Gesundheitsexperten von morgen Bachelor: Gesundheitsökonomie 52 Antje Gottschlich Tiere im Pflegeheim Eine alternative Therapiemöglichkeit für Menschen mit Demenz In der Pflege gehört der Umgang mit Menschen mit einer Demenzerkrankung zum Alltag. Da bislang keine Heilung möglich ist, wird die Frage nach Therapiemöglichkeiten abseits der medikamentösen Linderung immer wichtiger. Unsere Autorin hat in ihrer Bachelor-Arbeit die Chancen tiergestützter Interventionen in der stationären Pflege untersucht. I n Deutschland leben zurzeit etwa 1,2 Millionen Demenzkranke. Sollte kein Fortschritt in der Prävention von Demenzerkrankungen erreicht werden, so wird mit einem Anstieg auf 2,6 Millionen Betroffene bis zum Jahr 2050 gerechnet. Demenzerkrankungen sind mittlerweile der wichtigste Grund für die Entstehung von Pflegebedürftigkeit und die Aufnahme in ein Heim. Die steigende Anzahl von Menschen, die in stationären Pflegeheimen betreut werden müssen, fordern die Gesundheits- und Sozialsysteme heraus. Agitiertes Verhalten Aber auch Pflegekräfte und Angehörige sehen sich bei der Betreuung von Menschen mit Demenz besonderen Herausforderungen gegenüber. Eine davon ist das sogenannte agitierte Verhalten. Damit werden mitunter aggressive Verhaltensweisen bezeichnet, wie etwa ständiges Umherwandern, Fluchen, Schlagen oder Treten. Im Pflegealltag führt dies häufig zu Problemen: Pflegekräfte fühlen sich durch dieses belastende und schwer zu beeinflussende Verhalten oft überfordert. Deshalb ist es wichtig, sich mit Therapien zu befassen, die den Alltag sowohl für die Pflegebedürftigen als auch für die Angestellten in Pflegeheimen erleichtern. Auch die Tatsache, dass in vielen Fällen Psychopharmaka als erste und einfachste Behandlungsmethode herangezogen werden, unterstreicht den Handlungsbedarf. Zwar lassen sich Pflegebedürftige damit schnell beruhigen, jedoch ist der Einsatz der Medikamente auch mit schwerwiegenden Risiken verbunden – etwa mit einer erhöhten Sterblichkeit sowie einem größeren Risiko für Schlaganfälle und plötzlichen Herztod. Zum jetzigen Zeitpunkt sind Demenzerkrankungen medikamentös nicht heilbar. Deshalb sind hier alternative Therapien, die ohne Medikamente auskommen, besonders wichtig. Dass Tiere eine heilende Wirkung auf den Menschen haben, zeigen viele Studien. Welche Wirkung tiergestützte Interventionen auf Menschen mit Demenz haben können, wurde hingegen wissenschaftlich nur wenig erforscht. Daher hat sich die Autorin im Rahmen ihrer Bachelor-Arbeit mit den Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes von Tieren in Alten- und Pflegeheimen befasst. Dafür wurden 137 Fragebögen aus verschiedenen Pflegeeinrichtungen ausgewertet, mit denen nach den Erfahrungen in diesem Bereich gefragt wurde. Emotionale Zuwendung Menschen mit Demenz können sich oft nur noch eingeschränkt unterhalten und mitteilen oder haben Probleme, sich Dinge zu merken. Tiere können dazu beitragen, dass sich die BewohnerInnen verstanden und gebraucht fühlen. Denn Tiere reagieren auf die emotionale Zuwendung und Berührungen und geben diese an die BewohnerInnen zurück. Sie nehmen die Menschen so an, wie sie sind, auch wenn Einschränkungen – zum Beispiel bei der Sprache oder dem Erinnerungsvermögen – bestehen. Weiterhin zeigt sich auch eine aktivierende Wirkung: Die BewohnerInnen werden angeregt, sich mit anderen Menschen zu unterhalten, und sie erhalten durch das Streicheln oder Versorgen der Tiere ihre körperlichen Fähigkeiten. Durch die Akzeptanz, die die Tiere den BewohnerInnen vermitteln, sowie die körperliche und geistige Aktivierung kann die Lebensqualität verbessert werden. In den letzten Jahren haben deshalb bereits viele Alten- und Pflegeheime Tiere in den Heimalltag integriert. Ein zentrales Ergebnis der Bachelor-Arbeit ist, dass Tiere auf vielfältige Weise in den Heimalltag einbezogen werden können. Angehörige und MitarbeiterInnen können beispielsweise ihre eigenen Tiere mitbringen. Hunde eignen sich hier besonders, da sie mit ihrem freundlichen Wesen offen Dr. med. Mabuse 207 · Januar / Februar 2014 Gesundheitsexperten von morgen und unvoreingenommen auf die Menschen zugehen und Körperkontakt herstellen. Sie werden von den BewohnerInnen meist freudig erwartet und regen zum Lachen, Reden und Streicheln an. Voraussetzung ist hier natürlich, dass der Hund sich von seinem Wesen und seiner Erziehung her für diese Aufgabe eignet. Heimeigene Tiere wie Katzen, Kaninchen, Fische oder Vögel ermöglichen es, die BewohnerInnen in die Versorgung einzubeziehen. So manch ein Bewohner hat so schon eine neue Aufgabe gefunden und fühlt sich wieder gebraucht. Ehrenamtliche Tierbesuchsdienste bieten den BewohnerInnen ebenfalls den Kontakt zu Tieren. Von einer tiergestützten Therapie spricht man, wenn der Therapeut und das Therapie-Tier speziell ausgebildet wurden. Oft handelt es sich um Heilpraktiker oder Psychologen, die eine Zusatzausbildung absolviert haben. Es gibt Vereine, welche die Ausbildung von Therapiehunden anbieten. Bei dem Einsatz im Pflegeheim wird ein Therapieplan mit den konkreten Zielen erarbeitet. Jede Einrichtung muss dann individuell entscheiden, wie viel Aufwand sie investieren kann. Die finanziellen und räumlichen Gegebenheiten sind natürlich auch zu beachten. Chancen tiergestützter Interventionen Die Ergebnisse der Befragung zeigen, dass nahezu alle Einrichtungen den Einsatz von Tieren positiv bewerten. So konnten etwa die auffälligen Verhaltensweisen bei einem Großteil der BewohnerInnen verringert werden. Berichtet wurde etwa, dass die Tiere zu einem Zufriedenheitsgefühl, Wohlbefinden und Freude bei den BewohnerInnen führten. Neben Fürsorge und Verantwortungsbewusstsein wurde auch beobachtet, dass die BewohnerInnen durch die Versorgung der Tiere aktiver waren als zuvor. Und auch deren motorische Fähigkeiten konnten zunehmend verbessert werden. Insgesamt waren die BewohnerInnen kontaktfreudiger und gingen leichter auf MitbewohnerInnen und Pflegekräfte zu. Zudem wurde festgestellt, dass man durch tiergestützte Interventionen etwas über die Biografie der BewohnerInnen erfahren kann, da diese durch den Kontakt zu den Tieren angeregt wurden, etwas über ihr Leben zu erzählen. Daneben stellte sich heraus, dass tiergestützte Interventionen eine Möglichkeit darstellen, um den Einsatz von Psychopharmaka zu reduzieren. Antje Gottschlich, geb. 1985, ist Gesundheitsökonomin aus Hamburg und arbeitet bei der Allianz Global Assistance. In diesem Beitrag fasst sie die Ergebnisse ihrer Bachelor-Arbeit im Fach Gesundheitsökonomie an der Apollon Hochschule Bremen zusammen. [email protected] Dr. med. Mabuse 207 · Januar / Februar 2014 An den Universitäten und Fachhochschulen ebenso wie in Alten-, Krankenpflege- und Hebammenschulen beschäftigen sich junge Menschen mit spannenden Themen, die oft keinen Raum in der öffentlichen Diskussion finden. Diese Rubrik bietet die Möglichkeit, interessante Projekte, Seminar- oder Abschlussarbeiten zu veröffentlichen. – Die Redaktion freut sich über Vorschläge und Einsendungen! Kontakt: [email protected] Hier waren die Ergebnisse zwar nicht so eindeutig wie bei der Reduzierung der agitierten Verhaltensweisen, jedoch wurden bei rund einem Drittel der Einrichtungen positive Auswirkungen erzielt. Bei über der Hälfte der Einrichtungen konnte bei einem Teil der BewohnerInnen ganz auf Psychopharmaka verzichtet werden. Allerdings war die Bereitschaft zur Gabe von Psychopharmaka in den befragten Einrichtungen bereits wesentlich geringer als es in der Literatur beschrieben wird. Dies legt die Vermutung nahe, dass Einrichtungen, die tiergestützte Interventionen anbieten, bereits eine höhere Akzeptanz für alternative Therapieformen und gleichzeitig moralische und ethische Bedenken gegenüber dem Einsatz von Psychopharmaka haben. Strategien für die Arbeit mit Tieren Aufgrund der positiven Ergebnisse ist es sinnvoll, tiergestützte Interventionen verstärkt in den Alltag der Einrichtungen zu integrieren. Aus der Umfrage geht hervor, dass bereits der gelegentliche Kontakt zu Tieren durchaus positive Wirkungen zeigte. Dennoch müssen natürlich konkrete