Krankheiten des Genicks

Werbung
21 – Bewegungsapparat
900
▶ Abb. 21.23 Röntgendiagnostik eines Osteofibrosarkoms des Unterkiefers. Der Tumor fällt durch seine inhomogene Struktur auf.
21.3.3
Krankheiten des Genicks
Diagnose ■ Der röntgenologische Nachweis einer Insertionsexostose an der Squama occipitalis bzw. im Bereich der Protuberantia occipitalis externa in der laterolateralen Projektion
ist kein ausreichender Beweis für eine klinisch manifeste Erkrankung (▶ Abb. 21.24, ▶ Abb. 21.25, ▶ Abb. 21.26).
Walter Brehm, Michael Nowak, Stefan Tietje
21.3.3.1
Insertionsdesmopathie des
Nackenbandursprungs
Walter Brehm, Michael Nowak
Definition und Vorkommen ■ Als Insertionsdesmopathie
werden krankhafte Veränderungen im Ursprungs- oder Ansatzbereich von Bändern, Sehnen und Gelenkkapseln bezeichnet.
Die Erkrankung tritt vornehmlich bei Dressur- und Springpferden auf.
Ätiologie ■ Die Ursache ist meist unbekannt; evtl. wirkt bei
der Ausbildung des jungen Pferdes eine zu enge Haltung im Genick (repetierende Mikrotraumen durch Ausbinder oder
Schlaufzügel) über einen längeren Zeitraum prädisponierend.
Weitere mögliche Ursachen sind: Festhängen im Halfter, Anschlagen unter Hindernissen oder Stürze über Kopf.
▶ Abb. 21.24 Seitliche Röntgenaufnahme des Genicks; Darstellung der
Nackenwand des Os occipitale, rechts-kranial. Großflächige Insertionsexostose an der Nackenwand im Bereich des Ursprungs des Nackenbands
(Pfeile).
Pathogenese ■ Die Insertion des elastischen Funiculus nuchae erfolgt von kaudal nach kranial über eine nichtmineralisierte chondroide Zone und eine mineralisierte chondroide Zone in die Knochenmatrix der Nackenwand des Os occipitale (im
Gegensatz zur Insertion des Fesselträgerursprungs, bei der die
Sehnenfasern über das Periost direkt im palmaro-/plantaroproximalen Anteil des Röhrenknochens verankert sind). Einmalige
oder wiederholte Traumatisierung des paarig angelegten elastischen Nackenstrangs (Funiculus nuchae) führt an seiner Insertion an der Protuberantia occipitalis externa der Squama occipitalis zu partiellen Zerreißungen des Weichteilgewebes und
zur Reizung der chondroiden Matrix. In schweren Fällen treten
Knochenausrisse im Verankerungsbereich der Bandstruktur
auf. In der Abheilungsphase werden reparatorische Vorgänge
induziert, die langfristig zur narbigen Abheilung des Weichteilgewebes und zur Verknöcherung des chondroiden Anteils der
Insertionsstelle („Insertionsexostose“) führen.
▶ Abb. 21.25 Seitliche Röntgenaufnahme des Genicks; Darstellung der
Nackenwand des Os occipitale, rechts-kranial. Extrem ausgedehnte Insertionsexostose am Nackenband, bis vor das Atlantookzipitalgelenk reichend.
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
Klinik ■ Vom Reiter des Pferdes werden zeitweiliges Kopfschlagen, das generelle oder zeitweilige Unvermögen des Pferdes, sich durch das Genick zu stellen, oder Anlehnungsprobleme als Symptome beobachtet. Da sich das Nackenband (Lig. nuchae) im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule als Rückenband (Lig. supraspinale) fortsetzt, werden bei der
Insertionsdesmopathie des Nackenbandursprungs vermeintlich
auch Rückenbeschwerden (S. 915) beobachtet. Während des
Trainings, insbesondere bei versammelnden Lektionen, tritt
eine unstete Kopf-/Halshaltung auf. In manchen Fällen werden
dem Reiter durch Streckung bzw. Herausheben des Kopfes nach
vorn und oben die Zügel regelrecht aus der Hand gezogen.
Adspektorisch und palpatorisch ist der Genickbereich häufig
unauffällig; nur gelegentlich zeigt sich punktuell eine gewisse
Druckempfindlichkeit.
21.3 Schädel, Wirbelsäule, Becken
pie), Physiotherapie und Akupunktur werden zur Behandlung
eingesetzt. Das Training sollte erst nach vollständiger Entspannung des entzündeten Gebietes wieder langsam über mehrere
Wochen aufgenommen werden.
In therapieresistenten Fällen kann die Desmotomie des Nackenbands ca. 7 cm kaudal der Insertion (ggf. mit der Desmotomie der Sehne des M. semispinalis capitis) durchgeführt werden.
Prognose ■ Bei ausreichender Rekonvaleszenzzeit in der Regel
günstig. Durch die Desmotomie kann zumindest eine deutliche
Verbesserung in der Anlehnung und Genickhaltung erzielt werden.
21.3.3.2
Genickbeule
Walter Brehm, Michael Nowak, Stefan Tietje
Synonyme ■ Talpa („Maulwurfsgeschwulst“), Genickfistel,
Die sonografische Darstellung des Genicks ist die wichtigste
Untersuchungsmethode. Sie gibt sowohl Hinweise über das
Ausmaß der Weichteilschädigungen als auch über die knöchernen Umbauprozesse im Insertionsbereich.
Da solche Insertionsexostosen auch bei abgeheilter Insertionsdesmopathie zu sehen sind oder als Anpassung an erhöhte
Zugbelastungen ohne klinisch manifeste Krankheitssymptome
auftreten können, kann durch eine Infiltrationsanästhesie (je
6–7 ml eines 2 %igen Anästhetikums beidseits des Nackenbandursprungs) die Diagnose weiter abgesichert werden.
Hilfreich zur Bestimmung der Lokalisation und des Ausmaßes der Insertionsexostose ist auch die Computertomografie, über die gleichfalls die Weichteilschäden erfasst werden
können. Hier kann auch die Magnetresonanztomografie eingesetzt werden. Die Szintigrafie bietet in der Regel keine brauchbaren Befunde.
Differenzialdiagnosen ■ Absprengungsfrakturen an der
Squama occipitalis lassen sich anhand des Vorberichts und der
stärkeren Entzündungserscheinungen von akuten Ausrissfrakturen unterscheiden. Im Röntgenbild weisen multiple Verkalkungen oberhalb des 1./2. Halswirbels entweder auf eine abgeheilte aseptische Bursitis subligamentosa nuchalis oder auf eine
chronisch-degenerative Myopathie hin. Letzterer Befund kann
auch gleichzeitig mit Insertionsexostosen am Nackenbandursprung einhergehen.
Erkrankungen der Zähne (Frakturen, lockere Wolfszähne),
der Maulhöhle (Schleimhautläsionen am Margo interalveolaris), der Halswirbelsäule (Arthropathien) und diejenigen, die
durch Rückenbeschwerden und Kopfschlagen ausgelöst werden, sind auszuschließen.
Therapie ■ Ausrissfrakturen werden durch Exstirpation des
Fragments chirurgisch versorgt.
In allen übrigen Fällen wird das Pferd vorübergehend (bis zu
4 Monaten) außer Dienst gestellt. Mehrfache lokale Injektionen
bzw. Quaddelungen mit Lidocain und Traumeel über 1–6 Wochen zirkulär, um nicht in den Prozess zu kommen, NSAIDs,
physikalische Therapien (Stoßwelle, Magnetfeld, therapeutischer Ultraschall, Interferenzstrom, Matrix-Rhythmus-Thera-
Bursitis nuchalis, Nekrose des Nackenbands.
Definition ■ Als Genickbeule bezeichnet man alle im Genick
lokalisierten zirkumskripten, entzündlichen, beulenartigen
Verdickungen, die größtenteils auf einer primären oder sekundären Erkrankung der unter dem Nackenband liegenden
Schleimbeutel beruhen (▶ Abb. 21.27). Oft besteht dabei eine
partielle Nekrose des Nackenbands mit Fistelbildung
(▶ Abb. 21.28).
Im Raum zwischen Protuberantia occipitalis, dem Atlas und
dem paarigen Nackenband liegen als Polsterorgane 2 Schleimbeutel: die Bursa subligamentosa nuchalis cranialis auf dem Atlas und die Bursa subligamentosa nuchalis caudalis auf dem
Axis.
Ätiologie und Pathogenese ■ Durch Gegenschlagen gegen
die Krippe, beim Anheben des Kopfes nach der Futteraufnahme
vom Boden, durch Überschlagen, durch zu kleines oder zu eng
geschnalltes Halfter und dadurch hervorgerufenes Scheuern
oder Drücken erfolgt eine Haut- und Bursaquetschung. An den
Scheuerstellen entsteht zunächst eine eitrige Dermatitis, eine
Follikulitis oder eine Akne. Diese kann in eine subkutane Phlegmone übergehen. Seltener treten eine eitrige Bursitis subligamentosa und eine Nackenbandnekrose nach infizierten
Stichwunden u. Ä. auf.
