Welternährung verstehen - Bundesministerium für Ernährung und

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Welternährung verstehen
Fakten und Hintergründe
www.bmel.de
INHALT
1 Wie ernährt sich die Welt?
02 - 13
2 Warum steht auch Deutschland in der
Verantwortung?
14 - 17
3 Wie lässt sich die Ernährung sichern?
18 - 28
00 | 01
LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,
Deutschland ist im Bereich der Ernährung und Landwirtschaft ein hochentwickeltes und begünstigtes Land.
Daraus erwächst auch die Verpflichtung, einen angemessenen Anteil der Verantwortung für die Ernährungssicherung weltweit wahrzunehmen. Denn nicht in allen
Regionen ist die Versorgungslage so gut wie bei uns.
Weltweit leiden etwa 800 Millionen Menschen unter
Hunger und chronischer Unterernährung – obwohl das
Recht auf Nahrung ein Menschenrecht ist. Der Rückgang
der Zahl der Hungernden seit Anfang der 1990er Jahre
um über 200 Millionen zeigt, dass sich trotz eines Bevölkerungswachstums etwas gegen den Hunger ausrichten
lässt.
Doch es geht nicht nur um deutlich erkennbaren Hunger
und Unterernährung, sondern auch um verborgenen
Hunger durch Vitamin- und Mineralstoffmangel sowie
um die Prävention von Übergewicht und damit insgesamt
um alle Formen ungesunder Ernährung. Es geht um einen
ausreichenden Zugang zu einer ausgewogenen Ernährung
für die wachsende Weltbevölkerung – und das trotz
zahlreicher Herausforderungen wie Klimawandel,
wachsender Konkurrenz um natürliche Ressourcen,
politischer sowie Wirtschafts- und Finanzkrisen und
einer mangelnden Organisation der Landwirtschaft in
manchen Regionen.
Ernährungssicherung weltweit ist eine wichtige politische
Aufgabe. Eine angemessene, gesicherte Ernährung für alle
– das ist die Herausforderung der nächsten Jahrzehnte.
Im Zentrum stehen dabei die Landwirtschaft und die
Frage: Werden sich im Jahr 2050 mehr als neun Milliarden
Menschen ausreichend ernähren können? Wer über
Welternährung redet, spricht immer auch über den
Agrarsektor – verstanden in einem umfassenden Sinn,
der auch Handel, Verarbeitung, Distribution und globale
Märkte betrachtet und in der Region verbindet. Als
Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft
bin ich in Agrar- und Ernährungsfragen innerhalb der
Bundesregierung federführend zuständig. Mein Haus
vertritt Deutschland in Fragen der Welternährung in
den einschlägigen internationalen Organisationen und
Gremien.
Die vorliegende Broschüre gibt Ihnen Informationen über
die grundlegenden Zusammenhänge der Welternährung
und der Landwirtschaft an die Hand und informiert Sie
über die Aktivitäten des BMEL zur Ernährungssicherung.
Ihr
Christian Schmidt MdB
Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft
1
Wie ernährt sich die Welt?
Die Landwirtschaft erzeugt weltweit derzeit genug Lebensmittel, um zumindest
rein rechnerisch alle Menschen zu ernähren. Dennoch muss jeder neunte Mensch
auf der Welt jeden Abend hungrig schlafen gehen. Und das, obwohl das Recht
eines jeden Menschen auf Nahrung – und zwar in ausreichender Quantität und
Qualität – ein Menschenrecht ist, das im internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (VN-Sozialpakt) völkerrechtlich verbindlich
verankert ist. Dass Menschen nicht ausreichend ernährt sind, hat viele Ursachen.
Doch in jedem Fall ist Hunger nicht hinnehmbar.
02 | 03
WIRD DIE NAHRUNG KNAPP?
Laut Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der
Vereinten Nationen (FAO) hungerten im Jahr 2014 weltweit 805 Millionen Menschen – mehr als alle Einwohner
der Europäischen Union (EU), Russlands und Japans
zusammen. Wird also die Nahrung knapp? Im Gegenteil:
Die Landwirtschaft erzeugt derzeit etwa ein Drittel mehr
Kalorien, als für die Versorgung aller Menschen rechnerisch benötigt wird – und noch wächst die Lebensmittelproduktion schneller als die Weltbevölkerung. Hunger hat
andere Ursachen: zum Beispiel Armut, mangelnder
Zugang zu Boden, Wasser und anderen Ressourcen sowie
schlechte Regierungsführung.
Unter- und Mangelernährung sind sehr ungleich verteilt
– nach Weltregionen, nach Arm und Reich, nach Geschlecht. Die große Mehrheit der Hungernden lebt in
ländlichen Regionen der Entwicklungsländer – also dort,
wo eigentlich Lebensmittel produziert werden. Sie haben
kaum eine Chance, sich gegen Hunger als Folge von
Armut, Krieg, Umweltkatastrophen oder Dürren zu
schützen. Besonders betroffen sind Frauen. Sie tragen in
vielen Ländern die Hauptlast der Feldarbeit, haben jedoch
weniger Rechte – denn 90 Prozent der weltweiten Ackerflächen gehören Männern. Kurz gesagt: Das Gesicht des
Hungers ist zumeist ländlich und weiblich.
rund zwölf Millionen Hektar Agrarfläche verloren – durch
Überweidung, ungeeignete Anbaumethoden, Erosion oder
durch Straßen- und Städtebau. Setzt sich dieser Trend
unvermindert fort, würden die Ernten in den nächsten
25 Jahren um bis zu zwölf Prozent sinken.
EINE AUSGEWOGENE, GESUNDHEITSFÖRDERNDE
ERNÄHRUNG FÜR ALLE
Circa zwei Milliarden Menschen leiden an einem Mangel
an Vitaminen und Mineralstoffen. Weitere 1,4 Milliarden
sind durch falsche Ernährung übergewichtig oder gar
adipös – nicht nur in reichen Staaten, sondern zunehmend auch in Entwicklungs- und Schwellenländern.
Insgesamt ist etwa die Hälfte der Weltbevölkerung nicht
bedarfsgerecht ernährt. Es geht also nicht nur um eine
Steigerung der Agrarproduktion, sondern um eine
ausgewogene und gesunde Ernährung für alle.
KREISLAUF DER UNTERERNÄHRUNG
DER APPETIT DER WELT WÄCHST
Im Jahr 2050 werden nicht mehr rund sieben, sondern
mehr als neun Milliarden Menschen auf der Welt leben.
Sie werden mehr Nahrung brauchen und mit wachsendem Wohlstand auch höhere Ansprüche entwickeln, etwa
auf mehr Fleisch und Milchprodukte. Um diese Ansprüche befriedigen zu können, müsste die Agrarproduktion
bis 2050 um rund zwei Drittel gesteigert werden. Dazu
müssen insbesondere Wasser, fruchtbare Böden und die
Artenvielfalt intelligenter – vor allem effektiver – genutzt
und erhalten werden. Bislang gehen weltweit jährlich
Quelle: Welthungerhilfe
BRENNPUNKT:
WIE WIRD HUNGER DEFINIERT?
Es scheint ganz einfach: Isst der Mensch zu wenig, wird er schnell von Hungergefühlen gequält. Fachleute sehen das differenzierter: Sie sprechen von chronischem Hunger oder Unterernährung, wenn
Menschen über längere Zeit zu wenig Energie aufnehmen, um ein gesundes und aktives Leben zu führen. Der Energiebedarf ist unterschiedlich und liegt bei Erwachsenen je nach Region, Aktivität, Altersgruppe und Geschlecht etwa zwischen 1.700 und 2.000 Kilokalorien am Tag. Bei weniger als 1.400 Kilokalorien beginnt extreme Unterernährung oder akuter Hunger. Übrigens: In Deutschland liegt der
Verbrauch im Durchschnitt bei mehr als 3.500 Kilokalorien.
Doch Kalorien sind nicht alles. Armut und – oft dadurch bedingt – einseitige Ernährung führen zu einem Mangel u.a. an Vitaminen, Mineralstoffen wie Jod und Eisen sowie Spurenelementen. Diese Nährstoffdefizite nennt man auch „versteckten Hunger“. Er ist nicht auf den ersten Blick sichtbar, schädigt
aber die geistige und körperliche Entwicklung und die Leistungsfähigkeit.
WOHER KOMMEN DIE LEBENSMITTEL?
Wer soll Lebensmittel in ausreichender Qualität und
Menge für eine wachsende Weltbevölkerung bereitstellen,
wenn nicht die Landwirtschaft mit Ackerbau und Viehzucht, der Fischfang, die Aquakultur und die Waldnutzung? Zur Welternährung leistet der große, hochmoderne
Agrarbetrieb, der mit viel Kapital, Know-how, Maschinen
und Hochleistungssorten hohe Erträge erzielt, genauso
einen Beitrag wie der kleinbäuerliche Familienbetrieb, der
mit weniger Kapital und Technik Kaffee und Bananen für
den Verkauf und Feldfrüchte für den Eigenbedarf erzeugt;
der wandernde Viehzüchter, der Sammler in den Wäldern
ebenso wie die Bäuerin, die Gemüse für ihre Familie
anbaut.
Die unmittelbare Erzeugung ist jedoch nur ein Teil. Auch
die Voraussetzungen dafür müssen vorhanden sein: Land,
Wasser, Saatgut, Dünge- und Futtermittel, Kapital sowie
das entsprechende Know-how. Nach der Ernte muss für
sachgerechte Lagerung, Transport und Verarbeitung
gesorgt sein. Groß- und Einzelhändler, Im- und Exporteure sowie lokale und internationale Märkte müssen die
Lebensmittel „auf den Tisch“ bringen. Als „Wertschöpfungskette“ bezeichnen Fachleute diese vielen Schritte, die
ein Lebensmittel vom Rohprodukt über die Verarbeitung
und den Transport bis zum Endverbraucher durchläuft.
WER PRODUZIERT DIE LEBENSMITTEL?
Der Großteil der Landwirtschaft der Welt liegt nicht in der
Hand leistungsstarker, moderner Landwirtschaftsbetriebe, wie wir sie aus Deutschland kennen, sondern in den
Händen kleinbäuerlicher Familienbetriebe. Während ein
durchschnittlicher Familienbetrieb in Deutschland über
43 Hektar hat, sind 85 Prozent der Bauernhöfe weltweit
kleiner als zwei Hektar, bewirtschaften aber zusammen
rund 60 Prozent der globalen Anbauflächen. Die meisten
dieser Betriebe befinden sich in Asien und Afrika.
Sie sichern die lokale und regionale Versorgung und
produzieren den größten Teil der Lebensmittel. Allerdings
arbeiten viele von ihnen bislang nicht sehr produktiv:
Pro Hektar erzeugen sie deutlich weniger als Betriebe in
Europa oder Nordamerika. So liegt in Afrika südlich der
Sahara der durchschnittliche Getreideertrag bei 0,5 bis 1,5
Tonnen pro Hektar, in Deutschland bei bis zu acht Tonnen.
Kleinbäuerliche Betriebe in Entwicklungsländern wirtschaften unter schwierigeren Bedingungen als ein Landwirt bei uns. Zumeist haben sie schlechteren Zugang zu
Land, Wasser, Saatgut, Dünger, Pflanzenschutzmitteln
und Energie und produzieren mit einfachen Werkzeugen
und Geräten und ohne moderne Methoden. Oft reichen
ihre Erträge daher kaum zum Überleben.
WERTSCHÖPFUNGSKETTE IN DER LANDWIRTSCHAFT AM BEISPIEL ACKERBAU: VIELE SIND BETEILIGT
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WARUM SIND LÄNDLICHE RÄUME IN ARMEN
LÄNDERN KAUM ENTWICKELT?
WO LASSEN SICH ERTRÄGE STEIGERN?
Über viele Jahrzehnte haben nationale Regierungen und
internationale Entwicklungspolitik kaum in die Landwirtschaft der Entwicklungsländer investiert. Daher
mangelt es an Beratung, Wissen, Kapital und funktionierender Infrastruktur. Während ein Bauer bei uns seine
Ernte z.B. im Getreidespeicher lagert, bevor er sie mit Hilfe
von Telefon, E-Mail, gewachsenen Marktstrukturen und
guter Straßenanbindung verkauft, fehlt es in Entwicklungsländern oft an all diesen Dingen. Es fehlen Möglichkeiten, die Produkte zu verarbeiten oder haltbar zu
machen. Es mangelt an Unterstützung durch Agrarpolitik
und guter Regierungsführung.
