Welternährung verstehen Fakten und Hintergründe www.bmel.de INHALT 1 Wie ernährt sich die Welt? 02 - 13 2 Warum steht auch Deutschland in der Verantwortung? 14 - 17 3 Wie lässt sich die Ernährung sichern? 18 - 28 00 | 01 LIEBE LESERIN, LIEBER LESER, Deutschland ist im Bereich der Ernährung und Landwirtschaft ein hochentwickeltes und begünstigtes Land. Daraus erwächst auch die Verpflichtung, einen angemessenen Anteil der Verantwortung für die Ernährungssicherung weltweit wahrzunehmen. Denn nicht in allen Regionen ist die Versorgungslage so gut wie bei uns. Weltweit leiden etwa 800 Millionen Menschen unter Hunger und chronischer Unterernährung – obwohl das Recht auf Nahrung ein Menschenrecht ist. Der Rückgang der Zahl der Hungernden seit Anfang der 1990er Jahre um über 200 Millionen zeigt, dass sich trotz eines Bevölkerungswachstums etwas gegen den Hunger ausrichten lässt. Doch es geht nicht nur um deutlich erkennbaren Hunger und Unterernährung, sondern auch um verborgenen Hunger durch Vitamin- und Mineralstoffmangel sowie um die Prävention von Übergewicht und damit insgesamt um alle Formen ungesunder Ernährung. Es geht um einen ausreichenden Zugang zu einer ausgewogenen Ernährung für die wachsende Weltbevölkerung – und das trotz zahlreicher Herausforderungen wie Klimawandel, wachsender Konkurrenz um natürliche Ressourcen, politischer sowie Wirtschafts- und Finanzkrisen und einer mangelnden Organisation der Landwirtschaft in manchen Regionen. Ernährungssicherung weltweit ist eine wichtige politische Aufgabe. Eine angemessene, gesicherte Ernährung für alle – das ist die Herausforderung der nächsten Jahrzehnte. Im Zentrum stehen dabei die Landwirtschaft und die Frage: Werden sich im Jahr 2050 mehr als neun Milliarden Menschen ausreichend ernähren können? Wer über Welternährung redet, spricht immer auch über den Agrarsektor – verstanden in einem umfassenden Sinn, der auch Handel, Verarbeitung, Distribution und globale Märkte betrachtet und in der Region verbindet. Als Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft bin ich in Agrar- und Ernährungsfragen innerhalb der Bundesregierung federführend zuständig. Mein Haus vertritt Deutschland in Fragen der Welternährung in den einschlägigen internationalen Organisationen und Gremien. Die vorliegende Broschüre gibt Ihnen Informationen über die grundlegenden Zusammenhänge der Welternährung und der Landwirtschaft an die Hand und informiert Sie über die Aktivitäten des BMEL zur Ernährungssicherung. Ihr Christian Schmidt MdB Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft 1 Wie ernährt sich die Welt? Die Landwirtschaft erzeugt weltweit derzeit genug Lebensmittel, um zumindest rein rechnerisch alle Menschen zu ernähren. Dennoch muss jeder neunte Mensch auf der Welt jeden Abend hungrig schlafen gehen. Und das, obwohl das Recht eines jeden Menschen auf Nahrung – und zwar in ausreichender Quantität und Qualität – ein Menschenrecht ist, das im internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (VN-Sozialpakt) völkerrechtlich verbindlich verankert ist. Dass Menschen nicht ausreichend ernährt sind, hat viele Ursachen. Doch in jedem Fall ist Hunger nicht hinnehmbar. 02 | 03 WIRD DIE NAHRUNG KNAPP? Laut Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) hungerten im Jahr 2014 weltweit 805 Millionen Menschen – mehr als alle Einwohner der Europäischen Union (EU), Russlands und Japans zusammen. Wird also die Nahrung knapp? Im Gegenteil: Die Landwirtschaft erzeugt derzeit etwa ein Drittel mehr Kalorien, als für die Versorgung aller Menschen rechnerisch benötigt wird – und noch wächst die Lebensmittelproduktion schneller als die Weltbevölkerung. Hunger hat andere Ursachen: zum Beispiel Armut, mangelnder Zugang zu Boden, Wasser und anderen Ressourcen sowie schlechte Regierungsführung. Unter- und Mangelernährung sind sehr ungleich verteilt – nach Weltregionen, nach Arm und Reich, nach Geschlecht. Die große Mehrheit der Hungernden lebt in ländlichen Regionen der Entwicklungsländer – also dort, wo eigentlich Lebensmittel produziert werden. Sie haben kaum eine Chance, sich gegen Hunger als Folge von Armut, Krieg, Umweltkatastrophen oder Dürren zu schützen. Besonders betroffen sind Frauen. Sie tragen in vielen Ländern die Hauptlast der Feldarbeit, haben jedoch weniger Rechte – denn 90 Prozent der weltweiten Ackerflächen gehören Männern. Kurz gesagt: Das Gesicht des Hungers ist zumeist ländlich und weiblich. rund zwölf Millionen Hektar Agrarfläche verloren – durch Überweidung, ungeeignete Anbaumethoden, Erosion oder durch Straßen- und Städtebau. Setzt sich dieser Trend unvermindert fort, würden die Ernten in den nächsten 25 Jahren um bis zu zwölf Prozent sinken. EINE AUSGEWOGENE, GESUNDHEITSFÖRDERNDE ERNÄHRUNG FÜR ALLE Circa zwei Milliarden Menschen leiden an einem Mangel an Vitaminen und Mineralstoffen. Weitere 1,4 Milliarden sind durch falsche Ernährung übergewichtig oder gar adipös – nicht nur in reichen Staaten, sondern zunehmend auch in Entwicklungs- und Schwellenländern. Insgesamt ist etwa die Hälfte der Weltbevölkerung nicht bedarfsgerecht ernährt. Es geht also nicht nur um eine Steigerung der Agrarproduktion, sondern um eine ausgewogene und gesunde Ernährung für alle. KREISLAUF DER UNTERERNÄHRUNG DER APPETIT DER WELT WÄCHST Im Jahr 2050 werden nicht mehr rund sieben, sondern mehr als neun Milliarden Menschen auf der Welt leben. Sie werden mehr Nahrung brauchen und mit wachsendem Wohlstand auch höhere Ansprüche entwickeln, etwa auf mehr Fleisch und Milchprodukte. Um diese Ansprüche befriedigen zu können, müsste die Agrarproduktion bis 2050 um rund zwei Drittel gesteigert werden. Dazu müssen insbesondere Wasser, fruchtbare Böden und die Artenvielfalt intelligenter – vor allem effektiver – genutzt und erhalten werden. Bislang gehen weltweit jährlich Quelle: Welthungerhilfe BRENNPUNKT: WIE WIRD HUNGER DEFINIERT? Es scheint ganz einfach: Isst der Mensch zu wenig, wird er schnell von Hungergefühlen gequält. Fachleute sehen das differenzierter: Sie sprechen von chronischem Hunger oder Unterernährung, wenn Menschen über längere Zeit zu wenig Energie aufnehmen, um ein gesundes und aktives Leben zu führen. Der Energiebedarf ist unterschiedlich und liegt bei Erwachsenen je nach Region, Aktivität, Altersgruppe und Geschlecht etwa zwischen 1.700 und 2.000 Kilokalorien am Tag. Bei weniger als 1.400 Kilokalorien beginnt extreme Unterernährung oder akuter Hunger. Übrigens: In Deutschland liegt der Verbrauch im Durchschnitt bei mehr als 3.500 Kilokalorien. Doch Kalorien sind nicht alles. Armut und – oft dadurch bedingt – einseitige Ernährung führen zu einem Mangel u.a. an Vitaminen, Mineralstoffen wie Jod und Eisen sowie Spurenelementen. Diese Nährstoffdefizite nennt man auch „versteckten Hunger“. Er ist nicht auf den ersten Blick sichtbar, schädigt aber die geistige und körperliche Entwicklung und die Leistungsfähigkeit. WOHER KOMMEN DIE LEBENSMITTEL? Wer soll Lebensmittel in ausreichender Qualität und Menge für eine wachsende Weltbevölkerung bereitstellen, wenn nicht die Landwirtschaft mit Ackerbau und Viehzucht, der Fischfang, die Aquakultur und die Waldnutzung? Zur Welternährung leistet der große, hochmoderne Agrarbetrieb, der mit viel Kapital, Know-how, Maschinen und Hochleistungssorten hohe Erträge erzielt, genauso einen Beitrag wie der kleinbäuerliche Familienbetrieb, der mit weniger Kapital und Technik Kaffee und Bananen für den Verkauf und Feldfrüchte für den Eigenbedarf erzeugt; der wandernde Viehzüchter, der Sammler in den Wäldern ebenso wie die Bäuerin, die Gemüse für ihre Familie anbaut. Die unmittelbare Erzeugung ist jedoch nur ein Teil. Auch die Voraussetzungen dafür müssen vorhanden sein: Land, Wasser, Saatgut, Dünge- und Futtermittel, Kapital sowie das entsprechende Know-how. Nach der Ernte muss für sachgerechte Lagerung, Transport und Verarbeitung gesorgt sein. Groß- und Einzelhändler, Im- und Exporteure sowie lokale und internationale Märkte müssen die Lebensmittel „auf den Tisch“ bringen. Als „Wertschöpfungskette“ bezeichnen Fachleute diese vielen Schritte, die ein Lebensmittel vom Rohprodukt über die Verarbeitung und den Transport bis zum Endverbraucher durchläuft. WER PRODUZIERT DIE LEBENSMITTEL? Der Großteil der Landwirtschaft der Welt liegt nicht in der Hand leistungsstarker, moderner Landwirtschaftsbetriebe, wie wir sie aus Deutschland kennen, sondern in den Händen kleinbäuerlicher Familienbetriebe. Während ein durchschnittlicher Familienbetrieb in Deutschland über 43 Hektar hat, sind 85 Prozent der Bauernhöfe weltweit kleiner als zwei Hektar, bewirtschaften aber zusammen rund 60 Prozent der globalen Anbauflächen. Die meisten dieser Betriebe befinden sich in Asien und Afrika. Sie sichern die lokale und regionale Versorgung und produzieren den größten Teil der Lebensmittel. Allerdings arbeiten viele von ihnen bislang nicht sehr produktiv: Pro Hektar erzeugen sie deutlich weniger als Betriebe in Europa oder Nordamerika. So liegt in Afrika südlich der Sahara der durchschnittliche Getreideertrag bei 0,5 bis 1,5 Tonnen pro Hektar, in Deutschland bei bis zu acht Tonnen. Kleinbäuerliche Betriebe in Entwicklungsländern wirtschaften unter schwierigeren Bedingungen als ein Landwirt bei uns. Zumeist haben sie schlechteren Zugang zu Land, Wasser, Saatgut, Dünger, Pflanzenschutzmitteln und Energie und produzieren mit einfachen Werkzeugen und Geräten und ohne moderne Methoden. Oft reichen ihre Erträge daher kaum zum Überleben. WERTSCHÖPFUNGSKETTE IN DER LANDWIRTSCHAFT AM BEISPIEL ACKERBAU: VIELE SIND BETEILIGT 04 | 05 WARUM SIND LÄNDLICHE RÄUME IN ARMEN LÄNDERN KAUM ENTWICKELT? WO LASSEN SICH ERTRÄGE STEIGERN? Über viele Jahrzehnte haben nationale Regierungen und internationale Entwicklungspolitik kaum in die Landwirtschaft der Entwicklungsländer investiert. Daher mangelt es an Beratung, Wissen, Kapital und funktionierender Infrastruktur. Während ein Bauer bei uns seine Ernte z.B. im Getreidespeicher lagert, bevor er sie mit Hilfe von Telefon, E-Mail, gewachsenen Marktstrukturen und guter Straßenanbindung verkauft, fehlt es in Entwicklungsländern oft an all diesen Dingen. Es fehlen Möglichkeiten, die Produkte zu verarbeiten oder haltbar zu machen. Es mangelt an Unterstützung durch Agrarpolitik und guter Regierungsführung. Die moderne, hoch entwickelte Landwirtschaft der Industrieländer hat mit Hochleistungssorten und präzisem Einsatz von Pflanzenschutz-, Dünge- und Futtermitteln einen großen Anteil am Zuwachs der Lebensmittelproduktion der letzten Jahrzehnte. Sie hat ihre Möglichkeiten damit weitgehend genutzt. Große Potenziale für Ertragssteigerungen liegen dagegen bei den kleinbäuerlichen Familienbetrieben in Schwellen- und Entwicklungsländern, gerade wegen ihrer bislang niedrigen Produktivität. Mit ihrer Förderung von reiner Selbstversorgung hin zu einer zusätzlichen Erzeugung für den Markt sowie organisatorischen Änderungen wie Kooperationen in Genossenschaften lässt sich viel bewegen: Wenn sie mehr VERTEILUNG DER 525 MIO. BAUERNHÖFE WELTWEIT DURCHSCHNITTLICHE HOFGRÖSSE Quelle: Agriculture at a Crossroads - Global Report 2009 BRENNPUNKT: PRODUKTIVITÄT STEIGERN Wie lässt sich in Entwicklungsländern die