Das Stadttheater Beckum Ein Zeitzeuge dieses Jahrhunderts "Es

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Das Stadttheater Beckum
Ein Zeitzeuge dieses Jahrhunderts
"Es war zweifellos ein großzügiger Entschluß, als der Gastwirt, Hotelier und
Brennereibesitzer Ferdinand Frölich daranging, dem vorhandenen ansehnlichen
Gebäudekomplex seiner Besitzung noch einen großen Saalbau anzugliedern, und die
Eröffnung dieses Saales war ebenso zweifellos ein großes Ereignis. Weit und breit
gab es keinen Saal dieser Größe, der 1000 und mehr Personen faßte, und so wurde
der Frölich'sche Saal bald ein Begriff, nicht bloß in Beckum, sondern auch für das
ganze Kreisgebiet."
Als Benno Frölich dies in seiner Familienchronik schreibt, sind bereits 49 Jahre vergangen,
nachdem sein Vater um 1900 den ersten Grundstein zum Bau des Saales gelegt hatte. Ein Jahr
später, am 25. Januar 1901, erfolgte die Gebrauchsabnahme, das Haus wird der Öffentlichkeit
übergeben.
Und wenn Franz Blömeke des Kaisers Geburtstag feierte, Karl Zurhorst mit den SebastinaerSchützen in einer großen Polonäse bis zum Markt zog, Hedwig Schrulle den Zirkus besuchte,
Hugo Lütke Möbel kaufte, Helene Schulte an der großen Volksmission teilnahm, Franz
Schmiebusch Reichskanzler Brünings Rede in Beckum hörte, Ferdinand Frölich von großen
Saalschlachten zu berichten weiß, Alfred Schwarze bei einer Karnevalssitzung am Seil durch
den ganzen Raum flog, Theo Plote am Reck turnte, Stefan Kröger dem Sängerbund lauschte,
so sind dies verschiedene Begebenheiten, die eines nur gemeinsam haben: sie trugen sich alle
an ein und dem selben Ort zu, im alten Frölich'schen Saal.
50 Pfennige zahlte man für ein Viertelpfund Bohnenkaffee und einen halben Liter Milch. Oder
für einen halben Liter gewöhnlichen Schnaps. 50 Pfennige zahlte man für eine Meisterstunde.
Oder soviel bekam der Frisör für fünfmal Haarschneiden.
54.000 Mark zahlte Ferdinand Fröhlich für seinen Saalbau. Mit dem Geld hätte man über 100
vierköpfige Familien ein Jahr lang ernähren können.
So wurde auf Frölichs feuchten Weideland ein Saal errichtet, dessen Grundfläche nahezu
1.000 Quadratmeter umfaßte.
Ein Auszug aus der Baubeschreibung
Baugesuch des Gastwirts Ferdinand Frölich vom 26.3.1900
Außenmaße 20,80m x 41,44m = 861,95qm Grundfläche außerdem angebaute Bühne
und "Bedürfnisanstalten" 6,88m x 16,30m = 112,14qm Grundfläche
"Vom vorderen Eingang aus sind die ersten 5,00 Meter quer durchs Gebäude als
Nutzraum gerechnet, und zwar Küche mit Speisekammer und Keller, über diese
vorgenannten Räume, welche durch eine massive 0,40 Meter starke Mauer vom
eigentlichen Saal getrennt sind, wird auf eine Höhe vom 3,35 Meter und 2,00 Meter
Breite eine Galerie gebildet und ein Podium für Musik von 8,00 Meter Länge und 2,00
Meter Breite nach dem Saal zu ausgekragt mit fester Schutzlehne nach dem Saale.
Die Galerie nebst Podium hat eine Grundfläche von 20,00m x 5,00m + 8,00m x 2,00m
= 116qm. Der Aufgang zur Galerie nebst Podium liegt neben dem Haupteingang, die
Treppe ist 1,40m breit mit fester 2 seitiger Handlehne.