Die moderne, hoch entwickelte Landwirtschaft der
Industrieländer hat mit Hochleistungssorten und präzisem Einsatz von Pflanzenschutz-, Dünge- und Futtermitteln einen großen Anteil am Zuwachs der Lebensmittelproduktion der letzten Jahrzehnte. Sie hat ihre Möglichkeiten damit weitgehend genutzt. Große Potenziale für
Ertragssteigerungen liegen dagegen bei den kleinbäuerlichen Familienbetrieben in Schwellen- und Entwicklungsländern, gerade wegen ihrer bislang niedrigen Produktivität. Mit ihrer Förderung von reiner Selbstversorgung hin
zu einer zusätzlichen Erzeugung für den Markt sowie
organisatorischen Änderungen wie Kooperationen in
Genossenschaften lässt sich viel bewegen: Wenn sie mehr
VERTEILUNG DER 525 MIO. BAUERNHÖFE WELTWEIT
DURCHSCHNITTLICHE HOFGRÖSSE
Quelle: Agriculture at a Crossroads - Global Report 2009
BRENNPUNKT: PRODUKTIVITÄT STEIGERN
Wie lässt sich in Entwicklungsländern die Produktivität der Landwirtschaft sowohl für die Selbstversorgung als auch für den Verkauf
steigern? Zum Beispiel mit verbesserten Anbaumethoden, nachhaltiger
Bewässerung und Erosionsbekämpfung, mit angepasstem Saatgut,
Pflanzenschutz und Düngung. Hilfen bei Finanzierung, bei Bildung von
Kooperationen und bei Vermarktung erzeugen starke wirtschaftliche
Impulse für die ländlichen Regionen. Wichtig sind jedoch sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltige Anbaumethoden, die sauberes
Wasser, fruchtbare Böden, Wälder und Artenvielfalt langfristig erhalten.
ernten, besser vermarkten und verkaufen können,
verringert das nicht nur die Armut in ländlichen Regionen, sondern es kommen insgesamt mehr und vielfältigere Lebensmittel auf den Markt – ein wichtiger Schritt zur
Sicherung der Welternährung.
WAS GEFÄHRDET DIE ERNÄHRUNGSSICHERUNG?
EINE ZUKUNFTSFÄHIGE LANDWIRTSCHAFT
Ü liefert eine Vielfalt an bezahlbaren, hochwertigen
Lebensmitteln mit hoher Nährstoffdichte,
Ü produziert Lebensmittel vor Ort, die an lokale Kultur
und Standortbedingungen angepasst sind,
Ü sichert das Einkommen vieler Menschen vor allem in
Entwicklungsländern, die sich dadurch eine angemessene und ausgewogene Ernährung leisten können,
Ü vermeidet durch nachhaltige Methoden negative Folgen
für Umwelt, Gesellschaft und Gesundheit und bewahrt
natürliche Ressourcen für künftige Generationen,
Ü stärkt die Rolle der Frau in Familie, Wirtschaft,
Gesellschaft und Gesundheit.
Die Weltbevölkerung wächst. Werden wir in Zukunft alle
genug zu essen haben? Für die meisten Europäer dürfte
dies angesichts des reichhaltigen Warenangebots keine
ernsthafte Frage sein. Doch eine europaweite Umfrage der
EU-Kommission zeichnete 2012 ein anderes Bild: Drei
Viertel aller Europäer machen sich Sorgen über die
Deckung des weltweiten Lebensmittelbedarfs. Ob alle
Menschen Zugang zu ausreichenden und ausgewogenen
Lebensmitteln haben, hängt aber nicht nur von der
Produktionsmenge ab. Ernährungssicherung ist eine sehr
komplexe Angelegenheit, bei der viele Faktoren Einfluss
haben.
Die wichtigsten Grundlagen der Lebensmittelproduktion
sind die natürlichen Ressourcen – fruchtbare Böden und
Süßwasser ebenso wie die Fischbestände der Meere und
Binnengewässer. Sie sind nur begrenzt auf unserem
Planeten vorhanden und in vielen Regionen inzwischen
auch überbeansprucht oder durch falschen Umgang
geschädigt.
BRENNPUNKT: TANK, TROG ODER TELLER?
Land- und Forstwirtschaft haben schon immer neben Nahrung für Mensch und Futter für Nutztiere auch Rohstoffe geliefert: Bau- und Brennholz, Leder für Schuhe, Wolle für Kleidung, Flachs für Leinen, Hanf für Seile, Grundstoffe für Arzneien
und Kosmetika. Weil nachwachsende Rohstoffe aus Gründen der Nachhaltigkeit und des Klima-und Umweltschutzes
zunehmend Öl und andere fossile Rohstoffe substituieren, wächst heute auf den Rohstoffmärkten die Nachfrage nach
Biomasse für die Industrie und für erneuerbare Energieerzeugung.
Diese „biobasierte Wirtschaft“ eröffnet der Land- und Forstwirtschaft neue Einkommensmöglichkeiten. Der Rohstoffanbau
kann Arbeitsplätze in der Landwirtschaft schaffen, Kleinbauernfamilien Einnahmen und Entwicklungsländern Devisen bringen. Doch er ist auch eine Herausforderung: Jede Pflanze, jeder Quadratmeter Ackerfläche lassen sich nur einmal nutzen.
Soll damit die CO2-Bilanz der Autofahrer verbessert, sollen Gebrauchsgüter hergestellt, Futtertröge zur Fleischerzeugung
gefüllt – oder pflanzliche Lebensmittel erzeugt werden? Die wachsende Nutzungskonkurrenz um die begrenzten Agrarflächen ist ein Faktor, der sich auf die Lebensmittelpreise auswirken kann.
Die Bundesregierung tritt für die Verwirklichung des Menschenrechts auf angemessene Nahrung ein sowie für weltweite Regeln zur nachhaltigen Erzeugung von Nahrungsgütern und Agrarrohstoffen. Der Anbau von Rohstoffen darf nicht zum
Raubbau an den natürlichen Ressourcen oder zur Vertreibung von Kleinbauernfamilien führen. Für das innerhalb der Bundesregierung bei der Bioökonomiestrategie federführende BMEL hat die Ernährungssicherung Vorrang vor der Erzeugung
von Rohstoffen für Industrie und Energie. Hier bedarf es Strategien, um gleichzeitig die Ernährung zu sichern und das Potenzial nachwachsender Rohstoffe für Innovationen zu nutzen.
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ERNÄHRUNGSSICHERUNG – WAS IST DAS?
WIE VIELE LEBENSMITTEL WERFEN
VERBRAUCHER WEG? (PRO KOPF UND JAHR)
Die Welternährungsorganisation FAO definiert vier Dimensionen für Ernährungssicherung:
Ü Verfügbarkeit: Genug Lebensmittel sind dort verfügbar,
wo sie benötigt werden.
Ü Zugang: Die Menschen haben einen gesicherten Zugang
zu diesen Lebensmitteln, sie können also angemessene
Nahrung anbauen oder kaufen.
Ü Nutzung: Die Lebensmittel können angemessen und
bedarfsgerecht verwendet und verwertet werden – dazu
gehören eine gesunderhaltende Zubereitung ebenso wie
die körperliche Gesundheit als Voraussetzung, Nahrung
überhaupt aufnehmen zu können.
Ü Dauerhaftigkeit: Die Versorgung mit Lebensmitteln ist
langfristig stabil – also auch dann, wenn regional
Missernten auftreten.
Quelle: Agriculture at a Crossroads - Global Report 2009
Ernährungssicherung hängt also neben der Agrarproduktion auch von Verteilung und Infrastruktur, ausreichendem
Einkommen, Zugang zu Land, Gesundheit und Hygiene,
guter Regierungsführung und vielem mehr ab.
WARUM WERDEN BÖDEN UNFRUCHTBAR?
Das kann verschiedene Ursachen haben: In manchen
trockenen Zonen der Erde sind weite Flächen durch
Überweidung nahezu unfruchtbar geworden. In Zeiten
guter Regenfälle wächst das Gras üppig, so dass viele
Rinder, Schafe und Ziegen dort grasen können. Aber in
trockenen Jahren sind diese Herden zu groß. Sie fressen
die karge Pflanzendecke und gleich auch das Wurzelwerk.
Der Boden ist schutzlos der Erosion durch Wind und
Regen ausgesetzt. Auf solchermaßen degradierten Landflächen, wie Fachleute das Phänomen nennen, können
weder Weiden noch Feldfrüchte gedeihen.
BRENNPUNKT:
VERLUSTE VON LEBENSMITTELN
Weltweit geht rund ein Drittel aller Lebensmittel zwischen Feld und Teller verloren. Pro Jahr summieren
sich diese Verluste auf etwa 1,3 Milliarden Tonnen.
Schätzungen bei Getreide belaufen sich auf bis zu 30
Prozent Nachernteverluste, bei Obst und Gemüse,
Fisch und Meeresfrüchten sogar bis zu 50 Prozent.
Ursache sind Schädlingsbefall, Schimmel und Fäulnis
bei fehlerhafter Trocknung und Lagerung. Hinzu
kommen Verluste bei der Ernte, während des Transports und bei der Verarbeitung. Der Wert der Getreideverluste in Afrika südlich der Sahara wird auf jährlich vier Milliarden Dollar geschätzt – sie würden
ausreichen, um 48 Millionen Menschen zu ernähren.
Insgesamt werden nach Berechnungen der FAO jedoch von den Verbraucherinnen und Verbrauchern
in den Industrieländern mehr als zehnmal soviel
Lebensmittel weggeworfen wie in
Entwicklungsländern.
Mit der Kampagne „Zu gut für
die Tonne“ informiert das BMEL
deutsche Verbraucher darüber, wie
sie Lebensmittelverschwendung
vermeiden können
(www.zugutfuerdietonne.de).
Quelle: Studie der Universität Stuttgart (2012), gefördert durch das BMEL
DIE WELTWEITE BODENDEGRADATION
Quelle: FAO 2011
Auch Brandrodung und großflächiges Abholzen von
Wäldern schädigen die Bodenfruchtbarkeit. Die meisten
Wälder in Entwicklungs- und Schwellenländern werden
gerodet, um neue landwirtschaftliche Anbauflächen zu
gewinnen. Tropische Waldböden aber haben häufig nur
eine dünne, empfindliche Bodenschicht, deren Nährstoffe
bereits nach kurzer landwirtschaftlicher Nutzung erschöpft sind. Daher ist es oft nicht mehr möglich, den
ursprünglichen Zustand des Waldes wiederherzustellen.
Vor allem in trockenen Klimazonen gehen fruchtbare
Böden durch fehlerhafte Bewässerung verloren. Wo Regen
knapp ist, wird Grundwasser auf die Felder gepumpt. Das
löst im Boden enthaltene Salze, die mit dem verdunstenden Wasser nach oben steigen. Werden sie nicht über
fachgerechte Entwässerung abgeführt, reichern sie sich im
Boden an, der innerhalb weniger Jahre regelrecht versalzt
– keine Nutzpflanze wächst mehr.
Solche nicht nachhaltigen Methoden haben dazu beigetragen, dass innerhalb der letzten 25 Jahre, während die
Weltbevölkerung um etwa zwei Milliarden Menschen
zugenommen hat, rund ein Viertel der landwirtschaftlich
genutzten Flächen verloren gegangen ist. Alle drei Jahre
erobern Wüsten weltweit ein Gebiet von der Größe
Deutschlands.
KÖNNEN UNS DIE MEERE AUCH IN ZUKUNFT
NOCH ERNÄHREN?
Die Weltmeere sind eine der wichtigsten Nahrungsquellen
und unter anderem Grundlage der Eiweiß- und Jodversorgung für Milliarden Menschen vor allem in Küstenregionen. Laut Welternährungsorganisation FAO stagnieren die
Fischereierträge in den Meeren seit 1990 und sind inzwischen sogar rückläufig. Die küstennahe Fischerei mit
kleinen Booten ist davon besonders betroffen. Auch in
AGRARFLÄCHE PRO KOPF IM VERGLEICH ZUR WELTBEVÖLKERUNG (IN MILLIARDEN)
Quelle: World Bank 2010/11, FAO
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DIE VERTEILUNG DES HUNGERS (ANGABEN IN % DER WELTBEVÖLKERUNG)
Quelle: FAO SOFI 2014
Seen und Flüssen gehen die Fänge zurück. Das ist auch in
der starken fischereilichen Nutzung bis hin zur Überfischung sowie in der Gewässerverschmutzung begründet.
Einen wichtigen Beitrag zur Ernährung bilden laut FAO
in diesem Zusammenhang die Erzeugnisse der Aquakultur.
WO GIBT ES AM MEISTEN HUNGER?
Ein Blick auf die weltweite Verteilung des Hungers lässt
große Unterschiede zwischen den Ländern erkennen. Die
Lage in Asien, vor allem in Ost- und Südostasien, hat sich
seit 1990 deutlich verbessert, ebenso in Mittel- und
Lateinamerika. Zwar leiden auch dort immer noch viele
Millionen Menschen unter Hunger und Unterernährung,
aber ihr Anteil an den Einwohnerzahlen ist gesunken. In
insgesamt 26 Ländern hat sich die Lage verbessert, in 16
Ländern, überwiegend in Subsahara-Afrika, ist die
Versorgungslage aber nach wie vor sehr kritisch.
WARUM HABEN NICHT ALLE MENSCHEN ZU­
GANG ZU NAHRUNG?
Was sind die Gründe für ungleiche Verteilung und
mangelnden Zugang zu Lebensmitteln? Gewiss gehören
in einigen Regionen Dürren, Überschwemmungen,
Erdbeben, Epidemien, aber auch Kriege dazu. Sie vernichten die Ernten und treffen die Menschen in ländlichen
Regionen besonders hart. Doch überwiegend sind es
politische und strukturelle Gründe, die zu Mangel und
Unterversorgung führen: das Versagen politisch Verantwortlicher, die falsche Entscheidungen über Investitionen
oder Infrastruktur treffen und damit die Bedingungen
BRENNPUNKT:
LANDWIRTSCHAFT – BETROFFENE
UND MITVERURSACHERIN DES
KLIMAWANDELS
Landwirtschaft ist vom Klima abhängig und reagiert
daher sensibel auf den Klimawandel, besonders auf die
zu erwartende Zunahme klimatischer Extremereignisse
wie Dürreperioden und Überschwemmungen. Die AusAuswirkungen sind sehr ungleich verteilt: Während die ProProduktivität der Landwirtschaft in den Ländern nördlich
und südlich des Äquators, also in Teilen Afrikas, SüdostSüdostasiens und Lateinamerikas, um bis zu 50 Prozent zu sinsinken droht, könnte sie in den Ländern der Nordhalbkugel
um bis zu 35 Prozent steigen. Bäuerliche Familien in EntEntwicklungsländern sind wegen ihrer hohen Abhängigkeit
von der Landwirtschaft am stärksten betroffen. Sie
haben kaum Möglichkeiten, sich gegen die Folgen des
Klimawandels zu wappnen.
