Tiere im Pflegeheim

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Gesundheitsexperten von morgen
Bachelor: Gesundheitsökonomie
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Antje Gottschlich
Tiere im Pflegeheim
Eine alternative Therapiemöglichkeit
für Menschen mit Demenz
In der Pflege gehört der Umgang mit Menschen
mit einer Demenzerkrankung zum Alltag. Da bislang keine Heilung möglich ist, wird die Frage
nach Therapiemöglichkeiten abseits der medikamentösen Linderung immer wichtiger. Unsere
Autorin hat in ihrer Bachelor-Arbeit die Chancen
tiergestützter Interventionen in der stationären
Pflege untersucht.
I
n Deutschland leben zurzeit etwa 1,2 Millionen
Demenzkranke. Sollte kein Fortschritt in der
Prävention von Demenzerkrankungen erreicht werden, so wird mit einem Anstieg auf 2,6 Millionen
Betroffene bis zum Jahr 2050 gerechnet. Demenzerkrankungen sind mittlerweile der wichtigste
Grund für die Entstehung von Pflegebedürftigkeit
und die Aufnahme in ein Heim. Die steigende Anzahl von Menschen, die in stationären Pflegeheimen betreut werden müssen, fordern die Gesundheits- und Sozialsysteme heraus.
Agitiertes Verhalten
Aber auch Pflegekräfte und Angehörige sehen sich
bei der Betreuung von Menschen mit Demenz besonderen Herausforderungen gegenüber. Eine davon ist das sogenannte agitierte Verhalten. Damit
werden mitunter aggressive Verhaltensweisen bezeichnet, wie etwa ständiges Umherwandern, Fluchen, Schlagen oder Treten. Im Pflegealltag führt
dies häufig zu Problemen: Pflegekräfte fühlen sich
durch dieses belastende und schwer zu beeinflussende Verhalten oft überfordert. Deshalb ist es wichtig, sich mit Therapien zu befassen, die den Alltag
sowohl für die Pflegebedürftigen als auch für die
Angestellten in Pflegeheimen erleichtern. Auch die
Tatsache, dass in vielen Fällen Psychopharmaka
als erste und einfachste Behandlungsmethode herangezogen werden, unterstreicht den Handlungsbedarf. Zwar lassen sich Pflegebedürftige damit
schnell beruhigen, jedoch ist der Einsatz der Medikamente auch mit schwerwiegenden Risiken verbunden – etwa mit einer erhöhten Sterblichkeit
sowie einem größeren Risiko für Schlaganfälle und
plötzlichen Herztod.
Zum jetzigen Zeitpunkt sind Demenzerkrankungen medikamentös nicht heilbar. Deshalb sind hier
alternative Therapien, die ohne Medikamente auskommen, besonders wichtig. Dass Tiere eine heilende Wirkung auf den Menschen haben, zeigen
viele Studien. Welche Wirkung tiergestützte Interventionen auf Menschen mit Demenz haben können, wurde hingegen wissenschaftlich nur wenig
erforscht. Daher hat sich die Autorin im Rahmen
ihrer Bachelor-Arbeit mit den Möglichkeiten und
Grenzen des Einsatzes von Tieren in Alten- und Pflegeheimen befasst. Dafür wurden 137 Fragebögen
aus verschiedenen Pflegeeinrichtungen ausgewertet, mit denen nach den Erfahrungen in diesem
Bereich gefragt wurde.
Emotionale Zuwendung
Menschen mit Demenz können sich oft nur noch
eingeschränkt unterhalten und mitteilen oder haben Probleme, sich Dinge zu merken. Tiere können
dazu beitragen, dass sich die BewohnerInnen verstanden und gebraucht fühlen. Denn Tiere reagieren auf die emotionale Zuwendung und Berührungen und geben diese an die BewohnerInnen
zurück. Sie nehmen die Menschen so an, wie sie
sind, auch wenn Einschränkungen – zum Beispiel
bei der Sprache oder dem Erinnerungsvermögen –
bestehen. Weiterhin zeigt sich auch eine aktivierende Wirkung: Die BewohnerInnen werden angeregt,
sich mit anderen Menschen zu unterhalten, und
sie erhalten durch das Streicheln oder Versorgen
der Tiere ihre körperlichen Fähigkeiten. Durch die
Akzeptanz, die die Tiere den BewohnerInnen vermitteln, sowie die körperliche und geistige Aktivierung kann die Lebensqualität verbessert werden.
In den letzten Jahren haben deshalb bereits viele
Alten- und Pflegeheime Tiere in den Heimalltag
integriert.
