2/17 - Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz

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Inhalt
Editorial
Liebe Leserin
Lieber Leser
Editorial
3
«Die Zulassungsbehörden haben ihren Job nicht gemacht»
4
Interview über ‹Glyphosat› mit PhD Christopher Portier, Thun und Seattle (USA)
Wie Treibhausgase unsere Umwelt verändern
8
Dr. Cornelia Schwierz et al., MeteoSchweiz
Die theoretischen CO2-Emissionen des Strassenverkehrs
12
Als 149. Land hat die Schweiz am 7. Juni 2017
das Klimaschutzabkommen von Paris ratifiziert.
Seither hüllt uns schon die zweite Hitzewelle in
ihr Flimmern. Während dieses Heft entsteht, sind
über 34° C angekündigt. In welche Hitze uns ein
weiterer CO2-Anstieg führen wird, selbst wenn
es gelingt, die globale Erwärmung unter 2° C
zu halten, zeigt der Beitrag von MeteoSchweiz
(Schwierz et al., S. 8).
Zu den ersten, die bei uns unter dem Klimawandel leiden, gehören Menschen mit Pollenallergien. Die verlängerte Pollensaison gilt auch
für Ambrosia mit ihren besonders aggressiv
wirkenden Pollen. Das EU-Projekt ATOPICA
fand deutliche Zusammenhänge zwischen CO2Konzentration und Pollenmenge sowie zwischen
Ozon und Pollenallergenität (Beitrag Epstein et
al., S. 19).
Das sogenannte ‹2° C-Ziel› ist nur mit einer
griffigen Klimapolitik erreichbar. Der Strassenverkehr als einer der grössten CO2-Emittenten
muss einen dementsprechenden Beitrag leisten.
Die Autoindustrie soll endlich CO2-arme
Fahrzeuge entwickeln. Freiwillig lenkt sie nicht
ein. Es braucht dringend strengere Zulassungsbestimmungen für Neuwagen (Beitrag Bach,
S. 12). Die heutige Auto-(und erst recht die
Flug-)Mobilität lässt sich allerdings kaum je klimaverträglich gestalten. Es braucht eine Rückeroberung der Fortbewegung durch unsere Füsse,
Velos und den öffentlichen Verkehr.
Am Anfang und am Schluss dieses Heftes geht
es nicht ums Klima, sondern um Gift. Die EU
ist drauf und dran, das Totalherbizid ‹Glyphosat› weitere zehn Jahre zuzulassen. Der Experte
Christopher Portier zeigt auf die Fehler, welche
den EU-Behörden bei der Krebsevaluation dieses
weltweiten ‹Unkraut›vertilgers ‹unterlaufen›
(Interview, S. 4). Die AefU verfolgen seit 2014
die Quecksilberverschmutzung des Pharmariesen Lonza im Wallis. Jetzt sieht es so aus, als
wolle der Weltkonzern sein Gift nicht wirklich
aufräumen (Beitrag Forter, S. 26).
Christian Bach, Empa Dübendorf
«Die asiatische Tigermücke kommt auf alten Pneus»
16
Interview mit Dr. Pie Müller, Swiss TPH Basel
Aggressive Ambrosia-Pollen auf dem Vormarsch
19
Dr. Michelle M. Epstein et al., ATOPICA.eu
Biologische Kohlenstoffspeicherung –
Umsatz und Kapital nicht verwechseln
22
Prof. Dr. Christian Körner, Basel
‹Lonza-Gärten›: Flickwerk statt echte Sanierung?
26
Martin Forter, AefU
30. Juni 2017
Titel-Bild: © PD
Bestellen: Terminkärtchen und Rezeptblätter
27
Die Letzte
28
AefU-Jahresbericht 2016
Die AefU befassten sich 2016 u. a. mit dem
Notfallschutz bei einem schweren Atomunfall, gründeten ein Komitee für den Atomausstieg, liessen nicht locker bei den Quecksilbergärten im Wallis und verhinderten
höhere Grenzwerte für Handystrahlen.
Details unter:
www.aefu.ch/jahresbericht2016
Diesel-Petition
Spätestens seit dem Diesel-Skandal wissen wir: Dieselautos stossen viel zu viel giftige Stickoxide
aus (s. Beitrag S. 12 im Heft). Trotzdem sollen noch zwei Jahre lang Neuwagen verkauft werden,
die den Grenzwert bis 18-fach überschreiten. Die Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz (AefU),
der VCS Verkehrs-Club der Schweiz und die Fédération romande des Consommateurs FRC verlangen: Alle Neuwagen – alte wie neue Modelle – müssen ab September 2017 die verschärften
Zulassungstests mit realistischen Strassenmessungen bestehen.
Sofort weniger Diesel-Abgase! Unterzeichnen Sie die Petition: www.aefu.ch/diesel. Danke.
Das CO2 lässt sich nur reduzieren, indem wir
deutlich weniger fossile Brenn- und Treibstoffe
verbrennen. Das wollen viele noch immer nicht
wahrhaben. Es sind verzweifelte Ideen und zuweilen absurde Projekte, die das CO2 aus der
Atmosphäre filtern und irgendwie einlagern
wollen. Der Botaniker Prof. Christian Körner
erklärt, warum nicht einmal die Wälder unser
CO2-Problem schlucken werden (Beitrag S. 22).
Der Klimawandel wird wehtun. Dabei ist
ein Stich der eingeschleppten Tigermücke noch
harmlos, mindestens solange sie keine tropischen
Krankheitserreger mit sich bringt. Biologe Pie
Müller forscht zum Risiko von invasiven Stechmücken in einer wärmer werdenden Schweiz
(Interview, S. 16).
Gerne weisen wir Sie auf zwei weitere AefUEngagements hin. Bitte unterschreiben Sie die
Diesel-Petition (S. 2). Ausserdem hat die Mitgliederversammlung der AefU am 8. Juni 2017
einstimmig beschlossen, die Eidgenössische
Volksinitiative «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» mitzutragen. Mehr dazu im
nächsten OEKOSKOP oder jetzt schon unter
www.future3.ch, wo Sie auch den Unterschriftenbogen finden.
Ich wünsche Ihnen eine gute Lektüre und lassen Sie (auch) diesen Sommer nur die Gedanken
fliegen. Das hilft, die Hitzewellen flach zu halten.
Zum besonders klimaschädlichen Flugverkehr
erscheint ein späteres Heft.
Stephanie Fuchs, Redaktorin
https://www.facebook.com/aefu.ch
2
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www.aefu.ch
https://twitter.com/aefu_ch > @aefu_ch
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3
Interview zum Umweltgift ‹Glyphosat›
© OEKOSKOP
Interview
«Die Zulassungsbehörden haben
ihren Job
nicht gemacht»
Interview*: Martin Forter und
Stephanie Fuchs, AefU
Die EU will das umstrittene ‹Glyphosat› weitere zehn
Jahre zulassen. Christopher Portier war Experte
bei der Internationalen Krebsagentur. Er warnt vor
aufgeweichten Kriterien bei der Krebs-Evaluation.
OEKOSKOP: Christopher Portier, Sie tragen
den Entscheid der IARC, ‹Glyphosat› sei als
‹wahrscheinlich krebsfördernd› einzustufen, mit
und kritisieren die gegenteilige Einschätzung
durch die EFSA und die ECHA scharf. Weshalb
sollten wir der IARC mehr vertrauen als den
europäischen Behörden?
© OEKOSKOP
Die
Internationale
Agentur
für
Krebsforschung IARC2 kategorisierte 2015
das weltweit am häufigsten verwendete
Unkrautbekämpfungsmittel
‹Glyphosat›
als ‹wahrscheinlich krebsfördernd› und
allenfalls als erbgutschädigend. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit
EFSA3 hat daraufhin eine Überprüfung
durch das deutsche Bundesinstitut für
Risikobewertung BfR4 und die europäische
Chemikalienagentur ECHA5 veranlasst.
Diese sehen ‹Glyphosat› jedoch als unproblematisch, so auch der Schweizer
Bundesrat. Die behördliche Überprüfung
aber weist gemäss dem Mathematiker
und Biostatistiker Christopher Portier und
weiteren 93 WissenschaftlerInnen schwere
wissenschaftliche Mängel auf.6
Christopher Portier: Es gibt ein paar
grundsätzliche Unterschiede, wie die
IARC bzw. die EFSA und die ECHA zu
ihren Einschätzungen kommen. Die IARC
verwendet
ausschliesslich
öffentlich
verfügbare Studiendaten. Denn sie
* Das Interview fand am 30. Mai 2017 in Thun statt.
1
Der Umweltverteidigungsfonds ist eine US-amerikanische Umweltorganisation. Sie war in den USA beteiligt am DDTVerbot, der Einführung des bleifreien Benzins und dem Verbot der FCKW, die die Ozonschicht zerstören.
2
Die ‹International Agency for Research on Cancer› IARC gehört zur Weltgesundheitsorganisation WHO.
3
Die European Food Safety Authority EFSA dient der Politik u. a. bei der Zulassung wie z. B. Pestiziden und
Lebensmittelzusatzstoffen.
4
Im Rahmen des europäischen Lebensmittelsicherheitssystems arbeitet das BfR in den Bereichen der Risikobewertung und
Risikokommunikation eng mit der EFSA zusammen (www.bfr.bund.de).
5
Die European Chemicals Agency ECHA regelt die technischen, wissenschaftlichen und administrativen Aspekte bei der
Registrierung, Bewertung und Zulassung von Chemikalien.
6
Christopher Portier et al.: Differences in the carcinogenic evaluation of glyphosate between the International Agency for
Research on Cancer (IARC) and the European Food Safety Authority (EFSA), J Epidemiol Community Health Month,
JECH Online First, published on March 3, 2016 as 10.1136/jech-2015-207005.
7
Chemische Stoffe werden als genotoxisch bezeichnet, wenn sie das genetische Material von Zellen verändern.
8
Email von Bundesrat Schneider-Ammann vom 22.05.2017 als Antwort auf ein Schreiben von Bernadette Scherrer (Genkritisches Forum GenAu) und Dr. med. Peter Kälin (AefU) betreffend «Unzulässige öko-Fördergelder für Glyphosat».
4
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www.aefu.ch
überprüft auch die Rohdaten der Studien,
um sicher zu gehen, dass alle Angaben und
Zahlen richtig sind. Viele der Tierkrebsund Genotoxizitäts7-Studien sind jedoch im
Besitz der Industrie. Sie sind weder für die
IARC noch für sonst jemanden öffentlich
einsehbar.
Es scheint, dass die EFSA und die ECHA
die Rohdaten nicht überprüfen. Wenn sie
nur die Berichte überprüfen, die ihnen die
Industrie einreicht, so kann es sein, dass
die Behörden wichtige Studienresultate
übersehen.
Woraus schliessen Sie, dass die Behörden das
nicht tun?
Die EFSA hat in ihrem Bericht zur GlyphosatEinschätzung acht positive Tumorbefunde
in Tierstudien übersehen. Das BfR lieferte
zu. Das ist eine Kategorie, die es offiziell gar
nicht gibt. Es ist nicht nachvollziehbar, was
sie damit meinen.
die Grundlage für diesen EFSA-Bericht.
Die entsprechende Kritik von zahlreichen
Wissenschaftlern haben BfR-Mitarbeitende
bestätigt. Wäre ich Chef des BfR, würde ich
mich unter diesen Umständen sofort fragen:
Haben wir noch andere Tumore übersehen?
An diesem Punkt liesse ich das gesamte
Datenmaterial durch meine Mitarbeitenden
nochmals evaluieren und jeden TumorTyp auf seine statistische Signifikanz hin
neu bewerten. Das ist die einfachste und
offensichtlichste Sache, die sie in einer
Krebs-Evaluation tun können. Trotzdem hat
dies das BfR nicht getan.
Warum überprüfen EFSA und ECHA nicht
genauer?
Ich kann nicht für sie sprechen, aber ich
kann von meiner Funktion innerhalb einer
Regulierungsbehörde berichten. Nicht nur
beim BfR, der EFSA und der ECHA sind
alle mit Arbeit überlastet. Zudem stehen
die Behörden unter Druck, sehr schnell
Resultate zu liefern. Denn wird Glyphosat
über längere Zeit nicht genehmigt oder
verliert Monsanto gar die Zulassung in
Europa, entgeht dem Konzern viel Geld. Die
Behörden stehen also unter starkem Druck
und haben keine Zeit.
Welche weiteren Unterschiede sehen Sie
zwischen IARC und EFSA/ECHA?
Die Regeln, nach welchen sowohl IARC
wie auch EFSA und ECHA arbeiten, um
die wissenschaftliche Evidenz für Krebs zu
evaluieren, sind identisch. Also sollte man
meinen, dass auch die Schlüsse, die gezogen
werden, identisch sind. Dem ist aber nicht
so. Die IARC fand bei der Überprüfung einer
epidemiologischen Studie einen plausiblen
Zusammenhang zwischen der GlyphosatExposition und Non-Hodgkin-LymphomErkrankungen. Deshalb kam die IARC
zum Schluss, dass eine limitierte Evidenz
für Krebserkrankungen beim Menschen
besteht. EFSA und ECHA hingegen wiesen
dem Befund eine ‹sehr limitierte Evidenz›
Die Gegenseite wirft der IARC genauso vor, sie
würde unwissenschaftlich arbeiten: Nicht nur
EFSA und ECHA. Auch die US-amerikanische
Umweltbehörde EPA und andere Behörden
sagen, bei Glyphosat liege die IARC falsch.
