 – die Gestaltungsdimension –
geschaffen.
Forschungsfrage 2: Welche Kontextfaktoren beeinflussen Nachfrage und Angebot von
logistischen Mehrwertleistungen?
Diese Frage bezweckt, die treibenden und hemmenden Faktoren bei Nachfrage und
Angebot von komplexen Mehrwertleistungen zu identifizieren. Dabei werden Faktoren
des Mandanten, des LDL und der Geschäftsbeziehung unterschieden. Durch die Beantwortung dieser Frage wird ein weiterer Baustein des Kontingenzmodells – die Kontextdimension – geschaffen.
Forschungsfrage 3: Welche Potenziale und Risiken ergeben sich durch die Fremdvergabe von logistischen Mehrwertleistungen für Mandanten bzw. LDL?
Ziel dieser Forschungsfrage ist es, die Chancen und Gefahren komplexer Mehrwertleistungen für Mandanten und Logistikdienstleister zu identifizieren. Durch die Beantwortung dieser Frage wird der dritte und letzte Baustein des Kontingenzmodells – die
Performance-Dimension – hinzugefügt. Aufgrund der kombinatorischen Vielzahl werden ausgewählte, wesentliche Zusammenhänge der Performance mit dem Kontext und
der Gestaltung dargestellt.
Forschungsfrage 4: Welche Bedeutung haben spezifische Investitionen für die Erbringung logistischer Mehrwertleistungen?
Mit der vierten Frage wird ein essentieller Gestaltungsaspekt von Mehrwertleistungen
– die Spezifität von Ressourcen, Prozessen bzw. Ergebnissen – analysiert. Es soll untersucht werden, wie Mandanten und LDL gegenwärtig mit der Herausforderung
massgeschneiderter Mehrwertleistungen umgehen und welche Entwicklungstrends zu
beobachten sind.
Forschungsfrage 5: Welche Implikationen ergeben sich für die Entwicklung von logistischen Mehrwertleistungen und deren Integration in Leistungssysteme?
2
In dieser Arbeit wird unter einem Kontingenzmodell ein situatives Beschreibungs- und Erklärungsmodell verstanden.
26
Einleitung
Abschliessend soll ein situativer Gestaltungsansatz konzipiert werden, der Logistikdienstleistern dabei hilft, attraktive Einzelleistungen zu entwickeln und diese in einem
strukturierten Leistungssystem zusammenzuführen. Dafür erfolgt eine Synthese des
empirisch erarbeiteten Kontingenzmodells mit wesentlichen Erkenntnissen der Literatur.
1.4 Aufbau der Arbeit
In den vorangehenden Abschnitten des Kapitels 1 wurden die Herausforderungen der
Praxis mit dem Stand der Theorie abgeglichen und somit die Forschungslücke und die
Zielsetzung der Dissertation hergeleitet. Das Kapitel 2 legt ein theoretisches Fundament für die Arbeit. Dort werden zentrale Begriffe wie Mehrwertleistung und Kontraktlogistik erklärt. Darüber hinaus werden die theoretischen Bausteine wie der Relational View, das Leistungssystem und die Kontingenztheorie präsentiert, die im Laufe
der Arbeit für die Beantwortung der Forschungsfragen genutzt werden.
Die Kapitel 3 und 4 beschreiben und erklären das Phänomen logistischer Mehrwertleistungen. In Kapitel 3 werden die Sichten von Mandanten und Logistikdienstleistern in
ein ganzheitliches Kontingenzmodell integriert. Das Kontingenzmodell ist ein Bezugsrahmen, bei dem die für Mehrwertleistungen relevanten Untersuchungsobjekte den
Dimensionen Kontext, Gestaltung oder Performance zugeordnet werden. Kapitel 4
stellt die Praxis von Mehrwertleistungen aus der Mandantenperspektive anhand von
vier Fallstudien aus der Automobil- und Elektronikindustrie dar. Ein empirisches Vorgehen sichert die Relevanz der Ausführungen und kann bewährte Erfolgsfaktoren herausarbeiten. Die Mandantensicht wurde hier gewählt, weil Mandanten mit ihren Bedürfnissen und ihrem Kaufverhalten über die Entwicklung und den Erfolg der einzelnen Mehrwertleistungen massgeblich mitentscheiden. Die Fallstudien werden einem
Quervergleich unterzogen, um Ähnlichkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten.
Gestaltungsaspekte rund um logistische Mehrwertleistungen werden in Kapitel 5 diskutiert. Hier wird die Sicht der Logistikdienstleister eingenommen, weil die Gestaltungsaspekte aus Sicht von Mandanten, also die Logistiktiefengestaltung, häufiger untersucht wurden und einen höheren Entwicklungsstand in Wissenschaft und Praxis
aufweisen. Stattdessen wird ein situativer Ansatz für die integrierte Entwicklung von
Mehrwertleistungen und Leistungssystemen in der Kontraktlogistik präsentiert. Dabei
erfolgt eine Synthese der Literatur über Serviceentwicklung und Leistungssysteme mit
Einleitung
27
den Erkenntnissen der vorhergehenden Kapitel. Kapitel 6 fasst abschliessend die Beiträge der Arbeit für Wissenschaft und Praxis zusammen.
1.5 Forschungsmethodik
Die wachsende aber dennoch kleine Zahl von Logistikkontrakten mit einem hohen
Anteil an Mehrwertleistungen spricht für eine qualitative, explorative Untersuchung
(Zikmund 2003, S.110ff). Darüber hinaus ist in den Gesprächen mit Praktikern festzustellen, dass Kontraktlogistik ein relativ junges Marktsegment ist, in dem sich die Interaktionsmuster von Anbietern und Nachfragern erst langsam verfestigen. Entsprechend dieser Erkenntnisse werden in den beiden folgenden Abschnitten für das Forschungsvorhaben die Komponenten des Forschungsdesigns spezifiziert und die Aktivitäten des Forschungsprozesses ausgestaltet.
Forschungsdesign
Das Forschungsdesign ist die Logik, welche die gesammelten Daten mit den Forschungsfragen verknüpft (Yin 1989, S.27). Dafür muss der Wissenschaftler im Forschungsprozess die Komponenten Forschungsfragen, Analyseeinheiten, Analyseobjekte und Analysemethoden ausgestalten (vgl. Abbildung 3). Die Forschungsfragen wurden aus der identifizierten Forschungslücke abgeleitet und aufgrund ihrer leitenden
Bedeutung bereits separat dargestellt.
Die logistische Mehrwertleistung ist das zentrale Konstrukt und damit auch zentrale
Analyseeinheit dieser Arbeit. Darüber hinaus wird im Gestaltungsteil die Integration
von Mehrwertleistungen in Leistungssysteme dargestellt. Analyseobjekte sind Logistikdienstleister, die im Segment Kontraktlogistik tätig sind sowie Mandanten aus den
Branchen Automobil und Elektronik/High-Tech, die Kontrakte mit LDL haben. Diese
Kontrakte können sich auf sämtliche Prozessketten – Beschaffungs-, Produktions-,
Distributions- bzw. After-Sales-Logistik – beziehen. Die verwendete Analysemethode
bezeichnet Yin als Mustererkennung. Dabei werden Interviewtransskripte bzw. Fallstudien auf Parallelen und Gegensätze hin untersucht, um so Hinweise auf Zusammenhänge zu finden.
28
Einleitung
Analyseeinheiten
Mehrwertleistung /
-lösung
Leistungssystem
Analyseobjekte
Logistikdienstleister
Mandanten
Analysemethoden
Analyse von
Interviewtransskripten
Fallstudienvergleich
Automobil
Mustererkennung
Elektronik
High-Tech
Abbildung 3: Forschungsdesign
Fallstudien sind besonders geeignet, komplexe betriebswirtschaftliche Entscheidungssituationen zu erforschen. Fallstudien beleuchten nach gängiger Meinung Entscheidungen hinsichtlich der zugrunde liegenden Entscheidungsfindung und -begründung.
Als konstituierende Merkmale von Fallstudien sieht Yin (1989, S.23) die „Untersuchung gegenwärtiger Phänomene in ihrem realen Kontext“, eine Verwischung der
„Grenzen zwischen Phänomen und Kontext“ und die Nutzung „multipler Quellen“.
Eisenhardt (1989, S.532) charakterisiert Fallstudien als eine induktive, iterative, datenorientierte, bottom-up Vorgehensweise. Anwendbar ist die Methode besonders in
neuen Themenbereichen oder um bestehende Themenbereiche aufzufrischen. Im Gegensatz zu quantitativen, fragebogenbasierten Studien, die Forschungsfragen vom Typ
wer, was, wo bzw. wie viel beantworten, richtet sich die Fallstudie primär an Fragestellungen vom Typ wie bzw. warum.
Die Fallstudie hat aufgrund ihrer Stärken gerade in der anwendungsorientierten betriebswirtschaftlichen Forschung eine hohe Bedeutung. Es handelt sich um eine ganzheitliche Methode, die unterschiedlichste Quellen und damit Perspektiven integriert
und dadurch mit höherer Wahrscheinlichkeit in neuer Theorie mündet. Aus Beobachtungen werden Konstrukte und daraus wiederum Theorien entwickelt. Die so gewonnenen Theorien sind aufgrund der empirischen Entwicklungsrichtung testbar. Die besonders enge – meistens personelle – Interaktion mit der Praxis bringt besonders realitätsnahe Ergebnisse hervor (Eisenhardt 1989, S.547). Eisenhardt gibt jedoch auch
Schwächen der Methode zu bedenken. Erkenntnisse aus wenigen Tiefenfallstudien
sind für den Forscher schwer zu generalisieren. Da der Forscher mit den Inter-
Einleitung
29
viewpartnern in Gesprächen interagiert, sind die Datenquellen im Vergleich zu Befragungen weniger strukturiert. Der Forscher ist zu nah am Betrachtungsobjekt, um generische Aussagen treffen zu können. Es resultieren tendenziell komplexere Theorien als
bei einer strukturierten Befragung. In Kapitel 4.1 wird dargestellt, wie die Fallstudienmethode in dieser Arbeit verwendet wird.
Forschungsprozess
Der in dieser Arbeit verfolgte Forschungsprozess (vgl. Abbildung 4) ist hochgradig
iterativ. Im Laufe des Forschungsprozesses wurden immer wieder bei Bedarf neue
Aspekte – Modellkonstrukte, Literaturquellen, Unternehmen und Interviewpartner einbezogen, sobald sie sich als relevant herausstellten. Dies ist konsistent mit dem von
Eisenhardt skizzierten explorativen Forschungsprozess (1989, S.533).
Phase
Aktivitäten
Ergebnisse
Problemerfassung
Kongressbesuche
Arbeitskreis
Forschungsfragen
Forschungsmethodik
Theorieauswahl
Literaturstudium
„Desk Research“
Aktueller Stand der Wissenschaft
Fragebogendesign
Interviews
Transskription
Empirische Rohdaten
Interviewanalyse
Kodierung
Modellbildung
Kontingenzmodell (Beschreibungs- und
Erklärungsmodell)
Fallstudientexte
Fallstudienvergleich
Fallstudien
Erfolgsfaktoren
Modellverfeinerung
Literaturstudium
Modellbildung
Gestaltungsmodell
Handlungsempfehlungen
Empirie
Modellbildung
Fallstudien
Ergebnissynthese
Abbildung 4: Iterativer Forschungsprozess
In der Phase der Problemerfassung wurden mit Hilfe von Kongressbesuchen und Expertengesprächen im Rahmen von Arbeitskreisen die aktuellen Herausforderungen in
der Kontraktlogistik gesammelt. Dies mündete schliesslich in einer Auswahl von Forschungsfragen und einer geeigneten Forschungsmethodik.
In der zweiten Phase wurden die problemrelevanten Theorien (Relational View, Leistungssysteme, etc.) gefunden. Im Rahmen eines umfassenden Literaturstudiums wurde der aktuelle Stand der Theorie rund um logistische Mehrwertleistungen aufgearbeitet und ein erster Bezugsrahmen für die Fragebögen erzeugt. Dies hatte den Vorteil,
dass die Interviews strukturierter waren und damit die Vergleichbarkeit zwischen den
Gesprächen stieg.
30
Einleitung
Die Rohdaten wurden in der Phase Empirie durch zahlreiche Interviews erhoben. Vorher wurde das Fragebogendesign mit dem Forschungsziel abgestimmt. Die Gespräche
wurden für eine spätere Textanalyse vollständig transskribiert. Als der Wissenszugewinn nach 36 Interviews marginal wurde, konnte man von einer theoretischen Sättigung ausgehen und die Empiriephase beenden (Senger und Österle 2004, S.17). Gemäss Eisenhardt (1989, S.533) wurden Datensammlung im Feld und Datenanalyse
nicht streng sequentiell, sondern häufig parallel durchgeführt, so dass eine schnelle
Rückkopplung gewährleistet wurde.
In der Phase Modellbildung wurde ein Kontingenzmodell durch Interviewanalyse bottom-up generiert. Für die Interviewanalyse wurde die Software Atlas ti (Muhr 1997)
eingesetzt. Jedes Mal, wenn während der Interviewanalyse ein zusätzliches relevantes
Konstrukt auffiel, wurde es als Objekt in der Atlas Textdatenbank kreiert und in eine
Hierarchie von Konstrukten (Code-Hierarchie) eingefügt. Jeder Textstelle, die dieses
Konstrukt näher beschreibt, wurde dieser Code zugeordnet. Dieses Vorgehen ermöglicht bspw., mit einer Abfrage in der Textdatenbank über alle Interviewtransskripte
hinweg die Textstellen, die mit „Postponement“ kodiert wurden, anzuzeigen. Damit
können die Einflussfaktoren und Wirkungen von Postponement identifiziert werden.
Die aussagekräftigsten Unternehmensbeispiele wurden ausgewählt und in Form von
Fallstudien aufgearbeitet (vgl. Kapitel 4.1). Dabei konnten basierend auf den Erfahrungen der Gesprächspartner aus den zugrundeliegenden Projekten Erfolgsfaktoren für
die Vergabe von Mehrwertleistungen gefunden werden. Ausserdem wurden die Fallstudien anhand des Kontingenzmodells miteinander verglichen, um Muster zu entdekken.
Abschliessend erfolgte in der Phase Ergebnissynthese eine Zusammenführung der
Zwischenergebnisse und der Literatur zu einem Gestaltungsmodell für die Entwicklung von Mehrwertleistungen und zu Handlungsempfehlungen.
Grundlagen
31
2 Grundlagen
2.1 Grundlegende Begriffe
In den folgenden Abschnitten werden die grundlegenden Begriffe dieser Arbeit erklärt
und eingeordnet. Um das Verständnis für logistische Mehrwertleistungen zu erleichtern, werden zuerst die Begriffe Logistik, Mehrwert und Synergie dargestellt. Abschliessend wird die Kontraktlogistik definiert und von den anderen Logistiksegmenten abgegrenzt.
2.1.1 Logistik
Die Logistik organisiert neben der effizienten und termingerechten Bereitstellung von
Materialien und Produkten auch Zusatzleistungen, mit denen sich Unternehmen im
Wettbewerb differenzieren können. Eine effiziente Belieferung wird mit minimalem
Anlage- und Umlaufvermögen durchgeführt und trägt nachweislich zum Finanzergebnis bei (Wildemann 2001, S.1ff). Das Leistungsspektrum der Logistik reicht von Prozesssteuerung in der Beschaffungs-, Produktions-, Distributions- und After-SalesLogistik bis hin zur globalen Netzwerksteuerung.
Zentraler Bezugspunkt der logistischen Aktivitäten ist der Kundenwunsch, nach dem
sich im Idealfall die gesamte Wertschöpfungskette bis hin zu den Vorlieferanten ausrichtet. Ausgehend vom Kundenwunsch plant die Logistik Material- und Informationsflüsse, führt diese aus, steuert und kontrolliert sie. Indirekt beeinflusst sie auch ausgewählte Finanz- und Rechteflüsse. Logistik integriert nicht nur Prozesse und Wertschöpfungsketten, sondern auch Wissensgebiete. Nur mit einer interdisziplinären
Denkhaltung, die Erkenntnisse aus BWL, Ingenieurwissenschaften, Informatik und
Mathematik kombiniert, können die komplexen Aufgabenstellungen der Logistik bewältigt werden (Straube 2004, S.27ff).
In der Literatur werden drei logistische Denkhaltungen - Systemdenken, Flussdenken
und Querschnittsdenken – unterschieden (Alt 1997, Straube 2004, S.29f) (Alt 1997,
S.14). Systemdenken strebt statt der Optimierung von Teilbereichen die Optimierung
des Gesamtsystems an. Subsysteme werden unter Berücksichtigung von Leistungsund Kostenzielen miteinander koordiniert. Das Flussdenken beabsichtigt, kontinuierliche Materialflüsse in Logistiksystemen zwischen Quelle und Senke zu implementieren. Bestände sollen vermieden werden, sofern dies wirtschaftlicher ist. Hinter Quer-
32
Grundlagen
schnittsdenken steht die Erkenntnis, dass Logistikentscheidungen häufig funktionsübergreifend getroffen werden müssen, weil die Ziele in Bereichen wie Beschaffung,
Produktion und Distribution häufig gegenläufig sind. Daher müssen die vorliegenden
Alternativen bzgl. ihrer Gesamtkostenkonsequenzen verglichen werden. Voraussetzung dafür ist, dass die relevanten Kosten und Leistungen vollständig erfassbar sind.
Im Laufe der Zeit wurden zahlreiche Logistikdefinitionen vorgeschlagen. In dieser
Arbeit wird der Definition der Bundesvereinigung Logistik gefolgt, da sie mit Ziel und
Inhalt der Arbeit kompatibel ist und besonders klar das Logistikverständnis der befragten Unternehmen widerspiegelt.
„Logistik umfasst die ganzheitliche Koordination und Durchführung aller Informations- und Güterflüsse von Unternehmen und Wertschöpfungsketten mit maßgeblichem Einfluss auf den Unternehmenserfolg.“ (Bundesvereinigung Logistik
2005)
Die Unternehmenslogistik – und damit ihr Aufgaben- und Kompetenzspektrum – hat
sich in den vergangen 50 Jahren kontinuierlich weiterentwickelt. Die Anfänge einer
theoretischen Logistikdisziplin liegen in den 50er Jahren (Morgenstern 1956). In den
70er-Jahren verfolgten Unternehmen überwiegend das Ziel, einzelne Funktionen zu
optimieren. In der Logistik wurden physische Abläufe bspw. durch Automatisierung
verbessert. In den 80er-Jahren hatte sich in vielen Unternehmen die Einsicht durchgesetzt, dass man mit einer Logistik als Querschnittsfunktion unterschiedliche Bereiche
verbinden und damit eine stärkere Flussorientierung durchsetzen kann. Es wurde erkannt, dass Logistik einen wichtigen Beitrag zur Koordination der Funktionsinterdependenzen leisten kann. Erste Unternehmen verstanden auch, dass Logistik nicht nur
Kosten senkt, sondern auch im Wettbewerb differenzierend wirkt. In den 90er-Jahren
setzte sich mit einem Denken in Prozessen bzw. Prozessketten allmählich eine Flussorientierung durch. In einem durch wachsende Produkt- und Prozesskomplexität gekennzeichneten Marktumfeld nahm die Logistik immer stärker eine Dienstleistungsund Führungsfunktion ein (Straube 2004, S.28f). Um die Jahrtausendwende sind vor
dem Hintergrund von verstärkter Globalisierung und von Outsourcing unternehmensübergreifende Kostensenkungspotenziale in den Vordergrund gerückt. Logistik agiert
seitdem stärker als vorher in Netzwerken. Dabei nutzt sie die Potenziale von IT und
Supply Chain Management (SCM) aus, um externe Partner – Kunden und Lieferanten
– für eine bessere Steuerung zu integrieren.
Grundlagen
33
Uneinheitliche Begriffsverwendungen machen eine Abgrenzung von Logistik und
SCM erforderlich. Die angelsächsische Literatur hat beide Begriffe oft entweder
gleichgesetzt oder Logistik auf physische Aufgaben rund um Transport und Lagerhaltung reduziert. In Kontinentaleuropa wurde dagegen unter dem Begriff Logistik immer
schon die ganzheitliche kundenorientierte Planung und Steuerung logistischer Prozessketten sowie Netzwerke verstanden (Straube 2004, S.39). In dieser Arbeit wird
dem SCM-Verständnis von Pfohl (2000, S.1ff) gefolgt, der SCM als ein restriktionsbasiertes Regelwerk zur Steuerung logistischer Ketten betrachtet. Für SCM müssen
demnach umfangreiche Voraussetzungen geschaffen werden, indem Restriktionen abgebildet und IT-Systeme integriert werden. Das Kernziel von SCM liegt darin, unternehmensübergreifende Koordinationsinstrumente, mit denen der sogenannte BullwhipEffekt wirksam bekämpft werden kann, bereitzustellen. Bei diesem Effekt schaukeln
sich Bestellmengen durch mangelnde Transparenz über die Wertschöpfungsstufen auf
und verlieren den Bezug zum echten Kundenbedarf (Forrester 1958). Straube (2004,
S.41) sieht den zentralen Beitrag von SCM für die Logistik darin, Unternehmen zu
einer engpassorientierten Lieferterminzusage3 zu befähigen. Im Idealfall kommt dieser
Informationsleistung eine zentrale koordinierende Funktion in der Auftragsabwicklung
zu.
2.1.2 Mehrwert
Mehrwert4 repräsentiert die Wertdifferenz zwischen zwei Stufen im Wertschöpfungsprozess. Um den Begriff Mehrwert zu erklären, muss zuerst eine Definition für den
Begriff Wert gefunden werden. Ähnlich wie andere fundamentale betriebswirtschaftliche Begriffe wird Wert häufig uneinheitlich definiert. Eine wichtige Begriffseingrenzung findet sich bei Porter:
„...value is the amount buyers are willing to pay for what a firm provides them.
Value is measured by total revenue, a reflection of the price a firm’s product
commands and the units it can sell. A firm is profitable if the value it commands
exceeds the costs involved in creating the product. Creating value for buyers that
exceeds the cost of doing so is the goal of any generic strategy. Value, instead of
cost, must be used in analyzing competitive position since firms often deliber-
3
4
Available-to-Promise (ATP)
Synonyme: Wertbeitrag, Wertschaffung, Wertschöpfung
34
Grundlagen
ately raise their cost in order to command a premium price via differentiation”
(Porter 1998, S.38).
Rutner und Langley (2000, S.75) präsentieren zwei alternative Definitionen. Wert wird
erklärt als „quality of a thing, which determines its desireability, usefulness and importance“ und als „a fair price“. Der Wert eines Angebots für einen Kunden ergibt sich
folglich aus dem von ihm wahrgenommenen Nutzen im Vergleich zu Konkurrenzangeboten. Entsprechendes gilt für logistische Leistungen (Straube und Frohn 2006).
Manager stehen heute stärker denn je unter dem Druck, den konkreten Wertbeitrag
von organisatorischen Einheiten, Initiativen und Leistungen darzustellen und zu vertreten. Diese Entwicklung hängt mit dem seit den 80er-Jahren aufkommenden Shareholder-Value-Ansatz zusammen, der immer wieder für Diskussionen gesorgt hat. Rechnerisch kann der Shareholder Value als Differenz aus Unternehmenswert und
Fremdkapital ermittelt werden (Rappaport 1995, S.54). Hinter dieser vergleichsweise
einfachen Formel verbirgt sich eine Philosophie, die am besten durch das ShareholderValue-Netzwerk beschrieben wird (S.79) (vgl. Kapitel 2.2.1.2). Eine Vielzahl von
Unternehmen bekennt sich laut Rappaport (1995, S.3) aus folgenden Gründen zum
Shareholder-Value-Ansatz. Unternehmen fürchten, dass sie aufgrund von Unterbewertung zu Übernahmekandidaten werden, dass die Vergütungssysteme für
Manager nicht ausreichend mit den Unternehmenszielen wie bspw.
Kurswertsteigerung verknüpft sind und dass herkömmliche Bewertungsindikatoren
wie Return on Investment oder Gewinn pro Aktie keine starke Korrelation mit der
Kurswertsteigerung aufweisen.
Laut Bühner (1990, S.16ff) haben gewinnbasierte Bewertungskennzahlen im Vergleich zu cash-flow-basierten Kennzahlen zahlreiche Nachteile. Zum einen hängt der
Gewinn davon ab, ob und in welcher Form bilanzielle Wahlrechte wahrgenommen
werden. Bei wachsenden Unternehmen werden in Erwartung zukünftiger Umsätze Investitionen in Kapazitäten und Material getätigt. Daher weichen Gewinn und Cash
Flow erheblich voneinander ab. Ausserdem kann in cash-flow-basierten Kennzahlen
das Risiko und die Zeitpräferenz von Rückflüssen berücksichtigt werden. Aus diesen
Gründen haben Kennzahlen wie der Economic Value Added (EVA) in den letzten Jahren steigende Bedeutung in Unternehmen für die Ermittlung von Mehrwert erlangt.
Das EVA-Konzept ist skalierbar und kann neben der Unternehmensebene auch zur
Bewertung einzelner Projekte oder Leistungsumfänge angewendet werden. Das Bera-
Grundlagen
35
tungsunternehmen Stern Stewart hat sich das Konzept schützen lassen und definiert es
wie folgt:
EVA = Net Operating Profit After Taxes – (Capital x Cost of Capital)
„Put most simply, EVA is net operating profit minus an appropriate charge for
the opportunity cost of all capital invested in an enterprise. As such, EVA is an
estimate of true "economic" profit, or the amount by which earnings exceed or
fall short of the required minimum rate of return that shareholders and lenders
could get by investing in other securities of comparable risk.“ (Stern Stewart &
Co. 2005)
2.1.3 Synergie
Die Schaffung von Synergien durch Logistikdienstleister ist eine wichtige Quelle von
Mehrwert und damit Treiber für die Fremdvergabe von Logistikaufgaben. Auf allen
Strategieebenen eines Unternehmens nimmt die Schaffung von Synergien eine zentrale
Bedeutung ein. Auf der Ebene der Unternehmensstrategie beschäftigt man sich beispielsweise im Rahmen von Post-Merger-Integration mit Synergien, auf der Ebene der
Geschäftsstrategie spielen Synergien eine wichtige Rolle in der Formulierung von
Wettbewerbsstrategien und auf der Ebene von Funktionalstrategien ist die Leistungstiefengestaltung eng mit den erzielbaren Synergien verbunden.
Autor
Jahr
Definition
Typen
Ansoff
1987
(Synergy) is concerned with the desired
characteristics of fit between the firm and
its new product-market entries. (...) firm
seeks a product-market posture with a
combined performance that is greater than
the sum of ist parts.
Sales Synergy
Operating Synergy
Investment Synergy
Management Synergy
Goold und Campbell
1998
Synergy refers to the ability of two or more
units or companies to generate greater
value working together than they could
working apart.
Shared Know-How
Coordinated Strategies
Shared Tangible Resources
Vertical Integration
Pooled Negotiation Power
Combined Business Creation
Tabelle 2: Synergiebegriffe und -typen
Quellen: (Ansoff 1987) und (Goold und Campbell 1998)
36
Grundlagen
Das Wort Synergie leitet sich laut Goold und Campbell (1998, S.133) aus dem griechischen Synergos (zusammen arbeiten) ab. Tabelle 2 gibt einen Überblick über geläufige
Definitionen und Typologien.
Der Synergiebegriff von Goold und Campbell (1998, S.133) ist sehr breit angelegt und
umfasst die Produktions- und Vertriebssicht genauso wie die materiellen und immateriellen Synergiepotenziale. Unter Wissensteilung verstehen sie, dass personengebundenes Wissen oder explizites Wissen aus Dokumenten bspw. für die Erschliessung von
Märkten oder die Verbesserung von Prozessen genutzt werden. Koordinierte Strategien können zu Synergien führen, wenn man bspw. die Distribution von zwei Geschäftsbereichen zusammenlegt und dann fremd vergibt. Die Teilung von materiellen Ressourcen vermeidet, dass Unternehmen redundante Kapazitäten vorhalten und diese
u.U. nur schlecht auslasten können. Die verbesserte Koordination von sequenziellen
Wertschöpfungsaktivitäten nennen die Autoren vertikale Integration. Dadurch können
Wartezeiten vermieden und Zeit- sowie Kostenvorteile erzielt werden. Die Bündelung
von Einkaufsvolumina führt zu einer besseren Verhandlungsmacht gegenüber Lieferanten. I.d.R. ist es dadurch möglich, bessere Einstandspreise und Qualitäten durchzusetzen. Vor dem Hintergrund des Wachstumsdrucks in den Unternehmen betonen die
Autoren die Möglichkeit, unternehmensinterne Allianzen zu bilden, um unterschiedliche Wissensquellen und damit zusätzliche Umsatzpotenziale auszuschöpfen.
Wesentliche Potenziale des Logistik-Outsourcing lassen sich damit erklären, dass materielle und immaterielle Ressourcen mit anderen Nutzern geteilt werden und dadurch
Skalen- sowie Verbundeffekte erzeugt werden. Skaleneffekte (Economies of Scale)
werden von Bohr (1996, S.375ff) folgendermassen definiert:
„Von Economies of Scale oder (...) Betriebsgrössenersparnissen spricht man,
wenn der Zusammenhang zwischen zunehmender geplanter Betriebsgrösse (Kapazität), gemessen in der möglichen Ausbringung eines Produkts bzw. einer Produktpalette pro Zeiteinheit, und den zu erwartenden gesamten Herstellstückkosten durch abnehmende Herstellstückkosten gekennzeichnet ist.“
Im Gegensatz zu Skaleneffekten beziehen sich Verbundeffekte (Economies of Scope)
explizit auf die Produktion verschiedener Leistungen. Es erfolgt eine Diversifikation in
eine zusätzlich erbrachte Leistung, die eine vertikale oder horizontale Nähe im Wertschöpfungsprozess zu der ursprünglich erbrachten Leistung aufweist, so dass eine
Grundlagen
37
„gemeinsame, jedoch nicht konkurrierende Nutzung von Produktionsfaktoren“ erfolgt.
Bohr grenzt den Begriff Verbundeffekt wie folgt ein:
„Economies of Scope sind dann gegeben, wenn die Kosten K(x1,x2) der Produktion zweier Produkte x1 und x2 in einer Unternehmung geringer sind als die
Summe der Kosten K1(x1) und K2(x2) bei getrennter Produktion in den beiden
verschiedenen Unternehmen 1 und 2.“
2.1.4 Logistische Mehrwertleistungen
Als Reaktion auf veränderte Bedürfnisse von Mandanten und neue technische Möglichkeiten haben LDL in den letzten Jahren ihr Leistungsspektrum ausgebaut. In fast
allen Branchen ist in diesem Zeitraum die Globalisierung stark fortgeschritten. Die
Mandanten mussten sich Gedanken machen, welche Rolle die interne Logistikfunktion
in dem veränderten Wettbewerbsumfeld spielen soll. Parallel dazu kamen Diskussionen über den Shareholder Value und die Kernkompetenzen eines Unternehmens auf.
Infolgedessen wurde vielerorts abgewogen, welche logistischen Aufgaben man selber
erbringt und welche fremd bezogen werden. Daraus ergaben sich völlig neue Beschaffungsumfänge wie bspw. Vormontagen in der Autoindustrie. Es hat sich zusätzlich zu
den Basisleistungen rund um Transport und Lagerhaltung eine Nachfrage nach komplexen Logistikdienstleistungen entwickelt (Langley et al. 2004).
Bretzke (1999, S.221) weist jedoch darauf hin, dass man nicht nur auf die Wachstumsraten dieser Leistungen schauen sollte, sondern auch die aktuell teilweise noch relativ
geringe Bedeutung im Auge behalten muss. LDL haben hohe Erwartungen in die Entwicklung von logistischen Mehrwertleistungen. Sie sollen neue Geschäftsfelder bspw.
durch Lösungen für die Automobil-, Elektronik- und Textilbranche eröffnen und damit
im Vergleich zu klassischen Leistungen rund um Transport, Umschlag und Lagerhaltung (TUL5) höhere Margen und eine verbesserte Kundenbindung aufweisen. Bevor
die diskutierten Potenziale ausgeschöpft werden können, sind umfangreiche Investitionen in Informationstechnologie und – weil diese Leistungen häufig komplexer und
wissensintensiver als herkömmliche Umfänge sind – auch in den Aufbau von Humankapital zu leisten (Chapman et al. 2002, S.361).
5
Synonym: Basisleistungen
38
Grundlagen
Obwohl die Begriffe Logistikdienstleistung und Mehrwertleistung (MWL)6 häufig
verwendet werden, ist es schwer, einheitliche und aussagekräftige Definitionen dafür
zu finden und sie dadurch abzugrenzen. Bretzke (1999, S.220) bietet eine pragmatische Begriffsklärung für Logistikdienstleistungen. Danach fallen darunter alle Dienstleistungen, die von Logistikdienstleistern erbracht werden. Eine Schwäche dieses Verständnisses ist, dass Materialflussleistungen, die von LDL erbracht werden, häufig gar
nicht logistischer Natur sind, sondern eher der Produktion zuzuordnen sind. Daher regt
Bretzke an, die Definition von Logistikdienstleistungen eng mit dem Logistikbegriff
zu verknüpfen. Er betont, dass Zusatzleistungen mit den Basisleistungen verwoben
sind und meistens gemeinsam erbracht werden. Er ordnet die Basisleistungen als Kernleistungen ein, die durch geeignete Zusatzleistungen „angereichert“ werden und als
integriertes System dem Kunden angeboten werden. Diese Vorgehensweise kann theoretisch bis hin zu One-Stop-Shopping (OSS) in der Logistik gehen. Bei diesem Konzept würde ein Mandant nahezu alle logistischen Beschaffungsumfänge (in einer Region) von einem präferierten Logistikdienstleister beziehen. Eine der wenigen Definitionen zu logistischen Mehrwertleistungen findet sich bei Klaus und Krieger (2004).
„Value-Added-Service bezeichnet die zunehmend wichtiger werdenden Zusatzdienstleistungen, die gekoppelt mit den elementaren Logistikdienstleistungen angeboten werden.“
Diese Erklärung bedarf diversen Ergänzungen, weil sie weder die Leistungen genauer
spezifiziert noch Hebel für die Erzeugung von Mehrwert aufzeigt. Daher wurde eine
eigene Definition entwickelt, die in dieser Arbeit verwendet wird7.
„Logistische Mehrwertleistungen sind über Basisleistungen in den Bereichen Transport, Umschlag und Lagerhaltung hinausgehende auf Mandanten oder Segmente zugeschnittene logistische Aufgaben, deren externe Erbringung durch spezialisierte Dienstleister eine Netto-Wertsteigerung im Vergleich zur internen Erbringung durch den
Mandanten schafft.
6
Englisch: Value-Added Service (VAS)
In dieser Arbeit wird Logistikleistung als Oberbegriff verstanden, der in die Begriffe Basisleistung (TUL),
Mehrwertleistung und sonstige Logistikleistung untergliedert werden kann. Mehrwertleistungen zeichnen sich
durch die Merkmale Wertbeitrag und Spezifität aus. Daraus lassen sich – wie im Laufe der Arbeit gezeigt wird –
auch die Kundenbindung und Differenzierung als definitorische Merkmale ableiten. Leistungen, die weder den
Basis- noch den Mehrwertleistungen zuzuordnen sind, kann man folglich als sonstige Logistikleistungen klassifizieren.
7
Grundlagen
39
Durch eine zweckmässige Zuordnung von Design-, Planungs-, Monitoring- und Fulfillmentaufgaben im Logistiknetzwerk können Material-, Informations-, Finanz- und
Rechteflüsse verbessert werden.“
Die Definition nutzt die Flussdimension und die Führungsdimensionen, um die zahlreichen logistischen Mehrwertleistungen zu ordnen (Straube und Frohn 2004, S.43). In
Kapitel 3.2.1 wird eine Typologie von Mehrwertleistungen entwickelt, die auf der vorliegenden Definition basiert. Anschliessend werden für die einzelnen Bereiche der Typologie detaillierte Beispiele dargestellt.
Autor(en)
Publikationsjahr
Land
Branche
Langley / Allen / Colombo
2003
North America
diverse
Rechtefluss
Knemeyer / Corsi / Murphy
2003
USA
Manufacturers of Food, Industrial
Equipment, Wholesalers, others
Baumgarten / Thoms
2002
Deutschland
u.a. Automobilindustrie
Carrier Negotiation and Contracting
(30)
Freight Bill Payment (26)
Customs Brokering (16)
van Laarhoven / Berglund /
Peters
2000
Nordeuropa
diverse
Invoicing (15)
Finanzfluss
Customs Brokerage (66)
Customs Clearance (62)
Freight Bill Auditing / Payment (54)
Rate Negotiation (19)
Inventory Ownership (6)
Factoring (Trade Financing) (2)
Informationsfluss - Design
Consulting Services (29)
Carrier Selection (24)
Procurement of Logistics (23)
Information Technology (16)
4PL-Services (7)
EDI Capability (14)
Logistik-Softwareentw. (31)
SCM-Softwareentw. (38)
IS Implementierung (19)
IT Integration (13)
Informationsfluss - Planung
Inventory Mgt (19)
Fleet Mgt (12)
Transportation Planning (26)
Route and Network Optimization (24)
Inventory Management (15)
Transportplanung (25)
Tourenplanung (31)
Logistikplanung (6)
Bestandsmanagement (25)
Informationsfluss - Monitoring
Forecasting (2)
Tracking & Tracing (65)
Informationsfluss - Fulfillment
Order Fulfillment (23)
Order Entry / Processing (10)
Customer Service (9)
Freight Brokering (19)
Order Fulfillment (17)
Inventory Admin (65)
Order Entry (10)
Materialfluss - Transport
Outbound Transp. (71)
Inbound Transp. (62)
Freight Forwarding (57)
Outbound Traffic Control (47)
Inbound Traffic Control (38)
Freight Forwarding (23)
Transporte (78)
Line Haul (ca. 80%)
Network based Transport (70)
Emergency Transport (70)
Materialfluss - Stationär
Warehousing (73)
Cross-Docking (37)
Shipment Consolid. (37)
Reverse Logistics (28)
Selected Manuf. Act. (23)
Product Marking / Labeling (20)
Assembly / Installation (9)
Freight Consolidation (27)
Product Returns (18)
Cross Docking (15)
Pick and Pack (12)
Kommissionierung (38)
Lagerhaltung (44)
Verpackungsentsorg. (44)
Verpackung (31)
Etikettierung (19)
Behältersteuerung (19)
Produktrückführung (25)
Produktionssynchr.
Materialzuführung (19)
Merge-in-transit (35)
Storage (85)
Order Picking (80)
Assembly (20)
Customization (25)
Labelling (50)
Tabelle 3: Fremdvergabe von Logistikleistungen
Quellen: (Langley et al. 2003), (Knemeyer et al. 2003), (Baumgarten und Thoms 2002) und (van
Laarhoven et al. 2000)
Mehrere Studien haben in den letzten Jahren meist quantitativ die Bedeutung von Logistikleistungen abgeschätzt. Tabelle 3 gibt eine Übersicht über diese Studien, die auf
unterschiedliche Branchen in Europa und Nordamerika Bezug nehmen. Die Leistungen der Studien wurden entsprechend der obigen Definition bestimmten Bereichen
(bspw. Informationsfluss - Planung) zugeordnet, weil die Studien keine Leistungstypo-
40
Grundlagen
logie verwenden. Ausserdem lassen sich dadurch leichter Ähnlichkeiten und Unterschiede aufdecken.
Die Studien weisen – teilweise durch ihr Alter bedingt – Lücken in den Leistungslisten
auf. Bspw. ist der Bereich Monitoring kaum ausgefüllt. Es fehlen u.a. RFID8, Supply
Chain Event Management und Reporting. Bei einigen Leistungen wird über eine ähnlich hohe Nachfrage berichtet, wohingegen bei anderen grosse Differenzen auftreten.
Die Studien schätzen die Bedeutung von Auftragserfassung, Order Fulfillment und
Bestandsmanagement ähnlich ein. Unterschiedlich ist die Einschätzung jedoch beim
Customs Brokerage mit 16% versus 66% der Befragten in Nordamerika. Die Unterschiede lassen sich evtl. auf Branche, Land und Unternehmensgrösse der Befragten
zurückführen. Im Gegensatz zu den europäischen Studien haben die amerikanischen
umfassend den Status Quo bzgl. Leistungen des Finanz- und Rechteflusses erfragt.
U.a. wird dort die Verzollung und die Bezahlung von Frachtrechnungen relativ häufig
nachgefragt. Insgesamt lassen sich Leistungen mit hoher, mittlerer und niedriger gegenwärtiger Nachfrage unterscheiden. Wenn man bspw. die Intervalle bei 20% und
40% zieht, dann kann man eine hohe Nachfrage nach Verzollung und Labeling, eine
mittlere Nachfrage nach Cross-Docking und Customization sowie eine niedrige Nachfrage nach Auftragserfassung und Prognose konstatieren.
2.1.5 Kontraktlogistik
Parallel zu der Entwicklung neuer Mehrwertleistungen ergeben sich auch innovative
Rollen und Segmente von Logistikdienstleistern in Netzwerken. Beispiele für Segmentierungen der Logistikbranche sind u.a. bei Zadek und Klaus zu finden. Zadek (2001,
S.29) verwendet als Ordnungsdimensionen die Bedeutung von Mehrwertdiensten (gering versus hoch) und die Erbringung operativer Logistik-Dienstleistungen (Eigenerbringung versus Fremdvergabe). Einzeldienstleister (Standard- und Spezialdienstleister) haben auf beiden Achsen eine geringe Ausprägung, Verbunddienstleister (KEPDienstleister und Integratoren) haben auf beiden Achsen eine mittlere Ausprägung und
System-Dienstleister (Third- und Fourth-Party-Logistics Provider) zeichnen sich durch
eine hohe Bedeutung von Mehrwertdiensten und ebenfalls eine hohe Bedeutung der
Unterbeauftragung operativer Leistungen aus. Der von Zadek verwendete Begriff Systemdienstleister ist gleichbedeutend mit dem Begriff Kontraktlogistik, welcher von
Klaus wie folgt definiert wird:
8
Radio Frequency Identification
Grundlagen
41
„(...) Geschäfte (...), bei denen in einer engen, individuell zwischen Dienstleister
und Verlader gestalteten Beziehung mehrere logistische Funktionen integriert
sind, diese Beziehung längerfristig vertraglich abgesichert ist und das Geschäftsvolumen einen erheblichen Mindest-Jahresumsatz überschreitet.“ (Klaus 2003,
S.106f)
Innerhalb der Kontraktlogistik sehen viele Autoren drei Entwicklungsstufen: Third
Party Logistics Provider (3PL) als Ausgangsstufe, Fourth Party Logistics Provider
(4PL) als höchste Entwicklungstufe und Lead Logistics Provider (LLP) als Zwischenstufe. Lange Zeit haben optimistische Marktteilnehmer den 4PL als Lösungsansatz für
die Integration und Steuerung gesamter Wertschöpfungsketten gesehen (Delfmann und
Nikolova 2002). Baumgarten (2002, S.36) weist jedoch darauf hin, dass das Konzept
so enorme Anforderungen an potenzielle Anbieter stellt, dass bisher in Europa kein
„vollwertiger“ 4PL existiert. Daher werden Logistikdienstleister auf dem Weg zum
4PL wohl zuerst Teile der Wertschöpfungskette integrieren (Delfmann und Nikolova
2002, S.423).
Das 4PL-Konzept wurde Mitte der 90er Jahre von Andersen Consulting entwickelt
und folgendermassen beschrieben:
"Ein 4PL-Provider ist ein Supply Chain Manager, der die Ressourcen, Kapazitäten und Technologien seiner eigenen Organisation mit anderen Dienstleistungsorganisationen zusammenführt, um dem Endkunden eine vollständige Supply
Chain-Lösung anzubieten." (Bauknight 2000, S.35)
Baumgarten entwickelt die Definition weiter und geht insbesondere auf die Steuerungs- und Gestaltungsaufgaben sowie die Wissensintensität der Leistungen ein.
„Der 4PL Provider übernimmt als Netzwerkintegrator die übergreifende Steuerung der im Netzwerk verteilten technologischen und personellen Ressourcen. Er
bildet unter Einbeziehung der Ressourcen, Technologien und des Know-hows
anderer, komplementärer Dienstleister, wie 3PL oder IT-Solution-Provider, das
Business Process Management ab und entwickelt Gesamtlösungen für das Management komplexer Netzwerke.“ (Baumgarten 2001, S.36)
42
Grundlagen
Das Konzept des 4PL sieht vor, dass sich der Anbieter in der Dienstleisterpyramide
zwischen dem Mandant und den ausführenden Dienstleistern (bspw. 3PL, IT-Provider)
positioniert. Es stellt sich die Frage, ob eine Zwischenstufe nur weitere Komplexität
schafft oder ob der 4PL für den Mandanten einen Mehrwert erzeugt. Der könnte neben
den Verbundeffekten vor allem im Zugang zu hochaktuellem Logistik- und Technologiewissen liegen. Um erfolgreich zu sein, müssen sich 4PL daher stets den Zugang zu
den relevanten Wissensquellen sichern. Darüber hinaus müssen sie in der Lage sein, in
der eigenen Organisation Erfolgsbeispiele zwischen Mandanten und Branchen zu
übertragen. Aufgrund ihrer Marktkenntnis und umfangreicher Projekterfahrung liegt
die Kernkompetenz von 4PL darin, Drittleistungen zielorientiert auszuwählen, zu implementieren und zu koordinieren sowie bei Fragestellungen rund um Logistik, IT und
Organisation beratend zu agieren (Delfmann und Nikolova 2002, S.424f).
Im Gegensatz dazu zeichnet sich der klassische 3PL nach Meinung von Delfmann und
Nikolova dadurch aus, dass sein Schwerpunkt auf der physischen Logistik liegt und
dass er keine vollständige IT-Systemlandschaft anbieten kann. Daher bietet er i.d.R.
keine Komplettlösungen an und agiert nicht als zentraler Ansprechpartner im Dienstleisternetzwerk. Ausserdem sehen die Autoren Vorteile darin, dass der 4PL keine eigenen Logistikanlagen auslasten muss, somit neutraler sein kann und darüber hinaus
durch ausgeprägte Fähigkeiten beim Beziehungsmanagement eine besonders enge Zusammenarbeit mit dem Mandanten realisieren kann. Beim LLP steht ähnlich wie beim
4PL die Konsolidierung des Dienstleisternetzwerkes durch die Etablierung eines führenden Akteurs, der die Subdienstleister koordiniert und eine einheitliche Schnittstelle
zum Mandanten aufbaut, im Vordergrund. Klaus sieht den Unterschied zum 4PL darin,
dass der LLP weniger gestaltet und berät (Klaus 2003, S.110). Insgesamt sind die Ausführungen zu den Entwicklunsstufen in der Kontraktlogistik eher konzeptionell, so
dass ihre Realisierbarkeit in der Praxis erst noch bewiesen werden muss. Bspw. wurde
in den Interviews deutlich, dass Mandanten ungern auf einen direkten Kontakt zu
wichtigen Subdienstleistern verzichten, um die Einsparungspotenziale stets beurteilen
zu können.
Grundlagen
43
2.2 Grundlegende Zusammenhänge
Bevor in Kapitel 3 die Modellbildung beginnt, werden die wesentlichen theoretischen
Bausteine rund um logistische Mehrwertleistungen identifiziert sowie ihr Erklärungsbeitrag für diese Arbeit aufgezeigt. Zuerst werden Wertschöpfungstheorien dargestellt.
Sie untersuchen, wie die Performance von Unternehmen von der Konfiguration ihrer
Wertschöpfungsketten abhängt. Danach werden Netzwerktheorien vorgestellt. Sie analysieren, wie Anbieter und Nachfrager bei der Wertschöpfung zusammenarbeiten. Die
Theorie der Leistungssysteme erklärt, wie Anbieter durch eine Integration ihrer Leistungen erfolgreich sein können. Abschliessend wird die Kontingenztheorie präsentiert. Sie postuliert, dass für jede Kombination eines Unternehmens- und eines Umfeldkontextes eine optimale Strategie existiert.
2.2.1 Wertschöpfungstheorien
In diesem Abschnitt werden zwei Beiträge zur Wertschöpfungstheorie dargestellt, die
sich mit den folgenden Fragestellungen beschäftigen: Welcher Zusammenhang besteht
zwischen der Konfiguration einer Wertschöpfungskette und den für ein Unternehmen
erzielbaren Wettbewerbsvorteilen? Wie können Wettbewerbsstrategien Werttreiber
adressieren und dadurch nachhaltige Wertsteigerungen bewirken?
2.2.1.1 Value Chain
Um nachhaltig Werte zu schaffen, müssen sich Unternehmen in ihrer Industrie durch
Wettbewerbsvorteile gegenüber der Konkurrenz positionieren. Porter (1998, S.12ff)
unterscheidet vier Wettbewerbsstrategien, die auf den Aufbau und die Festigung solcher Positionierungen abzielen: Kostenführerschaft, Differenzierung, Kostenführerschaft in der Nische und Differenzierung in der Nische. Ein Kostenführer schafft es,
ähnliche Leistungen wie der Wettbewerb aufgrund seiner einzigartigen Kostenposition, die bspw. auf Skaleneffekten oder eigenen Technologien basiert, zu niedrigeren
Preisen am Markt anzubieten. Ein Unternehmen verfolgt laut Porter eine Differenzierungsstrategie, wenn es die für den Kunden wichtigen Leistungsmerkmale auf einzigartigem Niveau erbringt und somit einen „Premiumpreis“ erlösen kann. Das Unternehmen muss sicherstellen, dass die durchsetzbare Preisdifferenz die Kosten der Differenzierung übersteigt. Die beiden Nischenstrategien sind für Marktsegmente geeignet,
in denen von den sonstigen Segmenten abweichende Kundenbedürfnisse oder Leistungsprozesse existieren. Unternehmen, die sich auf ein solches Segment fokussieren,
44
Grundlagen
können durch massgeschneiderte Angebote in der Lage sein, nachhaltige Wettbewerbsvorteile gegenüber Vollsortimentanbietern zu erzielen.
Geschäfte
Geschäfte
Unterstützungsaktivitäten
Lieferanten
Kunden
Mandant
Unternehmensinfrastruktur
Personalmanagement
Technologieentwicklung
rge
Ma
Beschaffung
EingangsLogistik
Produktion
AusgangsLogistik
Marketing
& Vertrieb
Service
Primäraktivitäten
Abbildung 5: Value Chain
Quelle: (Porter 1998, S.35 und 37)
Da die Quellen von Wettbewerbsvorteilen in einzelnen Aktivitäten entlang der Wertschöpfungskette verborgen sind, hat Porter (1998, S.36ff) die Value Chain als Analyseinstrument entwickelt. Sie hilft dabei, primäre und sekundäre Aktivitäten entlang der
firmeninternen und zwischenbetrieblichen Wertkette zu identifizieren und ihre Interdependenzen zu verdeutlichen. Da die Wertketten stark vom Produkt-Markt-Kontext
beeinflusst werden, sollte für jede Geschäftseinheit eine separate Wertkette erstellt
werden. Je nach ihrer Rolle im Transformationsprozess unterscheidet man primäre und
sekundäre Aktivitäten in der Wertkette (vgl. Abbildung 5). Die primären Aktivitäten
sorgen direkt dafür, dass eine Leistung erstellt, zum Kunden transportiert oder für ihn
nutzbar wird. Dazu gehören Eingangslogistik, Produktion, Ausgangslogistik, Marketing und Vertrieb sowie Kundendienst. Die unterstützenden Aktivitäten sorgen dafür,
dass die primären Aktivitäten plangemäss ablaufen und verbessert werden. Zu ihnen
werden Unternehmensinfrastruktur, Personalmanagement, Technologieentwicklung
Grundlagen
45
und Beschaffung gezählt. Für die Abbildung von Aktivitäten bietet sich ein Vorgehen
entlang von Material- oder Informationsflüssen an. Hinsichtlich der Detaillierung
schlägt Porter vor, dass eine Aktivität dann erfasst werden sollte, wenn sie hohes Differenzierungs- oder Kosteneinsparpotenzial birgt (1998, S.45).
Als wesentliches Ergebnis der Wertkettenanalyse stellt Porter fest, dass Unternehmen
Interdependenzen („Linkages“) zwischen Aktivitäten unterschiedlich managen und die
Reichweite („Scope“) von Wertketten unterschiedlich konfigurieren, wobei diese beiden Parameter wesentlich Quellen von Wettbewerbsvorteilen darstellen. Eine sorgfältige Lieferantenauswahl reduziert bspw. Probleme in der Produktion. Allgemein definiert Porter diese Interdependenzen als „Beziehungen zwischen der Art, wie eine Wertaktivität durchgeführt wird und den Kosten und der Leistung einer anderen“ (1998,
S.48). Aus einer Interdependenz ergibt sich die Notwendigkeit, Funktionen zu koordinieren und sie bei der Auflösung von Zielkonflikten zu unterstützen.
Die Reichweite einer Wertkette wird entlang der vier Dimensionen Segment- und Industriereichweite sowie vertikale und geographische Reichweite gestaltet und sucht
dabei die Wettbewerbsvorteile in einer breiten oder schmalen Reichweite. Der Vorteil
einer breiten Reichweite liegt darin, dass man gezielt Interdependenzen zwischen den
Aktivitäten im Sinne von Skaleneffekten ausnutzt, indem man bspw. zwei Kundenbranchen mit einem Kundendienst bearbeitet. Eine schmale Reichweite ist dann vorteilhaft, wenn sich Aktivitäten stark unterscheiden und eine massgeschneiderte Wertkette konfiguriert wird.
2.2.1.2 Shareholder-Value-Netzwerk
Das Konzept des Shareholder-Value-Netzwerk von Rappaport (1995, S.79f) strukturiert das Wertmanagement in die vier Gestaltungsebenen Unternehmensziel, Bewertungskomponenten, Werttreiber und Führungsentscheidungen. Die Zielsetzung des
Shareholder Value bzw. der Eigentümerrendite wird über die Bewertungskomponenten betrieblicher Cash Flow, Diskontsatz und Fremdkapital operationalisiert (vgl.
Abbildung 6). Der Bereich Operations kann über seine Führungsentscheidungen die
Werttreiber Umsatzwachstum, betriebliche Gewinnmarge und Gewinnsteuersatz und
damit den betrieblichen Cash Flow adressieren. Investitionsverantwortliche beeinflussen, wie Anlage- und Umlaufvermögen aufgebaut bzw. des-investiert werden. Ein dritter Werttreiber mit Wirkung auf den Cash Flow ist die Dauer der Wertsteigerung. Fi-
46
Grundlagen
nanzverantwortliche können über den Werttreiber Kapitalkosten den Diskontsatz sowie direkt die Höhe des genutzten Fremdkapitals festlegen.
Zielsetzung des
Unternehmens
Bewertungskomponenten
Werttreiber
Führungsentscheidungen
Geschaffener
Shareholder Value
Betrieblicher
Cash-Flow
Dauer der
Wertsteigerung
Eigentümerrendite
Dividenden
Kursgewinne
Diskontsatz
Umsatzwachstum
Betriebliche
Gewinnmarge
Gewinnsteuersatz
Investition
ins
Umlaufver
mögen
Investition
ins
Anlagever
mögen
Operating
Investition
Fremdkapital
Kapitalkosten
Finanzierung
Abbildung 6: Shareholder-Value-Netzwerk
Quelle: (Rappaport 1995)
Rappaport verbindet das Shareholder-Value-Netzwerk mit der Wertkette von Porter,
weil es damit „dem Management möglich [ist], die Werttreiber auf systematische Art
und Weise zu schätzen“ (1995, S.90). Durch die Kombination von Wertketten- und
Werttreiberanalyse kann die Identifikation und Realisierung von Wettbewerbsvorteilen
unterstützt werden. Die Wertkette ist eine Strukturierungshilfe, mit der man die im
Unternehmen verteilten Cash Flows einfacher lokalisieren kann. Dieses Vorgehen ermöglicht es bspw., die Geldzuflüsse und -abflüsse für die Primäraktivität Eingangslogistik zu erfassen. Zu den Geldabflüssen lassen sich die Betriebskosten für Materialtransport, Lagerhaltung, Wareneingang und Administration sowie Steigerungen beim
Umlaufvermögen bspw. im Rohmateriallager und bei den Debitoren sowie Zugänge
beim Anlagevermögen bspw. Fördertechnik und Transportflotte zählen.
Für die Realisierung der gewählten Wettbewerbsstrategie arbeitet Rappaport generische Taktiken basierend auf den Werttreibern aus, die je nach Situation konkretisiert
werden können (S.101). Anhand der Kostenführerschaft werden ausgewählte Taktiken
erläutert, die auch einen Bezug auf den Einsatz von Logistikdienstleister erkennen lassen. Unternehmen können den Werttreiber Umsatzwachstum dadurch adressieren, dass
Grundlagen
47
sie wettbewerbsgerechte Preise verlangen und damit eine Steigerung von Marktanteilen bspw. durch geographische Expansion anstreben. Skaleneffekte können theoretisch
bei allen Aktivitäten in der Wertkette erzeugt werden und ermöglichen somit die betriebliche Gewinnmarge zu verbessern. Darüber hinaus schlägt Rappaport vor, die
Marge über eine verbesserte Anbindung von Lieferanten und Kunden sowie eine Reduktion von solchen Gemeinkosten, die keinen klaren Wertbeitrag leisten, zu optimieren. Um die Investitionen in das Umlaufvermögen zu reduzieren, können Manager die
Cash-to-Cash-Cycle-Time9 verbessern und unter Berücksichtigung der zu erzielenden
Lieferbereitschaftsgrade die Bestände weiter senken. Rappaport fordert, dass Unternehmen, die eine Kostenführerschaft anstreben, die Auslastung des Anlagevermögens
optimieren, indem sie bspw. unterausgelastete Anlagen veräussern. Ein weiterer Hebel
auf das Anlagevermögen bietet der Einsatz von technischen Innovationen, die die Produktivität erhöhen. Als Beispiel ist die automatische Identifikation anstatt des manuellen Lesens von Barcodes zu nennen. Der Werttreiber Kapitalkosten kann über drei
Hebel adressiert werden. Zum einen sind dies die Kosten für Eigen- und Fremdkapital
und die Mischung beider Finanzierungsarten. Zusätzlich entscheidet das Management
von Geschäftsrisiken über die zu entrichtende Risikoprämie. Es wird deutlich, dass
zwischen den Werttreibern Zielkonflikte bestehen, denn die Automatisierung von Prozessen spart zwar Personal ein, führt aber zu hohen Investitionen ins Anlagevermögen.
Durch die Fremdvergabe von Logistikaufgaben können die Betriebskosten gesenkt
werden. Dieses Vorgehen führt jedoch u.U. zu höheren Risiken.
2.2.2 Netzwerktheorien
Nachfolgend werden zwei Beiträge zur Netzwerktheorie dargestellt. Der erste Beitrag
wird als „Transactional Value“ bezeichnet. Er beschäftigt sich mit der Frage, unter
welchen Voraussetzungen Transaktionen zwischen Unternehmen vorteilhafter als eine
Eigenerstellung sind. Anschliessend wird mit dem „Relational View“ ein Beitrag vorgestellt, der erklärt, wie durch die Ausgestaltung der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen Kooperationsgewinne erzeugt werden.
2.2.2.1 Transactional Value
Weil Zajak und Olsen (1993, S.132ff) der Meinung sind, dass die Transaktionskostenperspektive nur eingeschränkte Erklärungskraft für die gerade in der letzten Dekade
9
Durchschnittlicher Zeitraum zwischen dem Zahlungseingang vom Kunden und den für die Leistungserstellung
erforderlichen Zahlungsausgängen.
48
Grundlagen
stark aufgekommenen Unternehmenskooperationen besitzt, schlagen sie den Ansatz
des Transaktionswertes vor. Die Autoren betrachten Transaktionskosten nur als Teil
der für eine Organisationsentscheidung relevanten Kosten, die dem erzielbaren Nutzen
gegenüber gestellt werden müssten (S.133).
Die Transaktionskostentheorie, zu der Williamson (1985) wesentlich beigetragen hat,
beschäftigt sich mit der Frage, welche Institution – Firma, Markt oder relationaler Vertrag – für ökonomische Aktivitäten gewählt werden sollte (S.15f). Bei der Entscheidung über die Organisation von Aktivitäten reicht der Vergleich von Produktionskosten nicht aus. Es müssen auch die Transaktionskosten berücksichtigt werden. Diese
setzen sich u.a. zusammen aus den Kosten für die Ausarbeitung, Verhandlung und Sicherung von Abkommen sowie aus den Kosten einer fehlerhaften Umsetzung und einer Einigung bzgl. Korrekturmassnahmen (S.20ff). Für die Gestaltung ihrer Wertschöpfungstiefe müssen Unternehmen nach Auffassung von Williamson die drei interdependenten Parameter Technologie (Spezifität), Vertrag (Governance) und Preis simultan planen (S.34). Häufig gibt es mehrere akzeptable Alternativen hinsichtlich
Technologie und Spezifität. Wenn keine spezifischen Ressourcen und Technologien
erforderlich sind, kann eine Leistung i.d.R. von einem Lieferanten aufgrund von Skaleneffekten günstiger erbracht werden. Auch die Governance-Kosten sind in dieser
Situation niedriger. Für Make-or-Buy-Entscheidungen formuliert Williamson folgende
Entscheidungsheuristik (S.93f)
„Market procurement has advantages in both scale economy and governance respects where optimal asset specificity is slight. (...) Internal organization enjoys
the advantage where optimal asset specificity is substantial. (...) Only small cost
differences appear for intermediate degrees of optimal asset specificity. (...) contracts may arise to serve these.“
Zajak und Olsen identifizieren zwei zentrale Merkmale des Transaktionskostenansatzes. Das erste ist die Analyse einzelner Unternehmen, welche als Zielsetzung eine
Kostenminimierung verfolgen. Da die meisten Kooperationen jedoch freiwillig geschlossen werden, muss man davon ausgehen, dass sie auf beiden Seiten Werte schaffen. Daher sollten beide Perspektiven integriert werden (S.134). Zweitens berücksichtigt Williamson mit Ressourcenspezifität hauptsächlich strukturelle – d.h. statische –
Elemente als Determinanten der Organisationsentscheidung und vernachlässigt damit
nach Auffassung der Autoren die prozessualen Aspekte.
Grundlagen
49
An diesen beiden Punkten setzt dann auch der Transaktionswertansatz mit Veränderungen an. Er betont eine gemeinsame Wertmaximierung der Transaktionspartner und
eine prozessuale und damit evolutionäre Entwicklung in der Zusammenarbeit
(S.137ff). Entscheider müssen die Abhängigkeit des eigenen Erfolgs von den Aktionen
des Kooperationspartners verstehen. Um den durch Kooperationen erzielbaren Wertbeitrag zu erzielen und dann erfolgreich für das eigene Unternehmen abzuschöpfen,
müssen Unternehmen die gleichen und divergierenden Interessen ihrer Partner erlernen (S.138). Der Lernfokus führt zur zweiten Säule des Frameworks, der Betonung
prozessualer Aspekte. Die Autoren sehen Unternehmenskooperationen als einen dynamischen Prozess an, der immer wieder die Stufen Initialisierung, Durchführung und
Re-Konfigurierung durchläuft und dabei Lernfortschritt in der Organisation erzeugt.
Als Fazit stellen Zajak und Olsen fest, dass es für die Formierung von Kooperationen
drei interdependente Erklärungen gibt: strategische Ziele, Lernziele und Transaktionskosten. Die beiden ersten Faktoren steigern häufig neben dem Transaktionswert eben
auch die Transaktionskosten. Für den Fall, dass die Wertsteigerung die Kostensteigerung überkompensiert, würden Transaktionskosten- und Transaktionsansatz zu unterschiedlichen Bewertungen und Empfehlungen kommen.
2.2.2.2 Relational View
Basierend auf langjährigen Untersuchungen von Kunden-Lieferanten-Beziehungen vor
allem in der amerikanischen und japanischen Automobilindustrie haben Dyer und
Singh (1998) einen neuen Erklärungsansatz für die Entstehung von Wettbewerbsvorteilen durch Kooperationen erarbeitet, den sie Relational View nennen. Basieren Industry Structure View (ISV) bzw. Resource Based View (RBV) auf den Analyseeinheiten Branche bzw. Einzelunternehmung, so bezieht sich der Relational View auf ein
Kooperationspaar oder ein Netzwerk.
Als Quelle eines überdurchschnittlichen Profits identifiziert der ISV die relative Verhandlungsmacht gegenüber anderen Anspruchsgruppen und der RBV die strategischen
Ressourcen im Besitz einer Einzelunternehmung wie bspw. Humanressourcen oder
seltene technologische Ressourcen. Demgegenüber postuliert der Relational View eine
„relational rent“ als einen überdurchschnittlichen Profit in einer Interorganisationsbeziehung, der von den einzelnen Partnern alleine nicht erzielt werden kann. Als Quellen
dieses Erfolges identifizieren sie die vier Faktoren, beziehungsspezifische Ressourcen
(relation-specific assets), Prozeduren für die Wissensteilung (knowledge sharing routi-
50
Grundlagen
nes), komplementäre Ressourcen und Fähigkeiten und eine effektive Governance
(S.663).
Beziehungsspezifische
Vermögensgegenstände
Dauer der Absicherung
Transaktionsvolumen
Relational Rent
Lern- und Absorptionsfähigkeit
Routinen der Wissensteilung
Komplementäre Ressourcen und
Fähigkeiten
Anreize für Transparenz und gegen FreeRiding
Fähigkeit zur Identifikation der
Komplementaritäten
Komplementäre Organisationen
Selbst- statt Drittregulierung
Effektive Governance
Informale statt formale Regulierung
Abbildung 7: Determinanten eines relationalen Wettbewerbsvorteils
Quelle: (Dyer und Singh 1998, S.663), eigene Übersetzung
Durch die Spezialisierung von Vermögensgegenständen geht ein Unternehmen erhebliche Risiken ein. Nach Meinung von Dyer und Singh lassen sich Wettbewerbsvorteile
und überdurchschnittliche Erträge aber nur erzielen, wenn Unternehmen einzigartige
und damit spezifische Aktivitäten verfolgen (S.662). Mit einer erhöhten Spezifität ist
der Nachteil einer stärkeren Abhängigkeit und der Vorteil einer langfristig orientierten
Kundenbindung verbunden. Risiken spezifischer Investitionen lassen sich durch eine
längere Laufzeit der Absicherung (bspw. Verträge), durch das Volumen und die Breite
der Transaktionen abfedern (S.663).
Durch die Zusammenarbeit mit Kunden und Lieferanten im Netzwerk können Unternehmen Lerneffekte erzielen. Unternehmen, die diese Tatsache gezielt ausnutzen und
solche kooperativen Lernprozesse fördern und institutionalisieren, können laut Dyer
und Singh (S.664f) Wettbewerbsvorteile erlangen. Voraussetzung dafür sind die partnerspezifische Aufnahmefähigkeit (partner-specific absorptive capacity) - also die Fähigkeit, wertvolles Wissen des Kooperationspartners zu erkennen und aufzunehmen und die Schaffung von Anreizen für einen Wissensfluss in beide Richtungen bspw.
durch Kapitalverflechtungen (S.666).