Die Landwirtschaft trägt jedoch auch zur globalen
Erwärmung bei: Sie produziert rund 14 Prozent der
weltweit emittierten Treibhausgase, 80 Prozent davon
werden in Schwellen- und Entwicklungsländern freigefreigesetzt. Die Treibhausgase Kohlendioxid, Methan und
Lachgas werden von Rindern, bei Düngung, BodenbearBodenbearbeitung, Verbrennung von Ernterückständen und NassNassreisanbau emittiert. Vom Feld bis zum Teller entstehen
bei einem Kilo Brot etwa 720 Gramm CO2, für ein Kilo
Rindfleisch rund 13.300 Gramm CO2.
Zusätzlich setzt die Rodung von Tropenwäldern zur GeGewinnung von landwirtschaftlichen Flächen im Wald und
in den Waldböden gespeichertes CO2 frei. Das trägt
ebenfalls wesentlich zur globalen Erwärmung bei.
Die Minderung des Ausstoßes landwirtschaftlicher
Treibhausgase und die Anpassung der Landwirtschaft an
die Folgen des Klimawandels sind wesentlich für die
Ernährungssicherung im 21. Jahrhundert.
FEHLENDE INVESTITIONEN
Nach wie vor aber werden in vielen Ländern Bauern und
ländliche Regionen von der Politik gering geschätzt.
Investiert wird vor allem in den Städten, wo große Wählerschichten mobilisiert werden können. Um die ärmeren
Bevölkerungsschichten dort gewogen zu halten, werden
Lebensmittelpreise niedrig gehalten. Die Folge: Landwirte
haben keinen Anreiz zum Verkauf, produzieren weniger
und haben geringere Einkünfte. Bildung und Ausbildung
in den Dörfern werden vernachlässigt, ebenso die Gesundheitsversorgung, die Elektrifizierung, der Bau und Erhalt
von Straßen und der Aufbau eines funktionierenden
Finanzwesens.
für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung verschlechtern.
So trägt etwa die Entscheidung, Straßen in ländlichen
Regionen zu bauen, deutlich zur Ernährungssicherung
eines Landes bei: Bessere Transportwege bedeuten
schnelleren Zugang der Bauern zu den Märkten und weniger verdorbene Lebensmittel; der Verkauf von einheimischem Getreide, Gemüse und Früchten schafft höheres
Einkommen für die Dörfer und motiviert die Bauern, ihre
Produktion zu steigern.
Wenn Regierungen einen Agrarberatungsdienst in
ländlichen Regionen finanzieren, der Bauern bei sachgerechter Bewässerung oder Bekämpfung von Schädlingen
hilft, wenn Kredite bereitgestellt werden und Schulen in
ländlichen Regionen besser ausgestattet werden, dann
schafft all dies strukturelle Voraussetzungen für Ernährungssicherung und ländliche Entwicklung. Und wenn
dadurch junge Leute in den Dörfern eine wirtschaftliche
und soziale Perspektive für ihre eigene Zukunft erhalten,
wird auch die Landflucht verringert.
GÜNSTIGE RAHMENBEDINGUNGEN SCHAFFEN
Warum geschieht nicht in mehr Ländern das Notwendige,
warum setzen nicht mehr politisch Verantwortliche auf
eine stärkere Förderung der Landwirtschaft und ländlichen Regionen? Tatsächlich geschieht nämlich genau dies
in jenen Ländern, die die Zahl der Hungernden und
Unterernährten gesenkt und die Einkommen der Bauern
gesteigert haben.
„Ein wesentlicher Schritt besteht darin, landwirtschaftlichen Betrieben günstige Rahmenbedingungen zu bieten,
welche die Nachhaltigkeit des Wachstums im Agrarsektor
gewährleisten können“, fasst das International Food
Policy Research Institute in Washington, eine unabhängige Forschungseinrichtung, das Ergebnis seiner Untersuchungen zusammen.
Unsichere Land- und Wassernutzungsrechte erleichtern
die Vertreibung von Bauern, Hirten und anderen Landnutzern, wenn etwa einflussreiche Investoren ein Auge auf
fruchtbares Ackerland geworfen haben. Vorrangig ist dies
ein Problem in Staaten mit schlechter Regierungsführung
und niedrigen rechtsstaatlichen Standards. So haben
einige Länder die Nutzungsrechte für hunderttausende
von Hektar Land für Jahrzehnte an Investoren übertragen,
die dort hoch mechanisierte Großfarmen aufbauen und
nicht selten die vorhandenen natürlichen Ressourcen
stark beanspruchen. Die Ernten dieser Großbetriebe sind
häufig nicht für den Verkauf auf den lokalen Märkten
gedacht, sondern werden in kaufkräftige Abnehmerländer
exportiert. Die einheimischen Bauern müssen auf weniger
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ÜBERERNÄHRUNG NIMMT ZU
(ANTEIL DER ADIPÖSEN* AN DER BEVÖLKERUNG / ANGABEN IN PROZENT)
Quelle: WHO 2012
fruchtbare Gebiete ausweichen, wo die Ernten oft nicht
reichen, um die Familien ausreichend zu ernähren: Ist der
Zugang zu guten Böden versperrt, wird auch der Zugang
zu Einkommen und Nahrung verwehrt.
Geringschätzung der Landwirte, Vernachlässigung
ländlicher Regionen, fehlende politische Teilhabe der
Landbevölkerung, Unkenntnis der Menschen über ihre
Rechte und oft auch Korruption bilden den „Nährboden“
für Armut. So entsteht eine paradoxe Situation: Drei von
vier unterernährten Menschen leben auf dem Land, fast
alle produzieren selbst Nahrung – für eine ausreichende
und gesunde Ernährung allerdings zu wenig, und sie sind
zu arm, um Nahrung hinzukaufen zu können.
Frauen und Kinder sind besonders betroffen: Zu den
politischen und strukturellen Ursachen kommen in
vielen ärmeren Ländern kulturelle Traditionen und
nachteilige Gesellschaftsstrukturen hinzu. In Dörfern
und in den Armenvierteln der schnell wachsenden Städte
sind Frauen wesentlich häufiger arm und unterernährt
als Männer, meist sind sie schlechter ausgebildet und
haben deshalb weniger Möglichkeiten, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Auf den Dörfern haben Frauen oft
schlechteren Zugang zu Land und anderen produktiven
Ressourcen. Zum Teil auch aus Unwissenheit werden
Kinder oft nicht ausgewogen ernährt.
BRENNPUNKT:
ÜBERGEWICHT AUCH IN ENTWICKLUNGS­
LÄNDERN AUF DEM VORMARSCH
Das Einkommen vieler Millionen Menschen in Asien,
Lateinamerika und Afrika steigt. Sie werden als die
„neuen Mittelschichten“ der Schwellen- und Entwicklungsländer bezeichnet, ihre Zahl wächst und wird
Mitte des Jahrhunderts die Milliardengrenze erreichen. Wie zuvor in den industrialisierten Ländern
ändern sich mit mehr Wohlstand auch Lebensstil und
Konsumgewohnheiten. Sitzende Tätigkeiten nehmen
zu, ebenso der Verzehr von Fleisch, Zucker, Süßgetränken, Milchprodukten, Fett, Pflanzenölen und
generell von verarbeiteten Lebensmitteln, während
der von Hülsenfrüchten, Gemüse und grobkörnigem
Getreide zurückgeht. Dieser Wandel der Ernährungsgewohnheiten hat Folgen für die Ernährungssicherung. Eine zunehmende Fleischproduktion verstärkt
die Flächenkonkurrenz zwischen Lebens- und Futtermitteln. Die veränderten Verzehr- und Lebensgewohnheiten führen zu mehr Fettleibigkeit und „Wohlstandskrankheiten“ wie Bluthochdruck; Diabetes gilt
heute schon als die neue „afrikanische Volkskrankheit“. Wo ehedem überwiegend Unterernährung
herrschte, treten heute vermehrt Fehl- und Mangelernährung auf, auch bei den ärmsten Bevölkerungsgruppen. Unter-, Fehl- und Mangelernährung kommen sogar gleichzeitig in ein und demselben Haushalt vor.
LÖSUNGSWEGE ZUR ERNÄHRUNGSSICHERUNG
Wie lässt sich die Ernährung sichern? Mit dieser Frage
befassen sich Agrar- und Ernährungswissenschaftler,
Ökonomen und Ökologen weltweit. Sie entwickeln
unterschiedliche Lösungsansätze, aber alle gehen von
einer Erkenntnis aus: Die Landwirtschaft der Zukunft
wird sich an den Prinzipien der Nachhaltigkeit und eines
effizienteren Ressourceneinsatzes orientieren müssen.
Einige Beispiele: Schon mit wenig Aufwand lässt sich der
Verlust fruchtbaren Ackerbodens stoppen.
Ü Kleine Regenwasserrückhaltewälle und Hecken als
Windschutz auf den Feldern mindern Bodenerosion
durch Regen und Wind.
Ü Die dosierte „Tröpfchenbewässerung“ direkt an den
Pflanzenwurzeln ist effizienter als großflächige
Feldbewässerung, bei der viel Wasser verdunstet und
zu Bodenversalzung führt.
Ü Aufeinander abgestimmte Mischpflanzungen, wie
Kaffee- und Kakaobäume zusammen mit Bananenstauden, steigern mit geringem Arbeitsaufwand die
Erträge und schonen die Böden.
In anderen Bereichen zeichnen sich ebenfalls positive
Tendenzen ab: Wo vielerorts kleine Familienbetriebe
keinen Zugang zu Krediten hatten, bieten heute verschiedene Formen der Mikrofinanzierung Darlehen zu akzeptablen Zinssätzen.
Auch die Agrar- und Ernährungsforschung liefert neue
Erkenntnisse und ein besseres Verständnis kleinbäuerlicher Landwirtschaft. Forscher arbeiten an nachhaltigem
Pflanzenschutz und an Bodenverbesserung, züchten
Gemüse- und Obstsorten, die ertrag- und nährstoffreich
und widerstandfähiger gegen Schädlinge oder Trockenheit
sind. Dabei kommen auch fast vergessene lokale Getreideoder Gemüsesorten zum Einsatz, die oft besser an die
jeweiligen Standortbedingungen angepasst sind. So trägt
die Forschung zu höherer Produktivität und Nährstoffdichte sowie zum schonenden, effizienteren Umgang mit
den natürlichen Ressourcen bei.
WELCHE PERSPEKTIVEN HABEN KLEINBAUERN?
Damit die bäuerlichen Familienbetriebe weiterhin das
Rückgrat der Welternährung bilden, müssen sie Produktion und Produktivität nachhaltig steigen. Ohne Modernisierung der ländlichen Regionen und ohne Professionalisierung der Landwirte wird dies nicht gelingen. Ihre
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Zukunft und mit ihnen die Zukunft der Welternährung
insgesamt kann nicht in der Subsistenzwirtschaft
(Selbstversorgung) liegen.
Die kleinbäuerlichen Produzenten müssen die Märkte
besser kennen und beliefern können. Vor allem der
Zugang zu den Märkten der Ballungsräume stellt viele
Kleinbauern vor große Herausforderungen. Dort
etablieren sich zunehmend große Handelsketten, die
von ihren Lieferanten stetig und zuverlässig gleichbleibende Qualität erwarten. Eine Chance für die Familienbetriebe: In Genossenschaften zusammengeschlossen,
können sie Produktion, Verarbeitung und Vermarktung
ihrer Erzeugnisse gemeinsam und effektiv organisieren.
Eine andere Form des Marktzugangs ist die Vertragslandwirtschaft, bei der der künftige Käufer, etwa eine
Lebensmittelfirma, die Abnahme von Erzeugnissen zu
einem vereinbarten Zeitpunkt und Preis garantiert.
Gerade kleinbäuerlichen Betrieben kann das Vorteile
bringen: Die Abnahme- und Preisgarantien bieten
Sicherheit für die Vorfinanzierung des Anbaus und
senken das Absatzrisiko.
Eine moderne Marktproduktion mindert also keineswegs die Chancen kleiner Betriebe. „Klein“ ist ohnehin
ein relativer Begriff, denn in fruchtbaren Regionen von
Entwicklungsländern kann ein bäuerlicher Betrieb
auch mit wenigen Hektar ein ausreichendes Einkommen erzielen. Andernorts werden die Flächen größer
sein müssen, um unter Berücksichtigung ökologischer
wie ökonomischer Aspekte nachhaltig ein ausreichendes Einkommen erwirtschaften zu können.
All das kann das Einkommen der ländlichen Bevölkerung in Landwirtschaft, Handwerk und Dienstleistungen steigern. Nur wenn sich Leben und Arbeiten in den
ländlichen Regionen „lohnen“, wenn dort die Lebensbedingungen und die Zukunftsaussichten besser werden,
kann die Welt auch ausreichend ernährt und Landflucht vermieden werden.