Wenn zwei positive Tierstudien vorliegen
muss die Evidenz als ausreichend
kategorisiert werden. Beim Glyphosat fand
die IARC vier Tierstudien mit positivem
Krebsbefund. Es gab keinen Grund, sie
anzuzweifeln. Die Befunde waren plausibel
und statistisch signifikant gegenüber den
Kontrollgruppen. Die Behörden hingegen
gaben immer wieder andere Gründe an,
weshalb die Befunde dennoch nicht taugen
würden.
Bundesrat Josef Schneider-Amman schrieb uns
kürzlich: «Die Schlussfolgerungen der lARC
basieren nicht auf neuen Studien, sondern auf
einer anderen Beurteilungsmethode, welche die
Exposition, d.h. die Menge und Dosis der ein
Anwender und/oder Konsument ausgesetzt ist,
Christopher Portier (PhD) ist Mathematiker und Biostatistiker. Er war 2010–
2013 Direktor des ‹US National Center
for Environmental Health, Centers for
Disease Control and Prevention› und
der ‹US Agency for Toxic Substances and
Disease Registry›. 2006–2009 amtete er
als stellvertretender Direktor beim ‹National Institute of Environmental Health
Sciences› und als Direktor dessen ‹Office
of Risk Assessment Research›. 2000–2006
war Portier stellvertretender Direktor des
‹US National Toxicology Program›. Er ist
Mitglied der ‹American Statistical Association› in Washington DC und des ‹International Statistics Institute› in Belgien.
Er war für die IARC bei verschiedenen
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Krebs-Evaluationen beteiligt, so auch
bei der Glyphosat-Überprüfung. Damals
war er bereits für den ‹Environmental
Defense Fund›1 tätig. Um Interessenkonflikte auszuschliessen, durfte er nur sein
Expertenwissen zur Verfügung stellen
und hatte kein Stimmrecht. Er schrieb
weder Evaluationen noch war er bei der
finalen Beurteilung zugelassen. Wegen
massiven persönlichen Anfeindungen
im Internet und teilweise der Medien
nimmt er bei der IARC keine Funktion
mehr wahr, um deren Arbeit vor solchen Angriffen zu schützen. Heute ist
Portier selbstständiger Berater u. a. für
Regierungsbehörden mehrerer Länder.
Portier lebt in Thun und Seattle (USA).
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Interview zum Umweltgift ‹Glyphosat›
© OEKOSKOP
Interview zum Umweltgift ‹Glyphosat›
nicht berücksichtigt».8 Was sagen Sie dazu?
Das ist richtig. Ich kenne das Schweizer
Gesetz nicht, aber in der EU ist es sehr klar:
Das Dosis-Wirkung-Prinzip wird bei nicht
genotoxischen Substanzen angewandt. Ist
eine Substanz aber genotoxisch, dann spielt
die Dosis der Exposition keine Rolle und die
Substanz muss gemäss EU-Recht verboten
werden. Deshalb ist die Aussage des
Bundesrates zumindest bezüglich EU-Recht
für Glyphosat kein statthaftes Argument.
Die meisten Behörden auf der Welt haben
festgelegt: Ist eine Substanz genotoxisch und
handelt es sich um ein Karzinogen, dann
wird sie verboten.
Ist Glyphosat genotoxisch?
Wir wissen es nicht genau: Die Daten von
50 Prozent der Studien sprechen für eine
Genotoxizität, 50 Prozent dagegen. Im
Interesse der öffentlichen Gesundheit sollten
wir Glyphosat deshalb meiner Meinung
nach als genotoxisch klassieren.
Die Zulassungsbehörden wurden in den 1970erJahren aufgebaut, um einen zweiten ‹Fall DDT›
zu verhindern. Mit Blick auf die Pestizide
Glyphosat, Triclosan oder die Neonicotinoide:
Wurde dieses Ziel erreicht?
Das ist schwer zu beantworten. Seitdem
chemische Substanzen verboten wurden,
wissen wir nicht, ob wir damit tatsächlich
präventiv Krebsfälle verhindert haben.
Aber ganz klar, seit DDT haben wir Fehler
gemacht. Viele Substanzen haben wir falsch
angegangen; z. B. Blei im Benzin, es dauerte
lange, bis es verboten wurde. Es hiess zwar,
Blei ist ein Problem, aber nur ein Kleines.
Dann zeigten Studien, dass das Problem
doch grösser sein könnte...
...ist das nicht immer so?
Es ist oft so, dass die Behörden bei einer
Substanz einen Grenzwert festlegen, um
später festzustellen, dass dieser zu hoch
war. Sie senken ihn, um danach erneut zu
bemerken, dass er noch immer zu hoch
6
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ist. So wiederholte es sich bei zahlreichen
Substanzen, etwa bei den Dioxinen, den
Dibenzofuranen, den PCBs und auch bei
den bromierten Brandschutzchemikalien.
Anders aber scheint es bei den klassischen
Pestiziden abzulaufen. Sind sie einmal
zugelassen, so verfolgt kaum jemand mehr
ihre
gesundheitlichen
Konsequenzen.
Wer geht der Frage nach, ob zugelassene
Pestizide Krebs auslösen oder nicht? Beim
Glyphosat stammen einige der Studien, die
wir überprüft haben, aus dem Jahre 1981.
Darin tauchen Tumore auf, obwohl meist
nur rund 200 Menschen berücksichtigt
wurden. Während 36 Jahren will weltweit
keine Zulassungsbehörde diese TumorBefunde erkannt haben, obwohl die Literatur
nur neun Studien zum Krebsrisiko durch
Glyphosat beim Menschen umfasst. Stellen
Sie sich vor, schon 1981 hätte jemand dieses
Versehen entdeckt und es korrigiert. Das
hätte wohl zu einer geringeren Akzeptanz
von Glyphosat geführt.
Nehmen wir die grosse US-Umweltbehörde EPA:
Warum hat sie diese Tumore nicht erkannt?
Das überraschte mich auch. Die EPA betont,
sie würde Pestizide ständig reevaluieren.
Dasselbe sagt die EFSA. Offensichtlich tun
sie es nicht richtig. Bei richtigem Vorgehen
sind diese Tumor-Befunde schwerlich zu
übersehen.
Heute stehen wir auch vor dem Problem der
neuartigen Neonicotinoide, also Insektiziden, die
systemisch in die Pflanzen eindringen. Waren
sich die Behörden der neuen Dimension bewusst,
als sie diese neue Art von Pestiziden zuliessen?
Früher wurde das sehr giftige Nikotin als
Insektizid verwendet. Die Neonicotinoide
sind viel weniger giftig, bestanden
die Tests und wurden zugelassen. Der
Zulassungsprozess war aber nicht speziell
an die neuen Substanzen angepasst worden.
Inzwischen wissen wir, dass Neonicotinoide
ökotoxikologisch ein Problem sind. Ich bin
überzeugt, dass die Evidenz gegeben ist,
www.aefu.ch
dass sie Bienen töten. Ich denke, sie werden
verboten und durch ein neues Produkt
ersetzt, welches dann möglicherweise
wiederum problematisch ist.
Die Bienen starben schon in den 1940erJahren durch DDT und danach bei allen neuen
Insektiziden, die auf den Markt kamen. Die
Bienenverträglichkeit müsste doch zumindest
heute getestet werden...
...das gehört in den USA auch heute nicht
zum Zulassungsprozedere.
Warum nicht?
Das ist eine sehr gute Frage, die Sie den
Zulassungsbehörden stellen sollten. In den
USA werden Insektizide an Schmetterlingen
getestet, nicht aber an Bienen, obwohl deren
Biologie verschieden ist. Auch bei den
Schmetterlingen ist die Beurteilung mehr als
fragwürdig: Sterben 20 Prozent auf Grund
eines Insektizids, gilt das als okay. Sterben
über 20 Prozent, schauen sie genauer hin.
Sind es mehr als 50 Prozent, wird die
Substanz verboten.
Christopher Portier, wie müsste ein optimaler Zulassungsprozess für chemische
Substanzen aussehen?
Christopher Portier: 1. Zuallererst sollten
die Firmen ihre Unterlagen elektronisch
einreichen müssen, damit die Daten nicht
mehr mühsam digitalisiert werden müssen, um sie zu prüfen. Das erschwert die
Arbeit der eh schon überlasteten Zulassungsbehörden.
2. Die Industrie sollte die Rohdaten
ihrer Studien öffentlich zugänglich
machen, damit alle die gleichen Überprüfungsmöglichkeiten haben. Alle positiven und negativen Befunde sollten
aufgelistet werden, damit eine schnelle
Reevaluation möglich ist.
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Wie sehe Sie die Zukunft von Glyphosat?
Ich war lange Zeit in Zulassungsbehörden
tätig und hatte die Möglichkeit, Substanzen
zu verbieten. Darum antworte ich als Wissenschaftler und ehemaliger Funktionär:
Die EFSA und die ECHA haben ihren Job
nicht gemacht. Die Informationen, die sie
den gesetzgebenden Politikern geliefert haben, sind wissenschaftlich nicht haltbar und
qualitativ schlecht. Mir geht es nicht vordinglich darum, dass Glyphosat verboten
wird. Mir geht es grundsätzlich um die
wissenschaftliche Beurteilung des Krebspotentials von Substanzen. Dafür bestehen
Regeln, welche die Behörden streng befolgen
müssen. Das ist bei Glyphosat momentan
nicht der Fall. Folgen die Politiker der Empfehlung ihrer Behörden, wird beim Glyphosat
der öffentliche Gesundheitsschutz scheitern.
Deshalb habe ich den EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker in einem Brief auf die fehlerhaften Grundlagen
aufmerksam gemacht, die er von seinen Behörden erhalten hat.
3. Der Zulassungsprozess müsste unabhängig sein. Heute bestimmt die Regierung, wer in der ECHA sitzt und wer
den EFSA-Bericht evaluiert. Es fehlt eine
unabhängige Institution wie z. B. das
wissenschaftliche Beratungsgremium der
EPA zur Evaluation von Pestiziden. Sie
wählen Wissenschaftler, die dafür qualifiziert sind und aus Universitäten und
Institutionen stammen, die nichts mit der
Zulassung zu tun haben. Das ist ein relativ unabhängiger Vorgang, wenn auch
die Regierung am Ende aus den Nominierten auswählt.
4. Es braucht strenge Gesetze über mögliche Interessenkonflikte. Die fehlen z. B. in
der EU weitgehend. Es müsste u. a. definiert sein, was ein Interessenkonflikt ist.
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Die Schweiz wird wärmer
Die Schweiz wird wärmer
Wie
Treibhausgase
unsere Umwelt verändern
Dr. Cornelia Schwierz, Dr. Simon Scherrer
und Dr. Mischa Croci-Maspoli,
Bundesamt für Meteorologie
und Klimatologie, MeteoSchweiz
Mehr Hitzetage und Tropennächte sowie der Rückgang
von Frosttagen und Gletschern zeigen uns: Die Klimaerwärmung ist längst in der Schweiz angekommen.
Und dies deutlicher als im weltweiten Mittel.
Unsere Erde hat sich in den letzten Jahrzehnten aussergewöhnlich erwärmt (Abb.
1), jedes Jahr bricht weitere Rekorde. So
waren die Jahre 2016 und 2015 die weltweit
deutlich wärmsten seit Messbeginn 1850.
Grund für den langfristigen ErwärmungsTrend ist der zunehmende Ausstoss von
Treibhausgasen, vor allem aus fossilen Energieträgern. Der natürliche Treibhauseffekt
beruhte die letzten 800 000 Jahre auf einer
CO2-Konzentration in der Atmosphäre von
etwa 280 ppm1. Die Konzentration stieg
mit Beginn der Industrialisierung rasant
an und lag im Jahr 2016 bei 404 ppm2, also
rund 40 Prozent über dem vorindustriellen
Wert. Auch natürliche Faktoren bewirken
Schwankungen des Erdklimas: die Umlaufbahn der Erde, Vulkane, die Sonnenaktivität.
Doch der Erwärmungstrend der letzten
Dekaden ist aussergewöhnlich und nur mit
den menschenverursachten Emissionen von
Treibhausgasen erklärbar.
Weltweit tragen Tausende von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im
Auftrag der Vereinten Nationen ehrenamtlich den aktuellen Stand der Klimaforschung zusammen und bewerten anhand
anerkannter Veröffentlichungen den jeweils
neuesten Kenntnisstand zum Klimawandel.
Abbildung 2: Änderung der Jahresmitteltemperatur in der Schweiz seit Beginn der Messungen 1864. Dargestellt sind die Abweichungen von einer Referenz-Periode (1961-1990).
Quelle: MeteoSchweiz
Abbildung 1: Globaltemperatur (schwarz) 1880-2005 und Einflussfaktoren auf die Temperaturentwicklung: natürliche
Einflüsse (hellblau; Sonnenaktivität, Vulkane, Erdorbit), menschenverursachte Effekte (blau: Treibhausgase, Ozon,
Abholzung, Aerosole), beide zusammen (rot).