Grundlagen
51
Durch die Kombination von komplementären Ressourcen können Kooperationspartner
Synergien erzeugen, wenn diese Ressourcen, wie im Falle von Reputation oder Spezialwissen, nicht in Faktormärkten gehandelt werden (S.666f). Aus der Herausforderung, die passenden Kooperationspartner mit den gesuchten Ressourcen zu finden,
ergeben sich Differenzierungsmöglichkeiten. Als wesentlichen Erfolgsfaktor identifizieren Dyer und Singh (S.668) die Kooperationserfahrung. Sie beeinflusst sowohl die
Fähigkeit von Unternehmen, Informationen über Kooperationskandidaten zu beschaffen und zu bewerten, als auch die für eine erfolgreiche Umsetzung erforderlichen Kulturen und Strukturen.
Unternehmen können durch die Ausarbeitung von effektiven Governance-Strukturen
Beziehungserträge erzielen. Dyer und Singh begründen diese Tatsache damit, dass
durch die Wahl geeigneter Sicherungsmechanismen die Transaktionskosten gesenkt
werden können und gleichzeitig „Anreize für Wertschaffungsinitiativen wie bspw.
Investitionen in beziehungsspezifische Ressourcen, Wissensteilung oder die Kombination komplementärer, strategischer Ressourcen“ (S.670) geschaffen werden. Mit den
spezifischen Investitionen in Kooperationen steigt auch die Bedeutung von Governance, weil sich die Parteien grösseren Risiken durch opportunistisches Verhalten
aussetzen (S.669). Die Autoren unterscheiden als grundlegende Governance-Typen die
Selbstregulierung bspw. durch Vertrauen oder Reputation von der Drittregulierung, die
üblicherweise auf Verträgen basiert. Sie argumentieren, dass man mit Selbstregulierung wahrscheinlicher Beziehungserträge generieren kann, weil sie u.a. niedrigere Kosten für die Schliessung und Anpassung von Verträgen und stärkere Anreize für Wertschaffung implizieren. Kooperationspartner können durch den Austausch von personengebundenem Wissen Werte schaffen. Ein solcher Vorgang ist durch Verträge jedoch nur unzureichend abbildbar (S.671). Die Selbstregulierung untergliedern die Autoren weiter in formale (finanzielle Verflechtung) und informale Arrangements (Vertrauen). Sie postulieren, dass Unternehmen durch die Verwendung einer informalen
Governance die Wahrscheinlichkeit von Beziehungserträgen steigern, weil sie schwerer imitierbar ist. Allerdings starten Kooperationen häufig mit formaler Governance
und werden dann nach längerer, positiver Erfahrung in informale Arrangements überführt.
2.2.3 Theorie der Leistungssysteme
Im Laufe der Zeit ist in zahlreichen Unternehmen eine unübersichtliche Leistungsvielfalt entstanden, die Belz als „Leistungslisten“ beschreibt. Eine Ursache davon ist, dass
52
Grundlagen
Kunden stetig steigende und heterogene Bedürfnisse haben. Produkte werden tendenziell komplexer und damit erklärungsbedürftiger. Daraus ergeben sich Potenziale für
neue Leistungen wie Beratung oder Projektmanagement. Der Autor stellt fest, dass die
Querbeziehungen zwischen Leistungen bisher vielfach ungenutzt sind. Häufig ist zu
beobachten, dass die Loyalität von Kunden sinkt, weil sich Unternehmen mit ihren
Produkten schwerer als früher von der Konkurrenz abheben können (Belz 1991, S.1ff).
Emotionales Profil und Kundenerlebnis
Innovative Zusammenarbeit mit Kunden
Integriertes Projektmanagement:
Gesamtentlastung des Kunden
Integration der Leistungen in Abläufe des Kunden
Dienstleistungen
Sortiment
Produktsystem
Produkt
Abbildung 8: Leistungssystem
Quelle: (Belz 1991, S.12)
Leistungssysteme zeichnen sich laut Belz vor allem dadurch aus, dass sie „Produkte
und Dienstleistungen zu einer geschlossenen Problemlösung“ verknüpfen. Einzelne
Komponenten lassen sich für den Kunden nachvollziehbar zu einem Leistungspaket
zusammenfügen. Komponenten mit besonders hohem Wettbewerbsvorteil fördern dabei den Absatz von weniger attraktiven Komponenten. Leistungssysteme fokussieren
auf besonders interessante Kunden bzw. Kundengruppen und lassen sich auf deren
spezielle Bedürfnisse zuschneiden. Die Wertschöpfung zwischen Anbieter und Nachfrager wird neu aufgeteilt. Der Anbieter erhält eine umfassendere Rolle bei der Lösung
des Kundenproblems. Er kommuniziert aktiv seinen veränderten Beitrag und passt die
Preisgestaltung entsprechend an (Belz 1991, S.1).
Zur Strukturierung von Leistungen entwickelt Belz ein Schalenmodell aus acht Elementen, welches in Abbildung 8 dargestellt ist. Unter einem Produktsystem versteht
Grundlagen
53
der Autor modulare Ansätze wie Baukästen, die es Anbietern ermöglichen, individuelle Bedürfnisse wirtschaftlich zu befriedigen. Sortiment bedeutet, dass Produkte für
Kundengruppen bspw. nach ihrer Anwendungssituation zusammengestellt werden. Mit
Dienstleistungen können sich Anbieter im Wettbewerb differenzieren. Sie lassen sich
entlang des Produktlebenszyklus strukturieren. Dazu gehören bspw. Beratung, Projektplanung, Finanzierung, Schulung und Wartung. Anbieter können ihren Beitrag zur
Problemlösung des Kunden ausdehnen und die Gesamtverantwortung für bestimmte
Abläufe übernehmen. Dies nennt Belz die „Integration der Leistung in Abläufe des
Kunden“. Bspw. kann ein Schlüssellieferant die Bestandssituation bei seinem Kunden
massgeblich verbessern, indem er ihm eine Just-in-Time-Belieferung anbietet. Anbieter können ihre Mandanten bei komplexen Vorhaben durch integriertes Projektmanagement entlasten. Durch ihre Erfahrung und Spezialisierung können sie die Implementierungszeit verkürzen, die Implementierungsqualität steigern und sogar Erfolgsgarantien abgeben. Wenn Anbieter ihren Beitrag von der partiellen zur ganzheitlichen Problemlösung ausbauen, dann erfordert dies innovative Formen der Zusammenarbeit mit
Kunden. Wichtige Kunden können durch dedizierte Organisationseinheiten - sogenannte Key Account Teams – unterstützt werden. Ein anderer Weg ist, den Erfahrungsaustausch zwischen den Kunden durch den Aufbau von Nutzergruppen zu fördern. Wenn Leistungen schwer differenzierbar sind, dann können Unternehmen ihnen
ein emotionales Profil verschaffen, indem sie ein unverwechselbares Image entwerfen.
Ziel dieses Vorgehens ist, die Kaufentscheidung mit subjektiven Eigenschaften zu beeinflussen (Belz 1991, S.61ff).
Im Rahmen einer Anbieterbefragung hat Belz herausgefunden, dass die drei wichtigsten Potenziale von Leistungssystemen darin bestehen, Kunden zu binden, Einfluss auf
den Kaufprozess zu erlangen und sich von Konkurrenten zu differenzieren (S.19).
Wenn Anbieter geschickt die Interdependenzen von Leistungen ausnutzen, dann können sie einen einseitigen Preiswettbewerb vermeiden und die Aufmerksamkeit vom
Preis auf den Mehrwert lenken. Durch eine systematische, proaktive Leistungsentwicklung und die Ausschöpfung von Standardisierungspotenzialen wird die Konsistenz und Konstanz des Leistungsspektrums gestärkt. Im Falle von Leistungssystemen
werden übergeordnete Probleme anstatt Teilprobleme des Kunden betrachtet. Dabei
wird im Idealfall Kundenwissen generiert, welches es dem Anbieter ermöglicht, sich
zum Kunden- bzw. Branchenspezialisten zu entwickeln (S.10).
54
Grundlagen
Leistungssysteme sind auch mit potenziellen Gefahren verbunden. Wenn Unternehmen ihren Fokus auf Zusatzleistungen verlagern, laufen sie Gefahr, die Kernleistungen
zu vernachlässigen. Sie überschätzen u.U. die Marktgrösse für die Zusatzleistungen
verwässern die Grenzen ihres Geschäfts. Für Anbieter ergeben sich die Risiken, dass
Zusatzleistungen wie Beratung die Kernleistungen kannibalisieren und dass Zusatzkosten nicht voll verrechenbar sind. Belz weist darauf hin, dass Kunden sich nicht selten
opportunistisch verhalten und Konzepte von einem Premiumanbieter an Billiganbieter
weiterreichen. Unternehmen müssen sich folglich vor einem Wissensabfluss schützen.
Andere Kunden betreiben Cherry Picking und wählen nur die attraktivsten Komponenten aus. Der Autor empfiehlt in solchen Fällen, das Leistungssystem vertraglich zuzuschnüren. Die Transformation zu Leistungssystemen ist u.U. aufwendig, weil Kompetenzen aufgebaut werden müssen und Reorganisationen erforderlich werden. Es besteht hier die Gefahr, dass Wettbewerber das Leistungssystem verbal kopieren, ohne
dass Kunden die Angebote objektiv vergleichen können (Belz 1991, S.87).
2.2.4 Kontingenztheorie
Unternehmen agieren in unterschiedlichen Marktumfeldern und haben durch ihre historische Entwicklung einzigartige Organisationsstrukturen entwickelt. Daher gibt es
weder einen einzigen „Königsweg“ der Organisation noch ist eine Organisationsform
unter allen Konditionen gleich erfolgswirksam (Ginsberg und Venkatraman 1985,
S.421). Auf dieser fundamentalen Erkenntnis basiert die Kontingenztheorie10 des strategischen Managements, die laut Harvey (1982, S.81) „vorschlägt, dass für eine bestimmte Kombination von organisatorischen und Umweltbedingungen eine optimale
Strategie existiert“.
Ginsberg et al. schlagen ein zweistufiges Schema vor, um das Themenfeld zu analysieren. Die erste Ebene, die in Abbildung 9 dargestellt ist, haben die Autoren als Prozessmodell konzipiert. Sie besteht aus vier Kontingenzen: Umweltvariablen, Strategie,
Organisationsvariablen und Performance. Die Umweltvariablen werden als Input interpretiert, Organisationsvariablen als Prozess und die Performance als Output des Systems. Die Strategie als vierte Kontingenz spielt eine besondere Rolle. Sie stellt gegenüber den anderen drei Kontingenzen ein „pattern of response“ (S.423) und beeinflusst gleichzeitig die Organisation und deren Performance. Es lassen sich vier Kontingenzbeziehungen unterscheiden. Drei beschreiben, wie die anderen Kontingenzen
10
Synonym verwendet wird die Bezeichnung „situativer Ansatz“.
Grundlagen
55
auf die Formulierung der Strategie wirken und die vierte stellt Implementierungswirkungen der Strategie auf die Organisation dar.
Formulierung
Input
Umweltvariablen
Output
Organisationsvariablen
Performance
Implementierung
Formulierung
Strategie
Prozess
Formulierung
Abbildung 9: Kontingenzmodell für die Strategieforschung
Quelle: (Ginsberg und Venkatraman 1985, S.424)
Auf der zweiten Ebene ihres Schemas operationalisieren Ginsberg et al. die Analysedimensionen weiter. Sie gehen vor allem darauf ein, welche Beziehungstypen zwischen einer unabhängigen Variablen, einer Kontextvariablen und einer abhängigen
Variablen auftreten können. Eine denkbare Beziehung ist folgende: je grösser die Kontextvariable, desto stärker ist die Auswirkung der unabhängigen auf die abhängige Variable. Alternativ ist denkbar, dass es zu jedem Wert der Kontextvariablen einen passenden Wert der unabhängigen Variablen gibt, so dass für diese Kombination die abhängige Variable maximiert wird. Abweichungen von diesem passenden Wert – egal
in welcher Richtung – wirken sich negativ aus (S.426). Ginsberg et al. weisen darauf
hin, dass die Kontingenztheorie häufig dafür kritisiert wurde, dass sie ausschliesslich
nach Ähnlichkeiten suche und dass Unterschiede, welche ebenfalls wichtige Erkenntnisbeiträge bringen können, aus dem Fokus geraten seien (S.425).
56
Grundlagen
2.3 Zwischenfazit
In diesem Kapitel wurde zuerst das dieser Dissertation zu Grunde liegende Verständnis von logistischen Mehrwertleistungen und von Kontraktlogistik geklärt. Danach
wurden die wesentlichen Theoriebausteine dieser Arbeit dargestellt. Anhand von Beiträgen der Wertschöpfungstheorie wurde erklärt, wie Mehrwert im Unternehmen erzeugt wird. Beiträge der Netzwerktheorie erweiterten die Perspektive auf die Wertschöpfung in Kooperationen. Durch die Arbeitsteilung in Kooperationen werden aus
internen Aufgaben extern erbrachte Leistungen. Mit der Theorie der Leistungssysteme
wurde ein Beitrag vorgestellt, der erklärt, wie Anbieter die Interdependenzen zwischen
Leistungen gezielt für ihren Markterfolg ausnutzen können. Abschliessend wurde die
Kontingenztheorie präsentiert. Sie fordert, dass Strategien aus dem Unternehmensund Umfeldkontext situativ abgeleitet werden.
Die vorgestellten Theoriebausteine werden in den folgenden Kapiteln auf die Themenstellung „Mehrwertleistungen in der Kontraktlogistik“ angewendet und mit empirischen Daten zu neuen Erkenntnisbeiträgen verknüpft. Die Value Chain stellt den Ausgangspunkt der Typologie von Mehrwertleistungen dar. Mit Hilfe des ShareholderValue-Netzwerkes werden im Kontingenzmodell Leistungen mit Werthebeln und finanziellen Zielgrössen verknüpft. Die Forderungen des Transactional Value - Betrachtung von Kooperationen statt Einzelunternehmen sowie Wertfokus statt Kostenfokus beeinflussen die Reichweite des Kontingenzmodells. Darüber hinaus wird die geforderte Interessenharmonisierung zwischen Kooperationspartnern zum Leitprinzip für
die Konzeptbewertung im Gestaltungsmodell. Der Relational View bildet die Grundlage für die Gestaltungsdimension im Kontingenzmodell und für die Gliederung der
Interviews. Die Theorie der Leistungssysteme gibt wichtige Impulse für das Gestaltungsmodell. Sie hilft dabei, die zahlreichen Einzelleistungen und -lösungen zu einem
Gesamtkonzept zusammenzuführen. Die Kontingenztheorie spielt in dieser Dissertation eine bedeutende Rolle, weil für die Erklärung und Gestaltung von logistischen
Mehrwertleistungen situative Ansätze verfolgt werden. Daher wird das Beschreibungsund Erklärungsmodell im nächsten Kapitel auch als Kontingenzmodell bezeichnet.
Kontingenzmodell
57
3 Kontingenzmodell für Mehrwertleistungen
In dieser Arbeit wird unter Kontingenzmodell ein auf den Erkenntnissen der Kontingenztheorie basierendes situatives Beschreibungs- und Erklärungsmodell verstanden.
Kontingenzmodelle können einen wichtigen Erklärungsbeitrag für strategische Entscheidungen und ihre Auswirkungen leisten (vgl. Kapitel 2.2.4). Das Modell besteht
aus zwei Ebenen. Auf der ersten Ebene sind Cluster von Variablen und deren Beziehungen untereinander in einem Gesamtmodell dargestellt. Auf der zweiten Ebene werden diese Cluster durch ausgewählte Variablen, Typologien, Zusammenhänge und
Beispiele konkretisiert (vgl. Abbildung 10).
Mandant
Mehrwertleistungen
Mandantenkontext
Formulierung
Governance und
Preisgestaltung
Kontext der
Geschäftsbeziehung
LDL-Kontext
Kontextvariablen
Implementierung
Beeinflussung
Spezifische
Investitionen
Gestaltungsvariablen
Formulierung
Potenziale und
Risiken für den
Mandanten
Potenziale und
Risiken für den LDL
Performance
Logistikdienstleister
Ebene 1
Gesamtmodell
Ebene 2
Ausgewählte
Variablen
Typologien
Zusammenhänge
Beispiele
Abbildung 10: Kontingenzmodell für logistische Mehrwertleistungen
Das Modell ist in die drei sogenannten Kontingenzen Kontext, Gestaltung und Performance gegliedert. Innerhalb einer Kontingenz gibt es Variablen, die sich zu Clustern
zusammenfassen lassen. Kooperationen in der Kontraktlogistik werden vom Nachfrager, vom Anbieter und von der Qualität der Zusammenarbeit beeinflusst. Der Kontext
lässt sich also in die drei Cluster Mandantenkontext, Kontext des Logistikdienstleisters
sowie Kontext der Geschäftsbeziehung unterteilen. Die Gestaltung von Mehrwertleistungen stellt den Kern dieser Arbeit dar. Dementsprechend werden sie als eigener
58
Kontingenzmodell
Cluster der Kontingenz Gestaltung modelliert. Je nachdem, wie stark Mehrwertleistungen entsprechend individueller Kundenbedürfnisse massgeschneidert werden,
steigt die Bedeutung spezifischer Investitionen, die ebenfalls einen eigenen Cluster
darstellen. In dem Bereich „Governance und Preisgestaltung“ sind alle Parameter zusammengefasst, mit denen man Geschäftsbeziehungen regelt, Interessen harmonisiert
und Verhalten beeinflusst. In der Kontingenz „Performance“ werden die erzielbaren
Ergebnisse – Potenziale und Risiken – aus der Sicht von Mandanten und Logistikdienstleistern strukturiert.
Zwischen den Objekten des Modells existieren sogenannte Kontingenzbeziehungen. In
Abbildung 10 sind vier solcher Beziehungen durch Pfeile angedeutet. Der Kontext
sowie die erzielbare Performance wirken sich auf die Formulierung des Gestaltungskonzepts aus. Die Implementierung dieses Konzepts determiniert die erzielbaren Potenziale und Risiken. Auch zwischen Gestaltung und Kontext existiert eine Beziehung,
weil die Gestaltung längerfristig sogar den Kontext in einem bestimmten Masse beeinflussen kann.
Die Gliederung des Kapitels orientiert sich an der Modellstruktur. Im Laufe der folgenden Abschnitte werden die Inhalte der zweiten Modellebene dargestellt. Dafür
wurde Literatur aus den Bereichen Kooperations-, Logistik-, Wert- und Risikomanagement aufbereitet. Der aktuelle Stand und Entwicklungstrends in der Praxis wurde
anhand von 36 Interviews mit Mandanten und Logistikdienstleistern ermittelt. Die Gespräche wurden transskribiert und in der Textdatenbank Atlas ti mit Schlagworten versehen. Mit diesem Vorgehen konnten Phänomene der Praxis bottom-up zu Konstrukten und Zusammenhängen und schliesslich zu einem Kontingenzmodell schrittweise
verdichtet werden. Den Schlusspunkt dieses Kapitels bildet ein Stufenschema für Geschäftsmodelle in der Kontraktlogistik, in dem die wichtigsten Aspekte des Kapitels
zusammengefasst werden.
Kontingenzmodell
59
3.1 Kontextdimension
Wenn Mandanten entscheiden, welche Mehrwertleistungen sie nachfragen, wie spezifisch diese gestaltet und wie die Zusammenarbeit reguliert wird, dann sollten sie sich
nach ihrem Kontext richten. Dabei lässt sich der Kontext des Mandanten, des LDL und
der gemeinsame Kontext der Geschäftsbeziehung unterscheiden.
3.1.1 Mandantenkontext
Der Mandantenkontext ergibt sich aus zahlreichen für den Mandanten endogenen und
exogenen Faktoren. Daher werden sie nachfolgend in die Bereiche Unternehmenskontext und Produkt-Markt-Kontext gruppiert.
3.1.1.1 Unternehmenskontext
Im Bereich des Unternehmens haben sich im Rahmen von Interviews und der Literaturrecherche folgende Faktoren als treibende bzw. hemmende Faktoren bzgl. der
Fremdvergabe komplexer Mehrwertleistungen herauskristallisiert.
Wettbewerbsstrategie
Unternehmen versuchen, sich durch Kostenvorteile oder Servicevorteile in den bearbeiteten Märkten oder Nischen von Wettbewerbern abzusetzen (Porter 1998, S.12ff).
Für die Umsetzung der gewählten Wettbewerbsstrategie kann der Logistik eine hohe
Bedeutung zukommen. Unternehmen müssen wettbewerbskritische Logistikfunktionen
identifizieren und überprüfen, ob diese intern oder extern bei LDL verfügbar sind. Ein
differenzierender Beitrag durch LDL entsteht dann, wenn Mandant und LDL gemeinsam eine einzigartige Lösung oder Geschäftsbeziehung realisieren. Ob der Wettbewerbsvorteil nachhaltig ist, hängt u.a. davon ab, inwiefern der Mandant ein Wettbewerbsverbot11 bzgl. seiner direkten Konkurrenten durchsetzt.
Logistikkompetenzen
Die Logistikkompetenzen von Unternehmen lassen sich anhand zahlreicher Analysedimensionen beurteilen. An dieser Stelle sollen exemplarisch die Prozesskette, die
Führungsaufgabe und der Kundennutzen aufgrund ihrer Aussagekraft verwendet wer-
11
Interview LDL 02.08.2004
60
Kontingenzmodell
den. Die Unternehmenslogistik muss sich an dem von ihr erzeugten Kundennutzen
messen lassen. Unternehmen können ihre Marktposition in Bezug auf Logistik durch
Benchmarking der drei Dimensionen Kosteneffizienz, Qualität und Service ermitteln.
Voraussetzung für eine effiziente Logistik sind schlanke Prozesse, bspw. eine Auftragsabwicklung mit wenigen, produktiven Disponenten. Die Qualität hängt davon ab,
wie robust Logistikprozesse gegenüber Störungen sind. Ein weiterer Erfolgsbeitrag der
Logistik liegt im Service, also in der Fähigkeit, schnell und flexibel auf Kundenwünsche zu reagieren (Baumgarten 1999, S.231f). Der tatsächlich durch Logistik erzielte
Kundennutzen hängt wesentlich von den Kompetenzen der operativen Logistik und
ihrer Führung ab.
Die Kompetenzen der operativen Logistik lassen sich mit Hilfe des Prozesskettenmodells von Baumgarten beschreiben, welches in der Logistik vier Prozessketten unterscheidet (1999, S.228f). Die Entwicklung umfasst die Aktivitäten von der Produktidee
bis zur Realisierung. Die Versorgung erstreckt sich von der Einkaufsplanung bis zur
Bereitstellung für die Produktion. Unter Auftragsabwicklung versteht man die Aktivitäten zwischen der Auftragserteilung und der Übergabe an den Kunden. Schliesslich
befasst sich die Entsorgung mit der Rückführung von Gütern. Die vier Prozessketten
werden je nach Unternehmen aufgrund variierender Kompetenzen bei Design, Planung
und Monitoring unterschiedlich abgewickelt und geführt. Die Designkompetenz besagt, inwiefern ein Unternehmen in der Lage ist, für seine Produkt-Markt-Umfelder
passende Prozessketten bzw. Logistiknetzwerke zu gestalten und diese durch die Anwendung moderner Logistik- und IT-Konzepte zu unterstützen. Die Planungskompetenz hängt davon ab, welche Planungsgenauigkeit die Prozesse und Systeme ermöglichen. Wenn ein Unternehmen über eine hohe Auskunftsfähigkeit hinsichtlich von Prozessindikatoren wie Kosten und Servicegraden verfügt, kann man von einer Monitoring-Kompetenz sprechen. Die Logistikkompetenzen sind in Unternehmen sehr unterschiedlich ausgeprägt. So haben bspw. Elektronikunternehmen aufgrund kurzer Lebenszyklen und schwankender Nachfrage üblicherweise eine hohe Planungskompetenz
in der Logistik.
Outsourcing-Kompetenz
Je stärker Unternehmen ihre Leistungstiefe in der Logistik oder in anderen Funktionen
reduziert haben, desto grösser ist ihre Outsourcing-Erfahrung. Unternehmen, die wenig
Erfahrung haben, starten daher häufig Pilotprojekte, um über die Chancen und Risiken
zu lernen, bevor sie im grösseren Umfang fremdvergeben. Aus den Unternehmensge-
Kontingenzmodell
61
sprächen ergab sich, dass je erfahrener Unternehmen im Outsourcing sind, desto eher
evaluieren sie komplexe Mehrwertleistungen.
„Man hat keine Erfahrungswerte gehabt, weil wir Vorreiter waren. (...) Der Lieferant behauptet dazu in der Lage zu sein. Ob er in der Lage ist, muss sich erst mal
zeigen in der Ausübung des Prozesses.“12
Organisationsstruktur
Der Interdependenzgrad und die Schnittstellengestaltung von Aufbau- und Ablaufeinheiten im Unternehmen haben Einfluss darauf, wie einfach man Strukturen fremdvergeben kann. Diese beiden Faktoren können Unternehmen vor allem über die Modularisierung von Prozessen adressieren (Böhmann und Krcmar 2003). Nettesheim et al.
(2003, S.27) weisen darauf hin, dass die Standardisierung von Prozessen im Unternehmen eine Fremdvergabe wesentlich begünstigen. Sie schlagen ein Phasenmodell
vor, bei dem zuerst die dezentralen Einheiten hinsichtlich ihrer Prozesse und IT standardisiert werden, dann als „Shared Service“ zentralisiert werden, bevor sie an einen
Spezialisten fremdvergeben werden. Als letzte Phase ist für bestimmte Prozesse auch
ein Offshoring denkbar.
Finanzielle Lage und Eigentumsverhältnisse
Unternehmens- und Logistikstrategien können mit den Eigentumsverhältnissen variieren. Wenn ein Unternehmen nicht börsennotiert ist, hat es u.U. die Möglichkeit, längerfristigere Strategien zu verfolgen und steht weniger unter dem Druck, kurzfristig
Gewinne zu erwirtschaften bzw. ausgewählte Kennzahlen zu optimieren. Ein Motiv
für die Auslagerung von vormals intern erbrachten Logistikfunktionen kann eine
schwierige wirtschaftliche Lage eines Unternehmens sein. Dieses Vorgehen zielt dann
i.d.R. auf einmalige Erlöse durch den Verkauf von Logistikimmobilien und Logistikanlagen sowie niedrigere laufende Kosten im Betrieb ab.
„Weil es Schwierigkeiten gab, mussten wir etwas tun. Die Kosten mussten runter.
Insofern gab es diese Plattform für Veränderung.“13
12
13
Interview Mandant 17.02.2005
Interview Mandant 21.02.2005
62
Kontingenzmodell
Mehrwert und Risiken
Die Fremdvergabe von logistischen Mehrwertleistungen impliziert Chancen für den
Mandanten bspw. durch sinkende Kosten oder höhere bzw. festgeschriebene Servicegrade. Dennoch impliziert sie auch umfangreiche Wandelprozesse im Unternehmen.
Vor allem dann, wenn ein Unternehmen nur über geringe Outsourcing-Erfahrung verfügt, können daraus Risiken, also die Gefahr einer negative Zielabweichung, resultieren (vgl. Kapitel 3.3.3). Bspw. können hohe technische Risiken für die Implementierung eines logistischen Planungstools dazu führen, dass die kalkulierten Kostensenkungspotenziale nicht erreicht werden. Die Mandanten haben in Gesprächen bestätigt,
dass die erwartete Relation aus Mehrwert und Risiko die Entscheidung über eine
Fremdvergabe massgeblich beeinflusst.
3.1.1.2 Produkt-Markt-Kontext
Wesentlichen Einfluss auf die Attraktivität von Logistik-Outsourcing haben auch Produkt- und Marktfaktoren, die vom Mandanten nicht vollständig beeinflusst werden
können.
Produkttyp und Logistiknetzwerk-Typ
Produktmerkmale determinieren logistische Konzepte und damit die Anforderungen an
Logistikdienstleister. Fisher (1997, S.107) schlägt vor, Produkte nach der Vorhersagbarkeit ihrer Nachfrage in funktionale und innovative Produkte zu klassifizieren.
Funktionale Produkte weisen einen im Vergleich zu innovativen Produkten deutlich
niedrigeren Prognosefehler auf. Gleichzeitig sind sie durch eine geringere Variantenvielfalt gekennzeichnet. Dies hat mehrere Konsequenzen. Fehlmengen und -umsätze
sollten bei ordnungsgemässem Management seltener auftreten. Auch Überbestände am
Ende des Lebenszyklus sind weniger bedeutend, da der Lebenszyklus von funktionalen Produkten länger ist. Die höheren Risiken bei innovativen Produkten werden mit
tendenziell höheren Stückdeckungsbeiträgen abgegolten.
Fisher beschreibt darüber hinaus zwei Extremformen von Logistiknetzwerken14, deren
Prozessgestaltung entweder auf Effizienz oder Reaktionsfähigkeit fokussiert (S.108)
(vgl. auch Corsten und Gabriel (2004, S.247f), die vier Typen von Logistiknetzwerken
unterscheiden). Im Falle einer effizienten Lieferkette wird die vorhersagbare Nachfra14
Fisher verwendet den Begriff Supply-Chain-Typ, der in der vorliegenden Arbeit als synonym angenommen
wird.
Kontingenzmodell
63
ge mit möglichst niedrigen Kosten bedient, wohingegen bei reaktionsfähigen Lieferketten aufgrund ungenauer Prognosen die Schnelligkeit im Vordergrund steht. Die
beiden Netzwerktypen weisen grosse Unterschiede in ihrem Design auf. Das Bestandsmanagement von reaktionsfähigen Lieferketten ist nicht allein auf die Maximierung des Lagerumschlags ausgelegt, sondern es werden bewusst Pufferbestände an
strategischen Punkten in der Kette platziert. Um trotz widriger Umstände eine akzeptable Lieferfähigkeit zu gewährleisten, wird „aggressiv“ in die Verkürzung der Lieferzeit investiert. Es werden bspw. Konzepte mit höheren Fertigungs- und Steuerungskosten wie bspw. Postponement genutzt, die in einer effizienten Lieferkette nicht zum
Einsatz kommen würden. Was aus Sicht von LDL den entscheidenden Unterschied
zwischen beiden Typen ausmacht sind jedoch die Auswahlkriterien für Lieferanten.
Für eine erfolgreiche Umsetzung von reaktionsfähigen Strukturen kann man Lieferanten und LDL nicht allein auf der Basis von Kosten ermitteln, sondern es rücken Kriterien wie Geschwindigkeit und Flexibilität bei einer gegebenen Qualität in den Vordergrund. Damit Logistik den bestmöglichen Beitrag zum Produkterfolg leisten kann,
sollten laut Fisher für funktionale Produkte effiziente Strukturen und für innovative
Produkte reaktionsfähige Strukturen aufgebaut werden (S.109).
Globalisierung
Aufgrund externer Zwänge bzw. der wirtschaftlichen Attraktivität haben globale Beschaffung und Distribution auch für Mittelständler stark an Bedeutung gewonnen. Dieser Trend stärkt die Bedeutung von Mehrwertleistungen in mehrfacher Hinsicht. Rao
und Young (1994, S.16) weisen darauf hin, dass internationale Transaktionen komplex
sind und hohe Anforderungen an integrierte Transportnetzwerke, Verzollungs-Knowhow und Sendungsverfolgung stellen. Gleichzeitig unterliegen Mandanten der Unsicherheit, ob ihr Markteintritt erfolgreich und ihr Engagement dauerhaft sein wird. Die
Globalisierung ist eine treibende Kraft hinter der Nachfrage nach komplexen Mehrwertleistungen und der Etablierung flexibler, virtueller Logistiknetzwerke. Diese Erkenntnis deckt sich mit den Erfahrungen der befragten Unternehmen, bei denen die
Globalisierung besonders stark vorangeschritten ist.
Marktstruktur
Je niedriger der Konzentrationsgrad eines Marktes, desto mehr potenzielle Kunden hat
ein LDL, der eine Branchenlösung skalieren möchte. Dies setzt aber voraus, dass ihm
dies nicht durch Wettbewerbsverbote untersagt wird. Die Attraktivität von Märkten
64
Kontingenzmodell
kann durch Markteintrittsbarrieren vermindert werden. Es ist bspw. zu beobachten,
dass sich herkömmliche LDL noch schwer tun, die Outsourcing-Potenziale im Pharmamarkt, der bspw. durch die amerikanische Federal Drug Administration (FDA)
stark reguliert ist15, zu erschliessen. Hier ergeben sich Potenziale für Nischenanbieter.
3.1.1.3 Mandantentypologie
Nachdem relevante Einflussfaktoren aus dem Bereich des Mandanten auf die
Fremdvergabe von Mehrwertleistungen dargestellt wurden, soll daraus nun im nächsten Schritt eine Mandantentypologie abgeleitet werden. Müller-Stewens und Lechner
sehen den Nutzen einer Typologie in der Zerlegung eines „komplexen Analyseobjektes“ in handhabbare Teile (2003, S.169f) und leiten daraus mehrere Anforderungen ab.
Eine Typologie bildet anhand von möglichst wenigen Kriterien Cluster von Analyseobjekten. Innerhalb eines solchen Clusters wird die Ähnlichkeit der Objekte maximiert, wohingegen sie zwischen den Clustern minimiert wird. Die Autoren weisen
darauf hin, dass bei der Wahl der Segmentzahl der Zielkonflikt zwischen Einzelsegmenten und Massenmärkten berücksichtigt werden muss. Die gewählten Achsen müssen operationalisierbar sein und eine Zuordnung der Analyseobjekte zu den Segmenten
ermöglichen.
OutsourcingKompetenzen
Logistikkompetenzen
Basisleistungen
durchschnittlich
"integrierter Logistiker"
überdurchschnittlich
"integrierter
Logistikexperte"
Mehrwertleistungen
"Logistikeinkäufer"
"schlanker
Logistikexperte"
Abbildung 11: Mandantentypologie
Die Liste der Einflussfaktoren wurde für die Typologie in Abbildung 11 durch Priorisierung oder Aufdecken von Korrelationen zu den beiden Dimensionen „Logistikkompetenzen des Mandanten“ und „Outsourcing-Kompetenzen des Mandanten“ verdichtet.
Die Typologie ist deskriptiver Natur, so dass Aussagen vom Typ „ein Logistikdienstleister sollte möglichst viele Mandanten haben, die rechts oben einzuordnen sind“
15
Interview Mandant 10.03.2005
Kontingenzmodell
65
nicht möglich sind. Dennoch hilft sie dabei, die Marketingaktivitäten auf die individuelle Situation einzelner Mandanten bzw. eines Mandantenportfolios auszurichten. Im
Kapitel 5.2 werden die hier dargestellten Zusammenhänge als ein möglicher Ansatz
für die Segmentierung der Unternehmensumwelt wieder aufgegriffen.
3.1.2 Kontext des Logistikdienstleisters
Wenn es den Logistikdienstleistern gelingt, entsprechend der Bedürfnisse ihrer Mandanten innovative Mehrwertleistungen zu entwickeln, dann wird deren Umsatz deutlich über dem heutigen Niveau liegen (Langley et al. 2004). Die vielfältigen Möglichkeiten in der Kontraktlogistik bereiten Anbietern und Nachfragern jedoch Orientierungsprobleme. Berglund et al (1999, S.63-65) attestieren der Kontraktlogistik, dass
sie sich im Branchenlebenszyklus in einer Phase der Segmentbildung befindet, d.h. es
gibt derzeit noch viele Wettbewerber, deren Profilierung sich häufig noch im Anfangsstadium befindet. Die Autoren stellen fest, dass viele Anbieter ein heterogenes Kontraktportfolio aufweisen, so dass man sie vielen Marktsegmenten innerhalb der Kontraktlogistik zuordnen könnte. Da Logistik eine Querschnittsfunktion ist und je nach
Branche unterschiedlich ausgeprägt sein kann, ist das resultierende Fähigkeitenspektrum enorm gross. Es wird, wenn überhaupt, nur wenigen Anbietern gelingen, dieses
Spektrum grossflächig abzudecken. Die Autoren mahnen daher, dass LDL entsprechend ihrer Stärken klare Positionierungsentscheidungen treffen sollen.
Nachfolgend werden die wichtigsten Merkmale von LDL beschrieben, die eine
Fremdvergabe von Mehrwertleistungen beeinflussen.
(Logistik)Kompetenzen
Die Kompetenzen eines LDL ergeben sich aus der Summe seiner Ressourcen, Netzwerke und Fähigkeiten aller Unternehmensfunktionen (Probst et al. 1999, S.33ff). Die
Logistikkompetenz als Teilmenge ist analog beschreibbar wie beim Mandanten. Ein
Unterschied besteht jedoch darin, dass die meisten Logistikdienstleister historisch eine
Kernkompetenz in Transport oder Lagerhaltung haben und diese auf die Logistik ausweiten möchten. Die tatsächlich fremdvergebenen Umfänge eines Mandanten hängen
massgeblich von einem Kompetenzvergleich mit dem LDL ab (Arnold 1999a, S.312).
Für die Erbringung komplexer Umfänge müssen LDL über ein breites Spektrum von
Fähigkeiten verfügen. Boyson et al (1999, S.85) haben in einer Befragung festgestellt,
dass Kundenservice- und IT-Fähigkeiten zu den wichtigsten Selektionskriterien von
66
Kontingenzmodell
Logistikdienstleistern zählen. Durch informationstechnische Innovationen wie Internet
und RFID sind neue Mehrwertleistungen entstanden. Zu ihrer Beherrschung müssen
LDL hochqualifiziertes Personal rekrutieren. Heute werden im Geschäft der Logistiklösungen Fähigkeiten gefordert, die weit über die von klassischen Transportdienstleistern hinausgehen. LDL beraten ihre Mandanten bezüglich logistischer Konzepte
und bei der Gestaltung von Logistiknetzwerken. Erste LDL planen und überwachen
für ausgewählte Mandanten Aktivitäten in der Wertschöpfungskette. Dabei übernehmen sie auch Aufgaben wie Kostenrechnung und Reporting. Manche LDL finanzieren
mit Hilfe interner Finanzdienstleister Bestände und Logistikimmobilien von Mandanten. Komplexe Systemleistungen erfordern auch verstärkte Fähigkeiten beim Beziehungsmanagement und juristisches Wissen zum Management der Subdienstleister.
Referenzen
Mandanten achten bei der Vergabe von Mehrwertleistungen, ob es LDL gibt, die Referenzen für den ausgeschriebenen Umfang vorweisen können. Dies lässt sich damit begründen, dass ein Anbieter, der die Implementierung und den Betrieb der Leistung
mehrfach durchlaufen hat, Lernkurvenvorteile geltend machen kann. Dadurch sinken
die Risiken einer verspäteten oder fehlerhaften Implementierung. Im Betrieb kann eine
LDL seinen Erfahrungsvorteil im Idealfall in höhere Qualität und niedrigere Kosten
umsetzen. Für das Management der Geschäftsbeziehung fördert Branchen- oder Mandantenkenntnis effiziente Kommunikation. Mandanten müssen Zielbranchen identifizieren und diese durch gezielte Investitionen in Referenzprojekte besetzen. Die Referenzen sind nicht immer kostendeckend, stellen jedoch eine Eintrittsvoraussetzung dar.
Das Vorhandensein von Referenzen signalisiert dem Mandanten ein klares Bekenntnis
des LDL zu seiner Branche.
„Einerseits die Sprache. Es hilft halt ungemein, wenn man relativ schnell vom
gleichen spricht. (...) Es gibt bestimmte Richtlinien für Datenkommunikation z.B.
VDA-Richtlinien, die man kennen sollte, die man sich zwar auch als Aussenstehender aneignen kann, wenn man so was mal in der Chemieindustrie gemacht
hat. Datenkommunikation wird in jeder Industrie anders gemacht, Felder werden
anders belegt. Wenn man das einmal gemacht hat, dann hat man gewisse Kinderkrankheiten hinter sich, die man als Nicht-Branchenkenner erst mal durchlaufen
muss.“16
16
Interview LDL 12.08.2004
Kontingenzmodell
67
Leistungsebenen
Eng mit den Fähigkeiten verbunden sind die vom LDL abgedeckten Leistungsebenen.
In der Vergangenheit hatten die meisten LDL einen Schwerpunkt auf dem Materialfluss. Aufgrund sich langsam verschiebender Kernkompetenzen vergeben Mandanten
auch zunehmend Aufgaben und Prozesse auf den Ebenen Informationsfluss sowie Finanz- und Rechtefluss, um von den Verbundeffekten des LDL zu profitieren. Das Kriterium der Leistungsebene nutzen Baumgarten und Thoms (2002, S.67) für die Anbietersegmentierung und leiten daraus die drei Segmente „operativer Schwerpunkt“, „administrativer Schwerpunkt“ und „Full-Service-Anbieter“ ab.
Leistungsbreite
In ausgewählten Situationen entscheiden sich Mandanten dafür, ihre kompletten Beschaffungsumfänge der Logistik in einer Region aus einer Hand zu beschaffen. Diese
Beschaffungsstrategie wird als One-Stop-Shopping (OSS) bezeichnet. Diese Strategie
steht im Kontrast zum Best-of-Bread-Ansatz, der das Beschaffungsvolumen in Funktionen gliedert und diese jeweils vom stärksten Anbieter beschafft. OSS ist dann interessant, wenn die Kostennachteile bei den einzelnen Logistikfunktionen durch Vorteile
bei Schnittstellen- und Komplexitätskosten überkompensiert werden. Eine gezielte
Schliessung von Lücken im Leistungsportfolio kann – sofern eine integrierte Lösung
vom Nachfrager überhaupt gewünscht ist – zu einer Differenzierung von Konkurrenzangeboten genutzt werden. LDL müssen entscheiden, ob sie sich als Spezialisten
(bspw. After-Sales-Logistik) oder als Generalisten (bspw. für die Modebranche) positionieren wollen. Generalisten müssen entscheiden, welche Leistungen sie selber erbringen und welche sie von Spezialisten einkaufen. Ein Fremdbezug schmälert jedoch
den Schnittstellenvorteil. Nachfolgendes Zitat zeigt, dass für die meisten Anbieter eine
Generalistenrolle nur über eine klare Fokussierung auf die Bedürfnisse weniger Branchen erreichbar ist.
„Wir haben uns in der Vergangenheit die Frage gestellt, inwieweit kann bzw.
sollte man ganze Pakete rausgeben? Welche LDL kommen dafür in Frage? Da
gab es zwei Bewegungen. Die eine Denkschule ging dahin: lass uns die Pakete so
gross wie möglich schnüren, komplette Umfänge reinpacken und an einen Partner
rausgeben, damit wir es nur mit einem Vertragspartner zu tun haben. die Erfahrung hat uns gelehrt, dass es diesen einen LDL, der das alles kann schlicht nicht
68
Kontingenzmodell
gibt. Entweder er hat mit dem Transport ein Problem oder mit dem Lager oder
mit IT oder mit Personal. Irgendwo gibt es immer was, wo er unsere Funktion
nicht automobilspezifisch abbilden kann. (Kann man den aufbauen?) Das ist nicht
unser Job, das ist sehr mühsam. Wir können punktuell Dienstleisterentwicklung
betreiben.“ 17
Problemlösung
Sehr eng mit der verfügbaren Leistungsbreite ist die Problemlösung korreliert. Wenn
ein LDL einzelne Leistungen für Mandanten erbringt, dann erfüllt er ihre logistischen
Bedürfnisse punktuell. Im Gegensatz dazu kann er Leistungssysteme entwickeln, aus
denen für den Mandanten passende, ganzheitliche Problemlösungen konfiguriert werden können (vgl. Belz 1991). Als Zwischenstufe lässt sich die partielle Problemlösung
durch Dienstleistungspakete unterscheiden.
Eigentum von Logistikressourcen
Seit der Erfindung des 4PL-Konzepts wurden virtuelle Dienstleisterkonzepte ausgiebig
diskutiert (van Hoek und Chong 2001, Bretzke 2002, Nissen und Bothe 2002). Das
Marktforschungsunternehmen Frost & Sullivan (2004, S.2-27) hat in einer Studie die
wichtigsten Vorteile eines virtuellen 4PL-Konzepts untersucht und sieht den Mehrwert
eines solchen Angebots in den Punkten One-Stop-Shopping, Mandantenkenntnis, Industrieerfahrung, globale Reichweite, verbesserte Transparenz und Flexibilität sowie
Ertragsteilung. Der Markterfolg dieses Geschäftsmodells hängt davon ab, wie gut es
den LDL gelingt, Mandanten von diesem Mehrwert zu überzeugen. In der Praxis gibt
es bisher wenige echte 4PL-Kontrakte, weil es Skepsis bzgl. der Realisierung des
Mehrwertes gibt. Manche Mandanten zweifeln bspw. daran, ob 4PL über die gleiche
operative Logistikexpertise wie physische LDL verfügen. Darüber hinaus sehen Mandanten die Vermögensgegenstände des LDL als Garantien für evtl. entstehende Haftungsansprüche. Eine starke Barriere für die Etablierung des 4PL-Konzepts stellt auch
das Management der Geschäftsbeziehung zwischen Mandant und 4PL dar. Letzterer
muss sorgfältig ausgewählt und danach professionell geführt werden, damit Neutralität
und Interessenharmonisierung stets gewährleistet sind.
17
Interview Mandant 08.03.2005
Kontingenzmodell
69
„Ein Vorteil ist, dass man über Grenzen hinweg sieht und dass der Aufwand, den
das Reporting bedeutet, nicht mehr bei uns ist. Dass man über Firmengrenzen
hinweg eine Konsolidierung von Daten bekommt. Die auch sehr schwierig ist.
Wenn es jemand macht, der da Erfahrung hat, ist das für uns von Vorteil. Ziel ist,
dass man sieht, welche Bestände sind auf welchen Strecken unterwegs. Wir haben zum Teil Rückmeldungen aber nicht 100% unserer Strecken. (...) Risiken
sind, dass ein Provider sieht, was läuft wo auf welcher Strecke. Die Frage ist, wie
unabhängig er ist oder wie weit er es nutzt, um sich in seiner Angebotsstellung
auf die für ihn attraktiven Strecken zu fokussieren. Auf der anderen Seite sieht er,
ob ein Wettbewerber da Schwächen hat. (Man könnte ihn ausschliessen.) Wenn
man jemanden hat, der nicht LLP, sondern 4PL ist.“18
Kundenorientierung
Die Kundenorientierung hängt davon ab, wie stark ein LDL spezifische Anforderungen seiner Mandanten bei der Gestaltung von Leistungen bzw. Lösungen berücksichtigt. Diese Frage wird in Kapitel 3.2.5 vertieft. Es lassen sich drei grundsätzliche Stufen der Kundenorientierung unterscheiden. Die geringste Ausprägung weisen übergreifende Lösungen auf, die darauf abzielen, Skaleneffekte zu realisieren. Mandantenlösungen weisen die höchste Ausprägung auf. Sie betonen die Berücksichtigung von
individuellen Mandantenanforderungen. Die Segmentlösung stellt eine Hybridform dar
und zielt darauf ab, die Vorteile der beiden anderen Lösungen zu verbinden.
Vertriebsansatz
Vertriebsansätze können danach unterschieden werden, welchen Mehrwert einer Leistung sie gegenüber dem Mandanten betonen. DeVincentis und Rackham (1998,
S.36ff) definieren Wert als Differenz zwischen Nutzen und Kosten und leiten daraus
ab, dass es mit Nutzenerzeugung und Kostenreduzierung zwei Wege der Wertschaffung gibt. Der richtige Weg hängt von der individuellen Wertpräferenz des Mandanten
ab, welche der LDL genau kennen muss. Vertriebsansätze sind nur dann erfolgreich,
wenn sie sich an den Erfordernissen und Strategien des Mandanten ausrichten. Folglich bietet es sich an, Mandanten nach ihren Wertpräferenzen zu segmentieren.
18
Interview Mandant 29.03.2005
70
Kontingenzmodell
Verschwendung
Unternehmerischer
Vertrieb
Investitionen des LDL
Ausserordentlichen
Wert schaffen
Konsultativer
Vertrieb
Neuen Wert
schaffen
Kosten
senken
Transaktionsorientierter
Vertrieb
Verwundbarkeit
Investitionen des Mandanten
Abbildung 12: Vertriebsansätze für komplexe Leistungen
Quelle: (DeVincentis und Rackham 1998, S.38), eigene Übersetzung
Der transaktionsorientierte Vertriebsansatz trägt der Tatsache Rechnung, dass ein
Mandant nur die Basisleistung wertschätzt und in der Beratung keinen Zusatznutzen
sieht (S.38). Wenn der LDL trotzdem Ressourcen in Beratungsangebote investiert,
dann ist dies Verschwendung. Der konsultative Ansatz trägt Situationen Rechnung, in
denen der Mehrwert nicht allein aus der Basisleistung, sondern aus seiner ordnungsgemässen Verwendung resultiert. Bspw. wird der Mandant bei der Problemanalyse
oder beim Veränderungsmanagement in der eigenen Organisation unterstützt. Den
komplexesten und aufwendigsten Ansatz stellt der unternehmerische Vertrieb dar. Dabei möchte der Mandant die Kernkompetenz des Lieferanten (bspw. Lieferservice)
voll ausschöpfen. Beide Parteien arbeiten hochgradig interdependent, so dass die Geschäftsbeziehung nur mit unternehmensübergreifenden und interdisziplinären Teams
gesteuert werden kann. Dadurch dass beide Seiten kunden- bzw. lieferantenspezifisch
investieren, kann ein ausserordentlicher Mehrwert geschaffen werden.
„Von den Performance Leveln haben wir alles vorgegeben. Daher gab es keine
grossen Unterschiede. Unterschiede gab es inwieweit IT-Lösungen angeboten
worden sind. Es wurde am Anfang offen gelassen, ob wir unsere Lösung oder die
des Anbieters nehmen. Da war der Hauptunterschied, wie weit sich da jemand
Kontingenzmodell
71
reingedacht hat. Das waren Warehouse Management Lösungen. Geht natürlich
später weiter, um sich die gesamte Supply Chain anzuschauen.“19
In den letzten Jahren war es eher so, dass der LDL Input gegeben hat und die
Verbesserungen von (uns) durchgeführt wurden. Mittlerweile sind die LDL auf
einem Know-how-Niveau, wo sie das selbständig durchführen können. Da ist
dann der Anreiz drin, wenn der LDL auch einen Anteil von dem Kuchen bekommt. Die ganz großen Kostentreiber liegen allerdings bei (uns) im Produktdesign (...). Die richtigen Durchbrüche können sie nur machen, wenn sie an die
Produktspezifikationen gehen. Das ist so eine Näherungskurve wo sie sagen die
großen Verbesserungen haben sie schon abgeschöpft. Jetzt gehen sie in die
2,3,4,5%-Kategorie.20
Geographische Abdeckung
LDL müssen den oben beschriebenen Trends der globalen Beschaffung, Fertigung und
Distribution auf Seiten der Mandanten durch das Angebot länder- und verkehrsträgerübergreifende Logistiknetzwerke Rechnung tragen. In einem Arbeitskreis mit LDL
wurde betont, dass es für Anbieter erfolgskritisch ist, der Wertschöpfungsverlagerung
ihrer Kunden zu folgen, besser noch ihr vorauszueilen. Ein Mandant wies darauf hin,
dass Verlader mit globalen LDL zusammenarbeiten, um Expansionsrisiken zu senken.
In diesen Überlegungen spielen gerade Mehrwertleistungen eine wichtige Rolle. Globale LDL können ihre Mandanten bei der Realisierung von Prozessstandards in der
Logistik unterstützen. Sie investieren in weltumspannende Logistiknetzwerke und verfügen über ein erweitertes Leistungsangebot, welches u.a. die Lieferantenkoordination,
Qualitätssicherung, Sendungsverfolgung und Abwicklungsdokumentation umfasst
(Zadek 1999, S.63).
„Das wichtigste ist, dass der Dienstleister ein vernünftiges globales Netzwerk hat.
(...) Damit die Prozesse ineinander greifen mit anderen Dienstleistern, mit dem
Zoll und den Behörden. Das ist ein sehr wichtiges Kriterium.“21
19
Interview Mandant 29.03.2005
Interview Mandant 11.04.2005
21
Interview Mandant 01.03.2005
20
72
Kontingenzmodell
„Customers come to us: you are one of the few true global providers. They want
supply chain solutions.“22
Typologie für Kontraktlogistik-Anbieter
Der Markt der Kontraktlogistik ist aufgrund einer Vielzahl heterogener Teilnehmer
vergleichsweise unübersichtlich. Eine Typologie ist in einer solchen Situation sehr
wertvoll, weil sie die Orientierung für Anbieter und Nachfrager verbessert. Mercer
Management Consulting (2005) schlägt eine Typologie vor, die auf dem Kriterium
„Kerngeschäft des Unternehmens“ basiert. In dieser Systematik werden sechs Ausprägungen unterschieden:
KEP-Dienstleister mit Kontraktlogistik (z.B. TNT)
Komplettanbieter Logistik (z.B. DPWN)
Landverkehr mit Kontraktlogistik (z.B. Schenker)
Kontraktlogistikspezialisten mit Landverkehrsnetz (z.B. Dachser)
Luft- und Seefrachtspediteure mit Kontraktlogistik (z.B. Kühne+Nagel)
Kontraktlogistikspezialisten (z.B. Thiel)
Das Beratungsunternehmen hat Geschäftsberichte von gelisteten Anbietern analysiert
und zieht zwei grundlegende Schlussfolgerungen. Zum einen seien Kontraktlogistikspezialisten deutlich weniger erfolgreich als Anbieter, die ihr Kerngeschäft mit Kontraktlogistik ergänzen und nur solche Leistungen anbieten, die gut über ihr bestehendes
Netzwerk produziert werden können. Zum anderen fehle „reinen Kontraktlogistikern
die Möglichkeit, Skaleneffekte zu realisieren.“
An der Mercer-Systematik sind folgende Kritikpunkte zu äussern. Es erfolgt keine Differenzierung zwischen Transportnetzwerken und stationären Netzwerken. Und dies,
obwohl Transportaufgaben und stationäre Aufgaben häufig getrennt vergeben werden.
Es ist richtig, dass die Erzeugung von Synergien in Produktionssystemen ein Erfolgsfaktor im Wettbewerb ist. Diese Synergien müssen aber nicht zwangsläufig mit einem
Transportnetzwerk, sondern können auch mit einem stationären Netzwerk erzeugt
werden. Darüber hinaus werden bestimmte Anbietertypen (IT-Dienstleister wie
Accenture oder Vertragsfertiger wie Flextronics) mit Ambitionen im
Kontraktlogistikbereich in der Systematik nicht berücksichtigt. Daher wurde eine
22
Interview LDL 23.08.2004
Kontingenzmodell
73
reich in der Systematik nicht berücksichtigt. Daher wurde eine eigene Typologie, die
in Abbildung 13 dargestellt ist, entwickelt.
Transportnetzwerk
Stationäres Netzwerk
Transporteur
Lagerdienstleister
Third Party Logistics
Produktionsdienstleister
Provider
IT-Dienstleister
Fourth Party Logistics
administrativen
Einkaufsdienstleister
Provider
Aufgaben
Beratungsdienstleister
Schwerpunkt bei
physischen
Kombiniertes Netzwerk
Aufgaben
Schwerpunkt bei
Transportmarktplatz
Finanzdienstleister
Kombination von
physischen und
Spediteur
Stationärer
Lead Logistics
Kontraktlogistiker
Provider
administrativen
KEP-Dienstleister
Aufgaben
Abbildung 13: Typologie für Kontraktlogistik-Anbieter
Quelle: Eigene Darstellung
Kontraktlogistik ist ein konvergierendes Geschäftsfeld der Logistik, in das sich Anbieter mit unterschiedlichem Hintergrund diversifizieren. Abbildung 13 zeigt, dass in der
Kontraktlogistik eine Vielzahl von Anbietern mit unterschiedlichen historischen
Schwerpunkten hinsichtlich ihrer Netzwerk- und Aufgabenstruktur zu finden sind.
3.1.3 Kontext der Geschäftsbeziehung
Bensaou (1999, S.43) weist darauf hin, dass Geschäftsbeziehungen erfolgreich sind,
wenn sie an ihren Kontext angepasst sind. Damit kann vor allem eine Über- bzw. Unterausstattung mit Ressourcen vermieden werden. Je komplexer Mehrwertleistungen
sind, desto eher erfordern sie partnerschaftliche Geschäftsbeziehungen. Umgekehrt
bilden langfristig gewachsene Partnerschaften im Produkt- und Dienstleistungsgeschäft die Basis für die Nachfrage und das Angebot von höherwertigen Leistungen.
74
Kontingenzmodell
Umwelt
Atmosphäre
• Macht-, Grössenverhältnis
• Abhängigkeit, spezifische Investitionen
• Sourcing-Strategie
• Vertrauen
• Interessenharmonisierung, Governance
• Kooperationsdauer, -erfahrung
• Kompatibilität, Kultur
• Erzielbare Ergebnisse, Treiber
• Risiken
Interaktionsprozess
LDL
Organisation
Individuum
Kurzfristige Aspekte
• Leistungsaustausch
• Leistungsumfang
• Integrationstiefe
• Spezifität
Komplexität
• Innovationsgrad
• Proprietarität
• Informationsaustausch,
Transparenz
• Konfliktlösung
Mandant
Organisation
Individuum
Langfristige Aspekte
• Institutionalisierung
• Wissensaustausch
• Anpassung
• Verbesserungsstreben
Abbildung 14: Interaktionsmodell für die Kontraktlogistik
Quelle: eigene Darstellung basierend auf Hakansson (1982, S.24)
Häufig werden bestehende Beziehungen zwischen Mandant und LDL im Zeitverlauf
ausgebaut und um Mehrwertleistungen erweitert. Eine Analyse der Erfolgsfaktoren für
eine langfristig erfolgreiche Zusammenarbeit ist daher wichtig. In Abbildung 14 sind
für den Kontext der Kontraktlogistik Faktoren einer Geschäftsbeziehung, die sich in
einer Interviewreihe mit LDL und Mandanten als relevant herauskristallisiert haben,
dargestellt und den beiden interdependenten Bereichen Atmosphäre und Interaktionsprozess zugeordnet.
3.1.3.1 Atmosphäre
Nicht nur die Leistungsmerkmale im engeren Sinne sondern auch die Atmosphäre in
einer Geschäftsbeziehung entscheidet über Dauer und Erfolg der Zusammenarbeit.
Nachfolgend werden fünf ausgewählte Einflussfaktoren auf die Atmosphäre dargestellt.
Macht und Abhängigkeit
Macht kann als Fähigkeit eines Unternehmens (der Quelle) definiert werden, die Intentionen und Aktionen eines anderen Unternehmens (dem Ziel) zu beeinflussen
Kontingenzmodell
75
(Emerson 1962). French und Raven (1959) unterscheiden Machtgrundlagen, die auch
auf die Kontraktlogistik anwendbar sind. „Reward“ bedeutet, dass die Quelle das Ziel
belohnen kann. Dies bedeutet bspw., dass ein Mandant das Verhalten eines LDL dadurch beeinflusst, dass er neue Outsourcing-Umfänge in Aussicht stellt. „Coercion“ ist
das Gegenteil davon und äussert sich bspw. darin, dass ein Mandant ein Geschäft von
einem LDL abzieht. „Expert“ steht für eine Beziehung, in der ein LDL über eine
Machtposition verfügt, weil er tief in die Abläufe des Mandanten integriert ist und
über kritisches Wissen bspw. im Bereich Informationstechnologie verfügt. Wenn ein
LDL sich gerne mit einer wichtigen Referenz in Verbindung bringen lässt, dann liegt
eine Machtbasis vor, welche die Autoren als „Referent“ bezeichnen. Wenn sich der
Mandant dieser Tatsache bewusst ist, kann er sich über vertragliche Verpflichtungen
wie Preisanpassung oder Laufzeiten hinwegsetzen. Wenn sich Einflussmöglichkeiten
in einer Geschäftsbeziehung aufgrund von Vertragsinhalten ergeben, dann sprechen
die Autoren von „Legal Legitimate“.
Grössenverhältnis
Bei der Auswahl geeigneter Geschäftspartner ist nicht nur das Grössenverhältnis zwischen LDL und Mandant, sondern auch das zwischen mehreren Mandanten, für die
eine gemeinsame Mehrbenutzerumgebung betrieben wird, relevant. Mandanten möchten lieber A- als C-Kunde bei einem LDL sein, weil sie dann stärker Einfluss ausüben
können. Daher bevorzugen sie häufig LDL, die im Vergleich zu ihnen kleiner sind.
Um evtl. Haftungsansprüche begleichen zu können und um das Insolvenzrisiko zu begrenzen, sollte ein LDL jedoch eine Mindestgrösse aufweisen, die vom Kontraktvolumen abhängt. Das folgende Beispiel zeigt, dass sich das Grössenverhältnis von Mandanten darauf auswirkt, wie einfach ein LDL eine Lösung skalieren kann.
„Sie können selten einen dominierenden grösseren Kunden in so ein Asset reinbringen, weil ein Kunde in so einem Konzept glaubt, das fünfte Rad zu werden.
Das ist psychologisch ganz wichtig, dass die Grössenverhältnisse stimmen. Der
erste Initialkunde da muss der Dienstleister wesentlich kleiner sein, damit der
seinen Einfluss ausspielen kann in einem kalten Outsourcing. (...) Dieser LDL,
wenn er sich noch grössere Kunden an Land zieht, dann hat er Probleme in den
Kundenbeziehungen, da übernimmt er sich in der Regel. Die Anforderungen des
Neukunden sind so gigantisch, dass er den anderen Kunden mit kaputt macht. (...)
Z.B. welcher Auftrag geht bei einem Engpass als erstes raus. Das kann man natürlich priorisieren, das kann man natürlich objektivieren. Aber im Leben da ruft
76
Kontingenzmodell
(Kunde X) an und haut auf den Tisch und dann läuft die ganze Fabrik für (Kunde
X) und der andere Kunde wird nach hinten gestellt.“23
Sourcing-Strategie
Aus der Entscheidung über Art und Anzahl von Lieferanten ergeben sich Konsequenzen für Synergien, Risiken und Verhaltensmuster. Aus den zahlreichen Parametern
einer Sourcing-Strategie (Arnold 1999b, S.219) werden hier zwei diskutiert. Mandanten müssen entscheiden, wie viele LDL sie für die Erbringung identischer Umfänge
einsetzen wollen. Dabei unterscheidet man die Extremformen Single und MultiSourcing. Single-Sourcing bedeutet, dass sich der Einkäufer auf einen LDL fokussiert,
weil er dadurch Skaleneffekte erzielt und Verwaltungsaufwand vermeidet. Im Gegensatz dazu reduziert Multi-Sourcing die Abhängigkeit vom LDL. Risiken können dadurch begrenzt werden, dass man weitere LDL einschaltet, die als Backup fungieren
können. Darüber hinaus wird eine Vergleichsmöglichkeit für Benchmarking geschaffen, die motivationssteigernd wirkt. Ein weiterer Parameter in der Sourcing-Strategie
ist die Anzahl von LDL, die unterschiedliche aber angrenzende Umfänge erbringen.
Hier bietet sich ein Kontinuum zwischen One-Stop-Shopping (OSS) und Best-ofBread (BoB) an. Beim OSS werden umfangreiche Leistungspakete mit dem Hauptziel
gebildet, Schnittstellen zu reduzieren und Verbundeffekte zu erzielen. Voraussetzung
ist, dass starke Interdependenzen oder grosse Ähnlichkeiten zwischen den Elementen
des Pakets bestehen. Die Realisierung von BoB setzt voraus, dass Umfänge teilbar
sind. Wenn dies der Fall ist, dann können Module gebildet und an spezialisierte Logistikdienstleister mit marktführenden Preis- bzw. Leistungsniveaus vergeben werden.
Beispielsweise werden häufig innerhalb einer Weltregion Transportwege an unterschiedliche Anbieter vergeben, um Transportkosten und Abholzeiten zu optimieren.
„Generell muss man abwägen, ob man Wettbewerb am Standort als Priorität setzt
oder ob man sagt, man möchte Synergien erzielen. Die erzielt man sowohl als
Dienstleister als auch intern, weil ich weniger Schnittstellen zu bedienen habe.
Man hatte diesen Wettbewerb am Standort und ist davon ausgegangen, wenn man
Synergienetze anstrebt, dass das dann wirtschaftlich ist. In einer späteren Phase
kann es durchaus sein, dass man sagt, Wettbewerb ist uns jetzt wieder wichtiger
für die nächsten Jahre.“24
23
24
Interview LDL 02.08.2004
Interview Mandant 24.02.2005
Kontingenzmodell
77
„Da, wo wir einen Wettbewerb erhalten können, da wollen wir das. (...) Ich kann
nicht das Montageversorgungslager dem einen geben und die Bandversorgung
dem anderen. Weil dann habe ich zwischen zwei Dienstleistern eine Schnittstelle,
wo sie die Schuld aufeinanderschieben. Da, wo es Prozesse erfordern, werden wir
einen einsetzen. Wo es Prozesse nebeneinander gibt, ist es aus unserer Sicht wünschenswert, mehrere zu haben.“25
„One Stop Shopping mit Sicherheit nicht. Aber schon ein starker Trend zur Konsolidierung von Aufgaben innerhalb der Kette. Wo es früher fünf waren sind es
jetzt zwei, die zusammenarbeiten. Der eine macht Transport und der andere Warehousing.“26
Vertrauen
Zajak und Olsen (1993, S.140) definieren Vertrauen als „confidence in a firm's expectations of the future“. Dyer und Chu (2003, S.57) schliessen aus ihren Untersuchungen
in der Automobilindustrie, dass Vertrauenswürdigkeit, Unsicherheit und Transaktionskosten reduziert und dadurch Mehrwert in der Zusammenarbeit schafft. Sie sorgt dafür, dass weniger Zeitaufwand für Vertragsgestaltung und Nachverhandlung erforderlich ist. Bspw. waren die Beschaffungskosten eines in der Befragung von Lieferanten
als wenig vertrauenswürdig wahrgenommenen Autoherstellers fünfmal so hoch wie
bei Wettbewerbern. Vertrauen fördert den Informationsaustausch in Geschäftsbeziehungen und kann dadurch Mehrwert schaffen. Unternehmen mussten immer wieder
feststellen, dass Vertrauen schneller zerstört als aufgebaut wird. Für die Weiterentwicklung anspruchsvoller Mehrwertleistungen ist Vertrauen zwischen den Geschäftspartnern eine notwendige Basis.
„Was nicht reparabel ist, ist Vertrauensverlust. Wenn sie einen Fehler machen
und sie angesprochen haben, dass er passiert ist, dann verzeiht der Kunde ihnen
alles. Vertrauensverlust, das führt zu einer Rückabwicklung. Das hat ganz fatale
Folgen, wenn sie skaliert haben in der Branche und einer steigt aus. Das ist eine
Palastrevolution, dann können sie bei allen Kunden antreten.“27
25
Interview Mandant 08.03.2005
Interview Mandant 01.03.2005
27
Interview LDL 02.08.2004
26
78
Kontingenzmodell
„Diese Geschäftsebene ist ein sehr wichtiger Bereich für (uns). Wenn sie Lieferanten jedes Jahr austauschen, fangen sie jedes Mal bei null an. Sie müssen wissen, wie der Partner tickt, und der muss wissen wie (unser Unternehmen) tickt.
