DIE WIRTSCHAFT 4/05 PRAXIS/IT DIE WIRTSCHAFT 4/05 SCM Supply Chain Management für KMU In Zeiten eines erhöhten internationalen Wettbewerbsdrucks ist es besonders für mittelständische Unternehmen wichtig, sich im Bereich der logistischen Lieferkette vom Mitbewerb abzuheben. Der Einsatz moderner IT hilft speziell Klein- und Mittelbetrieben dabei, flexibel und attraktiv zu bleiben. VON KLAUS LORBEER [email protected] F O T O S B E I G E S T E L LT Lange bevor es die Bezeichnung Supply Chain Management (SCM) gegeben hat, sei es bereits das Ziel in der Zusammenarbeit von Unternehmen gewesen, „einen Automatismus im Austausch von Informationen herbeizuführen“, beschreibt Edmund Haber- busch, Leiter Produktmanagement Business-Kunden bei der Telekom Austria, die Ausgangslage, die über strukturierte E-Mails und EDI (Electronic Data Interchange) zur Entwicklung heutiger SCM-Lösungen geführt habe. Es gehe darum zu sorgen, dass keine manuelle Bearbeitung im elektronischen Informationsfluss mehr notwendig sei. Dadurch gibt es keine Medienbrüche mehr und zudem kann die Fehleranfälligkeit durch falsche Eingabe stark reduziert werden. Obgleich Automatisierung für große Unternehmen besonders wichtig ist, sieht Christian Knoll, der längere Zeit bei SAP den SCM-Bereich global verantwortete, bevor er jüngst zum Leiter Business Development in der Region Emerging Markets ernannt wurde, SCM auch für kleine und mittlere Unternehmen von Bedeutung: „Der Mittelstand bewegt sich immer mehr in Richtung internationales Business und tritt auch gegen sehr große Unternehmen in Wettbewerb. Da kann die Differenzierung gar nicht über das Produkt oder die Spezialisierung kommen, sondern vor allem über die Flexibilität.“ Auch Herbert Brauneis, Leiter Marketing & Kommunikation bei IDS Scheer, sieht Flexibilität wie auch Qualität als Stärke von mittelständischen Unternehmen. „In vielen Fällen reicht es aber nicht aus, die beste Qualität zu liefern. Insbesondere große Kunden fordern die unternehmensübergreifende Integration der Prozesse,“ beschreibt Brauneis die SCM-Realität von KMU beispielsweise in der Automobilzuliefererbranche. Unternehmensübergreifende Prozesse Bei vielen SCM-Anbietern ist ein Trend hin zu unternehmensübergreifenden Prozessen zu beobachten. Die Voraussetzung dafür seien, so Brauneis, optimierte Prozesse S E I T E 28 im eigenen Unternehmen: „Nur wenn die eigenen Prozesse klar definiert und durch IT unterstützt sind, wird die logistische Einbindung von Partnern gelingen.“ Auch Axel Preiss, Leiter des IBM-Bereichs Business Consulting, ist überzeugt davon, dass das Überarbeiten der Prozesse im Rahmen eines SCM-Projekts entscheidend für eine erfolgreiche Umsetzung sei. „Sonst kann kein Nutzen aus den neuen Systemen geschöpft werden“, sagt Preiss. Für SAP-Manager Knoll hängt die Dringlichkeit, Geschäftsprozesse über Unternehmensgrenzen hinweg einzuführen, auch von der Branche ab. Beispielsweise werde in der Hightech-Branche bereits in sehr engen Netzwerken agiert. Auch in der Automobil- oder Lebensmittelbranche sei der Druck diesbezüglich wesentlich höher als in anderen Bereichen. Das sei ein Differenzierungsfaktor, denn „wenn ein Unternehmen einen gemeinsamen Geschäftsprozess mit einem seiner Keykunden hat, ist es wesentlich weniger ersetzbar.