Grafik aus Marvel und Schmidt (Bloomberg3), reproduziert von MeteoSchweiz
Etwa alle fünf Jahre wird jeweils ein Sachstandsbericht (IPCC-Bericht) publiziert. Der
sechste (AR6) ist für 2021/2022 geplant.4
Klimawandel in der Schweiz
Seit Beginn der Messungen in der Schweiz
im Jahr 1864 ist die mittlere Temperatur um
beinahe 2°C angestiegen (Abb. 2). Unter
Konzentrationseinheit, engl.: Parts per million, 10−6 = 1 Teil pro Million = 0,0001 %
Daten: ftp://ftp.cmdl.noaa.gov/ccg/co2/trends/co2_annmean_mlo.txt
3
https://www.bloomberg.com/graphics/2015-whats-warming-the-world/
4
www.ipcc.ch, deutsch: www.de-ipcc.de
5
Sommertag: Maximumtemperatur beträgt 25°C oder mehr.
6
Hitzetag: Maximumtemperatur beträgt 30°C oder mehr.
7
Tropennacht: Minimumtemperatur beträgt 20°C oder wärmer.
8
Frosttag: Minimumtemperatur beträgt weniger als 0°C.
9
http://www.meteoschweiz.admin.ch/home/klima/gegenwart/klima-indikatoren.html
18
Vicedo-Cabrera A.M., Ragettli M.S., Schindler C., Röösli M. 2016: Excess mortality during the warm summer of 2015 in
Switzerland. Swiss Med Wkly;146.
1
2
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www.aefu.ch
den 20 wärmsten Jahren seit 1864 sind lediglich zwei aus der Zeit vor 1990. Die Auswirkungen auf verschiedene Sektoren wie
beispielsweise Gesundheit, Landwirtschaft
und Tourismus sind bereits spürbar. Am
augenscheinlichsten erlebt man den Wandel
in den Alpen angesichts der schwindenden
Gletscher.
Anschaulich lässt sich die Klimaänderung durch sogenannte Indikatoren ausdrücken, z. B. Sommertage5, Hitzetage6,
Tropennächte7, Frosttage8. MeteoSchweiz
beobachtet und publiziert laufend die Entwicklung dieser Indikatoren.9 Die regionalen und jahreszeitlichen Unterschiede
können beträchtlich sein. Ausserdem zeigt
sich eine markante Höhenabhängigkeit der
Trends.
Wegen der kräftigen Wintererwärmung
gingen in den ausgewählten Messreihen
von Bern, Davos und Lugano die Anzahl
Frosttage signifikant zurück. Pro Jahrzehnt
werden hier rund vier bis sieben Frosttage
weniger verzeichnet, in Lugano bedeutet dies eine Abnahme um 60 Prozent seit
1960. Auch die Sommer erwärmten sich seit
den 1980er-Jahren markant. Eine Zunahme
der Anzahl Sommertage vor allem in den
tieferen Lagen der Schweiz war die Konsequenz.
Bei den Hitzetagen ist die Zunahme noch
deutlicher. Während in den 1960er-Jahren
durchschnittlich gerade mal 2–3 Tage pro
Jahr 30 Grad und heisser waren, erleben
wir dies heute im Mittel an 10 bis 20 Tagen
jährlich. Bei anhaltender Hitze muss häufig
mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen
gerechnet werden, im Extremfall sogar mit
erhöhter Sterblichkeit wie in den Hitzesommern der Jahre 2003 und 2015. MeteoSchweiz warnt daher Bevölkerung und
Behörden vor der Ausbildung einer Hitze-
Die ‹Hitzewelle-Massnahmen-Toolbox›
Das Schweizerischen Tropen- und Public
Health Institut (Swiss TPH) hat im Auftrag
des Bundesamts für Gesundheit BAG eine
‹Toolbox› entwickelt, welche die Kantonsbehörden beim Umgang mit Hitzewellen unterstützt.
Das Jahr 2015 hat erneut gezeigt, dass extreme Hitzeperioden die Gesundheit ernsthaft
gefährden. In der Schweiz starben während
jenem Hitzesommer rund 800 Personen mehr
als in einem normalen Jahr zu erwarten gewesen wären.18 Die Prävention hitzebedingter
gesundheitlicher Schäden und Todesfälle ist
wichtig. Vor allem ältere Menschen, (chronisch) Kranke, Kleinkinder und Schwangere
sowie Berufsleute, die draussen arbeiten,
benötigen speziellen Schutz.
Mit Hilfe der Toolbox können die Kantone
einen Hitzeaktionsplan erstellen, wie ihn erst
wenige haben (FR, GE, NE, TI, VD, VS). Die
[email protected]
Prävention muss auf drei Ebenen greifen:
a) Sensibilisierung & Schulung der Bevölkerung und der Akteure des Gesundheitssystems
b) Management der Extremereignisse
c) Langfristige Anpassung an die zunehmende Hitzebelastung
Die ‹Hitzewelle-Massnahmen-Toolbox›,
Broschüren und ein Poster mit Verhaltensempfehlungen für Hitzetage (z. B.
auch für Arztpraxen) sind verfügbar und kostenlos erhältlich unter www.hitzewelle.ch.
Kontakt
Dr. Martina Ragettli, Swiss TPH,
[email protected]
Dr. Damiano Urbinello, BAG,
[email protected]
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Die Schweiz wird wärmer
Die Schweiz wird wärmer
welle über das Naturgefahrenportal der
Schweiz.10 Während Hitzewellen kann der
Temperatur-Unterschied zwischen einer
Stadt wie Zürich und der kühleren Agglomeration 3–8 Grad betragen. Deshalb sind
in Städten allenfalls bereits früher Verhaltensmassnahmen angezeigt. Die Hitze
hat auch Auswirkungen auf das Wohlbefinden und die Produktivität der arbeitenden
Bevölkerung. Dies wird aktuell in einem europäischen Forschungsprojekt11 untersucht,
an dem die EMPA12 und MeteoSchweiz mit
beteiligt sind. Es ist denkbar, dass die Ergebnisse zu einer Überarbeitung oder Erweiterung der Hitzewarnungen führen werden.
Die Wetterextreme nehmen zu. Nicht nur die Hitze, auch der Regen schlägt über die Stränge.
© pixabay
Literatur
BAFU 2013: Anpassung an den Klimawandel in der
Schweiz. Aktionsplan 2014–2019, Zweiter Teil der
Strategie des Bundesrates, Referenz/Aktenzeichen:
M282-0556.
MeteoSchweiz, 2014: Klimaszenarien Schweiz – eine
regionale Übersicht; Fachbericht Nr. 243.
MeteoSchweiz, 2016: Der Hitzesommer 2015 in der
Schweiz; Fachbericht Nr. 260.
MeteoSchweiz, 2017: Klimareport 2016.
CH2011 (2011), Swiss Climate Change Scenarios
CH2011, published by C2SM, MeteoSwiss, ETH,
NCCR Climate, and OcCC, Zurich, Switzerland, 88p,
ISBN: 9783033030657.
CH2014-Impacts (2014), Toward Quantitative Scenarios of Climate Change Impacts in Switzerland,
published by OCCR, FOEN, MeteoSwiss, C2SM,
Agroscope, and ProClim, Bern, Switzerland, 136 pp.
IPCC, 2013: Climate Change 2013: The Physical Science Basis, Summary for Policymakers. Contribution
of Working Group I to the Fifth Assessment Report
of the Intergovernmental Panel on Climate Change
[Stocker, T.F., D. Qin et al. (eds.)]. Cambridge University Press, http://www.climatechange2013.org
10
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Scherrer S.C., E.M. Fischer, R. Posselt, M.A. Liniger, M. Croci-Maspoli, and R. Knutti (2016), Emerging trends in heavy precipitation and hot temperature
extremes in Switzerland, J. Geophys. Res. Atmos.,
doi:10.1002/2015JD024634.
SCNAT 2016: Brennpunkt Klima Schweiz. Grundlagen, Folgen und Perspektiven. Akademien der Wissenschaften Schweiz (Eds.), Swiss Academies Reports
11 (5).
Zubler EM, Scherrer SC, Croci-Maspoli M, Liniger
MA, Appenzeller C (2014) Key climate indices in
Switzerland: expected changes in a future climate.
Climatic Change 123: 255 – 271.
www.aefu.ch
Wasserhaushalt gerät aus dem Lot
Hitzewellen wirken auch auf den Wasserkreislauf: Trockenperioden können auftreten
und die Effekte der Hitzewelle noch verstärken. Zudem beeinflusst die Klimaerwärmung die Vegetationsentwicklung. Insgesamt hat sich die Vegetationsperiode in der
Schweiz seit den 1960er-Jahren durchschnittlich um rund drei Wochen verlängert. Pollenallergiker und –allergikerinnen bekommen
dies zu spüren (vgl. auch Beitrag S. 19).13
Im Gegensatz zu den Temperaturtrends
ist die Situation bei den Niederschlägen
komplizierter. So haben die mittleren Winterniederschläge in den letzten 150 Jahren
zugenommen. Im Sommer hingegen, lassen sich noch keine Änderungen nachweisen. Die Starkniederschläge zeigen bereits
deutliche Anzeichen für Veränderungen: sie
werden häufiger und intensiver. Im Mittel
www.naturgefahren.ch, welche zudem in die App der
MeteoSchweiz integriert ist.
https://www.heat-shield.eu/
Projekt-Video (engl.): https://www.youtube.com/
watch?v=vY30ScpvW9g
12
Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt
EMPA
13
www.meteoschweiz.ch/pollenkalender
14
www.ch2011.ch
15
www.ch2018.ch
16
https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/
klima/fachinformationen/anpassung-an-den-klimawandel.html
17
National Center for Climate Services; www.nccs.ch
nahm ihre Intensität seit 1901 um rund 12
Prozent zu.
Ist die Schweiz ein Extremfall?
Die Schweiz hat sich in den letzten Jahrzehnten mehr als doppelt so stark erwärmt
wie das globale Mittel (vgl. Abb. 3). Dafür
gibt es verschiedene Gründe: Ozeane können sehr viel Wärme speichern und puffern
dadurch die steigende Temperatur. Die Luft
erwärmt sich über den Ozeanen weniger
stark als über den meisten Landflächen.
Zusätzlich ist die Erwärmung gegen die Pole
hin grösser als um den Äquator. Das hat u.a.
mit dem Rückgang der Schnee- und Eisbedeckung zu tun. Die frei werdenden Flächen
sind dunkler, heizen sich stärker auf und
verstärken dadurch den Temperaturtrend.
Klimaszenarien für die Schweiz
Am 22. April 2016 wurde das Pariser Klimaschutzabkommen von 175 Ländern offiziell unterzeichnet. Es verpflichtete erstmals
alle Staaten zur Reduktion der Treibhausgasemissionen, um den globalen Temperaturanstieg auf maximal 2°C zu beschränken.
MeteoSchweiz erstellt zusammen mit
Partnern seit gut 10 Jahren Klimaszenarien, also mögliche Entwicklungswege des
zukünftigen Klimas in der Schweiz. Die
Abbildung 3: Zeitlicher Verlauf der mittleren Temperaturabweichung (in °C) von der Norm 1961—1990 in der
Schweiz und global. Die Schweizer Werte sind als farbige Balken dargestellt, die schwarze Kurve zeigt das 20-jährige
gewichtete Mittel, die grüne Linie zeigt den Schweizer Trend. Die gepunktete schwarze Linie entspricht den ungewichteten globalen Werten.
Quelle: MeteoSchweiz
Berechnung basiert auf international definierten Emissionspfaden für die globalen
Treibhausgase. Beim einen Szenario geht
man von einem ungebremsten CO2-Verbrauch aus (‹business as usual›), bei einem
anderen setzt man eine starke Reduktion
der globalen Treibhausgase voraus (‹2-GradZiel›). Die aktuellen Szenarien stammen aus
dem Jahr 2011.14 Sie werden im Laufe des
Jahres 2018 durch eine neue Generation von
Klimaszenarien ersetzt.15
Je nach Szenario ergeben sich unterschiedlich starke Auswirkungen für die Schweiz (vgl. Tabelle 1). Es wird wärmer und
die Sommer werden vermutlich trockener.
Zudem muss die Schweiz mit veränderten
Wetterextremen rechnen. Selbstverständlich
sind die Auswirkungen regional differen-
ziert. Dies muss für konkrete Anpassungsmassnahmen berücksichtig werden.
Das Klima in unserer Hand
Wie stark sich das Klima verändern wird,
haben wir selber in der Hand. Weil die
globale Erderwärmung im besten Fall auf
1.5-2°C begrenzt werden kann, wird die
Anpassung an die Auswirkungen immer
wichtiger.16 Darum hat der Bundesrat im
Jahr 2012 eine Anpassungsstrategie an den
Klimawandel verabschiedet sowie im Jahr
2014 den entsprechenden Aktionsplan. Die
Anpassungsstrategie wird unter Federführung des BAFU koordiniert. Als weiterer
wichtiger Baustein wurde das Netzwerk
für Klimadienstleistungen (NCCS17) ins
Leben gerufen, mit dem Ziel einheitliche
und koordinierte Klima-Grundlagen und
-Dienstleistungen auf Bundesebene bereitzustellen. Zudem soll der Dialog zwischen
den Produzenten und Nutzern von Klimadienstleistungen gefördert werden – damit die
Schweiz sich optimal auf den zukünftigen
Wandel vorbereiten kann.