Sonst werden sie nie zu dieser vertrauensvollen Zusammenarbeit kommen, wo sie
diese Effizienzen erreichen können. Wenn ich mir die Namen jetzt anschaue,
dann sind es grösstenteils Firmen mit denen wir schon 5-10 Jahre zusammenarbeiten in diesem Bereich.“28
Kooperationsdauer
Die tatsächliche Dauer der Zusammenarbeit ergibt sich neben der im Vertrag spezifizierten Laufzeit vor allem aus der Zufriedenheit des Mandanten, weil es in den meisten
Fällen Klauseln gibt, anhand derer ein Vertrag vorzeitig beendet werden kann. Im Laufe einer Kooperation wachsen Normen, d.h. Erwartungen an das Verhalten des Partners, die aus der gemeinsamen Erfahrung resultieren (Zajak und Olsen 1993, S.140).
Durch eine langjährige Zusammenarbeit kann eine einzigartige Qualität und Effizienz
der Zusammenarbeit entstehen. Auf der anderen Seite kann aber auch ein abnehmendes Verbesserungsstreben auf beiden Seiten resultieren.
„Mit Unternehmen, mit denen sie 10 Jahre schon zusammenarbeiten und die mit
ihnen offen sprechen und sagen, ok jetzt ist nun mal die Tendenz in Richtung
Osten gekommen, wir können in (Deutschland) zu diesen Kosten nicht mehr produzieren (...) Dann sind wir auch bereit, unser Know-how mit in den Osten wachsen zu lassen. Das ist eine Beziehung, die ist belastbar. Die beruht dann auch auf
gewissen Regeln, wie man miteinander umgeht. Da ist dann nicht mehr nur noch
der Preis das entscheidende, sondern auch das Gesamtpaket. (...) Wenn wir aus
der Zeitung erfahren, dass das Lager verschwindet und man hat vorher nicht mit
uns gesprochen, dann werden wir in Zukunft mit denen aus Prinzip ein bisschen
vorsichtiger agieren. Aber das entsteht denke ich über die Zeit, über die Beziehung, wie ist der Kontrakt gestaltet, was haben wir für einen Kontraktmanager
dort sitzen.“29
28
29
Interview Mandant 11.04.2005
Interview LDL 10.08.2004
Kontingenzmodell
79
3.1.3.2 Interaktionsprozess
Komplexe Mehrwertleistungen, wie bspw. die Materialdisposition, erfordern eine besonders intensive Interaktion zwischen Mandant und LDL. Hakansson (1982, S.24)
unterscheidet kurz- und langfristige Aspekte der Interaktion. Als Beispiel für die kurzfristigen Aspekte wird die Konfliktlösung und für die langfristigen Aspekte der Wissenstransfer dargestellt. Ein ganz wesentlicher Aspekt der Interaktion ist der Leistungsaustausch, der ausführlich in Kapitel 3.2 behandelt wird.
Konfliktlösung
In den Interviews liessen sich immer wieder ähnliche Konfliktpotenziale in Geschäftsbeziehungen der Kontraktlogistik identifizieren. In der Betriebsphase wurde über Preise (bspw. Weitergabe von Mehrkosten, Belohnung für eine erzielte Einsparung) und
Leistungen (bspw. zu realisierende Prozessverbesserungen, Verschulden bei Betriebsstörungen) gestritten. In der Abwicklungsphase von Kontrakten treten Fragen darüber
auf, wer welche Vermögensgegenstände zu welchen Preisen erhält oder wie immaterielle Ressourcen wie geistiges Eigentum im Bereich von neuentwickelten ITLösungen aufgeteilt werden. Zwei Prinzipien können beim Konfliktmanagement helfen. Prinzip 1 besagt, dass alle Massnahmen zur Vermeidung von Konflikten bereits in
der Konzeptphase ausgeschöpft werden sollten. Durch die gezielte Nutzung von Gestaltungsmöglichkeiten, wie bspw. Verteilung von Kompetenzen und Verantwortung
im Prozessdesign, objektive Leistungsindikatoren, Leistungsanreize sowie Rückabwicklungsmatrizen, können zeitaufwendige Nachverhandlungen vermieden werden.
Prinzip 2 fordert, Eskalationsmechanismen und -institutionen zu etablieren, die sicherstellen, dass Konflikte schnell gelöst werden und keine Partei gelähmt wird. Wenn
diese Prinzipien konsequent befolgt werden, dann können die Beteiligten ihre Transaktionskosten senken und begünstigen damit die Fremdvergabe komplexer Leistungsumfänge (Bretzke 2004, S.13f).
„Nehmen wir mal an, einer übernimmt die Bestände und wird dann konfrontiert
mit einer Last-Buy-Aufforderung. Wenn ich jetzt die Bestände zahlen muss, dann
würde ich ja sagen: möglichst wenig Last Buy, weil das kostet ja jetzt mein Geld.
Dann bin ich irgendwann nicht lieferfähig. Das wirkt sich dann irgendwann bei
der Firma aus, die die Maschinen nicht reparieren kann. Da muss man natürlich
Regularien finden.“30
30
Interview Mandant 16.02.2005
80
Kontingenzmodell
Wissenstransfer
Unternehmen stehen laut Probst et al (1999, S.219ff) vor dem Dilemma, dass organisationales Wissen nicht am Ort der Anwendung, bspw. in Projekten, ankommt. Neben
der gängigen Begründung, dass mit Wissen Macht verbunden ist, sehen sie die Ursache darin, dass Wissen an Einzelpersonen gebunden ist. Häufig schlägt die Verteilung
durch eine zentrale Instanz fehl. Eine dezentrale Mitteilung in Form von Arbeitsgruppen sehen die Autoren als erfolgsversprechender an.
Komplexe Mehrwertleistungen erfordern umfangreiches Wissen beim Dienstleister
bspw. über die Produkte und Prozesse seiner Mandanten. Damit Service- und Kostenziele vom LDL eingehalten werden können, muss im Laufe des Beziehungslebenszyklus Wissen in unterschiedlichen Richtungen transferiert werden. In der Ausschreibungsphase wird Wissen vom Mandanten auf den LDL u.a. in Form von Prozessspezifikationen übertragen. In der Anlaufphase absorbiert der LDL Wissen durch Personalübergang und Einarbeitung vor Ort. Dieses Wissen sollte er schnell in seiner Projekthierarchie (Standortleiter, Schichtleiter, Teamleiter und Teammitarbeiter) durch
interne Trainingseinheiten verbreiten. In der Betriebsphase kommt es regelmässig zu
Quartalsgesprächen und Qualitätsaudits, in denen bspw. Wissen über Erfolgsbeispiele
ausgetauscht werden kann. Im Laufe der Zusammenarbeit wird neues Wissen in der
Kontraktorganisation erzeugt. Dies kann sich bspw. auf neuentwickelte IT-Lösungen
beziehen. Im Vertrag muss daher vorab spezifiziert werden, welche Partei die Rechte
an der Lösung halten wird. Mandanten können von der Logistikkompetenz leistungsstarker LDL lernen, indem sie optimierte Lösungen wieder insourcen und damit logistisches Prozesswissen akquirieren. Für Mandanten ist es gerade im Kontext von
Mehrwertleistungen wichtig, dass sie das Wissen, welches sie in einem Pilotprojekt
gewonnen haben, in der internen Organisation verbreiten, um so die eigene
Outsourcing-Kompetenz zu stärken.
„Man setzt sich gemeinsam an einen Tisch und geht seine spezifischen Anforderungen durch. Das man ihm erklärt, wie bei uns die Montageplanung arbeitet.
Das man ihn mal mitnimmt, dass der LDL auch mal mit denen redet, die den Prozess auslösen, nämlich die Fertigung. Wenn es Störungen gab, dass man sich gemeinsam an einen Tisch setzt und durchgeht, wie man das besser machen kann.
(...) Manchmal liegt es auch nicht beim Dienstleister. Um auch Druck auf die eigene Organisation auszuüben, das man sieht, dass die Auslösung zu spät kam.
Kontingenzmodell
81
(...) Das ist einfach so, dass es da menschelt. Es ist ganz wichtig, dass sich die
Personen kennen und eine Beziehung zueinander entwickeln.“31
31
Interview Mandant 24.02.2005
82
Kontingenzmodell
3.2 Gestaltungsdimension
Logistische Mehrwertleistungen stellen das zentrale Untersuchungs- und Gestaltungsobjekt dieser Arbeit dar. Abbildung 15 verdeutlicht, dass Leistungen besonders starke
Interdependenzen zu vier anderen Gestaltungsbereichen, nämlich Preis, spezifische
Investitionen, Governance und Leistungsmessung aufweisen. Im Rahmen der Leistungsgestaltung werden u.a. die Aufgaben und Kompetenzen zwischen Mandant und
LDL verteilt. Daraus ergibt sich, wie stark oder wie begrenzt ein LDL die Performance
des Logistiksystems des Mandanten beeinflussen kann. Beide Parteien handeln ein
Preissystem aus, anhand dessen man die monatliche Vergütung berechnen kann. Durch
die Ausgestaltung dieses Systems entscheiden beide darüber, wie die in der Kooperation entstehenden Mehrwerte und Risiken verteilt werden. Ausserdem entstehen für beide Parteien Leistungsanreize, so dass im Idealfall die Interessen auf beiden Seiten
harmonisiert werden. Spezifische Investitionen stellen bei der Erbringung komplexer
Mehrwertleistungen eine zentrale Gestaltungsherausforderung für Mandant und LDL
dar. Beide Parteien müssen die Vor- und Nachteile hochindividueller Leistungen abwägen.
Spezifische Investitionen
Motive von Mandant bzw. LDL
Materielle versus immaterielle
Ressourcen
Grad der Spezifität
Leistung
Definition von Aufgaben und
Kompetenzen für den LDL
Beeinflussung der
Performance des
Logistiksystems durch den
LDL
Grenzen der Beeinflussung
Governance
Joint Venture
Vertrag
Leistungsbeschreibung
Haftung
Beendigung
Preis
Spezifische Investitionen
Fokus der Arbeit
Preis
Verteilung des Mehrwerts
Verteilung des Risikos
Definition der Verantwortung
des LDL
Anreize für Qualität und
Verbesserung
Interessenharmonisierung
Messung
Auswahl Indikatoren
Soll-Performance
Ist-Performance
Abweichung
Verursachung
Abbildung 15: Gestaltungsbereiche logistischer Mehrwertleistungen
Der Gestaltungsbereich Governance beschäftigt sich damit, wie Austauschbeziehungen reguliert werden können und wie sich beide Seiten gegen Schäden bspw. aus op-
Kontingenzmodell
83
portunistischem Verhalten absichern können. Werden besonders komplexe Leistungen
ausgetauscht, dann liegt die grundlegende Entscheidung darin, ob die Geschäftsbeziehung durch Vertrag oder finanzielle Verflechtung reguliert werden soll. Eine leistungsgerechte Entlohnung setzt voraus, dass sich die Verhandlungspartner über die
Leistungsmessung geeinigt haben. Von der Wahl der Messindikatoren hängt es ab, wie
genau Abweichungen und ihre Verursachung ermittelt werden. Leistungsmessung und
Governance in der Kontraktlogistik sind umfassende Themenfelder, die nicht im Fokus dieser Arbeit stehen, sondern separat untersucht werden müssen.
3.2.1 Logistische Mehrwertleistungen und -lösungen
Die Grenzen zwischen logistischen Mehrwertleistungen und Mehrwertlösungen verlaufen ähnlich wie bei Aufgaben und Prozessen fliessend, so dass eine klare Abgrenzung häufig schwierig ist. Ein Ansatz für die Unterscheidung kommt von Berglund et
al (1999, S.63):
„Service providers focus on a few standard services, maybe add some features to
attract extra customers and use scale economies to increase profits.“
„Solution providers focus on a few industries , take over complete, well-defined
processes and customize their services.“
Sie schlagen eine Matrix mit den Dimensionen Mehrwert und Individualisierung vor.
Dieser Ansatz ist verbesserungsbedürftig, da beide Dimensionen voneinander abhängig und dementsprechend nicht orthogonal zueinander sind. Der Mehrwert einer Leistung ist vom Fit zwischen ihrem Lösungsbeitrag und den konkreten Kundenbedürfnissen also von ihrer Individualisierung abhängig. Daher wird in Abbildung 16 eine
alternative Matrix vorgeschlagen, bei der Mehrwert und Individualisierung zu einer
Dimension zusammengefasst werden. Der Umfang der Problemlösung stellt die zweite
Dimension dar. Eine Mehrwertlösung unterscheidet sich folglich von einer Mehrwertleistung dadurch, dass sie ein logistisches Problem des Mandanten nicht partiell sondern vollständig löst. Von einer Basislösung unterscheidet sie sich dadurch, dass sie
stärker an den individuellen Bedürfnissen des Mandanten ausgerichtet ist und eine
grösseren Mehrwert erzeugt.
84
Kontingenzmodell
Oder
- Standardleistungen (TUL)
- Skaleneffekte
Mehrwertlösung
Basislösung
Mittel
- Mandantenspezifische
Leistungen
- Verbundeffekte
Basisleistung
Hoch
- Segmentspezifische
Leistungen
- Skalen- und Verbundeffekte
Mehrwertleistung
Mehrwert
Niedrig
- Inhouse
- Begrenzte Synergien
Leistung
Beitrag zur
Problemlösung
Lösung
Vollständige
Problemlösung
Umfang
Abbildung 16: Abgrenzung von Mehrwertleistungen und –lösungen
Quelle: Eigene Darstellung
In der Literatur konnte bisher keine Typologie ausfindig gemacht werden, die logistische Mehrwertleistungen angemessen strukturiert. Das Supply-Chain Council (2005)
hat für Logistiknetzwerke ein Prozessreferenzmodell (SCOR) entwickelt. Dieses Modell bezweckt, heterogene Prozesslandschaften durch weitgehend standardisierte Abläufe zu ersetzen und damit Neugestaltung, Benchmarking und Leistungsmessung von
innerbetrieblichen und zwischenbetrieblichen Abläufen zu vereinfachen. Es beinhaltet
Standardbeschreibungen der Logistikprozesse „Plan“, „Source“, „Make“, „Deliver“
und „Return“ in unterschiedlicher Granularität: von einzelnen Aktivitäten bis hin zu
vollständigen Prozessen. Ausserdem zeigt es Beziehungen zwischen Prozessen auf und
schlägt Messindikatoren für die Prozesse vor. SCOR fördert, dass Prozesse eindeutig
beschrieben, kommuniziert und verglichen werden können (S.1-4). Das Referenzmodell hat sich aufgrund seiner Verständlichkeit und Umsetzungsorientierung schnell
weltweit verbreitet und wird vor allem von multinationalen Unternehmen zur innerund überbetrieblichen Prozessstandardisierung eingesetzt. Das Thema LogistikOutsourcing wird von dem Modell allerdings nicht explizit adressiert. Dennoch ist es
sinnvoll, dass eine Typologie für logistische Mehrwertleistungen mit SCOR kompatibel ist, um dessen Potenziale zu nutzen.
Kontingenzmodell
85
In den letzten 10 Jahren wurden zahlreiche Studien veröffentlicht, die sich mit der
Nachfrage nach logistischen Leistungen beschäftigen. Die Leistungen werden aber
immer unstrukturiert aufgelistet (vgl. bspw. Boyson et al. 1999, Murphy und Poist
2000, van Laarhoven et al. 2000, Langley et al. 2003). Das Defizit einer vollständigen
Leistungstypologie konstatiert auch Deepen (2003, S.126ff), wobei er zurecht anmerkt, dass der Umfang einer solchen Systematik vom Logistikbegriff und den darin
formulierten Grenzen der Logistik abhängt.
Die Entwicklung einer eigenen Typologie für logistische Mehrwertleistungen sollte
gewisse Anforderungen berücksichtigen, die sich vor allem aus den oben konstatierten
Defiziten und Herausforderungen ergeben:
Strukturierung: Hilfestellung bei der Definition, Abgrenzung, und Kommunikation von Leistungen zwischen Anbieter und Nachfrager,
Konsistenz: Abbildung zentraler Elemente der verwendeten Logistikdefinition,
wie bspw. Flussorientierung (vgl. Kapitel 2.1.1),
Vollständigkeit: Abdeckung sämtlicher logistischer Leistungsumfänge,
Adaptionsfähigkeit: Möglichkeit der Anpassung auf unterschiedliche Branchen- und Mandantenkontexte,
Kompatibilität: Konsistenz mit grundlegenden Beiträgen wie bspw. der Prozesskettensicht der Logistik (Baumgarten 1999), dem Ordnungsraster der ELogistik (Straube 2004, S.321) sowie dem SCOR-Modell,
Skalierbarkeit: Berücksichtigung von Mehrwertleistungen und -lösungen von
unterschiedlichem Umfang.
In Abbildung 17 wird eine Typologie entsprechend der oben formulierten Anforderungen vorgeschlagen. Sie besteht aus den vier Dimensionen Logistikfluss, Logistikprozess, Führungsaufgabe und Leistungsgranularität. Die Dimension Logistikfluss besteht
aus den Ausprägungen Materialfluss, Informationsfluss, Finanzfluss und Rechtefluss.
Der Materialfluss wird anhand der Logistikprozesse Beschaffungs-, Produktions-, Distributions- und After-Sales-Logistik weiter präzisiert. Der Informationsfluss besteht
aus den Bereichen Design, Planung, Fulfillment und Monitoring (Straube 2004, S.321)
(Straube und Dittmann 2004, S.870). Die vierte Dimension dient der Unterscheidung
von Leistungen und Lösungen und orientiert sich an den Prozessebenen von SCOR
(Supply-Chain Council 2005, S.6).
86
Kontingenzmodell
Lösung
Finanz- und Rechtefluss
Prozess
Monitoring
Informationsfluss
Planung
Prozesselement
Fulfillment
Leistung
Design
Materialfluss
Beschaffungslogistik
Produktionslogistik
Distributionslogistik
After-SalesLogistik
Aufgabe
Aktivität
Abbildung 17: Typologie logistischer Mehrwertleistungen
3.2.2 Materialfluss
Die Typologie von Mehrwertleistungen wird in Abbildung 18 weiter verfeinert. Für
die vier Bereiche des Materialflusses werden typische Leistungen für die in dieser Arbeit untersuchten Industrien Automobil und Elektronik aufgelistet. Manche Leistungen
können mehrfach zugeordnet werden, so kann bspw. das Cross-Docking der Beschaffungs- und der Distributionslogistik zugerechnet werden. In den nachfolgenden Abschnitten werden ausgewählte Leistungen, wie bspw. Postponement, in Detail vorgestellt. Dabei werden basierend auf der Analyse von Interviews und Publikationen Aufgabenumfänge, deren Verteilung zwischen Mandant und LDL und resultierende Verbesserungen bzw. Risiken diskutiert.
Materialfluss
Beschaffungslogistik
Just-in-Time
Just-inSequence
Industriepark
Completely
Knocked Down
...
Produktionslogistik
Behältermanagement
Bandversorgung
...
Distributionslogistik
Etikettierung
Verpackung
Postponement
Vendor
Managed
Inventory
Cross Docking
...
After-SalesLogistik
Reparaturen
Retouren
Entsorgung
...
Abbildung 18: Mehrwertleistungen des Materialfluss
Kontingenzmodell
87
3.2.2.1 Just-in-Time, Just-in-Sequence und Industriepark
Just-in-Time (JiT) kann als Denkhaltung beschrieben werden, die mit Hilfe umfangreicher Produkt- und Prozessneugestaltung darauf abzielt, schlanke und flussorientierte
Strukturen umzusetzen. Dementsprechend ist Delfmann der Meinung, dass eine produktionssynchrone Beschaffung den Kern dieses Prinzips nur unzureichend beschreibt
(Delfmann 2004, S.221)“.
Zibell (1990, zit. bei Ihme 2000, S.247) strukturiert Merkmale und Instrumente des
JiT-Konzepts. Lieferant und Hersteller arbeiten vertrauensvoll zusammen und erreichen dadurch eine verlässliche Nachfrage und Versorgung. Mitarbeiter werden befähigt, damit sie eigenverantwortlich die anspruchsvollen JiT-Prozesse ausführen und
steuern können. Qualitätsmanagement und Prozessverbesserung führen zu einem kontinuierlichen Materialfluss. Beschaffungs- und Produktionsprozesse werden durch
Segmentierung anforderungsgerecht und übersichtlich strukturiert. Beide Partner streben ausgeglichenere Produktionsmengen an, indem sie das Pull-Prinzip und reduzierte
Losgrössen realisieren.
Das JiT-Konzept ist neben attraktiven Potenzialen ebenfalls mit Umsetzungsrisiken
wie bspw. Bandstillständen verbunden. Der Name JiT weist bereits darauf hin, dass
die Senkung der Durchlaufzeit im Mittelpunkt dieses Konzepts steht. Es hat eine Hebelwirkung auf den Servicegrad (durch Verbesserungen bei Lieferzeit, Liefertreue,
Lieferfähigkeit, Lieferflexibilität und Lieferqualität) und auf die Herstellkosten (durch
Verbesserungen bei Bestandskosten und Steuerungsaufwand) (Zibell 1990, zit. bei
Ihme 2000, S.244).
Anwendung findet das JiT-Konzept in der Automobilindustrie vor allem bei Umfängen wie Antriebsstrang, Cockpit, Sitzgarnitur, Kabelsätzen und Frontend. Diese weisen im Sinne einer ABC-XYZ-GMK-Klassifikation eine hohe Eignung auf. Sie zeichnen sich durch einen hohen Teilewert (A), eine hohe Vorhersagegenauigkeit (X) und
grosse Abmessungen (G) aus (Ihme 2000, S.255f). Ihme (S.257) unterscheidet drei
Typen von JiT. Bei der blockgerechten Anlieferung ist eine Sortierung der Lieferung
nicht erforderlich. Dies trifft bspw. auf Windschutzscheiben und Batterien zu. Die beiden anderen Typen haben die Gemeinsamkeit, dass Zulieferteile in einer Sequenz, die
sich an den Aufträgen auf dem Montageband orientiert, angeliefert werden. Je nachdem, ob der Lieferant innerhalb eines bestimmten Radius (bspw. 40 km) vom Herstel-
88
Kontingenzmodell
lerwerk entfernt angesiedelt ist, unterscheidet Ihme Just-in-Sequence (JiS) bei abnehmernaher bzw. abnehmerferner Fertigung. Bei abnehmerferner Fertigung ist weder
Direktbelieferung noch Sammelbelieferung möglich. Der Hersteller muss über ein
werksnahes Lager versorgt werden. Dieser Fall wurde in den letzten Jahren in der
Fachpresse unter Begriffen wie Zulieferpark und Industriepark rege diskutiert.
Gareis hat definitorische Merkmale eines Industrieparks erarbeitet (2002a, S.11). Mehrere Lieferanten siedeln sich in räumlicher Nähe eines Kunden an und bilden eine
„Standortgemeinschaft“ mit dem Ziel einer „sicheren und kostengünstigen JiTVersorgung“. Dieser Prozess findet nicht zufällig statt, sondern ist als „bewusster Gestaltungsakt“ zu interpretieren. Vahrenkamp und Becker (2005, S.17) haben eine Studie über Industrieparks durchgeführt. Sie legen eine Kategorisierung vor und befassen
sich mit Entwicklungsbedarfen aus Sicht der beteiligten Parteien. Mit steigender Verantwortungsbündelung unterscheiden sie den klassischen Zulieferpark, die Automotive
Community, die Business Mall und das Produktionsversorgungszentrum. Besonders
hohe Betätigungspotenziale für LDL bieten sich in den letzten beiden Kategorien. In
der Business Mall sind ca. 60-80 Lieferanten angesiedelt. Die Lieferanten führen dort
keine wertschöpfenden Aktivitäten durch. Im Produktionsversorgungszentrum sind mit
15-20 Lieferanten deutlich weniger Parteien angesiedelt, die dort jedoch mit ca. 20%
ihrer Wertschöpfung signifikante Aktivitäten durchführen.
Die Autoren konstatieren einen Veränderungsbedarf bei zahlreichen der untersuchten
Industrieparkmodelle (S.18f). Für einige Lieferanten stellen sich die Modelle nicht als
echte Win-Win-Konstellationen dar. Die finanziellen Risiken, welche aus einer Unterauslastung resultieren, tragen vor allem sie. Demgegenüber stehen Synergiepotenziale
von Industrieparks, die in vielen Fällen noch nicht voll ausgeschöpft worden sind.
Vahrenkamp und Becker identifizieren als zentralen Trend bzgl. Industrieparks, dass
Verantwortungen gebündelt werden und die gesamte Parkkoordination durch eine Partei (bspw. einen LDL) wahrgenommen wird. Dies schafft interessante Perspektiven für
LDL. Des Weiteren werden Best-Practices aus diversen Industrieparkmodellen vorgestellt, mit denen die geforderten Verbesserungen umsetzbar sind. Aus Synergiegesichtspunkten ist bspw. der Automotive Supplier Park in Rosslyn in Südafrika interessant. Dort werden mit BMW, Fiat, Ford und Nissan vier OEMs versorgt. Gleichzeitig
ist man dort bestrebt, nicht nur Tier-1-Lieferanten, sondern ein tiefes Lieferantennetzwerk (bis Tier-N) anzusiedeln und dies bei vergleichsweise niedrigen Lohnkosten.
Kontingenzmodell
89
In Abbildung 19 sind mögliche Leistungen getrennt nach den Bereichen JiT und Industriepark dargestellt. Bei den aufgeführten Leistungen handelt es sich nur dann um logistische Mehrwertleistungen, wenn sie die Definitionsmerkmale aufweisen:
Die Leistung basiert im weiteren Sinne auf logistischen Aufgaben bzw. Prozessen;
Es handelt sich nicht um eine Standardleistung aus den Bereichen Transport,
Umschlag oder Lagerhaltung;
Die externe Erbringung der Leistung durch spezialisierte Dienstleister schafft
aufgrund verbesserter Material-, Informations-, Finanz- und/oder Rechteflüsse
eine Netto-Wertsteigerung im Vergleich zur internen Erbringung durch den
Mandanten.
JiT- und JiS-Leistungen
Grunddatenmanagement, Lieferabrufe, Montageaufträge, Tracking und Tracing
InboundTransport,
Konsolidierung
Wareneingang,
Lagerung
Kommissionierung,
Montage,
Sequenzierung,
Qualitätskontrolle,
Entsorgung
Versand,
Outbound-Shuttle,
Behältermanagement
Industriepark-Leistungen
Planung und
Aufbau
Grobkonzept,
Betreibermodell,
Investormodell,
Planung,
Errichtung,
Verhandlung
Anlagen
Gebäude
Mitarbeiter
Sonstiges
Beschaffung
Installation
Wartung
Instandhaltung
Reinigung
Objektschutz
Akquise
Schulung
Kantine
Datenverarbeitung,
Rechnungswesen
Abbildung 19: Mögliche Leistungen in den Bereichen JiT, JiS und Industriepark
Quelle: Eigene Darstellung basierend auf (Gareis 2002a, S.48, 129, 134)
Der Inbound-Transport allein ist dementsprechend keine Mehrwertleistung. Er bildet
jedoch eine Komponente einer JiT-Mehrwertlösung. Hochqualifizierte LDL erbringen
JiT-Lösungen für Mandanten aus diversen Branchen und können aufgrund von Spezialisierungs- und Lerneffekten einen Mehrwert gegenüber der internen Erbringung erzeugen. Sie können bspw. Software für die Auftragssteuerung entlang der JiT-Prozesse
entwickeln. Die Leistungsübersicht umfasst auch einige logistikfremde Leistungen wie
90
Kontingenzmodell
Kantine und Objektschutz. Für diese Leistungen werden üblicherweise Spezialanbieter
vom Parkbetreiber unterbeauftragt.
3.2.2.2 Postponement
Postponement ist ein Konzept, welches Produkte und Prozesse so gestaltet, dass die
Umsetzung von Kunden- oder Länderanforderungen möglichst spät erfolgt. Es stellt
eine Umsetzungsmöglichkeit von Mass Customization, und damit eine Kombination
aus Massenproduktion und Kundenwunschproduktion, dar. Die Bestandskosten können reduziert werden, weil anstatt kundenspezifischer Varianten generische Produkte
auf Lager gehalten werden. Der Bedarf an generischen Produkten kann genauer prognostiziert werden, weil die Vorhersage verglichen mit den vielen Varianten auf aggregiertem Niveau erfolgt. Unternehmen, die Postponement umgesetzt haben, werden
häufig als besonders kundenorientiert wahrgenommen, da sie eine Vielfalt von Varianten mit vergleichsweise kurzen Lieferzeiten anbieten können (Christopher 2005,
S.216).
Postponement findet vor allem in anspruchsvollen sogenannten „hybriden“ Logistiknetzwerken Anwendung. Diese Logistiknetzwerke stellen eine Kombination von
schlanken und agilen Merkmalen dar. Sie sind besonders anspruchsvoll, weil die Versorgung mit langen Wiederbeschaffungszeiten verbunden ist und gleichzeitig die
Nachfrage schwer vorhersagbar ist. Ein sogenannter Entkopplungspunkt trennt in solchen Netzwerken effizienzorientierte und reaktionsfähige Prozesse. Stromaufwärts
vom Entkopplungspunkt werden unter möglichst hoher Kapazitätsauslastung prognosebasiert generische Module produziert. Stromabwärts wird basierend auf nicht verzerrtem „real Demand“ die Kundenindividualisierung vorgenommen (Christopher
2005, S.117ff).
Mason-Jones und Towill (1999, S.18) unterscheiden je nachdem, ob die funktionale
und/oder räumliche Gütertransformation aufgeschoben wird, vier Stufen des Postponement. „Full Postponement“ bezeichnet bspw. den Fall, dass räumliche und funktionale Transformation aufgeschoben werden, wohingegen „Full Speculation“ sich auf
eine Situation bezieht, in der Varianten gebildet und bis in die unterste Stufe des Distributionsnetzes verteilt werden.
91
Materialfluss
Informationsfluss
Finanz- und
Rechtefluss
Kontingenzmodell
Abrechnung, Bestandsfinanzierung
Beratung
Verpackung
Prozesse
IT
Grunddatenund
Auftragsmanagement
Operatives
Beschaffungsund Transportmanagement
Konfigurationsmanagement
Postponement
InboundTransport,
Konsolidierung
Lagerhaltung,
Kommissionierung
Endmontage
Produktkonfiguration
Test
Verpackung
Installation
OutboundTransport,
Konsolidierung
Vermutete Spezifität
Generisch
Segmentspezifisch
Mandantenspezifisch
Abbildung 20: Mögliche Komponenten einer Postponement-Lösung
Postponement findet häufig in Distributionskanälen statt, in denen LDL eine zunehmend wichtigere Rolle einnehmen (van Hoek 2000, S.374ff). In Abbildung 20 sind
mögliche Komponenten einer Postponement-Lösung dargestellt, so wie sie von einem
LDL erbracht werden könnte. Die Darstellung ist nach den logistischen Flüssen gegliedert und nimmt auf die vermutete Spezifität der Aufgaben Bezug.
Die Entwicklung von Postponement und verwandten Mehrwertleistungen hat van
Hoek in mehreren aufeinanderfolgenden Jahren durch die Befragung von LDL untersucht. Für 1999 diagnostiziert er, dass Postponement-Leistungen noch keine hohe Bedeutung für das Geschäft von LDL aufweisen. Die Befragten erwarten jedoch mittelfristig für fast alle Postponement-Leistungen – egal ob Verpackung oder Endmontage eine steigende Bedeutung. Laut Analysen des Autors hängt die Bedeutung von Postponement-Leistungen für LDL davon ab, wie ihre Fähigkeiten in den Bereichen Account Management, IT-Integration und Performance-Messung sind. Logistikdienstleister, die in den drei Bereichen überdurchschnittliche Fähigkeiten aufweisen, haben
signifikant mehr Erfahrung mit Postponement-Leistungen. Van Hoek erklärt dies u.a.
damit, dass Postponement-Prozesse komplexer als bspw. Lagerprozesse sind (S.379)
und dass mit Hilfe von dedizierten Account Managern ein präziseres Verständnis der
92
Kontingenzmodell
Kundenbedürfnisse geschaffen werden kann. Eine Postponement-Lösung besteht aus
Leistungsbausteinen, die unterschiedliche Organisationseinheiten bei LDL und Mandant betreffen. Ein Account Manager kann bei der Koordination und Integration der
Bausteine eine wichtige Rolle einnehmen.
3.2.2.3 Completely Knocked Down (CKD)
In den letzten Jahren haben Automobilhersteller ihre Montagekapazitäten in Übersee
ständig ausgebaut. Die Etablierung globaler Produktionsnetze geschieht mit den Zielsetzungen, Kostenstrukturen zu verbessern und gleichzeitig kundennah in wachsenden
Märkten präsent zu sein. DaimlerChrysler bspw. verschifft ca. 40 000 Bausätze seiner
C-Klasse in das Werk in Südafrika (Höcherl und Seide 2002, S.34). Ähnliches gilt für
zahlreiche Hersteller in den aufstrebenden asiatischen Märkten. Wenn man
berücksichtigt, dass ein Bausatz durchschnittlich aus 1500 Teilen von 450 Lieferanten
besteht, dann wird der enorme Koordinationsaufwand eines solchen Logistikkonzepts
deutlich.
Die Motivation dieses Konzepts für OEMs liegt darin, dass durch die Versendung von
Bausätzen anstatt fertiger Fahrzeuge (Completely Build Up, CBU), Einfuhrquoten und
-zölle umgangen werden können. Daher nutzen auch einige Systemlieferanten diesen
Ansatz (Voigt 2005, S.42f). Bei der Versendung von Bausätzen unterscheidet man
verschiedene Konzepte wie Completely Knocked Down und Part by Part (PbP)
(Höcherl und Seide 2002, S.34). Der erste Ansatz sieht vor, dass Bausätze entsprechend der Produktionslose im empfangenden Werk bestellt und geliefert werden. Dies
impliziert, dass komplette Bausätze – inklusive C-Teilen – verpackt und versendet
werden. Damit ergeben sich tendenziell geringere Bestände in der Senke. Dieses Konzept ist jedoch mit hohen Anforderungen an die Prozessqualität verbunden. Der Verpackungs- und Kontrollaufwand ist tendenziell höher als beim PbP-Vorgehen. Wenn
die Lieferung der Teile nicht so eng mit dem Produktionsplan des Empfängerwerks
synchronisiert ist, dann spricht man von Part-by-Part-Versorgung. Dieses Vorgehen
impliziert höhere Bestände an der Senke, eröffnet jedoch gleichzeitig Freiheitsgrade
für die Verpackungs-, Beladungs- und Transportoptimierung. Voigt (S.42) stellt fest,
dass die Vorgehensweise vor allem von den Produktionsvolumina abhängt, wobei sich
CKD eher bei hohen Volumina eignet.
Kontingenzmodell
93
In Abbildung 21 ist ein mögliches Aufgabenspektrum für Logistikdienstleister im
CKD-Umfeld und eine denkbare Abgrenzung zu den Kompetenzen des OEM dargestellt.
Die Planungsprozesse von Automobilherstellern und ihr Grunddatenmanagement sind
sehr komplex und bleiben wohl auf absehbare Zeit in ihrem Kompetenzbereich. Aufgrund niedriger Produktkomplexität kann dies in anderen Branchen anders aussehen.
Die Aktivitäten des LDL und der Lieferanten werden i.d.R. über Lieferabrufe des
OEM gesteuert. Die Auswahl von Transportdienstleistern kann sowohl vom OEM als
auch vom Logistikdienstleister erbracht werden. Der OEM hat Erfahrungen im Aufbau
von Gebietspeditionsnetzwerken und in der Konsolidierung von Versorgungsströmen.
Auf der anderen Seite ist der LDL für einen Grossteil des Materialflusses verantwortlich und kann somit Kapazitätsbedarfe und -angebote kurzfristig und flexibel miteinander abgleichen.
OEM
Prozessdesign
Änderungsmanagement
Produktionsplanung
Lieferabrufe
LDL
Umsetzung von
Änderungen und
Lieferabrufen
Generierung von Transport-,
Kommissionier-, Pack- und
Beladungsaufträgen
SCEM
Leistungsmessung
Verzollung
Administrative Aufgaben
Vorlauf
Korrosionsschutz
Exportverpackung
Hauptlauf
Wareneingang
Vorverpackung
Containerbeladung
Nachlauf
Qualitätskontrolle
Lagerhaltung
Physische Aufgaben
Erwartete Spezifität
Generisch
Segmentspezifisch
Mandantenspezifisch
Abbildung 21: Mögliche Aufgaben für LDL im Bereich CKD
Eigene Darstellung basierend auf (Höcherl und Seide 2002, S.35)
Im Laufe des Lebenszyklus von Automobilen ändert sich ein hoher Anteil der verwendeten Teile. Diese Änderungen müssen in den Informationssystemen nachgeführt und
94
Kontingenzmodell
in den Ausführungsprozessen berücksichtigt werden. Nur auf Basis von aktuellen
Grunddaten kann das Auftragsmanagement die Zusammenstellung der Bausätze ordnungsgemäss ausführen. Mit Hilfe der Lieferabrufe steuert der Logistikdienstleister die
physischen CKD-Prozesse, indem er daraus Transport-, Kommissionier-, Verpakkungs- und Beladungsaufträge generiert. Je nachdem, ob man den CKD-Standort und
damit den Konsolidierungspunkt in die Nähe des OEM oder eines Seehafens setzt,
kann man Synergien mit anderen Transportströmen des Herstellers bzw. des LDL erzeugen.
Hohe Distanzen führen zu langen Wiederbeschaffungszeiten in den Überseewerken.
Daher betonen Höcherl und Seide (S.34) das Prinzip einer „Null-Fehler-Toleranz“ in
allen Prozessen. Daraus folgt für den Wareneingang, dass der LDL die eingehende
Ware mit den Lieferabrufen bzgl. Art und Menge vergleicht und auf Beschädigungen
untersucht. Die Verpackungsprozesse können entweder in einem oder mehreren
Schritten durchgeführt werden. Dies hat u.a. Konsequenzen für den Platzbedarf im
Lager und die Reaktionszeiten bei der Versendung. Im ersten Schritt, können Teile
vorverpackt oder gegen Korrosion durch das Aufbringen eines Ölfilms geschützt werden. Im zweiten Schritt verpackt der LDL ein breites Spektrum an Gross- und
Kleinteilen exportgerecht und etikettiert sie. Danach führt er die Containerbeladung
durch und berücksichtigt dabei die Zielgrössen, Laderaumnutzung und
Ladungssicherheit.
Der LDL bucht bei der Reederei Kapazitäten für den Hauptlauf nach Übersee. In Sonderfällen muss er bei dringenden Bedarfen auch den Luftweg einsetzen, wodurch jedoch hohe Kosten entstehen. Am Zielort führt er die Verzollung durch und organisiert
den Nachlauf zum Werk des OEM. Oymann et al (2005, S.91) betonen, dass die Überseeversorgung mit einer Lieferzeit von 30-40 Tagen verbunden und dabei einer starken
Nachfrage- und Versorgungsunsicherheit unterworfen ist. Um den anspruchsvollen
CKD-Gesamtprozess verlässlich und transparent abzuwickeln, bietet sich der Einsatz
von Werkzeugen für Supply Chain Event Management an.
Kontingenzmodell
95
3.2.3 Informationsfluss
In Abbildung 22 wird die Leistungstypologie hinsichtlich des Informationsflusses weiter konkretisiert. Für die vier Bereiche Design, Planung, Fulfillment und Monitoring
werden jeweils die wichtigsten logistischen Mehrwertleistungen aufgelistet. Nachfolgend werden mögliche Aufgabenumfänge, Kompetenzverteilungen zwischen LDL und
Mandanten, Verbesserungen sowie Risiken am Beispiel des Logistiknetzwerk-Designs
und des Supply Chain Event Management dargestellt.
RFID, Barcode
Tracking & Tracing
Supply Chain Event Management
Prozesskostenrechnung
Reporting, Controlling
Customer
Collaboration
Supplier
Collaboration
Bedarfsplanung
Transportplanung
Produktionsplanung
Bestandsplanung
Monitoring
Planung
Informationsfluss
Fulfillment
Auftragsmanagement
Available-to-Promise
Kundenservice
Call Center
Betrieb von
IT-Systemen
Design
Logistiknetzwerk-Design
Prozessdesign
Entwicklung von IT-Systemen
Abbildung 22: Mehrwertleistungen des Informationsfluss
3.2.3.1 Logistiknetzwerk-Design
Die Bedeutung von Logistiknetzwerken für die Wettbewerbsposition von Unternehmen wird deutlich, wenn man zwei Aspekte betrachtet. Der Anteil der Logistikkosten
an den Gesamtkosten ist mit 8,2% in der Automobilindustrie und 27,6% im Handel
erheblich (Baumgarten und Thoms 2002, S.14). Andererseits erreichen die wenigsten
Unternehmen eine zufriedenstellende Logistikleistung, wenn man ein strenges Kriterium wie Perfect Order32 zugrunde legt (Fawcett und Cooper 1998, S.355). Daher gestalten erfolgreiche Unternehmen ihre Logistiknetzwerke um, damit sie gegenüber
Wettbewerbern Vorteile erzielen können.
32
„Complete orders delivered to customers by requested date and time in perfect condition, including all documentation“ (Fawcett und Cooper 1998)
96
Kontingenzmodell
Hoppe und Conzen (2002, S.12f) nennen Merkmale, die darauf hindeuten, dass Unternehmen über eine Umgestaltung ihrer Logistiknetzwerke nachdenken sollten.
Markteintritte können erfordern, dass Netzwerke erweitert werden bzw. ihre Schwerpunkte verschieben. Im Falle von Akquisitionen sollten Unternehmen prüfen, ob eine
Konsolidierung der Netzwerke zu Synergien führt. Sobald ein Unternehmen über einen längeren Zeitraum deutliche Probleme mit seiner logistischen Performance hat –
bspw. hohe Bestände oder einen niedrigen Lieferservice -, dann sollte es untersuchen,
inwieweit sie sich auf die Netzstruktur zurückführen lassen. Weitere Anhaltspunkte
lassen sich in der Organisationsstruktur finden. Wenn bei einem Mandanten in Freihandelszonen wie der Europäischen Union Läger von Landesorganisationen verantwortet werden, wenn Läger selber betrieben werden oder wenn an mehreren Stellen in
der Organisation Logistikleistungen unkoordiniert beschafft werden, dann lassen sich
Umgestaltungspotenziale vermuten.
Eine Umgestaltung von Netzwerken bedeutet, dass die Netzwerkressourcen auf die
aktuelle Unternehmens- und Logistikstrategie ausgerichtet werden. Im Laufe eines
Netzwerk-Designs müssen zahlreiche Zielkonflikte analysiert werden. Unternehmen
müssen bspw. die grundlegende Entscheidung treffen, wie sie für bestimmte ProduktMarkt-Kombinationen die Servicegrade und Logistikkosten ausbalancieren wollen.
Zwischen den Komponenten der Logistikkosten – Bestandskosten, Lagerhaltungskosten, Transportkosten, Losgrössenkosten und Kosten des Informationsmanagement existieren wiederum weitere Zielkonflikte, die mit der Entscheidung über eine Netzstruktur zu einem grossen Teil festgelegt werden (Stock und Lambert 2001, S.193).
Straube (2005) schlägt ein fünfstufiges Vorgehen für das Design von Logistiknetzwerken vor. Im ersten Schritt werden die Anforderungen analysiert, die kundenseitig an
Lieferzeiten, Lieferkosten und Lieferservicegrade gestellt werden. Im zweiten Schritt
werden die bestehenden Strukturen des Netzwerks untersucht. Existierende Quellen
und Senken stellen Restriktionen dar, weil ihre Nichtberücksichtigung zu erheblichen
Kosten führen kann. Für die kapazitative Auslegung des Netzwerkes untersucht man
im dritten Schritt die Mengengerüste, also u.a. die Bedarfsmengen und ihre räumlichen
und zeitlichen Verteilungen. Der vierte Schritt leitet die Gestaltung ein. Hier wird entschieden, wie viele Knoten an welchen Standorten mit welchen Funktionen genutzt
werden und welche Versorgungs- und Liefergebiete ihnen zugeordnet werden. Damit
wird die Netzwerkstruktur gestaltet. Abschliessend müssen innerhalb der Strukturen
Kontingenzmodell
97
die Prozesse entlang der Knoten und Kanten des Netzwerkes gestaltet werden. U.a.
werden Fahrpläne, Routen und Transportmodi festgelegt.
Mit dem 4PL zeichnete Andersen Consulting das Idealbild eines hochentwickelten
Logistikdienstleisters, dessen Ziele mit denen des Mandanten harmonisiert sind und
der als „Visionary“, „Re-engineer“ und „Change Leader“ im Logistiknetzwerk des
Mandanten agiert (Christopher 2005, S.296f). Die Komplexität und Spezifität vieler
Logistiknetzwerke heutzutage lässt vermuten, dass diese Rolle in ihrer Reinform in
naher Zukunft nicht eingenommen werden kann. Rudberg und Olhager (2003, S.30)
weisen darauf hin, dass sich in Wertschöpfungsnetzwerken interdependente Produktionsnetzwerke und Logistiknetzwerke überlagern. Diese sind aufgrund getrennter Zuständigkeiten häufig nicht optimal aufeinander abgestimmt. Dementsprechend stellt
Fine (1998, S.127) fest, dass Unternehmen, die Produkte, Prozesse und Netzwerke
simultan gestalten, Wettbewerbsvorteile erlangen können. Ein solches Vorgehen erfordert interdisziplinäre und ggf. unternehmensübergreifende Teams. Ein LDL kann
dabei nur eine tragende Rolle spielen, wenn er mit umfangreichem Wissen und Durchsetzungskraft ausgestattet ist.
Markterschließung
Standortsetzung
Logistik ein Aspekt
der Aufgabenstellung
Lieferantenauswahl /
Make-or-Buy-Entscheidung
Bewertung Produktionsstrategie
(Gleichteile, Variantenbildung)
Bestimmung Werkbelegung
(u.a. bei Produkteinführung)
Gestaltung Versorgungsprozesse
reine Logistikaufgabe
Gestaltung Distributionsnetzwerk
Bewertung / Auswahl
Logistikdienstleister
Behältermanagement
Festlegung Transportrelation / Transportmittel
Planungshorizont
Abbildung 23: Aufgaben des Netzwerk-Designs
Quelle: (Straube 2005)
Immer weniger Unternehmen erachten heutzutage Ausführungsaktivitäten in Logistiknetzwerken als ihre Kernkompetenz (Hoppe und Conzen 2002, S.18). Entsprechend sollten sie überprüfen, ob eine Zuordnung ausgewählter Design-Aufgaben auf
die Akteure, welche aufgrund der Ausführung bereits über umfassendes Wissen verfü-
98
Kontingenzmodell
gen, vorteilhaft ist. In Abbildung 23 sind Aufgaben des Netzwerk-Designs nach ihrem
Planungshorizont und ihrem Logistikbezug aufgetragen. Basierend auf den obigen
Ausführungen und auf Mandanten-Interviews ist davon auszugehen, dass sich für LDL
vor allem Betätigungsfelder im Bereich der Design-Aufgaben mit reinem Logistikbezug und mit kurzem sowie mittlerem Planungshorizont ergeben.
Es gibt zahlreiche Faktoren, die den Einsatz von LDL für Design-Aufgaben im Logistiknetzwerk begünstigen. LDL betreiben umfangreiche Netzwerke aus Transport-,
Lager- und IT-Ressourcen. Netzwerkmanagement sollte daher eine Kernkompetenz
führender LDL sein. LDL können ihre eigenen Netzwerke mit denen von Mandanten
verknüpfen und damit Skaleneffekte erzeugen. Sie können das operative Wissen ihrer
Mitarbeiter und Informationen aus Tracking & Tracing bzw. Supply Chain Event Management-Systemen für die Umgestaltung von Netzwerken nutzen.
„(Hat der 4PL Design-Software im Einsatz?) Das macht der 4PL schon für uns.
Wir haben da momentan ein grosses Projekt, wo wir die Wertschöpfungsketten
global optimieren. (...) Wir haben uns von unseren wichtigsten Kunden Aufträge
ausgesucht und uns dann aufgemalt, wie die Ware eigentlich geflossen ist. (...)
Wie lange die unterwegs waren, zu welchen Kosten. In der nächsten Phase werden die Daten in ein Modelling-Tool eingegeben, was auch dem 4PL-Partner gehört. (Erwarten sie Lernkurvenvorteile beim LDL?) Das ist, was wir uns davon
erhoffen, nicht so sehr die tägliche Logistik zu übernehmen. Da kommen nicht
die grossen Einsparungen her.“33
LDL können Design-Know-how und spezialisierte Software-Werkzeuge für mehrere
Kunden einsetzen und damit Verbundeffekte erzeugen. Dies ist vor allem für mittelständische Mandanten interessant, die sich keine eigenen Design-Experten leisten
können. LDL können als Logistikberater agieren, die Successful-Practices in ihren
Kontrakten dokumentieren und auf andere Mandanten übertragen.
Hoppe und Conzen (2002, S.49) nennen vier „Grundsätze“, über die bei einer Umgestaltung von Netzwerken entschieden werden muss: Flexibilität, Standardisierung,
Zentralisierung und Differenzierung. Vor allem zu den ersten drei Grundsätzen können
LDL einen grossen Beitrag leisten. Je weniger spezifisch die Anforderungen des Mandanten sind, desto besser kann der LDL ein strukturell, mengenmässig und technolo33
Interview Mandant 21.02.2005
Kontingenzmodell
99
gisch flexibles Netzwerk knüpfen. Zahlreiche Entwicklungen deuten darauf hin, dass
im Rahmen der Globalisierung flexible Logistikstrukturen wichtiger werden. Grosse
Mandanten setzen zunehmend auf zentrale europäische Strukturen in Marketing, Produktion und Logistik. Nach sinkenden Transportkosten aufgrund von Deregulierung
beobachten die Autoren jedoch eine Trendumkehr durch Ökosteuer und LKW-Maut
mit Konsequenzen für die Netzwerkkonfiguration. Es bietet sich an, die Umgestaltung
einer Netztopologie mit einer Fremdvergabe von Logistikleistungen zu verbinden.
Damit trägt der LDL die Risiken für den Aufbau der neuen Infrastrukturen und die
Migration dahin. Dienstleister können für ihre Mandanten die Implementierung neuer
Identifikationstechnologien wie RFID im Netzwerk vorantreiben. Dadurch verbessern
sie die Visibilität und reduzieren ggf. die erforderliche Stufigkeit von Netzwerken. Als
Ergebnis können trotz eines volatilen Umfelds reaktionsschnelle Versorgungs- und
Distributionsnetzwerke realisiert werden (Straube et al. 2005, S.245).
Allerdings gibt es auch einige Argumente, die gegen die Vergabe strategischer Aufgaben an LDL sprechen. Manche Mandanten trauen LDL nicht zu, dass sie immer neutral agieren und ihnen die tatsächlich besten Standorte bzw. Transportverbindungen
anbieten. Mandanten wollen eine hohe Transparenz über das Handeln des LDL, was
schwer umsetzbar ist. Sofern keine umfangreichen Messsysteme vorliegen, kann ein
Mandant nie sicher sein, ob alle Einsparungen transparent gemacht und verteilt werden. Für eine anspruchsvolle Gestalterrolle des LDL müssten seine Kompetenzen und
Verantwortungen massiv ausgeweitet werden. Ansonsten hätte er nicht genug Autorität, um Veränderungen gegenüber internen Funktionen sowie externen Netzwerkpartnern durchzusetzen. Wenn ein Mandant solche Design-Aufgaben über Jahre durch externe Parteien erbringen lässt, dann kann er zudem die Beurteilungskompetenz auf diesem Gebiet verlieren.
„(Wir halten das) für unsere ureigenste Aufgabe, dieses Design selber zu übernehmen. Das kann man nicht outsourcen. Man kann sich unterstützen lassen.
Aber da ich mit der Entwicklung sprechen muss: Was muss ich tun, um hier noch
Potenziale zu heben? Man muss mit dem Einkäufer reden und gucken wie man
die Liefernetze aufbaut. Da hätte ein Dienstleister auch nicht die Durchschlagskraft, die man braucht um solche Themen zu vertreten.“34
34
Interview Mandant 24.02.2005
100
Kontingenzmodell
Die Vergabe von Design-Aufgaben wird offensichtlich mit steigender Produktkomplexität unwahrscheinlicher. Die Produktkomplexität ist bspw. bei Automobilen höher als
bei Lebensmitteln. Im Falle einer hohen Komplexität bleibt dem LDL aber immer
noch eine unterstützende Rolle. Wenn ein Mandant Design-Aufgaben fremdvergibt,
dann muss er in regelmässigen Intervallen das Konzept des LDL benchmarken, um
seine Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen.
3.2.3.2 Supply Chain Event Management
Die Struktur von Warenströmen hat sich in den letzten Jahren stetig gewandelt. Im
Gegensatz zu früher werden Lieferungen heute tendenziell in kleineren Mengen und
kürzeren Intervallen abgewickelt. Dazu kommt die Tatsache, dass Lieferungen heute
grenzüberschreitender und intermodaler sind. Konsolidierung und Dekonsolidierung
sorgen dafür, dass Transportprozesse interdependenter sind. Die Situation wird noch
anspruchsvoller dadurch, dass heutzutage Logistiknetzwerke mit niedrigen Beständen
ausgestattet sind und durch eine Vielzahl von spezialisierten Dienstleistern betrieben
werden (KPMG Consulting 2002, S.1).
Als eine erste Generation von Monitoring-Systemen kam vor Jahren das Tracking &
Tracing (T&T) auf. Üblicherweise loggen sich Prozessverantwortliche wie Disponenten in ein webbasiertes System ein und werden nach der Eingabe einer Referenznummer über den Status eines logistischen Objektes35 informiert. Diese Lösungen bedürfen
einer Weiterentwicklung, weil sie aufwendig in der Anwendung und beschränkt in
ihrem Informationsnutzen sind. Ausserdem bieten sie immer weniger Differenzierungspotenziale für LDL, weil sie mittlerweile relativ weit verbreitet sind.
Das Konzept Supply Chain Event Management (SCEM) stellt eine neue Generation
des Monitoring dar und kann – falls in einem Unternehmen bereits vorhanden - auf
dem Tracking & Tracing aufsetzen. SCEM basiert nicht auf Stati, sondern auf Events,
welche relevante, positive oder negative Ereignisse in der Supply Chain sind (KPMG
Consulting 2002, S.34) (vgl. auch Stölzle 2004, S.503f). Die Relevanz kann erst dadurch festgestellt werden, dass Ist-Daten mit Plan-Daten verglichen werden. Daher
argumentieren Vertreter dieses Konzeptes, dass es die Lücke zwischen Planung und
Ausführung schliesst (S.29). Wenn man Events frühzeitig aufdeckt und kommuniziert,
dann ist eine schnelle Reaktion und Fehlerbehebung möglich. Das Publish-andSubscribe-Prinzip stellt dabei sicher, dass Informationen an die richtigen Personen in
35
Produkt, Karton, Palette, Container oder Sendung
Kontingenzmodell
101
den Organisationen verbreitet werden. Das SCEM-Konzept umfasst theoretisch ganze
Wertschöpfungsnetzwerke und geht über die Reichweite traditionell auf die Transportfunktion beschränkter T&T-Systeme hinaus.
Wie Tabelle 4 und das folgende Beispiel zeigen, verspricht das SCEM-Konzept bei
korrekter Umsetzung umfangreiche Potenziale auf der Leistungs- und Kostenseite in
Logistiknetzwerken. Im Idealfall werden transparente Netzwerke umgesetzt, in denen
Planabweichungen schnell korrigiert werden und die daher mit niedrigen Beständen
betrieben werden können.
„Zweitens haben wir keine Transparenz über eintreffende Waren gehabt. Wir hatten so eine Ahnung, wann Ware eintreffen würde, aber genau wussten wir es
nicht wegen der langen Durchlaufzeiten. Wir hatten keine konsequenten Ursachenanalysen, wenn etwas länger gedauert hat. Wenn etwas 4 Wochen unterwegs
war, dann kann man schlecht nach einem Monat analysieren, wo ging es denn
schief.“36
Kosten
(Sicherheits)Bestände
Auswahl Routen und
Transporteure
Qualität
Termintreue
Fehlmengensituationen
Ressourcenauslastung
Steuerungsaufwand
Haftungskosten und
Maluszahlungen
Fehlerfolgekosten
Zuordnung von Fehlleistungen
Anreizwirkung
Service
Auskunftsfähigkeit
Managementinformationen für die
Umgestaltung von Prozessen und
Netzwerken
Differenzierung
Kundenbindung
Informationsgrundlage für
Abrechnungen
Dienstleistertransparenz
Transparenz über Unternehmensund Ländergrenzen
Transparenz über Verkehrsträger
Warenrückverfolgung
Reaktionszeit auf Abweichungen
Wartezeit
Tabelle 4: Potenziale von SCEM
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an (KPMG Consulting 2002, S.6)
Bei SCEM handelt es sich um ein anspruchsvolles Konzept, bei dessen Umsetzung
Unternehmen zahlreiche Barrieren überwinden müssen. Auf der technischen Seite haben sich noch keine Standards für die Datenerfassung und -übertragung durchgesetzt.
Die Verfügbarkeit und Qualität von Grunddaten sowie Plandaten ist Voraussetzung
dafür, dass Plan- und Istdaten präzise und aussagekräftig verknüpft werden können.
36
Interview Mandant 17.02.2005
102
Kontingenzmodell
Logistiknetzwerke sind heute nicht selten fundamentalem Wandel ausgesetzt. Geschäftsbereiche werden ge- und verkauft, Produktion wird verlagert und Lieferanten
werden ausgetauscht. Es besteht damit die Gefahr, dass Systeme mit diesem Wandel
nicht mithalten können.
Aus betriebswirtschaftlicher Sicht stehen den hohen Implementierungskosten schwer
quantifizierbare Potenziale gegenüber. Informationsbasierte Leistungen wie SCEM
sind bzgl. der Verrechenbarkeit schwerer zu handhaben als klassische Basisleistungen,
weil sich der Wert für den Mandanten aus der Bereitstellung des Systems, der Nutzung
und der Erfolgswirkung ergibt. Es besteht weiterhin die Gefahr, dass Mitarbeiter und
Geschäftspartner das System obstruieren, weil sie bspw. durch fehlerhafte Events in
ihrer Produktivität beeinträchtigt wurden oder weil sie eine zu hohe Transparenz
fürchten.
Beim Aufbau von SCEM-Systemen ergeben sich drei wesentliche Gestaltungsdimensionen: das technische Konzept, die Beschaffungsstrategie und die Aufgabenverteilung
zwischen Mandant und LDL. Stefansson und Tilanus (2000, S.256ff) haben T&TSysteme anhand von technischen Gestaltungsparametern klassifiziert. Diese lassen
sich auf SCEM übertragen. Unternehmen müssen entscheiden, mit welcher Technologie sie Güter identifizieren möchten, und ob sich die Reichweite des Systems nur auf
Transportprozesse oder darüber hinaus auf Lager- und Produktionsprozesse erstrecken
soll. Das implementierende Unternehmen legt fest, wo es entlang der Prozessstrecke
Messpunkte gibt und auf welcher Granularität die Messung erfolgt – Produkt, Karton,
Palette, Container oder Sendung. Es entscheidet, ob neben den Kerninformationen wie
Ort, Zeit und Identität des Logistikobjekts zusätzliche Informationen wie Quantität,
Qualität oder Temparatur erhoben werden. Für die Nutzer des Systems – vor allem
wenn sie aus anderen Organisationen sind - ist es wichtig, wie bequem sie sich mit
dem System verbinden können. Dies kann manuell über Internetformular oder automatisch durch eine Systemkopplung erfolgen.
Für die Beschaffung von SCEM-Leistungen ergeben sich für Mandanten prinzipiell
vier strategische Optionen. Sie können im eigenen Haus eine interne Lösung aufbauen
oder auf Lösungen bei externen Anbietern zurückgreifen. Kontraktlogistikunternehmen bieten Event-Management-Plattformen an, bei denen mehrere Mandanten mit
einem LDL verknüpft werden. Diese Plattformen haben folglich einen eher privaten
Charakter. Im Gegensatz dazu verknüpfen Application Service Provider auf ihren
Kontingenzmodell
103
Plattformen mehrere Mandanten mit mehreren LDL und bieten daher Plattformen mit
eher öffentlichem Charakter (Bretzke und Klett 2004, S.156ff). Mandanten müssen die
Nachteile durch erhöhte Schnittstellenkosten bei privaten Plattformen mit dem Vorteil
einer exklusiven, differenzierenden Lösung abwägen. Die vierte Variante ergibt sich,
wenn Mandanten interne bspw. produktionsorientierte Systeme mit externen bspw.
logistikorientierten Systemen verknüpfen.
Das SCEM-Konzept hat mit der Behebung von Abweichungen eine ausführungsorientierte und mit der Korrektur fehleranfälliger Prozesse eine gestaltungsorientierte Dimension. Wenn der LDL einen Event nur meldet und nicht zur Lösung autorisiert ist,
dann ist sein Ausführungsfreiraum niedrig und man kann ihm die Rolle des „Transparenzschaffers“ zuschreiben (vgl. Abbildung 24). Das folgende Beispiel zeigt, dass es
nur in einem Kontext Sinn macht, in dem der LDL über eine umfangreiche Informations- und Wissensbasis sowie eine hohe Durchschlagskraft gegenüber Netzwerkpartnern verfügt, ihm die Rolle eines „Exception Managers“ zu übertragen.
„Die Frage ist, kann ein Dienstleister überhaupt optimieren? Stellen sie sich vor,
der Lieferant hat einen Abruf bekommen und liefert nicht, weil er Werkzeugbruch hatte. Wer ist in der Lage zu entscheiden, was da jetzt gemacht wird? Vielleicht haben wir noch 10 Behälter von dem Teil im Lager. Oder wir sagen, es
brennt wir haben kein Teil mehr und das Teil ist im Produktionsprozess kritisch.
Wir schicken dem einen Hubschrauber, der die nächsten fertigen Teile abholt.
Der Externe müsste verstehen, wie unser Produktionsprozess funktioniert und
was kritisch ist. Der (LDL) hätte uns in der Beschaffung unglaublich Arbeit abnehmen sollen. Was davon wirklich funktioniert hat: wenn der Lieferant den Abruf nicht erfüllt, dann macht er die erste Nachfrage, was ist eigentlich das Problem: Werkzeugbruch, Datenübertragung, habe den Abruf nicht erhalten. Er darf
einmal nachfragen und wenn der Lieferant sagt, du bist doch eh nur der Spediteur, dann ist es wieder (der Mandant), der sich kümmern muss.“37
37
Interview Mandant 08.03.2005
104
Kontingenzmodell
SCEM System-Design
++
o
Sammlung Ist-Daten
++
-
o
++
Datenverarbeitung
++
-
Abweichungsmeldung
++
-
Problembeschreibung
++
-
Erste Problemlösung
+
o
Eskalation
o
++
o/+
++
++
o
+
+
Sammlung Plan-Daten
Problemlösung
Reporting
Verbesserungen
im Netzwerk
Ausführungsfreiraum
des LDL
hoch
niedrig
Gestaltungsfreiraum
des LDL
hoch
Aufgabe bei Mandant
niedrig
Aufgabe bei LDL
Prozessberater
Prozessverantwortlicher
Transparenzschaffer
Exception
Manager
Abbildung 24: Aufgaben und Rollen im Rahmen einer SCEM-Lösung (Beispiel)
Wenn ein LDL über längere Zeit für einen Mandanten eine SCEM-Lösung betreibt,
dann kann er umfangreiches Wissen darüber sammeln, wie er die Lösung, aber auch
die von ihm überwachten Prozesse verbessern kann. Wenn er den Gestaltungsfreiraum
hat, dass er das generierte Wissen eigenverantwortlich umsetzen kann, sind für LDL
auch die Rollen „Prozessberater“ oder „Prozessverantwortlicher“ denkbar. Bei der
Aufgabenverteilung zwischen Mandant und LDL muss berücksichtigt werden, welche
Partei aufgrund ihrer Rolle im Wertschöpfungsprozess für eine Aufgabe prädestiniert
ist. Eine exemplarische Bewertung wird in Abbildung 24 vorgenommen. Bspw. kann
ein LDL, wenn er SCEM für mehrere Mandanten implementiert, Vorteile beim System-Design haben. Viele Mandanten geben die Planung von Bedarfen und Beständen
ungern aus der Hand, so dass in vielen Fällen die Sammlung von Plandaten besser
durch den Mandanten erfolgt. Bezüglich der Eskalation und Problemlösung ist je nach
Komplexität und Reichweite der betrachteten Netzwerke eine Zuordnung auf den LDL
bzw. den Mandanten zu prüfen.
Zusammenfasssend lässt sich festhalten, dass SCEM mittelfristig enorme Marktpotenziale für Logistikdienstleister birgt, vor allem im Kontext grenzüberschreitender Logistiknetzwerke. Die obigen Ausführungen deuten darauf hin, dass sich Logistikdienstleister bei SCEM in weiten Bereichen Kompetenzvorteile erarbeiten können. Diese
Kompetenzen sind dann auch Voraussetzung, um langfristig eine tragende Rolle im
Logistiknetzwerk des Mandanten einzunehmen. Um diese Leistung erfolgreich für den
Mandanten einzusetzen, sollten Logistikdienstleister SCEM pragmatisch umsetzen und
Kontingenzmodell
105
neben den technischen nicht die betriebswirtschaftlichen Voraussetzungen wie bspw.
Vertrauen des Mandanten aus dem Blick verlieren.
3.2.4 Finanzfluss und Rechtefluss
3.2.4.1 Überblick
Ähnlich wie Mehrwertleistungen der Produktionslogistik wurden Mehrwertleistungen
des Finanz- und Rechteflusses traditionell nicht als Kernkompetenz von LDL angesehen. Dementsprechend ist in diesem Bereich die Fremdvergabe an LDL noch nicht
weit fortgeschritten. Nachfolgend wird jedoch gezeigt, dass die Übernahme solcher
Aufgaben durch kompetente LDL (vgl. Abbildung 25) die Finanz- und Rechteflüsse
verbessern und Mehrwert für die Beteiligten erzeugen kann.