Eine Brucella-Infektion der Bursa nuchalis cranialis und der
Bursa nuchalis caudalis kann blutserologisch bestätigt oder
durch das Punktat selbst ausgeschlossen werden. Der BrucellaNachweis aus dem Bursapunktat gelingt jedoch selten. In den
Ländern, in denen die Bruzellose getilgt ist, kommt dies als Ursache einer Bursitis nuchalis cranialis s. caudalis nicht mehr in
Frage.
Die Erkrankung des Nackenbands kann schließlich durch Befall mit Onchozerken verursacht sein.
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
▶ Abb. 21.26 Seitliche Röntgenaufnahme des Genicks; Darstellung der
Nackenwand des Os occipitale, rechts-kranial. Ausrissfrakturen der Insertionsexostose an der Nackenwand nach Trauma (Pfeile).
Bewegungsapparat
901
21 – Bewegungsapparat
902
Der Kopf wird tiefgehalten oder mit dem Kinn auf den Futtertisch aufgesetzt. Bei Punktion entleert sich aus der Bursa eine
gelblich-schleimige, durchscheinende, leicht gerinnende Flüssigkeit, der je nach der Entstehungsweise Blut oder Fibrinflocken beigemischt sein können. Sonografisch stellt man eine
anechogene Zone fest (▶ Abb. 21.27).
Bursahygrom Hygrome bilden sich häufig nach Ablauf der entzündlichen Phase zurück. In anderen Fällen entsteht eine Bursitis fibrosa chronica mit Wandverdickung, Alterationen der Synovialmembran und Anfüllung der Bursa mit geronnenen Fibrinkugeln (Corpora oryzoidea). Sonografisch sind die aseptische Form und das Bursahygrom kaum zu unterscheiden. Das
Sonogramm kann mit kleinen echogenen Zonen Hinweis auf
ein Hygrom ergeben.
Pyogene Bursitis Durch Infektion der Synovia wird die Ver-
▶ Abb. 21.28 Genickfistel.
Klinik und Diagnose ■
Aseptische Bursitis Bei der aseptischen Form sieht man hinter
der Squama occipitalis auf dem 1. oder 2. Halswirbel eine länglich-runde bis handlange und armdicke Umfangsvermehrung,
die durch das paarige Nackenband halbiert wird. Manchmal
wölbt sich die Verdickung nur einseitig vor. Je nachdem, ob es
sich um eine Quetschung, ein Hämatom, eine akute oder chronische Bursitis handelt, ist die Verdickung anfangs wärmer und
schmerzhaft, ödematös oder fluktuierend. Später besteht bei
Miterkrankung einer Bursa deutliche Fluktuation mit Verdickung der Bursawand.
dickung schmerzhaft und vermehrt warm. Man sieht die Verzweigung der Lymphgefäße in der Haut (pyogene seröse Bursitis). Die pyogene seröse Bursitis stellt meist den Übergang zur
eitrigen Bursitis dar. Später erfolgt die Abszedierung neben der
Medianlinie. Es entleert sich klumpiger, mit Schleim vermischter Eiter, der bei der meist vorhandenen Tiefhaltung des Kopfes
über die Stirn und seitlich abtropft.
Die pyogen-seröse, später die Bursitis purulenta ist nicht immer sofort diagnostizierbar, sofern man nicht punktiert hat. Sie
fällt durch eine starke perifokale Lymphgefäßzeichnung auf.
Bei Sondierung der Bursahöhle fühlt man die glatte, bei längerem Bestehen der Eiterung höckrig werdende Oberfläche der
Synovialmembran. In der Medianlinie gelangt man von der
Höhle aus oft in eine oder mehrere Öffnungen, die oben durch
die perforierte eingeschmolzene Synovialmembran in den Nackenstrang münden. In der Tiefe dieser Öffnung findet sich
pappig und faserig anfühlendes, nekrotisches Sehnengewebe.
In anderen Fällen entdeckt man in der oberen Medianlinie, im
sog. Kamm, kleine, kurze, von außen in den Nackenstrang führende Kanäle, die primär zur Nekrose und sekundär zur pyogenen Bursitis geführt haben.
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
▶ Abb. 21.27 Chronische, ausgedehnte Genickbeule.
a Klinisches Bild.
b Ultraschallbild; Transversalschnitt. Starke Flüssigkeitsansammlung und Destruktion des Muskelgewebes.
21.3 Schädel, Wirbelsäule, Becken
Fistelbildung Bei längerem Bestehen bildet sich eine Genickfis-
Pyogene Bursitis Durch Injektion von Glukokortikoiden in
tel (▶ Abb. 21.28), die durch die Sekretion der Bursa und die
Nekrose des Nackenstrangs unterhalten wird. Intermuskuläre
Phlegmonen mit diffuser Schwellung, Eiterversackungen und
Störungen des Allgemeinbefindens durch Intoxikation und pyogene Allgemeininfektionen können den Verlauf der Erkrankung
komplizieren. Nekrosen an den Halswirbeln, an den Ligg. intervertebralia und eitrige Meningitiden des Rückenmarks gehören
zu den Seltenheiten.
Kombination mit Antibiotika ist kaum ein Erfolg zu erwarten.
Früher oder später kommt es zur Parabursitis und Abszedierung. Parallel dazu entwickelt sich eine zirkumskripte Nackenbandnekrose. Dabei ist das alleinige Ausschälen der Fistelkanäle
selten erfolgreich, da immer nekrotische Teile zurückbleiben.
Die Operation in Form der partiellen oder totalen Nackenbandresektion von der Hinterhauptschuppe bis zum hinteren
Rand des Axis einschließlich der Exstirpation der Bursa kann in
Betracht gezogen werden. Die Behandlung dauert sehr viel länger (2–6 Monate). In manchen Fällen ist trotz chirurgischer Intervention aufgrund fortschreitender Nekrose des Nackenbands
die Prognose ungünstig.
Differenzialdiagnosen ■ Absprengungsfrakturen am Os occipitale (S. 897) und die Insertionsdesmopathie am Nackenbandursprung (S. 900) sind durch die entsprechenden röntgenologischen Befunde (Fraktur bzw. Insertionsexostosen) und das Fehlen sonografischer Veränderungen kaudal der Nackenbandinsertion abzugrenzen.
Ebenfalls sind Frakturen des Dens axis (S. 908) auszuschließen. Sie verursachen nicht die typische Schwellung im Bursabereich und sind im Röntgen- oder CT-Bild darstellbar.
Therapie und Prognose ■ Die Tiere sind in einer Box frei
ohne Halfter zu halten. Falls erforderlich, wird ihnen ein Halsriemen angelegt, der die Schwellung nicht berührt.
Aseptische Bursitis und Bursahygrom Aseptische, traumatisch entstandene Bursitiden, Schwellungen, Hautquetschungen
und Dermatitiden können anfangs auch lokal durch resorbierende und antiphlogistische Mittel (anfangs Kälteapplikation,
später Wärme, entzündungshemmende Salbe) behandelt werden.
Bei der aseptischen Bursitis und beim Bursahygrom kann
man, wenn die Umgebung nicht infiziert ist, eine Punktion vornehmen, die Synovialhöhle evakuieren und die Bursa mit Glukokortikoiden (200–400 mg Prednisolon) unter lokalem antibiotischen Schutz auffüllen. Schwellungen dürfen nicht mit
hautreizenden Mitteln behandelt werden. Diese bedingen nur
eine erneute Füllung der Bursa. Die intrabursalen Injektionen
müssen u. U. wiederholt werden.
Cave
Nicht jede Genickbeule, gleich ob aseptisch oder septisch in Form der Genickfistel, muss zwingend mit einer
Bursitis vergesellschaftet sein. Daher ist vor jeder „intrabursalen“ Behandlung die sonografische Untersuchung unabdingbar.
21.3.3.3
Krankheiten des Atlantookzipitalgelenks
Walter Brehm, Stefan Tietje
Das Atlantookzipitalgelenk besteht aus 2 Ellipsoidgelenken mit
je einer Gelenkkapsel, die von den beiden Condyli occipitales
des Os occipitale und den Foveae articulares craniales des Atlas
gebildet werden.
Ätiologie und Pathogenese ■ Erkrankungen wurden in Form
einer Infektion als Komplikation nach einer Luftsackmykose, als
Folge von Traumen (Fraktur, Subluxation, Ankylose) oder als
Arthritis, zum Teil in Kombination mit osteochondralen Defekten, beschrieben. Befunde an den Gelenkflächen können als
Knochenkontur- und/oder Knochenstrukturveränderungen, als
subchondrale zystoide Defekte oder als Knochenfragmente auftreten. Derartige Veränderungen wurden sowohl einseitig als
auch beidseitig beobachtet.