BRENNPUNKT:
LEBENSMITTELPREISE UND SPEKULATION
Seit 2000 kam es auf den Weltmärkten für Agrarrohstoffe zu heftigen Preisschwankungen mit extremen Preisspitzen. Sie hatten problematische Auswirkungen auf die
Ernährungslage, vor allem in den am wenigsten entwickelten Ländern. Entwicklungen bei den fundamentalen
Faktoren (unter anderem wachsende Weltbevölkerung,
verändertes Konsumverhalten in Schwellenländern,
Nachfrage nach Bioenergie, begrenztes Vorhandensein
von Anbaufläche, abnehmende Verfügbarkeit von fossiler Energie und von Wasser, Ressourcenverknappung in
ökologisch sensiblen Regionen durch den Klimawandel)
treiben langfristig das Preisniveau. Zudem ist auch künftig mit großen Schwankungen bei den Nahrungsmittelpreisen zu rechnen.
Warentermingeschäfte sind ein nützliches Instrument
für die Agrar- und Ernährungswirtschaft, sich gegen unerwartete Preisschwankungen abzusichern. Andererseits
liefern die Börsen, an denen Warentermingeschäfte
stattfinden, Signale über die aktuelle und zu erwartende
Preisentwicklung. Warenterminmärkte müssen daher vor
exzessiver Spekulation und Marktmissbrauch geschützt
werden. Ansonsten können Fehlsignale unter Umständen
die Preisbildung an den physischen Märkten verzerren.
In diesem Sinne unterstützt die Bundesregierung auch
die aktuellen Finanzmarktreformen auf EU-Ebene im
Hinblick auf Agrarterminmärkte. Ihr Fokus sind die
Schaffung von Transparenz an den Warenterminmärkten für Agrarrohstoffe sowie eine angemessene Regulierung, die die positiven Eigenschaften der Warenterminmärkte nicht abwürgt. Die entsprechenden Gesetzgebungen in Europa und den USA (wo sich die Leitbörsen
für Agrarrohstoffe befinden) sind im Wesentlichen bereits angepasst.
2
Warum steht auch Deutschland in der Verantwortung?
Es gibt viele gute Gründe für die Bundesregierung, sich aktiv für eine gesicherte
Welternährung zu engagieren: Hunger sowie Fehl- und Mangelernährung
verursachen menschliches Leid. Dem zu begegnen, ist eine zutiefst humanitäre
Aufgabe. Doch es gibt weitere Gründe, dazu beizutragen, dass alle Menschen
jederzeit ausreichend mit Lebensmitteln versorgt sind, um ein aktives und
gesundes Leben führen zu können. Wo es an Ernährungssicherung mangelt, sind
die soziale und politische Stabilität gefährdet und Frieden und Sicherheit bedroht.
Agrar- und Ernährungspolitik dienen der Krisenprävention und sind damit Teil
einer aktiven Friedenspolitik. Vor allem aber ist das Recht auf Nahrung ein
universell geltendes Menschenrecht. Eine leistungsfähige und nachhaltige
Landwirtschaft ist eine wichtige Grundlage, um dieses Menschenrecht für
alle zu verwirklichen.
14 | 15
DAS MENSCHENRECHT AUF NAHRUNG
Hunger, Mangel- und Fehlernährung zu beseitigen, ist
nicht nur die Aufgabe jener Länder, in denen es an
Lebensmitteln mangelt. Es ist eine globale Aufgabe.
Angesichts der Welternährungskrisen und Hungersnöte
in den 1970er und 1990er Jahren setzte sich die Erkenntnis durch, dass viele gemeinsame Anstrengungen nötig
sind, um Ernährungssicherung zu erreichen und das
Menschenrecht auf Nahrung zu verwirklichen. Es besagt,
dass Menschen entweder Zugang zu Ressourcen haben
müssen, die sie dazu befähigen, in Quantität und Qualität
ausreichende Nahrung zu produzieren, oder genug zum
Erwerb von Nahrung verdienen müssen, um sich nicht
nur vor Hunger zu schützen, sondern darüber hinaus
Gesundheit und Wohlbefinden abzusichern. Nur in
Ausnahmefällen – etwa bei Katastrophen oder bei
erwerbsunfähigen Menschen – bedeutet dies klassische
Lebensmittel- oder Sozialhilfe, um Leben und Gesundheit
von Menschen zu erhalten. Eine besondere Verpflichtung
haben die Staaten gegenüber verletzlichen Gruppen wie
Kindern, Frauen, kranken und alten Menschen sowie
gegenüber Landlosen und Armen.
LEITLINIEN ZUR VERWIRKLICHUNG DES
MENSCHENRECHTS AUF NAHRUNG
Im November 2004 hat die Welternährungsorganisation
FAO der Vereinten Nationen die „Freiwilligen Leitlinien
zur Unterstützung der schrittweisen Verwirklichung des
Rechts auf Nahrung im Kontext nationaler Ernährungssicherung“ beschlossen. Die Bundesregierung hat durch
das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) die Entwicklung dieser freiwilligen Leitlinien politisch und finanziell maßgeblich unterstützt.
Die Leitlinien fordern von den Staaten verstärkte Anstrengungen zur Bekämpfung des Hungers und geben
Handlungsempfehlungen, um das Recht auf angemessene
Nahrung zu verwirklichen, etwa zur rechtlichen und
institutionellen Verankerung von Menschenrechten, zu
sicherem Zugang zu Produktionsressourcen wie Land,
Wasser oder Saatgut, zur Verbesserung von landwirtschaftlichen Strukturen, Produktivität und Vermarktung
sowie zum Aufbau sozialer Sicherungssysteme. Die
Leitlinien dienen Staaten, Medien und Zivilgesellschaft
im weltweiten Kampf gegen Hunger und Mangelernährung als wichtige Orientierung für mehr innerstaatliche
Verantwortung und gute Regierungsführung.
BRENNPUNKT:
WAS BEDEUTET DAS MENSCHENRECHT
AUF NAHRUNG?
In Artikel 25 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 heißt
es: „Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard,
der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl
gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung,
Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen (...).“ Völkerrechtlich verankert ist das
Menschenrecht auf Nahrung im Internationalen Pakt
über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
(Sozialpakt) von 1976, dem bislang über 160 Staaten
beigetreten sind. Gemäß Artikel 11 (1) erkennen die
Vertragsstaaten „das Recht eines jeden auf einen angemessenen Lebensstandard für sich und seine
Familie an, einschließlich ausreichender Ernährung,
Bekleidung und Unterbringung, sowie auf eine stetige
Verbesserung der Lebensbedingungen“. In Artikel 11
(2) bestätigen sie, dass dringlichere Maßnahmen erforderlich sind, um „das grundlegende Recht eines
jeden, vor Hunger und Mangelernährung geschützt
zu sein“, zu gewährleisten. Das Recht auf Nahrung
umfasst damit sowohl das Prinzip der Zugänglichkeit
als auch das Prinzip der Verfügbarkeit. Staaten müssen einen existierenden Zugang zu Nahrung respektieren, also jede Handlung unterlassen, die Menschen
ihres vorhandenen Zuganges zu Nahrung beraubt.
Staaten müssen den Zugang zu Nahrung vor Übergriffen Dritter schützen, sei es durch Gesetze oder
polizeiliche Maßnahmen. Staaten müssen den
Zugang zu Nahrung gewährleisten, falls dieser noch
nicht vorhanden ist. Auch Unternehmen haben eine
politische Verantwortung, das Menschenrecht auf
Nahrung zu respektieren und dürfen nicht zu seiner
Verletzung beitragen.
SICHERE WELTERNÄHRUNG –
AUFGABE FÜR ALLE
Fünf triftige Gründe für das deutsche Engagement:
Ü Das Menschenrecht auf Nahrung verpflichtet die Staaten verbindlich zum Handeln.
Ü Ernährungssicherung kann nicht allein durch Entwicklungs- und Schwellenländer erreicht werden.
Ü Eine weltweit klimafreundlichere und ressourceneffizientere Agrar- und Ernährungswirtschaft liegt in unserem
Interesse.
Ü Eine zuverlässige Nahrungs- und Rohstoffversorgung
liegt auch im Interesse deutscher Verbraucher und der
Lebensmittelindustrie.
Ü Ernährungspolitik ist auch Friedens- und
Sicherheitspolitik.
FÜR STABILITÄT UND SICHERHEIT SORGEN
Ernährungspolitik ist immer auch Sicherheitspolitik.
Territoriale Konflikte sind häufig auch Konflikte um
Ressourcen, vor allem um Land oder Wasser. Raubbau,
Vertreibungen von Kleinbauern oder Vernachlässigung
der Bedürfnisse der Landbevölkerung verstärken diese
Wirkung. Wem verwehrt wird, auf seinem Land etwas
anzubauen, der hat keinen Erwerb. Wer keinen Erwerb
hat, ist in seiner Existenz bedroht und verliert die Perspektive. Das führt zu Entwurzelung und Verdrängung der
ländlichen Bevölkerung und kann die Stabilität ganzer
Regionen bedrohen. Umgekehrt gefährden Konflikte
wiederum die Nahrungsversorgung. Eine Förderung der
Landwirtschaft und ländlicher Regionen hingegen stärkt
die regionale politische Stabilität. Daher müssen die
Regierungen der betroffenen Länder darin unterstützt
werden, das Recht auf Nahrung auch zu verwirklichen.
UMWELT UND KLIMA SCHÜTZEN
WASSERVERBRAUCH IM VERGLEICH (PRO KILO)
Quelle: UN DESA 2012, BMUB 2014
Die Produktion von Lebensmitteln für die Menschheit
benötigt große Mengen natürlicher Ressourcen. Es liegt in
unserem Interesse, an diesen begrenzten Ressourcen
keinen Raubbau zu betreiben, sondern sie durch die
weltweite Verbreitung moderner, effizienter und nachhaltiger Anbaumethoden zu erhalten. Die Landwirtschaft ist
schon heute weltweit der größte Wasserverbraucher: Über
70 Prozent der weltweiten Süßwassernutzung gehen auf
ihr Konto. Um ein Kilo Rindfleisch zu produzieren,
werden insgesamt über 15.000 Liter Wasser benötigt, für
die gleiche Menge Kartoffeln nur 250 Liter. Werden in
weniger entwickelten Ländern mehr Futtermittel angebaut, um den wachsenden Fleischbedarf zu bedienen,
kann das auch den Wassermangel verschärfen. Mit
Methan und Lachgas, die zum Beispiel beim Nassreisanbau und bei der Rinderhaltung entstehen, zählt die
Landwirtschaft zu den Quellen von Treibhausgasen.
Um den wachsenden Bedarf zu befriedigen, muss auf
vorhandenen Flächen und mit dem vorhandenen Wasser
mehr erzeugt werden. Die Ressource Wasser muss effizienter und nachhaltiger eingesetzt werden, nicht nur in
den Industrieländern, sondern auch bei den Millionen
Kleinbauernfamilien in den Entwicklungsländern. So
können Umwelt und Klima geschützt werden.
IN DEN ERZEUGERLÄNDERN
EINKOMMEN SICHERN
Investitionen in die Landwirtschaft in den Schwellenund Entwicklungsländern stärken die Kaufkraft der
Bevölkerung vor Ort und tragen wesentlich dazu bei, das
Menschenrecht auf Nahrung zu verwirklichen. Vor allem
Kleinbauern spielen hierbei eine wichtige Rolle: Sie sorgen
in besonderem Maße für die lokale Ernährungssicherung
– durch heimische Produkte, zum Beispiel Hirse oder
Maniok. Gleichzeitig sind sie mit erheblichen Einschrän-
16 | 17
kungen konfrontiert, indem sie wenig Zugang zu Bildung,
Gesundheitsdiensten, Märkten und Krediten haben.
Daher empfiehlt zum Beispiel der Welternährungsausschuss der Vereinten Nationen (Committee on World Food
Security, CFS) mehr öffentliche Investitionen in Straßen,
Energie und Telekommunikation, in das nachhaltige
Management von Wasser und genetischen Ressourcen für
Ernährung und Landwirtschaft sowie in die Erhaltung
von Böden und Wäldern. Bei der Stärkung der kleinbäuerlichen Strukturen legt die Bundesregierung besonderes
Augenmerk auf die Beteiligungsrechte von Frauen und
Mädchen. Internationalen Schätzungen zufolge könnte
die Zahl der Hungernden weltweit um über 100 Millionen
reduziert werden, wenn Frauen denselben Zugang zu
Land, Bildung und Technologie hätten wie Männer.
VONEINANDER PROFITIEREN –
GLOBALE VERANTWORTUNG
Die EU ist für Schwellen- und Entwicklungsländer ein
wichtiger Absatzmarkt. Zu einem großen Teil liefern sie
wichtige Erzeugnisse, die nicht oder kaum mit EU-Produkten konkurrieren: südländisches Obst und Gemüse
sowie Kaffee, Kakao und Tee, aber auch verschiedene
Rohstoffe. Rund 70 Prozent der Agrarimporte und etwa
50 Prozent der Exporte werden mit den Entwicklungsund Schwellenländern getätigt. Aus diesen Ländern
importierte die EU 2013 Agrargüter im Wert von etwa
80 Milliarden Euro. Der Export aus der EU in die Entwick-
lungs- und Schwellenländer ist demgegenüber mit etwa
58,3 Milliarden Euro (2013) deutlich geringer. Für die
Entwicklungs- und Schwellenländer ist die EU im internationalen Vergleich auch ein besonders offener Absatzmarkt. Sie liefern in die EU zollfrei oder zu niedrigen
Zollsätzen mehr Agrarprodukte als in die USA, nach Kanada, Japan, Australien und Neuseeland zusammen.