Strategien für den Einsatz tiergestützter Therapien in den Einrichtungen entwickelt werden. So ließ sich beispielsweise ableiten, dass es sinnvoll ist, tiergestützte Interventionen in möglichst vielfältiger Form anzubieten. Auf diese Weise lassen sich möglichst viele BewohnerInnen mit ihren unterschiedlichen Bedürfnissen ansprechen: Einige freuen sich etwa auf den Besuch von Hunden, andere schauen lieber den Fischen im Aquarium zu und wieder andere fühlen sich bei der Versorgung der Kaninchen an frühere Zeiten erinnert. Bei der Wahl der tiergestützten Interventionen muss die Einrichtung jedoch genau planen, was zeitlich, räumlich und finanziell umsetzbar ist. Die Auswahl der Tiere hängt dabei auch von den benötig- 53 Gesundheitsexperten von morgen Bachelor: Gesundheitsökonomie 54 ten Ressourcen ab. Ein Hund benötigt beispielsweise mehr Auslauf, Ausbildung und Aufwand bei der Integration in den Pflegealltag, während für Fische weniger Zeit aufgewendet werden muss. Das Angebot an tiergestützten Interventionen muss somit nicht nur an die Bedürfnisse der BewohnerInnen, sondern vor allem auch an die Gegebenheiten in der jeweiligen Pflegeeinrichtung angepasst werden. Folgende Ideen können dazu beitragen, den Bewohnern Kontakt zu Tieren mit möglichst geringen Kosten und Aufwand zu ermöglichen: Angehörige und MitarbeiterInnen können – zum Beispiel durch Aushänge, Flyer oder eine Informationsveranstaltung – dazu animiert werden, ihre eigenen Haustiere mitzubringen. Weiterhin bietet es sich an, Kontakt zu ehrenamtlichen Tierbesuchsdiensten oder Vereinen, die sich mit dem Einsatz von Tieren befassen, herzustellen. Auch die Finanzierung von heimeigenen Tieranlagen über Sponsoren oder die Vergabe von Tierpatenschaften sind weitere Möglichkeiten. Sinnvolle Integration in den Pflegealltag Trotz der aus der Studie hervorgehenden zahlreichen positiven Auswirkungen wurden auch Risiken und Probleme aufgedeckt. So kann es im straff organisierten Pflegealltag schwierig sein, Tiere zu integrieren. Auch die Ablehnung von Tieren durch manche BewohnerInnen kann problematisch sein. Ebenso müssen Allergien von BewohnerInnen und Angestellten, mögliche Verletzungsgefahren sowie der Aufwand bei der Versorgung der Tiere bedacht werden. Tiere bedeuten im Pflegealltag folglich einen zusätzlichen Organisationsaufwand. BewohnerInnen, die kein Interesse an Tieren haben oder die aus gesundheitlichen Gründen keinen Kontakt haben dürfen, müssen Rückzugsmöglichkeiten erhalten. In jeder Einrichtung sollte es Bereiche geben, die nicht für Tiere zugänglich sind. Außerdem muss sichergestellt werden, dass die Tiere artgerecht gehalten und versorgt werden. Es empfiehlt sich also, einen Versorgungsplan aufzustellen, in den MitarbeiterInnen, BewohnerInnen oder Angehörige ihren Möglichkeiten entsprechend eingesetzt werden. So übernehmen einige BewohnerInnen vielleicht gerne die Versorgung eines Tieres. Auch die freiwillige Mithilfe von Angehörigen und MitarbeiterInnen in ihrer Freizeit stellt eine Möglichkeit dar. Selbst Betreuungskräfte, die nur zu bestimmten Zeiten anwesend sind, können Tiere in ihre Arbeit einbeziehen. Schließlich sollte die Tierhaltung in das Qualitätsmanagement der Einrichtung aufgenommen werden. Von großer Bedeutung ist hierbei die Hygiene. Da Alten- und Pflegeheime über einen Hygieneplan verfügen müssen, sollten die mit der Tierhaltung verbundenen Hygienemaßnahmen dort aufgeführt werden. Wichtig ist hier unter anderem, dass Tiere keinen Zugang zur Küche oder Wäscherei haben, nicht in die Betten der Bewohner dürfen, sowie regelmäßig geimpft und entwurmt werden. Die positiven Erfahrungen der befragen Einrichtungen zeigen insgesamt, dass die Integration von Tieren in den Pflegealltag, trotz des zu betreibenden Aufwandes, eine sinnvolle Möglichkeit darstellt. Wünschenswert wäre, dass sich dies noch weiter in den Pflegeheimen durchsetzt. ■ Literatur Badelt-Vogt, A. (2007): Der tiergestützte Besuchsdienst. In: KDA (Hg): Tiere öffnen Welten. Köln: KDA. 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