Klinik ■ Die Symptomatik ist nicht einheitlich und hängt von
Art und Grad der Erkrankung des Atlantookzipitalgelenks ab.
Sie reicht von Unrittigkeit mit Problemen in der Anlehnung,
der Stellung und der Durchlässigkeit über eine unphysiologische, vor allem steife Kopfhaltung, Einschränkungen der Beweglichkeit bis zu geringgradiger Ataxie.
Diagnose ■ Im Rahmen der Diagnosefindung müssen die verschiedenen differenzialdiagnostisch in Frage kommenden Erkrankungen im Ausschlussverfahren abgegrenzt werden. Als
bildgebende Verfahren liefern die röntgenologische, sonografische, szintigrafische und vor allem die computertomografische Untersuchung wichtige Hinweise. Darüber hinaus bietet
eine Gelenkpunktion zum einen die Möglichkeit der Synovialanalyse, zum anderen über die Gelenkanästhesie (5–8 ml eines
2 %igen Lokalanästhetikums) eine sichere Lokalisation des
Schmerzes.
Die Röntgenuntersuchung umfasst Aufnahmen im laterolateralen und ventrodorsalen Strahlengang, evtl. ergänzt durch
Schrägaufnahmen und „Stress“-Projektionen“ (überstreckt,
überbeugt). Die Darstellung von subchondralen Aufhellungen
im laterolateralen Strahlengang erfordert eine genau zentrierte,
überbelichtete Aufnahme. Auch erhebliche pathologische Befunde können durch Überlagerungen mittels konventioneller
Röntgentechnik schnell übersehen werden.
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
Komplikationen Sowohl nach aseptischen als auch nach pyogenen Prozessen im Bereich des Genicks kann es zu ossifizierenden Periostitiden dorsal am Atlas, am Axis, aber auch am Os
occipitale kommen. Es handelt sich dem Wesen nach um Insertionsdesmopathien (S. 900). Diese können Ursache für ein später auftretendes rezidivierendes Kopfschütteln oder Kopfnicken
des Pferdes sein, das sog. Headshaking (S. 756). In der seitlichen
Röntgenaufnahme, im Szintigramm und im CT sind diese Veränderungen gut darzustellen. Sie stellen einen erheblichen
Mangel dar.
Bewegungsapparat
903
21 – Bewegungsapparat
904
Therapie und Prognose ■ Für aseptische Arthritiden ohne
tiefgreifende Schäden der Gelenkflächen gelten bei günstiger
Prognose die gleichen Behandlungsgrundsätze wie für die
Gliedmaßengelenke (systemische oder intraartikuläre Anwendung von nichtsteroidalen Antiphlogistika, Kortikosteroiden,
Hyaluronsäure, Chondroprotektiva und Belastungsreduzierung).
Die Arthroskopie bietet die Möglichkeit einer Gelenkspülung
und einer direkten Beurteilung der dorsalen Gelenkanteile.
Für Erkrankungen, die mit einer umfangreichen Schädigung
der Gelenkflächen, einer Einschränkung der Gelenkfunktion,
einer mechanischen Blockade oder einer Ataxie einhergehen,
ist die Prognose im Hinblick auf eine Nutzung als Reitpferd ungünstig einzustufen.
21.3.4
Krankheiten der Halswirbelsäule
Walter Brehm, Michael Nowak
Anatomie ■ Zur Halswirbelsäule (HWS) werden die 7 Halswirbel mit den Zwischenwirbelscheiben, die als Puffer zwischen 2 benachbarten Wirbelkörpern liegen, den Gelenkkapseln der einzelnen Gelenkfortsätze (Procc. articulares) und den
die Wirbel verbindenden und stabilisierenden Bändern gezählt.
Bei Letzteren wird zwischen den kurzen (Lig. flavum, Lig. interspinale, Lig. intervertebrale) und langen (Lig. longitudinale dorsale et ventrale, Lig. nuchae) Bändern unterschieden. Ein Vorfall
der Bandscheibe in den Wirbelkanal tritt nur sehr selten auf.
Die Gelenkhöhlen sind entsprechend der großen Flexibilität
der Halswirbelsäule sehr weit.
Die einzelnen Halswirbel werden brustwärts kürzer. Der 1.,
2., 6. und 7. Halswirbel sind durch ihre charakteristische ana-
tomische Form leicht zu identifizieren. Der Atlas besteht aus
einem dorsalen und ventralen Wirbelbogen (der typische Wirbelkörper fehlt) und den breiten Alae atlantis; der Axis ist der
größte Halswirbel. Auffällig ist sein kranial am Wirbelkörper
gelegener, schaufelförmiger Dens und sein hoher und breiter
Proc. spinosus. Beim 6. Halswirbel ist gegenüber dem 3. bis 5.
Halswirbel am Proc. transversus das Tuberculum ventrale plattenförmig zur Lamina ventralis verbreitert. Nur am 7. Halswirbel ist kein Tuberculum ventrale ausgebildet. Er besitzt einen
kleinen prominenten Proc. spinosus. Der 3. bis 5. Halswirbel
unterscheiden sich nur durch ihre Länge, die nach kaudal abnimmt.
Ätiologie und Pathogenese ■ Verletzungen an der Halswirbelsäule entstehen in der Regel durch ein einmaliges schweres
Trauma. Die häufigsten Ursachen sind Stürze und Überschläge
bei hoher Geschwindigkeit, beim Überwinden von Hindernissen, aus der Höhe (z. B. LKW-Verladerampe), in der Schmiede,
Verkehrsunfälle, Losreißen vom Strick, Trittverletzungen durch
ein anderes Pferd etc.
In Abhängigkeit von der Größe, der Richtung und dem Ansatzpunkt der einwirkenden Kraft treten die verschiedenartigsten morphologischen Veränderungen an der HWS – allein oder
in Kombination – auf: Quetschungen, Bänderzerrungen, (Sub-)
Luxationen, Wirbelgelenkblockaden, Wirbelfrakturen. Dabei
sind die reinen Weichteilverletzungen von den Läsionen der
Wirbel zu unterscheiden und die gedeckten von den seltener
auftretenden offenen Verletzungen.
Diagnose ■ Bei Verdacht auf eine Wirbelsäulenerkrankung
muss unter Berücksichtigung der Anamnese eine allgemeine
und spezielle klinische und neurologische Untersuchung eingeleitet werden, die röntgenologische und labormedizinische Untersuchungen einschließt. In besonderen Fällen können die
Myelografie, Sonografie, Szintigrafie, Computertomografie
(beim Großpferd nur bis C4/C5 möglich), Thermografie und das
MRT (ca. bis C3) zusätzliche Informationen über die Lokalisation, die Art und das Ausmaß der Erkrankung liefern. Differenzialdiagnostisch sind vor allem Lahmheiten und im Besonderen
organische Erkrankungen auszuschließen.
Bei Verdacht auf eine HWS-Erkrankung sollte stets eine
gründliche klinische Untersuchung erfolgen. Sie umfasst alle
Gewebe (u. a. Haut, Faszien, Muskulatur, Knochen), die oberflächliche und tiefe Palpation inkl. Sensibilitätsprüfung, die
Überprüfung der Beweglichkeit jedes Gelenks und der gesamten HWS, die Kontrolle der Trigger- und der Akupunkturpunkte. In Verdachtsfällen (z. B. Rittigkeitsproblemen) sollte die Untersuchung auch an der Longe (unausgebunden und ausgebunden) und unter dem Reiter erfolgen.
Für die radiologische Untersuchung ist es notwendig, stets
die gesamte Halswirbelsäule vom Genick bis zum 1. Brustwirbel darzustellen. Jedoch sind dafür meist drei Röntgenaufnahmen notwendig, bei denen unbedingt eine Überlappung dieser
und eine Markierung verwendet werden sollten, um eine anatomische Orientierung zu ermöglichen. Die Benutzung großer
Röntgenkassetten (35 × 43 cm), schneller Verstärkerfolien (SE
6–12), eines Parallel- oder Laufrasters sowie eines Kassettenstativs ist wegen der größeren Übersichtlichkeit und aus Strah-
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
Bei der sonografischen Untersuchung der dorsalen und lateralen Genickregion dient der kraniale Rand der Ala atlantis als
Orientierung. Es können die periartikuläre Muskulatur und die
Knochenoberfläche der Condyli occipitales, der Procc. paracondylares und des kranialen Atlas sowie die Ligg. lateralia beurteilt werden.