Produktivität der Landwirtschaft sowohl für die Selbstversorgung als auch für den Verkauf steigern? Zum Beispiel mit verbesserten Anbaumethoden, nachhaltiger Bewässerung und Erosionsbekämpfung, mit angepasstem Saatgut, Pflanzenschutz und Düngung. Hilfen bei Finanzierung, bei Bildung von Kooperationen und bei Vermarktung erzeugen starke wirtschaftliche Impulse für die ländlichen Regionen. Wichtig sind jedoch sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltige Anbaumethoden, die sauberes Wasser, fruchtbare Böden, Wälder und Artenvielfalt langfristig erhalten. ernten, besser vermarkten und verkaufen können, verringert das nicht nur die Armut in ländlichen Regionen, sondern es kommen insgesamt mehr und vielfältigere Lebensmittel auf den Markt – ein wichtiger Schritt zur Sicherung der Welternährung. WAS GEFÄHRDET DIE ERNÄHRUNGSSICHERUNG? EINE ZUKUNFTSFÄHIGE LANDWIRTSCHAFT Ü liefert eine Vielfalt an bezahlbaren, hochwertigen Lebensmitteln mit hoher Nährstoffdichte, Ü produziert Lebensmittel vor Ort, die an lokale Kultur und Standortbedingungen angepasst sind, Ü sichert das Einkommen vieler Menschen vor allem in Entwicklungsländern, die sich dadurch eine angemessene und ausgewogene Ernährung leisten können, Ü vermeidet durch nachhaltige Methoden negative Folgen für Umwelt, Gesellschaft und Gesundheit und bewahrt natürliche Ressourcen für künftige Generationen, Ü stärkt die Rolle der Frau in Familie, Wirtschaft, Gesellschaft und Gesundheit. Die Weltbevölkerung wächst. Werden wir in Zukunft alle genug zu essen haben? Für die meisten Europäer dürfte dies angesichts des reichhaltigen Warenangebots keine ernsthafte Frage sein. Doch eine europaweite Umfrage der EU-Kommission zeichnete 2012 ein anderes Bild: Drei Viertel aller Europäer machen sich Sorgen über die Deckung des weltweiten Lebensmittelbedarfs. Ob alle Menschen Zugang zu ausreichenden und ausgewogenen Lebensmitteln haben, hängt aber nicht nur von der Produktionsmenge ab. Ernährungssicherung ist eine sehr komplexe Angelegenheit, bei der viele Faktoren Einfluss haben. Die wichtigsten Grundlagen der Lebensmittelproduktion sind die natürlichen Ressourcen – fruchtbare Böden und Süßwasser ebenso wie die Fischbestände der Meere und Binnengewässer. Sie sind nur begrenzt auf unserem Planeten vorhanden und in vielen Regionen inzwischen auch überbeansprucht oder durch falschen Umgang geschädigt. BRENNPUNKT: TANK, TROG ODER TELLER? Land- und Forstwirtschaft haben schon immer neben Nahrung für Mensch und Futter für Nutztiere auch Rohstoffe geliefert: Bau- und Brennholz, Leder für Schuhe, Wolle für Kleidung, Flachs für Leinen, Hanf für Seile, Grundstoffe für Arzneien und Kosmetika. Weil nachwachsende Rohstoffe aus Gründen der Nachhaltigkeit und des Klima-und Umweltschutzes zunehmend Öl und andere fossile Rohstoffe substituieren, wächst heute auf den Rohstoffmärkten die Nachfrage nach Biomasse für die Industrie und für erneuerbare Energieerzeugung. Diese „biobasierte Wirtschaft“ eröffnet der Land- und Forstwirtschaft neue Einkommensmöglichkeiten. Der Rohstoffanbau kann Arbeitsplätze in der Landwirtschaft schaffen, Kleinbauernfamilien Einnahmen und Entwicklungsländern Devisen bringen. Doch er ist auch eine Herausforderung: Jede Pflanze, jeder Quadratmeter Ackerfläche lassen sich nur einmal nutzen. Soll damit die CO2-Bilanz der Autofahrer verbessert, sollen Gebrauchsgüter hergestellt, Futtertröge zur Fleischerzeugung gefüllt – oder pflanzliche Lebensmittel erzeugt werden? Die wachsende Nutzungskonkurrenz um die begrenzten Agrarflächen ist ein Faktor, der sich auf die Lebensmittelpreise auswirken kann. Die Bundesregierung tritt für die Verwirklichung des Menschenrechts auf angemessene Nahrung ein sowie für weltweite Regeln zur nachhaltigen Erzeugung von Nahrungsgütern und Agrarrohstoffen. Der Anbau von Rohstoffen darf nicht zum Raubbau an den natürlichen Ressourcen oder zur Vertreibung von Kleinbauernfamilien führen. Für das innerhalb der Bundesregierung bei der Bioökonomiestrategie federführende BMEL hat die Ernährungssicherung Vorrang vor der Erzeugung von Rohstoffen für Industrie und Energie. Hier bedarf es Strategien, um gleichzeitig die Ernährung zu sichern und das Potenzial nachwachsender Rohstoffe für Innovationen zu nutzen. 06 | 07 ERNÄHRUNGSSICHERUNG – WAS IST DAS? WIE VIELE LEBENSMITTEL WERFEN VERBRAUCHER WEG? (PRO KOPF UND JAHR) Die Welternährungsorganisation FAO definiert vier Dimensionen für Ernährungssicherung: Ü Verfügbarkeit: Genug Lebensmittel sind dort verfügbar, wo sie benötigt werden. Ü Zugang: Die Menschen haben einen gesicherten Zugang zu diesen Lebensmitteln, sie können also angemessene Nahrung anbauen oder kaufen. Ü Nutzung: Die Lebensmittel können angemessen und bedarfsgerecht verwendet und verwertet werden – dazu gehören eine gesunderhaltende Zubereitung ebenso wie die körperliche Gesundheit als Voraussetzung, Nahrung überhaupt aufnehmen zu können. Ü Dauerhaftigkeit: Die Versorgung mit Lebensmitteln ist langfristig stabil – also auch dann, wenn regional Missernten auftreten. Quelle: Agriculture at a Crossroads - Global Report 2009 Ernährungssicherung hängt also neben der Agrarproduktion auch von Verteilung und Infrastruktur, ausreichendem Einkommen, Zugang zu Land, Gesundheit und Hygiene, guter Regierungsführung und vielem mehr ab. WARUM WERDEN BÖDEN UNFRUCHTBAR? Das kann verschiedene Ursachen haben: In manchen trockenen Zonen der Erde sind weite Flächen durch Überweidung nahezu unfruchtbar geworden. In Zeiten guter Regenfälle wächst das Gras üppig, so dass viele Rinder, Schafe und Ziegen dort grasen können. Aber in trockenen Jahren sind diese Herden zu groß. Sie fressen die karge Pflanzendecke und gleich auch das Wurzelwerk. Der Boden ist schutzlos der Erosion durch Wind und Regen ausgesetzt. Auf solchermaßen degradierten Landflächen, wie Fachleute das Phänomen nennen, können weder Weiden noch Feldfrüchte gedeihen. BRENNPUNKT: VERLUSTE VON LEBENSMITTELN Weltweit geht rund ein Drittel aller Lebensmittel zwischen Feld und Teller verloren. Pro Jahr summieren sich diese Verluste auf etwa 1,3 Milliarden Tonnen. Schätzungen bei Getreide belaufen sich auf bis zu 30 Prozent Nachernteverluste, bei Obst und Gemüse, Fisch und Meeresfrüchten sogar bis zu 50 Prozent. Ursache sind Schädlingsbefall, Schimmel und Fäulnis bei fehlerhafter Trocknung und Lagerung. Hinzu kommen Verluste bei der Ernte, während des Transports und bei der Verarbeitung. Der Wert der Getreideverluste in Afrika südlich der Sahara wird auf jährlich vier Milliarden Dollar geschätzt – sie würden ausreichen, um 48 Millionen Menschen zu ernähren. Insgesamt werden nach Berechnungen der FAO jedoch von den Verbraucherinnen und Verbrauchern in den Industrieländern mehr als zehnmal soviel Lebensmittel weggeworfen wie in Entwicklungsländern. Mit der Kampagne „Zu gut für die Tonne“ informiert das BMEL deutsche Verbraucher darüber, wie sie Lebensmittelverschwendung vermeiden können (www.zugutfuerdietonne.de). Quelle: Studie der Universität Stuttgart (2012), gefördert durch das BMEL DIE WELTWEITE BODENDEGRADATION Quelle: FAO 2011 Auch Brandrodung und großflächiges Abholzen von Wäldern schädigen die Bodenfruchtbarkeit. Die meisten Wälder in Entwicklungs- und Schwellenländern werden gerodet, um neue landwirtschaftliche Anbauflächen zu gewinnen. Tropische Waldböden aber haben häufig nur eine dünne, empfindliche Bodenschicht, deren Nährstoffe bereits nach kurzer landwirtschaftlicher Nutzung erschöpft sind. Daher ist es oft nicht mehr möglich, den ursprünglichen Zustand des Waldes wiederherzustellen. Vor allem in trockenen Klimazonen gehen fruchtbare Böden durch fehlerhafte Bewässerung verloren. Wo Regen knapp ist, wird Grundwasser auf die Felder gepumpt. Das löst im Boden enthaltene Salze, die mit dem verdunstenden Wasser nach oben steigen. Werden sie nicht über fachgerechte Entwässerung abgeführt, reichern sie sich im Boden an, der innerhalb weniger Jahre regelrecht versalzt – keine Nutzpflanze wächst mehr. Solche nicht nachhaltigen Methoden haben dazu beigetragen, dass innerhalb der letzten 25 Jahre, während die Weltbevölkerung um etwa zwei Milliarden Menschen zugenommen hat, rund ein Viertel der landwirtschaftlich genutzten Flächen verloren gegangen ist. Alle drei Jahre erobern Wüsten weltweit ein Gebiet von der Größe Deutschlands. KÖNNEN UNS DIE MEERE AUCH IN ZUKUNFT NOCH ERNÄHREN? Die Weltmeere sind eine der wichtigsten Nahrungsquellen und unter anderem Grundlage der Eiweiß- und Jodversorgung für Milliarden Menschen vor allem in Küstenregionen. Laut Welternährungsorganisation FAO stagnieren die Fischereierträge in den Meeren seit 1990 und sind inzwischen sogar rückläufig. Die küstennahe Fischerei mit kleinen Booten ist davon besonders betroffen. Auch in AGRARFLÄCHE PRO KOPF IM VERGLEICH ZUR WELTBEVÖLKERUNG (IN MILLIARDEN) Quelle: World Bank 2010/11, FAO 08 | 09 DIE VERTEILUNG DES HUNGERS (ANGABEN IN % DER WELTBEVÖLKERUNG) Quelle: FAO SOFI 2014 Seen und Flüssen gehen die Fänge zurück. Das ist auch in der starken fischereilichen Nutzung bis hin zur Überfischung sowie in der Gewässerverschmutzung begründet. Einen wichtigen Beitrag zur Ernährung bilden laut FAO in diesem Zusammenhang die Erzeugnisse der Aquakultur. WO GIBT ES AM MEISTEN HUNGER? Ein Blick auf die weltweite Verteilung des Hungers lässt große Unterschiede zwischen den Ländern erkennen. Die Lage in Asien, vor allem in Ost- und Südostasien, hat sich seit 1990 deutlich verbessert, ebenso in Mittel- und Lateinamerika. Zwar leiden auch dort immer noch viele Millionen Menschen unter Hunger und Unterernährung, aber ihr Anteil an den Einwohnerzahlen ist gesunken. In insgesamt 26 Ländern hat sich die Lage verbessert, in 16 Ländern, überwiegend in Subsahara-Afrika, ist die Versorgungslage aber nach wie vor sehr kritisch. WARUM HABEN NICHT ALLE MENSCHEN ZU­ GANG ZU NAHRUNG? Was sind die Gründe für ungleiche Verteilung und mangelnden Zugang zu Lebensmitteln? Gewiss gehören in einigen Regionen Dürren, Überschwemmungen, Erdbeben, Epidemien, aber auch Kriege dazu. Sie vernichten die Ernten und treffen die Menschen in ländlichen Regionen besonders hart. Doch überwiegend sind es politische und strukturelle Gründe, die zu Mangel und Unterversorgung führen: das Versagen politisch Verantwortlicher, die falsche Entscheidungen über Investitionen oder Infrastruktur treffen und damit die Bedingungen BRENNPUNKT: LANDWIRTSCHAFT – BETROFFENE UND MITVERURSACHERIN DES KLIMAWANDELS Landwirtschaft ist vom Klima abhängig und reagiert daher sensibel auf den Klimawandel, besonders auf die zu erwartende Zunahme klimatischer Extremereignisse wie Dürreperioden und Überschwemmungen. Die AusAuswirkungen sind sehr ungleich verteilt: Während die ProProduktivität der Landwirtschaft in den Ländern nördlich und südlich des Äquators, also in Teilen Afrikas, SüdostSüdostasiens und Lateinamerikas, um bis zu 50 Prozent zu sinsinken droht, könnte sie in den Ländern der Nordhalbkugel um bis zu 35 Prozent steigen. Bäuerliche Familien in EntEntwicklungsländern sind wegen ihrer hohen Abhängigkeit von der Landwirtschaft am stärksten betroffen. Sie haben kaum Möglichkeiten, sich gegen die Folgen des Klimawandels zu wappnen. Die