Verbraucher und Lebensmittelwirtschaft in Deutschland
sind in hohem Maße auf eine sichere Versorgung mit
Lebensmitteln und Agrarrohstoffen in gleichbleibend
hoher Qualität aus Entwicklungs- und Schwellenländern
angewiesen. Daher liegt eine weltweit leistungsfähige,
konkurrenzfähige Landwirtschaft, die auch die kleinbäuerlichen Familien angemessen ernährt, genauso in
unserem Interesse wie ein gleichberechtigter, freier
Zugang der Schwellen- und Entwicklungsländer zu den
internationalen Lebensmittel- und Rohstoffmärkten.
Aber auch die Verbraucher in Deutschland können
Verantwortung übernehmen: Zum Beispiel sorgsam mit
dem wertvollen Gut Nahrung umgehen, indem sie weniger Lebensmittel wegwerfen oder gezielt nachhaltig
erzeugte Produkte kaufen. Das Konsum- und Ernährungsverhalten in Industrieländern wie Deutschland kann
tendenziell auch zur Verknappung und damit zur Steigerung der Preise für Lebensmittel beitragen. Und die trifft
die Ärmsten der Armen am stärksten.
DAS MENSCHENRECHT AUF NAHRUNG: WICHTIGE SCHRITTE ZUR VERWIRKLICHUNG
1948
Das Recht auf Nahrung findet Eingang in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen.
1976
Mit dem Inkrafttreten des UN-Sozialpakts wird das Menschenrecht auf Nahrung völkerrechtlich verankert.
1996
Auf dem Welternährungsgipfel wird das Recht auf Nahrung bekräftigt. Die Staaten werden aufgefordert, die Zahl
der Hungernden bis zum Jahr 2015 zu halbieren.
2000
In die Millenniums-Entwicklungsziele findet das Ziel Eingang, den Anteil der hungernden Menschen zu halbieren.
2002
Der zweite Welternährungsgipfel fordert freiwillige Leitlinien, nach denen die Staaten das Recht auf angemessene
Ernährung schrittweise umsetzen.
2004
Die Welternährungsorganisation FAO beschließt die „Freiwilligen Richtlinien zur Implementierung des Rechts auf
Nahrung“. An der Entwicklung war das BMEL federführend beteiligt.
2009
Auf dem dritten Welternährungsgipfel werden Grundlagen für eine „globale Partnerschaft für Landwirtschaft und
Ernährungssicherheit“ gelegt. Ein Netzwerk aus UN-Organisationen, Geber- und Entwicklungsländern soll
Maßnahmen zur Welternährung koordinieren.
2012
Der Ausschuss für Welternährungssicherung (CFS) verabschiedet die „Freiwilligen Leitlinien für die verantwortliche
Regulierung von Boden- und Landnutzungsrechten, Fischgründen und Wäldern im Rahmen der nationalen
Ernährungssicherung“ (VGGT).
2014
Der Ausschuss für Welternährungssicherung (CFS) verabschiedet einen Katalog mit Prinzipien für verantwortliche
Investitionen in Landwirtschaft und Nahrungsmittelsysteme (RAI-Prinzipien).
Wird das Recht auf Nahrung als grundlegender Anspruch anerkannt, so hat das entscheidenden Einfluss auf die Strategien gegen Hunger.
Wird Hunger als Schicksalsschlag verstanden, verursacht durch äußere Umstände wie Dürre oder Krieg, so wird eher mit karitativen Hilfslieferungen reagiert. Nahrung als Rechtsanspruch erfordert dagegen strukturelles und politisches Vorgehen gegen die Ursachen von
Hunger und Mangelernährung.
3
Wie lässt sich die
Ernährung sichern?
Die Ernährung der Weltbevölkerung im 21. Jahrhundert erfordert nicht allein
eine Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion. Denn es geht um mehr als
um die Bekämpfung von Hunger und kalorischer Unterversorgung. Gefragt ist
ein ganzheitlicher Ansatz, der auch die Qualität und Vielfalt der Ernährung im
Blick hat. Ernährungssicherung mit all ihren Aspekten – Verfügbarkeit von und
Zugang zu Lebensmitteln, Verwertung der vorhandenen Nahrung im Körper und
Dauerhaftigkeit der Versorgung – steht in einem gesundheitlichen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Zusammenhang.
Diese Herausforderungen kann kein Land allein bewältigen. Es liegt auch in der
Verantwortung der internationalen Gemeinschaft, Hunger zu bekämpfen und das
Menschenrecht auf angemessene Nahrung zu verwirklichen. Eine wichtige Rolle
spielt dabei naturgemäß die Agrar- und Ernährungspolitik, doch die Probleme –
etwa Armut oder Klimawandel – erfordern ein kohärentes Engagement aller
Politikfelder.
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) setzt sich in
internationalen Institutionen und politischen Prozessen dafür ein, eine übergreifende Politik für eine gesunde und ausgewogene Ernährung zu gestalten. Durch
Projekte vor Ort stärkt das Ministerium den Aufbau einer leistungsfähigen und
nachhaltigen Land- und Ernährungswirtschaft.
18 | 19
WELCHEN BEITRAG LEISTET DIE
BUNDESREGIERUNG ZUR GLOBALEN
ERNÄHRUNGSSICHERUNG?
Die Beseitigung von Hunger, Mangel- und Fehlernährung
auf der Welt hat für die Bundesregierung eine große
Bedeutung. Sie tritt weltweit für Regeln für eine nachhaltige landwirtschaftliche Produktion ein. Sie hat den
Abbau von Subventionen für Lebensmittelexporte mit
dem Ergebnis verfolgt, dass die Exporterstattungen seit
2013 auf null zurückgefahren wurden. Sie setzt sich –
zum Beispiel in der Gruppe der 20 wichtigsten Industrieund Schwellenländer (G20) – für mehr Transparenz auf
den Agrarmärkten ein, für den gesicherten Zugang zu
Land und anderen natürlichen Ressourcen sowie für
mehr Investitionen im Agrarbereich. Die Bundesregierung betrachtet den menschenrechtsbasierten Ansatz für
Ernährungssicherung als den erfolgversprechendsten
und tritt für seine Verwirklichung ein. Dabei betont sie
die Verantwortung der Partnerländer, ihre Land- und
Ernährungswirtschaft sowie andere ernährungsrelevante
Bereiche wie Gesundheit und Bildung zu stärken.
Hier übernimmt das BMEL eine wichtige Rolle. Auf
praktischer Ebene unterstützt es mit seiner Erfahrung und
Kompetenz die Arbeit der Vereinten Nationen und arbeitet
besonders intensiv mit der FAO zusammen, deren drittgrößter Beitragszahler Deutschland ist. Zudem tritt das
Bundesministerium in der FAO, in internationalen
Institutionen und politischen Prozessen wie G7, G20 und
der Post-2015-Entwicklungsagenda für völkerrechtliche
Normen und Leitlinien ein, um Ernährungssicherung und
ausgewogene Ernährung als prioritäres politisches Ziel
weltweit zu verankern.
WAS MACHT DIE FAO?
WER IST IN DER BUNDESREGIERUNG FÜR
DIESES THEMA ZUSTÄNDIG?
Das Fachwissen und die Erfahrung liegen innerhalb der
Bundesregierung beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), das daher die Federführung für diese Themen hat. Dabei kooperiert es eng
mit anderen Ressorts wie dem Auswärtigen Amt und den
Bundesministerien für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung, für Umwelt und Bau, für Bildung und
Forschung sowie für Gesundheit.
WARUM ENGAGIERT SICH DAS BMEL IN DER
INTERNATIONALEN ZUSAMMENARBEIT?
Jedes Land trägt selbst die Verantwortung für eine
ausreichende, gesunde Ernährung seiner Bevölkerung.
Doch vielen armen Ländern fehlt es für diese Aufgabe an
geeigneten Verwaltungsstrukturen, Fachleuten, Wissen
und Kapital sowie am rechtlichen Rahmen. Die Regierungen, Institutionen und Zivilgesellschaften in partnerschaftlicher Zusammenarbeit zu stärken, ist das Ziel der
internationalen Zusammenarbeit und die Aufgabe einer
Reihe internationaler Initiativen und bilateraler Kooperationsprojekte.
Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (Food and Agriculture Organisation, FAO),
auch Welternährungsorganisation genannt, wurde am
16. Oktober 1945 gegründet, um die Produktion und Verteilung von landwirtschaftlichen Produkten und Lebensmitteln zu verbessern und so die Ernährung zu sichern.
Sie analysiert die Weltmärkte und die globale Ernährungslage und veröffentlicht jährlich den Bericht zur Ernährungsunsicherheit („State of Food Insecurity in the World“).
Sie unterstützt ihre Mitgliedstaaten durch Politikberatung
und technische Zusammenarbeit bei der Verbesserung
der Qualität von Ernährung, der nachhaltigen Steigerung landwirtschaftlicher Produktion und der Förderung
ländlicher Entwicklung. Als Wissensorganisation fördert
sie die Entwicklung internationaler Normen und Standards
wie den „Codex Alimentarius“ zur Lebensmittelsicherheit.
Ihr Sitz ist Rom, im Jahr 2014 sind 194 Staaten sowie die
EU Mitglied der FAO. Das BMEL unterstützt die FAO bei
der Erarbeitung internationaler Rahmenbedingungen und
Standards und bei der Beratung von Regierungen und
Institutionen.
GERECHTE RAHMENBEDINGUNGEN FÜR ALLE
Probleme mit der Lebensmittelversorgung gibt es vor
allem dort, wo Regierungen ihrer Verantwortung für die
Ernährungssicherung ihres Landes nicht nachkommen.
Denn gute Regierungsführung, Rechtsstaatlichkeit,
Schutz und Gewährung von Menschenrechten sowie
Rechenschaftspflicht der Regierenden gehören zu den
Voraussetzungen für nachhaltige Ernährungssicherung.
Das BMEL setzt deshalb einen Schwerpunkt seiner
internationalen Arbeit – zum Beispiel im Ausschuss für
Welternährungssicherung der Vereinten Nationen (Committee on World Food Security, CFS), in dem das BMEL die
Bundesregierung vertritt – auf die Durchsetzung rechtlicher Normen und Leitlinien, die die Ernährungssicherung
als vorrangiges politisches Ziel verankern.
Das BMEL richtet Fachtagungen und internationale
Konferenzen aus, bei denen Vertreter von Regierungen,
Investoren, Organisationen, Finanzinstituten, der Zivilgesellschaft, von Stiftungen und aus der Wissenschaft
eingebunden sind. Der Grundgedanke dabei: Nur wenn
alle Beteiligten ein gemeinsames Verständnis über die
angestrebten Ziele haben, wird das Ergebnis auch von
allen mitgetragen und umgesetzt.
VERANTWORTLICHE AGRARINVESTITIONEN:
WIE SICH DAS BMEL ENGAGIERT
Im Oktober 2014 haben die Mitgliedsstaaten des Ausschusses für Welternährungssicherung (CFS) einstimmig
die „Prinzipien für verantwortliche Investitionen in die
Landwirtschaft und Nahrungsmittelsysteme“ (CFS-RAI)
verabschiedet. Ziel dieser freiwilligen Leitlinien ist es,
Agrarinvestitionen so zu gestalten, dass sie der Bevölkerung
in Entwicklungs- und Schwellenländern zugutekommen.
Das BMEL hat die mehrjährigen Verhandlungen zu den
Prinzipien fachlich und finanziell unterstützt. Da an diesen
Verhandlungen Regierungen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, aber auch Vertreter von Kleinbauern, Fischern und
Landarbeiterschaft, privaten Investoren und Stiftungen
beteiligt waren, dürften die Prinzipien hohe Akzeptanz bei
allen Beteiligten finden. Das BMEL konnte durchsetzen,
dass kleine Landwirte und Produzenten in den Fokus gerückt wurden und Regierungspflichten und Verantwortlichkeiten privater Investoren klar benannt werden.
LEITLINIEN ZU LANDNUTZUNGSRECHTEN:
WIE SICH DAS BMEL ENGAGIERT
Als Reaktion auf steigende Landinvestitionen und zunehmendes „Landgrabbing“ haben die 124 Mitgliedstaaten
des VN-Ausschusses für Welternährungssicherung (CFS)
im Jahr 2012 die „Freiwilligen Leitlinien für die verantwortungsvolle Verwaltung von Boden- und Landnutzungsrechten, Fischgründen und Wäldern“ einstimmig beschlossen.
Denn insbesondere private Investitionen sind für die
Ernährungssicherung wichtig, dürfen aber nicht die Menschenrechte und die Landrechte der lokalen Bevölkerung
verletzen.