Die Knochenszintigrafie gibt über die Darstellung des Speicherungsmusters des Radiopharmakons Hinweise auf Veränderungen des Knochenmetabolismus. Szintigramme des Atlantookzipitalgelenks müssen in lateraler und dorsaler Aufnahmerichtung erstellt werden. Veränderte Gelenke zeigen in der Regel eine erhöhte Anreicherung. Vor allem bei einer einseitigen
Erkrankung ist das dorsale Szintigramm für den Seitenvergleich
von besonderem Interesse.
Die Computertomografie bietet durch die überlagerungsfreie Darstellung die weitaus aussagekräftigste morphologische
Beurteilung des Atlantookzipitalgelenks. Neben den knöchernen Anteilen (insbesondere Knochenoberfläche im Bereich des
Gelenkspalts und Knochenstruktur) können auch die Weichteilstrukturen inklusive Rückenmarkkanal beurteilt werden.
Gelenkpunktion und Gelenkanästhesie können am stehenden Pferd sowohl ohne als auch mit Ultraschallkontrolle von lateral durchgeführt werden. Die Einstichstelle liegt auf Höhe der
Endsehne des M. longissimus capitis unmittelbar kaudal der V.
auricularis caudalis.
21.3 Schädel, Wirbelsäule, Becken
905
! Von entscheidender Bedeutung bei einer HWS-Erkrankung ist die Beurteilung, ob das Rückenmark bzw. der Rückenmarkkanal oder die Nerven im Bereich des Foramen
intervertebrale direkt oder indirekt durch die Läsion verletzt worden sind.
Bei schweren Verletzungen der Wirbelsäule mit Wirbel-/Wirbelbogenbrüchen sind nicht selten der Wirbelkanal und das Rückenmark mit betroffen. In diesen Fällen kommt es im Moment
des Traumas zur Paralyse einzelner Extremitäten, Para- oder
Tetraplegie, oder die neurologischen Ausfallserscheinungen
(Ataxie) verstärken sich infolge der Bildung eines Hämatoms,
Ödems oder im späteren Verlauf durch Kallusbildung allmählich.
21.3.4.1
Prellung, Distorsion, „HWS-Syndrom“
Ätiologie und Pathogenese ■ Infolge unkoordinierter Bewegungen, abrupter Wendungen, bei Hängenbleiben des Hinterhufes im Strick oder Halfter und nach Stürzen kann es zu Verstauchungen der Halswirbelgelenke mit Überdehnung der Gelenkkapsel und partiellen oder totalen Rupturen der Bänder
und Zwischenwirbelscheiben kommen, in seltenen Fällen verbunden mit einer Abrissfraktur. Daraus kann sich eine Instabilität einzelner Gelenke (Subluxation/Wirbelgleiten) oder eine
chronisch-deformierende Arthropathie entwickeln, die in vielen Fällen zu bleibenden funktionellen Störungen der Wirbelsäule führt.
Traumas, der Lokalisation und dem Ausmaß der Veränderungen an den Wirbelgelenken. Hauptmerkmale sind der starke
Schmerz im Bereich des Traumas sowie die eingeschränkte Beweglichkeit, insbesondere bei Wendungen. Der Hals wird waagerecht und steif gehalten, die Pferde bewegen sich kaum. Die
Palpation des erkrankten Abschnitts ist schmerzhaft. Die Symptome können sich in den ersten Tagen nach dem Trauma noch
verstärken. Sie verschwinden innerhalb von 7–14 Tagen.
Diagnose ■ Werden keine neurologischen Ausfallerscheinungen beobachtet, handelt es sich in der Regel um einfache Quetschungen, Prellungen oder Distorsionen der Weichteilgewebe
oder Knochenoberfläche der (Hals-)Wirbelsäule ohne Verletzung des Rückenmarks und seiner Adnexe. Liegen zudem keine
röntgenologischen Veränderungen vor, spricht man von einem
HWS-Syndrom.
In der Regel lässt sich nur die Verdachtsdiagnose der Distorsion (syn. Zerrung, Verstauchung, „HWS-Syndrom“) nach Ausschluss aller anderen Erkrankungen der Wirbelsäule auf der
Grundlage einer gründlichen klinischen (inkl. osteopathischer/
chiropraktischer Kontrolle), neurologischen und röntgenologischen (u. U. auch thermografischen, szintigrafischen und/oder
computertomografischen) Untersuchung stellen.
Therapie ■ Boxenruhe, physikalische Therapien (anfangs Kälte > später Wärme, Magnetfeld, Interferenzstrom), Neuraltherapie, Physiotherapie, nichtsteroidale Entzündungshemmer,
Osteopathie/Chiropraktik. Bei Identifikation eines erkrankten
Gelenks empfiehlt sich die i.a. Behandlung mit Kortikosteroiden
unter Ultraschallkontrolle (Achtung: bei i.a. Punktion stets
Synoviaabfluss).
Wasser und Futter sollten auf Kopfhöhe angeboten werden.
Bei HWS-Blockaden, die sofort gelöst werden können, und
wenn die Pferde anschließend keine klinischen Auffälligkeiten
zeigen, wird das Training unter physiotherapeutischer Begleitung sobald wie möglich wieder aufgenommen.
Prognose ■ Günstig.
21.3.4.2
Tortikollis
Definition ■ Unter Tortikollis (Schiefhals) versteht man eine
Verkrümmung und Schiefhaltung des Halses.
Ätiologie und Pathogenese ■ Ein Tortikollis ist sichtbares
Zeichen verschiedener Erkrankungen der Halswirbelsäule oder
des Kopfes: Frakturen der Halswirbel, (Sub-)Luxationen, Zerrungen und Rupturen von Sehnen und Muskeln, neurogene Paralysen der Halsmuskeln, Arthrose der Wirbelgelenke. Seltener
ist der angeborene Tortikollis.
Klinik und Diagnose ■ Tiere mit Frakturen bzw. Luxationen
der Halswirbel können festliegen oder zeigen unterschiedlich
stark ausgeprägte ataktische Bewegungen. Bei Verletzungen
und Entzündungen der Halsmuskulatur, neurogenen Paralysen
und Gelenkerkrankungen wird der Tortikollis durch eine einseitige Kontraktur ausgelöst. Hierbei fehlen in der Regel ataktische
Erscheinungen. Der Hals wird schief gehalten und zur Seite ge-
Bewegungsapparat
Klinik ■ Die Symptome richten sich nach der Schwere des
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
lenschutzgründen angezeigt. Am stehenden sedierten Patienten lassen sich orthograde Röntgenaufnahmen der HWS im laterolateralen Strahlengang oftmals leichter erzielen als unter
Allgemeinanästhesie (Strahlenschutz!). Arthrosen der Facettengelenke (kleine Wirbelgelenke) sind häufig in Schrägaufnahmen leichter darzustellen, ebenso lässt sich bei einseitiger Erkrankung die veränderte Seite bestimmen. Überstreckte, abgesenkte oder abgebeugte Aufnahmen sind „Stress“-Aufnahmen,
die insbesondere das Wirbelgleiten (Spondylolisthesis) verstärken.
Aufgrund der Bedeutung der Röntgendiagnostik für die Interpretation der klinischen Erscheinungen ist es von besonderer
Bedeutung, die Röntgenaufnahmen nach einem standardisierten Protokoll durchzuführen, so dass Fehleinschätzungen der
Dimension der Facettengelenke und der Foramina intervertebralia vermieden werden. Hierzu ist es erforderlich, die KopfHals-Haltung des Pferdes zu kontrollieren, so dass das rostrale
Ende des Kopfes in Höhe des Buggelenks liegt.
Die Punktion des subarachnoidalen Raums zur Darstellung
des Rückenmarkkanals erfolgt über dem Spatium atlantooccipitale (3–4 Finger breit kaudal des Ohrgrundes in der Medianen –
Mähnenkamm). Liquor cerebrospinalis wird entsprechend der
Menge des zu injizierenden Kontrastmittels (Jopamidol, Solutrast®, 0,1–15 ml/kg KM, gute Verträglichkeit) abgezogen. Das
Kontrastmittel sollte langsam (> 3 min) bei angehobenem Kopf
und Hals injiziert werden. Kontrastmittelaufnahmen der HWS
(Myelografie) werden in Normalposition (Genick bis Th1), bei
Hyperflexion (C1–C7) und -extension (C1/C2 und C5–Th1) und in
besonderen Fällen als Schrägaufnahmen (u. a. Darstellung der
erkrankten Seite) angefertigt. Ventrodorsale Aufnahmen sind
vom Genick bis ca. C4 gut möglich.
21 – Bewegungsapparat
906
Therapie ■ Die Behandlung richtet sich nach der Ursache der
Erkrankung. Bei Entzündungserscheinungen wird die Behandlung nach den Regeln der allgemeinen Chirurgie durchgeführt:
im akuten Stadium mit Kälte, später mit Wärme, feuchten, austrocknenden Alkoholverbänden, Physiotherapie (u. a. Massagen), physikalischen Therapien (u. a. Interferenzstrom), Akupunktur, systemischen Gaben steroidaler und nichtsteroidaler
Entzündungshemmer. Spastische Kontrakturen können auch
durch lokale Infiltrationen mit Lidocain (Neuraltherapie) gelöst
werden.