Landwirtschaft trägt jedoch auch zur globalen Erwärmung bei: Sie produziert rund 14 Prozent der weltweit emittierten Treibhausgase, 80 Prozent davon werden in Schwellen- und Entwicklungsländern freigefreigesetzt. Die Treibhausgase Kohlendioxid, Methan und Lachgas werden von Rindern, bei Düngung, BodenbearBodenbearbeitung, Verbrennung von Ernterückständen und NassNassreisanbau emittiert. Vom Feld bis zum Teller entstehen bei einem Kilo Brot etwa 720 Gramm CO2, für ein Kilo Rindfleisch rund 13.300 Gramm CO2. Zusätzlich setzt die Rodung von Tropenwäldern zur GeGewinnung von landwirtschaftlichen Flächen im Wald und in den Waldböden gespeichertes CO2 frei. Das trägt ebenfalls wesentlich zur globalen Erwärmung bei. Die Minderung des Ausstoßes landwirtschaftlicher Treibhausgase und die Anpassung der Landwirtschaft an die Folgen des Klimawandels sind wesentlich für die Ernährungssicherung im 21. Jahrhundert. FEHLENDE INVESTITIONEN Nach wie vor aber werden in vielen Ländern Bauern und ländliche Regionen von der Politik gering geschätzt. Investiert wird vor allem in den Städten, wo große Wählerschichten mobilisiert werden können. Um die ärmeren Bevölkerungsschichten dort gewogen zu halten, werden Lebensmittelpreise niedrig gehalten. Die Folge: Landwirte haben keinen Anreiz zum Verkauf, produzieren weniger und haben geringere Einkünfte. Bildung und Ausbildung in den Dörfern werden vernachlässigt, ebenso die Gesundheitsversorgung, die Elektrifizierung, der Bau und Erhalt von Straßen und der Aufbau eines funktionierenden Finanzwesens. für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung verschlechtern. So trägt etwa die Entscheidung, Straßen in ländlichen Regionen zu bauen, deutlich zur Ernährungssicherung eines Landes bei: Bessere Transportwege bedeuten schnelleren Zugang der Bauern zu den Märkten und weniger verdorbene Lebensmittel; der Verkauf von einheimischem Getreide, Gemüse und Früchten schafft höheres Einkommen für die Dörfer und motiviert die Bauern, ihre Produktion zu steigern. Wenn Regierungen einen Agrarberatungsdienst in ländlichen Regionen finanzieren, der Bauern bei sachgerechter Bewässerung oder Bekämpfung von Schädlingen hilft, wenn Kredite bereitgestellt werden und Schulen in ländlichen Regionen besser ausgestattet werden, dann schafft all dies strukturelle Voraussetzungen für Ernährungssicherung und ländliche Entwicklung. Und wenn dadurch junge Leute in den Dörfern eine wirtschaftliche und soziale Perspektive für ihre eigene Zukunft erhalten, wird auch die Landflucht verringert. GÜNSTIGE RAHMENBEDINGUNGEN SCHAFFEN Warum geschieht nicht in mehr Ländern das Notwendige, warum setzen nicht mehr politisch Verantwortliche auf eine stärkere Förderung der Landwirtschaft und ländlichen Regionen? Tatsächlich geschieht nämlich genau dies in jenen Ländern, die die Zahl der Hungernden und Unterernährten gesenkt und die Einkommen der Bauern gesteigert haben. „Ein wesentlicher Schritt besteht darin, landwirtschaftlichen Betrieben günstige Rahmenbedingungen zu bieten, welche die Nachhaltigkeit des Wachstums im Agrarsektor gewährleisten können“, fasst das International Food Policy Research Institute in Washington, eine unabhängige Forschungseinrichtung, das Ergebnis seiner Untersuchungen zusammen. Unsichere Land- und Wassernutzungsrechte erleichtern die Vertreibung von Bauern, Hirten und anderen Landnutzern, wenn etwa einflussreiche Investoren ein Auge auf fruchtbares Ackerland geworfen haben. Vorrangig ist dies ein Problem in Staaten mit schlechter Regierungsführung und niedrigen rechtsstaatlichen Standards. So haben einige Länder die Nutzungsrechte für hunderttausende von Hektar Land für Jahrzehnte an Investoren übertragen, die dort hoch mechanisierte Großfarmen aufbauen und nicht selten die vorhandenen natürlichen Ressourcen stark beanspruchen. Die Ernten dieser Großbetriebe sind häufig nicht für den Verkauf auf den lokalen Märkten gedacht, sondern werden in kaufkräftige Abnehmerländer exportiert. Die einheimischen Bauern müssen auf weniger 10 | 11 ÜBERERNÄHRUNG NIMMT ZU (ANTEIL DER ADIPÖSEN* AN DER BEVÖLKERUNG / ANGABEN IN PROZENT) Quelle: WHO 2012 fruchtbare Gebiete ausweichen, wo die Ernten oft nicht reichen, um die Familien ausreichend zu ernähren: Ist der Zugang zu guten Böden versperrt, wird auch der Zugang zu Einkommen und Nahrung verwehrt. Geringschätzung der Landwirte, Vernachlässigung ländlicher Regionen, fehlende politische Teilhabe der Landbevölkerung, Unkenntnis der Menschen über ihre Rechte und oft auch Korruption bilden den „Nährboden“ für Armut. So entsteht eine paradoxe Situation: Drei von vier unterernährten Menschen leben auf dem Land, fast alle produzieren selbst Nahrung – für eine ausreichende und gesunde Ernährung allerdings zu wenig, und sie sind zu arm, um Nahrung hinzukaufen zu können. Frauen und Kinder sind besonders betroffen: Zu den politischen und strukturellen Ursachen kommen in vielen ärmeren Ländern kulturelle Traditionen und nachteilige Gesellschaftsstrukturen hinzu. In Dörfern und in den Armenvierteln der schnell wachsenden Städte sind Frauen wesentlich häufiger arm und unterernährt als Männer, meist sind sie schlechter ausgebildet und haben deshalb weniger Möglichkeiten, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Auf den Dörfern haben Frauen oft schlechteren Zugang zu Land und anderen produktiven Ressourcen. Zum Teil auch aus Unwissenheit werden Kinder oft nicht ausgewogen ernährt. BRENNPUNKT: ÜBERGEWICHT AUCH IN ENTWICKLUNGS­ LÄNDERN AUF DEM VORMARSCH Das Einkommen vieler Millionen Menschen in Asien, Lateinamerika und Afrika steigt. Sie werden als die „neuen Mittelschichten“ der Schwellen- und Entwicklungsländer bezeichnet, ihre Zahl wächst und wird Mitte des Jahrhunderts die Milliardengrenze erreichen. Wie zuvor in den industrialisierten Ländern ändern sich mit mehr Wohlstand auch Lebensstil und Konsumgewohnheiten. Sitzende Tätigkeiten nehmen zu, ebenso der Verzehr von Fleisch, Zucker, Süßgetränken, Milchprodukten, Fett, Pflanzenölen und generell von verarbeiteten Lebensmitteln, während der von Hülsenfrüchten, Gemüse und grobkörnigem Getreide zurückgeht. Dieser Wandel der Ernährungsgewohnheiten hat Folgen für die Ernährungssicherung. Eine zunehmende Fleischproduktion verstärkt die Flächenkonkurrenz zwischen Lebens- und Futtermitteln. Die veränderten Verzehr- und Lebensgewohnheiten führen zu mehr Fettleibigkeit und „Wohlstandskrankheiten“ wie Bluthochdruck; Diabetes gilt heute schon als die neue „afrikanische Volkskrankheit“. Wo ehedem überwiegend Unterernährung herrschte, treten heute vermehrt Fehl- und Mangelernährung auf, auch bei den ärmsten Bevölkerungsgruppen. Unter-, Fehl- und Mangelernährung kommen sogar gleichzeitig in ein und demselben Haushalt vor. LÖSUNGSWEGE ZUR ERNÄHRUNGSSICHERUNG Wie lässt sich die Ernährung sichern? Mit dieser Frage befassen sich Agrar- und Ernährungswissenschaftler, Ökonomen und Ökologen weltweit. Sie entwickeln unterschiedliche Lösungsansätze, aber alle gehen von einer Erkenntnis aus: Die Landwirtschaft der Zukunft wird sich an den Prinzipien der Nachhaltigkeit und eines effizienteren Ressourceneinsatzes orientieren müssen. Einige Beispiele: Schon mit wenig Aufwand lässt sich der Verlust fruchtbaren Ackerbodens stoppen. Ü Kleine Regenwasserrückhaltewälle und Hecken als Windschutz auf den Feldern mindern Bodenerosion durch Regen und Wind. Ü Die dosierte „Tröpfchenbewässerung“ direkt an den Pflanzenwurzeln ist effizienter als großflächige Feldbewässerung, bei der viel Wasser verdunstet und zu Bodenversalzung führt. Ü Aufeinander abgestimmte Mischpflanzungen, wie Kaffee- und Kakaobäume zusammen mit Bananenstauden, steigern mit geringem Arbeitsaufwand die Erträge und schonen die Böden. In anderen Bereichen zeichnen sich ebenfalls positive Tendenzen ab: Wo vielerorts kleine Familienbetriebe keinen Zugang zu Krediten hatten, bieten heute verschiedene Formen der Mikrofinanzierung Darlehen zu akzeptablen Zinssätzen. Auch die Agrar- und Ernährungsforschung liefert neue Erkenntnisse und ein besseres Verständnis kleinbäuerlicher Landwirtschaft. Forscher arbeiten an nachhaltigem Pflanzenschutz und an Bodenverbesserung, züchten Gemüse- und Obstsorten, die ertrag- und nährstoffreich und widerstandfähiger gegen Schädlinge oder Trockenheit sind. Dabei kommen auch fast vergessene lokale Getreideoder Gemüsesorten zum Einsatz, die oft besser an die jeweiligen Standortbedingungen angepasst sind. So trägt die Forschung zu höherer Produktivität und Nährstoffdichte sowie zum schonenden, effizienteren Umgang mit den natürlichen Ressourcen bei. WELCHE PERSPEKTIVEN HABEN KLEINBAUERN? Damit die bäuerlichen Familienbetriebe weiterhin das Rückgrat der Welternährung bilden, müssen sie Produktion und Produktivität nachhaltig steigen. Ohne Modernisierung der ländlichen Regionen und ohne Professionalisierung der Landwirte wird dies nicht gelingen. Ihre 12 | 13 Zukunft und mit ihnen die Zukunft der Welternährung insgesamt kann nicht in der Subsistenzwirtschaft (Selbstversorgung) liegen. Die kleinbäuerlichen Produzenten müssen die Märkte besser kennen und beliefern können. Vor allem der Zugang zu den Märkten der Ballungsräume stellt viele Kleinbauern vor große Herausforderungen. Dort etablieren sich zunehmend große Handelsketten, die von ihren Lieferanten stetig und zuverlässig gleichbleibende Qualität erwarten. Eine Chance für die Familienbetriebe: In Genossenschaften zusammengeschlossen, können sie Produktion, Verarbeitung und Vermarktung ihrer Erzeugnisse gemeinsam und effektiv organisieren. Eine andere Form des Marktzugangs ist die Vertragslandwirtschaft, bei der der künftige Käufer, etwa eine Lebensmittelfirma, die Abnahme von Erzeugnissen zu einem vereinbarten Zeitpunkt und Preis garantiert. Gerade kleinbäuerlichen Betrieben kann das Vorteile bringen: Die Abnahme- und Preisgarantien bieten Sicherheit für die Vorfinanzierung des Anbaus und senken das Absatzrisiko. Eine moderne Marktproduktion mindert also keineswegs die Chancen kleiner Betriebe. „Klein“ ist ohnehin ein relativer Begriff, denn in fruchtbaren Regionen von Entwicklungsländern kann ein bäuerlicher Betrieb auch mit wenigen Hektar ein ausreichendes Einkommen erzielen. Andernorts werden die Flächen größer sein müssen, um unter Berücksichtigung ökologischer wie ökonomischer Aspekte nachhaltig ein ausreichendes Einkommen erwirtschaften zu können. All das kann das Einkommen der ländlichen Bevölkerung in Landwirtschaft, Handwerk und Dienstleistungen steigern. Nur wenn sich Leben und Arbeiten in den ländlichen Regionen „lohnen“, wenn dort die Lebensbedingungen und die Zukunftsaussichten besser werden, kann die Welt auch ausreichend ernährt und Landflucht vermieden werden. BRENNPUNKT: LEBENSMITTELPREISE UND SPEKULATION Seit 2000 kam es auf den Weltmärkten für Agrarrohstoffe zu heftigen Preisschwankungen mit extremen Preisspitzen. Sie hatten problematische Auswirkungen auf die Ernährungslage, vor allem in den am wenigsten entwickelten Ländern. Entwicklungen bei den fundamentalen Faktoren (unter anderem wachsende Weltbevölkerung, verändertes Konsumverhalten in Schwellenländern, Nachfrage nach Bioenergie, begrenztes Vorhandensein von Anbaufläche, abnehmende Verfügbarkeit von fossiler Energie und von Wasser, Ressourcenverknappung in ökologisch sensiblen Regionen durch den Klimawandel) treiben langfristig das Preisniveau. Zudem ist auch künftig mit großen Schwankungen bei den Nahrungsmittelpreisen zu rechnen. Warentermingeschäfte sind ein nützliches Instrument für die Agrar- und Ernährungswirtschaft, sich gegen unerwartete Preisschwankungen abzusichern. Andererseits liefern die Börsen, an denen Warentermingeschäfte stattfinden, Signale über die aktuelle und zu erwartende Preisentwicklung. Warenterminmärkte müssen daher vor exzessiver Spekulation und Marktmissbrauch geschützt werden. Ansonsten können Fehlsignale unter Umständen die Preisbildung an den physischen Märkten verzerren. In diesem Sinne unterstützt die Bundesregierung auch die aktuellen Finanzmarktreformen auf EU-Ebene im Hinblick auf Agrarterminmärkte. Ihr Fokus sind die Schaffung von Transparenz an den Warenterminmärkten für Agrarrohstoffe sowie eine angemessene Regulierung, die die positiven Eigenschaften der Warenterminmärkte nicht abwürgt. Die entsprechenden Gesetzgebungen in Europa und den USA (wo sich die Leitbörsen für Agrarrohstoffe befinden) sind im Wesentlichen bereits angepasst. 