Die Freiwilligen Leitlinien zu Landnutzungsrechten geben
Mindeststandards für Landinvestitionen vor, die das Menschenrecht auf angemessene Nahrung sowie die Rechte
der ansässigen Bevölkerung berücksichtigen. Auf deutsche
Initiative hin wurden die Beteiligungsrechte von Frauen
und Mädchen besonders berücksichtigt. Das BMEL hat die
Erarbeitung der Leitlinien mit rund zwei Millionen Euro
unterstützt. An den Verhandlungen haben neben 96 Staaten auch Vertreter aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft und
Wirtschaft mitgewirkt, wodurch die Leitlinien über hohe
Legitimität verfügen. Sie sind zwar nicht völkerrechtlich
verbindlich, bilden aber de facto eine Selbstverpflichtung
der CFS-Mitgliedstaaten.
ZUGANG ZU LAND UND WASSER
RECHTLICH ABSICHERN
Land und fruchtbarer Boden, Wälder, Wasser und Fischgründe sind begrenzte Güter und daher oft Gegenstand
von Konflikten und konkurrierenden Nutzungen. Einerseits sind Zugangs- und Nutzungsrechte für Land und
produktive Ressourcen für die Menschen in ländlichen
Gebieten überlebenswichtig. Zunehmend kollidieren
jedoch – oft nicht rechtlich verankerte – Eigentums- und
Nutzungsrechte mit den wachsenden Agrarinvestitionen
in Entwicklungs- und Schwellenländern. Wo kein rechtsstaatlicher Schutz gewährleistet ist, werden Kleinbauern
oft vertrieben oder entschädigungslos enteignet – es
kommt zum sogenannten Landgrabbing. Wenn Eigentumsrechte unklar sind, fehlt aber auch das Interesse an
größeren Investitionen und an langfristig nachhaltiger
Bewirtschaftung. Das gilt auch für Wasserrechte: Ist
Bewässerung nicht gerecht und klar geregelt, wird das
Wasser irgendwann knapp. Ist nicht festgelegt, wer in
einem See fischen darf, besteht die Gefahr, dass der
Bestand langfristig überfischt wird.
Die Beispiele zeigen, welche Bedeutung die Durchsetzung
völkerrechtlicher Normen und Leitlinien für die Förderung der Ernährungssicherung hat. Deshalb müssen
internationale Institutionen wie die FAO, die völkerrechtliche Instrumente entwickeln, politisch und finanziell
gestärkt werden.
20 | 21
WO FINDEN DIE MEISTEN LANDKÄUFE STATT?
Anzahl abgeschlossener großflächiger Landkäufe (mindestens 200 ha) durch ausländische Investoren
Quelle: www.landmatrix.org/en/, Stand Dez. 2014
BRENNPUNKT:
LANDGRABBING
Vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern
sichern sich internationale, aber auch einheimische
Investoren mit langfristigen Kauf- oder Pachtverträgen große Ländereien zum Anbau von Lebensmitteln,
Futter- oder Energiepflanzen vor allem für den Export. Angesichts steigender Agrar- und Bodenpreise
wird Land aber auch vermehrt zum Spekulationsobjekt für Anleger. Viele dieser großflächigen Landkäufe
und -pachten führen zur Vertreibung der ansässigen
Bevölkerung und gefährden die lokale und regionale
Lebensmittelversorgung. Diese (oft rechtlich höchst
fragwürdige) Aneignung von Land wird mit dem
englischen Begriff „Landgrabbing“ („Landnahme“)
bezeichnet. Häufig geschieht sie unter Ausschluss der
Öffentlichkeit; verlässliche Zahlen sind nicht vorhanden. Auf der (englischsprachigen) unabhängigen
Online-Plattform www.landmatrix.org/en/ sind
seit dem Jahr 2000 über 1.000 Fälle großflächiger
(mindestens 200 Hektar) Landkäufe oder -pachten
durch ausländische Investoren überwiegend in Entwicklungs- und Schwellenländern dokumentiert. Sie
umfassen ca. 39 Millionen Hektar Land – mehr als die
vierfache Fläche Portugals. Zusätzlich laufen Verhandlungen über weitere 15 Millionen Hektar Fläche
(Stand Dezember 2014).
KLEINBAUERN, FRAUEN UND
FAMILIENBETRIEBE FÖRDERN
DAS BILATERALE KOOPERATIONSPROGRAMM
(BKP)
Die familienbetriebene, kleinbäuerliche Landwirtschaft
hat trotz aller Hemmnisse schon heute eine enorme
Bedeutung für die Welternährung. So ist leicht vorstellbar, welchen Aufschwung die Produktion und Produktivität der Agrarwirtschaft in den Entwicklungsländern
nehmen könnten, wenn die Familienbetriebe und
insbesondere die Frauen gezielter gefördert würden und
ihr großes Potenzial entfalten könnten.
Das BKP umfasst gegenwärtig rund 30 Projekte und
Maßnahmen in 15 Ländern Afrikas, Asiens, Lateinamerikas sowie Osteuropas. Mit dem BKP unterstützt das BMEL
Partnerländer beim Aufbau einer produktiven und
ressourcenschonenden Land- und Ernährungswirtschaft.
Die Vorhaben richten sich an Länder mit hohem Agrarpotenzial, um einen möglichst effizienten Beitrag zur
Sicherung der Versorgung der Menschen in der Region,
aber auch weltweit zu leisten. Im Vordergrund stehen der
politische Austausch und die Gesetzesberatung sowie der
Technologie- und Wissenstransfer. Bildungsträger,
Verbände, Forschungseinrichtungen und Unternehmen
aus der Agrar- und Ernährungswirtschaft sind an den
Projekten beteiligt und bringen ihre Expertise und die
Wirtschaft insbesondere auch Sachleistungen ein.
Das BMEL stärkt die familienbetriebene Landwirtschaft
unter anderem über den Bilateralen Treuhandfonds mit
der FAO, über die EU-finanzierten Twinning-Programme
und über zahlreiche Projekte im Rahmen des Bilateralen
Kooperationsprogramms. Dabei arbeiten Bauernverbände und Agrargenossenschaften gemeinsam daran,
Familienbetrieben und Kleinbauern Wissen zu vermitteln, ihre Marktpositionen zu verbessern, Finanzierungsmöglichkeiten zu erschließen und sich wirtschaftlich
weiterzuentwickeln.
DER BILATERALE TREUHANDFONDS
MIT DER FAO
Seit 2002 finanziert das BMEL mit derzeit jährlich 8,75
Millionen Euro den „Bilateralen Treuhandfonds“. Über
diesen gemeinsamen Fonds mit der FAO wurden bislang
mehr als 90 Projekte gegen Hunger und Unterernährung
finanziert – von Schulgärten in Afghanistan über
Ernährungserziehung und bodenschonende Anbaumethoden in Afrika bis zur unternehmerischen Schulung
von Bauern. Im Zentrum stehen – neben dem Recht auf
Nahrung und auf den Zugang zu Land und natürlichen
Ressourcen – die Förderung von Frauen, von ausgewogener Ernährung, von nachhaltigen, standortangepassten
Produktionsmethoden sowie die Vereinbarkeit von
Bioenergie und Ernährungssicherheit.
WAS SIND „TWINNING­PROGRAMME“?
Die EU unterstützt ihre Nachbarn und beitrittswillige
Staaten mit den sogenannten „Twinning-Programmen“
bei der Einführung europäischer Standards, der Angleichung von Rechtsnormen und Verwaltungsstandards.
Dazu entsendet die Verwaltung eines EU-Mitgliedes einen
Langzeitberater in die Behörde des Partnerlandes.
Die Twinning-Programme zu Agrar- und Verbraucherschutzthemen werden durch das BMEL koordiniert.
Sie stärken die Länder für die grenzüberschreitende
Zusammenarbeit und erleichtern ihnen den Zugang zum
EU-Markt.
LAND­ UND ERNÄHRUNGSWIRTSCHAFT AUF
AUSGEWOGENE ERNÄHRUNG AUSRICHTEN
Die Ernährungslage in der Welt ist nicht ausgewogen:
Einerseits gibt es Hunger und Mangelernährung, andererseits wächst durch veränderte Ernährungs- und Lebensgewohnheiten die Zahl übergewichtiger Menschen auch
FEHLERNÄHRUNG UND ÜBERGEWICHT: WIE DIE BIOLOGIE DES MENSCHEN UND
MODERNE TECHNOLOGIE ZUSAMMENWIRKEN
Unsere
(entwicklungs­
geschichtlich
verankerten)
Schwächen
Moderne
Technologien
Nach Popkin, 2008
Vorliebe
für Süßes
preisgünstige, hochkalorische Süßungsmittel,
besonders in verarbeiteten
Lebensmitteln
Durst ist nicht mit dem
­Hunger-/Sättigungs-­
Mechanismus verknüpft
Kalorienreiche,
zuckergesüßte
Getränke
Vorliebe für
fette Speisen
Leicht zu gewinnende
und preiswerte
Speiseöle und -fette
Der Wunsch, Anstrengungen
zu vermeiden
Technik entbindet uns von
körperlicher ­Arbeit und
Fortbewegung aus eigener
Kraft
22 | 23
ERNÄHRUNGSBILDUNG FÖRDERN:
WIE SICH DAS BMEL ENGAGIERT
In vielen Dörfern in Entwicklungsländern ist die Ernährungsbasis recht schmal. Die Grundnahrungsmittel wie Reis und
Brot liefern nicht genug Vitamine und Mineralstoffe. Besonders betroffen sind Kinder. Für ihre geistige und körperliche
Entwicklung sind die ersten 1.000 Tage ab der Empfängnis
entscheidend. Unzureichende oder Fehlernährung der
Mutter und des Kindes in dieser Zeit verursachen bleibende
Entwicklungsschäden und hohe Krankheitsanfälligkeit bei
den Kindern. Neben dem Mangel an ausreichenden Lebensmitteln ist oft ungenügendes Ernährungswissen die Ursache.
Ein vom BMEL über den Bilateralen Treuhandfonds mit der
FAO gefördertes Projekt untersucht in Malawi und Kambodscha, wie sich durch bessere Beikost die Ernährungssituation
von Kleinkindern aufwerten lässt. Dazu werden zum Beispiel
Hebammen als Multiplikatoren geschult und die Familien
beim Anbau vielfältiger Nahrung beraten.
in Schwellen- und Entwicklungsländern. Die Folgen
sind erhebliche Gesundheitsrisiken, hohe Kosten für die
Gesundheitssysteme und negative Auswirkungen auf
die Entwicklung eines Landes.
Das BMEL fördert daher die Entwicklung „ernährungssensitiver Nahrungsmittelsysteme“. Der Fokus liegt
dabei auf der Vielfalt an bezahlbaren, ernährungsphysiologisch hochwertigen Lebensmitteln, die eine hohe
Nährstoffdichte bei geringer Energiedichte aufweisen,
lokal und kulturell akzeptiert und an die Standortbedingungen vor Ort angepasst sind.
GARTENBAU ALS CHANCE FÜR KLEINBAUERN
Der Anbau von Obst und Gemüse auf kleinen Flächen
bietet für Kleinbauern in Entwicklungsländern große
Chancen. Obst- und Gemüseanbau erfordert keine großen
Maschinen. Die Nachfrage nach solchen hochwertigen
Lebensmitteln ist in den vergangenen Jahren auch in
Entwicklungs- und Schwellenländern gestiegen, die
Produktion von Obst und Gemüse hat sich verdoppelt.
Für kleinbäuerliche Familienbetriebe öffnen sich hier
sogar Exportmöglichkeiten in Industrieländer.
SCHUTZ VON MENSCHEN UND PFLANZEN
Internationaler Handel und Warenaustausch sind wichtig
für Wachstum und Entwicklung. Doch sie bringen auch
neue Risiken mit sich – etwa bei Agrarprodukten wie
Lebensmitteln und Saatgut. Das BMEL richtet deshalb ein
besonderes Augenmerk auf die Einhaltung und Verbesserung von Standards zu Boden-, Pflanzen- und Tierschutz
sowie für Lebensmittelsicherheit. Zudem unterstützt das
Bundesministerium die Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) z.B. bei der Eindämmung der Vogelgrippe oder
bei der Entwicklung der Standards im Tierschutz. Das
BMEL verfolgt das Ziel einer konsequenten und flächendeckenden Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes in der
Tierhaltung, um die weltweit zunehmende Ausbreitung
von Antibiotika-Resistenzen zu vermindern.
ZAHLEN UND FAKTEN
Entwicklungs- und Schwellenländer liefern in
die EU mehr Agrarprodukte als in die USA,
nach Kanada, Japan, Australien und Neuseeland zusammen. Deutschland importiert aus
Entwicklungsländern in erster Linie Kaffee,
Ölsaaten, Obst und Südfrüchte sowie Fisch.
71 Prozent der deutschen Agrarimporte aus
Drittländern stammen aus den Entwicklungsund Schwellenländern (15,9 Milliarden Euro).
Deutsche Ausfuhren in diese Länder beliefen
sich 2013 dagegen nur auf 7,3 Milliarden
Euro (vornehmlich Getreide und Getreideerzeugnisse, Milcherzeugnisse, Fleisch und
Fleischwaren sowie Tabakerzeugnisse).
AGRARMÄRKTE TRANSPARENT
UND ZUGÄNGLICH GESTALTEN
Internationaler Handel ist ein Schlüssel für weltweite
Wohlstandsentwicklung. Ohne ihn wäre der Lebensstandard deutlich niedriger, die Auswahl von Produkten geringer und die Preise wären höher. Handel funktioniert umso
besser, je einheitlicher die Regeln dafür sind und je weniger
unnötige Barrieren ihn behindern. Eingriffe in den Handel
verzerren die Warenströme weltweit. Sie können die lokale
Lebensmittelversorgung verschlechtern, insbesondere in
den Entwicklungsländern. Abkommen zum Verzicht auf
handelsverzerrende Maßnahmen können Märkte stabilisieren und die Welternährungslage verbessern.