Die allgemeine (zirkuläre) knöcherne Einengung des Wirbelkanals in einem oder mehreren Wirbelsegmenten ohne erkennbare Ursache stellt eine weitere Möglichkeit für eine langsam fortschreitende Veränderung im Bewegungsablauf (meist
Spastik und Hypermetrie) dar.
Eine weitere wichtige Gruppe stellen die Subluxationen
(„Wobbler“) dar, die auf ein multifaktorielles Krankheitsgeschehen (Osteochondrose, Apophysitis, subchondrale Sklerosen,
Hypertrophie der Ligg. flava, Nährstoffimbalancen, Überernährung, Schnellwüchsigkeit etc.) zurückzuführen sind (dynamische Kompression). Kongenitale Erkrankungen (okzipitoatlantoaxiale Malformation), Neoplasien (z. B. Osteosarkom)
und Abszedierungen (Osteomyelitis) sind seltene Ursachen
eines raumfordernden Prozesses im Wirbelkanal.
Vorkommen ■ Die Veränderungen treten bei allen Pferderassen auf und können jedes Alter betreffen. Die okzipitoatlantoaxiale Malformation (S. 907) findet sich ausschließlich, die
dynamische Kompression vornehmlich bei jungen Tieren.
Hinsichtlich der Lokalisation der Veränderungen bestehen
für die einzelnen Erkrankungen bestimmte Prädilektionsstellen. Die dynamischen Kompressionen treten bevorzugt zwischen C3 und C5, die statischen zwischen C2/C3 und 5. Hals- bis
1. Brustwirbel auf. Die kongenitale Fehlbildung betrifft das Hinterhauptbein und den 1. bis 2. Halswirbel; die übrigen Veränderungen werden an der gesamten Halswirbelsäule gesehen, wobei ein Wirbelgelenk (ein- oder beidseitig) oder mehrere
gleichzeitig erkrankt sein können, ebenso können dynamische
und statische Kompressionen gleichzeitig vorliegen.
Prognose ■ Im Allgemeinen ist die Prognose eher vorsichtig
bis ungünstig. Sie richtet sich stark nach dem Grundleiden und
der Dauer der Erkrankung. Nur spastische Kontrakturen sind
prognostisch günstiger zu beurteilen.
21.3.4.3
Raumfordernde Veränderungen des
Wirbelkanals
Der Wirbelkanal kann durch verschiedene Veränderungen verengt und dadurch das in seinem Zentrum gelegene Rückenmark komprimiert werden (kompressive Rückenmarkläsionen).
Zu diesen Veränderungen zählen: Spondylarthrose, Spondylose, Synovialzysten, Subluxation, Fehlbildungen, Frakturen/Fissuren, Neoplasien, epidurale Hämatome, Abszesse, Umfangsvermehrung der Bänder im Wirbelkanal, Vorfall der Zwischenwirbelscheibe u. a.
Allen diesen Veränderungen ist gemeinsam, dass sie vorübergehend oder dauerhaft (regelmäßig oder unregelmäßig) zu
neurologischen Ausfallerscheinungen (Inkoordination/Ataxie)
führen. Die Ausfallerscheinungen reichen von kaum wahrnehmbar (1. Grad) bis zum Festliegen (5. Grad) mit Tetraplegie.
Ätiologie ■ Die häufigste Ursache für kompressive Rückenmarkläsionen sind traumatische Einwirkungen auf die Halswirbelsäule. Die raumfordernde Veränderung kann sich dabei direkt nach dem Trauma einstellen (z. B. durch Frakturen/Fissuren/Luxationen), einige Stunden nach der Verletzung (epidurale
Hämatome) oder sich Wochen bis Monate später (Spondylarthrose, Synovialzysten, Spondylose) entwickeln (statische Kompression).
Klinik ■ Das Sensorium ist meist ungetrübt, das Allgemeinbefinden ungestört bis geringgradig herabgesetzt. Je nach Erkrankungsform, der Lokalisation an der HWS (C1–Th1) bzw. im Wirbelkanal (dorsal, lateral und/oder ventral) und dem daraus resultierenden Ausmaß der Kompression des Rückenmarks (weiße und/oder graue Substanz, teilweise/vollständig) variieren
die neurologischen Ausfallerscheinungen.
Die Inkoordination des Bewegungsablaufs ist das Hauptmerkmal. Die Symptome reichen vom spontanen Niederstürzen
mit Schweißausbruch und Kolikanzeichen über Paradeschritte,
Lahmheit der Schulter- oder Beckengliedmaße, unterschiedlich
stark ausgeprägtes Schwanken oder Einknicken der Hinterhand
und pendelnde Beckengliedmaßen, hypermetrische Bewegungen bis zum Festliegen.
Bei geringgradiger Ataxie kann die Symptomatik entsprechend schwierig zu erkennen sein. In Verdachtsfällen sollte daher besonderes Augenmerk auf die Übergänge vom Galopp
zum Trab bzw. Trab zum Schritt (an der Hand oder beim Freilaufen) gelegt werden, da sich hier die Inkoordination der Beckengliedmaßen besonders deutlich darstellt. Gleiches gilt für
das Bergabgehen. Zur Ataxie (S. 750) finden sich weitere Ausführungen im Kapitel zum Nervensystem.
Epidurale Hämatome werden einige Stunden nach Eintritt
des Traumas klinisch auffällig durch die fortschreitende Inkoordination der Bewegung und Lähmungserscheinungen sowie die
herabgesetzte Sensibilität der entsprechenden Hautzonen.
Häufig bessert sich der Zustand mit einsetzender Resorption
des Extravasats innerhalb einiger Tage bis Wochen. Die Krank-
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
zogen. Die eine Halsseite ist vorgewölbt, die andere hohl. Häufig stehen die Pferde mit tief gesenktem Kopf und Hals. Bleibt
diese Haltung über längere Zeit bestehen, entwickelt sich ein
Stauungsödem („Nilpferdkopf“).
Bei Arthritiden der kleinen Wirbelgelenke und auch Wirbelfortsatzfrakturen kann sich der Schiefhals langsam entwickeln
und verstärken. Der Reiter spricht vom „Verwerfen im Hals/Genick“. Der Zustand muss von lokalen Muskelverspannungen differenzialdiagnostisch abgegrenzt werden.
In akuten Fällen myogener Genese kann eine brettharte,
schmerzhafte, warme Umfangsvermehrung palpiert werden.
Manchmal gelingt es unter manuellem Kraftaufwand, den Hals
geradezurichten. Wird der Druck gelöst, wird der Hals wieder
schief gehalten. In jedem Fall muss eine gründliche klinische
Untersuchung mit einer (osteopathischen/chiropraktischen)
Überprüfung der Beweglichkeit eines jeden Halssegments erfolgen.
21.3 Schädel, Wirbelsäule, Becken
907
lässt sich in der Regel die „klinische“ Diagnose der spinalen Ataxie (S. 752) stellen. Um die Art, das Ausmaß und die Lokalisation der Kompression des Rückenmarkkanals festzulegen, muss
die röntgenologische Darstellung der Halswirbelsäule im Stehen erfolgen. Lassen sich keine (knöchernen) Veränderungen
nachweisen, muss eine Myelografie in Allgemeinnarkose
durchgeführt werden, um entsprechende Weichteilschäden zu
diagnostizieren.
Während die Lokalisation und das Ausmaß der Kompression
regelmäßig festgestellt werden können, ist es über das Röntgenbild nicht immer möglich, die Art der Kompression zu erkennen. Dies trifft insbesondere für die Unterscheidung der
Weichteilerkrankungen (Hämatome, Synovialzysten, Hypertrophie der Ligg. flava u. a.) zu, wenn am Skelett selbst keine Befunde zu erheben sind. In diesen Fällen kann über die Computertomografie oder ein MRT eine Abklärung – zumindest im
vorderen Halsbereich – erfolgen.
Mit der subarachnoidalen Endoskopie können das Rückenmark und die Nervenabzweigungen auf Höhe der Foramina intervertebralia direkt visualisiert werden.
21.3.4.4
Fehlbildungen der Halswirbelsäule
Definition ■ Eine kongenitale Fehlbildung des 1. oder 1./2.
Halswirbelgelenks wird im englischen Sprachraum als „Atlanto-Occipital Malformation“ bzw. „Occipito-Atlantoaxial Malformation“ bezeichnet.
Vorkommen und Ätiologie ■ Die Fehlbildung ist selten; sie
findet sich vornehmlich bei Arabern, kann jedoch auch andere
Rassen betreffen. Die Ursache der Fehlbildung ist weithin unbekannt; für die Araber wird ein autosomal-rezessiver Erbgang
vermutet.