“ Grundsätzlich empfiehlt Knoll das Andenken unternehmensübergreifender Prozesse, rät aber kleineren Unternehmen bei der Umsetzung zu Vorsicht und nicht alles auf eine Karte zu setzen. Die Problematik für viele kleine Unternehmen bestehe darin, weist Haberbusch auf das immer wieder zu beobachtende Spannungsfeld zwischen kleinen und großen Betrieben hin, dass die nötigen Implementierungen in Sachen SCM auf eigene Kosten vorgenommen werden müssten, weil dies das Großunternehmen von seinen Lieferanten verlange. Mitunter sei hier der Aufwand größer als der anfängliche Nutzen. Wenn allerdings der Mittelständler diesen Automatisierungsvorteil auch hinsichtlich seiner Sublieferanten nütze, könne dies sehr wohl einen Wettbewerbsvorteil für ihn bringen, ist Haberbusch überzeugt. Klare Strategie ist wichtig Leider hätten SCM-Projekte oft eine geringe Priorität in Unternehmen, weiß Haberbusch. Denn bei SCM handle es sich ja um eine Verbesserung bestehender Prozesse, und solche Projekte würden stets von IT-Projekten in SCM in der Praxis: Christian Knoll, SAP: „Ein gemeinsamer Geschäftsprozess verlangt ganz wesentlich eine gemeinsame Infrastruktur. Um effizient zu sein, ist IT dabei eine Schlüsselkomponente.“ Seidel Elektronik: Das steirische Unternehmen ist als Dienstleister in der Auftragsfertigung von elektronischen und mechatronischen Produkten tätig. mySAP All-in-one deckt alle wichtigen Kernprozesse ab. Wichtig sind für die Kunden, Lieferanten und Partner von Seidel eine lückenlose Chargen- und Seriennummernrückverfolgbarkeit, ein verstärkter automatisierter Austausch von Daten und die Integration von Kundendaten. Tigerwerk Lack- und Farbentechnik: 1994 wurden die Informationssysteme im Bereich Produktion, Einkauf und Materialwirtschaft bei Tiger umgestellt. Nach den ausgezeichneten Erfahrungen mit IOSnext von IDS Scheer entschied man 1998, das System auf die Vertriebsabwicklung auszudehnen. 1999 erfolgte die reibungslose Systemumstellung. An diesem Tag wurde sogar ein neuer Lieferrekord eingefahren. bauMax: Seit bauMax in der Kommunikation mit seinen Lieferanten BSB Communication Services von Telekom Austria Business Solutions einsetzt, verzeichnet das Unternehmen nach eigenen Angaben 35 Prozent geringere Abwicklungskosten und 40 Prozent weniger fehlerhafte Transaktionen. Edmund Haberbusch, Telekom Austria: „Unsere Rolle ist jene einer intelligenten Drehscheibe, sowohl auf der Protokollebene als auch der viel wichtigeren Formatebene.“ EAN-Austria: EAN-Austria und IBM bieten unter der Bezeichnung ECODEX bzw. IBM BusinessContact E-Business-EDI-Dienstleistungen an. Die jüngste Generation dieser Plattform für den standardisierten Austausch elektronischer Geschäftsdaten heißt eXite. Sie wird von mehr als 1.000 Firmen aus dem Lebensmittel- und Konsumgüterbereich, Banken und Versicherungen sowie dem Pharmagroßhandel und Möbelhandel genutzt. S E I T E 29 DIE WIRTSCHAFT 4/05 PRAXIS/IT SCM den Hintergrund gedrängt, wo noch nicht funktionierende Technologien überhaupt erst zum Laufen gebracht werden sollen. Dadurch werde ein Teufelskreis geschaffen, aus dem nur schwer herauszukommen sei, da ohne Automatismus keine Ressourcen zur anderweitigen Verwendung frei würden. Dabei seien es gerade im mittelständischen Bereich nicht die laufenden Kosten in der Supply Chain, sondern die einmalig aufzuwendenden Implementierungskosten, die viele Unternehmen abschreckten. Der Kostenaspekt dürfe nicht vernachlässigt werden, doch gilt es nach Ansicht von Knoll zu klären, wie im Rahmen eines gewissen Budgets ein mittelständisches Unternehmen SCM effizient einsetzen PRAXIS könne. Dabei liegt der Business-Aspekt eindeutig vor dem IT-Aspekt, nicht die Lösung, sondern der Geschäftserfolg steht im Vordergrund. Hier könne man nicht alles auf einmal realisieren, sondern müsse sich auf das derzeit für den Betrieb Wichtigste konzentrieren. Dem stimmt Preiss zu: „Mittelständische Unternehmen müssen besonders darauf achten, auf Grund der beschränkten Investitionsmöglichkeiten aus der Vielzahl möglicher Supply ChainMaßnahmen die richtigen mit dem größten direkten Nutzen auszuwählen.