2 Warum steht auch Deutschland in der Verantwortung? Es gibt viele gute Gründe für die Bundesregierung, sich aktiv für eine gesicherte Welternährung zu engagieren: Hunger sowie Fehl- und Mangelernährung verursachen menschliches Leid. Dem zu begegnen, ist eine zutiefst humanitäre Aufgabe. Doch es gibt weitere Gründe, dazu beizutragen, dass alle Menschen jederzeit ausreichend mit Lebensmitteln versorgt sind, um ein aktives und gesundes Leben führen zu können. Wo es an Ernährungssicherung mangelt, sind die soziale und politische Stabilität gefährdet und Frieden und Sicherheit bedroht. Agrar- und Ernährungspolitik dienen der Krisenprävention und sind damit Teil einer aktiven Friedenspolitik. Vor allem aber ist das Recht auf Nahrung ein universell geltendes Menschenrecht. Eine leistungsfähige und nachhaltige Landwirtschaft ist eine wichtige Grundlage, um dieses Menschenrecht für alle zu verwirklichen. 14 | 15 DAS MENSCHENRECHT AUF NAHRUNG Hunger, Mangel- und Fehlernährung zu beseitigen, ist nicht nur die Aufgabe jener Länder, in denen es an Lebensmitteln mangelt. Es ist eine globale Aufgabe. Angesichts der Welternährungskrisen und Hungersnöte in den 1970er und 1990er Jahren setzte sich die Erkenntnis durch, dass viele gemeinsame Anstrengungen nötig sind, um Ernährungssicherung zu erreichen und das Menschenrecht auf Nahrung zu verwirklichen. Es besagt, dass Menschen entweder Zugang zu Ressourcen haben müssen, die sie dazu befähigen, in Quantität und Qualität ausreichende Nahrung zu produzieren, oder genug zum Erwerb von Nahrung verdienen müssen, um sich nicht nur vor Hunger zu schützen, sondern darüber hinaus Gesundheit und Wohlbefinden abzusichern. Nur in Ausnahmefällen – etwa bei Katastrophen oder bei erwerbsunfähigen Menschen – bedeutet dies klassische Lebensmittel- oder Sozialhilfe, um Leben und Gesundheit von Menschen zu erhalten. Eine besondere Verpflichtung haben die Staaten gegenüber verletzlichen Gruppen wie Kindern, Frauen, kranken und alten Menschen sowie gegenüber Landlosen und Armen. LEITLINIEN ZUR VERWIRKLICHUNG DES MENSCHENRECHTS AUF NAHRUNG Im November 2004 hat die Welternährungsorganisation FAO der Vereinten Nationen die „Freiwilligen Leitlinien zur Unterstützung der schrittweisen Verwirklichung des Rechts auf Nahrung im Kontext nationaler Ernährungssicherung“ beschlossen. Die Bundesregierung hat durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) die Entwicklung dieser freiwilligen Leitlinien politisch und finanziell maßgeblich unterstützt. Die Leitlinien fordern von den Staaten verstärkte Anstrengungen zur Bekämpfung des Hungers und geben Handlungsempfehlungen, um das Recht auf angemessene Nahrung zu verwirklichen, etwa zur rechtlichen und institutionellen Verankerung von Menschenrechten, zu sicherem Zugang zu Produktionsressourcen wie Land, Wasser oder Saatgut, zur Verbesserung von landwirtschaftlichen Strukturen, Produktivität und Vermarktung sowie zum Aufbau sozialer Sicherungssysteme. Die Leitlinien dienen Staaten, Medien und Zivilgesellschaft im weltweiten Kampf gegen Hunger und Mangelernährung als wichtige Orientierung für mehr innerstaatliche Verantwortung und gute Regierungsführung. BRENNPUNKT: WAS BEDEUTET DAS MENSCHENRECHT AUF NAHRUNG? In Artikel 25 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 heißt es: „Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen (...).“ Völkerrechtlich verankert ist das Menschenrecht auf Nahrung im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Sozialpakt) von 1976, dem bislang über 160 Staaten beigetreten sind. Gemäß Artikel 11 (1) erkennen die Vertragsstaaten „das Recht eines jeden auf einen angemessenen Lebensstandard für sich und seine Familie an, einschließlich ausreichender Ernährung, Bekleidung und Unterbringung, sowie auf eine stetige Verbesserung der Lebensbedingungen“. In Artikel 11 (2) bestätigen sie, dass dringlichere Maßnahmen erforderlich sind, um „das grundlegende Recht eines jeden, vor Hunger und Mangelernährung geschützt zu sein“, zu gewährleisten. Das Recht auf Nahrung umfasst damit sowohl das Prinzip der Zugänglichkeit als auch das Prinzip der Verfügbarkeit. Staaten müssen einen existierenden Zugang zu Nahrung respektieren, also jede Handlung unterlassen, die Menschen ihres vorhandenen Zuganges zu Nahrung beraubt. Staaten müssen den Zugang zu Nahrung vor Übergriffen Dritter schützen, sei es durch Gesetze oder polizeiliche Maßnahmen. Staaten müssen den Zugang zu Nahrung gewährleisten, falls dieser noch nicht vorhanden ist. Auch Unternehmen haben eine politische Verantwortung, das Menschenrecht auf Nahrung zu respektieren und dürfen nicht zu seiner Verletzung beitragen. SICHERE WELTERNÄHRUNG – AUFGABE FÜR ALLE Fünf triftige Gründe für das deutsche Engagement: Ü Das Menschenrecht auf Nahrung verpflichtet die Staaten verbindlich zum Handeln. Ü Ernährungssicherung kann nicht allein durch Entwicklungs- und Schwellenländer erreicht werden. Ü Eine weltweit klimafreundlichere und ressourceneffizientere Agrar- und Ernährungswirtschaft liegt in unserem Interesse. Ü Eine zuverlässige Nahrungs- und Rohstoffversorgung liegt auch im Interesse deutscher Verbraucher und der Lebensmittelindustrie. Ü Ernährungspolitik ist auch Friedens- und Sicherheitspolitik. FÜR STABILITÄT UND SICHERHEIT SORGEN Ernährungspolitik ist immer auch Sicherheitspolitik. Territoriale Konflikte sind häufig auch Konflikte um Ressourcen, vor allem um Land oder Wasser. Raubbau, Vertreibungen von Kleinbauern oder Vernachlässigung der Bedürfnisse der Landbevölkerung verstärken diese Wirkung. Wem verwehrt wird, auf seinem Land etwas anzubauen, der hat keinen Erwerb. Wer keinen Erwerb hat, ist in seiner Existenz bedroht und verliert die Perspektive. Das führt zu Entwurzelung und Verdrängung der ländlichen Bevölkerung und kann die Stabilität ganzer Regionen bedrohen. Umgekehrt gefährden Konflikte wiederum die Nahrungsversorgung. Eine Förderung der Landwirtschaft und ländlicher Regionen hingegen stärkt die regionale politische Stabilität. Daher müssen die Regierungen der betroffenen Länder darin unterstützt werden, das Recht auf Nahrung auch zu verwirklichen. UMWELT UND KLIMA SCHÜTZEN WASSERVERBRAUCH IM VERGLEICH (PRO KILO) Quelle: UN DESA 2012, BMUB 2014 Die Produktion von Lebensmitteln für die Menschheit benötigt große Mengen natürlicher Ressourcen. Es liegt in unserem Interesse, an diesen begrenzten Ressourcen keinen Raubbau zu betreiben, sondern sie durch die weltweite Verbreitung moderner, effizienter und nachhaltiger Anbaumethoden zu erhalten. Die Landwirtschaft ist schon heute weltweit der größte Wasserverbraucher: Über 70 Prozent der weltweiten Süßwassernutzung gehen auf ihr Konto. Um ein Kilo Rindfleisch zu produzieren, werden insgesamt über 15.000 Liter Wasser benötigt, für die gleiche Menge Kartoffeln nur 250 Liter. Werden in weniger entwickelten Ländern mehr Futtermittel angebaut, um den wachsenden Fleischbedarf zu bedienen, kann das auch den Wassermangel verschärfen. Mit Methan und Lachgas, die zum Beispiel beim Nassreisanbau und bei der Rinderhaltung entstehen, zählt die Landwirtschaft zu den Quellen von Treibhausgasen. Um den wachsenden Bedarf zu befriedigen, muss auf vorhandenen Flächen und mit dem vorhandenen Wasser mehr erzeugt werden. Die Ressource Wasser muss effizienter und nachhaltiger eingesetzt werden, nicht nur in den Industrieländern, sondern auch bei den Millionen Kleinbauernfamilien in den Entwicklungsländern. So können Umwelt und Klima geschützt werden. IN DEN ERZEUGERLÄNDERN EINKOMMEN SICHERN Investitionen in die Landwirtschaft in den Schwellenund Entwicklungsländern stärken die Kaufkraft der Bevölkerung vor Ort und tragen wesentlich dazu bei, das Menschenrecht auf Nahrung zu verwirklichen. Vor allem Kleinbauern spielen hierbei eine wichtige Rolle: Sie sorgen in besonderem Maße für die lokale Ernährungssicherung – durch heimische Produkte, zum Beispiel Hirse oder Maniok. Gleichzeitig sind sie mit erheblichen Einschrän- 16 | 17 kungen konfrontiert, indem sie wenig Zugang zu Bildung, Gesundheitsdiensten, Märkten und Krediten haben. Daher empfiehlt zum Beispiel der Welternährungsausschuss der Vereinten Nationen (Committee on World Food Security, CFS) mehr öffentliche Investitionen in Straßen, Energie und Telekommunikation, in das nachhaltige Management von Wasser und genetischen Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft sowie in die Erhaltung von Böden und Wäldern. Bei der Stärkung der kleinbäuerlichen Strukturen legt die Bundesregierung besonderes Augenmerk auf die Beteiligungsrechte von Frauen und Mädchen. Internationalen Schätzungen zufolge könnte die Zahl der Hungernden weltweit um über 100 Millionen reduziert werden, wenn Frauen denselben Zugang zu Land, Bildung und Technologie hätten wie Männer. VONEINANDER PROFITIEREN – GLOBALE VERANTWORTUNG Die EU ist für Schwellen- und Entwicklungsländer ein wichtiger Absatzmarkt. Zu einem großen Teil liefern sie wichtige Erzeugnisse, die nicht oder kaum mit EU-Produkten konkurrieren: südländisches Obst und Gemüse sowie Kaffee, Kakao und Tee, aber auch verschiedene Rohstoffe. Rund 70 Prozent der Agrarimporte und etwa 50 Prozent der Exporte werden mit den Entwicklungsund Schwellenländern getätigt. Aus diesen Ländern importierte die EU 2013 Agrargüter im Wert von etwa 80 Milliarden Euro. Der Export aus der EU in die Entwick- lungs- und Schwellenländer ist demgegenüber mit etwa 58,3 Milliarden Euro (2013) deutlich geringer. Für die Entwicklungs- und Schwellenländer ist die EU im internationalen Vergleich auch ein besonders offener Absatzmarkt. Sie liefern in die EU zollfrei oder zu niedrigen Zollsätzen mehr Agrarprodukte als in die USA, nach Kanada, Japan, Australien und Neuseeland zusammen. Verbraucher und Lebensmittelwirtschaft in Deutschland sind in hohem Maße auf eine sichere Versorgung mit Lebensmitteln und Agrarrohstoffen in gleichbleibend hoher Qualität aus Entwicklungs- und Schwellenländern angewiesen. Daher liegt eine weltweit leistungsfähige, konkurrenzfähige Landwirtschaft, die auch die kleinbäuerlichen Familien angemessen ernährt, genauso in unserem Interesse wie ein gleichberechtigter, freier Zugang der Schwellen- und Entwicklungsländer zu den internationalen Lebensmittel- und Rohstoffmärkten. Aber auch die Verbraucher in Deutschland können Verantwortung übernehmen: Zum Beispiel sorgsam mit dem wertvollen Gut Nahrung umgehen, indem sie weniger Lebensmittel wegwerfen oder gezielt nachhaltig erzeugte Produkte kaufen. Das Konsum- und Ernährungsverhalten in Industrieländern wie Deutschland kann tendenziell auch zur Verknappung und damit zur Steigerung der Preise für Lebensmittel beitragen. Und die trifft die Ärmsten der Armen am stärksten. DAS MENSCHENRECHT AUF NAHRUNG: WICHTIGE SCHRITTE ZUR VERWIRKLICHUNG 1948 Das Recht auf Nahrung findet Eingang in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen. 1976 Mit dem Inkrafttreten des UN-Sozialpakts wird das Menschenrecht auf Nahrung völkerrechtlich verankert. 