Pathogenese ■ Die Deformation zeichnet sich durch einen hypoplastischen Atlas, der mit dem Hinterhauptbein verwachsen
ist, und durch veränderte Gelenkflächen zwischen dem 1. und
2. Halswirbel aus. Es besteht die Möglichkeit einer (Sub-)Luxation des Axis und einer Skoliose infolge der Erkrankung.
Klinik ■ Die Fohlen zeigen eine gestreckte Kopf-/Halshaltung
zählen, die mit einer Ataxie einhergehen, bei denen sich jedoch
keine kompressive Rückenmarkläsion nachweisen lässt. Hierzu
zählen die zerebelläre Ataxie, die viral, bakteriell oder parasitär
ausgelöste Myelitis, vaskuläre Störungen des Rückenmarks (Infarkt, Blutungen) und die progressiv-degenerative Myelopathie.
Untersuchung des Liquor cerebrospinals sowie Blut- und Serumanalysen dienen der differenzialdiagnostischen Abklärung.
(▶ Abb. 21.29a). Skoliose und Tortikollis im oberen Halsabschnitt können weitere Anzeichen sein. Dadurch steht in
manchen Fällen ein Atlasflügel prominent hervor. Die Beweglichkeit der entsprechenden Halssegmente ist deutlich herabgesetzt. Das Allgemeinbefinden kann über Monate bis Jahre
nach der Geburt ungestört sein. Gleichfalls fehlen anfangs häufig neurologische Ausfallerscheinungen. Schreitet aufgrund der
Erkrankung die Kompression des Rückenmarks fort, werden zunehmend ataktische Bewegungen der Schulter- und Beckengliedmaßen und Apathie festgestellt. Die klinischen Anzeichen
sind relativ unspezifisch.
Therapie ■ Bei der Wahl der Therapie müssen folgende Fak-
Diagnose ■ Durch die röntgenologischen Befunde (seitlicher
Differenzialdiagnosen ■ Hierzu sind alle Erkrankungen zu
toren berücksichtigt werden: Art der Kompression, Dauer der
Erkrankung, Grad der Ataxie sowie andere Begleitumstände
(Alter des Pferdes, Verwendungszweck, Temperament etc.).
Grundsätzlich bestehen 2 Möglichkeiten:
● systemische oder i.a. medikamentöse Therapie durch den
Einsatz nichtsteroidaler Antiphlogistika oder von Kortikosteroiden, DMSO-Infusionen, hypertonische Glukose-, Fruktoseoder Sorbitlösungen, Vitamin-B-Komplex etc., Akupunktur,
Physiotherapie
● chirurgische Behandlung: Diese kann entweder als ventrale
Fusion zweier benachbarter Wirbelkörper bei Vorliegen von
dynamischen Kompressionen oder als dorsale (Hemi-)Laminektomie bei statischen Kompressionen durchgeführt werden.
Prognose ■ Die Prognose richtet sich in erster Linie nach der
Art der Kompression, der Behandlungsmethode und dem Grad
der Ataxie. Bei Kompression des Rückenmarks durch Weichteilschäden ohne Skelettveränderungen ist die Prognose in der Regel günstiger zu stellen. Verbesserungen in der Koordination
werden noch bis zu 1–1½ Jahren nach Eintritt der Ataxie beobachtet. Ausnahme bilden hier die epiduralen Hämatome, die
eine günstige Prognose besitzen, wenn sich bereits innerhalb
und dorsoventraler Strahlengang) wird die Fehlbildung sicher
diagnostiziert (▶ Abb. 21.29b).
Differenzialdiagnosen ■ Bei Ankylose des Atlantookzipitalgelenks beschränken sich die röntgenologischen Befunde auf den
Gelenkbereich. Der Atlas ist nicht deformiert und nicht mit
dem Okziput verschmolzen. Die Luxation des 2. Halswirbels
(Dens) geht nicht mit Veränderungen am Atlantookzipitalgelenk einher. Es liegt eine akute traumatische Ursache zugrunde.
Ferner sind Frakturen der Halswirbel, Erkrankungen der Wirbelgelenke, die Osteomyelitis infolge einer Fohlenseptikämie,
degenerative Rückenmarkerkrankungen und andere Ursachen
für ein zerebelläres bzw. spinales Trauma mit neurologischen
Ausfallerscheinungen abzugrenzen.
Therapie ■ Eine kausale Therapie gibt es nicht. Tiere, die keine
neurologischen Ausfallerscheinungen zeigen, können ohne Behandlung leben. Ist das Allgemeinbefinden gestört, bestehen
Anzeichen einer Ataxie. Handelt es sich bereits um ein chronisches Leiden, sollte das Fohlen aus Tierschutzgründen euthanasiert werden.
Bewegungsapparat
Diagnose ■ Aus den Befunden der klinischen Untersuchung
von 2–3 Wochen eine Besserung einstellt. Nach operativen Eingriffen kann die Ataxie im Durchschnitt um 1–1½ Grade verbessert werden.
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
heitssymptome können auch ganz verschwinden. Bei Wiederholung des Traumas oder Reaktivierung kann jedoch eine neue
Blutung auftreten, die zu fortschreitender Parese und Paralyse
bis zum Tod des Tieres führen kann.
21 – Bewegungsapparat
908
Verlauf und Prognose ■ Mit zunehmenden neurologischen
Ausfallerscheinungen ist die Prognose infaust.
21.3.4.5
Frakturen und (Sub-)Luxationen
Definition und Vorkommen ■ Es werden unvollständige (Fissuren) und vollständige Frakturen des Wirbelkörpers und -bogens von denen der Wirbelfortsätze unterschieden. Bei jungen
Pferden treten auch Abrisse an den Apophysen auf. Am Atlas
kann der Flügelfortsatz, am 2. Halswirbel der Dens gebrochen
sein. Leichte Verschiebungen benachbarter Halswirbel (Subluxation, Wirbelgleiten, Spondylolisthesis) werden vor allem
bei jungen Pferden („Wobbler“) gesehen, während vollständige
Luxationen nach einem starken Trauma auftreten und in der
Regel äußerlich sichtbar sind.
Ätiologie und Pathogenese ■ Frakturen und Luxationen der
Halswirbelsäule kommen vor allem bei Fohlen und jungen Pferden vor. Sie entstehen in der Regel durch starke Traumata.
Überschlagen, Sturz auf den Kopf oder die seitliche Halspartie,
Laufen gegen ein Hindernis, Strangulation durch das Halfter bei
Widersetzlichkeit oder Ausrutschen, Trittverletzung oder Stürze durch das Verfangen des Hinterhufes im Halfter oder Anbindestrick sind häufige Ursachen.
Prädisponierende Faktoren einer Wirbelfraktur sind Knochenveränderungen wie z. B. eine Osteomyelitis oder wie Osteosarkome. Diese inneren Ursachen sind beim Pferd äußerst
selten.
Die Veränderungen können an einem oder mehreren Wirbeln gleichzeitig und in Kombination vorkommen. Sie betreffen
alle Abschnitte der Halswirbelsäule.
Subluxationen (Wirbelgleiten) entstehen durch ein Trauma
oder es liegen ihnen entwicklungsbedingte Defekte im Bereich
der Apophysenfugen zugrunde. Sie finden sich zumeist zwischen dem 3. und 5. Halswirbel.
Klinik ■ Die Symptome hängen in hohem Maße von der Lokalisation und vom Charakter der Fraktur bzw. Luxation ab. Bei
Frakturen des Wirbelkörpers oder -bogens mit Schädigung des
Rückenmarks treten in der Regel unmittelbar Lähmungserscheinungen auf, die sofort oder innerhalb weniger Stunden
zum Tod des Tieres führen.
Bei Fissuren können neurologische Ausfallerscheinungen
(Ataxie) fehlen. Anderenfalls treten die unterschiedlichsten
Grade einer Ataxie entweder nach einigen Stunden oder Tagen
auf, wenn es nachträglich zu einer Verschiebung der Fragmente
kommt, oder erst nach längerer Zeit, wenn durch die Kallusbildung allmählich eine Kompression des Rückenmarks erfolgt.
Letzteres wird auch häufiger bei Frakturen der Gelenkfortsätze
beobachtet.
Bei Splitterfrakturen können sich Knochensplitter sogar noch
Tage nach dem Trauma durch Bewegung des Halses verschieben, das Rückenmark und seine Häute verletzen und so eine
Paraplegie oder gar den unmittelbaren Tod des Tieres hervorrufen. Bei Frakturen der Gelenk- und Querfortsätze kann eine
Rückenmarkschädigung mit ihren Folgen fehlen.