“ Projekte scheiterten oft, so Preiss, weil ohne klare quantitative Ziele und direkten betriebswirtschaftlichen Nutzen agiert werde. GASTKOMMENTAR Optimierungspotenzial Prozesskette Axel Preiss, IBM: „Das Thema Versorgungssicherheit wird an Bedeutung gewinnen und die Fähigkeit frühzeitiger Problemerkennung und Umdisposition.“ Herbert Brauneis, IDS Scheer: „Die Herausforderung von SCM-Projekten besteht darin, in unternehmensübergreifenden Prozessen zu denken und eigenständige Unternehmen mit durchaus unterschiedlichen Interessen auf einen Nenner zu bringen.“ Supply Chain Management, kurz SCM, stellt sicher, dass die richtige Ware zur richtigen Zeit am richtigen Ort eintrifft. Um diese Maxime erfüllen zu können, müssen die dahinter liegenden Prozesse in Einkauf, Lagerbewirtschaftung, Versand und Verkauf gut aufeinander abgestimmt sein. Unsere erfolgreich implementierten Beispiele zeigen, dass die Kosten pro Transaktion signifikant reduziert werden — und auch, dass die LieferantenKundenbeziehung langfristig gefestigt wird. Gerade das SCMSystem bietet die Chance der konsistenten und bestmöglichen Integration der Lieferantendispositionen in die eigenen betrieblichen Prozesse. Die besonders in den Bereichen Logistik und Handel Einzug haltende Technologie RFID (Radio Frequency Identification) erweitert die Funktionalitäten von SCM: Die im Wege von RFID übermittelten Daten von Seiten des RFIDDatenträgers an korrespondierenden Datenabtaststellen werden die Produktion und Logistik nachhaltig optimieren. ANTON STEINRINGER, LEITER TELEKOM AUSTRIA BUSINESS SOLUTIONS S E I T E 30 RFID als „Schmierstoff“ der Information Die Möglichkeiten der RFID-Technik, wie eine bessere Automatisierung in der Lieferkette, beurteilen SCM-Anbieter durchaus positiv. Bei RFID (Radio Frequency Identification) handelt es sich um eine Ersatztechnologie für Barcodes. Kleine Antennen, die auf Paletten oder Kartons angebracht werden, speichern die wichtigsten Informationen der Ware. Sie benötigen keinen Strom, durch Vorbeifahren mit RFID-Tags gekennzeichneter Ware an einem Lesegerät werden die Daten an das entsprechende Computersystem weitergeleitet. Für Christian Knoll ist RFID bereits Realität in der Supply Chain, wenngleich noch nicht durchgängig. Komme man derzeit mit RFID ins nächste Verteilzentrum, würden bald schon die RFIDs von den großen Containern zu immer kleineren Einheiten wandern, bis schließlich jeder Joghurtbecher einen RFID-Tage habe. Das werde aber kaum vor drei Jahren passieren, schätzt Knoll. Allerdings gebe es bereits RFID-Anwendungen, wo die Verwendung von RFID in der Lieferkette vorgeschrieben sei, eine Forderung, der sich die Mittelständler früher oder später beugen müssen – und zwar noch lange, bevor Endkunden mit RFID ausgezeichnete Produkte im Regal vorfänden, meint Knoll. Gegen eine baldige großflächige Einführung von RFID spreche der Umstand, so Haberbusch, dass zahlreiche Unternehmen letztes Jahr sehr viel Geld in BarcodeSysteme investiert hätten. Einen investitionsschonenden Weg, trotzdem in die RFID-Technik einzusteigen, verrät Preiss: Er empfiehlt „hybride“ Logistiklösungen aufzubauen, die sowohl Barcode als auch RFID verarbeiten können. Dass sich jedoch RFID durchsetzen werde, steht für die Experten außer Frage. Gerade bei der Gestaltung unternehmensübergreifender Prozesse werde RFID in Zukunft eine wichtige Rolle spielen, prophezeit Brauneis und resümiert: „RFID bildet den Schmierstoff der Information.“