1996 Auf dem Welternährungsgipfel wird das Recht auf Nahrung bekräftigt. Die Staaten werden aufgefordert, die Zahl der Hungernden bis zum Jahr 2015 zu halbieren. 2000 In die Millenniums-Entwicklungsziele findet das Ziel Eingang, den Anteil der hungernden Menschen zu halbieren. 2002 Der zweite Welternährungsgipfel fordert freiwillige Leitlinien, nach denen die Staaten das Recht auf angemessene Ernährung schrittweise umsetzen. 2004 Die Welternährungsorganisation FAO beschließt die „Freiwilligen Richtlinien zur Implementierung des Rechts auf Nahrung“. An der Entwicklung war das BMEL federführend beteiligt. 2009 Auf dem dritten Welternährungsgipfel werden Grundlagen für eine „globale Partnerschaft für Landwirtschaft und Ernährungssicherheit“ gelegt. Ein Netzwerk aus UN-Organisationen, Geber- und Entwicklungsländern soll Maßnahmen zur Welternährung koordinieren. 2012 Der Ausschuss für Welternährungssicherung (CFS) verabschiedet die „Freiwilligen Leitlinien für die verantwortliche Regulierung von Boden- und Landnutzungsrechten, Fischgründen und Wäldern im Rahmen der nationalen Ernährungssicherung“ (VGGT). 2014 Der Ausschuss für Welternährungssicherung (CFS) verabschiedet einen Katalog mit Prinzipien für verantwortliche Investitionen in Landwirtschaft und Nahrungsmittelsysteme (RAI-Prinzipien). Wird das Recht auf Nahrung als grundlegender Anspruch anerkannt, so hat das entscheidenden Einfluss auf die Strategien gegen Hunger. Wird Hunger als Schicksalsschlag verstanden, verursacht durch äußere Umstände wie Dürre oder Krieg, so wird eher mit karitativen Hilfslieferungen reagiert. Nahrung als Rechtsanspruch erfordert dagegen strukturelles und politisches Vorgehen gegen die Ursachen von Hunger und Mangelernährung. 3 Wie lässt sich die Ernährung sichern? Die Ernährung der Weltbevölkerung im 21. Jahrhundert erfordert nicht allein eine Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion. Denn es geht um mehr als um die Bekämpfung von Hunger und kalorischer Unterversorgung. Gefragt ist ein ganzheitlicher Ansatz, der auch die Qualität und Vielfalt der Ernährung im Blick hat. Ernährungssicherung mit all ihren Aspekten – Verfügbarkeit von und Zugang zu Lebensmitteln, Verwertung der vorhandenen Nahrung im Körper und Dauerhaftigkeit der Versorgung – steht in einem gesundheitlichen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Zusammenhang. Diese Herausforderungen kann kein Land allein bewältigen. Es liegt auch in der Verantwortung der internationalen Gemeinschaft, Hunger zu bekämpfen und das Menschenrecht auf angemessene Nahrung zu verwirklichen. Eine wichtige Rolle spielt dabei naturgemäß die Agrar- und Ernährungspolitik, doch die Probleme – etwa Armut oder Klimawandel – erfordern ein kohärentes Engagement aller Politikfelder. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) setzt sich in internationalen Institutionen und politischen Prozessen dafür ein, eine übergreifende Politik für eine gesunde und ausgewogene Ernährung zu gestalten. Durch Projekte vor Ort stärkt das Ministerium den Aufbau einer leistungsfähigen und nachhaltigen Land- und Ernährungswirtschaft. 18 | 19 WELCHEN BEITRAG LEISTET DIE BUNDESREGIERUNG ZUR GLOBALEN ERNÄHRUNGSSICHERUNG? Die Beseitigung von Hunger, Mangel- und Fehlernährung auf der Welt hat für die Bundesregierung eine große Bedeutung. Sie tritt weltweit für Regeln für eine nachhaltige landwirtschaftliche Produktion ein. Sie hat den Abbau von Subventionen für Lebensmittelexporte mit dem Ergebnis verfolgt, dass die Exporterstattungen seit 2013 auf null zurückgefahren wurden. Sie setzt sich – zum Beispiel in der Gruppe der 20 wichtigsten Industrieund Schwellenländer (G20) – für mehr Transparenz auf den Agrarmärkten ein, für den gesicherten Zugang zu Land und anderen natürlichen Ressourcen sowie für mehr Investitionen im Agrarbereich. Die Bundesregierung betrachtet den menschenrechtsbasierten Ansatz für Ernährungssicherung als den erfolgversprechendsten und tritt für seine Verwirklichung ein. Dabei betont sie die Verantwortung der Partnerländer, ihre Land- und Ernährungswirtschaft sowie andere ernährungsrelevante Bereiche wie Gesundheit und Bildung zu stärken. Hier übernimmt das BMEL eine wichtige Rolle. Auf praktischer Ebene unterstützt es mit seiner Erfahrung und Kompetenz die Arbeit der Vereinten Nationen und arbeitet besonders intensiv mit der FAO zusammen, deren drittgrößter Beitragszahler Deutschland ist. Zudem tritt das Bundesministerium in der FAO, in internationalen Institutionen und politischen Prozessen wie G7, G20 und der Post-2015-Entwicklungsagenda für völkerrechtliche Normen und Leitlinien ein, um Ernährungssicherung und ausgewogene Ernährung als prioritäres politisches Ziel weltweit zu verankern. WAS MACHT DIE FAO? WER IST IN DER BUNDESREGIERUNG FÜR DIESES THEMA ZUSTÄNDIG? Das Fachwissen und die Erfahrung liegen innerhalb der Bundesregierung beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), das daher die Federführung für diese Themen hat. Dabei kooperiert es eng mit anderen Ressorts wie dem Auswärtigen Amt und den Bundesministerien für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, für Umwelt und Bau, für Bildung und Forschung sowie für Gesundheit. WARUM ENGAGIERT SICH DAS BMEL IN DER INTERNATIONALEN ZUSAMMENARBEIT? Jedes Land trägt selbst die Verantwortung für eine ausreichende, gesunde Ernährung seiner Bevölkerung. Doch vielen armen Ländern fehlt es für diese Aufgabe an geeigneten Verwaltungsstrukturen, Fachleuten, Wissen und Kapital sowie am rechtlichen Rahmen. Die Regierungen, Institutionen und Zivilgesellschaften in partnerschaftlicher Zusammenarbeit zu stärken, ist das Ziel der internationalen Zusammenarbeit und die Aufgabe einer Reihe internationaler Initiativen und bilateraler Kooperationsprojekte. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (Food and Agriculture Organisation, FAO), auch Welternährungsorganisation genannt, wurde am 16. Oktober 1945 gegründet, um die Produktion und Verteilung von landwirtschaftlichen Produkten und Lebensmitteln zu verbessern und so die Ernährung zu sichern. Sie analysiert die Weltmärkte und die globale Ernährungslage und veröffentlicht jährlich den Bericht zur Ernährungsunsicherheit („State of Food Insecurity in the World“). Sie unterstützt ihre Mitgliedstaaten durch Politikberatung und technische Zusammenarbeit bei der Verbesserung der Qualität von Ernährung, der nachhaltigen Steigerung landwirtschaftlicher Produktion und der Förderung ländlicher Entwicklung. Als Wissensorganisation fördert sie die Entwicklung internationaler Normen und Standards wie den „Codex Alimentarius“ zur Lebensmittelsicherheit. Ihr Sitz ist Rom, im Jahr 2014 sind 194 Staaten sowie die EU Mitglied der FAO. Das BMEL unterstützt die FAO bei der Erarbeitung internationaler Rahmenbedingungen und Standards und bei der Beratung von Regierungen und Institutionen. GERECHTE RAHMENBEDINGUNGEN FÜR ALLE Probleme mit der Lebensmittelversorgung gibt es vor allem dort, wo Regierungen ihrer Verantwortung für die Ernährungssicherung ihres Landes nicht nachkommen. Denn gute Regierungsführung, Rechtsstaatlichkeit, Schutz und Gewährung von Menschenrechten sowie Rechenschaftspflicht der Regierenden gehören zu den Voraussetzungen für nachhaltige Ernährungssicherung. Das BMEL setzt deshalb einen Schwerpunkt seiner internationalen Arbeit – zum Beispiel im Ausschuss für Welternährungssicherung der Vereinten Nationen (Committee on World Food Security, CFS), in dem das BMEL die Bundesregierung vertritt – auf die Durchsetzung rechtlicher Normen und Leitlinien, die die Ernährungssicherung als vorrangiges politisches Ziel verankern. Das BMEL richtet Fachtagungen und internationale Konferenzen aus, bei denen Vertreter von Regierungen, Investoren, Organisationen, Finanzinstituten, der Zivilgesellschaft, von Stiftungen und aus der Wissenschaft eingebunden sind. Der Grundgedanke dabei: Nur wenn alle Beteiligten ein gemeinsames Verständnis über die angestrebten Ziele haben, wird das Ergebnis auch von allen mitgetragen und umgesetzt. VERANTWORTLICHE AGRARINVESTITIONEN: WIE SICH DAS BMEL ENGAGIERT Im Oktober 2014 haben die Mitgliedsstaaten des Ausschusses für Welternährungssicherung (CFS) einstimmig die „Prinzipien für verantwortliche Investitionen in die Landwirtschaft und Nahrungsmittelsysteme“ (CFS-RAI) verabschiedet. Ziel dieser freiwilligen Leitlinien ist es, Agrarinvestitionen so zu gestalten, dass sie der Bevölkerung in Entwicklungs- und Schwellenländern zugutekommen. Das BMEL hat die mehrjährigen Verhandlungen zu den Prinzipien fachlich und finanziell unterstützt. Da an diesen Verhandlungen Regierungen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, aber auch Vertreter von Kleinbauern, Fischern und Landarbeiterschaft, privaten Investoren und Stiftungen beteiligt waren, dürften die Prinzipien hohe Akzeptanz bei allen Beteiligten finden. Das BMEL konnte durchsetzen, dass kleine Landwirte und Produzenten in den Fokus gerückt wurden und Regierungspflichten und Verantwortlichkeiten privater Investoren klar benannt werden. LEITLINIEN ZU LANDNUTZUNGSRECHTEN: WIE SICH DAS BMEL ENGAGIERT Als Reaktion auf steigende Landinvestitionen und zunehmendes „Landgrabbing“ haben die 124 Mitgliedstaaten des VN-Ausschusses für Welternährungssicherung (CFS) im Jahr 2012 die „Freiwilligen Leitlinien für die verantwortungsvolle Verwaltung von Boden- und Landnutzungsrechten, Fischgründen und Wäldern“ einstimmig beschlossen. Denn insbesondere private Investitionen sind für die Ernährungssicherung wichtig, dürfen aber nicht die Menschenrechte und die Landrechte der lokalen Bevölkerung verletzen. Die Freiwilligen Leitlinien zu Landnutzungsrechten geben Mindeststandards für Landinvestitionen vor, die das Menschenrecht auf angemessene Nahrung sowie die Rechte der ansässigen Bevölkerung berücksichtigen. Auf deutsche Initiative hin wurden die Beteiligungsrechte von Frauen und Mädchen besonders berücksichtigt. Das BMEL hat die Erarbeitung der Leitlinien mit rund zwei Millionen Euro unterstützt. An den Verhandlungen haben neben 96 Staaten auch Vertreter aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft mitgewirkt, wodurch die Leitlinien über hohe Legitimität verfügen. Sie sind zwar nicht völkerrechtlich verbindlich, bilden aber de facto eine Selbstverpflichtung der CFS-Mitgliedstaaten. ZUGANG ZU LAND UND WASSER RECHTLICH ABSICHERN Land und fruchtbarer Boden, Wälder, Wasser und Fischgründe sind begrenzte Güter und daher oft Gegenstand von Konflikten und konkurrierenden Nutzungen. Einerseits sind Zugangs- und Nutzungsrechte für Land und produktive Ressourcen für die Menschen in ländlichen Gebieten überlebenswichtig. Zunehmend kollidieren jedoch – oft nicht rechtlich verankerte – Eigentums- und Nutzungsrechte mit den wachsenden Agrarinvestitionen in Entwicklungs- und Schwellenländern. Wo kein rechtsstaatlicher Schutz gewährleistet ist, werden Kleinbauern oft vertrieben oder entschädigungslos enteignet – es kommt zum sogenannten Landgrabbing. Wenn Eigentumsrechte unklar sind, fehlt aber auch das Interesse an größeren Investitionen und an langfristig nachhaltiger Bewirtschaftung. Das gilt auch für Wasserrechte: Ist Bewässerung nicht gerecht und klar geregelt, wird das Wasser irgendwann knapp. Ist nicht festgelegt, wer in einem See fischen darf, besteht die Gefahr, dass der Bestand langfristig überfischt wird. Die Beispiele zeigen, welche Bedeutung die Durchsetzung völkerrechtlicher Normen und Leitlinien für die Förderung der Ernährungssicherung hat. Deshalb müssen internationale Institutionen wie die FAO, die völkerrechtliche Instrumente entwickeln, politisch und finanziell gestärkt werden. 