Ein wichtiges Merkmal bei Frakturen bzw. Luxationen der
Halswirbelsäule ist neben der Ataxie durch Rückenmarkkompression der Tortikollis. Kommt es durch die Fraktur nicht zum
Festliegen des Tieres, stehen sie steif und wie angewurzelt mit
starken Schmerzen. Kopf und Hals werden gesenkt gehalten,
wodurch ein Stauungsödem am Kopf („Nilpferdkopf“) auftreten
kann. In jedem Fall besteht eine mehr oder minder starke Einschränkung der Beweglichkeit des Halses.
Bei passivem Anheben und Biegen des Halses verliert das
Pferd seine Standfestigkeit und bricht zusammen. Gelegentlich
findet sich an der Frakturstelle eine schmerzhafte Anschwellung (Hämatom). Krepitation ist fühl- oder hörbar. Palpationsund Bewegungsschmerz des betroffenen Segments sind weitere Befunde.
Bei Frakturen des 5.–7. Halswirbels kann es durch die Schädigung des N. phrenicus zur hochgradigen Dyspnoe oder zu
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
▶ Abb. 21.29 Vollblutfohlen mit OAAM (okzipitoatlantoaxiale Malformation).
a Klinisches Bild.
b Seitliche Röntgenaufnahme des Genicks,
rechts-kranial. Verschmelzung des Atlas mit
dem Os occipitale und deformiertem C2.
21.3 Schädel, Wirbelsäule, Becken
Bewegungsapparat
909
Zwerchfellflattern kommen. Die Tiere können auch starke
Muskelzuckungen infolge einer Meningitis spinalis zeigen.
Diagnose ■ Eine Verdachtsdiagnose kann in vielen Fällen
durch den Vorbericht und aufgrund der klinischen Symptome
gestellt werden. Ein Bild über Lokalisation und Ausmaß einer
Fraktur bzw. Luxation der Halswirbelsäule lässt sich nur durch
röntgenologische Untersuchung (▶ Abb. 21.30, ▶ Abb. 21.31,
▶ Abb. 21.32) oder Computertomografie (C0–C4/5) verschaffen.
Zusätzlich kann die positive Kontrastmitteldarstellung des Wirbelkanals (Myelografie) zur Darstellung einer Läsion des Rückenmarks und seiner Häute genutzt werden. Bei Fissurverdacht, der sich durch das Röntgenbild nicht erhärten lässt,
bringt die szintigrafische Untersuchung Abklärung.
Ist bei der Okzipitalpunktion dem Liquor cerebrospinalis
Blut beigemengt, erhärtet dies den Verdacht einer Wirbelfraktur bzw. einer starken Traumatisierung der Rückenmarkhäute
(Laboruntersuchung).
Therapie ■ Bei Luxation des Axis nach ventral kann es gelingen, durch massiven Zug am Kopf des Pferdes eine Reluxation
zu erreichen. In den Literaturberichten wurden je eine Ponystute (200 kg KM) und eine Warmblutstute (600 kg KM) entsprechend behandelt. Der Verlauf der Erkrankung und die erfolgreiche Reluxation sind in den ▶ Abb. 21.33, ▶ Abb. 21.34 und
▶ Abb. 21.35 dargestellt.
Die Behandlung einer Wirbelkörperfraktur oder -bogenfraktur und/oder -luxation mit ausgeprägten neurologischen Ausfallerscheinungen ist nicht sinnvoll. Man verabreicht Diuretika,
Antiphlogistika, Analgetika, Ruhigstellung des Halses, hyperosmolare Lösungen und/oder führt DMSO-Infusionen durch. In
Fällen, bei denen die ataktischen Anzeichen fehlen oder gering
sind, sollte ein Behandlungsversuch vorgenommen werden.
Frakturen der Gelenk- und Querfortsätze und Fissuren heilen
bei Ruhigstellung des Pferdes spontan ab. In schweren Fällen
kann eine Halsmanschette den Frakturbereich zusätzlich ruhigstellen. Magnetfeldtherapie, Kalziumgaben und Akupunktur
sind sinnvolle unterstützende Maßnahmen ebenso wie zu
einem späteren Zeitpunkt der Heilung die Physiotherapie.
▶ Abb. 21.31 Röntgenaufnahme der Halswirbelsäule mit Myelogramm
(C4–C7, Schrägprojektion), oben-kranial. Fraktur des kranialen Proc. articularis von C6 (Pfeile); die Myelografie wird zur gleichzeitigen Beurteilung
des Grades der Einengung des Rückenmarkkanals durch die Fraktur vorgenommen.
▶ Abb. 21.32 Seitliche Röntgenaufnahme der Halswirbelsäule am stehenden Pferd. Halswirbelsäule in waagerechter Position (C5–C7), linkskranial.
Deutliche Subluxation des 7. Halswirbels nach dorsal (Pfeile); klinisch unauffällig.
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
▶ Abb. 21.30 Seitliche Röntgenaufnahme der Halswirbelsäule (1./2. Halswirbel), rechts-kranial. Fraktur (Pfeile) des kranialen Anteils des Proc. spinosus des 2. Halswirbels (C2).
21 – Bewegungsapparat
910
Die chirurgische Behandlung ist jenen Fällen vorbehalten, bei
denen eine fortschreitende Verschlechterung des Zustands eintritt und eine Stabilisierung der Wirbelsäule oder Druckentlastung des Rückenmarkkanals nach röntgenologischer oder computertomografischer Abschätzung der Fraktur bzw. Luxation
möglich und sinnvoll erscheint. Die Stabilisierung erfolgt durch
die Versteifung zweier benachbarter Wirbelkörper (Einsatz
eines „Bagbey-Baskets“). Zur Druckentlastung können Laminektomien bzw. Hemilaminektomien durchgeführt werden.
Ebenso besteht die Möglichkeit der subarachnoidalen Endoskopie zur visuellen Kontrolle der Läsion und Spülung des Rückenmarkkanals.
▶ Abb. 21.33 Röntgendiagnostik der Luxation des Axis. Das Pferd wurde
wiederholt mit der Erkrankung vorgestellt. Der Pfeil markiert den verlagerten Dens, der gegen Atlas drückt.
mit Dislokation der Fragmente und bei vollständigen Luxationen mit gleichzeitiger Kompression des Rückenmarks ist die
Prognose ungünstig. Gedeckte Frakturen der Fortsätze haben
eine günstige Prognose, wobei bei Gelenkfortsatzfrakturen die
Prognose durch mögliche Spätschäden (Ataxie durch fortschreitende Kompression des Rückenmarks infolge von Kallusbildung) vorsichtiger sein muss. Offene und durch Infraktion komplizierte Brüche haben eine zweifelhafte bis ungünstige Prognose.
21.3.4.6
Wirbelgleiten (Spondylolisthesis)
Definition und Vorkommen ■ Als Wirbelgleiten (Spondylolisthesis) beim Pferd wird eine von der Halshaltung abhängige
röntgenologische Verschiebung eines Wirbelkörpers gegenüber
dem ihm nachfolgenden Wirbelkörper nach dorsal oder/und
ventral bezeichnet, ohne das klinische Bild einer Ataxie. Demgegenüber stehen ähnliche röntgenologische Befunde beim
„Wobbler-Syndrom“ („Vertebral Instability“) mit Koordinationsstörungen. Bei einigen Patienten findet man das Wirbelgleiten
ohne klinische Symptomatik als Zufallsbefund im Röntgen.
Klinik ■ Die Pferde werden in der Regel wegen eines Rittig-
▶ Abb. 21.34 Reposition des luxierten Axis in Seitenlage in Allgemeinanästhesie mit einem Elektrohubwagen.
keitsproblems vorgestellt. Wallache sind häufiger betroffen als
Stuten, Dressurpferde häufiger als Springpferde. Die Mehrzahl
der Patienten reagiert auf die tiefe Palpation positiv, weist eine
ein- oder beidseitige Einschränkung der aktiven/passiven Lateroflexion auf, zeigt eine ein- oder beidseitige Hyper-/Hypästhesie und Taktstörungen bei aufgenommenem Zügel. Die Pferde
zeigen regelmäßig Veränderungen im Bewegungstyp, die sich
zwischen schwunglos, gebunden und hektisch sowie panisch,
insbesondere bei aufgenommenem Zügel, präsentieren. Alle
Pferde haben Anlehnungsprobleme (verstärkt in Übergängen,
bei Tempiwechseln, in Seitengängen; sie treten nicht korrekt
durch das Genick), erzielen keine korrekte Dehnungshaltung
und haben Probleme in der Aufrichtung bei Versammlung. Die
Symptome variieren z. T. deutlich.
Diagnose ■ Neben der gründlichen klinischen Untersuchung
ist die röntgenologische Untersuchung der HWS im Stehen
das wichtigste Hilfsmittel für die Diagnose. Die Aufnahmen erfolgen im laterolateralen Strahlengang am sedierten Patienten
(▶ Abb. 21.36). Es werden Aufnahmen in waagerechter Position
der HWS, abgebeugter/abgesenkter Position und überstreckter
▶ Abb. 21.35 Röntgenkontrolle der Reposition des luxierten Axis.