Der Saal hat eine Grundfläche von 35,00m Länge 20,00 Meter Breite = 700qm. Diese
Fläche ist durch 2 Säulenstellungen in 3 Abteilungen getrennt, wovon die beiden
seitlichen je 4,50m breit gegen den mittleren Flur um 0,15m höher liegen und sollen als
Sitzplätze dienen, wogegen die mittlere Fläche 11,00m breit auch als Tanzraum dienen
soll"
Die Bühne in Anbau , welche 1,20m höher liegt wie Flur und Saal hat eine Größe von
7,00m Länge 9,00m Breite = 63qm Grundfläche bei 4,00 resp. 4,85m Höhe. Der
Zugang zur Bühne ist vom Saale aus durch Flur mit eingelegter Treppe von 1,00m
Breite. Neben der Bühne liegt auf jeder Seite in Höhe der Bühne ein 12,00qm großes
Ankleidezimmer und auf der Zugangsseite ein Abort.
Auf jeder Seite neben der Bühne befinden sich mit Flur in Saalebene die
Bedürfnisanstalten links für Damen, rechts für Herren. Der Zugang ist vom Saal aus
mit eingebauten Vorplatz und sind für Damen 3 Sitze vorgesehen, für Herren 3 Sitze
und 5 Stände; die für Herren ist auch von außen (vom Garten aus) zu betreten. Die
nötigen Gruben werden zementiert und für genügende Lüftung Abführung der Gase
Sorge getragen."
"Die Beleuchtung wird durch elektrisches Licht hergestellt. Eine Brauerei nebst
Brandweinlager liegen 21 Meter vom Saalgebäude entfernt. Die Kulissen werden aus
Leinwand hergestellt und mit Ölfarbe gestrichen. Versammlungen werden nicht
abgehalten, dagegen zwei bis drei Aufführungen, Konzerte und Bälle finden statt.
Verschläge unter Treppen sowie feste Sitzplätze sind nicht vorhanden.
Es wurde gefeiert
Welches Ausmaß die Feste hatten zeigt ein Ausschnitt eines Briefes der Köchin Catharina
Arnsberg an Hedwig Frölich nach dem alljährlichen Tierschaufest der Züchtervereinigung:
Brief vom 13.8.1912
Liebe Hedwig!
... "Zum Tierschaufest, welches in Eurem Saal gefeiert wurde, hatten wir 650
Personen zum Essen; 1500 Koteletts haben wir gemacht, 80 Pudding, 70 Schüsseln
wurden jedesmal angerichtet. Erst gab es Suppe mit Klößen, dann Rindfleisch mit
Zwiebelsoße, Gurkensalat, Wurzeln, Erbsen, Koteletts, Kalbs- und Sauerbraten,
Schweizer Pudding, Pflaumen und feine Torten.
Abends haben wir 400 Portionen ausgegeben. Das war ein Betrieb! 15 Kellner, die
machen ein Radau; Du kannst es Dir vorstellen , einer wollte noch eher bedient
werden als der andere. Wir hatten auf der Karte Englisches Beefsteak, Filet,
Hähnchen, Kalbs-, Sauerbraten, Butterbrot, verschiedenen Aufschnitt.
Morgens um 4 Uhr war Schluß. Als ich nach Hause ging, war es hell. Ich hatte keine
Begleitung nötig. Auch in Eurer Wirtschaft blühte das Geschäft...
Der erste Weltkrieg
Mit dem Ausbruch des 1. Weltkriege wurden selten noch Feste gegeben, selbst des Kaisers
Geburtstag wurde nur mit einer schlichten Feier im Saal mit Vorträgen, Gesängen,
Ansprachen und Lichtbildern gedacht. Einzig die am 23. September 1914 gegründete
Jugendwehr turnte montags bis freitags von 8 - 10 Uhr im Frölich'schen Saal.
Bereits vier Wochen nach Beendigung des Krieges fand der erste Festball statt. Man ehrte die
"im Felde unbesiegten Soldaten".
Große Volksversammlungen und Wahlveranstaltungen prägten das Bild der frühen
Nachkriegszeit. Vor allem das katholische Zentrum, aber auch die Deutschen Demokraten und
die Sozialdemokraten warben für die 1. Nationalversammlung. Die Wahlbeteiligung betrug
fast 95%, der Saal war rappelvoll und blieb es auch. Allein zu einer Versammlung der Forstund Waldarbeiter kamen über 1.000 Menschen
Die Behelfskirche
Eine ganz andere Geschichte wurde im Herbst 1919 begonnen. Im März hatte der
Kirchenvorstand und der Kirchengemeinderat beschlossen, für die 11.000-Seelen-Gemeinde
neben der Stephanus-Kirche eine Notkirche im Saal Samson-Frölich zu errichten. Bis zur
Einweihung der Marienkirche, der späteren Liebfrauenkirche, am 4. Juli 1922 wurden
Gottesdienste und 1920 sogar die Volksmission im dampfgeheizten Haus am Lippweg
abgehalten.