Beispiel Warendistribution:
Zollbehörde
Mandant
LDL/FDL
Transport
IT-DL
Kunde
Transport
Landesgrenze
Zentrallager
Ausländischer
Kunde
Aufgaben des LDL:
Mandant
LDL/FDL
Kunde
Transport-DL
IT-DL
Zollbehörde
Finanzfluss
Rechnungsprüfung und -zahlung
Internationaler Zahlungsverkehr
Rechnungsstellung
Verzollung
Finanzierung bzw. Leasing von Gebäuden
Finanzierung bzw. Leasing von Anlagen
Bestandsfinanzierung
Forderungsankauf, Forderungsmanagement
Versicherungen
Rechtefluss
Contracting mit LDL
Contracting mit IT-DL
Contracting mit Finanz-DL
Aufgabenverantwortlich
Beteiligt
Abbildung 25: Mehrwertleistungen des Finanz- und Rechteflusses38
Wenn man sich an dem in Abbildung 25 dargestellten Warenfluss orientiert, dann ergeben sich zahlreiche Möglichkeiten, bestehende Finanzflüsse durch die Einbeziehung
38
FDL = Finanzdienstleister, IT-DL = Informationstechnik-Dienstleister
106
Kontingenzmodell
von LDL mit Finanzierungskompetenz39 zu verbessern. Die Bereitstellung von Logistikkapazitäten ist in vielen Branchen sehr kapitalintensiv. In diesem Fall ist die Finanzierung bzw. das Leasing von Logistikgebäuden und Fördertechnik zu prüfen. Die
Einschaltung eines LDL für das Leasing von Logistikanlagen kann dem Mandanten
zahlreiche Vorteile bringen (von Eisenhart-Rothe und Jütte 2003, S.155). Die Liquiditätsstruktur lässt sich für ihn verbessern und transparenter gestalten. Er kann u.U. regelmässig von technischen Neuerungen profitieren. Darüber hinaus bieten sich Möglichkeiten, Steuereffekte zu erzielen und über eine veränderte Bilanzstruktur die Bonität zu verbessern. Als viel diskutierte Mehrwertleistung des Finanzflusses wird die
Bestandsfinanzierung unten gesondert dargestellt.
Die Abwicklung globaler Warenströme unterliegt zahlreichen Risiken. Ein kompetenter LDL kennt den Materialfluss seines Mandanten und die damit verbundene Risikobelastung besonders gut. Daher kann es für den Mandanten interessant sein, wenn der
LDL anforderungsgerechte Versicherungsleistungen für ihn auswählt (Stemmler 2002,
S.171). Aufgrund seiner täglichen Arbeit im grenzüberschreitenden Verkehr kann ein
LDL kontinuierlich Wissen über zollrechtliche und sonstige Bestimmungen in diversen Ländern aufbauen. Er kann aus den Sendungsdaten Zollpapiere generieren und
insgesamt für einen reibungsloseren Grenzübergang sorgen. Ähnliches gilt für die
Rechnungsstellung. Wenn der LDL Ware beim Kunden abgeliefert hat, kann er unverzüglich anhand der Lieferdaten eine Rechnung erstellen. Dementsprechend weist
Stemmler (2002, S.171) auf die enormen Potenziale hin, die aus einer verbesserten
Synchronisierung von Finanzflüssen mit bereits vorhandenen Informationsflüssen resultieren. Weil die Warenströme zunehmend grenzüberschreitend werden, kann der
LDL auch Leistungen anbieten, die für den Mandanten den internationalen Zahlungsverkehr beschleunigen und dessen Kosten reduzieren.
Mandanten müssen häufig umfangreiche Forderungen gegenüber Kunden über längere
Zeiträume finanzieren. In diesen Fällen können LDL Unterstützung durch FactoringLeistungen anbieten. Factoring bedeutet, dass der LDL Forderungen des Mandanten
ankauft und das Risiko eines Forderungsausfalls übernimmt. Für diese Leistung behält
der LDL eine Factoring-Gebühr ein, die von der Bonität des Kunden abhängt. Wenn
die Bonität des Kunden besser als die des Lieferanten ist, dann ergeben sich Arbitragemöglichkeiten für die Beteiligten. Der Mandant kann die ihm zugeführte Liquidität
39
In diesem Kapitel wird bei der Verwendung der Abkürzung LDL angenommen, dass es sich um einen FullService-Dienstleister handelt, der umfangreiche Finanzierungskompetenzen aufweist.
Kontingenzmodell
107
für die Begleichung von Rechnungen verwenden und dadurch Skonti realisieren sowie
seine Bilanz verkürzen (von Eisenhart-Rothe und Jütte 2003, S.162f). Häufig werden
neben einem zentralen LDL noch spezialisierte Dienstleister bspw. für Transport oder
IT unterbeauftragt. Die Auswahl, Vertragsverhandlung und Überwachung erfolgt dabei durch den Mandanten, gemeinsam oder durch den LDL. Systemdienstleister können anfallende Rechnungen von Subdienstleistern auf ihre Richtigkeit prüfen und begleichen. Darüber hinaus können sie den Mandanten administrativ entlasten, indem sie
Aufgaben rund um das Contracting mit Subdienstleistern übernehmen.
3.2.4.2 Bestandsfinanzierung
Nachdem Unternehmen in den letzten Jahren an der Abstimmung von Material- und
Informationsflüssen entlang von Wertschöpfungsketten gearbeitet haben, wenden sie
sich verstärkt der Integration von Finanzflüssen zu. Mandanten haben bisher das
Mehrwertpotenzial durch logistikorientierte Finanzdienstleistungen kaum ausgeschöpft. Eine Ursache dafür ist, dass sich Logistik- und Finanzbereiche bisher zu wenig ausgetauscht haben. Mandanten kommen durch Basel II bzgl. ihrer Finanzen unter
stärkeren Handlungsdruck. Grosse Logistikkonzerne, wie Deutsche Post World Net
(DPWN) und United Parcel Service (UPS), haben auf die Trends und Marktpotenziale
mit einer Verknüpfung von Logistik- und Finanzdienstleistungen reagiert.
Je nachdem, ob die Bestände in der Bilanz des Mandanten aufgeführt werden, unterscheidet man zwei Typen der Bestandsfinanzierung: On-Balance und Off-Balance. Im
Falle von On-Balance-Finanzierung bilanziert der Mandant den Kredit als Bankverbindlichkeit auf der Passivseite. Diese Form wird häufig gewählt, wenn ein Mandant
den Zeitraum zwischen Bestellung und Bezahlung durch den Kunden mit einem kurzfristigen Kredit überbrücken möchte. Mit Hinblick auf Basel II geht der Trend dahin,
dass sich die Zinskosten an der Bonität des Firmenkunden orientieren (von EisenhartRothe und Jütte 2003, S.157).
Möchte ein Mandant seine Bilanzstruktur nachhaltig verändern, dann kommt für ihn
die Off-Balance-Variante der Bestandsfinanzierung in Frage. Die Warenverwaltung
erfolgt durch ein neugegründetes, spezialisiertes Unternehmen, an dem sich der Finanz- und Logistikdienstleister sowie der Mandant beteiligen. Wichtige Voraussetzung
ist, dass die Neugründung seiner normalen Geschäftstätigkeit eigenständig nachkommen kann. Dies impliziert, dass weder eine Mehrheit an Eigenkapital oder an Stimm-
108
Kontingenzmodell
rechten noch an betriebsnotwendigen Funktionen bei einer Partei liegt (von EisenhartRothe und Jütte 2003, S.159).
Das Konzept der Off-Balance-Bestandsfinanzierung eignet sich dafür, mit dem Konzept Vendor Managed Inventory (VMI) kombiniert zu werden. Waller et al (1999,
S.183ff) definieren VMI als eine Konstellation, bei der die Wiederbevorratungsentscheidung in einer Lieferanten-Kunden-Beziehung durch den Lieferant bzw. einen
LDL (Disponentenrolle) erfolgt. Der Disponent überwacht die Bestände beim Kunden
und entscheidet über Bestellzeitpunkte, Bestellmengen und Transportrouten. Er wird
über genau definierte Servicegrade gesteuert. Durch eine verbesserte informationstechnische Integration und eine Anreizharmonisierung zwischen Kunden und
LDL/Lieferanten wird der Bullwhip-Effekt wirksam eingedämmt. Durch regelmässigeren Nachschub kann der Zyklusbestand und durch höhere Transparenz der Sicherheitsbestand reduziert werden. Der LDL kann die Nachschubströme intelligent bündeln und durch einen höheren Anteil von Ganzladungen (Full Truck Loads, FTL) die
Transportkosten senken. Auch auf der Service-Seite kann das VMI-Konzept erhebliche Wirkungen freisetzen. Der LDL bzw. Lieferant kann die Planungs- und Koordinationsmechanismen weiterentwickeln und so eine höhere Warenverfügbarkeit beim
Kunden gewährleisten. Sie sind in der Lage, die Dringlichkeit von Bedarfen besser
einzuschätzen und so über mehrere Kunden hinweg eine priorisierte Bestandsauffüllung vorzunehmen.
Bestandsfinanzierung ist ein komplexes Konstrukt (vgl. Abbildung 26), das nur erfolgreich ist, wenn die Ziele der Beteiligten harmonisierbar sind. Von Eisenhart-Rothe und
Jütte (S.158) nennen Zielsetzungen des Mandanten und des Konsortiums aus Finanzdienstleister (FDL) und Logistikdienstleister (LDL). Beide Parteien erwarten, dass die
aus der Bestandsfinanzierung resultierenden Kosten- und Nutzeneffekte gemäss einem
vorher vereinbarten Schlüssel verteilt werden. Der Mandant kann durch die Mehrwertleistung Kapital für andere Investitionsbereiche, wie bspw. Forschung, freisetzen und
damit ggf. eine höhere Verzinsung erreichen. Dadurch, dass er eine externe Dienstleistung in Anspruch nimmt, kann er für seine Planungen mehr Sicherheit und Transparenz bei ausgewählten Kosten und Zahlungsströmen erzielen. Der Mandant erwartet
vom Konsortium, dass die Bestandskosten mindestens konstant bleiben, wenn nicht
sogar durch spezielles Dispositionswissen bzw. durch Anwendung des VMI-Konzepts
gesenkt werden. Wie die Bezeichnung Off-Balance erahnen lässt, ist die entscheidende
Zielsetzung für den Mandanten, seine Bilanz zu verkürzen. Dadurch kann er u.U. sein
Kontingenzmodell
109
Rating verbessern und sich damit Kapital zu günstigeren Konditionen beschaffen. Die
Autoren raten jedoch dazu, eine Realisierbarkeit des gewählten Konstruktes gemäss
IAS bzw. US-GAAP40 fallweise durch Wirtschaftsprüfer untersuchen zu lassen.
Service-Level-Agreement
Lieferant
„Mandant“
Kunden
Beteiligung / Service Level Agreement /
Abnahmegarantie
Bestandsankauf
Ergebnisteilung
Joint Venture
„Bestandsmanagement GmbH“
Unabhängige
Geschäftsführung
Übernahme und Bilanzierung
von Beständen
Bestandsdisposition
Optimierung von Beständen
(Segmentierung, VendorManaged-Inventory)
Bestandsauffüllung
Bestandsauffüllung
VMI-Daten
Beteiligung
LDL / FDL
„Konsortium“
Bestandsfinanzierung (Fremdkapital)
Materialfluss
Informationsfluss
Finanzfluss
Rechtefluss
Abbildung 26: Konstruktion einer Off-Balance-Bestandsfinanzierung (Beispiel)
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an (von Eisenhart-Rothe und Jütte 2003)
Hinter der Bestandsfinanzierung stehen für das Konsortium üblicherweise die Motive,
das Geschäft mit dem Mandanten auszuweiten und ihn durch einzigartige Leistungen
zu binden. Das Konsortium wird üblicherweise eine Konstruktion wählen, die eine
Bilanzierung der Vermögensgegenstände bei sich vermeidet, damit nicht das eigene
Rating verschlechtert wird. Dies wird durch das oben beschriebene Gemeinschaftsunternehmen gewährleistet. Bestandsfinanzierung kann je nach Kontext ein sehr komplexes Vorhaben sein, welches die Kompetenzbündelung von Wirtschaftsprüfern, Juristen
und Unternehmensberatern erfordert. Die Beteiligten sollten Projektkosten in einer
Wirtschaftlichkeitsrechnung berücksichtigen. Der LDL verfügt i.d.R. über eine Informationsbasis, die es dem Finanzdienstleister erlaubt, die Risikobelastung besonders
präzise einzuschätzen und zu reduzieren. Durch die Zusammenarbeit der beiden Geschäftspartner bzw. internen Geschäftsbereiche – bspw. DHL und Postbank im
40
IAS: International Accounting Standards, US-GAAP: Generally Agreed Accounting Principles
110
Kontingenzmodell
DPWN-Konzern – können Verbundeffekte erzeugt werden. Das Konsortium hat ein
Interesse daran, die Kreditkonditionen mit dem tatsächlichen Risiko zu adjustieren
(von Eisenhart-Rothe und Jütte 2003).
Holdren und Hollingshead (1999, S.7) raten Kreditgebern, Bestände entsprechend ihrer Risiken zu segmentieren, um sie anschliessend mit geeigneten Zinssätzen zu versehen. Sie können Risiken mit Hilfe eines Multifaktorenindex klassifizieren. Lagerumschlag und Lebenszyklusphase können Bestandteile eines solchen Indexes sein. Der
Lagerumschlag zeigt, wie effizient Bestandsinvestitionen getätigt werden (S.9). Langsamdrehende Waren sind mit einem tendenziell höheren Risiko behaftet. In den frühen
sowie späten Phasen eines Produktlebenszyklus sind i.d.R. auch erhöhte Risiken von
obsoleten Beständen zu erwarten. Der LDL verfügt in seinen Lagerverwaltungssystemen über umfangreiche und wertvolle Informationen zur Bestandssegmentierung. Er
kann die Indikatoren mit anderen Mandanten – idealerweise der gleichen Branche –
benchmarken und so die Situation beurteilen. Über die Bestandsstruktur kann das
Konsortium aus den Einzelrisiken eine gewichtete Gesamtrisikoprämie berechnen.
Positive Konsequenz von hohen Risikoprämien ist, dass die Dringlichkeit einer verbesserten Bestandsdisposition allen Beteiligten verdeutlicht wird (S.13).
Bestandsfinanzierung ist eine massgeschneiderte Mehrwertleistung, die eine kooperative und vertrauensvolle Zusammenarbeit erfordert. Von Eisenhart und Rothe (S.159)
weisen bspw. darauf hin, dass der Finanzdienstleister auf die üblichen Sicherheiten
weitestgehend verzichten muss, um den Off-Balance-Effekt zu erzielen. Die Geschäftspartner müssen folglich die Risiken einer scheiternden Kooperation managen.
Für den Mandanten ist der von Stenzel (S.145f) beschriebene Zielkonflikt zwischen
niedrigen Finanzierungskosten und der erforderlichen Warenverfügbarkeit relevant. Es
könnte schliesslich sein, dass das Management des Gemeinschaftsunternehmens trotz
Service Level Agreement (SLA) in seinem Optimierungsbestreben die Bestände zu
stark reduziert. Des Weiteren muss der Mandant abwägen, ob er bei einem so anspruchsvollen Vorhaben unter Totalkostenbetrachtung eine Verbesserung für umsetzbar hält. Aus der Sicht von LDL und Finanzdienstleister ergeben sich durch die Bestandübernahme untypische Finanzierungsrisiken wie bspw. überalterte Bestände.
Stenzel (S.145) schlägt vor, Eventualitäten durch eine Abnahmegarantie des Mandanten zu begegnen.
Kontingenzmodell
111
3.2.5 Bedeutung spezifischer Investitionen
Investitionen sind dann spezifisch, wenn sie in einer alternativen Verwendung einen
Grossteil ihres Wertes verlieren. Sie werden u.a. getätigt, um durch einzigartige Aktivitäten und Leistungen zu Wettbewerbsvorteilen zu gelangen. Die Ausführungen über
Mehrwertleistungen in den Kapiteln 3.2.2 bis 3.2.4 verdeutlichen, dass mit der Komplexität der Leistung die Bedeutung von spezifischen Investitionen insgesamt zunimmt. Allerdings kann es zu einer strukturellen Verschiebung kommen. Je mehr sich
LDL den Mehrwertleistungen des Informations-, Finanz- und Rechteflusses zuwenden,
desto mehr gewinnen immaterielle spezifische Investitionen an Bedeutung.
Mandantenspezifisch
Segmentspezifisch /
Branchenspezifisch
Generisch
Potenzial
Wissen
globales Key
Account Team
Branchenspezifisc
he Sprache,
Richtlinien für
Datenkommunikat
ion
VMI-Konzept
IT
Bestände
Produktionssteuer Fertigwaren
ung für
PostponementAktivitäten
Anpassung eines Pooling von
Sap-Systems für Ersatzteilen
einen
Lieferantenpark
Transportplanung Rohstoffe
Anlagen
Stanzmaschine,
Sortieranlage
Standorte
Lager im
Bayerischen
Wald,
Lieferantenzentru
m vor dem
Werkstor
Konservierungsm High-Tech Lager
in Singapur
aschine für
Metallteile
Gabelstapler
Lager am
Frankfurter
Flughafen
Prozess
Prozesse
Standard
Operating
Procedures
Ergebnis
Ergebnis
Montiertes
Produkt,
Verfügbarkeitsmel
dung (ATP)
Sourcing von
Textilien
Bestandsreport,
Servicegrad
Wareneingang
Event-Alert
Tabelle 5: Typen und Beispiele spezifischer Investitionen
Tabelle 5 bildet anhand der Dimensionen „Spezifitätsgrad“ und „Leistungsdimension“
eine Typologie spezifischer Investitionen mit Beispielen aus der Kontraktlogistik.
Spezifisches Wissen kann man definieren als die Entwicklung eines kontextrelevanten
Verständnisses, welches bei der effektiven Problemlösung hilft (Subramani 2004,
S.50). Spezifisches Wissen kann zum einen marketingorientiert sein. Dies ist der Fall
wenn ein LDL ein Key Account Team für einen globalen Kunden aufbaut. Mit diesem
Beziehungsnetzwerk kann man Mandantenbedürfnisse früher erkennen und proaktiv
mit den eigenen Fähigkeiten abgleichen41 (Belz et al. 2004, S.36). Zum anderen kann
das Wissen produktionsorientiert sein. Standortleiter, Schichtführer und Mitarbeiter
müssen das Logistiksystem des Mandanten verstehen, damit sie einen reibungsfreien
Betrieb gewährleisten können.
„Der Dienstleister wird nie unsere DV-Systeme kennen. Wir geben ihnen die
Möglichkeit, bei uns trainiert zu werden. Es ist nicht so, dass wir dafür separat
bezahlen. Wenn er Leute hat, die mit SAP fit sind und die brauchen nur eine kur41
„Der Key Account Manager wird zur „Spinne im Netz“ und koordiniert intern wie beim Kunden“ (Belz et al.
2004)
112
Kontingenzmodell
ze Phase und der andere Anbieter braucht eine längere Trainingsphase, dann
muss er das in seiner Gesamtkalkulation irgendwo berücksichtigen. Wenn einer
von (uns) Prozesse erklärt, dann stellen wir das in der Anlaufphase nicht in
Rechnung. Wenn du nach einem halben Jahr mit neuen Mitarbeitern dastehst und
wir die Arbeit noch einmal machen müssen, dann kostet es Geld.“42
Generisches Logistikwissen und segmentspezifisches Wissen (bspw. über Kommunikationsstandards in der Automobilindustrie) sind häufig Mussanforderungen, um in die
Endauswahl einer Ausschreibung zu kommen. Wenn ein LDL darüber hinaus über
mandantenspezifisches Wissen verfügt, kann er sich dadurch differenzieren.
Unter spezifischen Prozessen versteht man Routinen oder Standard Operating Procedures (SOP) für die effiziente Erledigung von ausgewählten Aufgaben (Subramani
2004, S.48). Diese Routinen bzw. SOPs werden häufig durch IT, die auf die Anforderungen des Mandanten bzw. LDL angepasst wurden, unterstützt und ggf. automatisiert.
Der Mandant muss im Rahmen seiner Prozess- und IT-Strategie beantworten, ob er
selber oder ob eine externe Partei langfristig seine Anforderungen besser abdecken
kann. Die Lücken in den IT-Landschaften führender LDL werden nach Angaben der
Gesprächspartner kleiner. Trotzdem muss dort die Umsetzbarkeit von Mandantenprozessen im Einzelfall geprüft werden. Ein Mandant berichtete beispielsweise, dass sich
der Prozess im ERP des Mandanten abbilden liess. Der Mitarbeiter müsste aber viel
mehr Schritte durchlaufen, was zu einer reduzierten Produktivität führen würde. Der
Mandant muss abwägen, wie er am einfachsten globale Prozess- und IT-Standards umsetzen kann. Er entwickelt entweder eigene IT-Systeme, die vom LDL mitbenutzt
werden, oder er greift auf Systeme des LDL zurück oder er realisiert eine Mischform
aus beiden. Aus dieser Entscheidung leitet sich ab, welche Seite sich der anderen in
Form spezifischer Investitionen anpassen muss.
Bei spezifischen Anlagen handelt es sich um individuelle physische Ressourcen, die
für die effiziente Erledigung von ausgewählten stationären Prozessen sowie Transportprozessen erforderlich sind. Ein LDL kann bspw. die Lagerung von High-TechGütern nur dann ordnungsgemäss ausführen, wenn er das Lager vorher sicherheitstechnisch aufrüstet und es mit Kameras, Zutrittskontrolle und Alarmanlage ausstattet. Die Investition in mandantenspezifische Bestände durch LDL wurde bereits
unter dem Titel Bestandsfinanzierung ausführlich dargestellt.
42
Interview Mandant 08.03.2005
Kontingenzmodell
113
Wenn die Koordinaten einer Logistikimmobilie vom Mandanten vorgegeben werden
und eine alternative Verwendung dadurch erschwert wird, kann man von einem mandantenspezifischen Standort sprechen. Dyer (1994, S.176f) hat für die Automobilindustrie herausgefunden, dass mit sinkender Distanz der Lieferanten vom Werk des
OEM43 Vorteile in den Bereichen Bestandskosten, Time-to-Market und Qualität resultieren. Der Autor erklärt dieses Phänomen mit der Möglichkeit, dass Hersteller und
Lieferanten regelmässig und bei Bedarf persönlich miteinander kommunizieren. Durch
Standortvorgaben kann der Mandant neben der Versorgungssicherheit und den Bestandskosten vor allem die Personal- und Transportkosten beeinflussen. Er sollte jedoch abwägen, ob er einen bestimmten Standort vorgibt oder eine Region eingrenzt
(bspw. das Ruhrgebiet), so dass die Ziele von LDL und Mandant besser harmonisiert
werden können.
Schenker hat ein Produktionsversorgungszentrum für VW Nutzfahrzeuge in
Hannover gebaut und finanziert. Dieses befindet sich direkt neben dem Werk des
Herstellers. Über eine Brücke können die Teile direkt ans Band geliefert werden.
Schenker organisiert exklusiv die gesamte Zuführung von externen Teilen und
fungiert als zentraler Ansprechpartner für die Materialversorgung. JiS-Teile werden vormontiert und sequenzgerecht bereitgestellt. Durch dieses Konzept, welches sich durch eine ungewöhnliche Kundennähe auszeichnet, kann eine hohe
Versorgungssicherheit bei gleichzeitig geringen Bestands- und Prozesskosten erreicht werden (Vahrenkamp und Becker 2005, S.19).
Logistikdienstleister können die Ergebnisse ihrer Leistungsprozesse unterschiedlich
stark auf individuelle Bedürfnisse zuschneiden. Dies gilt für materielle wie
immaterielle Ergebnisse. Ein im Rahmen von Postponement endmontiertes Produkt ist
als mandantenspezifisch einzuordnen. Im Gegensatz dazu kann ein Bestandsreport so
programmiert werden, dass er branchenspezifisch ist und ein Alert einer SCEMLösung kann so konzipiert werden, dass er branchenübergreifend einsetzbar ist.
Aus Sicht des Mandanten gibt es einige Gründe für spezifische Investitionen. Wenn
LDL logistische Mehrwertleistungen anhand mandantenspezifischer anstatt generischer Prozesse erbringen, dann steigt i.d.R. die Produktivität. Häufig macht es Sinn,
vollständige Prozessmodule fremd zu vergeben. Dadurch müssen LDL u.U. spezifi-
43
OEM: Original Equipment Manufacturer
114
Kontingenzmodell
sche Aufgaben und Anlagen übernehmen. Wenn LDL Eigentümer dieser Anlagen
sind, dann sind sie gleichzeitig für ihre Wartung und Verfügbarkeit verantwortlich44.
In gewissen Situationen können sich auch Nachteile für die Mandanten ergeben. Je
spezifischer eine Lösung ist, desto weniger wahrscheinlich ist die Erzeugung von Skaleneffekten mit den Volumina anderer Mandanten. Ein Mandant betonte im Interview,
seine Kernanforderung an LDL bestehe darin, dass sie die betrachtete Leistung schon
für einen anderen Mandanten erbringen oder dies für die nahe Zukunft planen. Für die
Skaleneffekte ist er sogar bereit, die Spezifikationen möglichst generisch und damit
skalierbar zu halten 45. Ein anderer Mandant merkte an, dass er für Produktgruppen mit
stark schwankenden Stückzahlen den Nachteil sieht, dass die Vergütung spezifischer
Leistungen ständig nachverhandelt werden müsse und dass die Ressourcen am Ende
der Kontraktlaufzeit dem LDL gehörten 46. Bretzke (2004, S.12f) argumentiert, dass
mit der Spezifität von Lösungen die Transaktionskosten ansteigen. Er drückt die Sorgen einiger Marktteilnehmer aus, die befürchten, dass der Anbieterwettbewerb auf die
Ausschreibungsphase beschränkt bleibt und danach die Gefahr einer „reduzierten
Marktmacht“ besteht, weil LDL nicht mehr einfach ausgetauscht werden könnten. Er
beobachtet dennoch eine ständige „Grenzverschiebung“ hin zu komplexeren Leistungen. Instrumente wie Open-Book-Kalkulation, Rückabwicklungsmatrix, Joint Venture
und SCEM können nämlich dabei helfen, Transparenz und Einflussmöglichkeiten für
den Mandanten zu schaffen.
Auch LDL müssen – bevor sie spezifisch investieren – die Vor- und Nachteile aus ihrer Sicht abwägen. Durch spezifische Investitionen kann der LDL ggf. eine höhere
Kundenbindung erreichen. Ein Dienstleister beschreibt, dass er den Aufbau von mandantenspezifischem Wissen als „Fels in der Brandung“ wahrnimmt, weil es den Mandanten davon abhält, den LDL vorschnell auszutauschen47. Die Übernahme neuer spezifischer Aufgaben ist für LDL regelmässig eine positive Herausforderung. Durch diese Vorhaben – eine erfolgreiche Durchführung vorausgesetzt – kann er nicht nur Geschäftsausweitung betreiben, sondern auch neue Kompetenzen aufbauen. Dies ist eine
Voraussetzung dafür, sich in der Dienstleisterpyramide zum Systemdienstleister eines
Mandanten zu entwickeln. Komplexe Lösungen erfordern die Regelung von Leistung
44
Interview Mandant 08.03.2005
Interview Mandant 11.04.2005
46
Interview Mandant 24.02.2005
47
Interview LDL 12.08.2004
45
Kontingenzmodell
115
und Gegenleistung in umfangreichen Verträgen. Trotzdem kann nicht jede Eventualität
durch Verträge vorweggenommen werden. Ausserdem können vertragliche Ansprüche
wie bspw. Preisanpassungen nicht in jeder Situation durchgesetzt werden. Insgesamt
besteht für die Bereitstellung spezifischer Ressourcen durch den LDL im Falle rückläufiger Volumina die Gefahr einer Kostenunterdeckung48.
Organisation
Kontraktorg.
Key Account Org.
Kommunikation
Schnittstellen
Wissen
Mandant
Branche
Logistik
Technologie
Geschäftsebene
Prozess
Beschaffungslogistik
Produktionslogistik
Distributionslogistik
After-Sales-Logistik
Fluss
Materialfluss
Informationsfluss
Finanzfluss
Rechtefluss
Leistung/Lösung
Übergreifend
Branchen-/
Segmentspezifisch
Mandantenspezifisch
Umfang
Aufgabe
Design
Planung
Fulfillment
Monitoring
Prozessebene
Informationstechnik
Applikationen
Schnittstellen
Daten
Systemebene
Mandant
Logistik-Dienstleister
Governance
Vertraglich
Finanziell
Informell
Preisgestaltung
Logistik- / Fördertechnik
Standort /
Geographie
Abbildung 27: Integrationsmodell für die Kontraktlogistik
Anhand quantitativer Untersuchungen hat Bensaou (1999, S.36ff) festgestellt, dass
spezifische Investitionen stark mit der Integrationsintensität in einer Geschäftsbeziehung korrelieren und sich somit gut als Indikator dafür eignen. Der Autor rät dazu,
Integration bzw. Spezifität situativ entsprechend dem vorliegenden Geschäftskontext,
der von Leistungsmerkmalen, Anbieterfähigkeiten sowie der Anzahl der Marktteilnehmer abhängt, zu gestalten. Die gestalterische Umsetzung der Integration erfolgt auf
den drei Ebenen Geschäftsebene, Prozessebene und Systemebene (vgl. Abbildung 27).
Ausgangspunkt der Gestaltungsüberlegungen sind Art und Umfang der vom LDL zu
erbringenden Leistungen. Davon hängt es ab, wie die Arbeitsteilung zwischen Mandant und LDL organisiert wird, wie die Zusammenarbeit der Parteien geregelt wird
und welches (spezifische) Wissen erforderlich ist. Auf der Prozessebene wird entschieden, wie tief sich der LDL in die Abläufe des Mandanten integriert: übernimmt er
nur den Materialfluss in der Distribution oder umfassen seine Aufgaben auch die Planung und das Monitoring? Von der Integrationstiefe hängt es ab, inwiefern spezifische
48
Interview LDL 23.08.2004
116
Kontingenzmodell
Prozesse Anwendung finden müssen. Auf der Systemebene werden die (spezifischen)
materiellen Ressourcen für die Leistungserbringung durch den LDL festgelegt.
3.2.6 Preisgestaltung
Mandanten werden erfahrener und anspruchsvoller in der Beschaffung von Logistikdienstleistungen. Sie suchen dabei verstärkt nach innovativen Geschäfts- und Preismodellen für die Zusammenarbeit mit LDL (Langley et al. 2002, S.31). Als Orientierungsgrösse für das Outsourcing ermittelt der Mandant Zielkosten, die sich aus den
optimierten Istkosten der Prozesse abzüglich von Migrationskosten und Kosten für das
Management von Dienstleistern ergeben (Nettesheim et al. 2003, S.26). Anhand des
verhandelten Preismodells werden die durch die Fremdvergabe entstehenden Mehrwerte und ausgewählte Risiken zwischen Mandant und LDL verteilt. Durch das Preismodell werden darüber hinaus Leistungsanreize für beide Parteien gesetzt. Diese Anreize bewirken im Idealfall eine Interessenharmonisierung zwischen Anbieter und
Nachfrager. Im Rahmen der Interviews haben sich mehrere Preismodelle herauskristallisiert, die für die Kontraktlogistik eine hohe Bedeutung haben. Diese werden nachfolgend diskutiert. Bei umfassenden Logistiklösungen werden häufig unterschiedliche
Modelle kombiniert.
Transaktionsorientierung
Wenn sich die Vergütung des LDL allein am Prozessdurchsatz - bspw. Auftragspositionen, Palettenübernachtungen, Picks oder Sendungen - orientiert, dann spricht man
von einem transaktionsorientierten Preisschema. Für den Mandanten besteht der Nutzen des Schemas darin, dass er nur für durchgesetzte Mengen zahlen muss. Der LDL
hingegen kann im Falle von Effizienzverbesserungen seine Marge erhöhen. Allerdings
versuchen Mandanten häufig, Lernkurveneffekte durch Vorgaben bzgl. eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP) zu antizipieren und daran teilzuhaben. Umgekehrt muss der LDL, falls eine Preiserhöhung notwendig wird, nur die zugrundeliegenden Kostentreiber offen legen. In manchen Branchen geht der Trend dahin, dass
Mandanten keine Mindestmengen garantieren wollen. Das heisst, dass ein LDL das
Absatzrisiko mitträgt, obwohl er dies weniger stark beeinflussen kann als sein Mandant. Preise werden auf eine Plan-Absatzmenge berechnet. Wenn diese deutlich unterschritten wird, dann entsteht beim LDL eine Fixkostenunterdeckung49.
49
Interview LDL 30.08.2004
Kontingenzmodell
117
„Wir sind auf dem Weg zu einem Modell der 100%-Variabilisierung. Das ist
auch der Trigger für eine relativ standardisierte Lösung, denn nur dann macht ein
variables Modell Sinn. Sonst haben sie nur variabilisierte Fixkosten.“50
Fixanteil
Wenn ein bestimmter Anteil der monatlichen Gesamtvergütung als Basisvergütung
unabhängig von der Anzahl der Transaktionen bezahlt wird, dann spricht man von einem Fixanteil. Dieser resultiert aus den Kosten dedizierter Ressourcen wie bspw. Mieten, Abschreibungen und Gehälter für Standortleiter. Ein ähnlicher Effekt wird bei
transaktionsorientierter Entlohnung mit Bandbreiten erzielt. Sobald in diesem Fall die
Volumina die Bandbreite verlassen, verhandeln die Geschäftspartner nach.
Cost Plus
Cost Plus51 ist ein Preismodell, bei dem der LDL alle Kosten einer Abrechnungsperiode, die sich auf die vereinbarten Leistungen beziehen, unter Einbezug von Gemeinkostenzuschlägen für Zentralbereiche und Gewinnzuschlägen aufsummiert und dem
Mandanten gegenüber offen legt. Dieses Modell eignet sich besonders für die Projektphasen Konzept und Implementierung mit ihren „inhärenten Unsicherheiten“ (Berends
2000, S.166). In Logistikprojekten stellen bspw. neuartige Software- und Identifikationstechnologien Unsicherheitstreiber bzgl. der Projektdauer und -kosten dar.
Bei Cost Plus müssen zwei grundlegende Varianten – Fixed Fee bzw. Incentive Fee unterschieden werden. Im Falle von Cost Plus Fixed Fee (CPFF) kompensiert der
Mandant den Dienstleister für die ausgeführten Beschaffungsaufträge und eingesetzten
Subdienstleister und zahlt eine feste Rate für die erstellten Dienstleistungen. Aufgrund
der festen Rate gibt es kaum Leistungsanreize für den Dienstleister. Dies impliziert
eine zeitaufwendige Involvierung des Mandanten. Ein LDL hat mit diesem Schema die
Erfahrung gemacht, dass es aufgrund des tiefen Einblicks, den der Mandant in die Kostenstrukturen des LDL hat, ständige Diskussionen gibt, wo es bspw. die günstigsten
Finanzierungskonditionen gibt und wie viel die Zentrale des LDL kosten darf. In einer
solchen Konstellation weiss der Mandant genau, wie viel der LDL verdient. Dies kann
50
51
Interview Mandant 11.04.2005
Synonym: Open Book
118
Kontingenzmodell
dann zu Spannungen führen, vor allem wenn der Mandant mit der Fremdvergabe nicht
seine Einsparungsziele erreicht, obwohl er das Kostenrisiko trägt52. Cost Plus Incentive Fee (CPIF) Vereinbarungen zeichnen sich dadurch aus, dass für den Dienstleister
Leistungsanreize geschaffen werden. Es wird angenommen, dass der Dienstleister die
Partei ist, die das Kostenrisiko am besten managen kann. Gemäss CPIF trägt er ein
Risiko bzgl. der Höhe seines Gewinns, aber es gibt kein Risiko eines Verlusts für ihn.
Das Projektkostenrisiko wird weiterhin auf den Mandanten allokiert, weil angenommen wird, dass er die Kostenkonsequenzen am besten tragen kann (Berends 2000,
S.165).
Am anderen Ende des Spektrums hinsichtlich der Allokation von Projektkostenrisiken
gibt es das Modell Lump Sum / Fixed Price (LSFP). In diesem Fall wird ein Festpreis
für die auszuführenden Aktivitäten vereinbart und der Dienstleister trägt das Risiko
von Budgetüberschreitungen. Berends betont, dass dieses Modell besonders in komplexen Projekten den Nachteil einer hohen Risikoprämie birgt (S.166).
Bonus-Malus
Bei einem Bonus-Malus-Schema (BMS) findet eine leistungsorientierte Entlohnung
des LDL statt. Positive Abweichungen von vorher definierten Leistungsniveaus werden mit einem Bonus honoriert und negative mit einem Malus sanktioniert. BMS haben vor allem im Versicherungsumfeld früh Anwendung gefunden. Anbieter von
KFZ-Versicherungen möchten ihre Kunden durch den Einsatz von BMS zu unfallfreiem Fahrverhalten erziehen. Autofahrer werden in Schadensklassen geführt, die sich
aus dem Status der Vorperiode und der Anzahl von Unfällen in der Betrachtungsperiode bestimmen (Lemaire 1988, S.660f). Schadensklassen kann man sich als Leistungsklassen bzw. Ratings von LDL vorstellen. Boni und Mali sorgen dafür, dass
LDL trotz ständiger Kostensenkungen die Servicegrade nicht aus den Augen verlieren.
Die Stärke von BMS liegt darin, dass man mit ihnen Anreize hinsichtlich einer Vielfalt
von Leistungsdimensionen schaffen kann. Voraussetzung ist, dass man den Erfüllungsgrad durch objektive Indikatoren messen kann.
Ein Beispiel von Oymann et al (2005, S.89ff) zeigt, dass BMS nicht nur auf Servicegrade, sondern auch auf Logistikkosten angewendet werden können. In der
Just-in-Time-Versorgung eines Montagestandortes in Übersee gibt es zwei Risi52
Interview LDL 10.08.2004
Kontingenzmodell
119
koquellen: schwankende Lieferzeiten über den Seeweg und die Genauigkeit der
JiT-Abrufe. Weil die Abrufentscheidung die Kostenblöcke, Kapitalbindung und
Sonderfrachten festlegt, muss genau überlegt werden, welche Partei diese Entscheidung treffen soll. Für den Mandanten – Option A - spricht, dass er die Bedarfsprofile genau kennt. Nachteilig ist jedoch, dass sich die Inbound-Lieferkette
für ihn als „Black Box“ darstellt. Die Kosten suboptimaler Dispositionsentscheidungen würde er selber tragen. Bei Option B ruft der LDL ab, weil er die Schifffahrpläne genau kennt und damit die Abrufe optimal lieferzeitverkürzend einsteuern kann. Dieses Konzept, in dem der LDL die Verantwortung für Bestände
und Fehlmengen trägt, nennen die Autoren „Carrier Managed Inventory“ (CMI).
Die Geschäftspartner einigen sich auf einen „Referenzwert“ (S.97), der den Sollwert des Gesamtbestandes in Pipeline und Empfangslager repräsentiert. Je nachdem, ob es zu einer Über- oder Unterschreitung kommt, erstattet der LDL oder
der Mandant der jeweils anderen Partei die Kapitalbindungskosten. Die Autoren
sind der Meinung, dass, wenn der Referenzwert zwischen den Erwartungswerten
von Option A und B festgesetzt wird, gleichmässig geteilt wird.
Risk-Sharing-Gain-Sharing
Risk-Sharing-Gain-Sharing (RSGS) ist ein kollaboratives Preismodell, bei dem der
Logistikdienstleister seinem Mandanten konkrete Kostensenkungen verspricht und im
Gegenzug durch zusätzliche Umfänge sein Geschäftsvolumen ausweiten kann. Im
Vergleich zum Bonus-Malus-Schema beinhalten RSGS einen stärkeren Kostenfokus.
Es geht weniger darum in existierenden Strukturen verbesserte Servicegrade zu erreichen, sondern vielmehr darum, diese Strukturen zu hinterfragen und dadurch einen
Mehrwert zu schaffen. Daher setzen LDL ein solches Schema vor allem in Verbindung
mit einem konsultativen Vertriebsansatz ein.
Der LDL verspricht, eine vereinbarte Kostensenkung in einem bestimmten Zeitraum
herbeizuführen. Für ihn wird dadurch ein Anreiz geschaffen, dass er an den Einsparungen gemäss eines vereinbarten Prozentsatzes partizipiert. Das Risiko, dass er sein
Versprechen nicht einhalten kann oder sein ursprüngliches Geschäft kannibalisiert, ist
er bereit zu tragen, weil der Mandant ihm dafür zusätzliche Volumina in Aussicht
stellt. Dieses Vorgehen ist auch deshalb notwendig, weil in den bisherigen Umfängen
mit der Zeit die Optimierungspotenziale abnehmen.
Thomson und Anderson (2000, S.40ff) schlagen aus ihren Erfahrungen mit RSGS in
der Gesundheitsbranche ein Vorgehen in sechs Schritten vor. In Schritt 1 geht es dar-
120
Kontingenzmodell
um, die Kosten- und Leistungsrechnung des Kunden zu untersuchen und ggf. anzupassen. Sie warnen davor, dass mit der Granularität der Kostenmessung die Wahrscheinlichkeit von Streitigkeiten steigt. Detaillierte Kostenerfassung mit Activity Based Costing (ABC) hilft dabei, Kostenineffizienzen aufzudecken und Einsparungen präzise
vorzugeben.
In Schritt 2 legen die Partner die Reichweite der Vereinbarung fest. Sie sollte auch
Leistungen umfassen, bei denen der LDL die Kosten signifikant beeinflussen kann.
Dennoch wird sich in der täglichen Durchführung manchmal die Frage ergeben, welche Seite die Kosten gesenkt hat (S.43). Die Partner tragen eine umfangreiche Datenbasis zusammen, um sich auf ein Ausgangsniveau der Kosten – die sogenannte „Baseline“ - zu einigen, die sich auf ein bestimmtes Mengengerüst bezieht. Weil der LDL
die Daten mit anderen Mandanten benchmarken kann und dadurch Potenziale identifizieren kann, macht es Sinn, wenn er sich bei dieser Aufgabe mit einbringt. Die Autoren weisen darauf hin, dass sich der Mandant hierfür öffnen muss und eine Kultur des
Vertrauens erforderlich ist (S.44).
Kosten/Preise
Angepasste Kosten t
Kostensatz t
(Baseline)
Tatsächliche Kosteneinsparung
Ist-Kosten t+1
Nominaler Kostensatz t+1
Inflationäre Effekte
Realer
Kostensatz t+1
Mengengerüst
t
t+1
Abbildung 28: Ermittlung der Kosteneinsparung bei Risk-Sharing-Gain-Sharing
In Schritt 4 vereinbaren LDL und Mandant, wer die Messungen verantwortet. Je nach
Indikator wird dies gemeinsam oder durch eine Partei ausgeführt. Strittige, schwer
quantifizierbare Einsparungen sollten von Beginn an ausgeklammert werden. Der LDL
ist daran interessiert, die in Abbildung 28 dargestellten Inflationseffekte – bspw. in den
Kontingenzmodell
121
Bereichen Löhne, Benzin, Strassenbenutzungsgebühren, Mieten, Zinsen - zu ermitteln,
weil sie Kosteneinsparungen verdecken können.
Die Geschäftspartner dokumentieren in Schritt 5, welche Einsparungen und Risiken
sie teilen möchten. Sie legen fest, zu welchem Prozentsatz der LDL an den Verbesserungen partizipiert. Dieser Prozentsatz kann im Laufe der Zeit mit dem Referenzniveau für Verbesserungen zugunsten des LDL steigen. Gleichzeitig müssen die Parteien
sich einigen, in welcher Geschwindigkeit sie neues Volumen auf den LDL übertragen.
Thomson und Anderson berichten von einem Medizintechniklieferanten, der einem
Krankenhaus 500’000$ für nicht erzielte Verbesserungen zahlen musste. Dies stellte
sich im Nachhinein als weniger dramatisch dar, weil man in nachfolgenden Perioden
gemeinsam die Vorgaben der RSGS-Vereinbarung umsetzen konnte.
Abschliessend setzen LDL und Mandant das Abkommen in Schritt 6 in Kraft. Vorher
grenzen sie die Laufzeit des Abkommens genau ein. Jetzt kann der LDL beginnen,
Verbesserungshebel wie bspw. Standardisierung, Skalierung, Benchmarking und Wissenstransfer in Bewegung zu setzen.
122
Kontingenzmodell
3.3 Performance-Dimension
3.3.1 Potenziale für Mandanten
Zahlreiche Autoren haben in den letzten Jahren darauf hingewiesen, welchen Beitrag
interne logistische Abteilungen zum Unternehmenswert haben (Lambert und Burduroglo 2000, Rutner und Langley 2000). Im gleichen Zeitraum erschienen auch zahlreiche
Studien, welche die Potenziale eines gezielten Einsatzes von LDL vor allem für Basisleistungen untersucht haben (Boyson et al. 1999, van Laarhoven et al. 2000, Lieb und
Hickey 2002, Knemeyer et al. 2003, Langley et al. 2003). Im Folgenden sollen darauf
aufbauend die Potenziale von Mehrwertleistungen strukturiert werden. Aus zahlreichen Interviews und aus der Literatur wurden Muster für die Fremdvergabe komplexer
Mehrwertleistungen erarbeitet. Anhand von ausgewählten Beispielen wird aufgezeigt,
welche Hebel durch bestimmte Mehrwertleistungen genutzt werden und in welchen
Leistungs- sowie Kostenbereichen dadurch Verbesserungen resultieren. Abbildung 29
stellt ein vierstufiges Wirkmodell dar, wobei zwischen den einzelnen Stufen jeweils
eine M:N-Beziehung existiert. Mit einer Mehrwertleistung können also mehrere Hebel
genutzt werden, die wiederum mehrere Verbesserungsbereiche betreffen können. Am
Ende der Ursachen-Wirkungs-Kette stehen dann die Implikationen der Fremdvergabe
für den Unternehmenswert des Mandanten.
Mehrwertleistung
Potenzial / Hebel
Verbesserungsbereich
Materialfluss
Beschaffungslogistik
Produktionslogistik
Distributionslogistik
After-Sales-Logistik
Informationsfluss
Design
Planung
Fulfillment
Monitoring
Finanzfluss
Rechtefluss
Kernkompetenzfokus
Strategische Flexibilität
Katalysator für Wandel
Kostenvariabilisierung,
Auslastungsoptimierung
Skaleneffekte,
Fixkostendegression
Verbundeffekte,
Wissensvorteile
Prozessverbesserung
Transparenz
Lohnkostenarbitrage
Dienstleistermentalität,
Spezialisierung
Risikotransfer
Bilanzoptimierung
Leistung
Lieferzeit
Lieferflexibilität
Lieferqualität
Liefertreue
Lieferservice
Kosten
Transportkosten
Bestandskosten
Lagerhaltungskosten
Informationssystemko
sten
Losgrössenkosten
Prozesskosten
Verwaltungskosten
Shareholder-Value-Wirkung
Umsatz
Kosten
Umlaufvermögen
Anlagevermögen
Kapitalkosten
Abbildung 29: Potenzialnetzwerk (Mandantenperspektive)
Kontingenzmodell
123
Kernkompetenzfokus. Obwohl die Logistik für den Markterfolg vieler Unternehmen
eine wichtige Rolle spielt, haben einige Unternehmen festgestellt, dass ihre Kernkompetenzen53 in Bereichen wie Forschung und Entwicklung (FuE) sowie Marketing liegen. Investitionen in diese Unternehmensbereiche führen unter diesen Umständen zu
höheren Kapitalrenditen als Investitionen in den eigenen Logistikbereich. Aus diesem
Grund dürfen die am Markt erzielbaren Preise von Logistikleistungen auch bis zu einem bestimmten Grad über den Kosten der Eigenerstellung liegen (Bretzke 1998,
S.397). Diese Tatsache ermöglicht, dass sogar spezifische Leistungsumfänge fremd
vergeben werden können. Wenn man sich bspw. die Entwicklung der vergangenen
Jahre in der Elektronikindustrie anschaut, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass
sich Kernkompetenzen im Zeitablauf zwischen Anbietern und Nachfragern verschieben. Früher war die Fremdvergabe von Produktionsaufgaben ein Tabu für die meisten
Unternehmen dieser Branche. Heute ist sie vielfach anzutreffen und begünstigt die
Entstehung einer ganzen Branche - den Vertragsfertigern.
Ein Automobilhersteller hat für ein neues Werk kein eigenes Personal im Bereich der
Materialflusslogistik aufgebaut. Stattdessen wurden sämtliche Aufgaben der physischen Logistik an externe Dienstleister vergeben. Dazu gehörte auch die anspruchsvolle Aufgabe der Bandversorgung, die traditionell in der Automobilindustrie von Mitarbeitern des OEM durchgeführt wurde. Mit dieser konsequenten Abgrenzung von
Kernkompetenzen erhofft das Unternehmen, seine Kapitalrendite zu verbessern.
Strategische Flexibilität. Bei der operativen Flexibilität in der Logistik geht es vor
allem darum, kurzfristige Anpassungen bei Aufträgen zu ermöglichen. Im Gegensatz
dazu lässt sich das Ziel einer strategischen Flexibilität in der Logistik beschreiben als
die Fähigkeit, logistische Strukturen in einem möglichst kurzen Zeitraum an veränderte Marktanforderungen anzupassen (Sjurts 2004, S.1109). Bei einem stark expandierenden Unternehmen wird u.U. eine Erweiterung des Distributionsnetzwerkes erforderlich. Bei einem Unternehmen, welches die Produktion nach Osteuropa oder Asien
verlagert, verschiebt sich das Netzwerk der Inbound-Logistik entsprechend. Strategische Flexibilität kann sich auch auf Technologien beziehen. Dies ist für Mandanten
interessant, bei denen sich Technologien bspw. durch wechselnde Kundenanforderungen ändern. Wenn der Kunde eines Mandanten fordert, dass die Identifikation von
Barcode auf RFID umgestellt wird, dann kann ein LDL diesen Wandel evtl. besser als
der Mandant bewältigen, weil er das alte Equipment bei anderen Mandanten weiter53
Eine Ausführliche Diskussion des Themas findet sich bei (Prahalad und Hamel 1990)
124
Kontingenzmodell
nutzen kann. Strategische Flexibilität wirkt sich durch die Vermeidung von Investitionen und ausserplanmässigen Abschreibungen positiv auf die Kosten und das Anlagevermögen des Mandanten aus.
Katalysator für Wandel. Wenn Mandanten Mehrwertleistungen an LDL vergeben,
dann beabsichtigen sie damit nicht selten, eingefahrene Strukturen im operativen und
administrativen Bereich aufzubrechen und eine verstärkte Kundenorientierung der Logistik durchzusetzen. Im Idealfall hinterfragt der LDL systematisch existierende Abläufe mit dem Ziel, nichtwertschöpfende Aktivitäten und Anlagevermögen zu beseitigen (Hammer 1990, S.104). Neben Kosten- können auch Leistungsverbesserungen
resultieren. Mit schlankeren Prozessen kann man häufig eine höhere Lieferfähigkeit
und -treue erzielen. Die stärkere Involvierung eines LDL bedeutet, dass die interne
Logistik neu ausgerichtet wird. Ihre neue Rolle beinhaltet vor allem die Aufgabe, externe Partner zu lenken. Viele der Veränderungen durch einen LDL könnte der Mandant auch selbstständig erreichen. Dafür müssten jedoch Einstellungen und Fähigkeiten verändert werden. Ein solcher rein interner Wandelprozess kann langwieriger sein
(Alexander und Young 1996, S.729).
Auslastungsoptimierung und Kostenvariabilisierung. Die Bereitstellung eigener
Kapazitäten, egal ob für physische oder für administrative Prozesse, ist nur wirtschaftlich sinnvoll, wenn ein Unternehmen sie ständig angemessen auslasten kann. Um die
Auslastung von Anlagevermögen zu optimieren, können Mandanten entweder das gesamte Volumen vergeben, oder sie separieren es in Basisvolumen und Spitzenvolumen
und beschränken sich bei der Fremdvergabe auf Letzteres (Bretzke 1998, S.395f).
Durch die Einschaltung von LDL können Mandanten sowohl kurzfristige, saisonale als
auch langfristige, strukturelle Bedarfsveränderungen abfangen. Saisonale Schwankungen treten bei Konsumentenelektronik vor Weihnachten und bei Freizeitartikeln im
Sommer auf. Ein LDL kann Mandanten mit komplementären Volumenprofilen in einer Mehrbenutzerumgebung zusammenfassen. Dadurch kann er die Gesamtauslastung
der technischen und personellen Ressourcen in den Bereichen Lager und Auftragszentrum glätten. Je nachdem, in welchem Lebenszyklus sich Geschäfte befinden, muss die
Logistik steigende oder sinkende Volumina abwickeln. Wenn das Geschäftsvolumen
zurückgeht, dann ist der Mandant mit einem unveränderbaren Fixkostenblock für die
Bereitstellung der logistischen Infrastruktur konfrontiert. Da die meisten Mandanten
sich nicht selber in die Logistikdienstleistung diversifizieren wollen, beauftragen sie
einen LDL mit der Suche nach komplementären Mandanten. Durch die Realisierung
Kontingenzmodell
125
einer Mehrbenutzerumgebung kann die Basisvergütung (fast) vollständig beseitigt
werden. Die Bezahlung richtet sich dann nach der tatsächlichen Prozessmenge - ausgedrückt in Auftragspositionen, Palettenübernachtungen, verpackten oder montierten
Einheiten. Ein High-Tech-Mandant hat seine Distributionszentren in Flughafennähe.
Häufig betreibt der LDL Läger für diverse Mandanten mit ähnlichen Anforderungen in
einer Art Campus. Diese Konstellation bietet dem Mandanten in einem volatilen Umfeld eine skalierbare Lösung, bei der er innerhalb von kurzer Zeit in der Fläche wachsen kann.
Skaleneffekte und Fixkostendegression. LDL können Kosten für ihre Mandanten
nicht nur variabilisieren, sondern auch senken. Ein wesentlicher Hebel dabei sind Skaleneffekte. LDL fassen mehrere Geschäfte zusammen, um so die Skalenposition zu
vergrössern. Weil die Fixkosten eines Prozesses nun auf eine breitere Basis verteilt
werden, sinken die Stückkosten. Die gemeinschaftliche Verzollung von Waren für
mehrere Mandanten (Oymann et al. 2005) sowie der gebündelte Einkauf von Verpakkungsmaterial über mehrere CKD-Kontrakte stellen Beispiele für diesen Zusammenhang dar. Bretzke weist jedoch darauf hin, dass das Heben dieser „Schätze“ mühsam
ist und dass Unternehmen sich diesbezüglich schon häufig verkalkuliert haben
(Bretzke 1998, S.393).
Eine Umsetzungsvoraussetzung ist, dass man die Anforderungen des Mandanten mit
relativ standardisierten Leistungen befriedigen kann. Der LDL muss also immer die
Frage stellen, inwieweit Besonderheiten des Produkt-Markt-Kontextes wirklich unterschiedliche Prozesse für seine Mandanten erfordern. Im Interview wurde von einem
LDL berichtet, der an einem Standort für drei Mandanten drei verschiedene Lagerverwaltungssysteme operiert. Nicht ausgeschöpfte Skalenpotenziale lassen sich häufig auf
Mandanten zurückführen, die sich nicht von gewohnten Abläufen trennen können. Aus
diesem Grund ist die tatsächliche Skalenposition von Dienstleistern häufig nicht besser
als die der Mandanten (Alexander und Young 1996, S.728). Eine weitere Barriere
stellt die Tatsache dar, dass Mandanten sich schwer tun, eigene Volumina komplett auf
einen LDL zu konzentrieren, weil ihnen sehr an einem ständigen Anbieterwettbewerb
gelegen ist. Mit einer geschickten Anreizgestaltung (z.B. Gain Sharing) lassen sich
diese Leistungsanreize jedoch nachbilden. Voraussetzung für Skaleneffekte ist also,
dass beide Seiten gemeinsam darauf hinwirken.
126
Kontingenzmodell
Verbundeffekte und Wissensvorteile. Bereits in Kapitel 2.1.3 wurde die hohe
Bedeutung von Verbundeffekten für die Schaffung von Mehrwert in der Logistik
angesprochen. Verbundeffekte sind Synergien, die durch die Zusammenführung von
verschiedenen Leistungen in ein Unternehmen entstehen. Sie entstehen nur dann, wenn
Produktionsfaktoren „gemeinsam, jedoch nicht konkurrierend“ genutzt werden können
(Bohr 1996, S.381). Spezifisches Wissen, welches sich auf Mandanten, Branchen,
Länder, Prozesse, Produkte oder Technologien beziehen kann, weist diese Charakteristika auf. Bei kurzfristiger Unterauslastung können die Wissensressourcen nicht am
Markt angeboten werden und werden daher intern für ähnliche Leistungen eingesetzt.
Daher können LDL bei der Erzeugung wissensintensiver Mehrwertleistungen Verbundeffekte erzielen.
Administrativ
z.B. Bestandsdisposition
z.B. Auftragsmanagement
z.B. Transport
z.B. Lagerhaltung
z.B. Verpackung
Transport
Bestand
Kundenservice
Vertikale
Verbundeffekte
z.B. Auswahl von
Transporteuren
Physisch
Horizontale
Verbundeffekte
Abbildung 30: Verbundeffekte bei logistischen Dienstleistungen
Quelle: Eigene Darstellung basierend auf (Rabinovich et al. 1999)
Rabinovich et al (1999, S.363ff) haben Verbundeffekte im Bereich von Logistikdienstleistungen empirisch überprüft. Sie gliedern logistische Dienstleistungen anhand von
zwei Dimensionen in sechs Bereiche (vgl. Abbildung 30). Die erste Dimension umfasst Transport, Bestand bzw. Kundenservice und die zweite Dimension umfasst die
physischen bzw. administrativen Leistungen. Die Autoren stellen Muster bezüglich der
gemeinsamen Vergabe von Leistungen fest, aus der sich die Beteiligten offensichtlich
Vorteile versprechen. Mandanten integrieren offensichtlich in horizontaler Richtung –
bspw. Auftragsmanagement und Bestandsdisposition - und in vertikaler Richtung –
bspw. Auftragsmanagement und Verpackung. Eine negative Korrelation stellten die
Kontingenzmodell
127
Autoren bei der Transportabwicklung und der Auswahl von Transporteuren fest. Einen
Erklärungsansatz bieten die häufig genannten Interessenskonflikte. Die Interviews
deuten auf ein wachsendes Bewusstsein von Verbundeffekten bei Mandanten und LDL
hin. Mehrere Mandanten betonten das Gestaltungsprinzip von durchgehenden Prozessen, welches für die Vergabe selbst anspruchsvoller Aufgaben spricht. Ein Unternehmen bspw. evaluiert, einem LDL, der Postponement-Aufgaben durchführt, auch die
operative Beschaffung und Produktionsplanung zu übergeben.
Prozessverbesserung. Immer häufiger schalten Mandanten kompetente Logistikdienstleister ein, um ausgewählte Prozesse zu verbessern. Üblicherweise liegen Ansatzpunkte darin, Prozesse zu integrieren, sie weltweit zu standardisieren und sie ggf.
zu automatisieren. Durch die Integration von bestands- und bedarfsführenden Systemen kann ein LDL bspw. eine Verfügbarkeitsprüfung (Available-to-Promise, ATP)
realisieren. Indem er Vorgaben für Warnmeldungen und Reports für Subdienstleister
entwickelt, treibt er die Standardisierung voran. Durch den Einsatz spezieller IT-Tools,
die sich für Mandanten häufig finanziell nicht rentieren, automatisiert der LDL vormals manuelle Abläufe.
Im Fall des Merge-in-Transit-Konzepts nutzt der LDL Informationen, um Materialflüsse auf dem Weg zum Kunden zusammenzuführen. Dahinter verbirgt sich die Zielsetzung, eine bestandsarme Distribution mit Komplettlieferungen zu verwirklichen.
Das erhöht die Kundenzufriedenheit und kann sich in erhöhtem Umsatz niederschlagen. Bei Direktlieferungskonzepten setzt der LDL durch die Synchronisierung von
Transporten und Informationen eine höhere Flussorientierung und damit ein reduziertes Umlaufvermögen durch. Die meisten Verbesserungsmassnahmen könnte der Mandant auch selber einleiten. Dennoch hat der LDL vielfach eine bessere Ausgangslage,
weil er näher am Geschehen ist und als Spezialist einfacher Verbund- und
Skaleneffekte in der Logistik erzeugen kann.
Transparenz. LDL können Daten aus unterschiedlichen Quellen entlang der Lieferkette konsolidieren. Sie agieren damit als Informationsdrehscheibe und ermöglichen
ihren Mandanten, über bisher existierende Grenzen zu schauen. Tracking-Daten informieren den Mandant darüber, wo sich Ware aus Übersee gerade befindet. Eine umfangreiche Datenbasis aus historischen Daten gestattet eine Ursachenforschung
(Tracing) bei wiederholten Verspätungen. Durch die zeitnahe Versorgung mit Warnmeldungen ergeben sich für den Mandanten neue Möglichkeiten, Fehlerfolgekosten zu
128
Kontingenzmodell
minimieren. Abgerundet wird das Informationsangebot des LDL durch regelmässige
Berichte, die bspw. die Performance von Subdienstleistern in einem auf die Bedürfnisse des Mandanten angepassten Format darstellen.
„Das Thema 4PL oder LLP analysieren wir gerade. Ich sehe da Chancen, durch
die Zusammenarbeit mit einem 4PL mehr Transparenz in die Supply Chain zu
bringen. Fachkompetenz bezüglich Monitoring und Reporting ist da. Die haben ja
meistens dann ein standardisiertes Tool, einen Supply Chain Event Manager, um
uns zeitnah Informationen über den gesamten Materialfluss in der Supply Chain
geben zu können. Da sehe ich eben die Chance, noch mehr Transparenz zu haben
und Optimierungspotenziale aufzudecken.“54
Lohnkostenarbitrage. Lohndifferenzen zwischen Branchen sind ein wichtiger Hebel
für den Mandanten, Betriebskosten zu senken. Die Lohndifferenzen ergeben sich u.a.
dadurch, dass Mandant und LDL an unterschiedliche Tarifverträge gebunden sind. Sie
weichen häufig in mehrfacher Hinsicht ab, nämlich in der Wochenarbeitszeit, im
Stundenlohn und in der Anzahl von Monatsgehältern pro Jahr. In Summe kann die
Differenz bis zu 30% betragen55. Alexander und Young (1996, S.729) weisen darauf
hin, dass durch die Lohnkostenarbitrage Werte lediglich umverteilt und nicht neu geschaffen werden. Eine noch deutlichere Diskrepanz tritt meistens auf, wenn man Nearbzw. Offshoring, also die Leistungserbringung in Billiglohnländern evaluiert. Wichtig
ist, dass die Einsparungen im Personalbereich nicht durch den Aufbau von internen
Schattenorganisationen kompensiert werden.
Spezialisierung und Dienstleistermentalität. Spezialisierte Unternehmen wiederholen Prozesse tendenziell häufiger als diversifizierte Unternehmen. Dadurch gelingt es
ihnen besser, Lernkurveneffekte auszuschöpfen. Bretzke (1998, S.396) geht davon aus,
dass Lernkurveneffekte in der Logistik eine geringere Bedeutung als in der Produktion
haben. Das mag auf Basisleistungen zutreffen, nicht jedoch auf anspruchsvolle Mehrwertleistungen. Es ist beispielsweise davon auszugehen, dass der Integrationsaufwand
zusätzlicher Geschäftspartner in ein SCEM-System stetig abnimmt. Ein (kleiner) LDL
misst einem Leistungsumfang ein tendenziell höheres Gewicht als eine Mandantenorganisation zu, vor allem wenn aus einem Randgeschäft ein Kerngeschäft wird. Dies
kann sich u.U. dadurch ausdrücken, dass ein Dienstleister bereit ist, mehr in die Wei54
55
Interview Mandant 01.03.2005
Interview Mandant 08.03.2005
Kontingenzmodell
129
terbildung der betroffenen Mitarbeiter zu investieren (Alexander und Young 1996,
S.729).
Risikotransfer. Im Rahmen der Vertragsgestaltung können Mandant und LDL Risiken allokieren (vgl. Kapitel 3.3.3) und dadurch einen Mehrwert schaffen oder sich
Werte von der anderen Partei aneignen (Alexander und Young 1996). Der erste Fall
liegt vor, wenn der LDL das Risiko effektiver als der Mandant steuert und wenn der
Vorteil für den Mandanten durch Risikotransfer die Risikoprämie des LDL übersteigt.
Im zweiten Fall ist sich der LDL des Risikotransfers aufgrund von Informationsasymmetrien nicht bewusst oder er erhält dafür Anreize bspw. in Form eines Umsatzversprechens. Bezogen auf den ersten Fall einer nachhaltigen Wertschaffung werden zwei
Beispiele dargestellt. Im ersten Beispiel transferiert der Mandant operative Risiken. Er
hat mit seinen Kunden Serviceverträge für Maschinen geschlossen, in denen die Verfügbarkeit von Ersatzteilen mit 4h festgelegt ist. Wenn er es nicht schafft, die Ersatzteile rechtzeitig beim Kunden abzuliefern, muss er selber für eine Kompensation sorgen. Der Mandant überträgt Verantwortung und Risiko durch ein Service Level
Agreement an einen LDL. Der Sinn dieses Vorgehens lässt sich damit begründen, dass
eine termingerechte Bereitstellung von Material Kernkompetenz des LDL und nicht
eines Maschinenbauunternehmens ist. Ähnliches gilt im zweiten Beispiel für das Absatzrisiko eines Mandanten. Wenn er die Logistikleistungen transaktionsorientiert abrechnet, dann sinken seine Logistikkosten mit dem Absatzvolumen. Er realisiert eine
atmende Lösung, in der weniger Werte „vernichtet“ werden als in einer starren, internen Lösung. Auch hier lautet das Argument, dass der LDL bei der Auslastung logistischer Ressourcen einen Kompetenzvorteil hat.
Bilanzoptimierung. Verbesserungen, die durch gute Kontraktlogistik-Konzepte erzielt
werden, sind nicht nur für den Produktions- und Logistikvorstand, sondern wie im
Rahmen eines Arbeitskreises mehrfach betont wurde auch für den Finanzvorstand relevant. Full-Service-Anbieter haben in den letzten Jahren ihr Angebot rund um den
Finanzfluss ausgeweitet (vgl. Kapitel 3.2.4). Mit Hilfe innovativer Finanzierungskonzepte gelingt es ihnen, sogar dedizierte Vermögensgegenstände wie Standorte, Fördertechnik und Bestände aus der Bilanz des Mandanten zu entfernen. Dadurch verkürzt
sich die Bilanz des Mandanten im Anlage- und Umlaufvermögen. Forderungsankauf
durch LDL beschleunigt die Liquiditätszuführung für den Mandanten. Wenn er dadurch kurzfristige Verbindlichkeiten schneller bedient, dann verkürzt er insgesamt sei-
130
Kontingenzmodell
ne Bilanz im Umlaufvermögen. Aus der Bilanzoptimierung verspricht sich der Mandant ein besseres Rating und günstigere Kapitalkosten.
LDL können durch Mehrwertleistungen unterschiedlichste Potenziale für ihre
Mandanten erschliessen. Diese Potenziale gehen über die Senkung von Logistikkosten
weit hinaus. LDL müssen ihren Beitrag für Mandanten durch einen wertorientierten
Vertriebsansatzes klar herausarbeiten. Es ist zu berücksichtigen, dass sich häufig
mehrere Effekte überlagern und viele Effekte schwer quantifizierbar sind. Ausserdem
ist eine Kooperation nur dann nachhaltig, wenn beide Parteien am erzielten Mehrwert
partizipieren.
