Zwei Knödel, ein Maul

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J. H. DARCHINGER
..
Abgeordnete im Bundestag: „Eine Schlaftablette, um die Diätenerhöhung durchzubringen“
Besatzungsmitglieder der aus Moskau
eingetroffenen Boeing 737 auf mögliche
Strahlenbelastungen überprüft. „Eine
Veränderung am Meßgerät“, heißt es lapidar, „wurde nicht festgestellt.“
Fündig wurden die Strahlendetektive
dagegen im Innern der Passagiermaschine. Mit „staubsaugerartigen Ger äten“,
erinnert sich ein Crew-Mitglied, seien
die Männer an Bord der von Passagieren geräumten Boeing gegangen. Die
Frage, ob sie eine Art Reinigungskolonne seien, verneinten die Herren in
Schutzkleidung – ausweisen mochten sie
sich aber auch nicht.
„In Höhe der Sitzreihe vier auf der
rechten Seite – oberhalb der geöffneten
Ladeluke für Gep äck“, so das Protokoll
des Meßtrupps, wurde erhöhte Strahlung gemessen.
Die „ging erst wieder auf das normale
Maß zurück, als ein Teil der Gep äckstücke aus der Maschine ausgeladen und
auf einen Gep äckwagen gelegt worden
sind“, notierte der Strahlentrupp. Der
Grund: Torres’ schwarzer Hartschalenkoffer mit der strahlenden Konterbande
war ausgeladen worden und befand sich
auf dem Weg in die Gep äckhalle C.
Wäre Torres’ pulveriges Teufelszeug
aus dem Hartschalenkoffer entwichen,
hätten die 363 Gramm Plutonium-Pulver alle Menschen an Bord vergiftet.
Wer Plutonium-Staub einatmet, stirbt
zwar nicht gleich, doch der schleichende
Krebstod ist so gut wie gewiß.
Alles Miesmacherei. Trost und Zuspruch bekam Schmidbauer, als er vergangene Woche nach Madrid reiste, wo
sein Duzfreund Fischer-Hollweg die
Stellung hält. In der spanischen Hauptstadt nahm der Bonner das Großkreuz
des spanischen Verdienstordens entgegen: für seine Verdienste um die gute
Zusammenarbeit der Geheimdienste
beider Länder.
Y
24
DER SPIEGEL 16/1995
Abgeordnete
Zwei Knödel,
ein Maul
Der Bonner Bundestag soll reformiert werden: Weniger Parlamentarier bekämen mehr Geld.
olitische Raffkes“ und „schamlose
Absahner“ müssen sich Bayerns
Parlamentarier derzeit schimpfen
lassen. Reihenweise drohen Mitglieder
aller Parteien mit ihrem Austritt. Erzürnte Bürger überschütten Parteien
und Zeitungsredaktionen mit Protestbriefen. Soviel öffentlichen Aufruhr hat
Bayern lange nicht mehr erlebt.
Wenige Monate nach der Wahl wollten sich die Abgeordneten des bayerischen Landtages einen lang gehegten
Wunsch erfüllen, den sie bis dahin sorgsam geheimgehalten hatten: Sie suchten, ohnehin schon Spitzenverdiener aller Landtage, ihren Vorsprung weiter
auszubauen.
P
Koloß Bundestag
Zahl der
Abgeordneten
672
Deutschland
651
Großbritannien
630
Italien
Frankreich
USA*
577
535
*Kongreß
Die Grundentschädigung soll von derzeit 8700 Mark auf 11 087 Mark ansteigen, ein Plus von 27 Prozent. Zudem
wünschen sich die bayerischen Volksvertreter eine Neuregelung der steuerfreien
Aufwandsentschädigung, gestaffelt von
4255 bis 5182 Mark. Bislang gibt es ein Fixum von 4711 Mark.
Der Aufschrei der Basis hat die Abkassierer verwirrt. Während Hartgesottene
Durchhalteparolen verbreiten, seilen
sich andere ängstlich ab oder ziehen den
Kopf ein.
In Bonn aber haben die bayerischen
Begehrlichkeiten ein Nachbeben ausgelöst. Denn die Bundestagsparteien basteln ebenfalls – unter dem unverdächtigen Stichwort „Parlamentsreform“ – an
einem neuen Einkommensmodell. Jetzt
müssen sie fürchten, daß der Widerstand
gegen ihre Pläne wächst.