Der Saal hatte keine 14 Tage seine Funktion als Behelfskirche verloren, als dort wieder getanzt
wurde.
Das Möbellager
In der Inflationszeit wurde der Raum ein weiteres mal seiner eigentliche Bestimmung beraubt.
Bernhard Tingelhoff und Arnold Vester gründeten die Beckumer Möbelhandlung. Ihr
Holzlager und Verkaufsraum fand für Jahre Platz im Frölich'schen Saal. Erst geraume Zeit
nach dem Konkurs der Firma wurde in dem Saal wieder gefeiert. Jetzt vor allem das neue
Sebastianer-Schützenfest, seit Mitte der 30er Jahre auch wieder Karnevalssitzungen neben
Ausstellungen und politischen Versammlungen
Der zweite Weltkrieg
Der 2. Weltkrieg setzte einen tiefen Einschnitt. Noch vor Kriegsausbruch, Anfang 1939,
verfügte die Reichsstelle für Getreide in Berlin, den Saal mit Getreide zu belegen. Gegen Ende
des Krieges kamen schwere Teile militärischer Abteilungen im vorderen Abschnitt hinzu.
Auch Schlauchboote der Wehrmacht, dann große Kabelrollen bis zu 2m Durchmesser wurden
gelagert. Nach dem Einmarsch der US-Truppen wurden die Besitzungen rund um das Osttor
requiriert, im Saal vorübergehend Lebensmittel verstaut. Ein Versorgungsdepot konnte nicht
errichtet werden. Zum baulichen Zustand gibt das Gutachten des Beckumer Stadtbaumeisters
vom 17. Mai 1950 Aufschluß:
"...Das Dach hatte mehrere undichte Stellen, Niederschlagswasser drang ein. Durch
die enorme Belastung mit militärischen und fernmeldetechnischen Geräten war der
Saalfußboden fast restlos zerstört. Die Küchenräume und Kochanlagen waren
soweit verfallen, die Toiletten und sanitären Einrichtungen so verkommen, daß die
Vorhaben 1944 Evakuierte aus dem Rheinland, und 1945 die Ostvertriebenen im
Saal unterzubringen fallengelassen werden mußte..."
Der Neuanfang
Trotz der großen Schäden legten Ferdinand Frölichs Söhne Fritz und Benno bereits im
Oktober 1946 Pläne zur Wiederinstandsetzung des Gebäudes vor. Die Reparaturarbeiten
konnten sofort begonnen werden, ein Umbau wurde aufgrund alliert-behördlicher Verbote
erst am 22.12.1947 genehmigt; die Kosten durften 50.000 Reichsmark nicht überschreiben.
Als Architekt wurde der Düsseldorfer Alfons Nehaus eingesetzt. Nehaus, der bereits 1932 das
Deli-Lichtspiel in der Hühlstraße errichtete, veränderte an der äußeren Ansicht nur wenig, legt
dem Saal Kassenhalle und Foyer vor, versetzte Garderoben und Toiletten, zog eine zweite
Decke durch den Saal, unterteilte ihn in Parkett, Sperrsitze, Loge und Balkon, der aus der
ehemaligen Galerie entstand. 750 Holz- und Polsterklappstühle wurden fest installiert.
Die feierliche Eröffnung
Im November 1949 fand die feierliche Wiedereröffnung des alten Frölich'schen Saales statt.
Als "Stadttheater Beckum" ging er in das 50. Jahr seiner Geschichte.