20 | 21 WO FINDEN DIE MEISTEN LANDKÄUFE STATT? Anzahl abgeschlossener großflächiger Landkäufe (mindestens 200 ha) durch ausländische Investoren Quelle: www.landmatrix.org/en/, Stand Dez. 2014 BRENNPUNKT: LANDGRABBING Vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern sichern sich internationale, aber auch einheimische Investoren mit langfristigen Kauf- oder Pachtverträgen große Ländereien zum Anbau von Lebensmitteln, Futter- oder Energiepflanzen vor allem für den Export. Angesichts steigender Agrar- und Bodenpreise wird Land aber auch vermehrt zum Spekulationsobjekt für Anleger. Viele dieser großflächigen Landkäufe und -pachten führen zur Vertreibung der ansässigen Bevölkerung und gefährden die lokale und regionale Lebensmittelversorgung. Diese (oft rechtlich höchst fragwürdige) Aneignung von Land wird mit dem englischen Begriff „Landgrabbing“ („Landnahme“) bezeichnet. Häufig geschieht sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit; verlässliche Zahlen sind nicht vorhanden. Auf der (englischsprachigen) unabhängigen Online-Plattform www.landmatrix.org/en/ sind seit dem Jahr 2000 über 1.000 Fälle großflächiger (mindestens 200 Hektar) Landkäufe oder -pachten durch ausländische Investoren überwiegend in Entwicklungs- und Schwellenländern dokumentiert. Sie umfassen ca. 39 Millionen Hektar Land – mehr als die vierfache Fläche Portugals. Zusätzlich laufen Verhandlungen über weitere 15 Millionen Hektar Fläche (Stand Dezember 2014). KLEINBAUERN, FRAUEN UND FAMILIENBETRIEBE FÖRDERN DAS BILATERALE KOOPERATIONSPROGRAMM (BKP) Die familienbetriebene, kleinbäuerliche Landwirtschaft hat trotz aller Hemmnisse schon heute eine enorme Bedeutung für die Welternährung. So ist leicht vorstellbar, welchen Aufschwung die Produktion und Produktivität der Agrarwirtschaft in den Entwicklungsländern nehmen könnten, wenn die Familienbetriebe und insbesondere die Frauen gezielter gefördert würden und ihr großes Potenzial entfalten könnten. Das BKP umfasst gegenwärtig rund 30 Projekte und Maßnahmen in 15 Ländern Afrikas, Asiens, Lateinamerikas sowie Osteuropas. Mit dem BKP unterstützt das BMEL Partnerländer beim Aufbau einer produktiven und ressourcenschonenden Land- und Ernährungswirtschaft. Die Vorhaben richten sich an Länder mit hohem Agrarpotenzial, um einen möglichst effizienten Beitrag zur Sicherung der Versorgung der Menschen in der Region, aber auch weltweit zu leisten. Im Vordergrund stehen der politische Austausch und die Gesetzesberatung sowie der Technologie- und Wissenstransfer. Bildungsträger, Verbände, Forschungseinrichtungen und Unternehmen aus der Agrar- und Ernährungswirtschaft sind an den Projekten beteiligt und bringen ihre Expertise und die Wirtschaft insbesondere auch Sachleistungen ein. Das BMEL stärkt die familienbetriebene Landwirtschaft unter anderem über den Bilateralen Treuhandfonds mit der FAO, über die EU-finanzierten Twinning-Programme und über zahlreiche Projekte im Rahmen des Bilateralen Kooperationsprogramms. Dabei arbeiten Bauernverbände und Agrargenossenschaften gemeinsam daran, Familienbetrieben und Kleinbauern Wissen zu vermitteln, ihre Marktpositionen zu verbessern, Finanzierungsmöglichkeiten zu erschließen und sich wirtschaftlich weiterzuentwickeln. DER BILATERALE TREUHANDFONDS MIT DER FAO Seit 2002 finanziert das BMEL mit derzeit jährlich 8,75 Millionen Euro den „Bilateralen Treuhandfonds“. Über diesen gemeinsamen Fonds mit der FAO wurden bislang mehr als 90 Projekte gegen Hunger und Unterernährung finanziert – von Schulgärten in Afghanistan über Ernährungserziehung und bodenschonende Anbaumethoden in Afrika bis zur unternehmerischen Schulung von Bauern. Im Zentrum stehen – neben dem Recht auf Nahrung und auf den Zugang zu Land und natürlichen Ressourcen – die Förderung von Frauen, von ausgewogener Ernährung, von nachhaltigen, standortangepassten Produktionsmethoden sowie die Vereinbarkeit von Bioenergie und Ernährungssicherheit. WAS SIND „TWINNING­PROGRAMME“? Die EU unterstützt ihre Nachbarn und beitrittswillige Staaten mit den sogenannten „Twinning-Programmen“ bei der Einführung europäischer Standards, der Angleichung von Rechtsnormen und Verwaltungsstandards. Dazu entsendet die Verwaltung eines EU-Mitgliedes einen Langzeitberater in die Behörde des Partnerlandes. Die Twinning-Programme zu Agrar- und Verbraucherschutzthemen werden durch das BMEL koordiniert. Sie stärken die Länder für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und erleichtern ihnen den Zugang zum EU-Markt. LAND­ UND ERNÄHRUNGSWIRTSCHAFT AUF AUSGEWOGENE ERNÄHRUNG AUSRICHTEN Die Ernährungslage in der Welt ist nicht ausgewogen: Einerseits gibt es Hunger und Mangelernährung, andererseits wächst durch veränderte Ernährungs- und Lebensgewohnheiten die Zahl übergewichtiger Menschen auch FEHLERNÄHRUNG UND ÜBERGEWICHT: WIE DIE BIOLOGIE DES MENSCHEN UND MODERNE TECHNOLOGIE ZUSAMMENWIRKEN Unsere (entwicklungs­ geschichtlich verankerten) Schwächen Moderne Technologien Nach Popkin, 2008 Vorliebe für Süßes preisgünstige, hochkalorische Süßungsmittel, besonders in verarbeiteten Lebensmitteln Durst ist nicht mit dem ­Hunger-/Sättigungs-­ Mechanismus verknüpft Kalorienreiche, zuckergesüßte Getränke Vorliebe für fette Speisen Leicht zu gewinnende und preiswerte Speiseöle und -fette Der Wunsch, Anstrengungen zu vermeiden Technik entbindet uns von körperlicher ­Arbeit und Fortbewegung aus eigener Kraft 22 | 23 ERNÄHRUNGSBILDUNG FÖRDERN: WIE SICH DAS BMEL ENGAGIERT In vielen Dörfern in Entwicklungsländern ist die Ernährungsbasis recht schmal. Die Grundnahrungsmittel wie Reis und Brot liefern nicht genug Vitamine und Mineralstoffe. Besonders betroffen sind Kinder. Für ihre geistige und körperliche Entwicklung sind die ersten 1.000 Tage ab der Empfängnis entscheidend. Unzureichende oder Fehlernährung der Mutter und des Kindes in dieser Zeit verursachen bleibende Entwicklungsschäden und hohe Krankheitsanfälligkeit bei den Kindern. Neben dem Mangel an ausreichenden Lebensmitteln ist oft ungenügendes Ernährungswissen die Ursache. Ein vom BMEL über den Bilateralen Treuhandfonds mit der FAO gefördertes Projekt untersucht in Malawi und Kambodscha, wie sich durch bessere Beikost die Ernährungssituation von Kleinkindern aufwerten lässt. Dazu werden zum Beispiel Hebammen als Multiplikatoren geschult und die Familien beim Anbau vielfältiger Nahrung beraten. in Schwellen- und Entwicklungsländern. Die Folgen sind erhebliche Gesundheitsrisiken, hohe Kosten für die Gesundheitssysteme und negative Auswirkungen auf die Entwicklung eines Landes. Das BMEL fördert daher die Entwicklung „ernährungssensitiver Nahrungsmittelsysteme“. Der Fokus liegt dabei auf der Vielfalt an bezahlbaren, ernährungsphysiologisch hochwertigen Lebensmitteln, die eine hohe Nährstoffdichte bei geringer Energiedichte aufweisen, lokal und kulturell akzeptiert und an die Standortbedingungen vor Ort angepasst sind. GARTENBAU ALS CHANCE FÜR KLEINBAUERN Der Anbau von Obst und Gemüse auf kleinen Flächen bietet für Kleinbauern in Entwicklungsländern große Chancen. Obst- und Gemüseanbau erfordert keine großen Maschinen. Die Nachfrage nach solchen hochwertigen Lebensmitteln ist in den vergangenen Jahren auch in Entwicklungs- und Schwellenländern gestiegen, die Produktion von Obst und Gemüse hat sich verdoppelt. Für kleinbäuerliche Familienbetriebe öffnen sich hier sogar Exportmöglichkeiten in Industrieländer. SCHUTZ VON MENSCHEN UND PFLANZEN Internationaler Handel und Warenaustausch sind wichtig für Wachstum und Entwicklung. Doch sie bringen auch neue Risiken mit sich – etwa bei Agrarprodukten wie Lebensmitteln und Saatgut. Das BMEL richtet deshalb ein besonderes Augenmerk auf die Einhaltung und Verbesserung von Standards zu Boden-, Pflanzen- und Tierschutz sowie für Lebensmittelsicherheit. Zudem unterstützt das Bundesministerium die Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) z.B. bei der Eindämmung der Vogelgrippe oder bei der Entwicklung der Standards im Tierschutz. Das BMEL verfolgt das Ziel einer konsequenten und flächendeckenden Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes in der Tierhaltung, um die weltweit zunehmende Ausbreitung von Antibiotika-Resistenzen zu vermindern. ZAHLEN UND FAKTEN Entwicklungs- und Schwellenländer liefern in die EU mehr Agrarprodukte als in die USA, nach Kanada, Japan, Australien und Neuseeland zusammen. Deutschland importiert aus Entwicklungsländern in erster Linie Kaffee, Ölsaaten, Obst und Südfrüchte sowie Fisch. 