10
11
Tabelle 1: Ungefähre Anzahl der mittleren Tropennächte und Hitzetage im Mittelland sowie Höhe der Nullgradgrenze
(in m.ü.M.) für die Jahre 1960, aktuell und 2085 bei einem Szenario gemäss Pariser Abkommen (grün), sowie bei
einem Szenario mit Anstieg der Treibhausgasemissionen (THGE) bis 2050 (rot).
[email protected]
Dr. Cornelia Schwierz ist Physikerin
und Leiterin Klimamonitoring beim Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie MeteoSchweiz. Ihre Mitautoren sind
Dr. Simon Scherrer, Fachverantwortlicher für Klimaentwicklung und Dr. Mischa Croci-Maspoli, Leiter der Abteilung
Klima bei MeteoSchweiz.
2/17
11
Die Autoindustrie steht in der Pflicht
Autoindustrie
Die theoretischen
Bis 2015 hätten die Schweizer Autoimporteure die Emissionen der Neuwagen durchschnittlich auf 130 g CO2
pro km senken sollen. Sie verfehlten das Ziel auch 2016.
Ein Grund für die schleppende Absenkung sind die nicht
weiter verschärften Vorgaben.
CO -Emissionen
2
© iStockphoto
des Strassenverkehrs
Christian Bach, Empa Dübendorf
Die heutigen Gesetzesvorgaben reichen bei Weitem
terstützt vom Bundesamt für Energie BFE,
arbeitet die Empa deshalb gemeinsam mit
der ETH Zürich an einem neuen Ansatz zur
Ermittlung des realen Treibstoffverbrauchs
und der tatsächlichen CO2-Emissionen. In
Arbeit sind auch weiterentwickelte Simulationsmethoden, um die Wirksamkeit
fahrzeugtechnischer Massnahmen zur CO2Reduktion und deren Auswirkungen auf
das Energiesystem genauer bewerten zu
können.
Dabei wird berücksichtigt, dass Autos
sehr unterschiedlich eingesetzt werden. In
der Schweiz erbringen derzeit 30% der Personenwagen rund 70% der Fahrleistung.
Steigen primär ‹Wenigfahrer› auf CO2arme Fahrzeuge um oder führen CO2-arme
Fahrzeuge zu einem Anstieg der Zweit- oder
Drittfahrzeuge, bremst dies die effektive
CO2-Reduktion zusätzlich.
Der PW-Bestand müsste also durch wesentlich mehr CO2-arme Fahrzeuge erneuert
werden als es die aktuelle Methodik suggeriert.
Die CO2-Emissionen der Liefer- und Lastwagen sind in der Realität noch schwieriger
reduzierbar. Bei ihnen lag der Fokus schon
immer auf wirtschaftlicher Effizienz und
somit optimiertem Verbrauch. Für Lastwagen gibt es heute nicht einmal einen CO2Grenzwert, dieser wird erst nach 2020 wahrscheinlich.
nicht aus, um die CO2-Emissionen des Strassenverkehrs
so zu reduzieren, wie wir es mit dem Pariser
Klimaschutzabkommen völkerrechtlich zugesagt haben.
Die beschlossene Energiestrategie 2050 und
die CO2-Verpflichtungen aus dem Pariser
Klimaschutzabkommen1 legen zwei Ziele
mit hoher Relevanz für den Energiebereich
fest. Die Schweiz verbraucht heute 120 Terawattstunden2 (TWh) aus Erdölprodukten, 60
TWh aus Elektrizität3, 30 TWh aus Erdgas, 15
TWh aus Kohle und 5 TWh aus zusätzlichen
erneuerbaren Quellen4. Die Haushalte sind
mit 28% und der Verkehr (Strasse und Bahn)
mit 36% die wichtigsten Verbrauchergruppen. Die Haushalte konsumieren zu 35%
erneuerbare Energie, der Verkehr hingegen
rollt nur zu 3% erneuerbar. Der Löwenanteil
stammt aus fossilen oder nuklearen Quellen.
Pariser Abkommen
verpflichtet den Verkehr
Der Ausstieg aus der Atomenergie tangiert hauptsächlich den Stromsektor, die
CO2-Verpflichtung primär den Verkehrsbereich, die Industrie und Dienstleistungen. Die Schweiz muss bis 2035 gut 20
TWh an Atomenergie und bis 2030 rund
20 Millionen Tonnen (t) CO2 einsparen
oder durch nicht fossile Energie substituieren. Die Schlüsselworte dabei heissen ‹Verbrauchsreduktion›, ‹intelligente
1
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5
6
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12
Systeme, konvergente Netze und Energiespeicher› sowie ‹erneuerbare Energie›.
Was bedeutet nun das Pariser Abkommen
für den Strassenverkehr? Die Schweiz muss
die Klimagasemissionen bis 2030 um 50% reduzieren. 1990 gilt als Referenzjahr. Damals
betrugen die CO2-Emissionen aus Treibstoffen 15.5 Mio. t pro Jahr. Wendet man das
Reduktionsziel an, müssten wir diese bis
2030 auf 7.8 Mio. t halbieren. Heute liegen
sie bei 16.4 Mio. t. Es wäre also eine Reduktion von jährlich rund 9 Mio. t nötig.
Gesetzesgrundlagen
Zwei gesetzliche Grundlagen sind für die
CO2-Reduktion bei Fahrzeugen relevant.
Einerseits die Kompensationsverpflichtung,
wonach bis 2020 10% der CO2-Emissionen
aus fossilen Treibstoffen durch deren Importeure kompensiert werden müssen.
Wird das so weitergeführt, ergibt dies eine
CO2-Abnahme von 1.6 Mio. t. Andererseits
die Zulassungsvorschriften für Neuwagen,
die eine periodische Absenkung der CO2Grenzwerte vorsehen. In der EU ist eine erste Absenkung von heute 130 auf 95 Gramm
CO2 pro Kilometer (g/km) per 2021 bereits
beschlossen (in der Schweiz in der Vernehm-
Die 21. UN-Klimakonferenz beschloss am 12.12.2015 das erste globale und rechtsverbindliche Klimaschutzabkommen:
das Übereinkommen von Paris. Es verlangt die Begrenzung der globalen Erwärmung auf deutlich unter 2 °C im Vergleich
zu vorindustriellen Levels. Erreichbar ist das Ziel nur mit einer sehr konsequenten, sofortigen Klimaschutzpolitik. Die
Schweiz hat das Abkommen am 07.06.2017 ratifiziert, sich also völkerrechtlich dazu verpflichtet.
1 TWh = 1 Billion (1012) Wattstunden (Wh) = 1 Milliarde Kilowattstunden (kWh)
Atom- und Wasserkraft
Photovoltaik- und Windkraft, Biogas, Biotreibstoffe
Weil der CO2-Ausstoss an den Treibstoffverbrauch gekoppelt ist, bedeutet dies beim Benzin eine Reduktion von 5.6 Liter
auf 2.2 Liter pro 100 km.
Wörtlich: ‹vom Bohrloch bis zum Rad›, Analysemethode, welche die gesamte Wirkkette für die Fortbewegung untersucht, von der Gewinnung und Bereitstellung der Antriebsenergie bis zur Umwandlung in kinetische Energie (Wikipedia).
Der Verzicht auf Autokilometer, die effizienteste Sparmassnahme, muss über andere Instrumente beeinflusst werden.
2/17
www.aefu.ch
lassung). Weitere Absenkungen auf 50 g/km
bis 2030 sind in Diskussion.5 Grenzwertüberschreitungen werden mit vergleichsweise hohen Bussen sanktioniert. Auf
die Schweiz angewendet müsste ein Autoimporteur umgerechnet bis zu 350 CHF/t
CO2 pro verkauftes Fahrzeug bezahlen.
Reduktionsbeitrag des
Strassenverkehrs ist theoretisch
Personenwagen (PW) sind für rund 75 % der
CO2-Emissionen im Strassenverkehr verantwortlich. Setzt man eine lineare Absenkung
der Grenzwerte bei Neuwagen auf 50 g/km
bis 2030 voraus, lässt sich folgende Reduktion abschätzen.
Werden 8% des PW-Bestandes jährlich
durch Neuwagen ersetzt, ergibt sich eine
rechnerische Reduktion von rund 4 Mio.
t CO2. In der Realität sieht es allerdings
weniger rosig aus. Der wachsende Zusatzverbrauch für Heizung, Klimaanlage und
Entertainmentsysteme, wie auch die in der
Realität höheren CO2-Emissionen im Vergleich zur Labormessung, sind nämlich nicht
berücksichtigt. Ausserdem gilt für Plug-inHybridfahrzeuge eine äusserst wohlwollende CO2-Berechnungsmethode und auch die
bei Elektrofahrzeugen an die Stromproduktion ausgelagerten CO2-Emissionen werden
aktuell nicht eingerechnet. Ebenso unberücksichtigt bleibt die Verkehrszunahme.
Gesamte Energiekette bewerten
Will man die zugesagten CO2-Ziele erreichen, sind weiterführende Massnahmen
zwingend. Wir sollten z. B. den heute noch
unberücksichtigten Energieverbrauch für
den Fahrkomfort integrieren und die CO2Bewertung auf die gesamte Energiekette
(Well-to-Wheel6) ausweiten. Aus wissenschaftlicher Sicht ist dies ein längst fälliger
Schritt.
Die CO2-Emissionen des Strassenverkehrs
können technisch primär über den Einsatz
erneuerbarer Energie gesenkt werden.7 Man
sollte daher auch die Fahrzeughersteller
Realistische Messvorschriften
sind dringend
Weil die offiziellen CO2-Emissionen nicht
den effektiven Ausstoss widergeben, sind
zurzeit kaum Aussagen zur Wirkung der
Zulassungsbestimmungen möglich. Un-
[email protected]
2/17
13
Die Autoindustrie steht in der Pflicht
stärker in die Pflicht nehmen, damit sie
dafür sorgen, dass ihre Fahrzeuge mit erneuerbarer Energie betrieben werden.
Woher die saubere
Energie nehmen?
Dabei stellt sich natürlich die Frage, woher
die erneuerbare Energie für den Strassenbereich kommen soll, ohne sie bloss einem
anderen Energiesektor wegzunehmen. Be-
trachtet man die Eigenheiten der erneuerbaren Energiequellen wie Photovoltaik (PV)
oder Windkraft, sieht man, dass die Kombination der Strom- und Gasnetze neue CO2Reduktionspotenziale erschliessen kann.
Die Mobilität könnte dabei eine entscheidende Rolle als ‹Möglich-Macher› (‹Enabler›) spielen, wie folgendes Beispiel zeigt.
Das PV-Potenzial der Schweiz beträgt
gemäss Meteotest/Swissolar zirka 30 TWh.8
Autoindustrie
Bei einem jährlichen Ertrag von 1000 kWh/
kWpeak9 resultiert eine installierte PV-Leistung von 30 Gigawatt (GW). Allerdings haben in der Schweiz im Sommer alle Stromverbraucher gesamthaft bloss einen Bedarf
von 5–10 GW. Das bedeutet, dass nur ein relativ kleiner Teil des PV-Stroms im sommerlichen Strommarkt direkt nutzbar ist, selbst
wenn alle anderen Stromerzeuger bei Sonnenschein auf ihre niedrigstmögliche Leistung zurückgefahren werden. Auch wenn
man die PV-Anlagen mit Batterien koppelt,
bleibt ein grosser Teil der PV-Leistung überschüssig.
Das bestätigen verschiedene Studien zum
künftigen Schweizer Strommarkt. Das Szenario ‹Sun2035›, das Swissgrid10 in Zusammenarbeit mit der Umweltallianz entwickelt
hat und das auf einem starken Ausbau von
PV basiert, weist einen Überschuss im Sommerhalbjahr von fast 10 TWh aus, während
es für den Winter eine Unterdeckung in ähnSolarpotenzial Schweiz - Solarwärme und PV auf Dächern und Fassaden; Meteotest/Swissolar 2017.
9
Mit Kilowatt Peak kWpeak (kWp) bezeichnet man die
von Solarmodulen abgegebene elektrische Leistung unter
Standard-Testbedingungen.
10
Die Swissgrid AG ist die nationale Betreiberin des
Schweizer Stromnetzes. Sie untersteht der Aufsicht der
Eidgenössischen Elektrizitätskommission ElCom.
11
Swissgrid (2015): Bericht zum Strategischen Netz 2025.
8
Abbildung 1: Szenario ‹Sun2035› von Swissgrid für den Strommarkt der Zukunft. Es zeigt den Stromüberschuss im
Sommerhalbjahr durch die Photovoltaik-Anlagen (gelbe Balken über roter Linie) und das fehlende Stromangebot im
Winter (weisse Fläche unter roter Linie).
Quelle: Swissgrid11
Der Diesel-Skandal
Für die Automobilwirtschaft stellen Dieselfahrzeuge ein wichtiges Element zur
Einhaltung der CO2-Grenzwerte dar. Dazu
müssen sie aber sauber sein. Heute sind sie
es nicht. Sie emittieren viel mehr Stickoxide
(NOx) als bisher angenommen. NOx sind gesundheitsschädigend und fördern die Bildung
des bodennahen Ozons.