Fünfmal wöchentlich liefen Filme, zwei Tage waren für Theater- und Musikveranstaltungen
vorgesehen. Die Einweihung des Hauses wurde zu einem bedeutenden Ereignis: man "war
überrascht von der Großzügigkeit, der noblen Stimmung und der Festlichkeit des weiten
Raumes", man "dankte für die Errichtung des prachtvollen Theaterbaus" man
"beglückwünschte die Stadt zu dieser herrlichen Kulturstätte, die im ganzen Münsterland
nicht ihres gleichen hat"
Die Entbehrungen und Verluste des 2. Weltkrieges ließen das Stadttheater noch glanzvoller
erscheinen, als es ohnehin schon war. Die Gedanken, die den damaligen Zuschauer bewegten,
umrissen wohl Beckums Bürgermeister Dr. Dr. Max Hagedorn und Stadtdirektor Dr. Jütten
am ehesten, als sie schrieben,
"...daß wir etwas tun müssen nicht nur gegen die Sorgen unseres Alltages, sondern
ebenso gegen die Verkümmerung und Verflachung, die unser geistiges und
seelisches Leben bedrohen. Es gilt, die Liebe zur Kunst, die Freude am Schönen, die
Lust an der geistigen Auseinandersetzung zu pflegen, zu erhalten und wieder zu
wecken, wo sie verschüttet wurde"
Die erste Spielzeit
In der ersten Spielzeit gab es "Tosca", "Rigoletto", "Die Zauberflöte", "Die Fledermaus", den
"Troubadour", "Don Carlos", "Unsere kleine Stadt", "Die Csardasfürstin" zu sehen und zu
hören. Den weitaus größten Teil des Stadttheaterprogramms bestritt dabei die Städtischen
Bühne Münster. Weiterhin traten auf der Sängerbund, der Musikverein Beckum gab Haydns
"Schöpfung", der Heinrich-Schütz-Kreis brachte Bachs "Matthäus Passion", die
Niederdeutsche Bühne spielte plattdeutsche Stücke.
Das Stadttheater Beckum wurde der kulturelle Mittelpunkt des Kreises Beckum.
Der erneute Verfall
Die ganze Herrlichkeit währte jedoch kaum sechs Jahre. Die Städtischen Bühnen Münster
bauten ihr neues Theater. Die Bühne des Stadttheater war zu klein, als daß Beckum weiter
bespielt werden könnte. Doch anstatt die bestehende Anlage zu vergrößern, bauten man neu.
Georg Pflüger, pikanterweise 1953 Pächter des Stadttheaters, errichtete an der Nordstraße das
Burgtheater. Mit der Spielzeit 55/56 fanden dort die städtischen Kulturveranstaltungen statt.
Das Stadttheater geriet ins Abseits.
Der neue Pächter, Georg Wandtke, baute bereits im Oktober 1955 das Theater um. Er trennte
Balkon von Loge, Sperrsitze und Parkett ab, unterteilte den Saal in ein großes (500 Plätze) und
ein kleines (200 Plätze) Lichtspielhaus. Dem Anstieg der produzierten Filme und dem
allmählichen Rückgang der Zuschauerzahlen sollte begegnet werden. Das Fernsehen kam auf.
Die Größe und Gesamtheit dies Raumes wurde letztlich völlig zerstört, als nach Robert
Knepper Klaus Budde das Stadttheater pachtete. Man zog durch die Kassenhalle und das
Foyer eine Mauer, nutze einzig noch den rechten Eingang, später auch nur noch den kleinen
Saal als Studio mit 88 Plätzen, würdigte selbst das noch zum Pornokino herab.
Die Kulturinitiative Filou
Als zu Beginn des Jahres 1983 vornehmlich Schüler, bei der Suche nach einem geeigneten
Veranstaltungsort, auf das altehrwürdige, verkommene Haus am Lippweg stießen, bot sich
ihnen ein wahrhaft trostloses Bild: demontierte technische Anlagen, unverputzte Mauern,
zerschlagene Fenster, von den Wänden sich lösende Tapeten, Feuchtigkeitsschäden, Berge
von zerschlissenen Stühlen, auf der Bühne aufgetürmt, ein völlig verwahrloster großer Saal.
Mit wenig Geld, viel Arbeitsaufwand und noch mehr Idealismus wurde der Bau Stück für
Stück renoviert. Am 17. Mai 1983 wurde das Stadttheater mit der Uraufführung des
"Bleisiegelfälschers" vor ausverkauften Haus wiedereröffnet. Es gründete sich ein Verein: die
Kulturinitiative Filou. Ein weiteres Kapitel in der einzigartig-wechselvollen Geschichte des
traditionsreichen Hauses am Lippweg 4-6 beginnt.
Ein wahrer Zeitzeuge
So schrieb Benno Frölich schon 1950 in seiner Familienchronik:
"Wüßte man nur das, was mit diesem Saal geschehen ist, so hätte man in großen
Zügen ein Bild des Geschehens der Stadt Beckum, vor allem aber ein Spiegelbild des
Zeitgeschehens
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