3.3.2 Potenziale für LDL
Auch wenn Mehrwertleistungen für LDL eine unterschiedlich hohe geschäftliche Bedeutung haben, werden sie heute von fast jedem LDL angeboten. In Abbildung 31 sind
die Potenziale von Mehrwertleistungen aus der Sicht von LDL dargestellt. Neben dem
Ertragspotenzial ergeben sich Potenziale bei Kundenbindung, Synergien, Differenzierung und Positionierung, die nachfolgend kritisch diskutiert werden.
Kundenbindung. Mehrwertleistungen erfordern im Vergleich zu Basisleistungen eine
höhere Integration von LDL und Mandant. Der LDL erhofft sich daraus eine höhere
Kundenbindung. Viele Märkte - auch in der Logistik - sind heute durch ähnliche Angebote und intensiven Wettbewerb gekennzeichnet. Daher haben sich Unternehmen
Gedanken gemacht, wie sie die Loyalität ihrer Kunden stärken und Einzeltransaktionen zu stabilen Geschäftsbeziehungen entwickeln (Wallenburg 2004, S.7ff). Führende
Anbieter demonstrieren Kundennähe, indem sie sich bemühen, individuelle Kundenbedürfnisse zu verstehen und auf sie einzugehen. Sie wirken darauf hin, dass eine positive Atmosphäre und Vertrauen in der Beziehung herrscht. Dennoch stellt der Kunde
den eigentlichen „Flaschenhals“ in den Bemühungen um Kundenbindung dar, denn er
entscheidet auf der Basis seiner Leistungs- und Preiszufriedenheit über die Fortführung der Zusammenarbeit. Kundenbindung stellt ein komplexes Konstrukt dar, das
Wallenburg (S.89ff) über die Elemente Wiederbeauftragung, Zusatzbeauftragung und
Weiterempfehlung operationalisiert. Er identifiziert vier Einflussfaktoren, nämlich
Leistung und Zusammenarbeit, soziale Wechselbarrieren, ökonomische Wechselbarrieren (spezifische Investitionen) sowie verfügbare Alternativen.
Kontingenzmodell
Mehrwertleistung
Materialfluss
Beschaffungslogistik
Produktionslogistik
Distributionslogistik
After-Sales-Logistik
Informationsfluss
Design
Planung
Fulfillment
Monitoring
Finanzfluss
Rechtefluss
131
Potenzial / Hebel
Akquisition und Ertrag
Kundenbindung (externe
Integration)
Synergien (interne
Integration)
Differenzierung und
Positionierung
Shareholder-Value-Wirkung
Umsatz
Kosten
Umlaufvermögen
Anlagevermögen
Kapitalkosten
Abbildung 31: Potenzialnetzwerk (Perspektive des LDL)
Eine in der Branche viel diskutierte Studie von Mercer Management Consulting
(2004) kam zu dem Ergebnis, dass anspruchsvolle Logistikleistungen nur eine geringe
Rolle spielen, weil Mandanten die LDL bewusst austauschbar halten, um Konkurrenzvorteile zu nutzen. In den Interviews zu dieser Arbeit konnten jedoch gerade bei im
Outsourcing erfahrenen Mandanten zahlreiche Gegenbeispiele identifiziert werden.
Die Studie weist darauf hin, dass sich bei einer durchschnittlichen Laufzeit von 4 Jahren jährlich 25% der Kontrakte als Ausschreibung auf dem Markt befinden. LDL berichten in Gesprächen konsistent von hohen Verlängerungsraten bei hochwertigen Lösungen. Es ist nicht davon auszugehen, dass dies nur an hohen Wechselkosten liegt.
Kunden können heute durch geschickte Vertragsgestaltung ihre Wechselkosten deutlich senken. Sie können in der Ausschreibung unnötige Spezifität vermeiden und in
Fällen, wo das nicht möglich ist, können sie spezifische Ressourcen beistellen. Dadurch wird der Nachverhandlungsaufwand reduziert. Mit Rückabwicklungsklauseln
wird der kontinuierliche Zugriff auf Personal und Wissen gewährleistet.
Synergien. Ein Interviewpartner sieht eine Kernaufgabe von LDL darin, dass sie leistungsfähige Mandantenlösungen in einer Branche skalieren56. Synergien spielen auch
bei Mehrwertleistungen eine wichtige Rolle, obwohl sie schwerer zu realisieren sind.
Mandant und LDL sollten daher bei der Spezifikation von Leistungen auch Skaleneffekte berücksichtigen. LDL partizipieren in unterschiedlichster Form an Synergien. Sie
sparen Kosten, indem sie bestehende Netzwerke mit planbaren Volumina auslasten.
56
Interview LDL 02.08.2004
132
Kontingenzmodell
Sie erweitern Netzwerke dadurch, dass neue Relationen, Standorte oder IT-Bausteine
rentabel werden. Die Mercer-Studie kritisiert, einige LDL hätten zuviel Kundennähe
gezeigt und die Synergieschaffung in ihren Produktionssystemen „vernachlässigt“. Es
ist richtig, dass Spezifität kein Selbstzweck ist und dass man Skaleneffekte nicht aus
den Augen verlieren sollte. Für eine vollständige Beurteilung von Mehrwertleistungen
muss man jedoch auch Verbundeffekte berücksichtigen, die bei wissensintensiven Leistungen an Bedeutung gewinnen.
Differenzierung und Positionierung. Wenn Leistungsangebote standardisiert sind,
dann findet Wettbewerb hauptsächlich über den Preis statt. Neben einer Preisführerschaft können Unternehmen Wettbewerbsvorteile erzielen, indem sie bessere, neuere
oder schnellere Leistungen anbieten. Die Boston Consulting Group hat eine Branchematrix entwickelt, in der die Anzahl möglicher Wettbewerbsvorteile in einer Branche
der Grösse dieser Vorteile gegenübergestellt werden. Demnach ist das Transportwesen
eine mengenbewegte Branche. Es sind wenige, aber dafür umfangreiche Wettbewerbsvorteile erzielbar. Die Marge eines LDL ist mit seinem Marktanteil korreliert. Im
Kontrast dazu ist die Mehrwert-Logistik den spezialisierten Branchen zuzuordnen. Für
LDL bieten sich zahlreiche und grosse Differenzierungsmöglichkeiten. Auch kleinere
Unternehmen können mit hohen Margen im Markt erfolgreich sein. Differenzierung ist
die Gestaltung von Leistungen, so dass sie sich „vom Angebot der Konkurrenten markant unterscheiden“ und der Kunde zur Zahlung einer Preisprämie bereit ist (MüllerStewens und Lechner 2003, S.265). Im Gegensatz dazu betrifft Positionierung die
Wahrnehmung von Leistungsunterschieden durch Käufer des betreffenden Segments
im Vergleich zum Konkurrenzangebot (Kotler und Bliemel 2001, S.467ff).
In der Kontraktlogistik haben LDL nach Meinung eines Gesprächspartners die Wahl
zwischen einem „Massengeschäft“, in dem Wettbewerber in Ausschreibungen gegeneinander antreten und ein preislicher Wettbewerb im Vordergrund steht, und einem
spezifischen Geschäft, in dem sich der LDL intensiv mit den Bedürfnissen des Mandanten auseinandersetzt und im Sinne eines konsultativen Vertriebsansatzes ein massgeschneidertes Angebot ausarbeitet57. Das Massengeschäft können nur Kostenführer
mit angemessener Marge betreiben. Das Mehrwertgeschäft bietet Entwicklungsmöglichkeiten für LDL, indem sie sich kontinuierlich in Richtung eines Systemlieferanten
oder Vorzugslieferanten entwickeln und damit eine koordinierende Rolle in der
Dienstleisterpyramide einnehmen. Mittelfristig können solche Systemdienstleister ihre
57
Interview LDL 02.08.2004
Kontingenzmodell
133
operative Involvierung durch die Einschaltung von Subunternehmern ggf. zurückfahren und somit ihre eigene Bilanzstruktur wieder entlasten. Mit der Stärkung des
Mehrwertgeschäfts bekommen immaterielle Vermögensgegenstände beim LDL eine
höhere Bedeutung, denn Mehrwertleistungen sind tendenziell wissensintensiver als
Basisleistungen. Das Angebot innovativer Mehrwertleistungen birgt für Anbieter das
Potenzial, Kompetenzen aufzubauen und die Umpositionierung vom Massen- in das
Mehrwertgeschäft zu unterstützen. Wenn ein LDL bspw. für einen Referenzkunden
eine Postponement-Lösung aufbaut, sammelt er Erfahrungen mit einem anspruchsvollen Konzept, die er bei anderen Mandanten nutzen kann. Er lernt u.a. die Herausforderungen von Grunddaten- und Änderungsmanagement kennen. Neben dem Konzeptwissen gibt es auch Mandantenwissen zu gewinnen. Mehrwertleistungen gestatten
tiefere Einblicke in das Mandantenunternehmen. Wenn ein LDL die Bedürfnisse, Organisationsstrukturen, Qualitäts- und Innovationskultur des Mandanten kennt, dann
hilft ihm das bei der Differenzierung von Angeboten.
Mit der Differenzierung und Positionierung durch Mehrwertleistungen verfolgen LDL
das Ziel, ihre Margen zu steigern bzw. zu sichern. Um herauszufinden, wie hoch die
durchschnittlichen Margen in den Segmenten KEP, Spedition und Kontraktlogistik
derzeit sind, hat Mercer für seine Studie die Geschäftsberichte von Anbietern hinsichtlich der Indikatoren EBIT-Marge58 und Kapitalintensität59 analysiert und verglichen.
Dabei hat die Unternehmensberatung zwei wesentliche Zusammenhänge hinsichtlich
der Margen in der Logistik festgestellt: „Profitabilität ist unabhängig von der Kapitalintensität, jedoch abhängig vom Geschäftstyp.“ Die Mercer-Studie zweifelt auch für
die Zukunft daran, dass rein „virtuelle“, planende und koordinierende Anbieter genügend Zusatznutzen erwirtschaften, um eine Extramarge zu rechtfertigen. Hinsichtlich
der Geschäftstypen stellen sie fest, dass im Gegensatz zu KEP- bzw. Speditionsanbietern keiner der untersuchten Kontraktlogistikanbieter über eine EBIT-Marge von 4
Prozent kommt. Derzeit übersteigen offensichtlich vielfach die Kosten der Differenzierung die Preisprämie. Beide Feststellungen von Mercer geben eine Momentaufnahme
wieder. Die Kontraktlogistik und vor allem das Mehrwertgeschäft ist ein relativ junges
Marktsegment, das sich noch entwickeln und profilieren muss, um die vorstellbaren
Wirkungen, die in dieser Arbeit dargestellt werden, zu erzeugen. Es ist zu erwarten,
dass sich Angebot und Nachfrage von Mehrwertleistungen und damit die gesamte
58
59
EBIT = Earnings Before Interest and Tax
Anlagevermögen + Umlaufvermögen / Nettoumsatz
134
Kontingenzmodell
Kontraktlogistik dynamisch entwickeln werden, so dass die von Mercer verwendeten
Zahlen aus den Jahren 2002/03 nicht für die Zukunft Bestand haben müssen.
3.3.3 Risiken für Mandanten und LDL
Verschiedene Entwicklungen sorgen dafür, dass die Verwundbarkeit von Logistiknetzwerken steigt. Im Vergleich zu früher sind Netzwerke tendenziell globaler und
müssen damit längere Distanzen überbrücken. Durch Reengineering und Outsourcing
sind schlanke und fragmentierte Netzwerke entstanden. Als Antwort darauf entwerfen
Christopher und Peck (2004, S.1f) das Idealbild eines robusten Logistiknetzwerkes,
das nach einer Störung in seinen ursprünglichen oder einen besseren Zustand zurückschwingt. Weil sich LDL und Mandant für Mehrwertleistungen enger vernetzen, können Risiken der einen Partei die andere stärker in Mitleidenschaft ziehen.
Der Leser von Literatur über die Relation von Chancen und Risiken bekommt nach
Meinung von Bowman (1980, S.17f) den Eindruck, dass ein höheres Risiko automatisch einen höheren Ertrag impliziert. Der grösste Anteil dieser Publikationen bezieht
sich auf Kapitalmärkte. Basierend auf Daten der Jahre 1968-1976 aus 85 Branchensegmenten weist er für die realwirtschaftliche Sphäre keine positive, sondern eine negative Korrelation zwischen Risiko und Ertrag nach. Aufgrund perfekter Märkte sieht
die Situation an den Kapitalmärkten grundsätzlich anders aus. Die Aktien von Unternehmen mit hohen Erträgen und niedrigem Unternehmensrisiko erzielen höhere Kurse
und reduzieren dadurch den Ertrag für zukünftige Anleger. Das sogenannte „Bowman
Paradox“ steht im Widerspruch zu der häufig angenommenen Risikoaversion des
„Durchschnittsmanagers“. Die plausibelste Erklärung ist, dass – bedingt durch die
Qualität ihrer Manager und ihrer (Risiko)Managementsysteme - weniger erfolgreiche
Firmen gezwungen sind, Projekte mit höheren Risiken durchzuführen (S.25). Dieser
Zusammenhang sollte von Mandanten und LDL bei der Nachfrage und dem Angebot
von Mehrwertleistungen berücksichtigt werden.
3.3.3.1 Risikobegriff
Für den Risikobegriff existieren zahlreiche Definitionen. Ursache dafür ist, dass sich
der Begriff in den diversen wirtschaftswissenschaftlichen Teildisziplinen wie Finanztheorie und Entscheidungstheorie im Zeitablauf entwickelt hat. Wall (2003,
S.666) definiert Risiko aus einer entscheidungstheoretischen Perspektive als Gewinnchance oder Verlustgefahr, wobei eine Wahrscheinlichkeitsannahme für das Eintreten
von Umfeldzuständen möglich ist. Für die Untersuchung von Risiken in Logistiknetz-
Kontingenzmodell
135
werken ist das reine Risiko (Verlustgefahr) relevanter als das spekulative Risiko (Gewinnchance und Verlustgefahr). Eine für diese Arbeit passende Definition ist bei Diederichs zu finden:
„Unter Risiko wird die Gefahr verstanden, dass Ereignisse (externe Faktoren)
oder Entscheidungen und Handlungen (interne Faktoren) das Unternehmen daran
hindern (ursachenbezogenen Komponente), definierte Ziele zu erreichen bzw.
Strategien erfolgreich zu realisieren (wirkungsbezogene Komponente).“
(Diederichs 2004, S.10)
Hinter der Strategie, Mehrwertleistungen fremdzuvergeben, steht aus Sicht der Mandanten die Zielsetzung, Logistiknetzwerke effektiver und effizienter zu gestalten. LDL
verfolgen das Ziel, profitable Umsätze zu generieren. Zielabweichungen stellen Risiken dar, die von beiden Parteien gesteuert werden müssen. Die Abweichungen können
an vielen Stellen im Einzelunternehmen sowie im Unternehmensverbund ausgelöst
werden (vgl. Abbildung 32).
Im Zusammenhang von Mehrwertleistungen sind vor allem operative Risiken relevant.
Diese haben häufig schwerwiegendere Folgen als Markt- oder Kreditrisiken (Lam
2003, S.207ff). Lam weist auf die alte Weisheit hin, dass man etwas nur steuern kann,
wenn man es misst. Die Messung setzt wiederum eine Definition voraus. Greifbare
und konsistente Definitionen sind im Risikomanagement selten, so dass er den Begriff
„operatives Risiko“ wie folgt eingrenzt:
„Operational risk is the risk of direct or indirect loss resulting from inadequat or
failed internal processes, people, and systems or from external events.“
3.3.3.2 Risikotypologie
Die Fremdvergabe komplexer Mehrwertleistungen hat Konsequenzen für die Risikoposition von LDL und Mandant. Nettesheim et al (2003, S.26f) unterscheiden zwei
Arten von Risiken im Rahmen der Fremdvergabe: Risiken, die zwischen Anbieter und
Nachfrager allokiert werden, und originäre Outsourcing-Risiken, die erst durch die
Fremdvergabe entstehen. Zu der ersten Gruppe zählen sie das Mengen- und das Haftungsrisiko. Sie empfehlen, es auf die Partei zu transferieren, die es am besten steuern
kann. Der zweiten Gruppe ordnen sie bspw. das Vertrags- und das Abhängigkeitsrisiko
zu. Gutes Management in den frühen Projektphasen mindert hier die Risikopositionen
beider Parteien und stellt den zentralen Erfolgsfaktor dar. Als nächstes werden ausge-
136
Kontingenzmodell
Kooperationsrisiko
Vertragsrisiko
Kündigungsrisiko
Haftungsrisiko
Mengenrisiko
Insolvenzrisiko
Kalkulationsrisiko
Strategierisiko
Unterlieferantenrisiko
Schnittstellenrisiko
Organisationsrisiko
Abhängigkeitsrisiko
Kannibalisierungsrisiko
Kontroll- und Beurteilungsrisiko
Reputationsrisiko
Prozessrisiko
Materialflussrisiko
Informationsflussrisiko
Finanzflussrisiko
Rechteflussrisiko
Lieferrisiko
Liefertreuerisiko
Lieferzeitrisiko
Lieferortrisiko
Lieferqualitätsrisiko
Liefermengenrisiko
Lieferfähigkeitsrisiko
Faktorrisiko
Personalrisiko
Kapitalrisiko
Betriebsmittelrisiko
Bestandsrisiko
Wissensrisiko
Standortrisiko
Technologierisiko
Implementierungsrisiko
Kapazitätsrisiko
Patentrisiko
Mandant
Geschäftsebene
Prozessebene
Systemebene
Interner oder externer LDL
Umfeld
Länderrisiko
Währungsrisiko
Gesetzgebungsrisiko
Höhere Gewalt
Marktrisiko
wählte Risiken aus den vier Risikobereichen Geschäftsebene, Prozessebene, Systemebene und Umfeld erklärt.
Abbildung 32: Einordnung von Risiken in das Integrationsmodell
Risiken auf der Geschäftsebene
Kooperationsrisiken sind darauf zurückzuführen, dass ein Verbund mit oftmals konträren Zielen und Motiven schwerer zu managen ist als ein Einzelunternehmen. Es ist
bspw. denkbar, dass bei einer Off-Balance-Bestandsfinanzierung ein Interessenkonflikt zwischen dem Management des Joint Venture, das seine Bestandskosten minimieren will, und der Serviceabteilung des Mandanten, welche den Servicegrad maximieren möchte, kommt. Bei internen Logistikabteilungen können solche Konflikte auch
auftreten. Dennoch ist ein direkterer und schnellerer Eingriff durch das TopManagement möglich. Das und Teng (1999, S.50f) untergliedern Kooperationsrisiken
in Beziehungsrisiken und Performance-Risiken. Das Beziehungsrisiko ergibt sich aus
der Gefahr, dass ein Kooperationspartner sich opportunistisch verhält und sich nicht
für den Erfolg der Kooperation ausreichend engagiert. Er verfolgt beispielsweise versteckte Agenden und baut schädliche Informationsasymmetrien auf, erbringt schlechte
Serviceleistungen und versucht darüber hinaus, die Partnerressourcen für sich zu nutzen. Demgegenüber ist das Performance-Risiko definiert als eine Verfehlung der Ziele,
obwohl sich beide Parteien voll für die Kooperationsziele einsetzen. Dafür können
Kontingenzmodell
137
externe Faktoren wie die Konjunktur oder interne Faktoren wie Unfähigkeit oder fehlender strategischer Fit verantwortlich sein.
Die Möglichkeit einer Vertragskündigung wird durch das Kündigungsrisiko ausgedrückt. Durch eine Vertragsbeendigung ergeben sich zahlreiche Fragen: Wer kann
bzw. muss die Ressourcen zu welchen Konditionen übernehmen und wie kann ein reibungsloser Betrieb gewährleistet werden? Ein wichtiges Instrument stellt hier die
Rückabwicklungsmatrix dar. Sie kann z.B. regeln, dass der Mandant spezifische Investitionen des LDL zum Restwert übernehmen muss.
LDL übernehmen heute auch physische Mehrwertleistungen. Sie sind also neben der
räumlichen und zeitlichen auch in die funktionale Gütertransformation involviert. Mit
einem steigenden Aufgabenspektrum wächst auch ihre Verantwortung und ihr Haftungsrisiko. Die Festlegung des Haftungsumfanges und die Abgrenzung von Folgeschäden ist eine enorme Herausforderung. Soll ein LDL etwa die Mitschuld daran tragen, dass ein Flugzeug abstürzt, für das er Teile zugeliefert hat? Im Fall des fremdvergebenen CKD-Prozesses ist es so, dass Fehlkommissionierungen meistens dramatische
Kostenkonsequenzen haben. Der Fehler wird häufig erst an der Destination festgestellt. In diesem Fall haftet der LDL für die Kosten der Expressfracht und der Verzollung.
Das zukünftige Verkaufsvolumen des Mandanten ist ungewiss und führt zu einem
Mengenrisiko im Logistiksystem. Je nachdem auf welches Preissystem sich die Parteien einigen, wird mehr oder weniger von dem Mengenrisiko auf den LDL transferiert.
Der LDL riskiert bspw. bei einer rein transaktionsorientierten Bezahlung ohne Bandbreiten eine Fixkostenunterdeckung. Wenn es dem LDL gelingt, ein flexibles „atmendes“ System zu errichten, dann kann er diese Risiken mindern. Es muss eine hohe
durchschnittliche Auslastung erreichen und bei Nachfragespitzen immer noch lieferfähig sein.
Bei komplexen Mehrwertleistungen führen schlecht dokumentierte Prozesse des Mandanten zu unvollständigen Ausschreibungsunterlagen. Daraus resultiert für den LDL
ein Kalkulationsrisiko, weil er Kostentreiber falsch einschätzt. Dieses Risiko wird
durch Markt- und Implementierungsrisiken häufig noch verstärkt.
138
Kontingenzmodell
Insolvenzrisiken stellen für LDL eine signifikante Bedrohung dar. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Fremdvergabe von Mehrwertleistungen von Mandanten häufig
im Rahmen einer Restrukturierung stattfindet. Wenn die Restrukturierung dann misslingt, bricht für den LDL u.U. ein umfangreiches Geschäft durch Insolvenz des Mandanten weg. Insolvenzrisiken betreffen auch die Organisation des LDL. Damit nicht
plötzlich das Distributionssystem des Mandanten stillsteht, versuchen viele in der Ausschreibung die potenziellen Partner bspw. mit einer Kreditauskunft oder Bilanzanalyse
zu prüfen. Wenn es doch zu einer Insolvenz in der Lieferantenbasis kommen sollte,
dann haben viele einen Backup-Lieferanten, der schnell hochgefahren werden kann.
Wenn die Markt- und Logistikstrategien des Mandanten wechselhaft und unvorhersehbar sind, dann entstehen für den LDL Gefahren. Diese Strategierisiken drücken
sich bspw. dadurch aus, dass ein Mandant kurzfristig eine europäische Regionallagerstruktur in eine Zentrallagerstruktur umwandelt.
LDL schalten für die Leistungserstellung häufig spezialisierte Unterlieferanten wie
Transport- oder Finanzdienstleister ein. Dies erfolgt mit der Intention, Kompetenzen
einzukaufen und Risiken weiterzureichen. Allerdings kommen durch diese Zusammenarbeit auch neue Unterlieferantenrisiken dazu.
Kommunikationsrisiko bedeutet, dass durch Outsourcing die Kommunikation beeinträchtigt wird. Ein Mandant betont bspw. die Bedeutung von langjährig gewachsenen
persönlichen Kontakten für die Behebung alltäglicher Lieferprobleme. Diese können
durch Outsourcing verloren gehen.60
Ein Organisationsrisiko besteht bspw. dann, wenn ein LDL Postponement-Aufgaben
übernimmt. Dafür muss er mit der FuE und dem Einkauf des Mandanten sowie mit
den Lieferanten eng zusammenarbeiten. Es besteht die Gefahr, dass der LDL nicht mit
der erforderlichen Autorität ausgestattet ist, um seine Aufgaben vereinbarungsgemäss
zu erledigen.
Nach einem umfangreichen Outsourcing verbleibt bei der internen Logistik des Mandanten die Aufgabe, zusammen mit dem LDL den Kontrakt zu managen. Dafür werden üblicherweise Organisationsstrukturen gebildet, die von beiden Seiten paritätisch
besetzt werden. Weil die Ausführung jedoch dem LDL obliegt, besteht die Gefahr,
60
Interview Mandant 16.02.2005
Kontingenzmodell
139
dass Ineffizienzen oder Probleme für den Mandanten nicht oder zu spät transparent
werden. Instrumente wie Open Book oder SCEM helfen dabei, Kosten und Leistungen
transparent zu machen. Wenn eine Leistung über Jahre durch einen externen Partner
erbracht wurde, dann kann der Mandant Beurteilungsrisiken ausgesetzt sein. Es besteht
die Möglichkeit, dass er nicht mehr beurteilen kann, ob das für ihn betriebene Logistiksystem auf den aktuellsten und für ihn passendsten Konzepten basiert oder ob Verbesserungspotenziale unrealisiert bleiben.
Ähnlich wie man es von grossen IT-Outsourcing-Deals kennt, besteht auch bei Mehrwertleistungen das Risiko einer Rückabwicklung. Dies kann mit einem Vertrauensund Reputationsverlust in der Branche einhergehen.
Risiken auf der Prozessebene
Hinter dem Prozessrisiko verbirgt sich die Gefahr, dass Prozesse nicht plangemäss
ablaufen. Das Outsourcing bestehender Prozesse ist dann problematisch, wenn in der
Mandantenorganisation die Abläufe kaum dokumentiert sind und dem LDL unvollständig oder falsch spezifiziert werden. Prozessrisiken entstehen vor allem dann, wenn
das Outsourcing mit einem umfangreichen Prozess-Reengineering verbunden wird. Es
ist bspw. denkbar, dass die Produktivität in der Auftragsannahme sinkt, weil der LDL
eine andere Software einsetzt.
Trotz der Vereinbarung von Servicegraden können Lieferrisiken nicht ausgeschlossen
werden. Ein Interviewpartner betonte, dass vielfach Logistikleiter für Fehllieferungen
von LDL mitverantwortlich gemacht werden. In solchen Fällen werden dann „Schattenorganisationen“ zur Kontrolle des LDL aufgebaut.
Risiken auf der Systemebene
Im Falle von Mehrwertlösungen muss der LDL ein komplexes Logistiksystem für den
Mandanten aufbauen. Das Personalrisiko beschreibt den Fall, dass Personal für seine
Aufgabe nicht ausreichend qualifiziert oder motiviert ist. Ein Mandant berichtete von
einem wenig konfliktfähigen Mitarbeiter, der seinen Vorgesetzten immer gesagt hatte,
dass die Leistungen durch den LDL ordnungsgemäss erbracht würden. Nach zahlreichen Beschwerden von internen Kunden über Spät- und Fehllieferungen wurde die
Person ausgetauscht. Gegen Personalrisiken kann durch Training und die Schaffung
eines Risikobewusstseins gegengesteuert werden. Ein weiteres Personalrisiko besteht
140
Kontingenzmodell
für LDL darin, spezialisierte Humanressourcen wie Prozessingenieure aus der Produktionslogistik nach Ablauf eines Kontraktes weiterzubeschäftigen.
Ähnliches gilt für das Standortrisiko. Häufig ergibt sich für den LDL eine Diskrepanz
zwischen der Kontraktlaufzeit mit dem Mandanten und der Mietlaufzeit mit der Immobiliengesellschaft. Das Risiko, ob ein Standort nachher wirtschaftlich weitergenutzt
werden kann, hängt von seiner Lage ab. Ein Lager in einem Ballungsraum zu errichten
ist tendenziell weniger riskant, als dies im Bayerischen Wald zu tun.
Informationstechnologien spielen für die Erbringung von Mehrwertleistungen eine
grosse und weiter steigende Rolle. Eingeschränkte Systemverfügbarkeit, schlechte Datenqualität, unautorisierter Zugang und Programmierfehler (z.B. ungenaue Planungsmodelle) stehen exemplarisch für die steigende Verwundbarkeit.
Wenn anspruchsvolle Konzepte, wie Postponement oder Merge-in-Transit, durch LDL
bzw. Mandant nicht entsprechend Spezifikation, Zeitplan oder Budget erfolgen, dann
entstehen Gefahren, die unter dem Begriff Implementierungsrisiko subsummiert werden. Die Risiken sind besonders signifikant, wenn ein Konzept – bspw. RFID – neuartig ist und wenig Erfahrungswissen vorliegt.
Risiken aus dem Umfeld
Die Ungewissheiten der Produkt- und Faktormärkte werden als Marktrisiken kategorisiert und haben häufig signifikante Auswirkungen auf einen Kontrakt. Aufgrund der
Ölknappheit sind in den vergangenen Monaten bspw. die Benzinpreise stetig gestiegen. In diesem Fall sollte der LDL darauf hinwirken, dass er diese Faktorkosten an den
Mandanten weiterreichen kann.
Zahlreiche Gesetzesinitiativen wirken sich auf die Logistik aus. Als Beispiel kann man
die Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln nennen oder die Rücknahmepflicht bei
Elektronikprodukten und Automobilen. Mandanten müssen sich auf die neuen Aufgaben vorbereiten und vergeben diese vielfach fremd, weil sie diese nicht als Kernkompetenzen erachten. Zölle, Steuern sowie Ein- und Ausfuhrbeschränkungen können sich
ständig ändern, was bei Unkenntnis zu Verzögerungen im grenzüberschreitenden Verkehr führt. Um dieses Gesetzgebungsrisiko zu mindern, hat z.B. ein High-TechUnternehmen einen spezialisierten Dienstleister für die Verzollung engagiert.
Kontingenzmodell
141
Unter die Kategorie höhere Gewalt fallen einige Risiken, die ihren Ursprung in der
natürlichen Umwelt haben. Ein Mandant berichtete über einen Wasserschaden in einem Lager des LDL nach einem Unwetter. Er zeigte sich sehr zufrieden mit dem Krisenmanagement und dem Engagement des LDL bei der Wiederherstellung der Betriebsfähigkeit und meinte, dass diese Erfahrung die Geschäftsbeziehung gestärkt
hat.61 Immer mehr Lieferketten haben heutzutage ihren Ursprung in asiatischen Ländern. Epidemien wie SARS und Vogelgrippe haben das Potenzial, diese Lieferketten
stillzulegen. Für Mandant und LDL stellt sich also immer die Frage, wie man vor dem
Hintergrund von Worst-Case-Szenarien handlungsfähig bleibt.
Zusammenfassend kann man sagen, dass mit einem strukturierten RisikomanagementProzess die meisten der oben dargestellten Risiken effektiv gesteuert werden können.
Dafür müssen die Aufgaben und Verantwortungen des Risikomanagement eindeutig
zugeordnet werden. Die Verantwortlichen können Risiko präventiv managen, indem
sie es vermeiden, mindern oder diversifizieren, sie können es korrigierend managen,
indem sie es transferieren, finanzieren oder versichern, oder sie können es übernehmen
(Eberle 2005, S.44).
Die notwendige Diskussion über Outsourcing-Risiken sollte nicht dazu führen, dass
interessante Potenziale eines solchen Vorgehens übersehen werden. Stattdessen sollte
die Outsourcing-Entscheidung auf einer integrierten Betrachtung von Potenzialen und
Risiken basieren.
„Generell glaube ich nicht, dass die Qualität einen bedeutenden Unterschied darstellt, wenn man es selber betreibt. (...) Dass zusätzlich Risiken auftreten, glaube
ich nicht. Was ein Dienstleister falsch machen kann, ist in der Regel das, was ich
selber auch falsch machen kann.“62
„Ich sehe keine Risiken, die wir beim Eigenbetrieb nicht hätten. Eher noch weniger, da die Sicherheitsstandards erhöht worden sind. Wir haben da auch mehr
Fläche, sodass, wenn etwas passiert, man evtl. auf eine andere Fläche ausweichen
kann. Die Workforce ist höher. Wenn dort bei uns ein Teil ausfallen würde, dann
61
62
Interview Mandant 01.03.2005
Interview Mandant 24.02.2005
142
Kontingenzmodell
kann man immer noch aus anderen Bereichen im gleichen Unternehmen Mitarbeiter holen.“63
63
Interview Mandant 29.03.2005
Kontingenzmodell
143
3.4 Zwischenfazit
Ziel dieses Kapitels war, ein Kontingenzmodell für Mehrwertleistungen in der Kontraktlogistik aufzubauen und damit zur Beantwortung der Forschungsfragen 1 bis 4
beizutragen. Die zahlreichen Praxisgespräche deuten darauf hin, dass bei Mehrwertleistungen die Bedürfnisse und Lösungsansätze sehr heterogen sind. Aus diesem Grund
ist es wünschenswert, die wichtigsten Erkenntnisse dieses Kapitels in Form eines Stufenschemas zu rekapitulieren. Für die einzelnen Stufen lassen sich konkretere Aussagen über Leistungsgestaltung, erzielbare Resultate und Voraussetzungen im Kontext
der Geschäftsbeziehung treffen als dies übergreifend möglich wäre.
Rechtefluss
Finanzfluss
Optimierungsanbieter
Koordinationsanbieter
Informationsfluss
Transparenzanbieter
Materialflussanbieter
Materialfluss
Basisanbieter
Ausführung
Monitoring
Planung
/ Fulfillment
Design
Abbildung 33: Stufenschema für Geschäftsmodelle in der Kontraktlogistik
Quelle: Eigene Darstellung
Das neuentwickelte Stufenschema für Geschäftsmodelle in der Kontraktlogistik, das in
Abbildung 33 dargestellt ist, greift als Segmentierungskriterium auf die ausgetauschten
Mehrwertleistungen zurück. Daraus ergeben sich fünf klar operationalisierbare Stufen:
zwischen der untersten Stufe „Basisanbieter“ und der obersten Stufe „Optimierungsanbieter“ befinden sich die Zwischenstufen „Materialflussanbieter“, „Transparenzanbieter“ und „Koordinationsanbieter“. Diese Unterscheidung ist praktikabler als die
bisher häufig verwendete aber nicht ganz trennscharfe Gliederung in 3PL, LLP und
4PL. Die Anbieter auf den drei oberen Stufen können entweder rein virtuell agieren
oder ihre administrativen Leistungen mit physischen kombiniert erbringen. Das Mo-
144
Kontingenzmodell
dell ist nicht normativ sondern deskriptiv zu interpretieren. Die obersten Stufen werden nur für ausgewählte Geschäftsbeziehungen realisierbar sein, da sie häufig weder
vom Mandanten gewünscht noch für den LDL realisierbar bzw. profitabel sind.
Materialflussanbieter
Im Unterschied zu einem Basisanbieter erbringt ein Materialflussanbieter nicht Teilprozesse, sondern abgerundete Prozesse entlang des Materialflusses. Das Spektrum der
vom LDL erbrachten Leistungen setzt sich hauptsächlich aus Ausführungsaufgaben
zusammen. Darüber hinaus erbringt er in begrenztem Masse Steuerungsaufgaben. Beispielhafte Lösungen sind Sequenzierung und Bandbereitstellung, Postponement und
CKD-Distribution. Die Lösungen erfordern umfassende mandanten- oder segmentspezifische Investitionen in Standorte, Fördertechnik und in die Schulung von Personal.
Derzeit dominieren noch Mandantenlösungen, die einen erheblichen Fixanteil in der
Entlohnung des LDL implizieren. Je nachdem wie gut den LDL eine Skalierung gelingt, wird hier die transaktionsorientierte Entlohnung an Bedeutung gewinnen. Trotz
ihrer Spezifität lassen sich diese Lösungen vergleichsweise gut in Verträgen abbilden.
Rückabwicklungsklauseln spielen eine wichtige Rolle, um den Zugriff des Mandanten
auf wichtige Ressourcen zu gewährleisten.
Durch die Fremdvergabe von abgerundeten Prozessen auf der Materialflussebene konzentriert sich der Mandant auf seine Kernkompetenzen. Er muss für die Aufgaben keine eigenen Ressourcen auslasten, transferiert dadurch je nach Vertrag Mengenrisiken
und erhöht seine strategische Flexibilität. Die Aufgaben rund um den Materialfluss
sind häufig personalintensiv. Wenn die Lohnkosten beim LDL niedriger als beim
Mandant sind, dann bietet die Fremdvergabe Arbitragemöglichkeiten. Wenn es dem
Anbieter gelingt, seine Leistungen zu skalieren, dann kann er die Kosten seiner Mandanten variabilisieren und Grössenvorteile erzielen. Je stärker der LDL in Bereiche der
Produktion(slogistik) vordringt, desto relevanter werden für ihn Risiken der Produkthaftung und der Betriebsbereitschaft von Montage- und Verpackungskapazitäten. Aufgrund der schwankenden Auslastung steht er vor der Herausforderung, die Transaktionspreise präzise zu kalkulieren. Für den Mandanten geht es vor allem darum, Einschränkungen bei der Lieferfähigkeit durch Fehler des LDL auszuschliessen.
Die Leistungen, die von einem Materialflussanbieter erbracht werden, zeichnen sich
üblicherweise durch einen niedrigen bis mittleren Innovationsgrad aus. Meistens praktiziert der Mandant auf Standortebene ein Single Sourcing und auf der Ebene des
Kontingenzmodell
145
Netzwerks ein Multiple Sourcing. Die Zusammenarbeit kommt über eine Ausschreibung zustande, bei der vor allem die Fähigkeit zum Kostensenken beim LDL bewertet
wird. Entsprechend der begrenzten Integration beider Partner können ihre Interessen
nur unvollständig harmonisiert werden. Um die beschriebenen Leistungen auszuführen, muss der LDL über ausgeprägte Kompetenzen in der physischen Logistik, wie
dies bei Transporteuren, Lagerdienstleistern und 3PL vorkommt64, verfügen.
Transparenzanbieter
Ein LDL nimmt in einem Kontrakt die Rolle eines Transparenzanbieters ein, wenn er
umfangreiche Monitoring-Leistungen für den Mandanten erbringt. Bei dieser Entwicklungsstufe verschiebt sich sein Betätigungsschwerpunkt zunehmend in den Bereich des
Informationsflusses. Der Dienstleister erfasst Prozesszustände mit Hilfe von Barcode
oder RFID, er verarbeitet diese in Tracking & Tracing- bzw. SCEM-Systemen und
stellt dem Mandanten Inputs für die Prozesskostenrechnung, das Reporting und das
Controlling zur Verfügung. Die verwendete IT-Plattform wird vom LDL i.d.R. übergreifend eingesetzt. Dennoch muss er die Prozesse rund um die Benachrichtigung,
Problemlösung und Eskalation sowie die Ergebnisse (Events und Reports) individuell
auf den Mandanten zuschneiden. Für die Implementierung eines komplexen Monitoring-Systems bietet sich als Preisschema Cost Plus Incentive Fee an. Die Betriebskosten können über eine Transaktionsrate ggf. ergänzt durch ein Bonus-Malus-Schema,
dass sich auf die Dienstleister-Performance im Material- und Informationsfluss bezieht, verrechnet werden.
Die Bezeichnung des Geschäftsmodells deutet darauf hin, dass es eine Transparenzverbesserung im Logistiknetzwerk des Mandanten bezweckt. Weil der LDL Logistiknetzwerke für diverse Mandanten überwacht, erreicht er Spezialisierungsvorteile.
Wenn die gleiche Partei, die den Materialfluss ausführt, auch die Statusinformationen
organisiert, dann kann sie Verbundeffekte erzeugen. Die verbesserte Informationsbasis
sollte dafür genutzt werden, Flaschenhälse in Prozesse aufzudecken und zu beseitigen.
Durch die Fremdvergabe innovativer Leistungen wie RFID transferiert der Mandant
das Implementierungsrisiko und das Technologierisiko, welches Unsicherheiten bei
Technologien und Standards umfasst, auf den LDL. Die verbesserte Transparenz senkt
für ihn das Kontrollrisiko der fremdvergebenen Lösung.
64
vgl. die Dienstleistertypologie in Abbildung 13
146
Kontingenzmodell
Eine Positionierung als Transparenzanbieter macht vor allem gegenüber Mandanten
Sinn, die über ein stark globalisiertes und weit verzweigtes Logistiknetzwerk verfügen.
Überdurchschnittliche Anforderungen an Effizienz oder Reaktionsfähigkeit stellen
weitere Treiber dar. Für den Vertrieb komplexer Monitoring-Lösungen gewinnt der
konsultative Ansatz für LDL an Bedeutung. Transparenzanbieter benötigen zusätzliches Wissen über Informationstechnologien und über Prozessinterdependenzen beim
Mandanten. Abgesehen von solchen mit rein physischem Netzwerk kommen viele
Anbieter – z.B. Spediteure, IT-Dienstleister und KEP-Dienstleister – für die Rolle in
Frage. Monitoring-Lösungen lassen sich als übergreifende oder zumindest als branchenspezifische Plattformen realisieren, wobei ein umfangreiches Customizing möglich sein sollte. Je höher der Innovationsgrad der Lösung und je wichtiger dem Mandant eine flächendeckende Transparenz ist, desto schwerer teilbar wird die Lösung und
desto eher wird er sich für ein (regionales) Single Sourcing entscheiden.
Koordinationsanbieter
Das Leistungsspektrum eines Koordinationsanbieters umfasst die Planung und/oder
das Fulfillment im Logistiknetzwerk des Mandanten. Dieses Geschäftsmodell ist bisher selten zu finden, weil Mandanten die Planung und das Auftragsmanagement vielfach als eigene Kernkompetenz betrachten. Dennoch wird von Mandanten zunehmend
Bedarf bei operativen Planungsaufgaben artikuliert. In den Bereich der Planung fallen
Leistungen wie Collaboration mit Kunden bzw. Lieferanten, Bestandsplanung, Montageplanung und Transportplanung während dem Bereich des Auftragsmanagement Leistungen wie Auftragssteuerung und Verfügbarkeitsprüfung sowie Call Center und
Kundenservice zuzurechnen sind. Neben der IT investiert der LDL vor allem in den
Wissensaufbau über Besonderheiten des Produkt-Markt-Kontexts und die Planungsprozesse des Mandanten. Wenn der LDL die Off-Balance-Bestandsfinanzierung erbringt, dann investiert er darüber hinaus in spezifische Bestände. Die Leistungen werden dann vergütet, indem das finanzielle Ergebnis des speziell für diese Aufgaben gegründeten Joint Ventures geteilt wird. Bei anderen, durch einen Kontrakt geregelten
Planungsaufgaben ist auch eine rein transaktionsorientierte Preisgestaltung denkbar
oder ein Gain-Sharing-Risk-Sharing-Abkommen, bei dem bspw. ein Einsparungsziel
bei Bestands- oder Transportkosten festgelegt wird.
Durch den Einsatz eines Koordinationsanbieters profitiert der Mandant im Idealfall
von den jeweils neuesten Werkzeugen für Planung und Auftragsmanagement. Der Koordinationsanbieter realisiert Lerneffekte bei der wiederholten Integration von Man-
Kontingenzmodell
147
danten in seine Plattform. Wenn der Mandant seine Bestände an den LDL verkauft,
dann fliesst ihm frisches Kapital zu, welches er für einen notwendigen Wandel in der
Logistik oder in anderen Unternehmensbereichen verwenden kann. Zusätzlich gelingt
es ihm, seine bilanziellen Kennzahlen zu verbessern. Für beide Parteien besteht die
Gefahr, dass das Geschäftsmodell nicht adäquat in einem Vertrag abgebildet wird und
dass sich durch Planungsungenauigkeiten Unter- bzw. Überbestände im Netzwerk ergeben. Die Beauftragung eines externen Dienstleisters mit Koordinationsaufgaben
kann zu organisatorischen Reibungsverlusten führen, weil Schnittstellen entstehen und
Kompetenzen verteilt werden müssen. Für LDL, die neben der Koordination auch
physische Aufgaben erbringen, ergeben sich Risiken der Kannibalisierung des eigenen
Geschäfts. Durch verbesserte Planung sinkt bspw. die Zahl übernachteter Paletten im
Lager und damit die Vergütung des LDL. Auf der anderen Seite ist es möglich, dass
der Mandant im Laufe der Zeit seine Beurteilungsfähigkeit der koordinativen Prozesse
einbüsst und abhängiger wird.
Durch die Fremdvergabe von koordinativen Aufgaben erzielt der Mandant eine extrem
niedrige Logistiktiefe. Mögliche Motive dafür sind, dass er seine Kernkompetenzen in
anderen Funktionsbereichen sieht, dass er seine Logistikkompetenzen als unterdurchschnittlich einschätzt oder dass er aufgrund einer angespannten finanziellen Lage Kapital benötigt. Eine erfolgreiche Fremdvergabe umfangreicher Koordinationsaufgaben
setzt - egal welches Motiv dahinter steckt - eine hohe Outsourcing-Kompetenz voraus.
Mandanten werden bei der Auswahl überprüfen, ob der LDL eine Reputation als zuverlässiger und innovativer Anbieter hat. Hinsichtlich der Frage, welcher Typ von
LDL am besten geeignet ist, gibt es zwei alternative Argumentationen. Die erste Argumentation besagt, dass rein administrative LDL einen Vorteil haben, weil man bei
ihnen Interessenkonflikte ausschliessen kann. Die zweite Argumentation differenziert
nach der betrachteten Koordinationsaufgabe und kommt zu dem Ergebnis, dass ein
LDL mit einem Transportnetzwerk Erfahrungsvorteile in der Transportplanung und
ein LDL mit stationärem Netzwerk Erfahrungsvorteile in der Bestandsplanung hat.
Weil die Risiken des Modells vergleichsweise hoch sind, muss der Anbieter einen klaren Mehrwert seiner Leistungen in Form von Skalen- oder Verbundeffekten mit anderen Mandanten nachweisen. Eine transparente Geschäftsbeziehung ist besonders wichtig, damit der Mandant die Leistung des LDL beurteilen und bei Bedarf schnell agieren
kann. Darüber hinaus können beide Seiten die Erfolgswahrscheinlichkeit ihrer Zusammenarbeit erhöhen, indem sie ihre Interessen durch ein Joint Venture bzw. ein
Gain Sharing möglichst weit harmonisieren.
148
Kontingenzmodell
Optimierungsanbieter
Logistikdienstleister, die umfangreiche Gestaltungsaufgaben für Mandanten wahrnehmen, kann man als Optimierungsanbieter bezeichnen. Zu ihrem Leistungsspektrum
gehören u.a. die Verbesserung von Prozessen und Logistiknetzwerken sowie die Weiterentwicklung von IT, Logistiktechnologien und Verpackungen. Falls beide Seiten
besonders intensiv zusammenarbeiten, kann man von einer Entwicklungspartnerschaft
sprechen. Heute ist dieses Geschäftsmodell noch nicht häufig anzutreffen. Es ist jedoch zu erwarten, dass bei einem anhaltend hohen Innovationstempo in der Logistik
manche Unternehmen zur kooperativen Entwicklung übergehen werden. Im Laufe der
Einarbeitung und der eigentlichen Entwicklungsprojekte investiert der LDL in beziehungsspezifisches Wissen über die Produkte, Prozesse und zugrundeliegenden Technologien des Mandanten. Um sich erfolgreich als Optimierungsanbieter zu positionieren, müssen LDL ihre logistische Grundlagenforschung intensivieren, um einzigartiges, firmenspezifisches Wissen zu kreieren.
Aufgrund der weitreichenden Kompetenzen für den LDL bietet neben dem Vertrag
auch das Joint Venture eine bedeutsame Alternative für die Governance. Houston und
Johnson (2000, S.3) sehen drei treibende Faktoren für vertikale Joint Ventures. Erstens
steigt mit den spezifischen Investitionen des LDL die Wahrscheinlichkeit eines Joint
Ventures. Ein Vertrag bietet zu wenig Schutz gegen einen Wissensabfluss zum Mandanten und keine Garantie für eine adäquate Verzinsung der vom LDL getätigten Investitionen in Wissen. Joint Ventures hingegen sind tendenziell mit höherer Kontinuität
und niedrigerem Opportunismus verbunden, weil es auf beiden Seiten zu Investitionen
also Sunk Costs kommt. Beide Seiten können das Gemeinschaftsunternehmen und
damit auch die eingesetzten Wissensressourcen wirksam kontrollieren. Nachteilig sind
jedoch die hohen Administrationskosten. Zweitens steigt die Wahrscheinlichkeit eines
Joint Ventures, je schwieriger eine vertragliche Zielharmonisierung ist. Im Joint Venture hat der LDL stets einen Anreiz für gute Performance, da sein Ergebnis vom Ergebnis des Gemeinschaftsunternehmens abhängt. Drittens existiert eine negative Korrelation zwischen der Reputation des LDL und der Governance durch ein Joint Venture. Laut Houston und Johnson wird im Joint Venture die Rolle, welche Reputation in
Verträgen spielt, durch Zielharmonisierung und Monitoring ersetzt. Im Falle einer vertraglichen Regulierung macht es Sinn, verschiedene Entlohnungsmechanismen zu
kombinieren. Für die Entwicklung und Implementierung neuartiger Konzepte, welche
in einem solchen Geschäftsmodell eine hohe Bedeutung haben, bietet sich bspw. Cost
Kontingenzmodell
149
Plus Incentive Fee an. Aber auch erprobte Logistikkonzepte lassen sich in der Betriebsphase ständig weiterentwickeln. Anreize dafür schafft bspw. ein Gain-SharingAbkommen.
Mandanten können eine enge Zusammenarbeit mit einem Optimierungsanbieter suchen, um den Wandel ihrer Logistikstrukturen voranzutreiben und die Leistungsfähigkeit ihrer Prozesse zu verbessern. Spezialisierte Entwicklungs- und Beratungseinheiten
des LDL können für mehrere Mandanten arbeiten und dadurch Skalen- und Verbundeffekte erzeugen. Eine enge Logistikkooperation bietet die Möglichkeit, dass beide Parteien komplementäres Wissen kombinieren. Dadurch gelingt es im Idealfall,
nachhaltige Wettbewerbsvorteile zu generieren und den Unternehmenswert zu steigern. Im Rahmen der Entwicklung liegt die grösste Herausforderung darin, das Eigentum von Wissen zu regeln und es vor unkontrolliertem Abfluss zu schützen. Bei anspruchsvollen Veränderungsprojekten besteht immer auch die Gefahr, dass deren Umsetzung misslingt. Die Rolle des Optimierungsanbieters konfrontiert LDL mit neuen
Fragestellungen. Bspw. können aus seiner Involvierung in die Verpackungsentwicklung Haftungsfragen entstehen. Auch für die Entwicklung von Logistiksystemen gilt
das Gesetz des abnehmenden Grenzertrags. Es ist schon häufiger vorgekommen, dass
Mandanten nach grösseren Verbesserungserfolgen ein Insourcing vorgenommen haben. Ausserdem muss jedes Mal, wenn der Mandant seine Logistikstrategie grundlegend ändert, die Zusammenarbeit neu definiert werden.
Das beschriebene Geschäftsmodell ist vor allem für Mandanten interessant, die ihre
Logistik weiterentwickeln wollen und dabei Unterstützung benötigen. Eine erfolgreiche Positionierung eines LDL als Optimierungsanbieter setzt voraus, dass er über eine
schlagkräftige FuE- und Beratungsabteilung verfügt. Er sollte proprietäre Technologien und Lösungen entwickeln, die er für einen proaktiven und wertorientierten Vertrieb
nutzen kann. Ein strukturierter beidseitiger Wissensaustausch in der Geschäftsbeziehung verhindert Abhängigkeit und eine Free-Rider-Haltung. Wenn sich die Zusammenarbeit bewährt, kann sie mittelfristig zu einer Entwicklungspartnerschaft ausgebaut werden.
150
Fallstudien
Fallstudien
151
4 Fallstudien
4.1 Vorgehensweise
Das Outsourcing umfangreicher Mehrwertleistungen stellt eine komplexe Entscheidung für den Mandanten dar. Die Fallstudienmethode eignet sich besonders gut für die
Untersuchung solcher Entscheidungsprozesse in Unternehmen. Mit der Methode lässt
sich erforschen, wie das Phänomen Mehrwertleistung in seinen Kontext eingebettet ist,
d.h. die Fallstudien beschreiben Status Quo und Trends für das Angebot und die Nachfrage von Mehrwertleistungen in ausgewählten Unternehmen. Darüber hinaus stellen
sie dar, welche Mehrwerte und Risiken mit komplexen Logistikdienstleistungen verbunden sind und wie bestimmte Kontextfaktoren deren Nachfrage und Gestaltung beeinflussen. Dieses Vorgehen verfolgt das Ziel, Informationen aus der Praxis zu sammeln, um die Wissensbasis zum Thema „Mehrwertleistungen in der Kontraktlogistik“
zu erweitern. Aus den Fallstudien können Bedürfnisse der Mandanten abgelesen werden. Diese Erkenntnisse werden dann in Kapitel 5 für die Gestaltung aufgegriffen.
„Fokusgruppe Kontraktlogistik“
Wissenschaftler und Vertreter führender KontraktlogistikUnternehmen
Arbeitskreissitzungen und Interviewreihe mit LDL
Zeitraum: März 2004 – April 2005
Empirische Diplomarbeiten im Themenbereich „Kontraktlogistik“
Betreuung von sechs Diplomarbeiten
Interviewreihen mit LDL
Zeitraum: März 2004 – Oktober 2005
Untersuchung „Mehrwertleistungen in der Kontraktlogistik“
Interviewreihe mit Mandanten
Branchen: Automobil, Elektronik und High-Tech,
Konsumgüter
Zeitraum: Januar 2005 – April 2005
Abbildung 34: Zeitplan der Interviewreihen
Für diese Arbeit wurden drei Interviewreihen mit Mandanten und LDL durchgeführt,
so dass sie beide Perspektiven – Nachfrage und Angebot – berücksichtigt (vgl.
Abbildung 34). Die Wirtschaftspresse, Kongresse und persönliche Kontakte wurden
dazu genutzt, um Beispiele für anspruchsvolle Mehrwertleistungen und geeignete In-
152
Fallstudien
terviewpartner in den entsprechenden Unternehmen zu identifizieren. Anfragen per
eMail und Telefon führten zu einer hohen Zusagequote, welche die Aktualität des
Themas bestätigt. Im Laufe des Forschungsvorhabens hat der Autor 36 Interviews davon 21 bei LDL und 15 bei Mandanten - geführt. Mit den Interviewpartnern wurden
jeweils 1-2 Gespräche, die ca. 60-90 Minuten dauerten, geführt. Ein semi-strukturierter
Fragebogen bestehend aus allgemeinen Fragen zu Mehrwertleistungen sowie Fragen
zu einem konkreten Projektbeispiel führte durch das Gespräch (vgl. Kapitel 7.2). Aufgrund des explorativen Charakters des Forschungsvorhabens wurden im Gesprächsverlauf Fragen flexibel ergänzt.
Logistik-Outsourcing stellt für die meisten Unternehmen ein sensibles Thema dar. Daher wurden die Fallstudien in anonymisierter Form verfasst. Die gewählte Darstellung
ermöglicht es, für Wissenschaft und Praxis interessante Muster herauszuarbeiten, ohne
vertrauliche Informationen preiszugeben. Die Struktur der Fallstudien orientiert sich
weitestgehend an dem Kontingenzmodell aus dem vorigen Kapitel.
Die Auswahl der Fallstudien aus der Grundgesamtheit aller durchgeführten Interviews
erfolgte basierend auf folgenden Kriterien und Überlegungen:
Kundenorientierung. Die Fallstudien nehmen bewusst die Mandantenperspektive ein, um die aktuellen und zukünftigen Kundenbedürfnisse bzgl. logistischer
Mehrwertleistungen präzise abzubilden. Auf dieser Informationsgrundlage
können dann in Kapitel 5 fundiertere Gestaltungsempfehlungen für LDL gegeben werden.
Vergleichbarkeit. Um verwertbare Erkenntnisse über Ähnlichkeiten oder Unterschiede zwischen den Fallstudien herauszuarbeiten, ist es sinnvoll, auf wenige Branchen zu fokussieren.
Progressive Branchen. Es stellt sich die Frage, welche Sektoren für die Vergabe von informationsbasierten und physischen Mehrwertleistungen prädestiniert sind. Straube (2004, S.210ff) stellt fest, dass einige Merkmale der Automobil- und Elektronikindustrie darauf hindeuten, dass sie bei der Nachfrage
von informationsbasierten Mehrwertleistungen eine Vorreiterrolle einnehmen
werden. Sie sind gekennzeichnet durch eine „Fragmentierung von Beschaffungs- und Produktionsnetzen“, hohe Folgekosten bei einer Nichteinhaltung
von Zeithaushalten und ein hohes Gewicht von Logistikkosten innerhalb der
Gesamtkosten. Der Autor ermittelt das Marktpotenzial von informationsbasier-
Fallstudien
153
ten Mehrwertleistungen, indem er die Komplexität der Logistik – die mit dem
möglichen „Optimierungsbeitrag“ korreliert – und die Outsourcing-Neigung
des Mandanten abschätzt und in einer Matrix gegeneinander aufträgt.
Repräsentativität. Die Fallstudienunternehmen können nach wirtschaftlichen
und technischen Gesichtspunkten als für ihre Branchen repräsentativ angenommen werden. Sie verfügen jeweils über eine bedeutende Wettbewerbsposition und ein Produktportfolio, dass auf repräsentative Logistikprozesse und netzwerke hindeutet.
Breite und Tiefe. Vier Fallstudien ermöglichen eine in Breite und Tiefe ausgewogene Darstellung der Einzelfälle sowie einen Quervergleich. Im Gegensatz
zur Einzelfallstudie lässt sich so ein breites Spektrum von Mehrwertleistungen
und Geschäftskontexten abdecken. Die Fälle wurden bewusst so ausgewählt,
dass sie die unterschiedlichen Ausprägungen des Kontingenzmodells möglichst
vollständig abdecken. Ein solches Mehrfallstudiendesign bezeichnet Yin (2003,
S.47) als „theoretical replication“. Im Gegensatz dazu werden bei der „literal
replication“ ähnliche Fallstudien untersucht.
154
Fallstudien
4.2 Automobilunternehmen Alpha
Ausgangssituation
Alpha ist ein europäisches Automobilunternehmen. Sie entwickelt, produziert und vertreibt zahlreiche Modellreihen. Die Autos von Alpha geniessen weltweit ein ausgeprägtes Qualitätsimage. Ähnlich wie bei den Wettbewerbern wurde in den letzten zehn
Jahren das Modellspektrum ausgeweitet und die Internationalisierung des Produktionsnetzwerkes vorangetrieben. Im gleichen Zeitraum wurde verstärkt Outsourcing von
Fahrzeugmodulen und -systemen sowie Logistikdienstleistungen praktiziert.65
„Da gab es zwei Bewegungen. Die eine Denkschule ging dahin: Lass uns die Pakete so gross wie möglich schnüren, komplette Umfänge reinpacken und an einen
Partner rausgeben, damit wir es nur mit einem Vertragspartner zu tun haben. Die
Erfahrung hat uns gelehrt, dass es diesen einen Dienstleister, der das alles kann,
schlicht nicht gibt. Entweder er hat mit dem Transport ein Problem oder mit dem
Lager oder mit der IT. (...) Dann sind wir wieder zurückgerudert und haben gesagt, jetzt paketieren wir die Dinge.“
In einem ausländischen Werk hatte man die komplette Inbound-Logistik an einen LLP
vergeben. Dieses Vorgehen brachte nicht den erwarteten Erfolg, vor allem weil der
LLP Defizite beim automobilspezifischen Prozessverständnis aufwies. LogistikOutsourcing blieb trotzdem ein anhaltender Trend bei Alpha. Mit der Vergabe von
Teilprozessen anstatt ganzer Prozessketten verfolgte Alpha nun einen modifizierten
Ansatz.
In dieser Fallstudie werden zwei Logistikprojekte, bei denen Mehrwertleistungen eine
wichtige Rolle spielen, exemplarisch dargestellt: die CKD-Versorgung eines Werkes
in Asien und die Bandbereitstellung für ein neues europäisches Werk.
Alpha möchte in Asien kundennah produzieren. Dafür werden die Bauteile überwiegend aus Europa zugeliefert, weil Werkzeuge sehr teuer sind und das Werk in Asien
daher nicht über ein eigenes Presswerk verfügt. Im Falle der Bandbereitstellung handelte es sich um eine klassische Grüne-Wiese-Situation, weil das Werk neu errichtet
65
Diese Fallstudie basiert auf einem Interview mit Alpha am 08.03.2005.
Fallstudien
155
wurde. Alpha verfügte also über hohe Gestaltungsfreiräume hinsichtlich sämtlicher
Parameter wie bspw. Logistikkonzept, IT, Fördertechnik und Personal.
Handlungsdruck
Beide Projekte sind sich bezüglich ihrer Entscheidungsoptionen und Zielsetzungen
ähnlich. Alpha musste in beiden Fällen entscheiden, ob sie für die Aufgaben eigene
Personalkapazitäten aufbaut oder diese versorgungskritischen Aufgaben an einen LDL
fremd vergibt.
Die Expansion in neue Geographien oder Produkte ist üblicherweise mit umfassenden
Risiken verbunden. Alpha untersuchte, wie sie Investitions- und Absatzrisiken sowie
Länderrisiken begrenzen konnte. Die Aufgaben waren ausserordentlich personalintensiv bei gleichzeitig hohen Arbeitskosten in Europa. Darüber hinaus lagen sie ausserhalb der eigenen Kernkompetenzen. Vor diesem Hintergrund überlegte Alpha, wie sie
eine schlanke und flexible Lösung schaffen konnte.
Lösungskonzept
Bei Alpha folgte man der Leitlinie, keine internen Kapazitäten für Aufgabenumfänge
der physischen Logistik, die nicht direkt mit dem Automobilbau verbunden sind, neu
aufzubauen. Sie vergab also in beiden Fällen abgerundete Prozesse an qualifizierte
LDL. Der Prozessumfang ergab sich aus dem Prinzip, Performance-Abweichungen
möglichst eindeutig einem Verursacher zuordnen zu können.
Beim CKD-Prozess werden Autos als vollständige Bausätze verpackt und in Containern zu einem Werk in Übersee verschifft. Um die Raumnutzung zu optimieren, werden jeweils gleiche Teile zusammen mit Holz- oder Pappverpackungen versehen und
verstaut. Die Aufgaben entlang der CKD-Prozesskette sind auf mehrere Parteien verteilt. Transportdienstleister liefern die Teile im CKD-Standort an. Dort wird von einem
CKD-Dienstleister überprüft, ob die gelieferten Teile mit den Vorgaben übereinstimmen. Karosserieteile werden durch einen Sprühnebel ölkonserviert und dann verpackt.
Ungenauigkeiten im CKD-Prozess werden aufgrund langer Transportwege meist spät
entdeckt und haben daher dramatische Auswirkungen.
„Wir hatten es, dass ein Fusshebelwerk für einen Rechtslenker mit den Teilen eines Linkslenkers verpackt wurde. Die haben dann angefangen zu montieren und
156
Fallstudien
irgendwann haben sie gemerkt, dass sie ein Auto haben wo die Lenksäule links
und das Fusshebelwerk rechts ist.“
Mehrere Reedereien bringen die Container nach der Verpackung und Lagerung nach
Asien. Wenn an der Destination Fehlkommissionierungen oder Transportbeschädigungen festgestellt werden, muss eine schnelle Nachlieferung per Flugzeug erfolgen. Im
Empfängerwerk führt Alpha dann Rohbau, Lackierung und Endmontage durch.
Die Steuerung des CKD-Prozesses durch Packaufträge liegt bei Alpha. Sie ist stark mit
anderen Prozessen und Informationssystemen von Alpha vernetzt, so dass eine
Fremdvergabe sehr schwierig wäre. Eine Zentralabteilung plant das Produktionsprogramm, indem festgelegt ist, welches Werk wann welches Modell fertigt. Dabei sind
für CKD-Märkte üblicherweise die technischen Varianten (Motorisierung und Sonderausstattung) und farblichen Varianten eingeschränkt, um die Komplexität besser zu
beherrschen. Danach werden ebenfalls zentral die Stücklisten aufgelöst und konkrete
Packaufträge für CKD generiert.
Im Fall der Bandbereitstellung hat Alpha einen „ungewöhnlichen“ weil besonders versorgungskritischen Umfang fremd vergeben. Das Teilespektrum weist unterschiedliche
Muster hinsichtlich Verbau- und Ausschussraten auf. Dementsprechend mussten unterschiedliche Regelkreise für die Auslösung der Bandbereitstellung aufgebaut werden. Wenn ein rotes Auto auf das Band gesetzt wird, dann folgt daraus, dass nach einer
bestimmten Taktzahl zwei rote Aussenspiegel benötigt werden. Für solche Teile wird
ein vollautomatischer Regelkreis verwendet. Wenn bei Teilen bspw. ein hoher Ausschuss auftritt und dieser nicht entsprechend verbucht wird, dann kann der Bestand am
Band nicht korrekt vom System mitgerechnet werden. In diesem Fall ist eine manuelle
Überwachung und Auslösung angebracht. Diese manuelle Steuerung nimmt der LDL
vor. Er schaut in die Behälter und schätzt ab, wie lange der Bestand noch reicht und
wann er abrufen muss. Eine Zwischenform liegt vor, wenn das System einen theoretischen Verbrauch mitrechnet und der LDL trotzdem überprüfen muss, ob der berechnete Bestand tatsächlich vorhanden ist.
Sperrige Teile werden an den Andockstellen von LKW-Anhängern entladen und mit
Gabelstaplern direkt an das Band gefahren. Dazu gehören bspw. Stossfänger und Auspuffanlagen. Die Versorgung aus dem Lager erfolgt über ein fahrerloses Transportsystem. Das System lässt die vollen Behälter an vordefinierten Punkten stehen. Von dort
Fallstudien
157
zieht der Mitarbeiter des LDL sie an das Band. Umgekehrt zieht er leere Behälter zurück zur Spur, wo sie automatisch wieder aufgenommen werden.
„So wie wir den Prozess jetzt gestaltet haben, ist ganz sicher (der LDL) schuld,
wenn am Band nicht der richtige Behälter steht. Es mag sein, dass es unser System vermurkst hat, aber das kann man nachvollziehen. Wenn menschliches Versagen vorliegt, dann war es (der LDL).“
Vergabe weiterer Mehrwertleistungen
Es ist aufschlussreich, welche Erfahrungen Alpha mit der Vergabe von Mehrwertleistungen neben der Bandbereitstellung und dem CKD gesammelt hat und welche Einstellungen daraus resultieren. Dies wird nachfolgend dargestellt, wobei die Leistungen
nach den logistischen Flüssen strukturiert werden.
Materialfluss. Für die Vergabe von Mehrwertleistungen in der Inbound-Logistik
durch einen OEM ist entscheidend, wie stark er selber die Prozessgestaltung und
Dienstleisterauswahl im Lieferantennetzwerk vorgibt.
Für das neue Werk hat Alpha folgende Leitlinien ausgegeben. Für Teileumfänge, bei
denen die Produktion über Lager versorgt wird, bestimmt Alpha den Prozess und den
Dienstleister. Sie hat ein Versorgungszentrum errichtet, bei dem der physische und
administrative Wareneingang sowie die Kommissionierungs- und Sequenzierungsfunktion fremdvergeben wurde.
Bei Systemen, für die umfangreiche Vormontagen erforderlich sind, wird in dem neuen Werk nicht auf das klassische Industriepark-Konzept zurückgegriffen. Alpha lässt
den Lieferanten Freiräume, wie sie den Logistikprozess bei sich gestalten und durch
welche Partei sie ihn durchführen lassen.