71 Prozent der deutschen Agrarimporte aus Drittländern stammen aus den Entwicklungsund Schwellenländern (15,9 Milliarden Euro). Deutsche Ausfuhren in diese Länder beliefen sich 2013 dagegen nur auf 7,3 Milliarden Euro (vornehmlich Getreide und Getreideerzeugnisse, Milcherzeugnisse, Fleisch und Fleischwaren sowie Tabakerzeugnisse). AGRARMÄRKTE TRANSPARENT UND ZUGÄNGLICH GESTALTEN Internationaler Handel ist ein Schlüssel für weltweite Wohlstandsentwicklung. Ohne ihn wäre der Lebensstandard deutlich niedriger, die Auswahl von Produkten geringer und die Preise wären höher. Handel funktioniert umso besser, je einheitlicher die Regeln dafür sind und je weniger unnötige Barrieren ihn behindern. Eingriffe in den Handel verzerren die Warenströme weltweit. Sie können die lokale Lebensmittelversorgung verschlechtern, insbesondere in den Entwicklungsländern. Abkommen zum Verzicht auf handelsverzerrende Maßnahmen können Märkte stabilisieren und die Welternährungslage verbessern. HINTERGRUND: WAS BEEINFLUSST DIE AGRARPREISE HAUPTSÄCHLICH? Ü Wetter und Klima (Missernten durch Dürre oder Überflutungen) Ü Gute oder schlechte Ernten Ü Vorräte – hohe oder niedrige Lagerbestände Ü Ölpreis Ü Steigende Nachfrage nach Lebensmitteln Ü Nachfrage nach Agrarrohstoffen für Bioenergie und industrielle Nutzung Ü Wachsende Weltbevölkerung Ü Wandel der Ernährungsgewohnheiten Ü Überhöhter Bedarf ohne Verwertung, Lebensmittelverschwendung Ü Politische Krisen Ziel des BMEL ist es, Handelsvereinbarungen so auszugestalten, dass das europäische Modell einer multifunktionalen Landwirtschaft erhalten wird und die hohen Standards im europäischen Verbraucherschutz nicht eingeschränkt werden. Den Entwicklungsländern soll eine gleichberechtigte Teilnahme am Welthandel möglich sein. Insbesondere tritt das BMEL auf europäischer und internationaler Ebene für die Abschaffung von Agrarexporterstattungen sowie den Abbau von Subventionen mit handelsverzerrender Wirkung ein. Agrarexporte als humanitäre Hilfe sollen von Exportbeschränkungen ausgenommen werden. Ebenso sollen Ausnahmen für ärmere Entwicklungsländer bestehen bleiben. HAUSHALTSAUSGABEN FÜR LEBENSMITTEL Eine Familie in einem Entwicklungsland gibt ca. 70 % ihres Einkommens für Essen aus. Was passiert, wenn die Preise steigen? Quelle: World Food Programme 2012 24 | 25 GEMEINSAME EU­AGRARPOLITIK (GAP): ABBAU DER EXPORTERSTATTUNGEN Die EU-Agrarförderung stützt sich heute auf Direktzahlungen an landwirtschaftliche Betriebsinhaber. Ursprünglich waren die Zahlungen produktbezogen, um Preise wichtiger Agrarerzeugnisse zu stützen. Gegen so „subventionierte“ Produkte konnten Bauern in Entwicklungsländern oft nicht konkurrieren. Diese Form der Direktzahlungen wurde in Deutschland seit der Einführung der Betriebsprämienregelung im Jahr 2005 schrittweise vollständig entkoppelt. Heute werden pauschal wichtige Leistungen der Landwirtschaft entgolten, z.B. Umweltleistungen über das sogenannte Greening sowie andere Leistungen, die dem Allgemeinwohl dienen, aber nicht über den Markt honoriert werden – für hohe EU-Standards bei Umwelt-, Tier- und Verbraucherschutz. Anders als von den früheren „Marktordnungsmaßnahmen“ gehen von den heutigen produktionsentkoppelten Zahlungen keine oder nur sehr geringfügige wettbewerbsverzerrende Auswirkungen auf Produktion und Preise auf dem Weltmarkt oder in Entwicklungsländern aus. Bis Ende 2014 wurden auch die letzten Agrarexporterstattungen abgebaut. Das Instrument der Exporterstattungen soll künftig nur noch in gravierenden Krisenfällen zur Anwendung kommen. Im Zuge der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik nach 2013 hatte sich das BMEL nachdrücklich für ihre Abschaffung eingesetzt. Agrarmärkte sorgen dafür, dass die Nachfrage nach Lebensmitteln befriedigt werden kann, dass Erzeuger ihre Ware absetzen können und Lebensmittel dorthin geliefert werden, wo sie benötigt werden. Über Warenterminbörsen sichern sich Erzeuger und Händler gegen die Risiken starker Preisschwankungen ab. Allerdings können spekulative Investitionen in großem Stil wesentlich zu extremen Preisschwankungen und Preisspitzen beitragen. Mit dramatischen Folgen vor allem in Schwellen- und Entwicklungsländern, wo die Menschen bis zu 80 Prozent ihres Einkommens für Nahrung ausgeben müssen und die Eigenversorgung schlecht ist. Vor diesem Hintergrund beschlossen die Agrarminister der G20-Staatengruppe im Sommer 2011 einen Aktionsplan zur Verbesserung der Welternährungslage. Neben einem Agrarmarktinformationssystem (siehe Brennpunkt Seite 13) enthält er konkrete Maßnahmen, um die nachhaltige Agrarproduktion zu steigern und Nachernteverluste zu verringern. Zudem sollen Berichtspflichten für Finanzinvestoren an Agrarfinanzmärkten eingeführt werden. Eine Obergrenze für die Investoren soll Marktmanipulationen verhindern. TERMINMÄRKTE FUNKTIONSFÄHIG HALTEN Die Agrarwirtschaft muss sich auch zukünftig gegen unerwartete Preisschwankungen absichern können, Spekulationen müssen dagegen verhindert werden. Daher haben sich der Europäische Rat, das EU-Parlament und die EU-Kommission 2014 auf die Neufassung der Finanzinstrumente-Richtlinie MiFID (Market in Financial Instruments Directive) geeinigt. Sie wird die Funktion der Agrarterminmärkte stärken und schädliche Aktivitäten begrenzen. Das BMEL begleitet die Ausgestaltung der Durchführungsbestimmungen zu Fragen der Agrarrohstoffe. BRENNPUNKT: HANDEL MIT ENTWICKLUNGSUND SCHWELLENLÄNDERN Beim internationalen Agrarhandel stehen sich unterschiedliche Interessen gegenüber. Entwicklungs- und Schwellenländer drängen darauf, dass die Industrieländer ihre Agrarmärkte öffnen. Denen geht es wiederum um bessere Exportchancen in schnell wachsende Schwellenländer und um einen sicheren Zugang zu Rohstoffen. Entwicklungsländer befürchten jedoch negative Folgen für ihre heimische Landwirtschaft, wenn sie ihre Märkte rasch für Importe öffnen. Angesichts der ungleichen Ausgangslage ist das in vielen Fällen verständlich. Denn ihre Landwirtschaft produziert oft noch nicht international konkurrenzfähig. Zudem fehlt es dort an weiterverarbeitender Industrie. Entwicklungsländer exportieren daher zumeist unverarbeitete Rohprodukte – etwa Rohkaffee, Ölsaaten oder Futtermittel. Die Wertschöpfung durch Verarbeitung und Veredelung – etwa Mischung und Röstung beim Kaffee – findet dagegen überwiegend in den Industrieländern statt. Die Entwicklungsländer importieren daher in erster Linie veredelte Produkte (wie Milchprodukte oder Fleisch von mit Importfutter gefütterten Tieren). Das erschwert den Aufbau von Wertschöpfungsketten in diesen Ländern. Das BMEL verfolgt das Ziel, bei internationalen Handelsvereinbarungen die besonderen Bedürfnisse der Entwicklungsländer zu berücksichtigen. NACHHALTIGE RESSOURCENNUTZUNG FÖRDERN Die wachsende Weltbevölkerung lässt sich nur ernähren, wenn die natürlichen Ressourcen für die Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft nachhaltig genutzt und erhalten werden. Das BMEL setzt sich für weltweit gültige Leitlinien zu ressourcenschonender Produktion, nachhaltiger Nutzung und verantwortlichen Investitionen ein. BIODIVERSITÄT: VIELFALT AUF DEM FELD SICHERT EINE AUSGEWOGENE ERNÄHRUNG Seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts ist ein erheblicher Verlust der biologischen Vielfalt insgesamt und auch der landwirtschaftlichen biologischen Vielfalt („Agrobiodiversität“) zu beobachten. Agrobiodiversität ist der Teil der biologischen Vielfalt, der für Ernährung und Landwirtschaft genutzt wird und für die nachhaltige Leistungsfähigkeit der Agrarökosysteme Voraussetzung ist. Das BMEL trägt besondere Verantwortung für die Vielfalt an Kulturpflanzen und Nutztieren mit ihren unterschiedlichen Pflanzensorten und Tierrassen (häufig als pflanzenund tiergenetische Ressourcen bezeichnet). Eine möglichst große biologische Vielfalt an Pflanzensorten ist eine unersetzliche Grundlage zur Züchtung ertragreicher Sorten für spezielle klimatische Bedingungen – wichtig für die Ernährungssicherung vor dem Hintergrund des Klimawandels. Das BMEL nimmt diese Herausforderung in internationaler Zusammenarbeit wahr, wobei ein kooperatives, auf internationale Gerechtigkeit gerichtetes Management der Agrobiodiversität erreicht werden soll. Das Ministerium unterstützt dazu seit langem die vielfältigen Aktivitäten der FAO-Kommission für genetische Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft. Über den Projektfonds des „Internationalen Vertrags über pflanzengenetische Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft“ der FAO (Mitglieder sind 133 Staaten und die EU, Stand 2014) EINIGE WICHTIGE SIEGEL Einige bekannte Siegel für ökologische oder soziale Nachhaltigkeit seien hier genannt: Der gemeinnützige Verein TransFair vergibt das Fairtrade-Siegel an Produzenten, die die Fairtrade-Standards einhalten (unter anderem stabile Erzeugerpreise und faire Arbeitsbedingungen). Das Fairtrade-Kakao-Siegel zeichnet ausschließlich den Kakao in Produkten aus. Holzprodukte aus nachhaltiger Waldbewirtschaftung sind am Siegel des Forest Stewardship Council (FSC) oder des „Programme for the Endorsement of Forest Certification Schemes“ (PEFC) erkennbar. Das Siegel des Marine Stewardship Council (MSC) kennzeichnet Produkte aus nachhaltiger Fischerei. Das Biosiegel findet sich auch auf Bioprodukten aus Entwicklungsländern. Neben diesen gibt es zahlreiche weitere Siegel, die einen nachhaltigen Einkauf möglich machen. finanziert das BMEL die Erhaltung der Vielfalt der Nutzpflanzen und ihre Bereitstellung für Forschung und Züchtung. Das Ministerium unterstützt darüber hinaus politisch wie finanziell die Arbeiten des Globalen Treuhandfonds für Nutzpflanzenvielfalt, der unter anderem die Weltsaatgutbank auf Spitzbergen mitbetreibt. WÄLDER BEWAHREN UND NACHHALTIG NUTZEN Nicht nur Ackerland sichert unsere Ernährung, sondern auch der Wald: Für weltweit etwa 1,6 Milliarden Menschen bildet er die wesentliche Lebensgrundlage. So liefern zum Beispiel die Wälder in den Tropen viele Baum- und Strauchfrüchte für die lokalen Märkte. Und einige der Waldprodukte landen auch in unseren Supermärkten, etwa Cashew-Nüsse oder ein Teil des Kakaos, dessen Pflanzen im Schatten von Bäumen gedeihen. Zudem haben Wälder eine wichtige klimaregulierende Funktion und binden das Treibhausgas CO2 . Eine nachhaltige Waldbewirtschaftung ist daher Bestandteil der Ernährungssicherung und des Klimaschutzes. Illegaler Holzeinschlag gefährdet dagegen die Wälder und damit die Lebensgrundlage vieler Menschen. Übrigens: Im Durchschnitt stammen etwa 17 Prozent des weltweit gehandelten Holzes aus illegalem Einschlag, für Holz aus den Tropen wird dieser Wert deutlich höher geschätzt. Das BMEL setzt sich daher weltweit für eine nachhaltige Waldwirtschaft ein. Ein wichtiges Instrument zu ihrer Durchsetzung ist das auf einer EU-Verordnung basierende Holzhandels-Sicherungs-Gesetz, das Sanktionen für den Handel mit illegal geschlagenem Holz ermöglicht. Zudem unterstützt das BMEL die Zertifizierung von Waldflächen über Systeme, die nachhaltige Bewirtschaftung garantieren. So schreibt etwa die Beschaffungsregelung des Bundes allen Bundesbehörden vor, nur nachweislich nachhaltig erzeugtes Holz zu beschaffen. 