HINTERGRUND: WAS BEEINFLUSST DIE
AGRARPREISE HAUPTSÄCHLICH?
Ü Wetter und Klima (Missernten durch Dürre oder
Überflutungen)
Ü Gute oder schlechte Ernten
Ü Vorräte – hohe oder niedrige Lagerbestände
Ü Ölpreis
Ü Steigende Nachfrage nach Lebensmitteln
Ü Nachfrage nach Agrarrohstoffen für Bioenergie und
industrielle Nutzung
Ü Wachsende Weltbevölkerung
Ü Wandel der Ernährungsgewohnheiten
Ü Überhöhter Bedarf ohne Verwertung,
Lebensmittelverschwendung
Ü Politische Krisen
Ziel des BMEL ist es, Handelsvereinbarungen so auszugestalten, dass das europäische Modell einer multifunktionalen
Landwirtschaft erhalten wird und die hohen Standards im
europäischen Verbraucherschutz nicht eingeschränkt
werden. Den Entwicklungsländern soll eine gleichberechtigte Teilnahme am Welthandel möglich sein. Insbesondere
tritt das BMEL auf europäischer und internationaler Ebene
für die Abschaffung von Agrarexporterstattungen sowie
den Abbau von Subventionen mit handelsverzerrender
Wirkung ein. Agrarexporte als humanitäre Hilfe sollen von
Exportbeschränkungen ausgenommen werden. Ebenso
sollen Ausnahmen für ärmere Entwicklungsländer bestehen
bleiben.
HAUSHALTSAUSGABEN FÜR LEBENSMITTEL
Eine Familie in einem Entwicklungsland gibt ca. 70 % ihres Einkommens für Essen aus.
Was passiert, wenn die Preise steigen?
Quelle: World Food Programme 2012
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GEMEINSAME EU­AGRARPOLITIK (GAP):
ABBAU DER EXPORTERSTATTUNGEN
Die EU-Agrarförderung stützt sich heute auf Direktzahlungen an landwirtschaftliche Betriebsinhaber. Ursprünglich
waren die Zahlungen produktbezogen, um Preise wichtiger
Agrarerzeugnisse zu stützen. Gegen so „subventionierte“
Produkte konnten Bauern in Entwicklungsländern oft nicht
konkurrieren. Diese Form der Direktzahlungen wurde in
Deutschland seit der Einführung der Betriebsprämienregelung im Jahr 2005 schrittweise vollständig entkoppelt.
Heute werden pauschal wichtige Leistungen der Landwirtschaft entgolten, z.B. Umweltleistungen über das
sogenannte Greening sowie andere Leistungen, die dem
Allgemeinwohl dienen, aber nicht über den Markt honoriert
werden – für hohe EU-Standards bei Umwelt-, Tier- und
Verbraucherschutz. Anders als von den früheren „Marktordnungsmaßnahmen“ gehen von den heutigen produktionsentkoppelten Zahlungen keine oder nur sehr geringfügige
wettbewerbsverzerrende Auswirkungen auf Produktion und
Preise auf dem Weltmarkt oder in Entwicklungsländern aus.
Bis Ende 2014 wurden auch die letzten Agrarexporterstattungen abgebaut. Das Instrument der Exporterstattungen
soll künftig nur noch in gravierenden Krisenfällen zur Anwendung kommen. Im Zuge der Reform der Gemeinsamen
Agrarpolitik nach 2013 hatte sich das BMEL nachdrücklich
für ihre Abschaffung eingesetzt.
Agrarmärkte sorgen dafür, dass die Nachfrage nach
Lebensmitteln befriedigt werden kann, dass Erzeuger
ihre Ware absetzen können und Lebensmittel dorthin
geliefert werden, wo sie benötigt werden. Über Warenterminbörsen sichern sich Erzeuger und Händler
gegen die Risiken starker Preisschwankungen ab.
Allerdings können spekulative Investitionen in
großem Stil wesentlich zu extremen Preisschwankungen und Preisspitzen beitragen. Mit dramatischen
Folgen vor allem in Schwellen- und Entwicklungsländern, wo die Menschen bis zu 80 Prozent ihres Einkommens für Nahrung ausgeben müssen und die
Eigenversorgung schlecht ist.
Vor diesem Hintergrund beschlossen die Agrarminister der G20-Staatengruppe im Sommer 2011 einen
Aktionsplan zur Verbesserung der Welternährungslage. Neben einem Agrarmarktinformationssystem
(siehe Brennpunkt Seite 13) enthält er konkrete
Maßnahmen, um die nachhaltige Agrarproduktion zu
steigern und Nachernteverluste zu verringern. Zudem
sollen Berichtspflichten für Finanzinvestoren an
Agrarfinanzmärkten eingeführt werden. Eine Obergrenze für die Investoren soll Marktmanipulationen
verhindern.
TERMINMÄRKTE FUNKTIONSFÄHIG HALTEN
Die Agrarwirtschaft muss sich auch zukünftig gegen
unerwartete Preisschwankungen absichern können,
Spekulationen müssen dagegen verhindert werden.
Daher haben sich der Europäische Rat, das EU-Parlament
und die EU-Kommission 2014 auf die Neufassung der
Finanzinstrumente-Richtlinie MiFID (Market in Financial
Instruments Directive) geeinigt. Sie wird die Funktion der
Agrarterminmärkte stärken und schädliche Aktivitäten
begrenzen. Das BMEL begleitet die Ausgestaltung der
Durchführungsbestimmungen zu Fragen der Agrarrohstoffe.
BRENNPUNKT:
HANDEL MIT ENTWICKLUNGSUND SCHWELLENLÄNDERN
Beim internationalen Agrarhandel stehen sich unterschiedliche Interessen gegenüber. Entwicklungs- und
Schwellenländer drängen darauf, dass die Industrieländer
ihre Agrarmärkte öffnen. Denen geht es wiederum um bessere Exportchancen in schnell wachsende Schwellenländer
und um einen sicheren Zugang zu Rohstoffen.
Entwicklungsländer befürchten jedoch negative Folgen für
ihre heimische Landwirtschaft, wenn sie ihre Märkte rasch
für Importe öffnen. Angesichts der ungleichen Ausgangslage ist das in vielen Fällen verständlich. Denn ihre Landwirtschaft produziert oft noch nicht international konkurrenzfähig. Zudem fehlt es dort an weiterverarbeitender
Industrie. Entwicklungsländer exportieren daher zumeist
unverarbeitete Rohprodukte – etwa Rohkaffee, Ölsaaten
oder Futtermittel. Die Wertschöpfung durch Verarbeitung
und Veredelung – etwa Mischung und Röstung beim Kaffee
– findet dagegen überwiegend in den Industrieländern statt.
Die Entwicklungsländer importieren daher in erster Linie
veredelte Produkte (wie Milchprodukte oder Fleisch von mit
Importfutter gefütterten Tieren). Das erschwert den Aufbau
von Wertschöpfungsketten in diesen Ländern. Das BMEL
verfolgt das Ziel, bei internationalen Handelsvereinbarungen die besonderen Bedürfnisse der Entwicklungsländer zu
berücksichtigen.
NACHHALTIGE RESSOURCENNUTZUNG FÖRDERN
Die wachsende Weltbevölkerung lässt sich nur ernähren,
wenn die natürlichen Ressourcen für die Land-, Forst- und
Fischereiwirtschaft nachhaltig genutzt und erhalten
werden. Das BMEL setzt sich für weltweit gültige Leitlinien zu ressourcenschonender Produktion, nachhaltiger
Nutzung und verantwortlichen Investitionen ein.
BIODIVERSITÄT: VIELFALT AUF DEM FELD
SICHERT EINE AUSGEWOGENE ERNÄHRUNG
Seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts ist ein erheblicher Verlust der biologischen Vielfalt insgesamt und auch
der landwirtschaftlichen biologischen Vielfalt („Agrobiodiversität“) zu beobachten. Agrobiodiversität ist der Teil
der biologischen Vielfalt, der für Ernährung und Landwirtschaft genutzt wird und für die nachhaltige Leistungsfähigkeit der Agrarökosysteme Voraussetzung ist.
Das BMEL trägt besondere Verantwortung für die Vielfalt
an Kulturpflanzen und Nutztieren mit ihren unterschiedlichen Pflanzensorten und Tierrassen (häufig als pflanzenund tiergenetische Ressourcen bezeichnet). Eine möglichst große biologische Vielfalt an Pflanzensorten ist eine
unersetzliche Grundlage zur Züchtung ertragreicher
Sorten für spezielle klimatische Bedingungen – wichtig
für die Ernährungssicherung vor dem Hintergrund des
Klimawandels.
Das BMEL nimmt diese Herausforderung in internationaler Zusammenarbeit wahr, wobei ein kooperatives, auf
internationale Gerechtigkeit gerichtetes Management der
Agrobiodiversität erreicht werden soll. Das Ministerium
unterstützt dazu seit langem die vielfältigen Aktivitäten
der FAO-Kommission für genetische Ressourcen für
Ernährung und Landwirtschaft. Über den Projektfonds
des „Internationalen Vertrags über pflanzengenetische
Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft“ der FAO
(Mitglieder sind 133 Staaten und die EU, Stand 2014)
EINIGE WICHTIGE SIEGEL
Einige bekannte Siegel für ökologische oder soziale Nachhaltigkeit seien hier genannt: Der gemeinnützige Verein
TransFair vergibt das Fairtrade-Siegel an Produzenten, die
die Fairtrade-Standards einhalten (unter anderem stabile
Erzeugerpreise und faire Arbeitsbedingungen).
Das Fairtrade-Kakao-Siegel zeichnet ausschließlich den
Kakao in Produkten aus. Holzprodukte aus nachhaltiger
Waldbewirtschaftung sind am Siegel des Forest Stewardship
Council (FSC) oder des „Programme for the Endorsement of
Forest Certification Schemes“ (PEFC) erkennbar. Das Siegel
des Marine Stewardship Council (MSC) kennzeichnet Produkte aus nachhaltiger Fischerei. Das Biosiegel findet sich
auch auf Bioprodukten aus Entwicklungsländern. Neben
diesen gibt es zahlreiche weitere Siegel, die einen nachhaltigen Einkauf möglich machen.
finanziert das BMEL die Erhaltung der Vielfalt der Nutzpflanzen und ihre Bereitstellung für Forschung und
Züchtung. Das Ministerium unterstützt darüber hinaus
politisch wie finanziell die Arbeiten des Globalen Treuhandfonds für Nutzpflanzenvielfalt, der unter anderem
die Weltsaatgutbank auf Spitzbergen mitbetreibt.
WÄLDER BEWAHREN UND NACHHALTIG NUTZEN
Nicht nur Ackerland sichert unsere Ernährung, sondern
auch der Wald: Für weltweit etwa 1,6 Milliarden Menschen bildet er die wesentliche Lebensgrundlage. So
liefern zum Beispiel die Wälder in den Tropen viele
Baum- und Strauchfrüchte für die lokalen Märkte. Und
einige der Waldprodukte landen auch in unseren Supermärkten, etwa Cashew-Nüsse oder ein Teil des Kakaos,
dessen Pflanzen im Schatten von Bäumen gedeihen.
Zudem haben Wälder eine wichtige klimaregulierende
Funktion und binden das Treibhausgas CO2 .
Eine nachhaltige Waldbewirtschaftung ist daher Bestandteil der Ernährungssicherung und des Klimaschutzes.
Illegaler Holzeinschlag gefährdet dagegen die Wälder und
damit die Lebensgrundlage vieler Menschen. Übrigens:
Im Durchschnitt stammen etwa 17 Prozent des weltweit
gehandelten Holzes aus illegalem Einschlag, für Holz aus
den Tropen wird dieser Wert deutlich höher geschätzt.
Das BMEL setzt sich daher weltweit für eine nachhaltige
Waldwirtschaft ein. Ein wichtiges Instrument zu ihrer
Durchsetzung ist das auf einer EU-Verordnung basierende
Holzhandels-Sicherungs-Gesetz, das Sanktionen für den
Handel mit illegal geschlagenem Holz ermöglicht. Zudem
unterstützt das BMEL die Zertifizierung von Waldflächen
über Systeme, die nachhaltige Bewirtschaftung garantieren. So schreibt etwa die Beschaffungsregelung des
Bundes allen Bundesbehörden vor, nur nachweislich
nachhaltig erzeugtes Holz zu beschaffen.