„Ich persönlich meine, (mit dem Industriepark-Konzept) binde ich mir nur Probleme ans Bein. Wenn der LDL nicht funktioniert, sagt der Lieferant: Das ist euer
LDL. Ihr habt gesagt, ich muss den nehmen. Oder wenn die beiden nicht miteinander klarkommen, weil der Lieferant bspw. alle Schäden auf den LDL abdrückt.
(...) Er darf es so machen wie er es am besten findet. Dafür haben wir Zulieferer
und machen die Leistung nicht selber.“
158
Fallstudien
Das Thema Behältermanagement trennt Alpha in einen operativen und einen konzeptionellen Teil. Der operative Teil ist personalintensiv und wurde in dem neuen Werk
fremdvergeben. Durch die Gestaltung von Behälterkreisläufen, bspw. für Gitterboxen,
hebt Alpha enorme Effizienzpotenziale. Dafür hat sie ein werksübergreifendes Team
aufgebaut.
Informationsfluss. Full-Service-Dienstleister möchten für ihre Mandanten auch das
Design von logistischen IT-Systemen übernehmen. In der Automobilindustrie findet
man meistens eine Vielzahl von interdependenten IT-Systemen vor. Häufig handelt es
sich um proprietäre Systeme, was das Verständnis für Aussenstehende erschweren.
Oben wurde bereits dargestellt, dass bspw. die Bandbereitstellung durch mehrere Prozessvarianten geregelt wird. Wenn ein LDL die Steuerung vollständig übernimmt,
dann müsste er diese Prozesse in seinen Systemen abbilden und komplexe Schnittstellen zu vielen Systemen von Alpha bauen. Das wäre extrem aufwändig und „praktisch
nicht umsetzbar“. Zudem ergäben sich für Alpha hohe Wechselkosten bzgl. des LDL.
Offensichtlich gibt es für das IT-Design hohe Eintrittsbarrieren in der Automobilindustrie. Alpha ist dazu übergegangen, den LDL die notwendigen Systeme zur Verfügung
zu stellen.
Die Planung von Beständen und Transporten wird immer wieder als attraktives Betätigungsfeld für LDL genannt. Bei Alpha wird die Disposition von direkten Produktionsteilen als Kernprozess angesehen, der intern durchgeführt wird. Anders ist es bei indirekten Materialien bspw. Verpackungen im CKD-Prozess, die vom LDL disponiert
werden, weil er den Verbrauch besser überblicken kann. Die strategische Planung von
Transportströmen führt Alpha im Rahmen von Ausschreibungen in regelmässigen Intervallen durch. Sie vergütet die Transporteure überwiegend nach festen volumenbasierten Sätzen. Daher haben die Transporteure ein Eigeninteresse, durch operative
Transportplanung die Effizienz zu verbessern. Dafür werden sie nicht separat vergütet.
Ein LLP hat für Alpha die Inbound-Logistik eines Auslandswerkes gesteuert. Aus den
Erfahrungen, die man dabei gesammelt hat, leitet der Interviewpartner die Frage ab,
inwiefern ein LDL in einem komplexen Umfeld ein aktives Störungsmanagement für
den Mandanten betreiben kann.
„Stellen sie sich vor, der Lieferant hat einen Abruf bekommen und liefert nicht,
weil er Werkzeugbruch hatte. Wer ist in der Lage zu entscheiden, was da jetzt
gemacht wird? Vielleicht haben wir noch 10 Behälter von dem Teil im Lager.
Fallstudien
159
Oder wir sagen, es brennt, wir haben kein Teil mehr und das Teil ist im Produktionsprozess kritisch. Wir schicken dem einen Hubschrauber, der die nächsten fertigen Teile abholt. Der Externe müsste verstehen, wie unser Produktionsprozess
funktioniert und was kritisch ist.“
Um fundierte Entscheidungen zu treffen, benötigt der LDL eine umfassende Informationsbasis, für die er zahlreiche IT-Systeme integrieren müsste. Eigentlich sollte der
LLP den Mandanten operativ entlasten. Tatsächlich führte er im Falle einer Lieferverzögerung nur eine erste Nachfrage durch. Dadurch konnte er zumindest feststellen, ob
Werkzeugbruch, Probleme bei der Datenübertragung oder ein fehlender Lieferabruf
die Verzögerung beim Lieferanten verursacht hat. Die Störungsbewältigung erfolgte
dann wieder durch Alpha, auch weil sie über die erforderliche Durchsetzungskraft verfügt.
Finanz- und Rechtefluss. Alpha nimmt für die Finanzierung von Beständen keine
LDL in Anspruch. Vertragsmanagement als Leistungspaket bestehend aus Beschaffungsmarktforschung sowie Auswahl, Verhandlung und Vertragsschliessung mit Subdienstleistern zu vergeben, hat Alpha einmal erprobt. Sie hat das Fazit gezogen, dass
sie für eine Leistung eine festgelegte Rate bezahlen möchte. Wenn ein LDL einen
Subdienstleister einschaltet, dann soll er neben der Leistungs- auch die Kostenverantwortung tragen. Sollte er sich dabei verkalkulieren, dann muss er aus Sicht von Alpha
auch die Verluste tragen. Aus diesem Grund ist es unwahrscheinlich, dass die Dienstleistung Vertragsmanagement in der nächsten Zeit genutzt wird.
Auswahl von LDL
Der Auswahlprozess eines LDL kann in die Phasen Planung und Ausschreibung untergliedert werden. Die Vergabe komplexer Umfänge wird sorgfältig geplant und konzipiert. Dieser Vorgang kann mehrere Monate dauern. Im Falle von CKD und Bandbereitstellung hat Alpha Referenzprojekte besucht, die aber extrem selten und häufig weniger anspruchsvoll waren. Alpha erstellt in der Planungsphase ein detailliertes Leistungsverzeichnis, aus dem der LDL wichtige Informationen für die Kalkulation entnehmen kann. Dazu gehören bspw. Layouts und Spezifikationen von Gestellen. Sie
gibt dem LDL das Konzept weitestgehend vor, weil sie ihm sonst grosse Informationsmengen als Planungsgrundlage zur Verfügung stellen müsste. Um die Angebote
der LDL zu bewerten, erstellt Alpha zudem eine „Schattenkalkulation“, die die Pro-
160
Fallstudien
zesskosten einer internen Erbringung darstellt. Damit liegen unterschriftsreife Vertragsunterlagen bei Alpha frühzeitig vor.
Die Resonanz auf Ausschreibungen von Alpha ist hoch. Üblicherweise nimmt eine
zweistellige Anzahl von LDL teil. Offensichtlich zählen viele LDL die Automobilindustrie zu ihren Zielbranchen. Die Longlist verkürzt sich recht schnell, weil Anbieter
sich zurückziehen oder mit ihrer Kalkulation deutlich über der Schattenkalkulation
liegen. Wenn die Kandidaten in einem angemessenen Rahmen unter der internen Kalkulation liegen, haben sie gute Chancen, auf die Shortlist zu kommen. Danach geht es
darum, dass Prozessverständnis der LDL zu überprüfen und Unplausibilitäten zu eliminieren.
„Bei der Bandversorgung hatten wir phantastische Vorschläge, wie viele Leute
das ans Band schieben. Einer hatte einen Mann vorgesehen. Er fängt hier oben an
und schiebt immer einen Behälter nach dem anderen ans Band. Dann haben wir
aber gesagt, die Behälter werden alle zu unterschiedlichen Zeiten leer. Der muss
dann gucken, was leer wird. (...) Dann muss jemand einen 500 m Sprint hinlegen,
um zu sehen, wo leere Behälter sind. Der bräuchte Inline-Skates. Die meisten
werden schnell teurer.
Preis und Haftungsbedingungen sind die häufigsten Verhandlungspunkte. Der LDL
braucht ein tiefes Prozessverständnis, um ein attraktives Angebot zu kalkulieren. Dabei muss er die Lernkurven, die aus einer wiederholten Prozessdurchführung resultieren, berücksichtigen. Alpha formuliert in ihren Verträgen bewusst „harte“ Haftungsbedingungen, weil sie darüber sicherstellt, dass hinterher die Qualität stimmt. Dadurch
wird bspw. bei CKD ein Anreiz geschaffen, die Teileprüfung und -kommissionierung
sorgfältig durchzuführen.
Integration von Mandant und LDL
System- und Prozessebene. Für den CKD-Prozess hat der LDL eine Anlage zur Konservierung von Karosserieteilen von Alpha für einen sechsstelligen Betrag gekauft.
Die Abschreibung der Anlage ist in der monatlichen Basisvergütung enthalten, so dass
der Kaufpreis über die Laufzeit vergütet wird. Nach den International Accounting
Standards (IAS) muss Alpha in einer solchen Konstellation den Vermögensgegenstand
im Anlagevermögen ausweisen. Folglich war nicht die Optimierung bilanzieller Kennzahlen, sondern die Vergabe eines abgerundeten Prozesses, Treiber des Vorgehens.
Fallstudien
161
Wenn es zu Störungen der Anlage kommt, dann wird nicht über die Verursachung gestritten, sondern es ist klar, dass der LDL die Wartung nicht richtig durchgeführt hat.
Im Falle der Bandbereitstellung kommt der LDL mit wenigen spezifischen Investitionen aus. Er investiert hauptsächlich in Personal und Gabelstapler, wohingegen Alpha
eine vollständige Werks- und Lagerumgebung inklusive Grundstück, Immobilie,
Regalen, Lagerautomation und IT-Systemen bereitstellt.
Geschäftsebene. Für die Übernahme der Bandbereitstellung muss der LDL kurzfristig
in grösserem Umfang Personal einstellen und diesem Kenntnisse über mandantenspezifische und branchenspezifische Zusammenhänge vermitteln. Seine Mannschaft besteht dabei aus unterschiedlichen Rollen, die eigene Qualifikationsprofile aufweisen
und jeweils über einen Gegenpart bei Alpha verfügen. Der Standortleiter ist für grundsätzliche Fragen und Probleme zuständig. Er ist ein hochqualifizierter Logistikexperte,
der umfangreiche Projekt- und Führungserfahrung gesammelt hat. „Das sind Leute, die
haben so etwas schon dreimal anlaufen lassen und die wissen, was da schief gehen
kann.“ Darunter gibt es mehrere Schichtführer für die Funktionsbereiche wie Wareneingang oder Bandbereitstellung. Sie lösen die im Tagesgeschäft auftretenden operativen Probleme. Wenn bspw. ein EDV-System ausgefallen ist, schichten sie Ressourcen
um, damit der Prozess manuell überwacht werden kann. Darunter gibt es in der Kontraktorganisation noch Teamleiter und Teammitglieder.
Der LDL steht vor der Herausforderung, seiner Mannschaft das erforderliche spezifische Wissen schnell und effizient zu vermitteln, damit der Kontrakt reibungslos anläuft. Alpha fordert, dass die Experten früh an Bord sind und sich von ihr schulen lassen. Danach sollen sie in ihrer Mannschaft das erworbene Wissen systematisch weitergeben. Je spezifischer das Wissen ist, desto weniger kann Alpha erwarten, dass der
LDL darüber verfügt. Bei proprietären IT-Systemen muss er mehr schulen als bei
SAP-Systemen. Je mehr der LDL über die Automobilbranche und über Alpha weiss,
desto weniger muss er trainieren und desto enger kann er kalkulieren. Umgekehrt folgt
für Alpha, dass sie Mehrwertleistungen so gestalten sollte, dass sie minimalen Trainingsaufwand erfordern, damit die Wechselkosten niedrig bleiben.
Die Vergütung der Leistungen des LDL ist nicht ausschliesslich transaktionsorientiert,
weil der LDL für Alpha spezifische Ressourcen bereitstellt. Standortleiter und andere
Experten müssen ständig verfügbar sein, auch und gerade wenn Volumina bspw. durch
162
Fallstudien
Produktionsänderungen heruntergefahren werden. Ausserdem fallen die Abschreibungen bspw. der Konservierungsanlage im CKD-Prozess unabhängig vom Volumen an.
Diese Bestandteile werden üblicherweise in eine fixe monatliche Basisvergütung eingerechnet. Die einzelnen Handling-Vorgänge im Rahmen der Bandbereitstellung werden dann transaktionsorientiert vergütet. Bei der Gestaltung des Entlohnungsschemas
folgt Alpha der Leitlinie, dass die Aufwandsmessung eine aufwandsgerechte Entlohnung bei möglichst geringen Messkosten gewährleisten soll.
„Es ist so, dass wir uns auf möglichst wenige Zählpunkte beschränken. Der
schönste Punkt, um die Leistung zu zählen, ist die Übergabe vom Lager ans
Band. Danach kann ich sowohl die Auslagerung aus dem Lager vergüten wie
auch die Bereitstellung am Band. Eigentlich muss es nicht sein, dass ich den Wareneingang im Lager noch mal vergüte. Denn eigentlich habe ich, wenn ich das
über die Auslagerung bezahle, nur einen Zeitversatz, aber ich erwische die Behälter 1:1.“
Alpha bevorzugt einen Anbieterwettbewerb gegenüber exklusiven One-StopShopping-Beziehungen. Dieser Wettbewerb ist jedoch nicht in jedem Kontext möglich. Bspw. hat man die Bandbereitstellung an den gleichen LDL wie das Versorgungszentrum vergeben, damit sich nicht zwei Parteien die Schuld für Störungen gegenseitig zuschieben. Ähnliches gilt für den CKD-Prozess. Alpha setzt bei unabhängigen Prozessen mehrere LDL ein, weil sie dann an einem Standort über ein Backup und
ein Benchmark verfügt.
Alpha setzt für die Bandbereitstellung und das CKD externe Dienstleister ein, um für
sich selber die Expansionsrisiken zu begrenzen. Daher war es ihr wichtig, im Vertrag
eine Ausstiegsklausel aufzunehmen, die es ihr erlaubt, sich aus dem Vertrag mit dem
LDL herauszukaufen, wenn die Volumina deutlich unter den Erwartungen bleiben.
Potenziale und Risiken
Bei der Entscheidung hat Alpha gegen den Aufbau eigener Personalkapazitäten und
für die Fremdvergabe versorgungskritischer Umfänge votiert. Dahinter standen zwei
zentrale Motive.
Für die interne Durchführung des physischen Materialflusses bis zur Bereitstellung am
Band hätte Alpha über 100 neue Mitarbeiter einstellen müssen. Das Risiko, dass das
Fallstudien
163
neue Modell den Absatzplan verfehlt, teilt Alpha nun mit dem LDL. Durch die Gestaltung der Ausstiegsklausel und der Kompensationszahlungen für den LDL kann Alpha
den finanziellen Schaden für sich begrenzen.
Die Lohnkostenarbitrage ist das zweite Argument für die Fremdvergabe. Externe
Dienstleister können bestimmte Aufgaben um bis zu 30% kostengünstiger erbringen,
weil ihre Mitarbeiter anderen Entlohnungsmodellen unterliegen als ihre Kollegen bei
OEMs. Die Mitarbeiter des LDL erhalten meistens einen niedrigeren Stundenlohn als
die des OEM. Gleichzeitig stehen sie u.U. für eine höhere Wochenarbeitszeit zur Verfügung oder können flexibler bei Belastungsspitzen für Überstunden eingesetzt werden. Auch die freiwilligen Sozialleistungen mancher OEMs sind in der LDL-Branche
geringer.
Bei der Fremdvergabe von Mehrwertleistungen gibt es theoretisch eine Vielzahl von
Gründen, warum Prozesse nicht wie geplant ablaufen. Weil Alpha seine LDL sorgfältig auswählt, gut einarbeitet und mit hohem Schadenersatz Anreize gegen schlechte
Leistungen schafft, hat sie bisher wenige Negativerfahrungen gesammelt.
Der LDL kann über effektive Führung seine Mannschaft zu Disziplin anleiten und dadurch Qualitätsrisiken deutlich senken. Wenn der LDL Fehler bei der Kommissionierung bzw. Bandbereitstellung macht, dann wird es relativ schnell aufgedeckt. Alpha
arbeitet hier mit einem pauschalen Schadenersatz. Sie musste ihn bisher kaum einfordern, weil der LDL sich gut in die Prozesse eingelebt hat und sehr gute Fehlerraten
erreicht. Der CKD-Prozess ist anders gelagert, weil Teile per Luftfracht nachgeliefert
werden müssen und Fehler damit dramatischere Kostenkonsequenzen haben. Alpha
betont, dass die meisten Fehler vermieden werden können, wenn der LDL diszipliniert
die Teileidentität vor der Verpackung prüft. Im CKD-Prozess arbeitet Alpha nicht mit
einer Pauschale, weil der Schaden stark schwanken kann. Der Betrag errechnet sich als
der Wiederbeschaffungswert am Ort, an dem der Schaden festgestellt wurde. Im
schlechtesten Fall muss der LDL also die Kosten für Luftfracht und Verzollung übernehmen.
Wenn die Leistungserbringung durch den Mandanten nicht ausreichend überwacht
wird oder Probleme nicht schnell genug eskaliert werden, dann liegt ein Kontrollrisiko
vor. Bei Alpha gab es einen Fall, dass der interne Verantwortliche einen Kontrakt trotz
offensichtlicher Defizite hat anlaufen lassen. Er berichtete wiederholt, dass alles nach
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Fallstudien
Plan läuft, solange bis sich die Beschwerden der internen Kunden häuften. Alpha hat
das Problem schnell in den Griff bekommen, indem sie die Person durch eine konfliktfähigere ausgetauscht hat.
Verträge mit kapitalschwachen Tochtergesellschaften von LDL sieht man bei Alpha
als potenzielle Risikoquelle an. Die Muttergesellschaft könnte die Tochter in die Insolvenz gehen lassen oder verkaufen, so dass man es plötzlich mit anderen Vertragspartnern zu tun hat. Daher schliesst Alpha die Verträge mit der Muttergesellschaft, holt
Kreditauskünfte ein und prüft ggf. auch die Bilanz mit Hilfe der eigenen Finanzabteilung.
Zwischenfazit
Logistik-Outsourcing ist bei Alpha ein anhaltender Trend. Mittlerweile erbringen LDL
sogar versorgungskritische Aufgaben in der Produktionslogistik. Alpha hat es geschafft, die Potenziale des Outsourcings zu realisieren und mögliche Gefahren effektiv
zu unterbinden. Dies ist im Wesentlichen gelungen, weil
sie im Vorfeld der Ausschreibung ein klares Leistungsverzeichnis mit abgerundeten Prozessen erstellt hat,
sie den LDL in der Anlaufphase eng betreut und gesteuert hat
und weil sie beim LDL Anreize für eine disziplinierte Leistungserstellung geschaffen hat.
Dennoch fällt auf, dass die Fremdvergabe weitgehend auf den Materialfluss beschränkt bleibt. Alpha greift nicht auf Systeme der LDL zurück, sondern stellt eigene
Systeme zur Verfügung. Offensichtlich stellen die Produkt- und Logistikkomplexität
in der Automobilindustrie Eintrittsbarrieren für das Angebot informationsbasierter
Mehrwertleistungen dar. Diese Barrieren erscheinen höher zu sein als in anderen
Branchen. Für LDL folgen bezogen auf solche Leistungen zwei Kernbotschaften:
Nur LDL, die konsequent und proaktiv an spezialisierten Angeboten für die Automobilindustrie arbeiten, werden in diesem Segment erfolgreich sein. Sie müssen in der Lage sein, den Mandanten einen deutlichen und umsetzbaren Mehrwert im Vergleich zur internen Erbringung anzubieten.
LDL müssen gewohnte Denkmuster aus ihren traditionellen Geschäftsfeldern
überdenken. Für komplexe Mandantenprozesse, wie Anlauf- und Änderungsmanagement, sind neuartige Kompetenzen erforderlich. Dafür muss das eigene
Fallstudien
165
Kompetenzprofil durch erfahrene Wissensträger bspw. aus der Automobilbranche systematisch ergänzt werden.
166
Fallstudien
4.3 Elektronikunternehmen Beta
Ausgangssituation
Beta stellt elektronische Geräte für Geschäftskunden aus unterschiedlichen Branchen
her. Die Kunden nutzen die Geräte lange und intensiv und sind auf deren Funktionsfähigkeit angewiesen. Daher sind die Lebenszykluskosten wichtig für die Kaufentscheidung. Neben den Anschaffungskosten berücksichtigen die Kunden auch planbare Wartungs- und Ausfallkosten in der Vergleichskalkulation. Eine reibungslose Versorgung
der Kunden mit Ersatzteilen gewährleistet die Einsatzbereitschaft der Geräte, verhindert Ausfallkosten und stärkt Beta im Wettbewerb. 66
Mit den Kunden werden detaillierte Serviceverträge geschlossen, in denen die Reaktionszeiten genau spezifiziert sind. Dort wird bspw. festgehalten, ob eine Maschine innerhalb von 4 oder 24 Stunden repariert sein muss. Aus diesem Serviceziel und den
Erfahrungen mit Geräteausfällen leitet Beta ab, welche Teile an welchem Ort im Servicenetzwerk vorgehalten werden. Eine verspätete Lieferung würde zu einer Vertragsstrafe führen und die Kundenzufriedenheit gefährden.
„Was sich keiner erlauben kann ist, sich von allen Teilen ausreichend weltweit
hinzulegen. Das ist unbezahlbar. Was hier wichtig ist, ist hochgradige Flexibilität
in der gesamten Lieferkette und vor allem Transparenz über die Systeme.“
Spätere Cut-off-Zeiten bei der Abholung in den Lagerpunkten und verkürzte Lieferzeiten sind Hebel für eine verbesserte Flexibilität. Systemübergreifende Transparenz erreicht Beta dadurch, dass sie die bestandsführenden Systeme unterschiedlicher Länder
integriert und somit eine Gesamtsicht erzeugt. Auf dieser Informationsgrundlage können die Disponenten die Ersatzteilbelieferung situativ optimieren. Sie prüfen mehrere
Materialquellen wie Depot, Regionallager, Nachbarländer, Zentrallager und Lieferanten auf Verfügbarkeit und wählen die geeignete aus. Je nach Dringlichkeit wählen sie
Regionallager, Depot, Techniker oder Kunde als Lieferort aus.
Beta deckt mit einem mehrstufigen Distributionsnetzwerk die weltweite Ersatzteilversorgung ab. Das zentrale Weltlager befindet sich in Europa und wird intern bewirt-
66
Diese Fallstudie basiert auf einem Interview mit Beta am 16.02.2005.
Fallstudien
167
schaftet. Fremdvergeben sind dagegen das Regionallager USA, die meisten weltweiten
Landesläger und die darunter verankerten strategischen Depotnetzwerke. Die Läger in
USA, Lateinamerika und Asien werden vom Weltlager aus per Luftfracht beliefert. In
Europa werden die Kunden und Techniker per KEP-Dienst beliefert. Die Versorgung
eines Technikers mit einem strategischen Teil67 erfolgt in zeitkritischen Situationen
aus einem strategischen Depot in seiner Nähe. Basierend auf dem Gerätebestand in
einem Land und dem Vergangenheitsbedarf legt der zentrale Service gemeinsam mit
den Landesgesellschaften die Ersatzteilbestückung der strategischen Depots fest.
„Strategisch ist ja oft so, dass man die haben muss, aber es bewegt sich nichts.
Dann geben wir die Regel aus: ist es über 1000 €, sollte eins liegen, ist es unter
1000 €, sollten nicht mehr als zwei liegen. Überwachen wir auch und bitten dann
um Rückführung, wenn die mehr haben.“
Der Nachschub in die europäischen Depots erfolgt automatisch basierend auf dem gemeldeten Verbrauch. Nach jedem Verbrauch wird automatisch ein Nachschubauftrag
erzeugt und über Nacht ausgeführt. Die Bestände im Depotnetzwerk werden über vordefinierte Mindestbestände gesteuert. Die Zentralisierung von Beständen hilft, für einen vorgegebenen Servicegrad die Kapitalbindungskosten weiter zu senken. Daher
werden alle Bestände, die über die Reichweite hinausgehen, aus den dezentralen
Standorten abgeschöpft und in das Zentrallager zurückgeführt.
Unkritische Aufträge vor allem aus Europa werden häufig direkt im Weltlager platziert
und über Nacht ausgeliefert. Gegenüber einer Entnahme aus einem strategischen Depot können durch dieses Vorgehen vor allem Prozesskosten gespart werden. Anstatt
zwei Lieferungen – vom Depot zum Kunden und der Nachschub vom Weltlager zum
Depot – muss nur eine Lieferung administriert und ausgeführt werden.
Die Ersatzteile werden in fünf sogenannte Sortimente klassifiziert. Die Geräte des Sortiments 1 werden noch produziert. Bei Sortiment 2 wurde die Produktion dagegen eingestellt aber es gibt noch Service im vollen Umfang. Ein Jahr vor Ablauf der festgelegten Servicezeit werden die Teile in das Sortiment 3 umklassifiziert. Nach dem Ende
der Servicezeit bezeichnet Beta die Teile als Sortiment 4. Obwohl die offizielle Servicezeit abgelaufen ist, bemüht sich Beta im Rahmen von Kulanz um die Beschaffung
67
Ein Teil ist strategisch, wenn Geräte ohne das Teil nicht funktionieren.
168
Fallstudien
solcher Teile. Erst wenn Sortiment 5 in Kraft tritt, werden die Teile im Zentrallager
entsorgt. Die Länder können abweichend davon handeln.
„Wenn sie ein neues Gerät entwickeln, dann haben sie da Platinen drin. Und
wenn sich die Entwicklung über 2-3 Jahre hinzieht, dann können sie sich vorstellen, so schnelllebig wie die EDV ist, dass u.U. eine Zulieferfirma, bevor das Gerät überhaupt in der Produktion ist, uns schon auffordert, einen Last Buy zu definieren. Das stösst auf das Problem, dass keiner weiss, wie viel je von dem Gerät
produziert werden wird. Last Buys sind für uns das grösste Problem in der Bestandsführung.“
Nicht benötigte Gutteile werden auf Basis einer globalen Bestandsanalyse identifiziert
und monatlich ins Weltlager gegen Gutschrift zurückgeführt. Teure Defektteile werden
sofort ins Weltlager zurückgeführt. Sie werden vereinnahmt und liegen solange auf
Lager bis das Dispositionssystem einen Bedarf anzeigt. Daraufhin wird eine Reparatur
beim Lieferanten oder in der eigenen Produktion veranlasst. Das gleiche Prinzip gilt,
wenn die Landesgesellschaften sich entscheiden, Teile von Kunden zurücknehmen.
Handlungsdruck
Für die Ersatzteillogistik hält Beta eine moderne Infrastruktur in den Bereichen Fördertechnik und Informationstechnik bereit. Den umfangreichen Ressourcen des Anlagevermögens stehen rückläufige Aktivitätsvolumina gegenüber. Seit 5 Jahren ist die
Anzahl der Pick-Vorgänge im Ersatzteilgeschäft jedes Jahr gesunken. Dieser Trend hat
sich sogar verstärkt.
Der Schwerpunkt in der Artikelstruktur hat sich in den letzten Jahren kontinuierlich
von einfachen Teilen zu komplexen, kapitalintensiven Baugruppen verschoben. Nur
ein geringer Prozentsatz der Artikel kann als Schnelldreher bezeichnet werden. Ein
hoher Anteil hat sich in den letzten sechs Monaten gar nicht bewegt. Diese Entwicklungen erfordern ein Umdenken in der Ersatzteillogistik.
„Wir sehen uns nicht in der Lage, das auf Dauer hier aufzufangen. Wir können
unsere Kosten einfach nicht so anpassen. Der Kostenblock ist unveränderbar. Der
wird durch immer weniger Aktivitäten gedeckt. Wir versuchen jetzt, einen zu
finden, der, weil er schon andere Kunden hat, unser Geschäft mit übernehmen
kann und dann Synergieeffekte für alle seine Kunden entwickeln kann.“
Fallstudien
169
Lösungskonzept
Derzeit evaluiert Beta verschiedene Outsourcing-Szenarien. Prinzipiell lassen sich vier
strategische Optionen unterscheiden. Es besteht die Möglichkeit, die Distribution von
Ersatzteilen vollständig auf Teilelieferanten zu verlagern. Drei weitere Szenarien beziehen sich auf das Outsourcing an LDL. Beta vergibt entweder nur die physischen
Aufgaben rund um das Weltlager oder im weitgehendsten Szenario vergibt sie auch
die Bestandsdisposition und -finanzierung. Die kombinierte Vergabe von Aufgaben
des Materialflusses und des operativen Informationsflusses stellt eine Zwischenstufe
dar.
Eine Verlagerung auf die Lieferanten wird aus mehreren Gründen nicht weiter verfolgt. Die Koordination von ca. 400 Lieferanten ist sehr schwierig. Sie verfügen nicht
über gleichwertige IT-Systeme, um knappe Cut-off-Zeiten und schnelle Versandwege
zu realisieren. Des Weitern gibt es Wissensdefizite in Bezug auf Warenverzollung.
Das entscheidende Argument gegen ein solches Konzept ist jedoch, dass Ware nicht
mehr konsolidiert beim Kunden ankommt. Allerdings wendet Beta dieses Konzept bei
teuren Langsamdrehern erfolgreich an.
Derzeit befindet sich Beta in einer grösseren SAP-Implementierung. Dieses Vorhaben
wirkt sich auf die Evaluierung informationsbasierter Mehrwertleistungen und einen
möglichen Zeitplan aus. Beta möchte bspw. nur einmal die umfangreichen ITSchnittstellen zum LDL programmieren.
Das Szenario einer Vergabe der Bestandsdisposition von Ersatzteilen wird derzeit umfassend von Beta analysiert. In zahlreichen Gesprächen diskutieren Logistik, Kundenservice und Geschäftsführung die Vor- und Nachteile und versuchen das Konzept
zu konkretisieren. Besonderes Gewicht legt Beta auf die Vertragsgestaltung. Sie möchte die Servicegrade präzise definieren und messen und den LDL für eine Schlechtleistung mit einer Vertragsstrafe belegen.
Auswahl von LDL
Die Zusammenarbeit mit Transportdienstleistern ist geprägt von einer kurzfristigen
Auswahl des besten KEP-Anbieters auf einer Relation im Sinne eines „Cherry Pikking“. Diese Fähigkeit sichert höchste Servicegrade zu niedrigen Kosten und ist daher
170
Fallstudien
eine Kernanforderung in der Auswahl des neuen Anbieters. Eine weitere Stärke ist die
Konsolidierung von Sendungen über Geschäftsbereiche hinweg durch einen automatischen Adressenabgleich, wodurch Beta viel Geld einspart.
„Wir wollen natürlich alles, was wir heute an guten Dingen haben, erhalten. Wir
sind halt sehr stark auf der IT-Seite, weil wir vieles hier selbst entwickelt haben
und wir haben noch keinen gefunden, der das so 1:1 abbildet. Die haben alle nur
Teile davon. (...) Dann schauen wir uns die IT an. Wie kommen wir da zusammen? Wie passt das? Sind die Sachen, die bei uns heute Kosteneinsparungen
bringen, auch bei ihm vorhanden oder kann man die kurzfristig für wenig Geld
bei ihm einrichten?“
Das Ersatzteilgeschäft ist sensibel und es dauert lange, Reputationsschäden aufgrund
verfehlter Servicegrade zu reparieren. Daher fordert Beta, dass die Anbieter ihr Erfahrungswissen aus ähnlichen Projekten durch Referenzen nachweisen.
Der LDL kann die Kosten nur variabilisieren und senken, wenn es ihm gelingt, andere
Parteien in das Zentrallager zu integrieren und eine Mehrbenutzerumgebung aufzubauen. Die Bereitschaft zu einem solchen Vorgehen ist bei Beta vorhanden. Beta sieht
keine potenziellen Ressourcenkonflikte, weil ausreichende Kapazitätsreserven vorhanden sind.
Die Übernahme von Personal von Beta ist ein weiteres Auswahlkriterium. Einige vor
allem kleinere LDL sind dazu bereit, weil sie das vorhandene Wissen gerne integrieren
möchten.
Vergabe von Mehrwertleistungen
Materialfluss. Derzeit führt Beta sämtliche stationären Logistikaufgaben rund um das
Weltlager, wie Wareneingang, Lagerhaltung, Kommissionierung und Verpackung intern aus. Diese Aufgaben sollen an einen LDL übergeben werden, damit er den Standort skaliert und seine Auslastung optimiert.
Informationsfluss. Je nachdem für welches Outsourcing-Szenario Beta sich entscheiden wird, übernimmt der LDL Aufgaben rund um Design, Planung, Fulfillment und
Monitoring. Für die IT-Architektur sind drei Alternativen denkbar. Die Bereitstellung
sämtlicher Systeme durch den LDL, die Übernahme der Altsysteme von Beta und
Fallstudien
171
Mischformen daraus. Der Gesprächspartner bestätigt, dass die grossen LDL tendenziell eigene Lösungen anbieten und die kleineren LDL eher bereit sind, Systeme zu
übernehmen. Manche haben bspw. drei Kunden in einem Standort und operieren für
jeden ein unterschiedliches System. Beta würde auf die Weiternutzung der eigenen
Systeme verzichten, wenn der gewählte LDL die Lösungsmerkmale garantieren kann,
mit denen in der logistischen Abwicklung grosse Geldbeträge eingespart werden.
Wenn Beta seine Ersatzteilbestände an einen LDL verkauft, dann wird sie auch die
Planungs- und Dispositionshoheit übertragen. Die Disposition von Ersatzteilen ist jedoch eine anspruchsvolle Aufgabe, weil die Disponenten regelmässig vor der Entscheidung stehen, wie sie die Erstbevorratung (Initial Load) bzw. die Endbevorratung
(Last Buy) von Ersatzteilen dimensionieren. Die Erstbevorratung ist schwierig, weil
für neu auf den Markt kommende Geräte noch keine Erfahrungswerte - wie historische
Bedarfsverläufe - vorliegen. Auf der anderen Seite müssen ab der Markteinführung
Ersatzteile vorgehalten werden, da mit Ausfällen bspw. aufgrund von „Kinderkrankheiten“ gerechnet werden muss. Wegen der Schwierigkeit, den Markterfolg eines neuen Produktes vorherzusagen, besteht die Gefahr von Fehlmengen bzw. Überbeständen
mit entsprechenden finanziellen Konsequenzen. Beta bündelt hier das Erfahrungswissen der Bereiche FuE, Produktion, Service und Marketing, um das Dispositionsrisiko
effektiv zu managen.
„Wenn sie jetzt anfangen, Geräte in den Markt zu verkaufen, dann müssen sie mit
einem Geräteausfall rechnen. Gerade bei neuen Geräten hat man oft Kinderkrankheiten. Wenn sie jetzt keine Ersatzteile vor Ort haben, wie wollen sie das
Gerät reparieren. Da können sie viel an Image kaputt machen. Das spricht sich
herum und wird Auswirkungen auf den Absatz dieses Gerätes haben. Wenn ich in
England in den nächsten 2 Monaten 100 Maschinen installiere, was könnte kaputt
gehen und was brauche ich dafür vor Ort?“
In den letzten Jahren hat Beta die Integration seiner IT-Systeme vorangetrieben und
damit seine Leistungsfähigkeit im Fulfillment deutlich gesteigert. Sie hat eine länderübergreifende Transparenz auf Bestände und kann kurzfristig den besten Transporteur auswählen. Dadurch erreicht sie eine sehr gute Lieferfähigkeit und Liefertreue in
der Ersatzteildistribution. Darüber hinaus vergleicht Beta auch die von den LDL angebotenen Funktionalitäten rund um das Monitoring. Das bisher erreichte Niveau in den
Bereichen Status-Tracking und Berichtswesen möchte sie mindestens halten.
172
Fallstudien
Finanzfluss. Beta untersucht derzeit, welche Vor- und Nachteile die Übernahme von
Bestandsmanagement und -finanzierung durch einen qualifizierten LDL hat. Es liegen
diesbezüglich mehrere konkrete Angebote vor. Die Entscheidung ist aber noch offen,
gerade weil die Geschäftsführung von Beta die Bestandsdisposition im Ersatzteilgeschäft als Kernkompetenz des Unternehmens ansieht.
Die Bestandsübernahme durch den LDL ist mit einem Abschreibungsmodell verbunden. Je mehr Teile als „Non-Mover“ klassifiziert werden müssen, desto höher ist das
Abschreibungspotenzial. Beta kann auswählen, ob die Bestandsabschreibung vor oder
nach der Bestandsübernahme erfolgen soll. Daraus resultieren später entsprechend
niedrigere oder höhere Transaktionspreise. Es ergeben sich drei Optionen. Entweder
übernimmt der LDL die Bestände zu Buchwerten68 oder er wertet sie auf Basis eigener
Analysen weiter ab oder er wertet sie auf, indem er die bereits vorhandenen Wertberichtigungen zurücknimmt. Die gewählte Variante hängt also davon ab, welches CashFlow-Profil Beta bevorzugt. Wenn sie vor der Übernahme auf eine Abwertung verzichtet, dann zahlt der Investor einen höheren Geldbetrag, den Beta für Investitionen in
ihre Kernkompetenzen nutzen kann. Im Laufe der Zeit zahlt sie die Differenz in Form
höherer Transaktionspreise wieder zurück. Der LDL und seine Finanziers kombinieren
ihr Logistik-, Geschäfts- und Finanzwissen und verfügen über Analysewerkzeuge, die
bei der Bestandsbereinigung helfen.
Integration von Mandant und LDL
Hinsichtlich der Preisgestaltung strebt Beta eine möglichst weitgehende Variabilisierung an. In der Ausschreibung forderte sie die LDL dazu auf, für Wareneingang, Pikken und Verpackung Preise auf Stückebene anzubieten. Die Variabilisierung von Kosten setzt voraus, dass der LDL die Logistik- und IT-Ressourcen im Zentrallager durch
ein Pooling mehrerer Mandanten gleichmässig und hoch auslastet. Er greift entweder
auf die spezifische Lösung von Beta zurück und findet zusätzliche Kunden, deren Anforderungen sich damit abbilden lassen, oder er bringt eine Segmentlösung für AfterSales-Logistik in der Elektronikindustrie mit, die mit wenig Aufwand auf individuelle
Bedürfnisse angepasst werden kann.
„Das ist eine offene Diskussion, die wir haben. Wir haben ja auch mit einem zusammengesessen, da war ein nächster möglicher Kunde schon mit am Tisch. (...)
68
Bereits vorhandene Wertberichtigungen werden berücksichtigt.
Fallstudien
173
Der kam auch schon mit einem an, dem haben wir hier unsere Systeme gezeigt.
Der war begeistert und hat gesagt, wenn ich da mit reingehe, dann möchte ich
gerne Zugang zu diesen Systemen haben und bin auch gerne bereit, etwas dafür
zu bezahlen.“
Potenziale und Risiken
Mit der Vergabe des rückläufigen Ersatzteilvolumens transferiert Beta das Mengenrisiko auf einen LDL. Die Bündelung von mehreren Geschäften durch einen LDL bietet
Beta die Möglichkeit, von Betriebsgrössenvorteile zu profitieren und die Aktivitätskosten in der Logistik zu senken. Durch das Outsourcing erreicht Beta ggf. eine stärker
ausgeprägte Dienstleistermentalität als bei der internen Erbringung. Der LDL kann bei
kurzfristigen Kapazitätsengpässen flexibler als Beta agieren, weil er dies i.d.R. nicht
beim Betriebsrat vorankündigen muss. Die Vergabe der Bestandsdisposition und finanzierung ist, wenn sie erfolgreich umgesetzt wird, mit umfangreichen Potenzialen
verbunden. Beta kann dadurch sein Umlaufvermögen verkürzen und seine bilanziellen
Kennzahlen verbessern. Beta verkauft seine Ersatzteilbestände und beschafft Kapital
zu günstigen Konditionen. Diese Mittel kann sie in ihr Kerngeschäft investieren und
ihre finanzielle Position stärken.
Der Interviewpartner sieht ein grundlegendes Risiko darin, dass ein Vertrag mit dem
LDL „nicht absolut wasserdicht“ ausgearbeitet wird. Er erwartet Diskussionen über
Sonderarbeiten, für die Beta zusätzlich bezahlen soll. Das Szenario eines fremdvergebenen Bestandsmanagement birgt neben den oben genannten Chancen Risiken in Bezug auf die Lieferfähigkeit. Ein schlechter Lieferservice führt zu nachhaltigen Reputationsverlusten für Beta, weil ihre Kunden aufgrund einer intensiven Nutzung auf funktionsfähige Geräte angewiesen sind. Für Beta ergeben sich vor allem Fragen, wie sie
die Erst- und Endbevorratung von Ersatzteilen vertraglich regeln und die Ziele zwischen beiden Parteien harmonisieren soll.
„Nehmen wir mal an, einer übernimmt die Bestände und wird dann konfrontiert
mit einer Last-Buy-Aufforderung. Wenn ich jetzt die Bestände zahlen muss, dann
würde ich ja sagen: Möglichst wenig Last Buy, weil das kostet ja jetzt mein Geld.
Dann bin ich irgendwann nicht lieferfähig. Das wirkt sich dann irgendwann bei
der Firma aus, die die Maschinen nicht reparieren kann. Da muss man natürlich
Regularien finden.“
174
Fallstudien
Die Bestände gelten als „Lebensader“ von Unternehmen. Viele Unternehmen können
sich heute eine Fremdvergabe von Beständen noch nicht vorstellen, da sie befürchten,
dadurch ein Abhängigkeitsrisiko einzugehen.
Zwischenfazit
In der Fallstudie von Beta führen rückläufige Aktivitätsvolumina zur Evaluation eines
weitreichenden Outsourcing auf den Ebenen Material-, Informations- und Finanzfluss.
Durch eine Kombination von Logistik- und Finanzdienstleistungen verspricht sich der
Mandant Spielraum für Investitionen in seine Kernkompetenzen. Die Fremdvergabe
von komplexen Logistikleistungen erfordert, dass er die zugrundeliegenden Prozesse,
die Anforderungen an LDL sowie die Potenziale und Risiken detailliert beschreibt.
Diese Informationen bilden eine wichtige Grundlage sowohl für die Evaluierung unterschiedlicher Outsourcing-Szenarien als auch für den Vertrag. Beta fordert von den
LDL, dass sie in der Lage sind, das Logistiksystem zu skalieren. Wenn der LDL die
IT-Systeme skalieren soll, dann müssen sich beide Seiten vorher auf einen Systemstandard einigen. Dieser basiert entweder auf den Systemen des Mandanten, des LDL
oder einer dritten Instanz – bspw. einem Software-Hersteller. Mit der Erst- bzw. Endbevorratung trifft der LDL dispositive Entscheidungen mit weitreichenden Folgen.
Wenn er Defizite bei der Planungskompetenz hat oder wenn seine Ziele nicht ausreichend mit denen des LDL harmonisiert sind, dann sind teure Fehlmengen (vgl. Corsten
und Gruen 2004, S.26ff) oder Überbestände die Folge.
Fallstudien
175
4.4 Elektronikunternehmen Gamma
Ausgangssituation
Gamma entwickelt, produziert und vermarktet ein breites Produktspektrum im Bereich
IT-Hardware. Ein hoher Anteil der Produkte ist innovativ und verfügt über einen Lebenszyklus zwischen 6 und 24 Monaten.69
Die Produkte werden sowohl an private Endkunden als auch an Geschäftskunden verkauft. Als Vertriebskanäle nutzt Gamma den Grosshandel und Einzelhandel sowie den
Direktvertrieb für Grosskunden bzw. Investitionsgüter. Das Weihnachtsgeschäft und
das Geschäftsjahresende sorgen für saisonale Nachfrageschwankungen.
In Abhängigkeit von seinen Merkmalen wird ein Produkt entweder auf Lager oder auf
Kundenauftrag gefertigt. Die Ware kommt als Fertigprodukt oder generisches Produkt
per Schiff aus Übersee. In den europäischen Distributionszentren werden die Waren
umgeschlagen oder entsprechend der Kundenaufträge fertiggestellt. Von dort aus
transportieren LDL die Waren in die Läger bzw. Läden der Händler. Bei Bedarf wird
Ware mit gleichen Länder- oder Kundendestinationen in Hubs konsolidiert.
Handlungsdruck
Die Logistiknetzwerke von Gamma mussten im Laufe der Zeit ständig den steigenden
Marktanforderungen angepasst werden. Die hohe Variantenvielfalt und Nachfrageschwankungen beeinträchtigten oftmals die Performance.
Die Variantenzahl resultiert dadurch, dass Gamma mit funktionalen Varianten und
Ländervarianten die individuellen Kundenbedürfnisse bestmöglich befriedigen möchte. Gerade die Nachfrage langsamdrehender Produkte ist schwer vorherzusagen.
„Wenn sie zwei aufeinanderfolgende Monats-Forecasts vergleichen und da 1020% Schwankung haben, dann ist das gut. Das ist nahezu nicht vorhersagbar.“
69
Diese Fallstudie basiert auf zwei Interviews mit Gamma am 07.04.2005 und am 11.04.2005.
176
Fallstudien
Demgegenüber steht der lange Seeweg von ca. 4 Wochen. Wenn die Prognosen nicht
stabil sind und im Laufe der Transportzeit obsolet werden, dann führt dies zu einem
hohen Nacharbeitsaufwand.
Die Anforderungen des Handels an Lieferzeit und Lieferfähigkeit sind heterogen.
Aufgrund der schwierigen Nachfrageprognose besteht immer die Gefahr von Fehlmengen am Point-of-Sale. Wenn Gamma dort nicht mit den gefragten Produkten präsent ist, dann riskiert sie, dass Kunden ein Konkurrenzprodukt kaufen. Diese Gefahr
wird dadurch verstärkt, dass neue Anbieter aus Asien in den Markt eintreten. Der
Handel stellt hohe Ansprüche an die Lieferflexibilität von Gamma. Manche erwarten,
dass sie die Bestellmenge bspw. um 50% im Vergleich zum Vormonat steigern oder
senken können.
Lösungskonzept
Zahlreiche Faktoren sprachen für das Postponement-Konzept, also die Segmentierung
der Wertschöpfungskette in einen effizienten, prognosebasierten Upstream-Bereich
und einen reaktionsfähigen, auftragsgesteuerten Downstream-Bereich. Das Management von Gamma hat dies früh erkannt und das Konzept erfolgreich implementiert.
Dabei setzte es von Anfang an auf die Dienste von LDL. Grundlage für diese Entscheidung waren die Argumente, dass man keine eigenen Kompetenzen im Materialfluss aufbauen wollte und das Geschäft skalierbar halten wollte.
Die Aufträge aus den Landesgesellschaften werden von Gamma gebündelt. Sämtliche
Aktivitäten rund um die Demand und Supply Planung werden ebenfalls von Gamma
ausgeführt. Sie beauftragt auf dieser Grundlage die LDL, Produkte zu montieren oder
zu verpacken. Die LDL schaffen Visibilität über die Anlieferungen, Bestände und den
Arbeitsfortschritt.
Obwohl Postponement bei vielen Produkten von Gamma technisch realisierbar ist, ist
es nicht immer wirtschaftlich. Gammas Logistikmanager verwenden drei Kriterien, um
festzustellen, ob ein Produkt für Postponement geeignet ist. Erstens muss eine hohe
Variantenvielfalt vorliegen. Zweitens werden die Transportkosten von unverpackten,
generischen Produkten mit denen von verpackten Fertigprodukten verglichen. Dafür
wird untersucht, wie viele Produkte in beiden Fällen auf eine Palette passen. Wenn die
Fertigprodukte ungünstig abschneiden, dann spricht das für Postponement. Ein dritter
Fallstudien
177
Indikator liegt vor, wenn das Verhältnis von Gewicht und Volumen gegen einen
Transport per Luftfracht aus Übersee spricht.
Bei Gamma existieren nach Art und Intensität drei Typen einer verspäteten Variantenbildung. Lokalisierung bedeutet, dass Produkte länderspezifisch angepasst werden.
Bspw. wird eine Verpackung mit italienischer Bedruckung verwendet und es werden
die entsprechenden Handbücher, CDs und Netzteile beigepackt. Kommt es im Rahmen
eines Build-to-Order-Prozess zu einer kundenspezifischen Endmontage, bei der Zusatzkomponenten oder -module eingebaut werden, dann spricht man von Integration.
Der dritte Typ umfasst Grossaufträge von Händlern, bei denen bspw. Farb- oder Softwarevarianten erstellt werden.
Vergabe von Mehrwertleistungen
Materialfluss. In Europa gibt es mehrere Logistikzentren, die von LDL betrieben
werden. Dort werden neben Aktivitäten wie Endmontage, Kommissionierung und
Verpackung auch Retouren danach sortiert, ob sie verschrottet oder einem Ersatzteilkreislauf zugeführt werden. Transport und Cross-Docking wird durch andere externe
Partner erbracht.
Informationsfluss. Die Hoheit für das Design von IT-Systemen und Prozessen liegt
jeweils bei der Partei, die den Prozess verantwort, also bei Gamma oder einem Dienstleister. Gamma gibt die Schnittstellen mit Anforderungen an Datenfelder und Formate
vor.
„(Der LDL) soll seine Systeme nutzen oder Systeme aufbauen, die er nicht nur
für uns nutzen kann, sondern auch für andere Kunden, damit wir wieder beim ursprünglichen Ziel der Fremdvergabe, nämlich Skaleneffekten und variablen Kosten sind. Wir möchten hier keine Abhängigkeit kreieren. Da müssen wir dann,
wenn wir unsere Anforderungen definieren, die so formulieren, dass die nicht nur
für uns Sinn machen, sondern auch für andere Kunden verwendbar sind. Dass wir
also nicht sagen, wir hätten noch gerne diese zusätzliche Information und die ist
nicht marktüblich und die hat sich bei uns sowieso niemand angeschaut. Das wir
nicht diesen Bandwurm weitergeben: das haben wir immer so gemacht.“
Die Kundenschnittstelle inklusive der (gemeinschaftlichen) Absatzplanung und des
Auftragsmanagements ist und bleibt Kernkompetenz von Gamma. Momentan befindet
178
Fallstudien
sich die Supply Planung in einem Wandel. Man evaluiert, ob die taktische Beschaffungs- und Produktionsplanung auch auf den Postponement-Dienstleister übergehen
kann. Gamma würde weiterhin den strategischen Einkauf verantworten, d.h. Lieferanten auswählen, Preise verhandeln u.s.w. Die taktischen Aufgaben, also Bestellungen
dimensionieren, terminieren, kontrollieren und bei Bedarf reklamieren, würden an den
LDL übergehen. Gamma ist sich bewusst, dass dieses Vorgehen präzise Servicegrade
und klare Kommunikationsregeln in der „Dreiecksbeziehung“ zwischen ihr, dem LDL
und den Lieferanten erfordert.
LDL tracken und tracen diverse Kosten- und Leistungsindikatoren. Gamma sieht eine
Herausforderung darin, die Verursacher von Zielabweichungen zu lokalisieren. Mit
der Kaskadierung von Lieferketten durch Outsourcing steigt die Anzahl von Schnittstellen und Prozessbeteiligten, die solche Abweichungen verschulden können. Bezogen auf den taktischen Einkauf, führt ein Ist-Servicegrad von 90% anstatt von 99% zu
der Frage, wer in der Dreiecksbeziehung welchen Teil der Abweichung verantwortet.
Finanz- und Rechtefluss. Gamma steuert die Bestandshöhen bei den LDL und ist
überwiegend auch Eigentümerin der Bestände. Standardmaterial wie Paletten wird von
LDL gepoolt und nach Nutzung abgerechnet. Teilweise halten LDL Ware für Gamma
in Konsignation. Hierbei geht es weniger darum, Finanzierungskosten abzuwälzen,
weil diese sowieso meistens vom LDL eingepreist werden, sondern darum, dem LDL
Anreize für eine effiziente Lagerhaltung und eine Senkung von Schwund zu geben.
In der Fremdvergabe des Contracting sieht der Interviewpartner zwar einen potenziellen Mehrwert, jedoch nicht für ein Unternehmen der Grösse von Gamma. Die zentrale
Einkaufsorganisation verfügt in den relevanten Geographien über die notwendigen
Marktinformationen für den Einkauf logistischer Dienstleistungen.
Auswahl von LDL
Transportaufgaben und stationäre Aufgaben werden separat vergeben, weil Gamma
die Meinung vertritt, dass aus einer Integration wenig Mehrwert entsteht. Für die stationären Aufgaben greift sie auf einen Pool von LDL zurück, mit dem sie schon längere Zeit zusammen gearbeitet hat. Es gibt mehrere LDL, die in der Lage sind, eine Lokalisierung vorzunehmen. Eine Teilmenge dieser Anbieter kann auch die Integration
übernehmen. Gamma beabsichtigt, einen Anbieterwettbewerb aufrechtzuerhalten und
keine unnötige Abhängigkeit zu kreieren. Sie ist relativ kurzfristig in der Lage, bei
Fallstudien
179
Kapazitätsengpässen oder Performance-Problemen auf einen anderen LDL zurückzugreifen.
Im Rahmen einer Ausschreibung teilt Gamma den Bietern Produkt- und Volumenprofile sowie Standortregionen als Planungsinput mit. Durch die Vorgabe von Regionen
wird gewährleistet, dass die Gesamtkosten aus Personal, Immobilie und Transport minimiert werden. Innerhalb der sechs Segmente Technologie, Qualität, Flexibilität, Liefertreue, Umwelt und Kosten werden Anforderungen an die Angebote formuliert.
Gamma vergibt Mehrwertleistungen an LDL, die im entsprechenden Bereich einschlägige Referenzen vorweisen können, weil sie keine Lieferantenentwicklung im grossen
Umfang betreiben möchte. Aus den oben genannten Gründen ist es insbesondere wichtig, dass der LDL über umfangreiche IT-Fähigkeiten verfügt und entsprechende Systeme schon betreibt oder entwickeln wird. Er muss in der Lage sein, den monatlichen
Output in einer bestimmten Prozenthöhe zu steigern oder zu senken und einen schnellen Hochlauf bei Neuprodukten zu gewährleisten.
Für anspruchsvolle stationäre Aufgaben findet Gamma mittlerweile eine relativ hohe
Anzahl von Kandidaten. Der Interviewpartner begründet dies damit, dass sich die externen Anbieter weiterentwickelt haben. Ausserdem beobachtet er, dass mit Vertragsfertigern und Kontraktlogistikern zwei Branchen konvergieren. Durch Kooperationen
und Zukäufe beabsichtigen einige, ihre jeweiligen Kompetenzlücken zu schliessen.
Integration von Mandant und LDL
System- und Prozessebene. Derzeit betreiben die LDL überwiegend dedizierte
Standorte für die Lokalisierung und Integration. In Zukunft will Gamma Mehrbenutzerumgebungen vorantreiben. Für das Postponement benötigt der LDL spezifische
Anlagen. Dazu gehören Förderbänder, Rollenbahnen, Hebevorrichtungen sowie Teststationen für Funktionstests. Die Bemühungen nach Standardisierung stossen an dieser
Stelle an Grenzen. Die Produkte weisen bspw. spezifische Formen auf, die eine Wiederverwendung der Rollenbahnen erschweren. Einfacher ist die Skalierung von ITSystemen. Gamma erwartet vom LDL, dass er bereits über entsprechende Systeme
verfügt oder diese als Mehrbenutzersysteme entwickelt.
Geschäftsebene. Für die Vertragsgestaltung bei Mehrwertleistungen sieht der Interviewpartner keine gravierenden Besonderheiten. Die Leistungen, Messgrössen und
180
Fallstudien
Rückabwicklungsmodalitäten müssen tendenziell detaillierter spezifiziert werden. Er
sieht insbesondere bei den Laufzeiten keine Unterschiede. Diese verlängern sich nach
einer vorbestimmten Vertragslaufzeit automatisch und sind mit relativ kurzen Kündigungszeiten verbunden.
„Wir haben als Philosophie, dass wir langfristig mit Partnern zusammenarbeiten
wollen, und dass diese Partner sich das Geschäft verdienen müssen.“
Bei der Preisgestaltung dominiert das transaktionsorientierte Schema. Es soll in Zukunft weiter ausgebaut werden. Dies ist aber nur möglich, wenn die Standardisierung
und Skalierung der Lösungen weiter vorangetrieben wird, um den Fixkostenanteil am
Transaktionspreis zu reduzieren. Das transaktionsorientierte Preismodell impliziert,
dass die LDL Absatzrisiken mittragen. Diese Risiken sind durch den abklingenden ITBoom und gesättigte Märkte gestiegen. Bei transaktionsorientierten Preisen ist es
wichtig, dass der LDL Anreize zur Verbesserung erhält. Dafür nutzt Gamma neben
Open Book auch die Marktpreisfindung. Die Harmonisierung von Leistungen und Kostendefinitionen hat den Vorteil, dass Gamma die Angebote innerhalb des LDL-Pool
mit begrenztem Aufwand benchmarken kann.
Ein Instrument der Anreizgestaltung mit wachsender Bedeutung bei Gamma ist das
Gain Sharing. Gamma ist der Meinung, dass die LDL heute besser denn je in der Lage
sind, Verbesserungen zu initiieren und umzusetzen. Verbesserungen implizieren häufig, dass der LDL eigenen Umsatz wegrationalisiert. Allerdings kann er sich als Vorzugslieferant positionieren und ggf. Volumina von anderen LDL dazugewinnen.
Gamma ist sich jedoch bewusst, dass durch das Produktdesign die grössten Kostenblöcke intern beeinflusst werden und dass für das Logistiksystem das Gesetz der abnehmenden Grenzerträge gilt. Verbesserungen sind folglich eher im einstelligen Prozentbereich zu erwarten.
Potenziale und Risiken
Durch die Implementierung des Postponement-Konzepts gekoppelt mit der Fremdvergabe dieser Aufgaben an LDL konnte Gamma im Laufe der Jahre umfangreiche Potenziale realisieren. Durch das veränderte Prozessdesign konnte die Performance bei
Fehlmengen, Nacharbeit und Ausschuss signifikant verbessert werden.
Fallstudien
181
Zu Beginn des IT-Booms musste Gamma entscheiden, ob sie in physische Logistikressourcen investiert. Gamma hat sich dagegen entschieden, weil sie sich auf ihre Kernkompetenzen Entwicklung und Vermarktung von IT-Produkten konzentrieren wollte.
Der Interviewpartner betont die dynamischen Verschiebungen von (Kern)Kompetenzen im eigenen Unternehmen und bei den Dienstleistern. Dies erfordert,
dass regelmässig auch komplexe Umfänge wie taktischer Einkauf und taktische Produktionsplanung bzgl. einer Fremdvergabe evaluiert werden.
„Jetzt können (einige LDL) planen, vor fünf Jahren war das bei denen, die wir
haben noch nicht so stark ausgeprägt. Zum Anderen auch unsere Expertise ändert
sich. Wir sind immer noch gut in dem Thema. Aber sind wir immer noch so gut,
dass es wert ist, das im Hause zu machen? Sind nicht andere auch gut und wir
können uns auf andere Dinge fokussieren? Kernkompetenzen ändern sich.“
Outsourcing war und ist attraktiv für Gamma, weil ihr Geschäft starken Schwankungen unterliegt. Die Schaffung von strategisch flexiblen Lösungen ist ein zentrales Anliegen. Diese Lösungen erlauben es, mit wachsenden, sinkenden sowie sich regional
verschiebenden Volumina umzugehen. So konnte Gamma bspw. im IT-Boom die Lösung schnell skalieren.
Gamma ist auf dem Weg, eine wirklich „atmende“ Lösung mit grösstenteils variablen
Kosten aufzubauen. Durch transaktionsorientierte Entlohnung erreicht sie, dass sich
die LDL mit am Absatzrisiko beteiligen. Dieser Ansatz schafft auch Anreize für die
LDL, Lösungskomponenten für andere Mandanten wiederzuverwenden und Skaleneffekte zu erzeugen. Dadurch, das Gamma relativ generische Lösungen nachfragt, kann
sie den Angebotswettbewerb unter den LDL aufrechterhalten. Neben den Skaleneffekten rücken mit der Evaluierung von taktischen Aufgaben Verbundeffekte in den
Blickwinkel. Es ist denkbar, dass Gamma in mittlerer Zukunft die Disposition und
Ausführung des Postponement aus einer Hand als integrierte Prozesskette bezieht.
Der Interviewpartner ist der Meinung, dass sich durch die Fremdvergabe von Mehrwertleistungen die Risikoposition von Gamma nicht wesentlich verändert. Die Gefahr,
dass Umfeld- bzw. Prozessrisiken die Lieferfähigkeit beeinträchtigen, bleibt nahezu
unverändert. Störungen werden durch Bestände und redundante Lieferanten abgefedert.
182
Fallstudien
Durch die Einschaltung eines LDL besteht theoretisch die Gefahr, dass durch eine zusätzliche Instanz – neben Mandant und Lieferant – Koordinationsprobleme in der
Wertschöpfungskette entstehen. Im Idealfall sind bei internen Lösungen die Schnittstellen effizienter und es erfolgt ein direkterer Durchgriff als bei externen Lösungen.
Dennoch treten auch und gerade in der Hierarchie Schnittstellenrisiken bspw. durch
politisches Verhalten auf. Eng mit den Schnittstellen verbunden ist auch die Frage, ob
durch die Vergabe von Mehrwertleistungen die Prozesstransparenz für den Mandanten
sinkt.
„Wenn sie wie wir eine Organisation im wahrsten Sinne sind, dann organisieren
und managen sie ja nur. Sie managen Prozesse und Informationen. (...) Sie haben
dann natürlich intern wie extern eine grosse Anzahl an Interfaces. Wie arbeiten
die zusammen? Liefert der eine den Output, den der andere als Input braucht.“
Die Vergabe von taktischen Planungs- und Einkaufsaufgaben birgt aufgrund der Novität für einige LDL ein Kompetenzrisiko, also die Gefahr, dass der LDL nicht über die
erforderliche Erfahrung verfügt, um den Prozess anforderungsgerecht durchzuführen.
Der Mandant kann dieses Risiko senken, indem er bspw. die Referenzen des LDL
sorgfältig untersucht und indem er den LDL umfassend in den Prozess einführt. Der
Interviewpartner betont, dass Gamma aufgrund seiner langjährigen Erfahrung in der
Fremdvergabe von Leistungen Outsourcing-Risiken effektiv managen kann.
Zwischenfazit
Die vorliegende Fallstudie von Gamma stellt drei Zusammenhänge eindrucksvoll dar:
(Kern-)Kompetenzen verändern sich kontinuierlich. Das Beispiel Vertragsfertigung zeigt, dass Umfänge, deren Outsourcing früher undenkbar erschien,
fremdvergeben werden können. Eine ähnliche Entwicklung ist für materialflussnahe Steuerungsaufgaben der Logistik denkbar.
Unternehmen sollten systematisch eine Outsourcing-Kompetenz aufbauen, bevor sie komplexe Umfänge fremdvergeben. Diese Kompetenz kann zum Wettbewerbsfaktor werden, wenn es einem Unternehmen gelingt, sich stärker auf
den eigenen Kern zu fokussieren als es die Wettbewerber tun. Die Erfahrung
hilft dabei, komplexe Leistungen zu definieren, die Möglichkeiten der Preisgestaltung zu nutzen und Risiken wirksam zu managen.
Standardisierung von Prozessen und Leistungen ist Voraussetzung, um zahlreiche Outsourcing-Potenziale wirklich zu realisieren. Standardisierte Umfänge
Fallstudien
183
unterschiedlicher Mandanten können vom LDL kostensenkend gebündelt werden. Darüber hinaus setzt eine echte Kostenvariabilisierung standardisierte Kapazitäten voraus, die der LDL im Falle eines Nachfragerückgangs anderweitig
belegen kann.
184
Fallstudien
4.5 High-Tech-Unternehmen Delta
Ausgangssituation
Delta ist ein Unternehmen der High-Tech-Branche, dessen Geschäfte überwiegend auf
entwicklungsintensiven Produkten mit kurzen Innovationszyklen basieren. Delta verkauft kundenspezifisch gefertigte Systeme. Die Nachfrage unterliegt starken Konjunkturschwankungen.70
Das anspruchsvolle Produkt-Markt-Umfeld von Delta stellt hohe Anforderungen an
die Supply Chain71. Umfangreiche Materialflüsse werden koordiniert, weil das Produktions- und Lieferantennetzwerk über die Kontinente Nordamerika, Asien und Europa verteilt ist. Die Supply Chain hat einen virtuellen Charakter, da umfangreiche
Produktionsaufgaben an Auftragsfertiger ausgelagert wurden. Delta betreibt nur noch
wenige Werke in Eigenregie.
Die Auftragsbearbeitung erfolgt in mehreren Stufen. Zuerst platziert ein Kunde seinen
Auftrag bei der jeweiligen Landesgesellschaft von Delta. Dort wird der Auftrag auf
Machbarkeit geprüft. Danach wird er an ein zentrales Order Desk weitergeleitet, wo
nach definierten Kriterien über die Beschaffungsquellen der Systemkomponenten entschieden wird. Die Logistikmanager stehen vor der Herausforderung, die Informations- und Materialflüsse so zu synchronisieren, dass eine pünktliche und vollständige
Lieferung von den Quellen über ein Logistikzentrum an die Kunden effizient abgewickelt werden kann.
Handlungsdruck
Die Logistik leistet schon in der frühen Angebotsphase einen wichtigen Beitrag zur
Kundenzufriedenheit. Gemeinsam mit dem Vertrieb muss sie sicherstellen, dass es in
der Auftragsausführung nicht zu ungeplanten Überraschungen kommt. In der Vergangenheit war die Einbindung noch nicht optimal. Im Idealfall kann die Logistik Auskunft über die tatsächliche Lieferfähigkeit geben und gewährleistet damit eine hohe
Liefertreue. Nur durch eine intensivere Zusammenarbeit von Vertrieb und Logistik ist
eine angemessene Kundenorientierung realisierbar.
70
71
Diese Fallstudie basiert auf zwei Interviews mit Delta am 17.02.2005 und 21.02.2005.
An dieser Stelle wird gemäss der Begriffsverwendung von Delta von Supply Chains gesprochen.
Fallstudien
185
Das folgende Statement verdeutlicht den Zeitdruck in den Geschäften von Delta:
„Liefergeschwindigkeit und -zeit sind momentan wichtiger als der Preis. Die
Kunden sind momentan bereit, einen höheren Preis zu bezahlen, wenn die ihre
Ware schneller kriegen. Das hat vor allem damit zu tun, dass die Wirtschaft wieder anzieht (...) Es gibt sehr viel Druck auf die Logistik. Lieferzeit und -fähigkeit
sind äusserst wichtig.“
Die Kunden erwarten, dass die Systemkomponenten vollständig und pünktlich im Sinne der Kennzahl On-Time-Delivery (OTD) geliefert werden, wobei die Vollständigkeit
der Lieferung vorausgesetzt wird. Ganz abgesehen davon ist es auch teurer, mehrfach
zum Kunden zu fahren. Dieser Anforderung ist Delta in der Vergangenheit nicht immer gerecht geworden. Die oftmals langen Lieferwege waren mit langen Transportzeiten verbunden. Die Warenströme wiesen nicht die Transparenz auf, die man benötigt,
um kurzfristig abzuschätzen, wo sich Ware gerade befindet und wann sie eintreffen
wird. Darüber hinaus fehlten häufig Informationen, um Ursachen zu analysieren und
Schwachstellen zu beseitigen. Deswegen wurden Kennzahlen wie OTD eingeführt und
die Performance signifikant gesteigert.