Praktisch alle Diesel-Autos und -Lieferwagen stossen unter realen Strassenbedingungen viel mehr NOx aus, als auf dem
Prüfstand. Die geltende Gesetzgebung ist
allerdings schwammig formuliert. Deshalb
14
2/17
wird noch immer darüber gestritten, ob dabei
‹nur› verantwortungslose oder auch illegale
Massnahmen eingesetzt wurden.
Die neue Abgasgesetzgebung verlangt
zukünftig auch Messungen auf der Strasse.
Die Empa unterstützt die Forderung u. a. der
ÄrztInnen für Umweltschutz AefU, welche
die sofortige Einführung dieser Strassenmessungen verlangt (vgl. S. 2).
Manipulierte Abgasnachbehandlung bei Diesel-LKWs
Bei Lastwagen werden die NOx-Emissionen
schon länger auch auf der Strasse gemessen. Nicht zuletzt deshalb stossen sie effektiv
www.aefu.ch
sehr wenig NOx aus. Möglich macht dies ein
aufwändiges Abgasnachbehandlungssystem.
Dabei wird eine wässrige Harnstofflösung
mit dem Marktnamen ‹AdBlue› zudosiert,
das parallel zum Diesel betankt werden
kann. Entscheidend ist die korrekte AdBlueDosierung. Sie wird von einem Steuergerät
überwacht.
Im Internet werden seit einiger Zeit Geräte angeboten, welche die AdBlue-Dosierung
abstellen, dem Steuergerät aber ein funktionierendes System vorgaukeln. Damit spart
sich der LKW-Betreiber die AdBlue-Kosten,
macht aber die NOx-Reduktion zunichte. Die
Schweiz verbietet solche sog. Emulatoren.
Abgas- und CO2-Messung eines Fahrzeugs im Labor. Die Ausrüstung für die Strassenmessung ist ebenfalls bereits
montiert.
licher Grössenordnung zeigt (vgl. Abb. 1).
Swissgrid geht dabei von einer installierten
PV-Leistung von 15.6 GW aus, also von gut
50% des PV-Potenzials gemäss Meteotest/
Swissolar.
Power-to-Gas
Würde der sommerliche PV-Überschuss mittels sogenannter ‹Power-to-Gas›-Anlagen
vollständig in synthetisches Methan umgewandelt und im Gasnetz gespeichert,
könnten damit gegen 1 Million Gas-Hybridfahrzeuge, wie sie ab 2020 denkbar sind,
ganzjährig betrieben und über 1 Mio. t CO2
eingespart werden. Bei einer Ausnutzung
des maximal möglichen PV-Potenzials, liesse
sich die Anzahl so betriebener Fahrzeuge
verdoppeln.
‹Power-to-Gas›-Anlagen stellen synthetisches Methan her, indem sie Wasser mittels Elektrizität in Wasserstoff und
Sauerstoff aufspalten und den Wasserstoff
zusammen mit CO2 in Methan umwandeln.
Die Pflanzen machen etwas Ähnliches: Sie
nutzen das Sonnenlicht primär im Sommer, wenn es im Überfluss anfällt, um Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zu spalten. Den Sauerstoff gibt die Pflanze an die
Atemluft ab, den Wasserstoff wandelt sie
mit CO2 aus der Atmosphäre in Kohlenhydrate um. Wie die Fotosynthese haben auch
‹Power-to-Gas›-Anlagen keinen besonders
guten Wirkungsgrad. Dieser liegt bei etwa
50%. Deshalb eignet sich dieses Verfahren
ausschliesslich für Strom, der im Strommarkt sonst ungenutzt verpufft. Ohne die
Abbildung 2: Auf der Strasse gemessene NOx-Emissionen von fünf Personenwagen mit verschiedenen Treibstoffen
(CNG = Erdgas/Biogas), alle nach Euro-6b-Norm homologiert.
Quelle: Empa
[email protected]
Umwandlung in Methan wird das ‹Powerto-Gas-Verfahren› für die Erzeugung von
Wasserstoff für Brennstoffzellenfahrzeuge
ebenfalls bereits industriell eingesetzt. Mittelfristig könnte es in abgeänderter Form
auch für flüssige Ersatztreibstoffe von Benzin und Diesel genutzt werden.
Die EU ist der Schweiz voraus
Im sogenannten ‹move›, dem ‹Future Mobility Demonstrator› der Empa werden
solche Überlegungen konkretisiert. Dabei
zeigt sich, dass die Effizienz der Fahrzeuge
und die Flexibilität beim Strombezug entscheidende Kriterien für die effektive CO2Reduktion sind. Elektrofahrzeuge leisten
einen Beitrag an die Effizienz. Gasfahrzeuge,
die mit synthetischem Methan fahren sowie
zukünftig auch Fahrzeuge auf Basis flüssiger synthetischer Treibstoffe sind demgegenüber flexibel beim Strombezug. Wasserstofffahrzeuge liegen bei beiden Kriterien
im Mittelbereich. Das vielversprechendste
Rezept besteht deshalb darin, den Zubau
von PV-Anlagen und diese neuen Antriebskonzepte parallel auszubauen. Die Mitgliedstaaten der EU koordinieren ihre Ausbaupläne für Elektroladesäulen, Gas- und
Wasserstofftankstellen bereits. Es wäre wünschenswert, dass die Schweiz den Anschluss
hier nicht verpasst.
Christian Bach ist Automobil-Ingenieur
und leitet die Abteilung Fahrzeugantriebssysteme der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa
(Swiss Federal Laboratories for Materials
Science and Technology). Die Abteilung
besteht aus den Forschungsgruppen
Fahrzeugsysteme, Antriebssysteme, Abgasnachbehandlung und dem ‹Future
Mobility Demonstrator› (vgl. Text). Christian Bach ist ein vielgefragter Experte im
Zusammenhang mit dem Diesel-Skandal
bei Personenwagen.
[email protected], www.empa.ch
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15
Der Klimawandel sticht zu
«Die asiatische
Tigermücke
© OEKOSKOP
Der Klimawandel sticht zu
kommt auf alten Pneus»
Interview: Stephanie Fuchs, AefU
Globaler Handel und Tourismus haben unliebsame
Passagiere im Gepäck: invasive Mückenarten. Zugleich
erwärmen wir mit dieser Mobilität das Klima. Die
Mücken fühlen sich bei uns zunehmend heimisch.
OEKOSKOP: Pie Müller, Sie forschen über invasive Mückenarten in der Schweiz. Was haben
diese mit dem Klimawandel zu tun?
Pie Müller: Die invasiven Arten werden vor
allem mit dem weltweiten Handel global
verschleppt. Ihre Ausbreitung hat also nicht
unmittelbar mit dem Klimawandel zu tun.
Man kann ihn aber als Katalysator für die
Verbreitung sehen. Die Klimaerwärmung
begünstigt die Ausdehnung der Gebiete, die
sich als Lebensräume für diese Stechmücken
eignen.
Die Eierstadien gewisser Arten widerstehen dem Austrocknen. Deshalb können
diese Eier so weite Distanzen zurücklegen.
Eine dieser Arten, die sich momentan in der
Schweiz ausbreiten, ist die asiatische Tigermücke (Aedes albopictus, vgl. Foto). Innerhalb Europas wurde sie entlang den Hauptverkehrsachsen verschleppt. In Fahrzeugen
gefangen kamen die Mücken via die Autobahnen aus Italien in die Schweiz. Hier
liegen die Klimabedingungen für die Tigermücke im Grenzbereich. Sie legt Eier, die
zwar eine Winterstarre durchlaufen. Aber
das Kältelimit liegt bei einer mittleren Jahrestemperatur von etwa zehn Grad. Und
die Temperatur sollte nicht länger als einen
Monat unter minus ein Grad fallen. Wenn
wir die Klimaerwärmung berücksichtigen,
1
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3
4
16
wurden. Grundsätzlich können sich Stechmücken umso besser und schneller entwickeln, je wärmer es ist, vorausgesetzt, es
ist auch feucht genug. Wenn das Klima aber
nicht nur wärmer, sondern auch trockener
werden sollte, wäre das Gegenteil der Fall.
Wie reisen die Tigermücken um die Welt?
Der Handel mit Altreifen spielt eine grosse
Rolle. Altreifen werden meistens draussen gelagert. Bei Regen sammelt sich darin
Wasser. Sie ähneln dann den natürlichen
Brutstätten der Stechmücken: Sie mögen
dunkle, wassergefüllten Baumhöhlen. Sie
kleben ihre Eier knapp über der Wasseroberfläche an den Pneurand. Die Reifen werden
weltweit verschifft und wiederum draussen
gelagert. Sobald es erneut regnet, schlüpfen
die Larven ins Wasser.
Asiatische Tigermücke.
© zvg
verbessern sich die Bedingungen für die Tigermücke bei uns laufend.
Ausserdem ist die Mücke sehr anpassungsfähig. Man geht davon aus, dass die Mücken
bei uns nicht direkt von Asien, sondern via
die USA eingeschleppt wurden, wo sie bereits auf kühlere Temperaturen selektioniert
Die Krankheit zeigt meist unspezifische oder Symptome einer schweren Grippe. Dengue kann aber auch zu inneren
Blutungen oder bei schwerem Krankheitsverlauf (Hämorrhagisches Denguefieber, Dengue-Schock-Syndrom) sogar zum
Tod führen.
Tropische Infektionskrankheit, löst Fieber und Gelenkbeschwerden aus, verbreitet v. a. in Ost- und Südafrika, Indien und
Südostasien.
Zika bewirkt eine Schädelfehlbildung (Mikrozephalie), diese geht mit einer geistigen Behinderung einher. Die Häufigkeit
beträgt 1,6 auf 1000 Geburten, kann aber in Endemiegebieten des Zika-Virus durch die Infizierung von schwangeren
Frauen deutlich höher liegen.
Pyrethroide sind Kontaktgifte. Typisch ist ihre rasche Wirksamkeit (‹knock down›) auch bei niedriger Dosierung. Sie
sind nicht nützlingsschonend, wobei Bienen vom Geruch abgeschreckt werden. Das Insektizid ist sehr giftig für Fische,
Amphibien und Reptilien.
2/17
www.aefu.ch
Wie entdeckt man die Tigermücke überhaupt?
Wenn sich Leute beklagen, kann man gezielt
Fallen aufstellen. Ausserdem ist die Mücke
tagaktiv im Gegensatz zu unseren einheimischen Arten. Sie wird auch als ziemlich
aggressiv empfunden. Sie sticht oft mehrmals zu.
In der Schweiz leben offiziell drei invasive
Mückenarten. Vermuten Sie eine ‹Dunkelziffer›,
lauern da noch weitere in Position?
Das kann natürlich sein. Wir platzieren
Fallen entlang den vermuteten Einschleppwegen. Auch entlang der West-Ost-Achse,
denn es ist zu erwarten, dass die asiatische
Tigermücke aus dem Rhonetal dereinst in
Genf ankommen wird. Wir stellen 150 Fallen
auf, die den Weibchen von Juni bis September als Eiablage dienen. Mit einer moleku-
larbiologischen Methode bestimmt man die
Art. Im deutlich milderen Tessin wurde 2003
die erste Tigermücke nachgewiesen.
Warum forschen Sie gerade zur asiatischen
Tigermücke?
Wir forschen auch zur Malaria-Mücke.
Für die Schweiz ist die Tigermücke aber
bedeutender. Einerseits, weil sie eben invasiv ist und andererseits als sehr lästig
empfunden wird. Das hat ja auch einen
Einfluss auf die Lebensqualität. Und sie ist
ein Vektor, das heisst, sie kann Krankheitserreger übertragen. In tropischen Ländern
überträgt sie z. B. Dengue-Fieber1, Chikungunya2 und höchstwahrscheinlich auch
Zika3. Es gibt auch in Europa Fälle, wo es
zu Krankheitsübertragungen kam. In der
Schweiz bisher noch nicht.
Was erforschen Sie genau?
Es gibt verschiedene Ebenen. Wir wollen die
Biologie der Tigermücke besser verstehen
aber auch, wie sie sich verbreiten. Wie weit
fliegt eine Tigermücke selber? Im Tessin haben wir Tigermücken, aber es ist nicht klar,
zu welchem Anteil sie dort wirklich etabliert
sind oder aber ständig neu eingeschleppt
werden. Über welche Wege werden sie
global verschleppt? Sind sie empfindlich gegenüber einsetzbaren Insektiziden? Inwieweit sind sie bereits an Extremtemperaturen
angepasst? Können Tigermücken die Erreger
auch unter unseren klimatischen Bedingungen übertragen? Die Antworten darauf sollen helfen, das Risiko abzuschätzen.
Die Malariamücke (Anopheles) verschwand
bei uns vor allem durch die Austrocknung von
Sümpfen. Kann sie hier dennoch wieder heimisch
werden?