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MEERE, FLÜSSE UND SEEN
RESSOURCENSCHONEND NUTZEN
Meere, Flüsse und Seen sind eine wichtige Nahrungsquelle für die Weltbevölkerung und unverzichtbare Elemente
des Ökosystems. Die Fischerei ist abhängig von einer
intakten Umwelt, beeinflusst die maritime Umwelt jedoch
auch selbst – etwa durch Überfischung oder mit Fangmethoden, die maritimes Leben vernichten. Damit die
Fischerei eine Zukunft hat, setzt sich das BMEL für eine
nachhaltige Fischerei ein. Denn nur so bleiben die Gewässer als Lebensräume erhalten und die Biodiversität wird
gewahrt. Ein wichtiger Baustein dazu ist die Gemeinsame
Fischereipolitik der EU, zu deren kürzlich verabschiedeter
Reform die Bundesregierung entscheidend beigetragen
hat. Sie sichert, dass die Gewässer ressourcenschonend
genutzt werden, etwa durch Fangquoten, die die Fischbestände stabil halten, durch technische Maßnahmen bei
Netzen, die Jungfische und nicht gewünschte Arten
verschonen, oder durch sogenannte Rückwurfverbote
und Anlandegebote, die sicherstellen sollen, dass bestandsschonender gefischt wird. Die konsequente Verankerung der Nachhaltigkeit in der Fischerei hat Erfolg:
Galten 2007 noch 94 Prozent der Fischbestände im
Nordostatlantik als überfischt, sind es heute bereits unter
40 Prozent.
Da sich Fische nicht an Grenzen halten, wirkt das BMEL
auch an internationalen Meeresschutzübereinkommen
mit, etwa an der Überarbeitung des Fischereiabkommens
über weitwandernde Arten sowie bei der Bestandsbewirtschaftung im Rahmen der Regionalen Fischerei-Managementorganisationen (RFMO).
BRENNPUNKT:
LABELLING UND NACHHALTIGER KONSUM
Wer als Verbraucher zu nachhaltiger Ressourcennutzung
und damit zur Ernährungssicherung beitragen möchte,
kann das über seine Kaufentscheidungen tun. Denn
verschiedene Siegel („Label“) zeigen, welche Produkte
besonders hohen sozialen oder ökologischen Nachhaltigkeitsstandards entsprechen.
Allerdings ist die Vielzahl der Siegel und Labels oft unübersichtlich, und die Kriterien der Siegelvergabe sind für
die Verbraucher nicht immer transparent. Sind zum
Beispiel bei verarbeiteten Lebensmitteln mit einem
Biosiegel alle Inhaltsstoffe „bio“? Und was sind die Unterschiede zwischen verschiedenen Fairtrade-Siegeln?
Zudem vergeben manche Unternehmen zu Werbezwecken
eigene Siegel, deren Kriterien nicht überprüfbar sind.
Doch Transparenz ist nötig, sollen Siegel für Verbraucher
vertrauenswürdig sein. Das BMEL unterstützt daher das
Internetportal www.label-online.de der Verbraucherinitiative e.V., das verlässliche Informationen zu Produkt-,
Dienstleistungs- und Management-Labels liefert.
FORSCHEN FÜR DIE ERNÄHRUNGSSICHERUNG
Die landwirtschaftliche Produktion und die Produktivität
nachhaltig zu steigern, erfordert Wissen. Die Agrarforschung hat in den vergangenen Dekaden viel dazu
beigetragen, diese Aufgaben besser zu verstehen und zu
bewältigen.
Wissenschaftler haben ressourcenschonende Anbaumethoden und ertragreiches Saatgut für Trockenregionen,
aber auch Methoden des nachhaltigen Managements
tropischer Wälder und knapper Wasservorräte entwickelt.
Sie haben die Wirkungszusammenhänge von Finanzierung der Agrarproduktion, Marktanreizen für Kleinbauern und der Entwicklung ländlicher Räume untersucht.
Ihre Forschungsergebnisse haben dazu beigetragen,
Tierseuchen erfolgreich zu bekämpfen und den Flächenverbrauch für die Erzeugung von Agrarprodukten zu
verringern. Praktische Lösungen wurden dafür entwickelt, wie Nachernte- und Lebensmittelverluste vermieden oder reduziert werden können.
Einige Vergleiche verdeutlichen die Bedeutung der
internationalen Agrarforschung: Ohne ihre Forschungsergebnisse wäre die Steigerung der Lebensmittelproduktion in der Welt in den vergangenen 50 Jahren undenkbar
gewesen, hätte die Fläche für den Anbau von Nahrungspflanzen in Entwicklungsländern um weitere elf bis
dreizehn Millionen Hektar erweitert werden müssen –
damit wären noch mehr Urwälder und Ökosysteme
zerstört worden – und würden heute viele Millionen
Menschen mehr an Hunger leiden.
Gefahren des Klimawandels für die Ernährungssicherung,
regionale Wasserknappheit, abnehmende Biodiversität
und Übernutzung der natürlichen Ressourcen sind neue
Herausforderungen für die Agrarforschung. Zudem hat
durch einseitige Züchtung auf Ertrag, „größeres Korn“
und höheren Energiegehalt oftmals die Nährstoffdichte,
also der prozentuale Gehalt an Mikronährstoffen wie
Mineralstoffen, Vitaminen oder speziellen Fettsäuren
abgenommen.
Um den Mikronährstoffmangel zu bekämpfen, müssen
Sorten entwickelt und genutzt werden, die ertragreich bei
gleicher Nährstoffdichte sind. Das erfordert verstärkt
interdisziplinäre Forschung unter anderem mit Ernährungswissenschaftlern. Das BMEL fördert dazu innerhalb
der Forschungskooperation Welternährung zum Beispiel
mit zwei Millionen Euro die „Forschungsinitiative
Nutrition“.
DIE FORSCHUNGSINITIATIVE „NUTRITION“
Unter dem Titel „Nutrition – diversifizierte Landwirtschaft
für ausgewogene Ernährung in Subsahara-Afrika“ fördert das BMEL Forschungsprojekte, die unter Einbindung
afrikanischer Akteure untersuchen, wie sich im östlichen
und südlichen Afrika heimische – oft vernachlässigte – Obstund Gemüsearten für eine ausgewogene Ernährung nutzen
lassen. Dabei sollen neben Forschungseinrichtungen auch
Entscheider und Multiplikatoren aus Beratung, Bildung und
Politik für das Thema „ausgewogene Ernährung“ gewonnen
werden. So sollen Ernährung und Gesundheit durch eine
größere Vielfalt an Lebensmitteln verbessert werden.
DEUTSCHE BEITRÄGE ZUR AGRAR­ UND
ERNÄHRUNGSFORSCHUNG
Das BMEL fördert künftig mit rund fünf Millionen Euro
jährlich die anwendungsorientierte Forschung und das
Informations- und Wissensmanagement für die Welternährung. Dieses Konzept ist Bestandteil der nationalen
„Forschungsstrategie Bioökonomie 2030“ der Bundesregierung, in der die Welternährung ein wesentliches
Aktionsfeld darstellt.
Zu Fragen der Welternährung wird die Bundesregierung
von den sechs Ressortforschungseinrichtungen des BMEL
beraten: dem Julius Kühn-Institut für Kulturpflanzen
(JKI), dem Max Rubner-Institut für Ernährung und
Lebensmittel (MRI), dem Friedrich-Loeffler-Institut für
Tiergesundheit (FLI) dem Thünen-Institut für Ländliche
Räume, Wald und Fischerei (TI), dem Bundesinstitut für
Risikobewertung (BfR) und dem Deutschen Biomasseforschungszentrum (DBFZ). Diese anwendungsorientierten
Forschungseinrichtungen sowie die sechs ebenfalls im
Geschäftsbereich des BMEL angesiedelten Leibniz-Institute kooperieren mit Agrar- und Ernährungsforschungseinrichtungen in Entwicklungsländern, um ihren Beitrag
zur Verbesserung der Welternährungssituation zu leisten
und langfristige Partnerschaften aufzubauen.
Die Begrenztheit fossiler Rohstoffe und die mit ihrer
Nutzung verbundenen schwerwiegenden Umweltprobleme lassen die Nachfrage nach nachhaltig erzeugten
nachwachsenden Rohstoffen steigen. Die Produktion und
Verarbeitung der nachwachsenden Rohstoffe schaffen
Einkommensmöglichkeiten, insbesondere in den ländlichen Regionen und sind ein wirksamer Beitrag zur
Reduzierung von Armut. Unter der Voraussetzung, dass
die Sicherung der Ernährung Vorrang hat, setzt sich das
BMEL dafür ein, dass die Landwirtschaft biobasierte und
nachhaltige Wertschöpfungsketten bedient.
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Zudem engagiert sich die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) im Informations- und
Wissensmanagement für Welternährung, koordiniert
Agrarforschungsthemen zur Beratung des BMEL auf
EU-Ebene und unterstützt das Bundesministerium beim
Bilateralen Treuhandfonds mit der FAO.
FORSCHUNGSKOOPERATION FÜR DIE
WELTERNÄHRUNG
Die Deutsche Agrarforschungsallianz, bei der mehr als 40
deutsche Forschungseinrichtungen Mitglied sind, soll die
Potenziale der deutschen Agrarforschung bündeln und
auch für die Aufgaben der globalen Ernährungssicherung
zugänglich machen. Die Arbeitsgemeinschaft Tropische
und Subtropische Agrarforschung (ATSAF) ist die Informations- und Kommunikationsplattform der international ausgerichteten Agrar- und Ökosystemforschung in
Deutschland. Das BMEL verfügt mit den Erkenntnissen
der deutschen Agrarforschung in seinem Geschäftsbereich, seiner Ressortforschung und mit der Bundesanstalt
für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) über entscheidende wissenschaftliche Grundlagen zur Beobachtung
und Bewertung der Welternährungslage. Die daraus
resultierende wissenschaftlich fundierte Politikberatung
unterstützt das Ministerium bei seinem politischen
Handeln.
BILATERALE UND INTERNATIONALE
PARTNERSCHAFTEN
Das BMEL unterstützt mit den oben genannten Mitteln
anwendungsorientierte Forschungsvorhaben, bei denen
deutsche Einrichtungen des Agrar- und Ernährungsbereiches mit entsprechenden Einrichtungen in Entwicklungsund Schwellenländern zusammen arbeiten. Denn oft
mangelt es noch an der Aufbereitung der Forschungsergebnisse zur globalen Ernährungssicherung für die
Praxis. Deshalb soll dieses Wissen etwa für die zuständigen Ministerien in Entwicklungs- und Schwellenländern
besser zugänglich und für die Arbeit vor allem in den
ländlichen Regionen leichter verfügbar gemacht werden.
Diese Aufgaben übernehmen die FAO und andere internationale und europäische Partner des BMEL, etwa die
Beratungsgruppe für Internationale Agrarforschung
(CGIAR). Von deutscher Seite sind dabei u.a. die ATSAF
und die BLE eingebunden.
BILDUNG FÜR DIE PRAXIS
Eine qualifizierte Berufsausbildung ist für Kleinbauernfamilien in Entwicklungs- und Schwellenländern ein Weg,
sich aus der Armutsfalle zu befreien und vom Selbstver-
DAS PRAKTIKANTENPROGRAMM
Das BMEL fördert mehrmonatige Praktika junger
Nachwuchskräfte der Agrarwirtschaft aus der Russischen
Föderation, der Ukraine, Weißrussland und Vietnam. In
landwirtschaftlichen Betrieben in Deutschland werden den
künftigen Fach- und Führungskräften Fachwissen und unternehmerisches Denken und Handeln vermittelt, das diese anschließend in ihren Heimatländern anwenden. Durchgeführt
wird das Programm vom Deutschen Bauernverband, dem
Bayerischen Bauernverband, der Arbeitsgemeinschaft für
Projekte in Ökologie, Landwirtschaft und Landesentwicklung
in Osteuropa e. V. sowie der Lehranstalt für Agrartechnik in
Nienburg.
sorger zum Marktproduzenten zu werden. Dafür sind
praxisnahe Lehrangebote und Betriebsberatungen erforderlich, die an den Bedürfnissen der Bäuerinnen und
Bauern anknüpfen. Dabei geht es nicht nur um bessere
Anbaumethoden, sondern auch um betriebswirtschaftliches Grundwissen: Welche Produkte bringen Gewinn?
Welche Faktoren bestimmen den Preis, und wie müssen
die eigenen Kosten dabei berücksichtigt werden?
Welche Standards und Qualitätskriterien müssen Produkte
erfüllen, um sie besser vermarkten oder vielleicht sogar
exportieren zu können? Hier, an der Basis, werden die für
die praktische Nutzung „übersetzten“ Ergebnisse der
Agrarforschung zu einem der wichtigsten Werkzeuge der
Kleinbauern.
Das BMEL unterstützt Entwicklungs- und Schwellenländer
beim Aufbau praxisnaher Beratungsprojekte. Dort werden
junge Fachkräfte zu ländlichen Agrarberatern fortgebildet.
Deutsche Experten helfen bei der Weiterbildung und
beraten die Einrichtungen in den Partnerländern.
HERAUSGEBER
Bundesministerium für Ernährung
und Landwirtschaft (BMEL)
Wilhelmstraße 54, 10117 Berlin
Referat L3 – Öffentlichkeitsarbeit, Internet
STAND
Januar 2015
KONZEPTION, REDAKTION, GESTALTUNG
MediaCompany – Agentur für Kommunikation GmbH
FOTOS
BMEL, FAO/Adek Berry, FAO/Florita Botts, FAO/Sergey Kozmin,
FAO/Giulio Napolitano (2), FAO/Simon Maina, Bettina Flittner/laif,
Kathrin Harms/laif, Francois Lavigne/REA/laif, Nitro Imagens/laif,
Oleh Slobodeniuk/gettyimages, Opmeer Reports (9), Sven Torfinn/laif
INFORMATIONEN IM INTERNET
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a. d. Mobilfunknetzen möglich)
Schriftlich: Publikationsversand der Bundesregierung
Postfach 48 10 09 | 18132 Rostock
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Diese Broschüre wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit des BMEL kostenlos herausgegeben. Sie darf nicht im Rahmen von Wahlwerbung politischer Parteien oder Gruppen
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