Die Strategie der Lagerfertigung (Make-to-Stock) verursachte Bestandskosten von
mehr als 1 Mrd. €, die das Unternehmen finanziell belasteten und seinen Spielraum
einengten. Mit ca. 40 Lägern verfügte Delta über ein dichtes Distributionsnetzwerk,
das nicht nur Indikator für Defizite in der Flussorientierung war, sondern diese Situation auch mitverursachte. Das Transportaufkommen war über eine Vielzahl von Frachtfirmen verstreut. Insgesamt waren die Frachtkosten zu hoch, u.a. auch deshalb, weil
Premium-Transporte dafür genutzt wurden, um Fehler in vorgelagerten Prozessstufen
zu korrigieren. Die Marktsituation erzeugte einen „unheimlichen Druck“ auf die Logistikkosten von Delta.
Lösungskonzept
Delta erkannte den Handlungsbedarf und startete ein umfangreiches Programm zur
Transformation der Supply Chain. Dahinter steckte die Vision, eine Lieferkette zu
schaffen, die gleichzeitig „lean“ und „agile“ ist. „Lean“ steht dabei für wenig Bestände
und eigenes Personal und „agile“ für schnelle und transparente Prozesse, die teilweise
fremdvergeben sind.
186
Fallstudien
Die Massnahmen, die Delta getroffen hat, orientieren sich an den folgenden Gestaltungsprinzipien.
Kundenorientierung. Die operativen Funktionen - also Auftragsmanagement, Logistik und die Schnittstelle zu den Vertragsfertigern – wurden in einer Organisationseinheit gebündelt. Dadurch spielt die Logistik eine grössere koordinierende Rolle und
wird immer einbezogen, bevor man dem Kunden eine Zusage gibt.
Auftragsteuerung. Die Supply Chain ist von einer Drucksteuerung auf eine Zugsteuerung umgestellt worden. Dadurch lassen sich Bestände senken und Bestandsabschreibungen wegen überschüssigem Material vermeiden.
Zentralisierung und Standardisierung. Das Unternehmen verfügt heute über eine
Logistikorganisation. Dadurch war es auch einfacher, konsistente und standardisierte
Logistikprozesse zu etablieren.
Transparenz. Delta und seine Logistikpartner überwachen die weltweiten Warenströme mit einem Tracking-und-Tracing-System. Der verbesserte Transparenzgrad
vereinfacht es, Beschaffungsaufträge aus unterschiedlichen Werken zu einer Kundenlieferung zusammenzuführen. Dadurch entstehen wertvolle Informationen darüber, wo
sich in der Lieferkette Engpässe befinden, die eliminiert werden müssen.
Outsourcing und Lieferantenkonsolidierung: Bisher war vor allem der Materialfluss an externe Partner vergeben worden. Delta hat die Anzahl der Frachtfirmen stark
reduziert. Im Bereich der stationären Umfänge hat man ein dichtes europaweites Distributionsnetzwerk auf unter 10 Standorte ausgedünnt. Das Unternehmen baut
schrittweise einen 4PL-Partner auf, der eine integrierte Steuerung der Lager- und
Transportdienstleister übernimmt. Die Logistikmanager von Delta agieren dadurch
mehr als Ansprechpartner für Eskalationen und widmen sich stärker der Weiterentwicklung der Supply Chain.
Vergabe von Mehrwertleistungen
Materialfluss. Strategische Transporteure führen die Warenbewegungen aus. Sie haben sich auf jeder Relation neben Preis und Qualität vor allem über die Durchlaufzeit
qualifiziert. Für jedes Logistikzentrum gibt es einen stationären Dienstleister, der die
Ware auf dem Weg zum Kunden aus unterschiedlichen Quellen zusammenführt. Neben den üblichen Kommissionierfunktionen übernimmt er dabei auch einfache Montagetätigkeiten wie das Schneiden von Kabeln.
Fallstudien
187
Informationsfluss. Delta hat entschieden, dass Supply-Chain-Design eine eigene
Kernkompetenz ist. Allerdings lässt man sich vom 4PL bei ausgewählten Aufgaben
unterstützen. Gemeinsam untersucht man bspw. für Aufträge von wichtigen Kunden,
wie die Waren geflossen sind und welche Lieferzeiten und Kosten damit verbunden
waren. Mit einem Design-Werkzeug des 4PL werden die Warenströme simuliert bzw.
optimiert. Nach Ansicht des Interviewpartners bietet das Design Hebel für beträchtliche Einsparungen. Durch ein Gain-Sharing-Abkommen werden für den 4PL Verbesserungsanreize geschaffen. Der 4PL ist auch beratend in Ausschreibungen für stationäre
Leistungen sowie Transportleistungen involviert.
Die Kundenschnittstelle ist ebenfalls Kernkompetenz von Delta. Daher werden Absatzplanung, Auftragsmanagement und Kundenservice intern durchgeführt. Die ITSyteme für das Fulfillment werden weitestgehend von Delta selber bereitgestellt.
Nachdem früher viele Insellösungen existiert hatten, war dem Management sehr daran
gelegen, eine weltweite Architektur mit einheitlichen Komponenten in den Bereichen
ERP, WMS sowie Tracking umzusetzen.
Delta sieht Monitoring als gemeinsame Aktivität mit dem 4PL an. Der 4PL operiert
ein Data Warehouse, in das die Materialfluss-Dienstleister Kosten- und Leistungsdaten
schreiben. Er generiert auf dieser Grundlage monatliche Berichte über KPIs, mögliche
Abweichungsursachen und korrigierende Massnahmen. Die Berichte sind an die individuellen Informationsbedürfnisse von Delta angepasst.
Finanz- und Rechtefluss. Die meisten Warenbewegungen bei Delta sind grenzüberschreitend. Daher wurde ein spezialisierter Dienstleister eingeschaltet, der dafür verantwortlich ist, dass Einfuhrzölle, -steuern und -richtlinien berücksichtigt werden. Die
Prüfung und Zahlung von Frachtrechnungen wird ebenfalls durch einen externen Partner abgewickelt. Der Partner gleicht die Rechnungen mit den Vereinbarungen ab und
kürzt sie bei Bedarf. Der Dienstleister partizipiert an den so erzielten Einsparungen
über einen Bonus. Delta erhält eine aggregierte monatliche Rechnung. Derzeit unterstützt der 4PL bei der Auswahl von Transporteuren, indem er Angebote einholt, Vergleiche vornimmt und Empfehlungen abgibt. Die abschliessende Entscheidung liegt
jedoch bei Delta. Die Übergabe des Contracting an den 4PL lohnt sich, wenn er Logistikumfänge von Delta bspw. mit der Konkurrenz bündelt und dadurch Skaleneffekte
realisiert.
188
Fallstudien
Integration von Mandant und LDL
Auf der Geschäftsebene hat Delta mit seinen Partnern eine enge Zusammenarbeit institutionalisiert. Je nach Grösse des Partners hält er neben dem Kontraktmanagement
auch ein dediziertes Account-Management für Delta vor. Es gibt regelmässige Treffen,
in denen die aktuellen und zukünftigen Themen besprochen werden. Jedes Vierteljahr
findet bei den LDL ein Audit statt, um Verbesserungsbereiche zu identifizieren.
Im Rahmen des umfangreichen Outsourcings wurden auf der Prozessebene auch spezifische Aufgaben im Logistikzentrum an LDL vergeben. Das erforderliche Wissen
wurde beim Partner aufgebaut, indem man die existierenden Prozesse übertragen hat
und den LDL durch den Prozess geführt hat. In wenigen Fällen ist auch Personal zum
LDL gewechselt.
Nahezu alle erforderlichen spezifischen Ressourcen auf der Systemebene stellt Delta
seinen LDL zur Verfügung. Dazu gehören u.a. umfangreiche logistische IT-Systeme,
die der 4PL über Schnittstellen anbinden musste. Der 4PL ergänzt die Systemlandschaft durch ein eigenes Data Warehouse. Die stationären Dienstleister operieren dedizierte Standorte für Delta, weil das Unternehmen sich auf sein Geschäft konzentrieren
möchte. Sie bringen neben dem Personal und dem Standort keine wesentlichen spezifischen Ressourcen ein.
Potenziale und Risiken
Durch die Fremdvergabe von weiteren Logistikumfängen und die Konsolidierung der
Lieferantenbasis hat Delta eine Veränderungsdynamik erzeugt, die den Wandel der
europäischen Logistikstrukturen und -prozesse gefördert hat. Es ist gelungen, in Europa eine länderübergreifende, schlanke Logistikorganisation aufzubauen. Damit kann
sich das Technologieunternehmen Delta stärker auf seine Kernaufgaben in der Entwicklung und Vermarktung kümmern. Die externen Partner entlang der Lieferkette
werden klar definierten KPIs und Servicegraden vertraglich verpflichtet. Dies soll für
den Kunden in Form einer stärkeren Dienstleistermentalität spürbar sein. Für den 4PL
werden durch das Gain-Share-Abkommen klare Verbesserungsanreize geschaffen.
Im Rahmen des Supply-Chain-Programms hat Delta einige Prozesse verbessert. Die
Supply Chain wurde von einer Prognosesteuerung auf eine Auftragssteuerung umgestellt. Dadurch wurden beträchtliche Bestände, die bisher die Pipeline verstopft haben,
abgebaut. Auch die LDL tragen zu einer erhöhten Flussorientierung bei. Der stationäre
Fallstudien
189
Dienstleister unterstützt bei der Umwandlung von Distributionslägern in Bündelungspunkte.
Die Lieferantenbasis wurde mit dem Ziel konsolidiert, Transportleistungen und stationäre Leistungen bei wenigen strategischen Partnern mit besonders leistungsfähigen
Angeboten unterzubringen. Dadurch erzielt Delta bessere Raten und senkt die Prozesskosten für die Interaktion mit den LDL. Darüber hinaus stabilisieren die einheitlicheren und übersichtlicheren Prozesse die Interaktion.
Mit der Vergabe umfangreicher Mehrwertleistungen kann auch das Abhängigkeitsrisiko steigen. Delta ist sich dessen bewusst und versucht, unnötige Abhängigkeiten bspw.
durch die Bereitstellung von IT-Systemen zu vermeiden. Der Interviewpartner weist
darauf hin, dass sich bei 4PL-Leistungen Kommunikationsrisiken ergeben können:
„Die grösste Herausforderung ist die Fähigkeit, sich in die Geschäftsprozesse des
Kunden einzuleben und die gleiche Beziehung zu den internen und externen
Kunden aufzubauen, wie das die eigene Logistik macht.“
Auf der Prozessebene kann Delta durch Outsourcing Risiken sogar senken bzw. transferieren. Durch die Nutzung eines auf Import und Export spezialisierten Dienstleisters
sinkt die Gefahr, dass Lieferungen aufgrund von fehlenden Dokumenten oder Informationen aufgehalten werden. Das Liefer(zeit)risiko kann zumindest teilweise transferiert
werden, indem sich die externen Partner auf bestimmte Durchlaufzeiten und Servicegrade verpflichten.
Aus der Systemsicht steht bei komplexen Outsourcing-Vorhaben vor allem das Implementierungsrisiko im Vordergrund. Die High-Tech-Branche nimmt bei der
Fremdvergabe umfangreicher Pakete eine Vorreiterrolle ein. Neuartige Vorhaben implizieren jedoch immer, dass es wenige oder keine Referenzprojekte zur Orientierung
gibt. Das erschwert die Auswahl des LDL.
Wenn ein Mandant einen Prozess über mehrere Jahre extern durchführen lässt, dann
entsteht ggf. ein Beurteilungsrisiko, d.h. er kann nur noch eingeschränkt beurteilen, ob
der LDL den Prozess optimal für ihn erbringt.
190
Fallstudien
Zwischenfazit
Aus seinen Erfahrungen mit dem 4PL-Konzept leitet der Interviewpartner von Delta
drei wesentliche Erfolgsfaktoren ab:
Der Mandant muss eine klare Vorstellung haben, welche strategische Ausrichtung und Ziele er mit der internen Logistik mittel- bis langfristig verfolgt.
Durch einen sorgfältigen Auswahlprozess muss ein passender LDL identifiziert
werden. Komplexe Mehrwertleistungen erfordern entsprechende Projekterfahrungen des LDL und der im Kontrakt eingesetzten Mitarbeiter.
Die Migration zum 4PL-Konzept funktioniert nicht nach dem Plug-and-PlayPrinzip, sondern sie erfordert ein konsequentes Projekt- und ChangeManagement von beiden Seiten.
Fallstudien
191
4.6 Fallstudienvergleich
Anhand der Struktur des Kontingenzmodells werden die vier Fallstudien jetzt einem
Quervergleich unterzogen. Dabei werden Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen
den Beispielen aufgezeigt und Zusammenhänge herausgearbeitet. Für jedes der drei
Teilmodelle Kontext, Gestaltung und Performance gibt es nachfolgend eine Tabelle.
Neben den vier Fallstudien werden auch Erkenntnisse aus zusätzlichen Interviews herangezogen, um die abgeleiteten Zusammenhänge auf eine breitere Empirie zu stützen.
Alpha
Mandantenkontext
Branche
Wettbewerbsstrategie
Logistikkompetenzen
Outsourcing-Kompetenz
Finanzielle Lage
Produkttyp
Globalisierung
LDL-Kontext
Eigentum von Logistikressourcen
Vertriebsansatz
Anforderungen an LDL
Geschäftsbeziehung
Machtverhältnis
Sourcing-Strategie
Vertrauen
Informationsaustausch
Institutionalisierung
Verbesserungsstreben
Typologisierung
Mandantentyp
Beziehungstyp
LDL-Typ
Beta
Gamma
Delta
Automobil
Servicedifferenzierung
sehr hoch
hoch
positiv
funktional
hoch
Elektronik
Servicedifferenzierung
hoch
mittel
angespannt
funktional-innovativ
mittel
Elektronik
Servicedifferenzierung
sehr hoch
hoch
angespannt
innovativ
sehr hoch
High-Tech
Servicedifferenzierung
hoch
hoch
Talsohle durchlaufen
innovativ
sehr hoch
3PL
transaktionsorientiert
Kostenniveau
Prozessverständnis
Branchenverständnis
3PL
konsultativ
IT-Systeme
Schaffung von
Synergien
Referenzen
3PL
transaktionsorientiert
IT-Systeme
Referenzen
Kostenniveau
Flexibilität
3PL und 4PL
konsultativ
Qualität
Kostenniveau
Erfahrene Mitarbeiter
LDL will Referenz
Belohnung oder
LDL als Experte
Bestrafung mit Volumen
single
hoch
hoch
stark
niedrig
single
hoch
sehr hoch
hoch
multi
hoch
hoch
stark
mittel
single
hoch
hoch
stark
hoch
integrierter
Logistikexperte
fokussiert
Materialflussanbieter
integrierter Logistiker
schlanker
Logistikexperte
umfangreich
Koordinationsanbieter
schlanker
Logistikexperte
integriert
Optimierungsanbieter
integriert
Optimierungsanbieter
Tabelle 6: Vergleich der Kontextfaktoren
Im Kontext der Fallstudien lassen sich Ähnlichkeiten finden. Keiner der untersuchten
Mandanten ist als reiner Niedrigpreisanbieter in seinen Märkten positioniert. Stattdessen differenzieren sie sich überwiegend durch Servicemerkmale. Die Besonderheiten
von Mehrwertleistungen im Vergleich zu Basisleistungen führen zu Parallelen in der
Zusammenarbeit. In den meisten Fällen wurden dedizierte Strukturen für das Projektmanagement und Key Account Management etabliert. Die Beziehungen sind durch
intensiven Informationsaustausch geprägt. Dies ist nur möglich, weil sich die Partner
gegenseitig ein höheres Vertrauen entgegenbringen als dies beim Austausch einfacher
Leistungen üblich ist.
192
Fallstudien
Die Fälle repräsentieren Beispiele aus den Branchen Automobil sowie Elektronik und
High-Tech. Damit werden sowohl funktionale Produkte mit einer hohen Teile- und
Variantenvielfalt als auch innovative Produkte mit kurzen Lebenszyklen betrachtet.
Die Branchen haben sich historisch unterschiedlich entwickelt, so dass die Unternehmen andere Erfahrungen mit Logistikkonzepten sowie umfangreichem Outsourcing
gesammelt haben. Die Beispiele beschreiben sowohl physische 3PL, die nach Durchsatz entlohnt werden, als auch wissensbasierte LDL, die zusätzlich für Verbesserungen
mit einem Gain Share belohnt werden. Die Machtverteilung ist in allen vier Fällen
asymmetrisch mit einem Übergewicht auf Seiten des Mandanten, wobei sich die
Machtbasen unterscheiden. Der LDL von Alpha möchte die neuartige Dienstleistung
der Bandbereitstellung als Referenz verwenden. Gamma greift für Mehrwertleistungen
auf einen Pool internationaler LDL zurück. Je nach Kosten- und Leistungsperformance
kann Gamma die LDL mit erhöhtem Volumen belohnen oder mit reduziertem Volumen sanktionieren. Bei Delta sind die Interessen zwischen Mandant und LDL harmonisiert. Der LDL hat sich als Branchen- und Logistikexperte positioniert und arbeitet
partnerschaftlich mit dem Mandant zusammen.
Alpha
Beta
Gamma
Leistungen
Prozesskette
Materialfluss
Versorgung, Produktion
Bandbereitstellung, CKD
After-Sales
Zentrallager
Informationsfluss - Design
-
IT-Design
Informationsfluss - Planung
-
Bestandsplanung
taktische Produktionsund Beschaffungsplanung
wird evaluiert
Informationsfluss - Fulfillment
Informationsfluss - Monitoring
-
Order Fulfillment
Tracking, Reporting
-
Finanzfluss
-
Bestandsfinanzierung
-
Rechtefluss
-
-
-
sonstige Gestaltungsparameter
Umfang
Umgebung
Spezifität
Leistung-Lösung
Dediziert
mandantenspezifisch
Lösung
Mehrbenutzer
segmenspezifisch
spezifisches Wissen
spezifische Prozesse und IT
spezifische Anlagen
spezifische Bestände
spezifische Standorte
Preisgestaltung
Anlauf- und
Änderungsprozesse, ITSysteme,
Teileidentifikation
Konservierungsanlage
Fix und variabel
Produktion, Distribution
Postponement,
Verpackung
IT-Design
Delta
Distribution
Warenkonsolidierung
Supply Chain Design
Support
-
konsolidiertes KPIReporting
Rechnungsprüfung, Trade
Compliance
Support bei
Ausschreibungen
Leistung-Lösung
Dediziert-Mehrbenutzer
mandantenspezifisch segmentspezifisch
Erst- und Endbevorratung Wissen über Produkte
und Dispositionsprozesse
Lösung
Dediziert-Mehrbenutzer
mandantenspezifisch
komplette IT-Systeme
Ersatzteile
Zentrallager
variabel
Data Warehouse
Logistikzentrum
zusätzlich Gain Sharing
Dispositionssysteme
Fördertechnik
Distributionszentrum
variabel und fix
Supply Chain Design,
Trade Compliance,
Reportingprozesse
Tabelle 7: Vergleich der Gestaltungsparameter
Wenn man die Fallstudien in Bezug auf die Gestaltungsdimension vergleicht, dann
fällt auf, dass die Fremdvergabe von Materialflussaufgaben in allen vier Beispielen
weit fortgeschritten ist. Die Spezifität von Aufgaben und Ressourcen stellt kaum eine
Barriere dar. Niemand hat das Order Management ausgegliedert. Begründen kann man
Fallstudien
193
das damit, dass an der Kundenschnittstelle Bedürfnisse beobachtet werden und die
Qualitätswahrnehmung des Kunden beeinflusst wird. Die Demand und Supply Planung wird ebenfalls als Kernkompetenz betrachtet, weil sie einen grossen Einfluss auf
die Lieferfähigkeit und die Kosten hat. Planung wird nur dann vergeben, wenn es darum geht, Prozesse abzurunden. Falls der LDL von Beta in Zukunft die Bestände finanziert, dann soll er sie auch planen. Mandanten stellen häufig IT-Systeme bereit, weil
die proaktive Entwicklung von Segmentlösungen bei LDL zeitintensiv ist und vielfach
noch nicht abgeschlossen ist. Beide Seiten tun sich schwer, sich auf Standards zu einigen und aus dedizierten Umgebungen Mehrbenutzerumgebungen zu entwickeln.
Bei Unternehmen, deren Logistik kapital- und personalintensiv ist, begünstigt eine
angespannte finanzielle Lage umfangreiches Outsourcing. Dies zeigt die finanzielle
Hebelwirkung, die von bestimmten Mehrwertleistungen ausgeht. Bei anderen wird in
schlechten Zeiten die Logistik als Einsparungsquelle entdeckt. Vor allem Unternehmen mit einer überdurchschnittlichen Logistikkompetenz und Einkaufsmacht führen in
solchen Situation ein Insourcing durch. Die Branchen weisen unterschiedliche Eintrittsbarrieren für das Angebot von Mehrwertleistungen auf. In der Automobilindustrie
sind sie besonders hoch. Aufgrund der komplexen Produktstrukturen sind über die Zeit
umfangreiche Prozess- und IT-Systemlandschaften entstanden, die spezialisierte LDL
gegenüber Allroundern begünstigen. Je niedriger die Logistikkompetenz und je höher
die Outsourcing-Kompetenz des Mandanten, desto wahrscheinlicher fragt er Mehrwertleistungen auch ausserhalb des Materialflusses nach.
Für das Design von Logistiknetzwerken, -prozessen und IT gibt es ein Nachfragepotenzial vor allem im Mittelstand, der dafür weniger eigene Kapazitäten vorhalten kann.
Diese Leistungen erfordern umfangreiches Wissen auf Seiten des LDL. Dazu gehören
mandantenspezifisches Wissen (Prozesse, Netzwerke), branchenspezifisches Wissen
(Kundenbedürfnisse, Produkte) und übergreifendes Wissen (Logistik, IT). Trotz der
aktuellen Zurückhaltung der Mandanten bei Planungsleistungen ist gerade im Mittelstand ein attraktiver Mehrwert durch LDL möglich. Dafür muss der Dienstleister in
eigene Advanced-Planning-Systeme investieren. Je innovativer die Produkte oder je
globaler die Beschaffungs-, Produktions- und Vertriebsnetze, desto höher ist der Bedarf nach Monitoring-Lösungen. Dieser Bedarf wurde vor allem in der Elektronik- und
High-Tech-Branche artikuliert. Neben der Visibilität von Logistiknetzwerken in Echtzeit ist eine integrierte Datenbasis historischer Kennzahlen wertvoll, die ein zentraler
LDL zusammentragen kann. Je breiter die Lieferantenbasis, desto wichtiger wird ein
194
Fallstudien
konsolidiertes Reporting. Durch den Verkauf seiner Bestände kann ein Mandant sein
Umlaufvermögen verkürzen und Kapital freisetzen. Eine angespannte finanzielle Lage
ist Treiber eines solchen Vorgehens. Für LDL, die Kompetenzen bei Finanzdienstleistungen und bestandsarmen Logistikkonzepten haben, ist Bestandsfinanzierung ein
attraktives Betätigungsfeld.
Mandanten vermeiden Abhängigkeiten, indem sie dem Dienstleister spezifische Fördertechnik oder IT zur Verfügung stellen. Umfangreiche spezifische Investitionen in
materielle Ressourcen kommen nur in wenigen Kontrakten vor. Sie erfolgen meistens
dann, wenn dadurch die Prozessverantwortung eindeutiger zugeordnet oder die Prozessqualität gesteigert werden kann. Die Bedeutung von immateriellen spezifischen
Ressourcen – bspw. Wissen – steigt jedoch enorm durch die Vergabe von Mehrwertleistungen. Für LDL ergibt sich der Vorteil, dass sie leichter wiederverwendbar und
mobiler als physische Ressourcen sind. Die Vergabe von Beständen ist noch nicht weit
verbreitet, weil Mandanten diese als „Lebensader“ ihres Unternehmens betrachten und
ungern auf den direkten Zugriff verzichten. Gleichzeitig sind erst wenige Dienstleister
in der Lage, logistikorientierte Finanzdienstleistungen anzubieten.
Heute kommen Mandanten für die Kompensation von Mehrwertleistungen meist nicht
ohne Fixanteile im Preisschema aus. Für eine variable Entlohnung müssen die Lösungen umgestaltet werden. Die Ressourcen müssen standardisiert werden, damit mehrere
Mandanten in eine Umgebung integrierbar sind. Der Gain-Sharing-Ansatz gewinnt vor
allem bei Mandanten mit hoher Outsourcing-Kompetenz an Bedeutung. Eine erfolgreiche Anwendung setzt voraus, dass der LDL die Fähigkeit zur Optimierung in die
Geschäftsbeziehung einbringt und dass der Mandant ihm entprechende Freiräume
überträgt.
Tabelle 8 zeigt, dass sich alle vier Mandanten nach der Vergabe von Mehrwertleistungen stärker auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren. Interessanterweise haben die bei
Basisleistungen so wichtigen Skaleneffekte bei komplexen Mehrwertleistungen (bisher) keine hohe Bedeutung. Die Transparenzpotenziale durch einen gezielten Einsatz
von LDL in Logistiknetzwerken werden von vielen Mandanten bestätigt. Sie werden
derzeit jedoch bei weitem nicht ausgeschöpft. Viele der denkbaren Störungen in einem
fremdvergebenen System treten auch bei interner Aufgabenerstellung auf. Umfeldrisiken und zahlreiche operative Risiken bleiben vom Outsourcing unberührt.
Fallstudien
195
Alpha
Mehrwert
Kernkompetenzfokus
Strategische Flexibilität
Katalysator für Wandel
Kostenvariabilisierung, Auslastungsoptimierung
Skaleneffekte, Fixkostendegression
Verbundeffekte, Wissensvorteile
Prozessverbesserung
Transparenz
Lohnkostenarbitrage
Dienstleistermentalität, Spezialisierung
Risikotransfer
Bilanzoptimierung
Risiken
Umfeld
Geschäft
Prozess
System
hoch
mittel
Beta
mittel
mittel
hoch
mittel
Gamma
hoch
mittel
Delta
hoch
hoch
mittel
mittel
hoch
mittel
hoch
hoch
hoch
mittel
hoch
Kontrollrisiko
Vertragsrisiko
Reputationsrisiko
Abhängigkeitsrisiko
Lieferfähigkeitsrisiko
Bestandsrisiko
Qualitätsrisiko
mittel
mittel
mittel
Mengenrisiko
Schnittstellenrisiko
Kompetenzrisiko
Abhängigkeitsrisiko
Beurteilungsrisiko
Kommunikationsrisiko
Lieferzeitrisiko
Implementierungsrisiko
Tabelle 8: Vergleich der Performance-Kategorien
Auf Basis der Empirie dieser Arbeit lassen sich zahlreiche Zusammenhänge zwischen
der Vergabe von Mehrwertleistungen und den erzielbaren Verbesserungen hypothetisieren. Für expansive Unternehmen ist die Fremdvergabe des Materialflusses attraktiv,
weil sie strategisch flexibel bleiben. Das Outsourcing von physischen und administrativen Mehrwertleistungen begünstigt den strukturellen Wandel bei Mandanten. Komplexe Aufgaben werden häufig an LDL vergeben, die damit interdependente Aufgaben
erbringen, um Prozesse abzurunden und Verbundeffekte zu erzeugen. Prozessverbesserungen durch LDL erfordern Gestaltungsfreiräume und monetäre Anreize. Lohnkostenarbitrage stellt in Situationen mit personalintensiven und repetitiven Aufgaben vor
allem im Materialfluss ein Outsourcing-Motiv dar. Bestimmte Aufgaben, wie bspw.
die Modellierung von Logistiknetzwerken, fallen im Mittelstand seltener an, so dass
sich für LDL Spezialisierungsvorteile bieten. Durch die Wahl geeigneter LDL und
eine entsprechende Gestaltung der Lösung können Mandanten ausgewählte Risiken
auf LDL transferieren. Ein kleiner Leistungsumfang eines Mandanten kann eine hohe
Bedeutung für einen kleinen LDL haben und ihn zu einer sorgfältigen Leistungserbringung motivieren. Mandanten können Geschäftsbeziehungen mit Grössenunterschieden kreieren und Nutzen daraus ziehen. Die Nachfrage nach bilanzoptimierenden
Mehrwertleistungen hängt vor allem vom finanziellen Handlungsdruck des Mandanten
ab.
Bezogen auf die Risikoimplikationen logistischer Mehrwertleistungen lassen sich aus
der Empirie ebenfalls einige Zusammenhänge konstatieren. Je komplexer eine Mehrwertleistung desto schwerer ist sie in Verträgen abbildbar. Leistungen des Informations- und Finanzflusses sind tendenziell schwerer abbildbar als die des Materialflusses. Sie sind weniger repetitiv und erfordern eine höhere Qualifizierung des Personals.
196
Fallstudien
Aus der möglichen Schlechtleistung bei komplexen Mehrwertleistungen ergeben sich
Reputationsrisiken für beide Seiten. Das gleiche gilt für Basisleistungen, jedoch ist ein
Versagen hier unwahrscheinlicher. Abhängigkeitsrisiken für Mandanten sind zu prüfen, wenn der LDL spezifisch investiert oder umfangreiche Planungskompetenz
(bspw. über Bestände) erhält. Die Abhängigkeit kann im ersten Fall jedoch durch
Rückabwicklungsklauseln für Ressourcen und Personal wesentlich reduziert werden.
Dennoch bleiben potenzielle juristische Konflikte. Durch die Standardisierung und
Skalierung von Lösungen können Mandanten Mengenrisiken reduzieren. LDL können
unter diesen Umständen auch Ausfallrisiken von Ressourcen besser abfangen, weil sie
für mehrere Mandanten ähnliche Ressourcen vorhalten. Durch die Einschaltung der
zusätzlichen Institution LDL werden Schnittstellen- und Kommunikationsrisiken erhöht. Nur, wenn der Nutzen einer Leistung diese Ineffizienzen deutlich übersteigt,
dann hat sie eine Marktchance. Besonders dann, wenn zeitgleich zum Outsourcing von
Mehrwertleistungen neue Konzepte realisiert werden, treten Implementierungsrisiken
auf. Dennoch nutzen Mandanten die Dynamik einer Fremdvergabe für eine Neugestaltung von Strukturen. In solchen Situationen sind auf beiden Seiten Erfahrungen im
Projekt- und Change-Management gefragt.
Die vorliegende Arbeit verfolgt das Ziel, das Feld logistischer Mehrwertleistungen
umfassend und explorativ zu untersuchen. Die Erkenntnisse beziehen sich auf mittlere
und grosse Unternehmen der Branchen Automobil sowie Elektronik und High-Tech.
Eine Übertragung in andere Kontexte ist nicht ohne weiteres möglich und muss analytisch sorgfältig geprüft werden. Die Generalisierung bei Fallstudien erfolgt nicht statistisch sondern analytisch (Yin 2003, S.32f). Bei der statistischen Generalisierung wird
von der Stichprobe (Rücklauf eines Fragebogens) auf die Grundgesamtheit geschlossen. Mit Hilfe mathematischer Formeln kann die Verlässlichkeit (Confidence) der
Schlussfolgerungen berechnet werden. Bei der analytischen Generalisierung werden
die beobachteten Zusammenhänge einer Fallstudie mit einem theoretischen Modell
verglichen. Entweder das Modell wird bestätigt oder es muss ergänzt werden.
Die Bedürfnisse und Anforderungen der untersuchten Mandanten divergieren stark.
Daher gibt es weder derzeit noch in naher Zukunft einen einzelnen Anbieter, der alle
Mehrwertleistungen für jeden Mandanten erstellen kann. LDL müssen sich positionieren und ein eigenes Profil ausbilden. Das nächste Kapitel soll einen Beitrag leisten,
damit LDL ihre eigenen Stärken mit den Kundenbedürfnissen zu einer Entwicklungsstrategie für Mehrwertleistungen integrieren.
Gestaltungsmodell
197
5 Gestaltungsmodell für Mehrwertleistungen
Die Entwicklung von neuen Leistungen ist häufig eine Antwort auf Wettbewerbs- und
Margendruck bei den etablierten Leistungen. Viele Unternehmen reagieren dabei auf
Wünsche, die von ihren Kunden bspw. in Form von Ausschreibungen artikuliert werden. Neue Bedürfnisse, Technologien und Märkte bieten jedoch vor allem Chancen
auf Wettbewerbsvorteile, wenn LDL proaktiv Leistungen entwickeln. Dies setzt voraus, dass sie in die Organisation und Abläufe der Forschung und Entwicklung investieren. Das Gestaltungsmodell soll einen Beitrag leisten, die Entwicklung von neuen
Mehrwertleistungen bei Logistikdienstleistern mit Hilfe eines Prozesses und eines Leistungssystems zu strukturieren.
Bei der Vielzahl möglicher Stossrichtungen – u.a. neue Kundenbranchen, Geographien, Technologien, Prozesse – fällt es LDL schwer, sich zu orientieren. Ähnlich wie in
der Produktwelt sind viele neuentwickelte Services nicht erfolgreich, so dass das Geld
meist mit wenigen Kernleistungen verdient wird. Trotz des hohen Finanzbedarfs für
FuE und der Gefahr von Fehlinvestitionen müssen LDL vermehrt neue Leistungen
entwickeln, um im Konsolidierungsprozess langfristig erfolgreich zu sein. Patentschutz hat noch eine geringe Bedeutung in der Logistikbranche. Daher gibt es kaum
Imitationsbarrieren und nur wenige Anreize für umfangreiche proaktive Entwicklungsinitiativen. Bzgl. des Status Quo von FuE konstatieren Scheuing und Johnson (1989)
für viele Serviceindustrien Defizite, die auch heute vor allem im Mittelstand noch Gültigkeit haben dürften. Sie fordern, dass der Prozess der Serviceentwicklung stärker
formalisiert wird. Nach ihrer Erfahrung wird der Prozess durch das Marketing erbracht, weil es keine umfangreiche dedizierte FuE-Organisation gibt.
Damit ein Gestaltungsmodell wirksam ist, sollte es die charakteristischen Merkmale
des Gestaltungsobjekts berücksichtigen. Im vorliegenden Fall stellen logistische
Mehrwertleistungen das Gestaltungsobjekt dar. Ihre Merkmale können in die Bereiche
Potenzial, Prozess und Ergebnis untergliedert werden. Im Bereich des Potenzials
zeichnen sich Mehrwertleistungen dadurch aus, dass ein breites Spektrum von Ressourcen und Fähigkeiten bereitgehalten und ausgelastet werden muss. Im Vergleich zu
Basisleistungen sind Mehrwertleistungen noch personal- und wissensintensiver. Der
„Produktionsfaktor Mensch“ erhöht die Flexibilität, birgt aber auch Risiken im Bereich der Qualität. Aus Prozesssicht sind Mehrwertleistungen mit einer besonders tie-
198
Gestaltungsmodell
fen Kundenintegration verbunden. Bspw. erfordert die Mehrwertleistung Logistikplanung eine intensivere Interaktion zwischen LDL und Mandant sowie den Aufbau
komplexerer organisatorischer und informationstechnischer Schnittstellen als dies bei
einer Basisdienstleistung wie dem Transport der Fall ist. Aus Ergebnissicht weisen
Mehrwertleistungen mehrere Besonderheiten auf. Sie zeichnen sich durch ein im Vergleich zu Basisleistungen höheres Mehrwertpotenzial aus. Dieses wird aber durch höhere Umsetzungsrisiken erkauft. Mehrwertleistungen müssen aufgrund der tiefen Integration mit dem Mandanten ein mandanten- oder segmentspezifisches Customizing
erlauben.
Aus den vorangegangenen Ausführungen lassen sich konkrete Anforderungen an ein
Gestaltungsmodell für die Entwicklung logistischer Mehrwertleistungen formulieren:
Berücksichtigung der charakteristischen Merkmale logistischer Mehrwertleistungen,
Situatives Vorgehen durch die Bereitstellung von Typologien,
Interessenharmonisierung durch eine simultane Ausrichtung an den Bedürfnissen potenzieller Mandanten sowie der Strategie des LDL,
Integration von einzelnen Leistungen bzw. Lösungen in ein Leistungssystem,
Unterstützung eines proaktiven Entwicklungsverständnisses bei Idee, Konzept
und Design,
Effektives und effizientes Vorgehen durch ständige Prioritätensetzung,
Gegenüberstellung von Mehrwert und Risiko bei Auswahlentscheidungen.
Aus Gründen der Effizienz und Verlässlichkeit ist es sinnvoll, bei der Entwicklung
eines Gestaltungsmodells für logistische Mehrwertleistungen auf bestehende konzeptionelle Bausteine zurückzugreifen und diese mit den Ergebnissen der vorliegenden
Arbeit zu kombinieren. Scheuing und Johnson (1989, S.28ff) haben im Rahmen einer
Metastudie 15 Aktivitäten aus der Literatur über Produkt- und Serviceentwicklung
zusammengetragen. Ihr Ansatz zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass er eine hohe
Detaillierung aufweist, zahlreiche und frühzeitige Iterationen zwischen Design und
Test vorsieht und die Berücksichtigung interner wie externer Informationsquellen betont. Die Aktivitäten wurden in Abbildung 35 in die vier Phasen Strategie, Idee und
Konzept, Bewertung sowie Design, Test und Anlauf gruppiert. Diese Gruppierung
stellt gleichzeitig – die letzte Phase wird aus Platzgründen ausgeklammert – die Gliederung des aktuellen Kapitels dar.
Gestaltungsmodell
„Strategie“
Formulierung
von
Servicezielen
und strategien
199
„Idee und
Konzept“
Ideengenerierung
IdeenRanking
Konzeptentwicklung
Konzepttest
„Bewertung“
Wirtschaftlichkeitsanalyse
Projektautorisierung
„Design,
Test und
Anlauf“
Service
Design und
Test
Prozess- und
Systemdesign
Marketingprogramm
PersonalTraining
Service Test
und PilotLäufe
Testmarketing
Anlauf
Nachbetrachtung und
Controlling
Abbildung 35: Phasen des Gestaltungsmodells
Eigene Darstellung basierend auf (Scheuing und Johnson 1989)
5.1 Leistungssystem
Mit Hilfe von Leistungssystemen versuchen Anbieter ihre Leistungen zu verknüpfen,
um die Mandanten bei der Bewältigung von Herausforderungen besser und umfassender zu unterstützen. Damit wollen sie Kundenbindungspotenziale ausschöpfen und
sich wirksamer von Wettbewerbern abheben. Dieser Ansatz wirft für Anbieter viele
neue Fragestellungen auf. Sie müssen bspw. einen Weg finden, wie sie Komplexitätskosten vermeiden und möglichst viele Komponenten wiederverwenden. Das Gestaltungsmodell bezweckt, die proaktive Entwicklung logistischer Mehrwertleistungen
durch ein Leistungssystem zu strukturieren und zu koordinieren. Dafür wird basierend
auf dem Schalenmodell von Belz ein entsprechendes Modell für die Kontraktlogistik
(vgl. Abbildung 36) entwickelt. Die Darstellungsweise fördert ein gemeinsames Verständnis bei Mitarbeitern aus unterschiedlichen Funktionen und wird dennoch der
Vielschichtigkeit des Sachverhalts gerecht. Ausgehend von einem generischen Leistungssystem können LDL gemäss ihrer Fähigkeiten, Ressourcen und Strategien ein
individuelles System konfigurieren. Nachfolgend werden die Schalen erklärt und mit
dem Industriepark als durchgängigem Beispiel illustriert.
200
Gestaltungsmodell
Emotionales Profil und Mandantenerlebnis
Innovative Zusammenarbeit mit Mandanten
Integriertes Projektmanagement
Mandantenintegration
Nutzerintegration
Mehrwertlösung
Mehrwertleistung
Basisleistung
Mandanten-, Segment- oder übergreifende Lösung
Materialfluss-, Transparenz-, Koordinations-,
Optimierungsanbieter
Analyse, Konzept, Implementierung, Betrieb
Key Account Team, Entwicklungspartnerschaft, Gain Sharing
Marke, Vertrauen, Geschäftsbeziehung
Abbildung 36: Generisches Leistungssystem für die Kontraktlogistik
Quelle: Eigene Darstellung basierend auf (Belz 1991)
Die Basisleistungen stellen den Kern des Schalenmodells dar. Im Falle des Industrieparks sind dies Leistungen wie Lagerhaltung und Kommissionierung von Zulieferteilen für ein Werk. Logistikdienstleister, die einen Preiswettbewerb vermeiden wollen,
ergänzen die Basisleistungen gezielt durch Mehrwertleistungen. Mit der wachsenden
Bedeutung von Mehrwertleistungen steigt jedoch die Gefahr eines inkonsistenten und
inkonstanten Leistungsspektrums. LDL sollten neue Leistungen zentral koordinieren,
vor allem dann, wenn sie viele ihrer Ideen dezentral generieren. Im Industriepark bieten sich das Auftragsmanagement, die Sequenzierung und die LieferantenCollaboration als Zusatzleistungen an. Bei einer Mehrwertlösung verschiebt sich die
Bedeutung von Mehrwertleistungen vom ergänzenden zum zentralen Bestandteil. Der
LDL übernimmt einen vollständigen Prozess und kann zum Nutzen beider Seiten die
Interdependenzen zwischen Leistungen voll ausschöpfen. Damit der LDL massgeschneiderte Prozesse anbieten kann, muss er passende und attraktive Mandanten(gruppen) auswählen und darüber kontinuierlich Expertise aufbauen. Ein Dienstleister für Lagerhaltung kann sich somit zum Betreiber einer Versorgungslösung weiterentwickeln. Die Schale Nutzerintegration steht für die Entscheidung, wie spezifisch
einzelne Lösungen gestaltet werden. Entweder realisiert ein LDL eine mandantenspe-
Gestaltungsmodell
201
zifische Lösung oder wiederverwendbare Module, die er auf variierende Bedürfnisse
innerhalb einer Branche oder sogar über Branchengrenzen hinweg anpassen kann. Der
Anbieter der Industriepark-Lösung erzeugt Skaleneffekte, indem er weitere Lieferanten oder sogar weitere Hersteller als Nutzer in den Standort integriert. Darüber hinaus
realisiert er Verbundeffekte, wenn er das Lösungskonzept multipliziert.
Mandantenintegration bedeutet, dass ein LDL sich tief in die Prozesse des Mandanten
integriert und ihn von einem Aufgabenbereich vollständig entlastet. Ein solches OneStop-Shopping ist nur mit einem vollständigen und attraktiven Gesamtpaket möglich.
Dafür muss der LDL Lücken in seinem Leistungsangebot identifizieren und selektiv
schliessen. Relative Wettbewerbsnachteile bei einzelnen Komponenten muss er durch
andere kompensieren. Als Ergebnis soll eine klare und starke Positionierung beim
Mandanten stehen. Im Beispiel des Industrieparks kann der LDL seine Positionierung
als Basisanbieter zum Materialflussanbieter oder wenn gewünscht auch zum Koordinationsanbieter ausbauen. LDL können für logistische Vorhaben ein integriertes Projektmanagement anbieten, indem sie schrittweise Verantwortung auch für Frühphasen
bis hin zur Gesamtprojektverantwortung übernehmen. Dahinter steht der Anspruch,
den Mandanten in seiner Entscheidungsfindung zu unterstützen. Ein LDL könnte
bspw. die Erweiterung des Industrieparks planen. Einen solch umfangreichen Gestaltungsspielraum wird der Mandant allerdings nur aus der Hand geben, wenn der LDL
einen klaren Mehrwert herausarbeitet.
Wenn in grossem Umfang Wertschöpfung auf einen LDL transferiert wird, dann erfordert dies innovative Formen der Zusammenarbeit. Durch Key Account Teams wird
die Zusammenarbeit institutionalisiert und es wird sichergestellt, dass der Mandant
weltweit mit anforderungsgerechten Leistungen versorgt wird. Diese Teams können
auch dabei helfen, komplementäre Expertise zu identifizieren und in Form gemeinsamer Entwicklungsprojekte zu bündeln. Im Beispiel des Industrieparks könnte man die
Lieferanten-Collaboration oder die Behälterkreisläufe gemeinsam weiterentwickeln.
Mit dem Aufkommen komplexer Logistiklösungen treten neben den Sucheigenschaften immer stärker auch Vertrauenseigenschaften in den Vordergrund. Dieser Tatsache
wird die Schale „Mandantenerlebnis“ gerecht. Sie umfasst Leistungselemente, die
beim Mandanten das Vertrauen und die positive Wahrnehmung des LDL fördern.
Auch im industriellen Umfeld kommt der Marke eine wichtige Rolle bei der Vertrauensbildung zu. Ein LDL kann seine Expertise in der Inbound-Logistik durch Markenund Produktnamen signalisieren und diese an OEMs und Lieferanten kommunizieren.
202
Gestaltungsmodell
In den nachfolgend geschilderten Phasen des Gestaltungsmodells stellt das Leistungssystem ein zentrales Instrument für die Analyse und Zielplanung dar. Anwender können das Leistungssystem in unterschiedlichen Granularitäten – z.B. Mandant, Branche
oder Gesamtunternehmen – nutzen. Je weiter ein LDL, ausgehend von der inneren
Schale, die äusseren Schalen ausgestaltet, desto höher ist seine Integration mit dem
Mandanten und desto höher ist der potenziell erzielbare Mehrwert in der Zusammenarbeit. Dennoch werden LDL eine hohe Integration aufgrund der damit verbundenen
Kosten und Risiken nur in ausgewählten Fällen umsetzen.
Gestaltungsmodell
203
5.2 Strategie
Ohne eine Leistungsstrategie laufen LDL Gefahr, dass unübersichtliche Leistungslisten anstatt strukturierter Leistungssysteme entstehen. In diesem Abschnitt wird dargestellt, wie das Management über eine Leistungsstrategie die Richtung für neue Mehrwertleistungen vorgibt. Dafür wird mit leichten Modifikationen auf den von MüllerStewens und Lechner (2003) vorgeschlagenen Strategieprozess zurückgegriffen. Die
einzelnen Phasen werden auf den Kontext logistischer Mehrwertleistungen angepasst.
Unternehmensanalyse
Die Segmentierung eines Unternehmens in strategische Geschäftseinheiten (SGE) ist
für eine systematische Marktbearbeitung wichtig (Müller-Stewens und Lechner 2003).
Insbesondere LDL sind mit heterogenen Mandantenanforderungen konfrontiert. Hier
bietet die Segmentierung der Unternehmensumwelt in strategische Geschäftsfelder
(SGF) anhand von Abgrenzungskriterien wie Produktgruppe und Marktsegment die
Chance, Komplexität zu reduzieren und die Segmente gezielter zu bearbeiten. Das innerbetriebliche, organisatorische Gegenstück zu den SGF stellen die SGE dar. Viele
Logistikdienstleister organisieren die Kontraktlogistik als eigenständige strategische
Geschäftseinheit. Bei der Bildung von SGE müssen Unternehmen darauf achten, dass
sie grosse Überschneidungen zwischen den SGE vermeiden und dass sie Strategiekompetenzen sowie Ergebnisverantwortung in den jeweiligen SGE bündeln. Logistikdienstleister tun sich derzeit noch schwer, lokale Mandanten und solche, die global
integrierte Lösungen verlangen, in einer Unternehmensorganisation abzubilden.
Mit der Leistungsstrategie legen LDL fest, mit welchem Leistungssystem sie in Zukunft im Markt Erfolg haben wollen. Bevor sie jedoch ein Soll-Leitungssystem formulieren können, müssen sie erst eine Bestandsaufnahme des Ist-Leistungssystems und
der damit verbundenen Ressourcen, Fähigkeiten und Kernfähigkeiten vornehmen.
In Abbildung 36 wurde ein Leistungssystem für LDL mit acht Schalen vorgestellt.
Ausgehend von den Basisleistungen steigt mit jeder weiteren Schale tendenziell die
Problemlösung für den Mandanten. Dafür sind aber auch zusätzliche Ressourcen und
Fähigkeiten beim LDL erforderlich. Entsprechend definieren Müller-Stewens und
Lechner organisationale Fähigkeiten als Problemlösungsmuster im Unternehmen.
Kernfähigkeiten sind wertvolle, seltene, schwer imitierbare und nicht substituierbare
204
Gestaltungsmodell
Fähigkeiten (S.224). Sie sind Grundlage für eine erfolgreiche Geschäftsausdehnung,
weil sie in zahlreiche Leistungen und Lösungen multipliziert werden können. Die Fähigkeit eines KEP-Anbieters, Güter über Nacht auszuliefern, kann er in zahlreiche
Anwendungen wie bspw. eine Ersatzteillösung für den Maschinenbau multiplizieren.
Die Autoren weisen darauf hin, dass bei einer Geschäftsbereichsorganisation die Gefahr besteht, dass sich kein Bereich für die Entwicklung bzw. Sicherung von Kernfähigkeiten verantwortlich fühlt und sich keine bereichsübergreifende Plattform bildet.
Umweltanalyse
Bei der Umweltanalyse (Müller-Stewens und Lechner 2003, S.171ff) geht es darum,
die Beziehungen zu den Anspruchsgruppen des Unternehmens zu untersuchen. Neben
den in diesem Abschnitt betrachteten Gruppen, den Kunden und Wettbewerbern, gehören dazu die Lieferanten, die Investoren und der Staat. Unternehmen können nicht zu
allen Kunden gleich gute Beziehungen aufbauen, weil sie die variierenden Kundenbedürfnisse nicht gleich gut befriedigen können. Stattdessen müssen sie sich auf attraktive Kundensegmente konzentrieren. Die Technik der Marktsegmentierung hilft dabei,
diese Segmente zu identifizieren. Mit bestimmten Kriterien wird der heterogene Kundenbestand in homogene Kundengruppen gegliedert. In Kapitel 3.1.1 wurde eine mögliche Segmentierung erarbeitet, die in diesem Zusammenhang verwendet werden kann
(vgl. Abbildung 37). Sie unterscheidet anhand der beiden Kriterien „Logistikkompetenzen“ und „Outsourcing-Kompetenzen“ vier Mandantentypen. Implikationen für die
Marktbearbeitung des LDL werden nachfolgend diskutiert.
OutsourcingKompetenzen
Logistikkompetenzen
Basisleistungen
durchschnittlich
"integrierter Logistiker"
überdurchschnittlich
"integrierter
Logistikexperte"
Mehrwertleistungen
"Logistikeinkäufer"
"schlanker
Logistikexperte"
Abbildung 37: Mögliche Segmentierung von Mandanten
Die Logistikkompetenz von Mandanten kann dadurch in zwei Gruppen differenziert
werden, indem bestimmte auszuwählende Leistungsindikatoren mit dem Branchenschnitt verglichen werden. Von der Logistikkompetenz hängt ab, welche Leistungen
Gestaltungsmodell
205
und Nutzenkategorien ein Logistikdienstleister dem Mandanten anbieten sollte. Mandanten, deren Logistik im Branchenvergleich als unterdurchschnittlich einzuordnen ist,
bieten ein grosses Potenzial für das gesamte Leistungsspektrum des LDL. Ein konsultativer Ansatz (vgl. Kapitel 3.1.2), d.h. die Einbeziehung des LDL mit seinem Logistikwissen in einer frühen Projektphase, stösst hier u.U. auf Akzeptanz. Der LDL kann
ein Gesamtkonzept entwickeln und anbieten, dafür die Gesamtverantwortung zu übernehmen. Für Mandanten, deren Logistikkompetenzen überdurchschnittlich sind, müssen LDL die Bedürfnisse präzise ermitteln. Dabei kommen Key Account Teams – dedizierte Gruppen für Schlüsselkunden – eine grosse Bedeutung zu. Sie sammeln Informationen, die für die Entwicklung und das Angebot bedarfsgerechter Mehrwertleistungen verwertet werden. Best-Practice-Mandanten eignen sich nicht nur als Referenzen für LDL, in manchen Fällen bietet sich für beide Parteien eine Entwicklungspartnerschaft an.
Die Outsourcing-Kompetenz eines Mandanten hängt davon ab, ob sich seine
Outsourcing-Erfahrungen ausschliesslich auf Basisleistungen oder auch in grösserem
Umfang auf Mehrwertleistungen beziehen. Die Outsourcing-Kompetenz des Mandanten determiniert, wie der Logistikdienstleister komplexe Leistungen anbieten sollte.
Verfügt der Mandant nur über Erfahrung mit der Fremdvergabe von Standardleistungen, dann ergeben sich ggf. Möglichkeiten für den LDL, sich als gesamtverantwortlicher Projektmanager zu positionieren und bereits in frühen Projektphasen zusätzliche
Leistungen wie Beratung und Projektmanagement anzubieten. Dadurch kann er den
Mandanten bspw. dabei unterstützen, Spezifikationen zu schreiben und den Wandelprozess zu managen. Allerdings haben Mandanten in den Interviews Bedenken geäussert, ob LDL stets neutral agieren. Selbst eine Trennung von Konzept und Umsetzung
bringt alleine noch keine Abhilfe, weil LDL u.U. ein Konzept entwickeln, das sich an
ihren Stärken orientiert und sie somit in der Ausschreibung um die Umsetzung begünstigt. Einen möglichen Ansatz bieten hier Pilotprojekte, mit denen bei Mandanten
schrittweise Vertrauen in komplexe Mehrwertleistungen und die Neutralität des LDL
aufgebaut werden.
Verfügt der Mandant auch über Erfahrung mit der Fremdvergabe von Mehrwertleistungen, dann versteht er die erzielbaren Potenziale und kennt die Voraussetzungen in
den Bereichen Zusammenarbeit, Vertrags- und Preisgestaltung. Hier ergibt sich für
LDL die Möglichkeit, Mehrwertleistungen weiter auszubauen und ihre Position zum
bevorzugten Systemlieferanten weiterzuentwickeln. Er kann den hohen Ansprüchen
206
Gestaltungsmodell
des Mandanten an eine Geschäftsbeziehung durch innovative Formen der Zusammenarbeit, wie bspw. eine Interessenharmonisierung durch Gain Sharing, gerecht werden.
Auch in diesem Kontext spielt Key Account Management eine wichtige Rolle, um die
enge Geschäftsbeziehung zu institutionalisieren.
Strategie der Geschäftseinheiten
Strategische Initiativen auf der Ebene der SGE befassen sich mit der „zielorientierten
Veränderung der Beziehung zu den Anspruchsgruppen (S.252)“. Je nach der anvisierten Anspruchsgruppe sind Markt- und Wettbewerbsstrategien zu unterscheiden.
Rechtefluss
Finanzfluss
Optimierungsanbieter
Koordinationsanbieter
Informationsfluss
Transparenzanbieter
Materialflussanbieter
Materialfluss
Basisanbieter
Ausführung
Monitoring
Planung
/ Fulfillment
Design
Abbildung 38: Mögliche Positionierungen im Geschäftsfeld Kontraktlogistik
Quelle: Eigene Darstellung
Marktstrategien. Müller-Stewens und Lechner nennen vier wesentliche Gestaltungsparameter für Marktstrategien, nämlich Variation, Substanz, Feld und Stil. Variation
bedeutet, dass sich Unternehmen regelmässig fragen, ob sie ihre Positionierung, also
den im Markt wahrgenommenen Nutzen, anpassen oder beibehalten sollen. Erfolgreiche Unternehmen gestalten basierend auf ihrer detaillierten Kundenkenntnis bewusst
und konkret, welchen Nutzen sie den Kunden anbieten wollen (vgl. auch Straube und
Frohn 2006). Abbildung 38 beinhaltet eine Übersicht über mögliche Positionierungen
im Geschäftsfeld Kontraktlogistik, die in Kapitel 3.4 erarbeitet wurden. Für LDL sind
fünf Positionierungen vom Basisanbieter bis hin zum Optimierungsanbieter genannt, je
Gestaltungsmodell
207
nachdem welche Aufgaben (Ausführung etc.) sie auf welcher Leistungsebene (Materialfluss etc.) übernehmen.
Innerhalb einer SGE wird üblicherweise nochmals segmentiert, um festzulegen, welche Felder das Unternehmen bearbeiten möchte und welche es bewusst meidet. Wenn
man eine aus vier Feldern bestehende Produkt-Markt-Matrix zugrunde legt, dann ergeben sich folgende generische Stossrichtungen:
Marktdurchdringung. Ein LDL konzentriert sich mit seinem gegenwärtigen
Leistungsspektrum auf die aktuell bearbeiteten Marktsegmente. Dieser Fall ist
für die Leistungsentwicklung weniger relevant.
Marktentwicklung. Ein LDL stösst mit bestehenden Leistungen in neue
Marktsegmente vor. Dieser Sachverhalt ist für LDL sehr relevant, da die Internationalisierung ihrer Mandanten erfordert, dass sie entsprechend nachziehen.
Die Marktentwicklung kann zu Schwierigkeiten bei der Kapazitätsauslastung
und der Skalenposition führen. Etwas anders sieht es bei den Verbundeffekten
aus, die ähnlich wie bei der Beratung auch grenzüberschreitend realisierbar
sind.
Produktentwicklung. Ein LDL bietet neue Leistungen in etablierten Marktsegmenten an. Dabei handelt es sich entweder um neue Varianten, zusätzliche
Leistungsmerkmale oder um vollständig neuentwickelte Leistungen.
Diversifikation: Ein LDL entwickelt neue Leistungen für ein neues Marktsegment. Diese Situation ist üblicherweise besonders risikoreich und muss durch
entsprechend hohe Chancen gerechtfertigt werden. Die Vor- und Nachteile von
Diversifikation werden im Abschnitt „Strategie des Gesamtunternehmens“ diskutiert.
Die Marktstrategie wird durch Entscheidungen über den Marketing-Mix komplettiert
(Stil). LDL müssen sich insbesondere Gedanken machen, wie sie ihre Leistung und
ihren Kundennutzen kommunizieren und wie sie die Preise von Einzelleistungen und
Lösungen gestalten.
Wettbewerbsstrategien. Um erfolgreich im Wettbewerb zu bestehen, müssen Unternehmen über Schwerpunkte, Orte, Taktiken und Regeln für die Auseinandersetzung
mit der Konkurrenz entscheiden. Sie setzen einen Schwerpunkt im Wettbewerb, indem
sie festlegen, ob sie einen Konkurrenzvorteil bei den Kosten oder beim erzeugten
208
Gestaltungsmodell
Mehrwert anstreben. Die Projektportfolios vieler LDL sind heute noch recht heterogen, so dass eine Aussage über den gewählten Schwerpunkt schwierig ist. Die Heterogenität ist Indikator dafür, dass sich die Branche in einem frühen bis mittleren Entwicklungsstadium befindet. Mit zunehmender Reife wird sich eine stärkere Profilierung der Anbieter durchsetzen. LDL beschliessen, ob sie die logistischen Bedürfnisse
einer gesamten Branche oder eines Branchensegments befriedigen wollen. Es ist nur
dann sinnvoll, Branchensegmente zu adressieren, wenn sie sich durch besondere spezifische Anforderungen auszeichnen, die auf Konkurrenzanbieter, die sich an der Gesamtbranche ausrichten, wie Eintrittsbarrieren wirken. Die beiden ersten Gestaltungsparameter entsprechen den Achsen der bekannten Wettbewerbstypologie von Porter,
die in Abbildung 39 auf den Kontext der Kontraktlogistik angepasst wurde.
Branche
Branchensegment
Ort des Wettbewerbs
Schwerpunkt des Wettbewerbs
Mehrwert
Kosten
Mehrwertanbieter
Kostenführer
Bedürfnis: einzigartige Leistung
Produkt: Basisleistungen
+ Mehrwertleistungen
Bedürfnis: niedrige Kosten
Produkt: standardisierte
Basisleistungen
Fokussierter Mehrwertanbieter
Fokussierter Kostenführer
Bedürfnis: spezifische Leistung
Produkt: Basisleistungen
+ Mehrwertleistungen
Bedürfnis: niedrige Kosten
Produkt: spezifische
Basisleistungen
Abbildung 39: Wettbewerbsstrategien in der Kontraktlogistik
Quelle: Eigene Darstellung basierend auf (Porter 1998) und (Müller-Stewens und Lechner 2003)
Der Kostenführer bietet überwiegend standardisierte Basisleistungen rund um Transport, Umschlag und Lagerhaltung an. Seine Zielgruppe besteht aus allen Teilnehmern
einer Branche, bspw. aus allen Konsumgüterherstellern. Er positioniert sich vor allem
über niedrige Kosten im Markt. Im Unterschied zum Kostenführer bezweckt der
Mehrwertanbieter, eine einzigartige Kombination von Basis- und Mehrwertleistungen
zu erbringen. Das könnte z.B. neben der Lagerhaltung die Übernahme von CPFRProzessen72 im Konsumgüterbereich sein. Der fokussierte Kostenführer ähnelt dem
72
CPFR = Continuous Planning Forecasting and Replenishment
Gestaltungsmodell
209
Kostenführer. Er weist jedoch den Unterschied auf, dass sich sein Angebot nicht an die
gesamte Branche, sondern an Branchensegmente - wie bspw. temperaturgeführte Güter - richtet. Der fokussierte Mehrwertanbieter reichert die Basisleistungen mit Mehrwertleistungen an und kann bspw. eine Komplettlösung im Bereich hängender Textilien bieten.
LDL A – Schritt 2
LDL B – Schritt 1
Segmentlösung
Leistungsdifferenzierung
(Wertorientierung)
LDL B – Schritt 2
Mandantenlösung
Wer
gewinnt
den
Wettlauf?
LDL A – Schritt 1
Ausgangssituation
Generische
Lösung
Prozesssynergien
(Kostenorientierung)
Abbildung 40: Hybride Wettbewerbsstrategien
Quelle: Eigene Darstellung basierend auf (Gilbert und Strebel 1987, S.32)
Wenn LDL keine Profilierung gelingt, dann droht ihnen eine Stuck-in-the-middlePosition mit niedrigeren Renditen. Mehrere der generischen Strategien können auch zu
einer sogenannten hybriden Strategie kombiniert werden. Durch einen bewussten
„Strategiewechsel zur richtigen Zeit“ (S.266) kann eine überlegene betriebswirtschaftliche Performance erzielt werden. Im Unterschied zu Stuck-in-the-Middle gibt es zu
jedem Zeitpunkt eine klare Positionierung gegenüber dem Wettbewerb. Abbildung 40
stellt zwei alternative Entwicklungspfade73 gegenüber. LDL A kommt ursprünglich
aus dem KEP-Segment. Er hat durch standardisierte Abläufe sehr viel Wert auf Prozesssynergien gelegt. Er möchte aber jetzt stärker in bestimmten Zielbranchen wachsen, die eine Affinität zu Expresslieferungen aufweisen. Eine davon ist die Textilbranche, für die A im zweiten Schritt Mehrwertleistungen als Differenzierungsleistungen
73
Die Beispiele sind fiktiv.
210
Gestaltungsmodell
entwickelt. LDL B geht in umgekehrter Reihenfolge vor. Der international agierende
Spediteur, entwickelt mit einem Referenzkunden eine interkontinentale Beschaffungslösung. Im zweiten Schritt sucht er Mandanten, die nicht direkt mit dem Referenzmandanten konkurrieren, aber dennoch wichtige Anforderungen mit ihm teilen.
Strategie des Gesamtunternehmens
Auf der Ebene des Gesamtunternehmens muss die Zentrale bestimmen, ob ein Unternehmen in einem oder mehreren Geschäftsfeldern aktiv sein soll (Konzentration versus
Diversifikation), welche Geschäftsfelder das Unternehmen bearbeitet und wie es die
Aktivitäten über die Geschäftsfelder hinweg koordiniert (Müller-Stewens und Lechner
2003, S.276ff). Für die Konzentration auf ein Geschäftsfeld spricht, dass ein Unternehmen einen Markt besonders gezielt bearbeiten kann und alle Ressourcen dafür
bündelt. Ein Beispiel aus der Logistikindustrie ist das Unternehmen Fiege, das überwiegend in der Kontraktlogistik tätig ist. Gängige Motive für eine Diversifikation sind,
neue Wachstumschancen zu eröffnen, Marktrisiken durch gegenläufiges Geschäft auszugleichen und Kapazitäten auszulasten. Die Deutsche Post und UPS stellen Beispiele
von diversifizierten Logistikunternehmen dar.
Das Pendant zum Wettbewerbsvorteil auf der Geschäftsebene ist auf der Unternehmensebene der Parenting Advantage (S.38). Dieser Vorteil erwächst, wenn die Zentrale die strategischen Geschäftseinheiten besonders wirksam unterstützt und koordiniert.
Vor allem die nichtkonkurrierende gemeinsame Ressourcennutzung im Sinne von
Verbundeffekten ist vielversprechend. Die Zentrale kann bspw. fördern, dass Successful-Practices - wie bspw. ein Netzwerk in einem bestimmten Schwellenland aufgebaut
wird – transferiert werden oder dass eine SGE den Markennamen einer anderen mitnutzt (bspw. UPS Express und UPS Supply Chain Solutions). Auch Skaleneffekte zwischen Geschäften bergen ein hohes – häufig nur im Ansatz gehobenes – Potenzial.
Wenn der Parenting Advantage kleiner als die Kosten der Zentrale ist, dann werden
Werte vernichtet. Es kommt zu einem Abschlag am Kapitalmarkt, der als „conglomerate discount“ bezeichnet wird (S.278).
Kontraktlogistik ist ein konvergierendes Geschäftsfeld der Logistik, in das sich Anbieter mit unterschiedlichem Hintergrund diversifizieren. Abbildung 41 zeigt, dass in der
Kontraktlogistik eine Vielzahl von Anbietern mit unterschiedlichen historischen
Schwerpunkten bei Netzwerkstruktur und Aufgabenstruktur zu finden sind. In dem
Beispiel aus dem vorherigen Abschnitt konkurrieren zwei LDL mit einer Branchenlö-
Gestaltungsmodell
211
sung für die Textilindustrie. LDL A kommt aus dem KEP-Bereich und LDL B aus der
Spedition. Sie verfügen daher über ungleiche Ressourcen, Fähigkeiten und Synergiepotenziale, aus denen sie unterschiedliche Mehrwertversprechen ableiten können. Es
ist bspw. denkbar, dass LDL A den Mandanten einen Zugang zu einem besonders
schnellen und zuverlässigen Netzwerk anbietet, wohingegen LDL B einen Zugang zu
einem besonders flexiblen Netzwerk anbietet.
Transportnetzwerk
Stationäres Netzwerk
Transporteur
Lagerdienstleister
Third Party Logistics
Produktionsdienstleister
Provider
IT-Dienstleister
Fourth Party Logistics
administrativen
Einkaufsdienstleister
Provider
Aufgaben
Beratungsdienstleister
Schwerpunkt bei
physischen
Kombiniertes Netzwerk
Aufgaben
Schwerpunkt bei
Transportmarktplatz
Finanzdienstleister
Kombination von
physischen und
Spediteur
Stationärer
Lead Logistics
Kontraktlogistiker
Provider
administrativen
KEP-Dienstleister
Aufgaben
Abbildung 41: Kontraktlogistik als konvergierendes Geschäftsfeld
Quelle: Eigene Darstellung
Für Kontraktlogistiker ergibt sich hinsichtlich ihrer Strategie eine zentrale Herausforderung. Sie müssen Markt- und Wettbewerbsstrategien entwickeln, die ihrem Geschäftsportfolio gerecht werden, und sie müssen durch wirksame Koordination der
Geschäftseinheiten gewährleisten, dass diese Strategien auch umgesetzt werden. Je
besser Marketingaktivitäten zwischen den Geschäftseinheiten abgestimmt werden,
desto einheitlicher ist der Marktauftritt und desto besser wird ein Cross Selling gelingen. Der einheitliche Marktauftritt wird dadurch erleichtert, dass das Leistungsportfolio konsolidiert und harmonisiert wird. Auch in der Produktion von Logistikdienstleistungen sind erhebliche Verbesserungen durch Koordinationsmassnahmen zu erwarten. Dazu gehört, dass die Prozesse und Netzwerke kompatibler zueinander werden.