Die Mücke als potenzielle Überträgerin von
Malaria gibt es bei uns weiterhin, wenn auch
in niedrigeren Populationsdichten. Für das
Verschwinden der Malaria spielten noch andere Faktoren eine Rolle. Z. B. das Gesundheitssystem: Wer hier über vierzig Grad
[email protected]
Fieber hat, begibt sich bei uns in ärztliche
Betreuung, wo Malaria festgestellt und behandelt werden kann. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Mücke malariainfiziertes Blut
aufnimmt, ist somit extrem klein. Es kann
jedoch vorkommen, dass eine mit Malaria
infizierte Mücke per Flugzeug direkt aus
den Tropen hierher kommt. Allerdings ist es
unwahrscheinlich, dass Malaria so im grossen Stil verbreitet würde. Einzelfälle, die
sogenannte Flughafenmalaria, gibt es.
Ist das ein Thema bei den Fluggesellschaften?
Ja, die Kabinen und meines Wissens auch
die Gepäckabteile der Flugzeuge werden
mit Insektizid besprüht, wenn sie aus endemischen Gebieten kommen.
Mit welchem Insektizid?
Das sind Pyrethroide4, also synthetische
Nachahmungen des natürlichen Insektizides Pyrethrum aus den Chrysanthemen.
Pyrethroide haben eine geringe Toxizität
für den Menschen und können deshalb so
eingesetzt werden.
Wie hoch ist effektiv das Gesundheitsrisiko, das
von diesen Tigermücken bei uns ausgeht, z. B.
im Vergleich zu anderen klimabedingten Risiken
wie Hitzewellen?
Das ist schwierig zu vergleichen. An Hitzewellen kann man sich allenfalls besser
anpassen und Wege finden, damit umzuDr. sc. nat. Pie Müller ist Biologe und
Leiter der Arbeitsgruppe Vektorkontrolle am Schweizerischen Tropen- und
Public Health-Institut (Swiss TPH) in
Basel. Seine Forschungsgebiete sind die
Biologie von krankheitsübertragenden
Insekten (Vektoren), die Überwachung
von invasiven Arten, Insektizidresistenz
sowie die Entwicklung von Produkten
zur Bekämpfung von Stechmücken.
[email protected],
www.swisstph.ch
2/17
17
Klimawandel heizt den Allergien ein
© zvg
Klimawandel
Aggressive
Ambrosia-Pollen
auf dem Vormarsch
xine bildet, die spezifisch auf Stechmücken,
aber kaum auf andere Insekten wirkt.
gehen. Krankheitserreger sind hingegen
sehr unvorhersehbar. Das Zika-Virus galt
während Jahrzehnten als harmlos. Jetzt entdeckte man plötzlich den Zusammenhang
mit der Mikrozephalie bei Neugeborenen
und Zika wurde zu einer dramatischen
Krankheit.
Wie sieht es mit der Resistenzbildung gegen die
verwendeten Insektizide aus?
Das ist ein grosses Thema. Die verfügbaren
Pyrethroide sind schon dreissig Jahre alt
und die Stechmücken haben inzwischen
vielerorts Resistenzen dagegen gebildet.
Man hat kaum neue Insektizide zur Verfügung. Der Hauptmarkt für Insektizide ist
der Agrarbereich und der Hausgarten. Dort
will man möglichst umweltverträgliche Mittel, die nur kurz wirken, wenn tatsächlich
Schädlinge da sind. Viele Insektizide sind
relativ unspezifisch und schädigen auch
Nützlinge, deshalb möchte man sie schnell
wieder weghaben. Im öffentlichen Gesundheitsbereich hingegen braucht man Mittel, die länger wirken, damit man sie nicht
ständig neu versprühen muss. Vor allem im
Malariabereich möchte man Insektizide, um
Moskitonetze zu behandeln und um Häuser inwendig zu besprühen, die möglichst
während der ganzen Malariasaison wirksam
sind. Solche Produkte entwickelt die Industrie gar nicht mehr.
Weil man den Zusammenhang erst entdeckt hat
oder weil sich das Zika-Virus veränderte?
Wahrscheinlich gab es tatsächlich Änderungen beim Virus. Man weiss noch nicht genau,
welche Faktoren dafür verantwortlich sind.
Die Situation kann sich bei Viren plötzlich
verändern. Ein anderes Beispiel ist Chikungunya, ebenfalls eine virale Erkrankung, die
von Stechmücken übertragen wird. Lange
war die Tigermücke ein schlechter Überträger dieses Virus. Aber über Nacht gab es
eine spontane Mutation im Virus selber. Dadurch war es plötzlich sehr angepasst an die
Tigermücke und diese war von einem Tag
auf den andern ein sehr guter Überträger.
Das ist die Problematik am Ganzen. Es ist
nicht etwas, das sich punktförmig langsam
ausbreitet, so dass man Prognosen stellen
könnte. Überall und jederzeit kann so eine
Mutation auftreten. Man kann also einzig
dafür sorgen, dass die Mückenpopulationen
möglichst klein bleiben.
Dann wirken die Pyrethroide also auch nicht
mehr so zuverlässig, wenn Sie in den Flugzeugen
versprüht werden?
Ja. Das ist zu befürchten.
Sie testen Pestizide aus der Industrie zur Vektorkontrolle. Entwickelt das Swiss TPH auch
selber solche Insektizide?
Wir entwickeln zusammen mit der Industrie neue Insektizide. Das vor allem im
Malariabereich, wo wir auch nach neuen
Ansätzen und Methoden ohne Insektizide
suchen, um die Mücken loszuwerden. Bei
der asiatischen Tigermücke verfolgen wir
eine Doppelstrategie. Man versucht, sämtliche Brutstätten zu tilgen, indem stehende
Wasseransammlungen regelmässig geleert
werden. Zugleich setzen wir gegen die Larven ein natürliches Bakterium5 ein, das To5
18
Diese Grundsatzfrage zum Schluss: Wir Schweizerinnen und Schweizer sind keineswegs nur
Opfer invasiver Mücken sondern wir bereiten ihnen mit globalem Handel und der übermässigen
Produktion von Klimagasen den Weg. Während
Sie an Antimückensprays forschen, heizen wir
der Welt weiter ein. Welche konkrete Botschaft
haben Sie als Forscher an die Bevölkerung?
Das ist eine gute Frage. Die Globalisierung
kann man nicht verhindern, sie wird weiter
fortschreiten. Deshalb müssen wir die invasiven Stechmücken überwachen und wo
nötig mit entsprechenden Massnahmen eingreifen.
Bazillus Thuringiensis, Variation Israelensis (BTI)
2/17
www.aefu.ch
Ulrike Frank, Dieter Ernst, Karin Pritsch,
Christiane Pfeiffer, Friederike Trognitz
und Michelle M. Epstein
Der Klimawandel sowie veränderte Landnutzung und
Luftqualität beeinflussen die Allergieerkrankungen in
Europa massiv. Das EU-Projekt ATOPICA untersucht
die Effekte am Beispiel der Ambrosia-Pollen.
Allergische Erkrankungen wie Rhinokonjunctivitis allergica1, Asthma bronchiale
oder Neurodermitis sind häufig. Das Team
um Brunello Wüthrich konnte bereits 1993
zeigen, dass ein Drittel aller Schweizer Sensibilisierungen gegen relevante Allergene
aufweisen und jeder zehnte Erwachsene
sowie jeder fünfte Jugendliche an einer Erkrankung des atopischen Formenkreises2
leiden [1]. Für Europa wurden 2014 bei bis
zu 50% der Bevölkerung atopische Sensibilisierungen nachgewiesen. Die höchsten
Raten für Nahrungsmittelsensibilisierung
finden sich im europäischen Städtevergleich in Zürich [2]. Häufige Auslöser sind
Allergene in einheimischen Pollen, die mit
Nahrungsmittelallergenen in Kräutern oder
Steinobst kreuzreagieren und so auch Nahrungsmittelallergien auslösen können sowie
Hausstaubmilben.
Pollen plagen immer
mehr Menschen
Die Häufigkeit und Schwere von allergischen Reaktionen hat in den letzten Jahrzehnten rasant zugenommen. Bereits jedes
dritte Kind leidet an einer Allergie und man
schätzt, dass in 10 Jahren 50% der Europäer
betroffen sein könnten.
Ist es Ambrosia
(Ragweed)?
Hier finden Sie Hilfe, um die Pflanze
zu erkennen und Tipps für das Vorgehen: www.ambrosia.ch. Beim Entfernen
und Entsorgen immer Handschuhe und
Mundschutz tragen.
Es besteht eine klare Korrelation zwischen
der Menge von Pollen und der Verbreitung
von Pollenallergien. Untersuchungen der
täglichen Pollenkonzentration von verschiedenen allergenen Pflanzen in den USA
während der letzten zwei Jahrzehnte belegen einen stetigen Anstieg der Pollenmengen. Ferner liegen verlängerte Pollensaisons
mit grösseren Ausprägungen im Norden der
USA vor [3].
Klimawandel als Pollenproduzent
Die Produktion von Pollen und das Milbenvorkommen im Hausstaub hängen unter
anderem von der relativen Luftfeuchtigkeit
ab. Die Produktion von Pollen resultiert aus
mikro- und makroklimatischen Bedingungen, womit naheliegt, dass der Klimawandel
eine Rolle in der beobachteten Prävalenzzunahme3 atopischer Erkrankungen spielt.
In vielen Ländern Europas beginnt die
Vegetationsperiode frühblühender Bäume
und Gräser früher und dauert länger als
noch vor 20 Jahren. Ursache sind höhere
Temperaturen, Trockenheit und Luftverschmutzung, erhöhte CO2-Konzentrationen,
[email protected]
anthropogene Stickstoffoxide (NO/NO2)
und ein Anstieg bodennaher Ozon-Konzentrationen.
Aggressive Abrosia-Pollen
Für die Zunahme der Pollenbelastung ist
neben einer Zunahme der Pollen von Birke
in Mittel- und Nordeuropa und der Zunahme von Olivenpollen in Südeuropa vor
allem die rasche Ausbreitung des Ragweed
(Ambrosia artemisiifolia) verantwortlich.
Dieser Eindringling (Neophyt) wurde im 19.
Jahrhundert aus Nordamerika nach Europa
eingeschleppt. Ragweed-Pollen stellen das
Hauptallergen für Pollenallergiker in den
USA dar. Sie sind hoch allergen und verlängern in Europa die Pollensaison für viele Allergiker bis in den Herbst. Schon zehn Pollenkörner pro Kubikmeter Luft können
1
2
3
Auch allergische Rhinitis, Heuschnupfen.
Zusammenfassende Bezeichnung für erbliche, an das
HLA-System (Regulierung und Überwachung des Immunsystems) gebundene, allergische Erkrankungen mit
unterschiedlicher Organbeteiligung.
Die Prävalenz sagt aus, welcher Anteil der Menschen einer bestimmten Gruppe zu einem bestimmten Zeitpunkt
an einer bestimmten Krankheit erkrankt (Krankheitshäufigkeit).
2/17
19
Klimawandel
Klimawandel
eine allergische Reaktion hervorrufen. Im
Gegensatz dazu sind bei Gräserpollen 50
Pollenkörner/m3 notwendig.
haben [11], [9]. Unter höheren Ozon-Konzentrationen kam es jedoch zu Veränderungen
in der Zellwand der Pollen, was einen Einfluss auf ihre Allergenität haben könnte [12].
Erhöhte Stickstoffdioxid-Konzentrationen
führten in einem kontrollierten Versuch
wiederum zu höheren Pollenmengen und
einer verringerten Samenproduktion (Zhao
et al. unveröffentlicht).
ATOPICA –
das EU-Forschungsprojekt
Das EU-Projekt ATOPICA5 (www. Atopica.
eu) zeigte in verschiedenen klinischen Kohorten, dass bis zu 5% der Kinder jährlich
sensibilisiert werden, abhängig von der
Ragweed-Belastung und der Luftqualität. Es
besteht ein enger Zusammenhang zwischen
der Pollenbelastung und der Ragweed-Sensibilisierung. In Ländern mit hoher Pollenbelastung liegt der Anteil der Sensibilisierung
gegenüber Ragweed inzwischen bei 50%
der Patienten mit allergischen Symptomen.
Bereits 23.7% aller Ragweed-sensibilisierten
Patienten zeigen Asthma-Symptome [4].
Es wurde eine Korrelation zwischen
Referenzen
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der Allergenität von Ragweed-Pollen und
Umwelteinflüssen wie Temperatur, Licht
und relativer Luftfeuchte gefunden [5]. Ein
Wechsel von Temperatur, Licht und relativer
Luftfeuchte während der Vegetationsperiode bringt Pollen höherer Allergenität hervor im Vergleich zu Pollen von Pflanzen, die
unter gleichbleibenden Bedingungen wuchsen. Dieser Befund war unabhängig vom
genetischen Hintergrund der Ragweedpflanzen. Welcher Umweltfaktor welchen
spezifischen Anteil an der Zunahme der Allergenität hat, ist bisher unbekannt.