Ein zentrales Ergebnis der Bachelor-Arbeit ist,
dass Tiere auf vielfältige Weise in den Heimalltag
einbezogen werden können. Angehörige und MitarbeiterInnen können beispielsweise ihre eigenen
Tiere mitbringen. Hunde eignen sich hier besonders, da sie mit ihrem freundlichen Wesen offen
Dr. med. Mabuse 207 · Januar / Februar 2014
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und unvoreingenommen auf die Menschen zugehen und Körperkontakt herstellen. Sie werden von
den BewohnerInnen meist freudig erwartet und
regen zum Lachen, Reden und Streicheln an. Voraussetzung ist hier natürlich, dass der Hund sich
von seinem Wesen und seiner Erziehung her für
diese Aufgabe eignet. Heimeigene Tiere wie Katzen,
Kaninchen, Fische oder Vögel ermöglichen es, die
BewohnerInnen in die Versorgung einzubeziehen.
So manch ein Bewohner hat so schon eine neue
Aufgabe gefunden und fühlt sich wieder gebraucht.
Ehrenamtliche Tierbesuchsdienste bieten den BewohnerInnen ebenfalls den Kontakt zu Tieren.
Von einer tiergestützten Therapie spricht man,
wenn der Therapeut und das Therapie-Tier speziell
ausgebildet wurden. Oft handelt es sich um Heilpraktiker oder Psychologen, die eine Zusatzausbildung absolviert haben. Es gibt Vereine, welche die
Ausbildung von Therapiehunden anbieten. Bei
dem Einsatz im Pflegeheim wird ein Therapieplan
mit den konkreten Zielen erarbeitet. Jede Einrichtung muss dann individuell entscheiden, wie viel
Aufwand sie investieren kann. Die finanziellen und
räumlichen Gegebenheiten sind natürlich auch
zu beachten.
Chancen tiergestützter Interventionen
Die Ergebnisse der Befragung zeigen, dass nahezu
alle Einrichtungen den Einsatz von Tieren positiv
bewerten. So konnten etwa die auffälligen Verhaltensweisen bei einem Großteil der BewohnerInnen
verringert werden. Berichtet wurde etwa, dass die
Tiere zu einem Zufriedenheitsgefühl, Wohlbefinden und Freude bei den BewohnerInnen führten.
Neben Fürsorge und Verantwortungsbewusstsein
wurde auch beobachtet, dass die BewohnerInnen
durch die Versorgung der Tiere aktiver waren als
zuvor. Und auch deren motorische Fähigkeiten
konnten zunehmend verbessert werden. Insgesamt
waren die BewohnerInnen kontaktfreudiger und
gingen leichter auf MitbewohnerInnen und Pflegekräfte zu. Zudem wurde festgestellt, dass man
durch tiergestützte Interventionen etwas über die
Biografie der BewohnerInnen erfahren kann, da
diese durch den Kontakt zu den Tieren angeregt
wurden, etwas über ihr Leben zu erzählen.
Daneben stellte sich heraus, dass tiergestützte
Interventionen eine Möglichkeit darstellen, um
den Einsatz von Psychopharmaka zu reduzieren.
Antje Gottschlich, geb. 1985, ist Gesundheitsökonomin
aus Hamburg und arbeitet bei der Allianz Global
Assistance. In diesem Beitrag fasst sie die Ergebnisse
ihrer Bachelor-Arbeit im Fach Gesundheitsökonomie
an der Apollon Hochschule Bremen zusammen.
[email protected]
Dr. med. Mabuse 207 · Januar / Februar 2014
An den Universitäten und Fachhochschulen ebenso wie
in Alten-, Krankenpflege- und Hebammenschulen beschäftigen sich junge Menschen mit spannenden Themen,
die oft keinen Raum in der öffentlichen Diskussion finden. Diese Rubrik bietet die Möglichkeit, interessante
Projekte, Seminar- oder Abschlussarbeiten zu veröffentlichen. – Die Redaktion freut sich über Vorschläge und
Einsendungen!
Kontakt: [email protected]
Hier waren die Ergebnisse zwar nicht so eindeutig
wie bei der Reduzierung der agitierten Verhaltensweisen, jedoch wurden bei rund einem Drittel der
Einrichtungen positive Auswirkungen erzielt. Bei
über der Hälfte der Einrichtungen konnte bei einem Teil der BewohnerInnen ganz auf Psychopharmaka verzichtet werden. Allerdings war die
Bereitschaft zur Gabe von Psychopharmaka in den
befragten Einrichtungen bereits wesentlich geringer als es in der Literatur beschrieben wird. Dies
legt die Vermutung nahe, dass Einrichtungen, die
tiergestützte Interventionen anbieten, bereits eine
höhere Akzeptanz für alternative Therapieformen
und gleichzeitig moralische und ethische Bedenken gegenüber dem Einsatz von Psychopharmaka
haben.
Strategien für die Arbeit mit Tieren
Aufgrund der positiven Ergebnisse ist es sinnvoll,
tiergestützte Interventionen verstärkt in den Alltag der Einrichtungen zu integrieren. Aus der Umfrage geht hervor, dass bereits der gelegentliche
Kontakt zu Tieren durchaus positive Wirkungen
zeigte. Dennoch müssen natürlich konkrete Strategien für den Einsatz tiergestützter Therapien in
den Einrichtungen entwickelt werden.