212
Gestaltungsmodell
5.3 Idee und Konzept
Untersuchungen über die Entwicklung neuer Dienstleistungen haben ergeben, dass
Synergien zu bestehenden Leistungen der wichtigste Erfolgsfaktor ist (De Brentani
1991, S.52). Je besser der Fit mit den bestehenden Ressourcen und Fähigkeiten, desto
wahrscheinlicher ist ihre Qualität und Effizienz und damit ihr Markterfolg. Um eine
langsame Leistungsevolution zu vermeiden, müssen Dienstleister jedoch auch andere
Suchkriterien in Erwägung ziehen.
Ideengenerierung
Zahlreiche LDL wollen die überwiegend reaktive Leistungsentwicklung durch einen
proaktiven Ansatz ersetzen. Dafür müssen sie auf interne und externe Ideenquellen
zugreifen. Sie müssen Ideen ausarbeiten und ihre Machbarkeit überprüfen, ohne dabei
gute Ideen vorzeitig zu verwerfen. Auf die Bewertung wird im nächsten Kapitel eingegangen. LDL sollten für einen strukturierten Suchprozess die verwendeten Suchrichtungen, Quellen, Mitarbeiter und Werkzeuge spezifizieren. Für die Ideengenerierung
werden Mitarbeiter und Werkzeuge aus den Funktionen FuE, Marketing, Produktion
und IT benötigt. Die Ideensuche bezieht sich entweder auf das Unternehmen oder sein
Umfeld.
Suche im Umfeld. Häufig gewinnen Unternehmen Ideen, indem sie beobachten, welche Leistungen die Wettbewerber anbieten. Diese kann ein LDL über die Fachpresse
oder frühere Mitarbeiter der Konkurrenz in Erfahrung bringen. Es besteht allerdings
die Gefahr, dass anstatt einer wünschenswerten Abhebung von den Wettbewerbern
eine kontinuierliche Annäherung erfolgt. Erfolgreiche Suchstrategien setzen daher
vielfach an beobachtbaren oder abstrakten Bedürfnissen des Kunden an. Belz (1991)
schlägt bspw. vor, die Wertkette des Kunden als Referenzpunkt zu nutzen. Dadurch
kann ein LDL feststellen, an welchen Punkten in der Wertkette er stärker bzw. schwächer als der Mandant bzw. die Wettbewerber ist und daraus konkrete Entwicklungsmassnahmen ableiten. Da sich die Typologie von Mehrwertleistungen (vgl. Abbildung
17) an der Wertkette anlehnt, ist sie für diese Aufgabe sehr nützlich. Die oben beschriebene Segmentierung von Geschäftsfeldern und Märkten bietet ebenfalls Anhaltspunkte über ähnliche Segmente, die noch nicht bedient werden.
Gestaltungsmodell
213
Logistikdienstleister müssen für eine langfristig erfolgreiche Zusammenarbeit mit
Mandanten den Kundennutzen ihres Angebots entsprechend der Mandantenbedürfnisse ständig weiterentwickeln. Egli und Stutz (1989, S.48ff) meinen, dass Kundennutzenforschung die Bedürfnisse der Kunden ganzheitlich erfasst und daher eine Querschnittsaufgabe für Dienstleistungsanbieter darstellt. Sie schlagen vor, die Unternehmensstrategie repräsentativer Kunden selbst zu erarbeiten und dabei zu beantworten,
welches Kerngeschäft der Kunde betreibt, wie er sich vom Wettbewerb abhebt, welche
Funktionalstrategien er verfolgt und welche Kostenstrukturen er erreichen muss. Diese
Informationen ermöglichen es, den eigenen Beitrag besser einzuschätzen und „treffsicher“ zu kommunizieren. Die Autoren schlagen eine dreistufige Typologie von Kundenbedürfnissen (vgl. Abbildung 42) vor, welche konsistent mit den in Kapitel 3.3
entwickelten Potenzialnetzwerken logistischer Mehrwertleistungen ist:
Funktionale Bedürfnisse. Diese Bedürfnisse artikulieren Mandanten bspw. in
Pflichtenheften, Ausschreibungen oder Workshops. LDL müssen diese Spezifikationen bei ihrer Serviceentwicklung berücksichtigen. Sie können entsprechend dieser Informationen neue Mehrwertleistungen bzw. zusätzliche Varianten mit entsprechenden Merkmalen und Leistungsniveaus entwickeln. Die Ergänzung eines Auftragserfassungssystems um eine Verfügbarkeitsprüfung
(ATP), die Erweiterung eines Lagerverwaltungssystems um die Funktionalität
einer Bestands-Collaboration (vgl. BVL und BearingPoint 2003) sowie die Reduktion der Lieferzeit in der Europadistribution von 48h auf 24h sind Beispiele
für Weiterentwicklungen, die sich an funktionalen Bedürfnissen orientieren.
Problemlösungsbedürfnisse. Logistikdienstleister, die sich bei der Entwicklung an den logistischen Herausforderungen und Strategien ihrer Mandanten
orientieren, können ganzheitliche statt punktuelle Lösungsbeiträge erbringen.
Diese Stossrichtung bietet stärkere Differenzierungsmöglichkeiten im Wettbewerb, erfordert aber umfangreiche Kompetenzen der Anbieter. Die Problemlösungsbedürfnisse im Kontext logistischer Mehrwertleistungen sind äquivalent
zu den Nutzenpotenzialen aus Abbildung 29. Mandanten wollen sich stärker auf
Kernkompetenzen ausserhalb der Logistik fokussieren, sie brauchen Logistikstrukturen, die sich flexibel an ständig veränderte Märkte anpassen und
Dienstleister, die ihnen beim Wandel ihrer internen Prozesse helfen. Sie suchen
variable Kostenstrukturen trotz teurer Infrastrukturen und einen Logistikpartner,
der in der Lage ist, Kosten mit Hilfe von Skalen- und Verbundeffekten zu senken. Einige Mandanten streben auch die Zusammenarbeit mit LDL an, um die
214
Gestaltungsmodell
Flussorientierung und Transparenz in Prozessen zu verbessern. LDL können
Mandanten auch dadurch unterstützen, dass sie ihnen einen kostengünstigen
und flexiblen Zugang zu qualifiziertem Personal ermöglichen. Darüber hinaus
helfen manche LDL ihren Mandanten, Bilanzstrukturen zu optimieren und Risiken im Logistiknetzwerk besser zu managen.
Erfolgsbedürfnisse. Mandanten mit umfangreicher Erfahrung im Outsourcing
wollen durch den Einsatz von Dienstleistern deutliche Ergebnisverbesserungen
im Vergleich zur internen Erbringung einkaufen. Diese werden dann in Verträgen bspw. durch Gain-Sharing-Risk-Sharing-Abkommen festgeschrieben. Progressive LDL stellen sich schon jetzt auf solche Trends ein und entwickeln Leistungen und Lösungen, mit deren Hilfe die Logistikkosten und die Servicegrade
in einem festgelegten Zeitraum verbessert werden. Diese Anbieter sind in der
Lage, die Wirkungen ihrer Lösungen auf den Shareholder Value für den Mandanten transparent darzustellen.
Kernkompetenzfokus
Strategische Flexibilität
Katalysator für Wandel
Kostenvariabilisierung
Skaleneffekte
Verbundeffekte
Prozessverbesserung
Transparenz
Lohnkostenarbitrage
Spezialisierung
Risikotransfer, -teilung
Bilanzoptimierung
Funktionale
Bedürfnisse
Problemlösungsbedürfnisse
Erfolgsbedürfnisse
Abbildung 42: Typologie von Kundenbedürfnissen
Suche im Unternehmen. Oben wurde bereits auf die Bedeutung von Synergien als
Erfolgsfaktor in der Leistungsentwicklung hingewiesen. Kundenorientierung ist wichtig, um Mehrwertleistungen nicht am Bedarf der Kunden vorbei zu entwickeln. Zusätzlich muss jedoch eine unternehmensorientierte Suche erfolgen. Dafür bestimmt der
LDL einen Status Quo als Ausgangspunkt, indem er die Leistungen, Ressourcen und
Fähigkeiten der bestehenden Kontrakte aufzeichnet. Auch hier bietet sich wieder die
Nutzung der Leistungstypologie an. Ausgehend von den aktuell für einen Mandant
erbrachten Leistungen sucht der LDL in horizontaler sowie vertikaler Richtung nach
Gestaltungsmodell
215
neuen Leistungen, die Verbindungen und Ähnlichkeiten mit den bisherigen aufweisen.
Vertikal bedeutet, dass der LDL die vor- und nachgelagerten Wertschöpfungsaktivitäten betrachtet. Horizontal drückt dagegen aus, dass er nach ähnlichen Aktivitäten wie
den bisherigen sucht. Postponement könnte er bspw. auch für andere Geschäftseinheiten des Mandanten erbringen. Bei den Ähnlichkeiten sind Ergebnis-, Prozess- und Potenzialähnlichkeiten zu unterscheiden. Mehrwertleistungen weisen Potenzialähnlichkeiten auf, wenn man für sie vergleichbare Ressourcen und (Kern)Fähigkeiten vorhält.
Der Grad der Gleichartigkeit zwischen Abläufen mehrer Mandanten oder Branchen
determiniert die Prozessähnlichkeit. Ein Dienstleister mit starker Position in der
Textilindustrie könnte sich bspw. fragen, welche Ähnlichkeiten zu den dispositiven
Prozessen in der Elektronikindustrie bestehen. Neben Ähnlichkeiten, die tendenziell zu
inkrementeller Innovation führen, sollten LDL auch nach Neuigkeiten für ihr Leistungsportfolio suchen. Dazu gehören bspw. Finanzdienstleistungen rund um die Logistik.
Konzeptentwicklung
Eine Priorisierung von Entwicklungsvorhaben ist nur möglich, wenn bewertungsfähige
Konzepte für Mehrwertleistungen und -lösungen vorliegen. In der Phase Konzeptentwicklung beschreiben Dienstleister die Leistungen hinsichtlich ihrer Merkmale und
Zielgruppe, des adressierten Kundenproblems sowie der quantifizierbaren und nichtquantifizierbaren Potenziale für beide Parteien. Anschliessend testen sie mit potenziellen Mandanten, ob diese das Konzept verstehen und positiv darauf reagieren. Mandanten könnten bspw. Zweifel bzgl. der Machbarkeit oder des Nutzens artikulieren, die
der Dienstleister in eine Konzeptüberarbeitung einfliessen lässt (Scheuing und Johnson
1989).
LDL sollten ein strukturiertes Leistungssystem aufbauen, um trotz Leistungsvielfalt
nicht bei der Übersichtlichkeit und Verständlichkeit einzubüssen. Auf dieses System
gibt es wie in Abbildung 43 dargestellt zwei Perspektiven, nämlich die des LDL und
die des Mandanten.
Die Perspektive des LDL ist durch eine Vielfalt an Leistungen und Leistungsvarianten gekennzeichnet, die es zu beherrschen gilt. Dabei nehmen Plattformen nicht nur im
Produktumfeld, sondern zunehmend auch im Dienstleistungsumfeld eine bedeutende
Rolle ein. Meyer und Lenhard (1997) definieren eine Plattform als „a set of subsystems and interfaces that form a common structure from which a stream of derivative
216
Gestaltungsmodell
products can be efficiently developed and produced“. Aus der Definition kann man
Modularisierung, Standardisierung und Wiederverwendung als charakterisierende
Merkmale einer Plattform herauslesen. Eine konsequente Umsetzung des Plattformgedankens wirkt sich in nahezu allen Funktionsbereichen eines Unternehmens aus. Sie
führt zu einer schnelleren und kostengünstigeren Entwicklung. In der Produktion
kommt es aufgrund der Wiederverwendung von Komponenten zu Lerneffekten mit
spürbaren Kosten- und Qualitätswirkungen. Im Marketingbereich sorgen kundenindividuelle Angebote für engere Partnerschaften mit den Mandanten. In der Beschaffung
lassen sich Volumina kostenwirksam bündeln (Stauss 2003, S.330f).
Mandantenlösungen
Segmentlösungen /
Branchenlösungen
Ergebnisplattform
Übergreifende
Lösungen
Prozessplattform
Potenzialplattform
Perspektive des LDL
Perspektive des Mandanten
Abbildung 43: Perspektiven auf das Leistungssystem
Die Perspektive des Mandanten kann durch ein fiktives Beispiel illustriert werden.
Ein LDL beteiligt sich an einer Ausschreibung. Er bietet eine Mandantenlösung an und
konkurriert gegen zwei weitere LDL. Einer davon bietet eine übergreifende Lösung
und der andere eine Branchenlösung (vgl. Tabelle 9). Der Mandant wird die Alternativen hinsichtlich bestimmter Fragestellungen untersuchen, nämlich wie einfach er eine
Lösung konfigurieren kann, die seine Kernanforderungen erfüllt, wie aufwendig die
Realisierung bestimmter Sonderwünsche ist und welcher Mehrwert bzw. welche Risiken mit den Lösungen verbunden sind.
Gestaltungsmodell
217
Mandantenlösung
Begriff
Übergreifende Lösung
Branchenlösung /
Segmentlösung
Konfiguration von BasisKonfiguration von BasisKonfiguration von Basisund Mehrwertleistungen aus und Mehrwertleistungen aus und Mehrwertleistungen des
dem Leistungssystem, die dem Leistungssystem, die Leistungssystems, die
überwiegend für einen
überwiegend für mehrere
überwiegend für eine
Mandanten genutzt werden. Branchen genutzt werden. Branche bzw. ein Segment
genutzt werden.
Lösungsstrategie
Kundennutzenorientierung
Synergieorientierung
Strategiewechsel
(Standardisierung oder
Verjüngung)
Mehrbenutzer / Einbenutzer Mehrbenutzer / Einbenutzer
Umgebung
Einbenutzer
Preisgestaltung
hoher Fixanteil
Mehrwert für LDL
Verbundeffekte
Kundenbindung
Risiken für LDL
Mehrwert für Mandant
Auslastungsrisiko
Komplexität
Lösungsmerkmale
Absatzrisiko
New Entrants
Kostenstruktur
Risiken für Mandant
Abhängigkeit
Change Management
überwiegend
transaktionsorientiert
Skaleneffekte
überwiegend
transaktionsorientiert
Skaleneffekte
Verbundeffekte
Kundenbindung
Investitionsrisiko
Change Management
Lösungsmerkmale
Kostenstruktur
Change Management
Tabelle 9: Lösungstypen im Vergleich
Quelle: Eigene Darstellung
Aus Tabelle 9 wird deutlich, dass es drei grundsätzliche Lösungsstrategien gibt, die
jeweils mit einem Lösungstyp verbunden sind. Die rein synergieorientierte Lösungsstrategie führt zu einer übergreifenden Logistiklösung, die für mehrere Branchen genutzt werden kann. Die Lösung wird so gestaltet, dass mehrere Nutzer integriert werden. Dadurch entstehen Skaleneffekte und der LDL kann transaktionsorientiert entlohnt werden. Der Nachteil eines solchen Ansatzes liegt darin, dass der Wettbewerb
alleine über die Skalenposition stattfindet und der Anbieter dadurch gegenüber (neuen)
Wettbewerbern verwundbar wird.
Eine rein kundennutzenorientierte Lösungsstrategie führt tendenziell zu Mandantenlösungen. Die Komponenten einer solchen Lösung werden überwiegend für einen Mandanten exklusiv erbracht, so dass sich in der Abrechnung ein hoher Fixanteil ergibt.
Die Stärke des Lösungstyps liegt in seinem hohen Kundenbindungspotenzial für den
LDL. Allerdings ist es gerade in schwankenden Geschäften schwierig für ihn, die Ressourcen adäquat auszulasten. Bei LDL, die überwiegend Mandantenlösungen im Portfolio haben, entsteht eine enorme Variantenvielfalt und Komplexität. Schuh et al.
(1998, S.78ff) warnen vor einer falsch verstandenen Kundennähe, weil Komplexität
den wichtigsten Kostentreiber in produzierenden Unternehmen – und damit auch in
Logistikunternehmen – darstellt. Misserfolge stellen sich häufig ein, weil es Unternehmen nicht gelingt, die Variantenvielfalt an der tatsächlichen Bedürfnisvielfalt op-
218
Gestaltungsmodell
timal auszurichten. Stattdessen subventionieren sie exotische Anforderungen aufgrund
mangelnder Kostentransparenz quer. LDL müssen ein ganzheitliches Bewusstsein für
die Konsequenzen von Komplexität entwickeln, um sie gezielt zur Schaffung von
Kundenwert einzusetzen (S.80).
Der gezielte Strategiewechsel – das sogenannte „Outpacing“ – stellt die dritte Lösungsstrategie dar. Im Laufe der Evolution von Branchen und Segmenten variieren die
Spielregeln des Wettbewerbs. Gilbert und Strebel weisen darauf hin, dass grosse Spieler in einer Branche eine Veränderung der Spielregeln provozieren können. Branchenteilnehmer können diese Veränderung nutzen und durch einen entsprechenden Strategiewechsel Wettbewerber überholen, die eine eindimensionale Strategie verfolgen
(Gilbert und Strebel 1987, S.28ff). Wenn die Strategie von kundennutzenorientiert auf
synergieorientiert wechselt, dann sprechen die Autoren von „Standardisierung“, wohingegen sie im umgekehrten Fall von „Verjüngung“ sprechen. Die Standardisierung
ist vor allem für entwickelte Segmente relevant. Im Reifeprozess einer Branche sinkt
nämlich die Innovationsrate, einzigartige Leistungsmerkmale verlieren zunehmend
ihre differenzierende Wirkung und Standards (bspw. SAP) setzen sich durch. Als Beispiel aus der Logistik lässt sich Tracking & Tracing nennen, das seine Rolle als Differenzierungsleistung immer weiter einbüssen wird. Im Kontrast dazu ist ein rückläufiges Marktwachstum Indikator dafür, dass ggf. eine Verjüngung angebracht ist. Um
von einer solchen Marktentwicklung verschont zu bleiben, treiben Unternehmen
massgeschneiderte Leistungen voran und bewegen sich weg vom Massenmarkt hin zu
Segmenten und Nischen. Auch in der Logistik ist zu beobachten, dass LDL Lösungen
auf Mandantengruppen, die sie anhand von Branchen oder anderen
Segmentierungskriterien bilden, zuschneiden. Solche Lösungen sind für LDL attraktiv,
weil sie gleichzeitig kundenbindend wirken und Skaleneffekte erzeugen.
Strategiewechsel implizieren meistens tiefgreifende Wandlungen in der internen
Organisation und erfordern daher ein gekonntes Change Management. Deswegen
eignet sich eine solche Lösungsstrategie nur für LDL mit ausgeprägten
organisatorischen Kompetenzen.
Im Idealfall zeichnet sich das Mandantenportfolio in der Kontraktlogistik dadurch aus,
dass alle Mandanten dem gleichen Lösungstyp zugeordnet werden können. Ist das
nicht der Fall, so bietet sich eine Segmentierung der Mandanten anhand des verwendeten Lösungstyps an, um eine Verwässerung der mit dem Typ verbundenen Strategien
zu vermeiden.
Gestaltungsmodell
219
Im Folgenden wird jeweils ein Praxisbeispiel für eine übergreifende Lösung sowie
eine Branchenlösung dargestellt. Im Fallstudienkapitel wurden bereits mehrere Mandantenlösungen präsentiert.
Übergreifende Lösung. Oymann et al. (2005, S.80ff) berichten über das Angebot
„Supply Net Solutions“ (SNS), dass Schenker für die internationale Beschaffungslogistik entwickelt hat. In SNS ist der komplette Material- und Informationsfluss rund
um die JiT-Versorgung von Überseewerken abgebildet. Schenker hat dafür branchenübergreifende Plattformen entwickelt. Die Potenzialplattform besteht aus hafennahen
Standorten (Consolidation Center (CC) bzw. Deconsolidation Center (DC)), die extra
für Aktivitäten der Verpackung und Containerisierung ausgelegt sind. Ein IT-System,
das auf der ERP-Standardsoftware SAP R/3 4.7 basiert, steuert die Aktivitäten. Standardisierte und konfigurierbare Module, Funktionsgruppen und Funktionen bilden die
Prozessplattform. Konfigurierbare Service- und Preismodelle stellen die Ergebnisplattform dar. SNS ist ein bewusster Schritt weg von der reinen Projektbasis hin zur Produktbasis. Dieser Schritt ist u.a. auf Druck von Vertrieb und Tender Management vollzogen worden, die schnellere Entwicklungs- und Implementierungszeiten realisieren
wollten. SNS ist entsprechend der Ebenen Modul, Funktionsgruppe und Funktion
hierarchisch aufgebaut. Das Modul „Order Management“ nimmt u.a. Kundenaufträge
entgegen und generiert Pack-, Kommissionier- und Montageaufträge. Das Modul „Logistics Center Operations“ umfasst stationäre Aufgaben wie bspw. physische Mehrwertleistungen und „Transport Management“ sorgt für eine nahtlose Integration unterschiedlicher Verkehrsträger. Zusätzlich gibt es noch „Event Management“ und „Performance Management“. Bei dieser Strategie ist das Versionsmanagement erfolgskritisch und kostenintensiv. Schenker sammelt Best Practices in den Projekten und lässt
sie in den Produktumfang einfliessen. Das Unternehmen hat die Produktstrategie in der
Organisation verankert, indem es zentrale Produkteigner für die Produktstrategie und
Systemeigner für die Umsetzungskonzepte definiert hat. Auf regionaler Ebene halten
Kompetenzzentren den direkten Kontakt zu den Projekten und sorgen für die Verbreitung und Verbesserung des Produkts.
Branchenlösung. Die SwissPost bietet über ihr Tochterunternehmen Setz eine Branchenlösung für Reparaturlogistik in den Bereichen Unterhaltungselektronik, Haushaltsgeräte und Telekommunikation an. Die Lösung mit dem Namen „repairlogistics“
wird nach Angaben des Unternehmens von Referenzkunden wie Media Markt und
220
Gestaltungsmodell
Carrefour genutzt74. Der Reparaturprozess stellt den Handel vor Herausforderungen,
weil die Anzahl von Produkten und Servicepartnern ständig steigt. Trotz aufwendiger
Koordination führten lange Reparaturzeiten und hohe Kosten immer wieder zu Unzufriedenheit bei den Konsumenten. Das Konzept von repairlogistics wirkt diesen Problemen mit der Standardisierung von Potenzialen, Prozessen, Ergebnissen und externen Faktoren entgegen. Als Potenziale stellt die SwissPost standardisierte Transportgebinde mit hohem Produktschutz für den Materialfluss sowie ein webbasiertes ITSystem für die Auftragserfassung und Auftragsverfolgung zur Verfügung. Die Reparaturprozesse laufen für die Nutzer überwiegend gleich ab. Sie erfassen Aufträge im Internet und drucken Begleitdokumente sowie Barcodes im Sinne einer Selbstbedienung
aus. Mit der Bereitstellung von Transportgebinden entfällt der aufwendige Verpakkungsschritt. Setz holt die defekten Geräte beim Fachhandel ab und bringt sie nach der
Reparatur wieder dorthin zurück. Sie hat bei der Distribution von Neugeräten einen
Marktanteil von ca. 80% und kann mit den defekten Geräten somit Rückladungen bilden. Das IT-System avisiert die reparierten und im Geschäft abholbereiten Geräte per
SMS oder eMail beim Konsumenten. Fixe Laufzeiten ermöglichen es dem Handel,
dem Konsumenten ein einheitliches Ergebnisversprechen zu geben. Die Standardisierung des externen Faktors beruht darauf, dass SwissPost auf Produkte mit ähnlichen
logistischen Anforderungen fokussiert. Mit repairlogistics bietet sie dem Handel eine
Gesamtlösung aus einer Hand, was sich in sinkenden Administrationskosten bemerkbar macht. Der Handel ist durch die Lösung jederzeit auskunftsfähig hinsichtlich Status und erwartetem Rückgabetermin. Das Angebot ist zudem gekoppelt mit einfachen
und transparenten Preisstrukturen.
74
(o.V. 2003)
Gestaltungsmodell
221
5.4 Bewertung
Aufgrund der Vielzahl möglicher neuer Leistungen ist es erforderlich, ihr Geschäftspotenzial zu analysieren und zu bewerten. Zum Abschluss der Phase „Bewertung“ autorisiert das Management Entwicklungsvorhaben und entscheidet über ihre Ressourcenausstattung. Scheuing und Johnson (1989, S.32) weisen darauf hin, dass dies ein
bedeutendes „Gate“ im Entwicklungsprozess darstellt. Daher sollten die Vorhaben
hinsichtlich Indikatoren - u.a. Marktgrösse, Marktwachstum, Marge und Risiko - sorgfältig analysiert werden.
Aus den Ergebnissen dieser Arbeit und aus der Praxis der Dienstleistungsentwicklung
(De Brentani 1991, S.52ff) lassen sich zwei zentrale Anforderungen an ein Bewertungsinstrument ableiten. Die erste Anforderung ist, dass ein Instrument entsprechend
der Unternehmensziele eine wert- und risikoorientierten Analyse ermöglicht. Für
Dienstleister ist es häufig schwierig, die Chancen und Risiken einer proaktiven, langfristig orientierten Leistungsentwicklung zu lokalisieren. Entsprechend hat De Brentani festgestellt, dass Anbieter ihren Schwerpunkt auf „Low cost/risk modifications“
(S.54) legen. Die zweite Anforderung ist, dass ein Instrument die Interessenharmonisierung zwischen LDL und Mandant fördern soll, indem es Win-Win-Konstellationen
aufzeigt. Damit fördert es den Aufbau nachhaltiger Geschäftsbeziehungen mit Mandanten. Die Wahrscheinlichkeit, dass neue Leistungen erfolgreich sind, steigt, wenn
sie mit den internen Fähigkeiten und Ressourcen des LDL sowie mit den externen Bedürfnissen des Marktes kompatibel sind (S.52ff).
Logistikdienstleister stehen regelmässig vor der Frage, ob sie die Entwicklung einer
neuen (Mehrwert)Leistung finanzieren sollen. Entscheidungen über die Allokation von
Ressourcen sind Portfolio-Entscheidungen (Wind und Mahajan 1981, S.155). Portfolios sind Gestaltungsmodelle, die dem Entscheider ermöglichen, komplexe Entscheidungssituationen zu visualisieren und daraus situative anstatt allgemeingültige Empfehlungen abzuleiten.
Wind und Mahajan stellen fest, dass die Auswahl eines geeigneten Portfolios für Unternehmen aufgrund der Vielzahl verfügbarer Ansätze schwierig ist. Bevor der in dieser Arbeit verwendete Ansatz vorgestellt wird, werden drei bedeutende PortfolioTypen verglichen. Das „Business Assessment Array“ besteht aus den zwei gleich gewichteten Dimensionen Branchenattraktivität und Geschäftsstärke. Im Gegensatz zu
222
Gestaltungsmodell
univariaten Dimensionen wie Marktanteil oder Marktwachstum handelt es sich um
gemischte Dimensionen, die aus mehreren Kriterien konstruiert werden. Die Autoren
beurteilen die fehlende Berücksichtigung von Risiko als Schwäche dieses Ansatzes
(S.158f). Das „Risk/Return Model” basiert auf den Dimensionen erwarteter Gewinn
und Risiko. Die Autoren würdigen, dass man mit diesem Ansatz theoretisch optimale
Portfolios ableiten kann. Sie sehen jedoch Schwächen bei der Operationalisierbarkeit.
Im Unterschied dazu legt beim „Analytic Hierarchy Process“ (AHP)75 das Management die Dimensionen fest. Dieses Verfahren ist besonders anpassungsfähig, weil die
Entscheider über Art, Anzahl und Gewichtung von Dimensionen entscheiden. Wind
und Mahajan empfehlen die Verwendung von massgeschneiderten Portfolios, weil
somit die Dimensionen Risiko und Ertrag berücksichtigt werden können und weil sie
das Management zwingen, sich in die Modellierung aktiv einzubringen (S.165). Dementsprechend wird nachfolgend ein Ansatz vorgeschlagen, der die Stärken der drei
oben geschilderten Portfolios kombiniert.
B
C
Risiken für Mandant
hoch...niedrig
Nachfragepotenzial
hoch...niedrig
Mehrwert für Mandant
hoch...niedrig
A
B
A
C
Angebotspotenzial
niedrig...hoch
Mehrwert für LDL
hoch...niedrig
A B C
Entwicklungsvorhaben
A
B
C
Risiken für LDL
hoch...niedrig
Abbildung 44: Analyse und Bewertung von Entwicklungsvorhaben (Stufe 1+2)
Quelle: Eigene Darstellung
75
Eine Beschreibung des AHP findet weiter unten statt.
Gestaltungsmodell
223
In Abbildung 44 und Abbildung 45 wird ein dreistufiges Bewertungsverfahren dargestellt. Die erste Stufe besteht aus einem Portfolio mit den zwei gemischten Dimensionen Angebots- und Nachfragepotenzial. Auf der zweiten Stufe werden das Angebotsund Nachfragepotenzial durch jeweils ein Portfolio weiter operationalisiert. Diese
Portfolios werden aus zwei gemischten Dimensionen Mehrwert und Risiko konstruiert.
Für die insgesamt vier Dimensionen der zweiten Ebene wird auf der dritten Ebene jeweils eine Bewertungshierarchie gemäss des Analytic Hierarchy Process (AHP) aufgebaut.
Das Bewertungsverfahren wird bottom-up durchgeführt. Zuerst werden die Entwicklungsvorhaben hinsichtlich ihres Wertbeitrags und Risikos aus den Perspektiven von
LDL sowie Mandant bewertet. Dann werden die Ergebnisse zu einem Portfolio konsolidiert und diskutiert. Mit Hilfe von Sensitivitätsanalysen lassen sich Auswirkungen
von alternativen Modellierungen untersuchen. Ziel dieses Vorgehens ist es, divergierende Einschätzungen der Manager möglichst auszuräumen. Das Management muss
sich ausserdem auf einen Algorithmus einigen, anhand dessen Vorhaben freigegeben
und Ressourcen allokiert werden.
Lösungstyp
Mehrwert
-leistung
Potenzial
/ Hebel
Shareholder-ValueKomponente
Nachfragepotenzial:
Mehrwert für den
Mandanten
Umsatz
Kosten
Prozessverbesserung
Transparenz
Barcode
RFID
Mandantenlösung
Anlagevermögen
Umlaufvermögen
Kernkompetenzfokus
Tracking &
Tracing
Segmentlösung
Kapitalkosten
Skaleneffekte
Supply Chain
Event Mgt.
Analytics &
Reporting
Übergreifende
Lösung
Abbildung 45: Analyse und Bewertung von Entwicklungsvorhaben (Stufe 3)
Quelle: Eigene Darstellung
224
Gestaltungsmodell
In Abbildung 45 wird für eine exemplarische Modellierung gezeigt, wie Mehrwertleistungen aus dem Bereich Monitoring hinsichtlich ihres Wertbeitrags für den Mandanten beurteilt werden können. Als Modellierungs- und Messinstrument wird auf den
AHP76 zurückgegriffen. Laut Wind und Saaty (1980, S.641) „strukturiert (der AHP)
sämtliche komplexe Probleme mit mehreren Entscheidern, Kriterien und Perioden
hierarchisch.“ Manager vergleichen paarweise Gestaltungsoptionen auf einer Hierarchieebene hinsichtlich ihres Beitrags zum Element der nächsthöheren Ebene. Am Ende
dieses Prozesses ergeben sich die relative Bedeutung (Priorität) von Gestaltungsobjekten auf der untersten Ebene bezogen auf das höchste Ziel der Hierarchie. Diese Informationen werden abschliessend als Input für die Ressourcenallokation verwendet.
76
Alternativ kann man an dieser Stelle auch die Nutzwertanalyse verwenden.
Schlussbetrachtungen
225
6 Schlussbetrachtungen
6.1 Ergebnisse für die Wissenschaft
Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeiten können gemäss Schneider (1981, S.41) als
theoretische Beiträge klassifiziert werden, wenn sie drei Anforderungen erfüllen. Es
muss eine Problemstellung, einen vollständig formulierten Strukturkern sowie ein Musterbeispiel geben. Bei der Problemstellung handelt es sich um eine beabsichtigte Anwendung einer Lösungsidee auf Fragen aus der Wirklichkeit. Ein Strukturkern liegt
vor, wenn die wesentlichen Begriffe und Begriffsbeziehungen aus Frage und Lösungsidee definiert sind. Ein Musterbeispiel sieht der Autor als gegeben, wenn es eine
erfolgreiche Anwendung der Lösungsidee in der Praxis gibt.
Die vorliegende Arbeit bearbeitet die Problemstellung, wie Mehrwertleistungen in der
Kontraktlogistik erfolgreich nachgefragt und angeboten werden und in einem Leistungssystem strukturiert werden. LDL stehen vor der Herausforderung, wie sie weg
von austauschbaren Basisleistungen und unstrukturierten Leistungslisten kommen.
Mandanten wiederum stellen sich die Frage, wie sie bei steigenden Serviceerwartungen und Kostendruck sowie begrenztem Kapital ihre Logistiktiefe gestalten sollen. In
der Arbeit wurden logistische Mehrwertleistungen definiert und typologisiert. In einem
Kontingenzmodell wurden Kontextfaktoren, Gestaltungsparameter und PerformanceGrössen für Mehrwertleistungen in der Kontraktlogistik beschrieben und die wesentlichen logischen Beziehungen zwischen ihnen erklärt. Damit wurde ein „Strukturkern“
geschaffen. Das Modell wurde erarbeitet, indem theoretische Bausteine wie die Kontingenztheorie, der Relational View und das Shareholder-Value-Netzwerk auf die
Kontraktlogistik angewendet wurden. Es ist gelungen, für komplexe Mehrwertleistungen auf allen Ebenen – Materialfluss, Informationsfluss, Finanzfluss und Rechtefluss –
Fallstudien als Musterbeispiele aus der Praxis zu präsentieren.
Forschungsfrage 1: Wie können logistische Mehrwertleistungen definiert, typologisiert
und gestaltet werden?
Obwohl der Begriff Mehrwertleistung häufig verwendet wird, gibt es weder brauchbare Definitionen noch Typologien für Mehrwertleistungen in der Kontraktlogistik. Diese Arbeit schaffte einen Überblick über bisherige Beiträge und ihre Defizite, aus denen
sie Anforderungen an eine Definition und eine Typologie ableitete. Die Definition
226
Schlussbetrachtungen
zeichnet sich dadurch aus, dass sie die Felder der Zusammenarbeit benennt und Hebel
für die Erzeugung von Mehrwert aufzeigt. Die Stärken der vorgeschlagenen Typologie
liegen darin, dass sie das Leistungsspektrum vollständig abdeckt, die Komplexität reduziert und an unterschiedliche Branchenkontexte adaptiert werden kann. Logistische
Mehrwertleistungen werden anhand der vier Dimensionen Logistikfluss (Materialfluss
etc.), Logistikprozess (Beschaffungslogistik etc.), Führungsaufgabe (Design, Planung,
etc.) und Leistungsgranularität (Aufgabe, Prozess, etc.) eingegrenzt. Mit Hilfe von
konkreten Lösungsbeispielen, wie bspw. CKD-Distribution, wurde gezeigt, wie Ressourcen, Prozesse und Preismodelle gestaltet werden können.
Forschungsfrage 2: Welche Kontextfaktoren beeinflussen Nachfrage und Angebot von
logistischen Mehrwertleistungen?
Hinter dieser Frage steckt die Zielsetzung, treibende und hemmende Faktoren für die
Nachfrage und das Angebot von Mehrwertleistungen zu identifizieren. Diese Faktoren
lassen sich entweder beim Mandanten, beim LDL oder in der Geschäftsbeziehung lokalisieren. Die Forschungsfragen 1-4 haben alle einen Beitrag zum Aufbau des Kontingenzmodells geleistet. Dies geschah in einem iterativen, explorativen Forschungsprozess, bei dem Erkenntnisse aus Interviewtransskripten und der Literatur generiert
wurden. So wurden u.a. die Kontextfaktoren bottom-up aus Phänomenen zu Konstrukten und Zusammenhängen und schliesslich zu einem Kontingenzmodell verdichtet.
Die Arbeit verbindet Konkretisierung durch Fallbeispiele mit Abstraktion und weist
somit analytische Tiefe auf (Dyllick 2002 zitiert bei Gebauer 2004, S.260). Die Frage
wurde beantwortet, indem Kontextfaktoren beschrieben und – sofern dies möglich war
– Auswirkungen auf die Gestaltung erklärt wurden. Begrenzte Logistikkompetenzen
des Mandanten oder eine hohe Outsourcing-Erfahrung sind Beispiele für treibende
Kräfte bei der Fremdvergabe von Mehrwertleistungen. Weiter wird seine Bedarfssituation bspw. durch die Merkmale seiner Produkte – variantenreiche Automobile stellen
andere Anforderungen als Unterhaltungselektronik – determiniert. Ein anderes Beispiel ist das Monitoring von Logistiknetzwerken, dass vor allem von Mandanten mit
globalen Netzwerken nachgefragt wird, um die Warenströme transparent zu machen.
Auf Seiten des LDL sind die historischen Schwerpunkte bei Ressourcen und Fähigkeiten wichtige Einflussfaktoren auf das Leistungsangebot. In den Interviews wurde deutlich, dass neben den strukturellen Faktoren auf Seiten der Kooperationspartner vor
allem die weichen Faktoren über die Ausgestaltung von Geschäftsbeziehungen entscheiden. Es wird anhand von Beispielen aufgezeigt, dass zwischen komplexen Mehr-
Schlussbetrachtungen
227
wertleistungen und intensiven Geschäftsbeziehungen eine wechselseitige Beziehung
existiert. Komplexe Mehrwertleistungen erfordern eine intensive Zusammenarbeit.
Umgekehrt werden intensive Kooperationen – gekennzeichnet durch ausgeprägtes
Vertrauen, Wissenstransfer sowie Streben nach Verbesserung und Konfliktlösung –
mit höherer Wahrscheinlichkeit zu Mehrwertlösungen ausgebaut.
Forschungsfrage 3: Welche Potenziale und Risiken ergeben sich durch die Fremdvergabe von logistischen Mehrwertleistungen für Mandanten bzw. LDL?
Das Kontingenzmodell soll die Potenziale und Risiken von komplexen Mehrwertleistungen für Mandant und LDL aufzeigen. Darüber hinaus soll es ausgewählte Zusammenhänge zwischen der Gestaltung von Leistungen und ihrer Performance strukturieren. Dafür wurde analog zu Rappaports Shareholder-Value-Netzwerk in einem mehrstufigen Wirkmodell gezeigt, welche Hebel Mehrwertleistungen auf den Shareholder
Value bieten. Einige Mandanten überlassen Investitionen in die physische Logistik
LDL und konzentrieren sich stattdessen konsequent auf eigene Kernkompetenzen wie
Entwicklung und Marketing, weil sie sich davon eine erhöhte Kapitalrendite versprechen. Andere setzen neutrale LDL für das Design von Logistiknetzwerken ein, weil sie
von den Erfahrungs- und Spezialisierungsvorteilen profitieren wollen. Mit spezieller
Modellierungssoftware und einem Expertenteam des LDL lassen sich u.U. die Servicegrade und Logistikkosten deutlich verbessern. Aus Sicht der LDL ist das Angebot
von Mehrwertleistungen attraktiv, wenn es ihnen gelingt, Mandanten dadurch längerfristig an sich zu binden und sich von Wettbewerbern zu differenzieren. Die Erzeugung von Synergien im eigenen Produktionssystem ist ebenfalls ein Argument. In der
Arbeit wurden auch die Risiken der Fremdvergabe definiert und in eine Systematik mit
den Ebenen Systemrisiken, Prozessrisiken sowie Geschäftsrisiken eingeordnet. Dabei
wurden Risiken, deren Höhe sich durch den Outsourcing-Vorgang verändert, von solchen unterschieden, die mittels Outsourcing zwischen den Parteien transferiert werden.
Das Auslastungsrisiko kann bspw. durch entsprechende Vertragsgestaltung teilweise
oder vollständig auf den LDL übertragen werden, wohingegen das Risiko einer rückläufigen Beurteilungsfähigkeit der eigenen Logistik durch den Outsourcing-Vorgang
für den Mandanten entsteht.
228
Schlussbetrachtungen
Forschungsfrage 4: Welche Bedeutung haben spezifische Investitionen für die Erbringung logistischer Mehrwertleistungen?
Im Grundlagenteil wurden mit Hilfe des Relational View die Herausforderungen und
Chancen, die aus spezifischen Ressourcen in Geschäftsbeziehungen resultieren, aufgezeigt. Mandanten und Logistikdienstleister wurden interviewt, um festzustellen, wie
stark LDL heute und in Zukunft für Mehrwertleistungen ihre Ressourcen, Prozesse
und Ergebnisse den individuellen Bedürfnissen von Mandanten oder (Branchen)Segmenten anpassen. Mandanten fordern spezifische Leistungen von LDL, weil
die Individualisierung Voraussetzung für eine hohe Produktivität ist. Barrieren ergeben
sich dann, wenn der Anbieterwettbewerb stark eingeschränkt wird. LDL können Kunden wirksamer binden und sich im Lieferantennetzwerk als Systemanbieter positionieren. Mittelfristig können spezifische Leistungen skaliert werden. Dieser Vorgang ist
jedoch mit erheblichen Anstrengungen und Kompromissen auf beiden Seiten verbunden. Aus den Gesprächen liessen sich für die Elektronik- und Automobilbranche sowohl der Status als auch Trends bzgl. spezifischer Leistungen erarbeiten. Die interviewten Mandanten stellten spezifische Ressourcen überwiegend bei und liessen LDL
nur dann investieren, wenn dadurch Prozesse abgerundet wurden und Verantwortlichkeiten besser zugeordnet wurden. Interessanterweise sahen die meisten aufgrund von
Rückabwicklungsklauseln nur geringe Wechselbarrieren. Es ist davon auszugehen,
dass spezifische Investitionen kurzfristig – solange bis eine Skalierung von Leistungen
gelingt – mit dem Fremdvergabegrad von Mehrwertleistungen zunehmen. Begründen
lässt sich diese Tatsache damit, dass LDL vor der Skalierung einer Lösung eine Referenz vorweisen müssen, für deren Realisierung sie häufig auch mandantenspezifische
Lösungen in Kauf nehmen. Vor allem auf den Ebenen des Informations- und Finanzflusses gibt es noch unerschlossene Potenziale für Mehrwertleistungen. Daher ist eine
Verschiebung hin zu Investitionen in immaterielle Ressourcen wie Kundenwissen zu
erwarten. Als weiterer Trend vor allem bei IT-Lösungen zeichnet sich ab, dass sich der
Markt aus Synergie- und Komplexitätsgründen, von mandantenspezifischen hin zu
segmentspezifischen Investitionen bewegt.
Schlussbetrachtungen
229
6.2 Ergebnisse für die Praxis
Die vorliegende Arbeit untersucht die Nachfrage und das Angebot von logistischen
Mehrwertleistungen. Es bietet sich daher an, die praxisrelevanten Ergebnisse entsprechend ihrer Zielgruppe – Anbieter, Nachfrager oder beide Seiten – zu gliedern.
Forschungsfrage 5: Welche Implikationen ergeben sich für die Entwicklung von logistischen Mehrwertleistungen und deren Integration in Leistungssysteme?
In der Arbeit wurde demonstriert, wie ein Logistikdienstleister den Entwicklungsprozess von Mehrwertleistungen formalisieren und die Ergebnisse in einem Leistungssystem ordnen kann. Dafür wurden zentrale Beiträge aus der Entwicklungs-, Marketingund Strategieliteratur mit den Ergebnissen der vorliegenden Arbeit synthetisiert. Resultat ist ein Leistungssysstem als Ausgangs- und Zielpunkt einer kontinuierlichen
Weiterentwicklung sowie ein Entwicklungsprozess, der aus den drei Phasen Strategie,
Idee und Konzept sowie Bewertung besteht, die nachfolgend zusammengefasst dargestellt werden.
Das Leistungssystem ist ein zentrales Instrument für die Analyse und Planung von
Mehrwertleistungen. Ohne ein solches System entstehen häufig nicht abgestimmte
Leistungslisten. Die proaktive Entwicklung eines Leistungssystems erfordert dedizierte Organisationsstrukturen und formalisierte Prozesse beim LDL. Dadurch werden
dezentral generierte Ideen zentral koordiniert und es entsteht ein gemeinsames Verständnis der vorhandenen Leistungen. Hinter dem Leistungssystem steht das Prinzip,
Wertschöpfung zu integrieren und dadurch Synergien für Mandant und LDL freizusetzen. Dabei werden u.a. Leistungen, Nutzer, Mandanten und/oder Projektphasen integriert.
Eine Leistungsstrategie erlaubt dem LDL, sich wirksam gegenüber Mandanten zu positionieren und von Wettbewerbern abzuheben. Neue Mehrwertleistungen müssen diese Strategie konsequent widerspiegeln. Damit keine Stuck-in-the-MiddlePositionierung mit niedrigen Renditen droht, müssen sich Anbieter entscheiden, ob sie
über Mehrwert oder Kosten konkurrieren und ob sie die Gesamtbranche oder Nischen
adressieren. Mit neuen Mehrwertleistungen können sich LDL schrittweise vom Basisanbieter zum Materialfluss-, Transparenz-, Koordinations- oder Optimierungsanbieter
umpositionieren. Die Kontraktlogistikstrategie eines LDL muss seine individuellen
230
Schlussbetrachtungen
historischen Schwerpunkte berücksichtigen. Erfolgreiche LDL entwickeln Lösungen,
welche die Fähigkeiten ihrer Geschäftseinheiten bündeln. Dafür müssen die Produkte
und Prozesse der Geschäftseinheiten harmonisiert und kompatibler gestaltet werden.
Mit Hinblick auf die Bedürfnisse von Mandanten lassen sich die drei Stufen funktionale Bedürfnisse, Problemlösungsbedürfnisse und Erfolgsbedürfnisse unterscheiden, aus
denen LDL Ideen für neue Leistungen herleiten können. Lücken hinsichtlich der Befriedigung funktionaler Bedürfnisse kann der LDL bspw. mit Hilfe der Leistungstypologie ausfindig machen. Problemlösungs- und Erfolgsbedürfnisse kann er aus der Logistikstrategie repräsentativer Mandanten erarbeiten und in Leistungsideen überführen.
Je höher die Bedürfnisstufe, die der LDL beim Mandant adressiert, desto umfassender
muss er sein Leistungssystem ausgestalten.
Die Priorisierung von Entwicklungsvorhaben setzt bewertbare Konzepte voraus. Die
Spezifizierung der Nutzergruppe ist dabei ein wesentlicher Konzeptbestandteil. Anhand des Kriteriums Nutzergruppe wurden die drei Lösungstypen Mandantenlösung,
Segmentlösung und übergreifende Lösung vorgestellt und verglichen. Im Logistikumfeld gibt es ein hohes Potenzial für Outpacing-Strategien, bei denen der LDL durch ein
bewusstes Wechselspiel zwischen Kundennutzen- und Synergieorientierung Segmentlösungen entwickelt und damit versucht, die Stärken von Mandantenlösungen und
übergreifenden Lösungen zu verbinden. Es handelt sich jedoch um ein anspruchsvolles
Vorgehen, dass enorme Anforderungen an die Agilität der Dienstleisterorganisation
stellt.
Logistikdienstleister benötigen für die Bewertung ein Verfahren, mit dem sie vielversprechende Mehrwertleistungen aus der Vielzahl möglicher Vorhaben aufspüren. In
dieser Arbeit wurde ein Verfahren entwickelt, dass die Mehrwertpotenziale und Risiken von Vorhaben aus beiden Perspektiven – LDL und Mandant – abbildet. Damit
unterstützt das Verfahren die Abkehr von einer „low cost low risk“ Entwicklungsphilosophie und von kurzfristig orientierten Geschäftsbeziehungen. Es lässt sich flexibel
an unterschiedliche Entscheidungssituationen anpassen und gibt situative statt allgemeingültiger Empfehlungen.
Im Laufe des Forschungsprozess wurden zahlreiche Interviews mit führenden Unternehmen der Automobil- und Elektronikindustrie geführt. In den Gesprächen wurde
jeweils auf richtungsweisende Projekte mit einem hohen Anteil von Mehrwertleistun-
Schlussbetrachtungen
231
gen fokussiert. Aus den Erfahrungen der Interviewpartner lassen sich einige Handlungsempfehlungen für Mandanten ableiten.
Mandanten sollten bei komplexen Mehrwertleistungen...
die sich intern und extern verändernden (Kern-)Kompetenzen ständig überprüfen,
vor der Vergabe Outsourcing-Kompetenzen aufbauen und diese als Wettbewerbsfaktor begreifen,
einen Entwicklungsplan hinsichtlich der mittel- bis langfristigen Rollenverteilung zwischen der internen Logistik und der Logistik des LDL entwerfen,
die zugrundeliegenden Prozesse, die Anforderungen an den LDL und sein Personal sowie die Potenziale und Risiken detailliert beschreiben. Diese Informationen bilden eine wichtige Grundlage sowohl für die Evaluierung unterschiedlicher Outsourcing-Szenarien als auch für die Vertragsgestaltung,
den uneingeschränkten Zugriff auf kritische und spezifische Ressourcen durch
Rückabwicklungsklauseln gewährleisten,
im Rahmen der Leistungs- und Preisgestaltung auf eine Interessenharmonisierung mit dem LDL hinwirken,
für die Erzielung von Skaleneffekten und für die Kostenvariabilisierung Kompromisse mit dem LDL hinsichtlich der IT- und Prozessgestaltung in Betracht
ziehen,
der anspruchsvollen Migrationsaufgabe mit einem passenden ChangeManagement-Konzept gerecht werden,
sicherstellen, dass sie nie die logistische Beurteilungskompetenz verlieren und
daher immer ein Expertenteam in der Logistik behalten.
Das Kontingenzmodell (vgl. Kapitel 3) untersucht die Zusammenarbeit von Mandanten und LDL bzgl. logistischer Mehrwertleistungen. Entsprechend kann das Modell
als Checkliste für beide Seiten bei Outsourcing-Vorhaben verwendet werden. Ausgehend von den angestrebten Verbesserungen können die Akteure ableiten, wie sie die
Mehrwertleistungen, Prozesse, Ressourcen und Preismodelle zielführend ausgestalten
und welche Risiken sie im Auge behalten müssen. Die Akteure können die Typologien, bspw. bezüglich Mehrwertleistungen (vgl. Abbildung 17) und Geschäftsmodellen
in der Kontraktlogistik (vgl. Abbildung 33), verwenden, um ihre Ist-Position bzw.
Soll-Position zu untersuchen und darauf aufbauend Veränderungsmassnahmen zu priorisieren.
232
Schlussbetrachtungen
6.3 Ausblick
Logistische Mehrwertleistungen in den Branchen Automobil und Elektronik sowie die
Implikationen für die Gestaltung von Leistungssystemen standen im Zentrum dieser
Arbeit. Einige Aspekte konnten aufgrund der Schwerpunktsetzung und des Untersuchungsdesigns nicht behandelt werden. Sie sind für ein vollständiges Bild des Themenbereichs wichtig und sollten in Zukunft untersucht werden.
Die Betrachtung weiterer Branchen, die für die Kontraktlogistik eine hohe Bedeutung
haben, ist aufschlussreich. Dazu gehören u.a. die Textil-, Konsumgüter- und Pharmabranche. Dabei ist zu erwarten, dass das Kontingenzmodell durch zusätzliche Faktoren
erweitert wird. Ähnliches gilt, wenn die Betrachtung auf Klein- und Mittelunternehmen (KMU) ausgedehnt wird.
Das Outsourcing informationsbasierter Logistikleistungen sorgt für einen erhöhten
Bedarf nach flexiblen und modularen IT-Architekturen für die Logistik. Diese erleichtern es dem Mandanten, den Dienstleister eines Leistungsumfanges zu wechseln, und
dem LDL, zusätzliche Mandanten zu integrieren. Ein weiterer informationstechnischer
Trend in der Kontraktlogistik sind Identifikationstechnologien wie RFID. Logistikdienstleister können diese Entwicklung nutzen, um sich als Transparenzanbieter in den
Logistiknetzwerken ihrer Mandanten zu positionieren. Auch diese Entwicklung, die
erst in einem Frühstadium ist, sollte weiter beobachtet werden. Mehrwertlösungen implizieren, dass Kompetenzen und Verantwortungen zwischen Mandanten und Logistikdienstleistern neu verteilt werden. Hier ist zu untersuchen, welche Rolle innovative
Preismodelle spielen können und welche Anwendungsvoraussetzungen in der Prozesstransparenz und im Controlling geschaffen werden müssen.
Das Forschungsdesign der Arbeit ist qualitativ und basiert auf strukturierten Gesprächen mit Mandanten und LDL. Das Themenfeld logistischer Mehrwertleistungen ist so
umfangreich, dass zusätzliche Untersuchungen mit anderen inhaltlichen und methodischen Schwerpunkten ergiebig sein dürften. Zum einen könnte man die Erkenntnisse
aus dem Kontingenzmodell für eine quantitative Untersuchung über Mehrwertleistungen verwenden. Darüber hinaus ist es nützlich, die Entwicklung von Leistungssystemen bei LDL über einen längeren Zeitraum empirisch zu begleiten. Dabei liesse sich
das analytisch gewonnene Gestaltungsmodell testen.
Anhang
233
7 Anhang
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Anhang
247
7.2 Fragebogen für Mandanten
Einleitung
Für eine praxisorientierte Dissertation sollen im Rahmen eines Interviews die Potenziale
und Grenzen logistischer Mehrwertleistungen untersucht werden. Im Rahmen der Arbeit
werden Logistikdienstleister (LDL) und Verlader aus unterschiedlichen Branchen befragt. Ziel
ist die Ableitung von Handlungsempfehlungen für die Praxis und von wissenschaftlich relevanten Zusammenhängen. Eine einführende Übersicht zu dem Thema bietet Abbildung 1.
Im ersten Teil des Interviews wird eine repräsentative Lieferkette des Unternehmens ausgewählt. Anhand dieser sollen die aktuelle Struktur, zukünftige Trends und Anforderungen
für die Nutzung und Integration von Logistikdienstleistern erarbeitet werden.
Im zweiten Teil wird eine konkrete Lieferantenbeziehung mit einem LDL, der umfangreiche
logistische Mehrwertleistungen erbringt, analysiert. Dafür werden die logistischen Herausforderungen, das Lösungskonzept und das Implementierungsvorgehen diskutiert.
Logistik-Dienstleister (LDL)
Mehrwertleistungen (MWL)
Rechtefluss
Finanzfluss
Informationsfluss
Transport
Lager
Hersteller / Mandant
Leistungsbündel
Produktmerkmale
Servicemerkmale
Order Qualifiers
Order Winners
Markt / Endkunde
Status und Trends
Bedürfnisse
Kaufmuster
Verwendungsmuster
Material
fluss
Supply Chain
Wettbewerbsstrategie:
Supply Chain Strategie:
Vertikale Integration:
Kostenführerschaft oder Differenzierung
Effizienz oder Reaktionsfähigkeit
Eigenerstellung oder Fremdvergabe von Aufgaben
Abbildung 1: Einflussfaktoren
248
Anhang
Teil 1
Bitte beschreiben Sie kurz Ihren Aufgabenbereich.
Bitte wählen Sie eine Produktgruppe aus, deren Lieferkette sie gut kennen und für die ein
Logistikdienstleister umfangreiche logistische Mehrwertleistungen erbringt.
Struktur und Trends in der Supply Chain
Wie sieht die Struktur der betrachteten Lieferkette gegenwärtig aus? Welchen Weg legt
das ausgewählte Produkt von der Produktion bis zum Kunden typischerweise zurück?
Weltweites Distributionskonzept (Zentrallager, Regionallager, Umschlagpunkte)
Durch welche Merkmale zeichnet sich der Demand der gewählten Produktgruppe aus?
Bspw. Vorhersagbarkeit, Produktlebenszyklus, Bestandskosten, Variantenvielfalt,
Prozessänderungen, Volumen per SKU, Fehlmengenkosten, Überbestände
Durch welche Merkmale zeichnet sich der Supply der gewählten Produktgruppe aus?
Bspw. Anzahl Lieferquellen, Zuverlässigkeit Lieferquellen, Prozessänderungen, Kapazitätsbeschränkungen, Wechselkosten, Lieferzeit, Flexibilität
Wie muss im betrachteten Markt für eine erfolgreiche Positionierung im Wettbewerb ein
Logistiksystem hinsichtlich folgender Parameter ausgestaltet werden?
Lieferzeit
Lieferfähigkeit / Flexibilität
Lieferqualität
Kosten
...
Welche Veränderungen mit Relevanz für die Logistik sind auf Seiten von Kunden, Wettbewerbern und Lieferanten zu beobachten?
Liegt der Fokus bei der betrachteten Lieferkette eher auf der Steigerung der Effizienz oder
der Reaktionsfähigkeit?
Welche Rolle spielen LDL für die Effizienzsteigerung in der betrachteten Lieferkette?
Bspw. Transportplanung
Anhang
249
Welche Rolle spielen LDL für die Steigerung der Reaktionsfähigkeit in der betrachteten
Lieferkette?
Bspw. Postponement-Konzepte
Welche strategischen und operativen Anforderungen muss ein System-Dienstleister für die
Übernahme der betrachteten Prozesskette erfüllen?
Nutzung und Integration von LDL
Eine erhöhte Integration von Mandant und Logistikdienstleister kann zu Verbesserungen bei
der Effizienz und Reaktionsfähigkeit von Lieferketten führen. Integration ergibt sich erstens
dadurch, dass logistische Aufgaben nicht an viele verschiedene Anbieter sondern an einen
Systemanbieter vergeben werden und zweitens dadurch, dass der Anbieter keine Standardlösungen sondern auf den Hersteller zugeschnittene Lösungen entwickelt.
Für massgeschneiderte Lösungen muss der LDL beziehungs- bzw. branchenspezifisch investieren. Beziehungsspezifische Investitionen bedeuten, dass Ressourcen nur in einer bestimmten Kunden-Lieferanten-Beziehung genutzt werden können. Diese Investitionen können sich auf Standorte, Anlagen, Bestände, IT, Prozesse oder Humanressourcen beziehen.
Die oben erwähnten positiven Effekte einer erhöhten Integration zwischen Mandant und LDL
müssen mit den operativen und strategischen Risiken eines solchen Ansatzes abgewogen
werden. Abbildung 2 verschafft einen Überblick über Integrationsfelder zwischen Mandanten
und LDL.
Organisation
Kontraktorg.
Key Account Org.
Kommunikation
Schnittstellen
Wissen
Mandant
Branche
Logistik
Technologie
Geschäftsebene
Prozess
Beschaffungslogistik
Produktionslogistik
Distributionslogistik
After-Sales-Logistik
Fluss
Materialfluss
Informationsfluss
Finanzfluss
Rechtefluss
Leistung/Lösung
Übergreifend
Branchen-/
Segmentspezifisch
Mandantenspezifisch
Umfang
Aufgabe
Design
Planung
Fulfillment
Monitoring
Prozessebene
Informationstechnik
Applikationen
Schnittstellen
Daten
Systemebene
Logistik- / Fördertechnik
Standort /
Geographie
Abbildung 2: Integrationsfelder zwischen Mandanten und LDL
Mandant
Logistik-Dienstleister
Governance
Vertraglich
Finanziell
Informell
Preisgestaltung
250
Anhang
Wie schätzen Sie die Beschaffungssituation für logistische Mehrwertleistungen ein?
Komplexität und wirtschaftliche Bedeutung des Beschaffungsobjekts
Anzahl Anbieter und Nachfrager
Fähigkeiten Anbieter
Welche Implikationen ergeben sich für Sourcing-Konzepte? Welche Sourcing-Konzepte
nutzen Sie heute (in mittlerer Zukunft) für logistische Mehrwertleistungen? Warum?
Single, Dual, Multiple Sourcing
One-Stop-Shopping, Best-of-Bread
Für welche Aufgaben setzen sie heute (in Zukunft) LDL ein? Warum?
Materialfluss
o Beschaffungslogistik
Materialbeschaffung
JiT, JiS
VMI
Behältermanagement
o Produktionslogistik
Bandversorgung, Shuttle
Postponement
Etikettierung
Verpackung
o Distributionslogistik
Cross-Docking, Konsolidierung
o After-Sales-Logistik
Retouren
Reparaturen
Entsorgung
Informationsfluss
o Design
o
Supply Chain Design
Prozessdesign
Entwicklung von IT-Systemen
Planung
Customer Collaboration
Supplier Collaboration
Bedarfsplanung
Transportplanung
Produktionsplanung
Bestandsplanung
Anhang
251
Monitoring
RFID, Barcode
Tracking & Tracing
Supply Chain Event Management
Prozesskostenrechnung
Reporting, Controlling
o Fulfillment
Auftragsmanagement
Available-to-Promise
Kundenservice, Call Center
Betrieb von IT-Systemen
Finanzfluss
o
o Rechnungsprüfung und -zahlung
o Internationaler Zahlungsverkehr
o Verzollung
o Finanzierung bzw. Leasing von Gebäuden
o Finanzierung bzw. Leasing von Anlagen
o Bestandsfinanzierung
o Forderungsankauf, Forderungsmanagement
o Versicherungen
Rechtefluss
o Contracting mit 3PL
o Contracting mit Transportdienstleistern
o Contracting mit IT-Dienstleistern
o Contracting mit Finanzdienstleistern
Welche Motive dominieren bei der Fremdvergabe? Warum?
Logistikleistung, Kompetenzen des LDL nutzen
Fokus auf Kernkompetenzen
Kapazitätsauslastung, Skaleneffekte
Transparenz
Mengen-, Struktur-, Technologieflexibilität des LDL
Risiko-Teilung
Logistikkosten
Anlagevermögen freisetzen, Kennzahlen optimieren
Welche Komponenten müssen für eine Total-Cost-Betrachtung bei der Vergabe von
Mehrwert-Leistungen berücksichtigt werden? Was sind versteckte Kosten?
Vor, während, nach Vertragslaufzeit
252
Anhang
Welche beziehungsspezifischen Investitionen werden von Ihrem Unternehmen (dem LDL)
getätigt? Warum?
Beziehungsspezifische Humanressourcen
Beziehungsspezifischer Wissensaustausch
Beziehungsspezifische Prozesse
Beziehungsspezifische IT
Beziehungsspezifische Anlagen
Beziehungsspezifische Bestände
Beziehungsspezifische Standorte
Welche Chancen sehen sie in der Vergabe umfangreicher logistischer MehrwertLeistungen?
Welche Risiken sehen sie in der Vergabe umfangreicher logistischer Mehrwert-Leistungen?
Wo beobachten Sie derzeit Kompetenz-Defizite bei LDL?
Welche Abläufe und Ressourcen sind nach einem Outsourcing für die Erzeugung von Skaleneffekten (nicht) standardisierbar?
Wie wird sich die Bedeutung logistischer System-Dienstleister in Ihrer Branche entwickeln?
Warum?
Teil 2
Projektbeispiel: Vergabe umfangreicher Mehrwertleistungen
Bitte beschreiben Sie zwei bis drei Projektbeispiele, in denen Logistikdienstleister mit der
Erbringung umfangreicher logistischer Mehrwertleistungen beauftragt wurden.
Welches Projektbeispiel eignet sich besonders gut für die Diskussion?
Auf welche Produktgruppe und Prozesskette bezieht sich das Projektbeispiel?
Anhang
253
Ausgangssituation
Wie sah die Prozesskette vor der Fremdvergabe aus?
Welche logistischen Herausforderungen waren zu bewältigen?
Welche Motive bewogen sie zur Vergabe der Mehrwert-Leistungen?
Projektphasen
Welche Kernanforderungen hatte ihr Unternehmen an die Lösung des Logistikdienstleisters?
Wie lief der Auswahlprozess ab?
Welche Besonderheiten ergaben sich in der Verhandlungsphase?
Welche Mehrwert-Leistungen wurden fremdvergeben?
Physische MWL, administrative MWL
Welche beziehungsspezifischen Investitionen wurden durch Ihr Unternehmen (den LDL)
getätigt?
Humanressourcen, Wissensaustausch, Prozesse, IT, Anlagen, Bestände und Standorte
Neue Lösung
Welche Merkmale weist die neue Logistik-Lösung auf?
Welche Verbesserungen konnten gegenüber der Ausgangssituation realisiert werden?
Welche Risiken beinhaltet die neue Lösung für ihr Unternehmen (für den LDL)?
Interne Risiken (betriebswirtschaftlich, technisch)
Externe Risiken
Wie lässt sich die Integration auf Geschäftsebene zwischen ihrem Unternehmen und dem
LDL beschreiben? (vgl. Abbildung )
Wie lässt sich die Integration auf Prozessebene zwischen ihrem Unternehmen und dem
LDL beschreiben? (vgl. Abbildung )
254
Anhang
Wie lässt sich die Integration auf Systemebene zwischen ihrem Unternehmen und dem
LDL beschreiben? (vgl. Abbildung )
Welche Besonderheiten sind bei komplexen Mehrwert-Leistungen bezüglich der Vertragsgestaltung zu beachten?
Welche Besonderheiten sind bei komplexen Mehrwert-Leistungen bezüglich der Preisgestaltung zu beachten?
Was sind die Lessons Learned aus der Fremdvergabe?
Vielen Dank für das Interview!
Jan Frohn
Forschungsassistent
Kühne-Institut für Logistik
Universität St. Gallen
Dufourstrasse 40a
CH-9000 St. Gallen
[email protected]
Telefon: +41 71 224-7288
Mobil: +41 79 374 72 68
Anhang
255
7.3 Lebenslauf
Persönliche Angaben
Name:
Jan Frohn
Geburtsdatum: 16. Januar 1977
Geburtsort:
Krefeld
Ausbildung
1987 – 1995
1995 – 2000
1998 – 1999
2003 – 2006
Berufserfahrung
1999
2000
2000 – 2002
2003 – 2005
2006 –
Luise-von-Duesberg-Gymnasium, Kempen, Abitur
Rheinisch Westfälische Technische Hochschule Aachen, Studium Betriebswirtschaftslehre
University College Dublin, Auslandsstudium
Universität St.Gallen, Doktorandenstudium
Henkel KGaA, Düsseldorf, Praktikum
German American Chamber of Commerce, New York, Praktikum
KPMG Consulting, München, Consultant
Kühne-Institut für Logistik, St. Gallen, Research Associate
Robert Bosch GmbH, Trainee
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