Verschiedene Modellrechnungen im Rahmen von ATOPICA sagen für die Zukunft
eine deutliche Verbreitung von Ragweed
in ganz Europa voraus, mit stärkerer Verbreitung in Nordeuropa [6]. Als Folge davon
könnten sich bis 2050 die Konzentrationen
von Ragweed-Pollen in der Luft in Europa
vervierfachen. Zwei Drittel dieser Zunahme
sind dem Klimawandel zuzuschreiben. Ein
Drittel beruht auf einer kontinuierlichen
Vergrösserung der Landflächen, auf denen
4
Das Projekt wurde unter dem 7. EU-Forschungsrahmenprogramm (FP7) gestartet und läuft unter ‹Horizon 2020›,
dem aktuellen EU-Rahmenprogramm für Forschung und
Innovation weiter.
sich Ragweed ausbreiten kann, was mit
einer Erhöhung der Samen und Pollen einher geht .Alle Modelle prognostizieren, dass
höhere CO2-Werte und wärmere Temperaturen dazu beitragen werden, die Pollensaison von Ambrosia zu verlängern, die immer
grössere Gebiete Europas erfassen [7].
Ozon verändert das Innerste
der Pollen
Versuche unter kontrollierten Gewächshausbedingungen zeigten, dass erhöhte CO2Konzentrationen (bis zu 700 ppm) zu
grösseren Pollenmengen und stärkerem
Pflanzenwachstum führten [8], [9]. Ein
gleichzeitiger Trockenstress schwächt den
CO2-Effekt jedoch wieder ab [9]. Auch unter
realen Bedingungen, bei denen in städtischen Gebieten die CO2-Gehalte durchschnittlich um 30 % und die Temperatur bis zu
2° C höher waren, wuchsen die AmbrosiaPflanzen schneller, blühten früher, und produzierten mehr Pollen als ausserhalb der
Stadt [10]. Anders als erhöhte CO2-Konzentrationen scheinen erhöhte Ozonwerte von
65 ppb bzw. 80 ppb keinen Einfluss auf die
Pollenmenge und das Pflanzenwachstum zu
[email protected]
Klimabedingte Evolution
Erhöhte CO2-Konzentrationen haben aber
nicht nur einen Einfluss auf das Wachstum und die Pollenmengen der Pflanzen,
sondern verursachen auch evolutionäre
Veränderungen. So konnten Genotypen,
die bei den aktuellen CO2-Konzentrationen
unterdrückt werden, unter erhöhten CO2Werten an Dominanz gewinnen. Es kamen
auch mehr Genotypen zur Blüte [13].
Ragweed-Pollen bleibt ein grosses Problem für die Gesundheit. Die weitere Ausbreitung der Pflanze betrifft auch Länder,
in denen die Bevölkerung noch wenig dafür
sensibilisiert ist. Die Ausbreitung sollte deshalb dringend mit effizienten Massnahmen
eingedämmt werden.
Die BiologInnen Dr. Ulrike Frank (PostDoc), Dr. Dieter Ernst und Dr. Karin
Pritsch machen Grundlagenforschung
am Helmholtz Zentrum München,
Deutsches Forschungszentrum für
Gesundheit und Umwelt, in Neuherberg.
Christiane Pfeiffer ist an den Universitäten Ulm und Augsburg tätig. Dr.
Friederike Trognitz, ist Projektleiterin
am Austrian Institute of Technology
GmbH AIT. Dr. Michelle M. Epstein ist
die wissenschaftliche Koordinatorin von
ATOPICA. Sie arbeitet an der Medizinischen Universität Wien MUW, Departement Dermatologie, Experimentelle
Allergologie.
[email protected],
www.atopica.eu
2/17
21
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Biologische
Kohlenstoffspeicherung
- Umsatz und Kapital nicht verwechseln
Prof. Dr. Christian Körner, Basel1
Der Fokus auf biologische Optionen zur Senkung des
CO2-Gehalts in der Luft ist ein Ablenkungsversuch.
Es ist unvermeidlich, fossile Energie zu sparen und
unser Energiesystem klimafreundlich umzubauen.
In der Wirtschaft kann die Verwechslung
zwischen Umsatz und Kapital zum Ruin
führen. Diese Verwechslung zieht sich aber
wie ein roter Faden durch die Diskussion
über die biologische Einlagerung von CO2
bzw. Kohlenstoff (C): Wissenschaft und
Öffentlichkeit setzen das Pflanzenwachstum
(Teil des Umsatzes) mit der langfristigen
Festlegung von C im Ökosystem (Kapital)
gleich. Die Fehlüberlegung bewirkt, dass
das Potenzial des Ökosystems als CO2Senke2 massiv überschätzt wird. Auch das
Ausmass, in dem nachwachsende Rohstoffe
fossile Energieträger ersetzen können, ist
langfristig bescheiden – von den sozialen
und ökologischen Folgen ganz abgesehen.
Biologische Möglichkeiten
der CO2-Entlastung
Es gibt zwei grundsätzlich unterschiedliche
Wege, die Atmosphäre biologisch von CO2
zu entlasten: 1. Den Kohlenstoff (C), der in
Form von CO2 aus fossilen Energieträgern
freigesetzt wurde, in Pflanzen zu binden. 2.
Die fossilen C-Ressourcen durch nachwachsende zu ersetzen.
In der Regel bringt der Ersatz fossiler
Brennstoffe durch eine effiziente Nutzung
nachwachsender Rohstoffe deutlich grössere
und vor allem auch dauerhafte CO2-Einspareffekte [1]. Dennoch dominiert das
Bindungs-Potenzial durch Pflanzen die internationale Kohlenstoffdiskussion. Da fast
90% des weltweit (und auch national) in Biomasse gebundenen Kohlenstoffs in Bäumen
festgelegt ist, betrachte ich hier nur Wälder.
Was nützt das Pflanzenwachstum
der Atmosphäre?
Wachstum ist Teil des Kohlenstoff-Kreislaufs
im Ökosystem (Umsatz) und somit kein
Mass für die Grösse des Kohlenstoff-Vorrates
in Form von Biomasse (Kapital). In der Regel
ist der Zusammenhang sogar ein negativer:
Während der C-Vorrat mit dem Alter eines
Ökosystem steigt, verlangsamt sich das
Wachstum [2], weil Bäume bekanntlich nicht
in den Himmel wachsen. Von KohlenstoffFestlegung kann man aber nur sprechen,
wenn neue, dauerhafte C-Depots entstehen,
z. B. ein neuer Wald auf vorher unbewaldetem Gelände. Ein wachsender Baum in
Der Ozean ist kein Pool für C-Speicherung
Als potenzieller C-Speicher eignet sich im
Wesentlichen nur der terrestrische Lebensraum. Die Fähigkeit des Ozeans, C in Form
von CO2 zu binden, beruht im Wesentlichen
auf dem CO2-Lösungsgleichgewicht zwischen Luft und Wasser [7]. Je wärmer das
Wasser ist (und mit der Klimaerwärmung
wird), umso weniger CO2 kann es aufnehmen.
22
2/17
Je mehr CO2 im Wasser als Kohlensäure
gelöst ist, umso saurer wird es. Das reduziert
die Löslichkeit von CO2 im Wasser zusätzlich. Die ozeanische Biomasse stellt keine
nennenswerte Senke dar: Sie entspricht nur
etwa 0.2 % der globalen. Ebenso wenig trägt
der biologische Fallout in die Tiefsee bei.
einem bestehenden Wald hingegen ist nur
ein vorübergehendes Depot. Ihm steht
irgendwo Kohlenstoff-Freisetzung (in Form
von CO2) durch sterbende, geerntete oder
dem Feuer zum Opfer gefallene Bäume gegenüber. Für die C-Festlegung zählt nur die
Bilanz zwischen Pflanzenzuwachs (C-Bindung) und Pflanzenverlust (C-Freisetzung)
sowie die Verweildauer des festgelegten
Kohlenstoffs im System [3]. Schnellwüchsige Holzplantagen mit kurzer Umtriebszeit
weisen besonders kleine Kohlenstoffvorräte
auf (vgl. Abb. 1).
Die Stoffflüsse in der
Landschaft entscheiden
Ein Waldstück mit mehrheitlich wachsenden Bäumen stellt also in einem bereits bewaldeten Gebiet langfristig keine C-Senke
dar. Diese Annahme ist sogar in der wissenschaftlichen Literatur weit verbreitet.
Solche Studien erheben das Wachstum einzelner Bäume, interpretieren es aber als Vorratszuwachs in der Landschaft. Auf dieser
übergeordneten Ebene gleichen sich jedoch
in der Regel die Kohlenstoffflüsse in das
Ökosystem und aus ihm heraus langfristig
aus. Solange sich die Waldfläche und/oder
die Nutzungsintensität nicht verändern,
verändert sich auch der durchschnittliche
Kohlestoffvorrat des Waldes kaum.
Bei nachhaltiger Forstwirtschaft (also konstantem Gesamtvorrat) stehen in unseren
1
2
3
www.aefu.ch
Dieser Beitrag ist eine gekürzte und aktualisierte Fassung
eines Beitrags in GAIA 4:288-293, 2009.
Als CO2-Senke (auch Kohlenstoff-Senke) wird ein Reservoir bezeichnet, das langfristig oder dauerhaft Kohlenstoff aufnimmt und speichert und damit der Atmosphäre
entzieht.
http://naturschutz.ch/news/co2-duenger-komplett-ausder-luft-gegriffen/115931
geografischen Breiten im Jahr etwa 99% des
Waldes im Wachstum (bauen also gerade C
ein), während ein Prozent in der Erntephase
ist, also C verliert. Über einen langen Zeitraum (in Mitteleuropa ca. 100 Jahre) und
grosse Flächen setzt aber dieses eine Prozent
letztlich ebenso viel CO2 frei, wie die wachsenden 99% im gleichen Jahr festlegen. Die
Aufnahme von Kohlenstoff in die Biomasse
erfolgt langsam, die C-Freisetzung erfolgt
hingegen sehr schnell (durch Ernte, Absterben, Windbruch, Feuer). Selbst wenn Holz
verbaut wird, zählt nur der Netto-C-Einbau.
Wie entstehen die irreführenden
Schlussfolgerungen?
Die Forschung untersucht vor allem Wälder
in der Wachstumsphase: Auf Kahlschlag-,
Windwurf- oder Feuerflächen baut kaum
jemand teure Messtürme zur Erfassung der
Kohlenstoffbilanz auf. Daher dokumentieren
die Messung von CO2-Flüssen am intakten Wald die an sich triviale Tatsache, dass
ein Wald wächst, also C einbaut [4]. Über
die Kohlenstoffbilanz auf der Landschaftsebene ist damit noch nichts ausgesagt. Die
99 Mal grössere Wahrscheinlichkeit, wachsende statt sterbende Parzellen zu erfassen,
obwohl die Beiträge beider an der C-Bilanz
ungefähr gleich gross sind, verursacht eine
statistische Verzerrung [5]. Das führt zu einer systematischen Überschätzung der
Landschaft als C-Senke [6].
Wie die biologische
C-Festlegung fördern?
Der Löwenanteil des CO2 aus fossilen
Brenn- und Treibstoffquellen wird aus diffus
verteilten Quellen freigesetzt (Fahrzeuge,
Haushalte, Gewerbe, Grossteil der Industrie).
Selbst grosse CO2-Punktquellen (z.B. Kohlekraftwerke) stehen selten an Stellen, wo das
freigesetzte CO2 allenfalls im Untergrund
dauerhaft gelagert werden könnte. Diffus
verteilte C-Quellen erfordern ebenso diffus
verteilte C-Senken. Dazu eignet sich im Wesentlichen nur die Vergrösserung der C-Pools
Abbildung 1: Je höher die Wachstumsgeschwindigkeit, desto kleiner ist der Vorrat an Biomasse-Kohlenstoff in Wäldern.
Aus besonders raschen Erntezyklen (rasche Rotation) in hochproduktiv gehaltenen Plantagen resultiert wenig Vorrat
pro Fläche. Links: langsamwüchsiger Naturwald (grosser C-Vorrat), ganz rechts: rasch wüchsige Plantage (kleiner
C-Vorrat).
in den terrestrischen Ökosystemen, besonderes in Wäldern (vgl. Kasten links). Punktuelle technische Lösungen sind chancenlos.
Es gibt drei biologische Wege, Kohlenstoff
einzufangen: 1. Man forstet geeignete, derzeit unbewaldete Landflächen auf. Aufforstung steht aber in Konkurrenz zu anderen
Landnutzungsformen wie Weideland und
Ackerflächen.
2. Die Speicherdichte in bestehenden
Wäldern wird erhöht, z. B. durch UnterNutzung. In genutzten Wäldern wird der
Vorrat von der Umtriebszeit bestimmt: Je
länger man die Ernte hinauszögert, desto
grösser wird der Vorrat. Man kann biologische C-Speicher aber nur einmal ‹füllen›, das
Wachstum kommt an eine natürliche Grenze. Gleichzeitig steigt in einem Altbestand
das Risiko von Zusammenbrüchen, bei
denen C durch Zersetzung oder Verbrauch
als CO2 wieder frei wird. Der Sturm Lothar
fällte in der Schweiz in wenigen Stunden
etwa drei Jahresernten an Holz.
3. Kohlenstoff wird im Humus der Böden
gespeichert.
Der C-Vorrat im Boden ist global etwa
dreimal so gross wie der Vorrat in der
gesamten Biomasse. Allerdings wird im
Boden Kohlenstoff nicht in reiner Form (z. B.
Diamant, Graphit, Russ) gespeichert,
sondern nur in Verbindung mit anderen
Pflanzennährstoffen und in Kombination
mit Tonmineralen. In diesen Ton-HumusKomplexen sind die Pflanzennährstoffe
langfristig gebunden und werden nur unter
bestimmten Voraussetzungen von Mikroben
‹frei gegeben›. Die C-Speicherung durch
Humusbildung tritt also sofort in Konkurrenz zur Nährstoffversorgung der Pflanzen.