Eine unabhängige Kommission, einberufen von Bundestagspräsidentin Rita
Süssmuth (CDU ), hat den Vorschlag unterbreitet, die Diäten von monatlich
10 366 Mark auf 14 000 Mark heraufzusetzen. Zum Ausgleich sollen, anders als
in Bayern, die erklecklichen Übergangsgelder und die luxuriösen Pensionen gekürzt werden. Die steuerfreie Aufwandsentschädigung soll von Einzelnachweisen
abhängig gemacht werden.
„Nach dem Aufruhr“, glaubt Rolf von
Hohenhau, Präsident des bayerischen
Steuerzahlerbundes, „werden die solche
Vorschläge nur schwer durchbringen.“
Dabei haben sich die Bonner Freunde
höherer Diäten umsichtig auf die öffentliche Diskussion vorbereitet. Schon zwei
Jahre lang hatten sich die Bundestagsabgeordneten, die laut Gesetz über ihre
Einkünfte selbst entscheiden dürfen,
Reallohnverluste beschert: Die Diäten
wurden nicht erhöht.
Die Kommission hat zudem herausgefunden, daß ein Bonner Volksvertreter
DEUTSCHLAND
jeden Bürger genau 1,36 Mark pro Jahr
kostet. Im Vergleich zu anderen Industrienationen gehören deutsche Abgeordnete demnach zu den preiswertesten
ihrer Spezies. Nur in Großbritannien
(1,15 Mark), in Australien (1,01 Mark),
in Spanien (0,87 Mark) und in den USA
(0,71 Mark) sind sie kostengünstiger.
Aber wie sagt man’s dem Souverän,
und wen interessieren solche Vergleiche
schon?
Die gebeutelten Bonner Politiker
ahnten offenbar bereits das Schlimmste. Dem zahlenden Publikum wollten
sie den tieferen Griff in die Kasse
durch vertrauensbildende Maßnahmen
schmackhaft machen.
„Parlamentsreform“ heißt das alte
und neue Zauberwort. Der Bundestag
möchte sich künftig fürs werte Publikum
weiter öffnen, und die Zahl der Abgeordneten soll reduziert werden. Jeden
Donnerstag will sich das Parlament der
Öffentlichkeit – womöglich auf eigenem
TV-Kanal – „als Forum darstellen“,
welches „die grundsätzlichen und für die
Allgemeinheit bedeutenden Fragen aufgreift und grundlegend behandelt“.
Ausschüsse sollen jeden Mittwoch und
bei Bedarf auch am Freitag im alten
Wasserwerk als „Fachparlament“ tagen;
in aller Öffentlichkeit.
Weniger populär ist die Idee, daß sich
im Bundestag fortan nur noch 500 statt
672 Volksvertreter tummeln. Der
schlanke Bundestag ist das Lieblingsprojekt der Planer im Präsidentenflügel
– „eine Schlaftablette“, argwöhnt dagegen Bundestagsvize Burkhard Hirsch
(FDP ), „um die Diätenerhöhung durchzubringen“.
Die Verkleinerer führen bewegte Klage über den unbeweglichen Koloß.
„Erheblicher Zeitaufwand“ sei erforderlich, um die Arbeit unter 294 Mitgliedern der Fraktion abzustimmen, bemängelt Joachim Hörster, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU.
SPD-Kompagnon Peter Struck hat
„heute Mühe, meine 252 Leute auf die
Reihe zu kriegen“.
Die Union bringe etwa 80 ihrer Mitglieder auf attraktiven Posten unter,
klagt Struck. Die Hälfte davon sitzt in
der Regierung. Die große Oppositionspartei dagegen hat Probleme, ihre vielen Mandatsträger sinnvoll zu beschäftigen. Die Folge ist eine Gremien-Inflation.
Mehr als 260 Ausschüsse und Kommissionen, Arbeits-, Projekt- und Querschnittsgruppen gibt es im Bonner Parlamentsbetrieb. Der Auswärtige Ausschuß gebar durch Zellteilung vier Subgremien. Lange feilschten die Sozialdemokraten, um in begehrten Ausschüssen durch Vermehrung der Sitze Platz
für Genossen zu schaffen. Phantasievolle Parlamentarier kreierten Spezialaufgaben. So ziert Renate Rennebach
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DER SPIEGEL 16/1995
wohnern müssen danach neue Grenzen
erhalten.