26 | 27 MEERE, FLÜSSE UND SEEN RESSOURCENSCHONEND NUTZEN Meere, Flüsse und Seen sind eine wichtige Nahrungsquelle für die Weltbevölkerung und unverzichtbare Elemente des Ökosystems. Die Fischerei ist abhängig von einer intakten Umwelt, beeinflusst die maritime Umwelt jedoch auch selbst – etwa durch Überfischung oder mit Fangmethoden, die maritimes Leben vernichten. Damit die Fischerei eine Zukunft hat, setzt sich das BMEL für eine nachhaltige Fischerei ein. Denn nur so bleiben die Gewässer als Lebensräume erhalten und die Biodiversität wird gewahrt. Ein wichtiger Baustein dazu ist die Gemeinsame Fischereipolitik der EU, zu deren kürzlich verabschiedeter Reform die Bundesregierung entscheidend beigetragen hat. Sie sichert, dass die Gewässer ressourcenschonend genutzt werden, etwa durch Fangquoten, die die Fischbestände stabil halten, durch technische Maßnahmen bei Netzen, die Jungfische und nicht gewünschte Arten verschonen, oder durch sogenannte Rückwurfverbote und Anlandegebote, die sicherstellen sollen, dass bestandsschonender gefischt wird. Die konsequente Verankerung der Nachhaltigkeit in der Fischerei hat Erfolg: Galten 2007 noch 94 Prozent der Fischbestände im Nordostatlantik als überfischt, sind es heute bereits unter 40 Prozent. Da sich Fische nicht an Grenzen halten, wirkt das BMEL auch an internationalen Meeresschutzübereinkommen mit, etwa an der Überarbeitung des Fischereiabkommens über weitwandernde Arten sowie bei der Bestandsbewirtschaftung im Rahmen der Regionalen Fischerei-Managementorganisationen (RFMO). BRENNPUNKT: LABELLING UND NACHHALTIGER KONSUM Wer als Verbraucher zu nachhaltiger Ressourcennutzung und damit zur Ernährungssicherung beitragen möchte, kann das über seine Kaufentscheidungen tun. Denn verschiedene Siegel („Label“) zeigen, welche Produkte besonders hohen sozialen oder ökologischen Nachhaltigkeitsstandards entsprechen. Allerdings ist die Vielzahl der Siegel und Labels oft unübersichtlich, und die Kriterien der Siegelvergabe sind für die Verbraucher nicht immer transparent. Sind zum Beispiel bei verarbeiteten Lebensmitteln mit einem Biosiegel alle Inhaltsstoffe „bio“? Und was sind die Unterschiede zwischen verschiedenen Fairtrade-Siegeln? Zudem vergeben manche Unternehmen zu Werbezwecken eigene Siegel, deren Kriterien nicht überprüfbar sind. Doch Transparenz ist nötig, sollen Siegel für Verbraucher vertrauenswürdig sein. Das BMEL unterstützt daher das Internetportal www.label-online.de der Verbraucherinitiative e.V., das verlässliche Informationen zu Produkt-, Dienstleistungs- und Management-Labels liefert. FORSCHEN FÜR DIE ERNÄHRUNGSSICHERUNG Die landwirtschaftliche Produktion und die Produktivität nachhaltig zu steigern, erfordert Wissen. Die Agrarforschung hat in den vergangenen Dekaden viel dazu beigetragen, diese Aufgaben besser zu verstehen und zu bewältigen. Wissenschaftler haben ressourcenschonende Anbaumethoden und ertragreiches Saatgut für Trockenregionen, aber auch Methoden des nachhaltigen Managements tropischer Wälder und knapper Wasservorräte entwickelt. Sie haben die Wirkungszusammenhänge von Finanzierung der Agrarproduktion, Marktanreizen für Kleinbauern und der Entwicklung ländlicher Räume untersucht. Ihre Forschungsergebnisse haben dazu beigetragen, Tierseuchen erfolgreich zu bekämpfen und den Flächenverbrauch für die Erzeugung von Agrarprodukten zu verringern. Praktische Lösungen wurden dafür entwickelt, wie Nachernte- und Lebensmittelverluste vermieden oder reduziert werden können. Einige Vergleiche verdeutlichen die Bedeutung der internationalen Agrarforschung: Ohne ihre Forschungsergebnisse wäre die Steigerung der Lebensmittelproduktion in der Welt in den vergangenen 50 Jahren undenkbar gewesen, hätte die Fläche für den Anbau von Nahrungspflanzen in Entwicklungsländern um weitere elf bis dreizehn Millionen Hektar erweitert werden müssen – damit wären noch mehr Urwälder und Ökosysteme zerstört worden – und würden heute viele Millionen Menschen mehr an Hunger leiden. Gefahren des Klimawandels für die Ernährungssicherung, regionale Wasserknappheit, abnehmende Biodiversität und Übernutzung der natürlichen Ressourcen sind neue Herausforderungen für die Agrarforschung. Zudem hat durch einseitige Züchtung auf Ertrag, „größeres Korn“ und höheren Energiegehalt oftmals die Nährstoffdichte, also der prozentuale Gehalt an Mikronährstoffen wie Mineralstoffen, Vitaminen oder speziellen Fettsäuren abgenommen. Um den Mikronährstoffmangel zu bekämpfen, müssen Sorten entwickelt und genutzt werden, die ertragreich bei gleicher Nährstoffdichte sind. Das erfordert verstärkt interdisziplinäre Forschung unter anderem mit Ernährungswissenschaftlern. Das BMEL fördert dazu innerhalb der Forschungskooperation Welternährung zum Beispiel mit zwei Millionen Euro die „Forschungsinitiative Nutrition“. DIE FORSCHUNGSINITIATIVE „NUTRITION“ Unter dem Titel „Nutrition – diversifizierte Landwirtschaft für ausgewogene Ernährung in Subsahara-Afrika“ fördert das BMEL Forschungsprojekte, die unter Einbindung afrikanischer Akteure untersuchen, wie sich im östlichen und südlichen Afrika heimische – oft vernachlässigte – Obstund Gemüsearten für eine ausgewogene Ernährung nutzen lassen. Dabei sollen neben Forschungseinrichtungen auch Entscheider und Multiplikatoren aus Beratung, Bildung und Politik für das Thema „ausgewogene Ernährung“ gewonnen werden. So sollen Ernährung und Gesundheit durch eine größere Vielfalt an Lebensmitteln verbessert werden. DEUTSCHE BEITRÄGE ZUR AGRAR­ UND ERNÄHRUNGSFORSCHUNG Das BMEL fördert künftig mit rund fünf Millionen Euro jährlich die anwendungsorientierte Forschung und das Informations- und Wissensmanagement für die Welternährung. Dieses Konzept ist Bestandteil der nationalen „Forschungsstrategie Bioökonomie 2030“ der Bundesregierung, in der die Welternährung ein wesentliches Aktionsfeld darstellt. Zu Fragen der Welternährung wird die Bundesregierung von den sechs Ressortforschungseinrichtungen des BMEL beraten: dem Julius Kühn-Institut für Kulturpflanzen (JKI), dem Max Rubner-Institut für Ernährung und Lebensmittel (MRI), dem Friedrich-Loeffler-Institut für Tiergesundheit (FLI) dem Thünen-Institut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei (TI), dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und dem Deutschen Biomasseforschungszentrum (DBFZ). Diese anwendungsorientierten Forschungseinrichtungen sowie die sechs ebenfalls im Geschäftsbereich des BMEL angesiedelten Leibniz-Institute kooperieren mit Agrar- und Ernährungsforschungseinrichtungen in Entwicklungsländern, um ihren Beitrag zur Verbesserung der Welternährungssituation zu leisten und langfristige Partnerschaften aufzubauen. Die Begrenztheit fossiler Rohstoffe und die mit ihrer Nutzung verbundenen schwerwiegenden Umweltprobleme lassen die Nachfrage nach nachhaltig erzeugten nachwachsenden Rohstoffen steigen. Die Produktion und Verarbeitung der nachwachsenden Rohstoffe schaffen Einkommensmöglichkeiten, insbesondere in den ländlichen Regionen und sind ein wirksamer Beitrag zur Reduzierung von Armut. Unter der Voraussetzung, dass die Sicherung der Ernährung Vorrang hat, setzt sich das BMEL dafür ein, dass die Landwirtschaft biobasierte und nachhaltige Wertschöpfungsketten bedient. 28 | 29 Zudem engagiert sich die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) im Informations- und Wissensmanagement für Welternährung, koordiniert Agrarforschungsthemen zur Beratung des BMEL auf EU-Ebene und unterstützt das Bundesministerium beim Bilateralen Treuhandfonds mit der FAO. FORSCHUNGSKOOPERATION FÜR DIE WELTERNÄHRUNG Die Deutsche Agrarforschungsallianz, bei der mehr als 40 deutsche Forschungseinrichtungen Mitglied sind, soll die Potenziale der deutschen Agrarforschung bündeln und auch für die Aufgaben der globalen Ernährungssicherung zugänglich machen. Die Arbeitsgemeinschaft Tropische und Subtropische Agrarforschung (ATSAF) ist die Informations- und Kommunikationsplattform der international ausgerichteten Agrar- und Ökosystemforschung in Deutschland. Das BMEL verfügt mit den Erkenntnissen der deutschen Agrarforschung in seinem Geschäftsbereich, seiner Ressortforschung und mit der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) über entscheidende wissenschaftliche Grundlagen zur Beobachtung und Bewertung der Welternährungslage. Die daraus resultierende wissenschaftlich fundierte Politikberatung unterstützt das Ministerium bei seinem politischen Handeln. BILATERALE UND INTERNATIONALE PARTNERSCHAFTEN Das BMEL unterstützt mit den oben genannten Mitteln anwendungsorientierte Forschungsvorhaben, bei denen deutsche Einrichtungen des Agrar- und Ernährungsbereiches mit entsprechenden Einrichtungen in Entwicklungsund Schwellenländern zusammen arbeiten. Denn oft mangelt es noch an der Aufbereitung der Forschungsergebnisse zur globalen Ernährungssicherung für die Praxis. Deshalb soll dieses Wissen etwa für die zuständigen Ministerien in Entwicklungs- und Schwellenländern besser zugänglich und für die Arbeit vor allem in den ländlichen Regionen leichter verfügbar gemacht werden. Diese Aufgaben übernehmen die FAO und andere internationale und europäische Partner des BMEL, etwa die Beratungsgruppe für Internationale Agrarforschung (CGIAR). Von deutscher Seite sind dabei u.a. die ATSAF und die BLE eingebunden. BILDUNG FÜR DIE PRAXIS Eine qualifizierte Berufsausbildung ist für Kleinbauernfamilien in Entwicklungs- und Schwellenländern ein Weg, sich aus der Armutsfalle zu befreien und vom Selbstver- DAS PRAKTIKANTENPROGRAMM Das BMEL fördert mehrmonatige Praktika junger Nachwuchskräfte der Agrarwirtschaft aus der Russischen Föderation, der Ukraine, Weißrussland und Vietnam. In landwirtschaftlichen Betrieben in Deutschland werden den künftigen Fach- und Führungskräften Fachwissen und unternehmerisches Denken und Handeln vermittelt, das diese anschließend in ihren Heimatländern anwenden. Durchgeführt wird das Programm vom Deutschen Bauernverband, dem Bayerischen Bauernverband, der Arbeitsgemeinschaft für Projekte in Ökologie, Landwirtschaft und Landesentwicklung in Osteuropa e. V. sowie der Lehranstalt für Agrartechnik in Nienburg. sorger zum Marktproduzenten zu werden. Dafür sind praxisnahe Lehrangebote und Betriebsberatungen erforderlich, die an den Bedürfnissen der Bäuerinnen und Bauern anknüpfen. Dabei geht es nicht nur um bessere Anbaumethoden, sondern auch um betriebswirtschaftliches Grundwissen: Welche Produkte bringen Gewinn? Welche Faktoren bestimmen den Preis, und wie müssen die eigenen Kosten dabei berücksichtigt werden? Welche Standards und Qualitätskriterien müssen Produkte erfüllen, um sie besser vermarkten oder vielleicht sogar exportieren zu können? Hier, an der Basis, werden die für die praktische Nutzung „übersetzten“ Ergebnisse der Agrarforschung zu einem der wichtigsten Werkzeuge der Kleinbauern. Das BMEL unterstützt Entwicklungs- und Schwellenländer beim Aufbau praxisnaher Beratungsprojekte. Dort werden junge Fachkräfte zu ländlichen Agrarberatern fortgebildet. Deutsche Experten helfen bei der Weiterbildung und beraten die Einrichtungen in den Partnerländern. HERAUSGEBER Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) Wilhelmstraße 54, 10117 Berlin Referat L3 – Öffentlichkeitsarbeit, Internet STAND Januar 2015 KONZEPTION, REDAKTION, GESTALTUNG MediaCompany – Agentur für Kommunikation GmbH FOTOS BMEL, FAO/Adek Berry, FAO/Florita Botts, FAO/Sergey Kozmin, FAO/Giulio Napolitano (2), FAO/Simon Maina, Bettina Flittner/laif, Kathrin Harms/laif, Francois Lavigne/REA/laif, Nitro Imagens/laif, Oleh Slobodeniuk/gettyimages, Opmeer Reports (9), Sven Torfinn/laif INFORMATIONEN IM INTERNET www.bmel.de www.bmel.de/welternaehrung BESTELLINFORMATION Diese und weitere Publikationen können Sie kostenlos bestellen: Internet: www.bmel.de/publikationen E-Mail: [email protected] Fax: 01805-77 80 94 (Festpreis 14 ct/Min., abweichende Preise a. d. Mobilfunknetzen möglich) Tel.: 01805-77 80 90 (Festpreis 14 ct/Min., abweichende Preise a. d. Mobilfunknetzen möglich) Schriftlich: Publikationsversand der Bundesregierung Postfach 48 10 09 | 18132 Rostock oder kostenlos herunterladen unter: www.bmel.de/publikationen Diese Broschüre wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit des BMEL kostenlos herausgegeben. Sie darf nicht im Rahmen von Wahlwerbung politischer Parteien oder Gruppen eingesetzt werden.