Sie geht auch extrem langsam vor sich und
ist daher als steuerbare C-Senke eher unbedeutend [8].
Treibt CO2 und Stickstoff die
Kohlenstoffbindung an?
Die Fotosynthese ist beim heutigen CO2Gehalt der Luft von rund 400 ppm nicht
ausgelastet und sollte also bei grösserem
CO2-Angebot auch mehr C binden. Wie wir
heute aber wissen, führt das nicht zu mehr
Wachstum, ausser man führt auch andere
lebensnotwendige Nährstoffe zu [9]. Aber
selbst wenn mit Mineraldünger eine Wachstumssteigerung eintritt, beschleunigt das
nur die Ernte oder das Erreichen der natürlichen Alterung, führt also nicht zu einer
erhöhten, dauerhaften Speicherung von C
(vgl. Kasten unten).
Mit Gurkenidee gegen den Klimawandel?
Im Juni 2017 ging in Hinwil/ZH das erste
Gurkengewächshaus in Betrieb, das mit aus
der Luft gefiltertem CO2 ‹gedüngt› wird.3 Den
Klimanutzen, den sich die Betreiber davon
versprechen (CO2-Problem wird Gurke),
ist blanker Unsinn. Unter optimalen Bedingungen (genug Wärme, Wasser, Dünger)
beschleunigt zusätzliches CO2 zwar das
[email protected]
Gurkenwachstum, aber sobald die Gurken gegessen sind, ist das meiste CO2 wieder in der
Luft (durch uns veratmet). Den Rest besorgen
die Mikroben in den Abwasserreinigungsanlagen. Ein Kommentar zum Medienbericht
trifft den Kern: «Und dann sollen wir einfach
langsamer atmen, nachdem wir das Gemüse
gegessen haben?»
2/17
23
W ä l d e r l ö s e n n i c h t u n s e r C O 2- P r o b l e m
Schnellwüchsige Pappelplantage mit wenig Biomassenvorrat im Bestand.
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W ä l d e r l ö s e n n i c h t u n s e r C O 2- P r o b l e m
In naturnahen Wäldern ohne künstliche
Nährstoffzufuhr kann es kein allein CO2getriebenes Wachstum geben. Es würde sofort einer der anderen lebensnotwendigen
Pflanzennährstoffe zum limitierenden Faktor. Neben hunderten CO2-AnreicherungsExperimenten in ‹gärtnerischen› Testsystemen, gibt es bis heute nur vier Datensätze
aus Naturwald. Alle vier zeigen einen
Nulleffekt (Zitate in [10], [11], für Tropenwälder siehe [12]). Selbst raschwüchsige
Plantagen zeigen in wenigen Jahren nach
erfolgtem Kronenschluss einen Nulleffekt
[13]. Ebenso bewirken wachstumsfördernde
höhere Temperaturen oder grössere Stickstoffeinträge aus der Luftverschmutzung
keine dauerhafte Erhöhung der Kohlenstoffspeicherung. In Mitteleuropa übersteigt der
anthropogene Stickstoffeintrag längst den
Bedarf der Wälder und es wurden andere
Nährstoffe, die nicht vom Himmel fallen
(z. B. Phosphor), limitierend [14].
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könnte in der Landwirtschaft bis zu 4% des
jährlichen CO2 aus fossilen Quellen im so
vermehrten Humus festgelegt werden, was
dem jährlichen Energieverbraucht in der
Landwirtschaft entspricht [15]. Der Effekt
dieser massiven Massnahme wäre also klein.
Rogier et al. [16] zeigten, dass für extensiv
genutztes Grünland (ähnlich wie beim
Wald), die Erhaltung alter, C-reicher Böden
die bessere Option ist.
Nachwachsende KohlestoffQuellen
Pflanzliche Produkte vermehrt als Werk-,
Brenn- und Treibstoff einzusetzen, ist unter
bestimmten Bedingungen wünschenswert
und kann im Gegensatz zu KohlenstoffFestlegung ‹ewig› fortgesetzt werden. Der
breiten Öffentlichkeit ist aber nicht bewusst,
in welch beschränktem Umfang das bloss
möglich wäre (vgl. [1]). Z. B. Holz: Knapp
ein Drittel der Schweiz ist mit Wald bedeckt.
Jährlich werden daraus 1–1,2 Millionen Tonnen Kohlenstoff geerntet. Würde man damit
1:1 fossile Brenn- und Treibstoffe ersetzen
(keine andere Holznutzung, keine Berücksichtigung der Energiedichte), könnte man
rund 8% des derzeitigen Konsums von etwa
15 Millionen Tonnen an fossilem C pro Jahr
kompensieren. Unser Energiekonsum ist
also derzeit vom Potential nachwachsender
Rohstoffe weitgehend entkoppelt.
Treibstoffe vom Acker
sind ein No-go
Die Option «Energie vom Acker» ist von
vornherein inakzeptabel. Es ist eine Perversion unserer Gesellschaft, Mobilität über
Nahrung zu stellen. Zum hohen Preis von
negativen Umweltfolgen und Konkurrenzierung der Nahrungsmittelproduktion
könnten Agrartreibstoffe dennoch bloss
5% der fossilen Energie ersetzen. Ausserdem werden damit bedenkliche Illusionen
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www.aefu.ch
Zeit erkaufen, schinden.
Natürlicher Laubmischwald. Je ältern und weniger genutzt der Bestand, umso mehr gebundener Kohlenstoff enthält er.
Doch dieser Speicherzuwachs gelangt an eine natürliche Grenze.
© Christian Körner
genährt: Mit etwas beigemengtem Biosprit
fährt man mit gutem Gewissen – anstatt gar
nicht, weniger oder mit sparsamerem Auto.
Die Vergasung biologischer Abfälle dagegen
ist sinnvoll [17].
Schlussfolgerung
Waldwachstum darf nicht mit Kohlenstoffspeicherung gleich gesetzt werden, so
wie Umsatz nicht Kapital darstellt. Auch
wenn die Ausdehnung der Waldfläche und
die Steigerung der Holzdichte im Wald
möglich sind, sind dies doch zeitlich und
räumlich sehr begrenzte Optionen. Eine
heutige Zurückhaltung bei der Waldnutzung beschert nachfolgenden Generationen
eine Welle der CO2-Freisetzung, wenn die
überalterten Wälder zusammenbrechen.
Diese CO2-Welle könnte zu einem Zeitpunkt
auftreten, wenn das Klimasystem noch sensibler ist.
Dieser Darstellung der Kohlenstoffdiskussion halten Kritiker meist folgende Vorbehalte entgegen: 1. Jede noch so kleine
Massnahme sei wichtig, weil deren Summe
letztlich doch zur Reduzierung der CO2Emissionen beitragen würde. 2. Wir müssten
das Problem jetzt angehen und könnten
[email protected]
nicht zuwarten. Selbst ‹buying time›4 durch
periodische Unternutzung müsse ausgenutzt werden [18]. Beides erachte ich als
gefährlich: Die kleinen Massnahmen suggerieren der Öffentlichkeit und der Politik,
es gebe ‹grüne› Wege, das Problem anzugehen. ‹Buying time› ist nichts anderes als das
Problem den Kindern und Enkelkindern
zuzuschieben. Es gilt also, die minimalen
Effekte der biologischen Optionen zur CBindung zu erkennen und noch ernsthafter
Energie zu sparen.
Prof. Dr. Christian Körner studierte
Biologie und Geowissenschaften an der
Universität Innsbruck(A). 1989 wurde er
Ordinarius für Botanik an der Universität Basel. Er ist einer der fünf Autoren
des Strasburger, des Standardlehrbuchs
im Fach Botanik des Biologiestudiums.
Körners Forschungsschwerpunkte sind
die Experimentelle Ökologie der
Pflanzen, insbesondere der Pflanzen in
Hochgebirge und Forstbereich. Seit 2014
ist Christian Körner emeritiert.
[email protected]
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Quecksilber der Lonza AG im Wallis
Bestellen
‹Lonza-Gärten›:
Flickwerk
statt echte Sanierung?
Martin Forter, AefU
Der Chemie- und Pharmakonzern Lonza hatte die
‹Quecksilbergärten› im Wallis unseriös untersucht. Jetzt
scheint die Firma auch nur halbpatzig aufzuräumen.
Die AefU und der WWF Oberwallis halten dagegen.
Im September 2014 und im April 2015 haben
die AefU und der WWF Oberwallis mit eigenen Analysen gezeigt: Die Lonza AG und
das von ihr beauftragte Ingenieurbüro Arcadis (ehemals BMG) hatten die mit Quecksilber verschmutzten Gärten in Visp und
Raron (VS) nicht seriös genug untersucht. In
angeblich unbelasteten Gärten fanden sich
z. T. hohe Quecksilberkonzentrationen. Die
AefU verlangten erfolgreich, dass die Lonza
eine systematische Nachuntersuchung vornimmt.
Umweltverbänden lagen richtig
Die Dienstelle für Umweltschutz (DUS)
des Kantons Wallis bestätigt nun die Kritik
von AefU und WWF. Den EigentümerInnen der Quecksilbergärten schreibt sie im
Februar 2017: Es müsse «davon ausgegangen werden, dass es auch auf Parzellen, bei
denen bisherige Untersuchungen eine Belastung unter 2 mg Hg/kg gezeigt haben, noch
sanierungspflichtige Flächen geben kann»
Die AefU kümmern sich seit 2014 um die
Quecksilberverschmutzung im Wallis, die
der Weltkonzern Lonza verantwortet. Eigene
Analysen in Zusammenarbeit mit dem WWF
Oberwallis haben erst die Dimensionen dieser
grösstflächigen Bodenvergiftung der Schweiz
und viele Ungereimtheiten bei den Vorbereitungen der Aufräumarbeiten ans Licht geholt.
AefU und WWF verlangen die vollständige
Sanierung der Quecksilbergärten auf Kosten
der Lonza.
Mehr zum Thema Quecksilberverschmutzung im Wallis unter www.aefu.ch/lonza.
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Sanierung eines mit Quecksilber belasteten Kinderspielplatzes in Visp (VS) durch die Verursacherin Lonza, im
April 2017.
© OEKOSKOP
– also solche mit über 2 mg Quecksilber pro
Kilogramm Boden. D. h., alle Gärten, die
Verschmutzungen zeigten, könnten theoretisch über dem Sanierungswert liegen. Peinlich: Die Lonza, der selbsternannte «globale
Leader in Life-Sciences» war in den letzten
drei Jahren nicht in der Lage, seine Quecksilberverschmutzung rund um Visp und Raron
zuverlässig zu erfassen. Die DUS kündigte
weitere Untersuchungen an.
Mehr Untersuchungen
oder ein Sicherheitsfaktor
Die AefU und der WWF fordern vom Verwaltungsratspräsidenten der Lonza, Rolf
Soiron, dass der Konzern wahlweise:
• die rund hundert Parzellen, die er bisher
als nicht sanierungsbedürftig klassierte,
intensiv nachuntersucht (eine Probe pro
Quadratmeter), um so die Heterogenität
der Verschmutzung zuverlässiger zu erfassen;
www.aefu.ch
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• einen Sicherheitsfaktor einbaut, um
der sehr ungleichen Verteilung der Verschmutzung innerhalb der Gärten gerecht
zu werden. Gärten, deren Bodenproben
mit – je nach Vorgehen – 0.5 bzw. 1 mg
Hg/kg belastet sind, soll die Lonza vollständig sanieren.
Preise
Geteilte Gärten –
zerstückelte Sicherheit
Die Lonza räumt inzwischen zwar ein, dass
sie unterschätzt hat, wie kleinräumig heterogen ihre Quecksilberverschmutzung ist.
Gleichzeitig entsteht der Eindruck, sie wolle
die Gärten mit einer Belastungen über der
Sanierungsschwelle nicht mehr vollständig
sanieren. Sie scheint nur noch jene Teilfläche
ausheben zu wollen, aus denen die übermässig belasteten Bodenproben stammen. Mit
diesem Vorgehen ist nicht garantiert, dass
unerkannt gebliebene Verschmutzungsstellen auch ausgeräumt werden.
Die AefU kritisierten dies im Januar 2017
an einer Sitzung der ‹Informations- und
Austausch-Plattform Quecksilber› mit Vertretern von Lonza und DUS scharf. Sollte
die DUS das Teilflächen-Vorhaben der Lonza genehmigen, werden die AefU und der
WWF nach den Sanierungsarbeiten wiederum eigene Analysen vornehmen.
Einsenden an: Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz,
Postfach 620, 4019 Basel, Fax 061 383 80 49
Terminkärtchen:
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Rezeptblätter:
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Der Geograf Dr. Martin Forter ist Geschäftsleiter der Ärztinnen und Ärzte für
Umweltschutz (AefU). Als technischer
Experte begleitet er u. a. für Greenpeace
Sanierungen von Chemiemülldeponien,
z. B. seit 18 Jahren den Totalaushub in
Bonfol (JU). [email protected], www.aefu.ch
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und decken sich nicht notwendigerweise mit der Ansicht der Ärztinnen
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