Schon die dann fällige Reduzierung,
die ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vorschreibt, schafft große Unruhe. Was aber erst bei der geplanten Verkleinerung des Bundestages auf 500 Sitze herauskäme, wird in der Studie für
die nordrhein-westfälische SPD drastisch ausgemalt: „Alle Wahlkreise unter 200 000 Wahlberechtigten müssen
mit einer Änderung ihrer Wahlberechtigtenzahl, sogar mit Zerteilung, Neuordnung und auch Auflösung rechnen.“
Es sei fraglich, „ob danach die politische
Volkes Lohn Monatliche Bezüge der Abgeordneten
Landschaft in NRW
in den Landesparlamenten in Mark
noch die gleiche SPDDominanz aufweist“.
aufwandsWohl nicht. „Wenientschädigung insgesamt
diäten
ger SPD-Direktmandate heißt auch weniger
8700
4711
Bayern
13 411
Listenplätze“, so die
850 11 820
Hessen 10 970
Studie. Es bestehe „die
Gefahr, daß ländliche,
9700
1870 11 570
Niedersachsen
großflächige Wahlkrei8779
1950 10 729
Rheinland-Pfalz
se ohne SPD-ListenMdBs wären und damit
8165
2191
Nordrhein-Westfalen
10 356
uneingeschränkter Ein7625
1796
Saarland
9421
flußbereich des politischen Gegners“.
7007
1803
Thüringen
8810
Die radikale Lösung,
6592
Sachsen
2160
8752
das Parlament durch
6900
Baden-Württemberg
8729
1829
Einführung des Mehrheitswahlrechts zu verSchleswig-Holstein
6930
8530
1600
kleinern, halten selbst
Brandenburg
7932
6230
1702
ihre Verfechter für unrealistisch, und die
Meckl.-Vorpommern
7540
5620
1920
Gegner verweisen auf
Sachsen-Anhalt
7400
5600
1800
Ungereimtes:
Nach
dem MehrheitswahlsyBerlin
6380
4980
1400
stem kann eine Partei
Bremen
4968
4241
727
ohne Stimmenmehrheit
gleichwohl die absolute
Hamburg
1920
1920
Mehrheit der Mandate
erhalten und umgekehrt – so wiederholt geschehen im briSchon die Anwendung des geltenden
tischen Unterhaus. Neue und kleine
Wahlgesetzes bereitet den ParteistrateParteien haben keine Chance.
gen großes Kopfzerbrechen. Es schreibt
nämlich vor, daß die Bevölkerungszahl
Das anglo-amerikanische System
pro Wahlkreis annähernd gleich sein
brächte in Deutschland den Exitus für
sollte.
Gr üne und Freidemokraten. Aber weder die Union noch die SPD haben ein
Die allermeisten Wahlkreise bestehen
Interesse daran, künftige oder derzeitinoch in den Grenzen von 1949. Längst
ge Koalitionspartner zu verlieren.
aber hat sich die Zahl der Einwohner
Die Diätenaufstockung in einem Padurch Zu- und Abwanderung so dramaket zur Gesamtreform zu verstecken,
tisch verändert, daß eine Bestandsaufdas hat Struck schon gemerkt, ist auch
nahme unumgänglich werde, meint
nicht die Lösung: „Wenn wir das zusamHörster. Er hält daher die Überprüfung
menbinden“, fürchtet er, „dann kommt
aller Wahlkreise für überfällig.
die Diätenerhöhung nie.“
Allein in Nordrhein-Westfalen müsDie Bayern haben bereits den Rücksen 1996 sieben Wahlkreise nach den
zug angetreten. Sie warten die VorschläMaßstäben des Bundesverfassungsgege einer Diätenkommission ab, die das
richts neu geschnitten werden. Die Beauch in Bayern beliebte Nullrunden-Arvölkerungszahl weicht nämlich dort um
gument sicher nicht beeindruckt. „Des
mehr als ein Drittel vom Durchschnitt
is“, so ahnt der Oberpfälzer SPD-Geab, der nach einer SPD-Studie für
schäftsführer Martin Auer, „wia wennst
Nordrhein-Westfalen bei etwa 200 000
nach oaner Fastenkur zwoa Knödel auf
liegt. Die Wahlkreise Bielefeld mit
oamoi ins Maul schlabst.“
284 240 und Gütersloh mit 290 275 EinY
die SPD-Fraktion als „sektenpolitische
Sprecherin“.
Derlei Absurditäten haben mit der
Gr öße des Parlaments zu tun. Doch die
Chancen, den Bundestag zu verkleinern, räumt CDU-H örster ein, „sind
derzeit nicht einschätzbar“.
Besonders die kleinen Parteien fürchten, durch Sitzverluste in ihrer Arbeitsfähigkeit eingeschränkt zu werden. Die
Großen, trommelt der Altliberale
Hirsch, versuchten jetzt, „durch einen
neuen Zuschnitt der Wahlkreise ihre alte Macht zu sichern“.
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