So ließ sich beispielsweise ableiten, dass es sinnvoll ist, tiergestützte Interventionen in möglichst
vielfältiger Form anzubieten. Auf diese Weise lassen sich möglichst viele BewohnerInnen mit ihren
unterschiedlichen Bedürfnissen ansprechen: Einige freuen sich etwa auf den Besuch von Hunden,
andere schauen lieber den Fischen im Aquarium
zu und wieder andere fühlen sich bei der Versorgung der Kaninchen an frühere Zeiten erinnert. Bei
der Wahl der tiergestützten Interventionen muss
die Einrichtung jedoch genau planen, was zeitlich,
räumlich und finanziell umsetzbar ist. Die Auswahl der Tiere hängt dabei auch von den benötig-
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ten Ressourcen ab. Ein Hund benötigt beispielsweise mehr Auslauf, Ausbildung und Aufwand bei der
Integration in den Pflegealltag, während für Fische
weniger Zeit aufgewendet werden muss. Das Angebot an tiergestützten Interventionen muss somit
nicht nur an die Bedürfnisse der BewohnerInnen,
sondern vor allem auch an die Gegebenheiten in
der jeweiligen Pflegeeinrichtung angepasst werden.
Folgende Ideen können dazu beitragen, den Bewohnern Kontakt zu Tieren mit möglichst geringen
Kosten und Aufwand zu ermöglichen: Angehörige
und MitarbeiterInnen können – zum Beispiel durch
Aushänge, Flyer oder eine Informationsveranstaltung – dazu animiert werden, ihre eigenen Haustiere mitzubringen. Weiterhin bietet es sich an,
Kontakt zu ehrenamtlichen Tierbesuchsdiensten
oder Vereinen, die sich mit dem Einsatz von Tieren
befassen, herzustellen. Auch die Finanzierung von
heimeigenen Tieranlagen über Sponsoren oder die
Vergabe von Tierpatenschaften sind weitere Möglichkeiten.
Sinnvolle Integration in den Pflegealltag
Trotz der aus der Studie hervorgehenden zahlreichen positiven Auswirkungen wurden auch Risiken und Probleme aufgedeckt. So kann es im straff
organisierten Pflegealltag schwierig sein, Tiere zu
integrieren. Auch die Ablehnung von Tieren durch
manche BewohnerInnen kann problematisch
sein. Ebenso müssen Allergien von BewohnerInnen und Angestellten, mögliche Verletzungsgefahren sowie der Aufwand bei der Versorgung der Tiere bedacht werden. Tiere bedeuten im Pflegealltag
folglich einen zusätzlichen Organisationsaufwand.
BewohnerInnen, die kein Interesse an Tieren haben oder die aus gesundheitlichen Gründen keinen
Kontakt haben dürfen, müssen Rückzugsmöglichkeiten erhalten. In jeder Einrichtung sollte es Bereiche geben, die nicht für Tiere zugänglich sind.
Außerdem muss sichergestellt werden, dass die Tiere artgerecht gehalten und versorgt werden. Es empfiehlt sich also, einen Versorgungsplan aufzustellen, in den MitarbeiterInnen, BewohnerInnen oder
Angehörige ihren Möglichkeiten entsprechend eingesetzt werden. So übernehmen einige BewohnerInnen vielleicht gerne die Versorgung eines Tieres.
Auch die freiwillige Mithilfe von Angehörigen und
MitarbeiterInnen in ihrer Freizeit stellt eine Möglichkeit dar. Selbst Betreuungskräfte, die nur zu
bestimmten Zeiten anwesend sind, können Tiere
in ihre Arbeit einbeziehen.
Schließlich sollte die Tierhaltung in das Qualitätsmanagement der Einrichtung aufgenommen
werden. Von großer Bedeutung ist hierbei die Hygiene. Da Alten- und Pflegeheime über einen Hygieneplan verfügen müssen, sollten die mit der
Tierhaltung verbundenen Hygienemaßnahmen
dort aufgeführt werden. Wichtig ist hier unter anderem, dass Tiere keinen Zugang zur Küche oder
Wäscherei haben, nicht in die Betten der Bewohner
dürfen, sowie regelmäßig geimpft und entwurmt
werden.
Die positiven Erfahrungen der befragen Einrichtungen zeigen insgesamt, dass die Integration von
Tieren in den Pflegealltag, trotz des zu betreibenden Aufwandes, eine sinnvolle Möglichkeit darstellt. Wünschenswert wäre, dass sich dies noch
weiter in den Pflegeheimen durchsetzt. ■
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Dr. med. Mabuse 207 · Januar / Februar 2014
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