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
Prognose ■ Bei Frakturen des Wirbelkörpers oder -bogens
21.3 Schädel, Wirbelsäule, Becken
911
21.3.4.7
Systemerkrankungen der Wirbelsäule
Krankheiten des Widerrists
Walter Brehm, Michael Nowak
Anatomie ■ Der Widerrist des Pferdes hat den 2.–12. Brust-
▶ Abb. 21.36 Röntgenbild HWS, C5–C7; laterolateraler Strahlengang,
links-kranial, deutliches Wirbelgleiten C6/C7 (Pfeil).
HWS angefertigt. Angulationsstörungen finden sich in der oberen Halsregion (C2/C3 und C3/C4) sowie in der unteren Halsregion (C5/C6 und C6/C7). Bei Stressaufnahmen in abgebeugter Position verstärkt sich in der Regel das Wirbelgleiten, in überstreckter Position verringert es sich (dynamische Zustände). Seltener
verändert sich der Winkel der Angulationsstörung durch die
Stresspositionen nicht (stabiler Zustand). Die röntgenologischen Veränderungen reichen von sehr dezenten bis zu augenscheinlichen Winkeldifferenzen. Aus dem Grad der röntgenologischen Veränderungen lässt sich nicht zwangsläufig der klinische Schweregrad ableiten.
Die Diagnose wird anhand des röntgenologischen Befundes
und durch Ausschluss differenzialdiagnostischer Erkrankungen
(Ataxie, Frakturen, osteoarthrotische Veränderungen, Läsionen
der BWS/LWS: Kissing Spines, Spondylopathien, Spondylarthrosen) gestellt.
Therapie ■ Eine kausale Behandlungsmethode ist bislang
nicht bekannt. In der Regel handelt es sich um chronisch kranke
Patienten. Die Behandlung zielt ab auf die Linderung der
Schmerzen (NSAIDs, Kortikosteroide), Entspannung und Kräftigung der umgebenden Weichteilstrukturen (Muskeln und
Bandapparat) durch neuraltherapeutische Behandlung, physikalische Therapien (Interferenzstrom, Matrix-Rhythmus-Therapie, Magnetfeld, Wärme), Akupunktur, Physiotherapie, viel Auslauf bzw. Weidegang, Futtermittelzusatzstoffe und angepasstes
Training bzw. Bewegung über viele Monate.
Prognose ■ Das Training bzw. die Bewegung zielt auf eine Stabilisierung der Veränderung bei gleichzeitiger Rückkehr zur
vollen Belastung ab. Die Prognose ist vorsichtig zu stellen. Die
Behandlungsdauer kann mehr als 6–12 Monate in Anspruch
nehmen. Klinisch asymptomatische Phasen auch über größere
Zeiträume sind nicht selten. Rezidive können auftreten.
wirbel mit den Dornfortsätzen als knöcherne Grundlage. 2.–7.
Dornfortsatz besitzen eine gut ausgebildete Knorpelkappe,
3.–5. Dornfortsatz sind als höchste Fortsätze beim Großpferd
etwa 200 mm lang.
Nackenstrang und Nackenplatte vereinigen sich. Der Nackenstrang wird kaudal vom 3. (4.) Dornfortsatz zum Nackenband
(Lig. supraspinale), das an den Knorpelkappen inseriert und
sich seitlich zur Widerristkappe verbreitert. Unter ihm und auf
dem 2.–5. Dornfortsatz liegt die Widerristbinde (Lamina principalis), die zwischen Schulterblatt und Dornfortsätzen dachähnlich in 3 von Muskeln getrennten Blättern zu den Querfortsätzen der Wirbel und zu den Rippen zieht.
21.3.5.1
Sattel- und Geschirrdruck,
Hautquetschungen
Ätiologie ■ Mögliche Ursache eines Geschirrdrucks beim
Fahrpferd ist der Kammdeckel, ein gebrochener Kammdeckelbügel, ein zu großes Gewicht (z. B. bei Einspannung in die Gabeldeichsel in einem zweirädrigen Wagen) oder generell ein
schlecht passendes Geschirr.
Beim Reitpferd ist die auslösende Ursache eines Satteldrucks
oft ein zu fest gegurteter Sattel, ein hoher Widerrist, ein zu
schwerer oder schlechter Reiter (schlechter Sitz, Ermüdung),
ein Damensattel, manchmal Falten in der Satteldecke, eine
niedrige, enge Sattelkammer oder eine solche Abmagerung,
dass der Sattel bei niedriger Kammer fest aufliegt.
Neben den mechanischen können auch chemische Einflüsse
das Entstehen eines „Sattel- oder Geschirrdrucks“ begünstigen.
So kann zur Geschirrherstellung verwendetes Leder ggf. reizende Stoffe enthalten, (z. B. Chromverbindungen), die Ekzeme
verursachen. Besserung tritt erst ein, wenn die Exposition beendet wird.
Quetschungen am Widerrist können selten auch dadurch
entstehen, dass sich Pferde wälzen.
Klinik und Diagnose ■ Man findet alle Grade der Haut- und
Unterhautquetschung – Quaddelbildung, Depilation, feuchte
oder trockene Nekrose, Desquamation. Bei Abnahme des Sattels
entdeckt man zunächst eine etwa handtellergroße Stelle, an
der die Haare feucht und verklebt sind. Die Haut erscheint an
dieser Stelle komprimiert. Die beetartige, warme, schmerzhafte
Quaddel entsteht innerhalb einer halben Stunde. Sie verschwindet in 2–3 Tagen und lässt später weiße Stichelhaare zurück. Ist die Kompression der Haut sehr intensiv gewesen, fällt
die Haut der trockenen Nekrose anheim. Es bildet sich eine harte, lederähnliche Hautkruste, die sich durch Heilung unter dem
Schorf nach etwa einer Woche entsprechend dem Vordringen
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
21.3.5
Bewegungsapparat
Die Osteodystrophia fibrosa (S. 868) wird wie die seltene Osteomyelitis der Wirbelsäule (S. 868) innerhalb der Besprechung
der Pathophysiologie der Knochen behandelt.
21 – Bewegungsapparat
912
Therapie ■ Im Stadium der akuten Quetschung brauchen die
Tiere 3–4 Wochen Ruhe. Bei frischen Quetschungen muss drückendes Geschirr entfernt werden. Das Pferd wird bis zur Ausheilung weder zum Fahren noch zum Reiten benutzt. Frische
Quetschungen werden zunächst gekühlt, z. B. mit Acetatanstrich, der stündlich mit kaltem Wasser durchtränkt wird.
Danach behandelt man mit feuchter Wärme leicht hyperämisierend. Kontraindiziert sind stark hyperämisierend wirkende
Salben. Man fördert damit eine trockene Nekrose der gequetschten Hautpartie. Prednisolonsalben wirken entzündungshemmend. Man kann ihnen Antibiotika zusetzen und damit einer pyogenen Hautinfektion entgegenwirken. Quaddeln
verschwinden nach kurzer Zeit.
Trockene Hautnekrosen werden eingefettet. Man benutzt dazu pflegende, antiseptisch wirkende Salben. Die Rissbildung
des Schorfes wird dadurch verhindert, eine Sekundärinfektion
unterbleibt.
Periostitiden und Ossifikationen an den Dornfortsätzen sind
kaum zu beeinflussen. Injektionen von Glukokortikoiden in das
Spatium intervertebrale sind schmerzhaft, nicht ganz gefahrlos
und bringen keine überzeugenden Erfolge. Solange die Dornfortsätze nicht miteinander ossifizieren, kann der gesamte Prozess durch Ruhigstellung über mehrere Monate aufgehalten
und das Pferd beschwerdefrei werden. Schließlich ist daran zu
denken, dass die Knorpelkappen im Alter physiologischerweise
verknöchern. Eine Stoßwellentherapie bringt keine überzeugenden Erfolge.
Ätiologie ■ Die Bursitis cucullaris kann aufrund einer traumatischen Ursache, als aseptische Bursitis durch ein stumpfes
Trauma, als purulente Bursitis nach Stichwunden o. Ä. entstehen. Dies ist beim Pferd selten der Fall. In allen Ländern, in denen die Rinderbrucellose getilgt ist und in den Reit- und Rennpferdebeständen und deren Zuchten ein regelmäßiges antiparasitäres Management durchgeführt wird sowie dadurch Onchocerca reticulata und O. cervicalis eliminiert worden sind,
treten diese bakteriell bzw. parasitär bedingten spezifischen
Bursitiden nicht mehr auf. Eine Ausnahme machen Infektionen
mit Salmonella abortus equi. Diesen Erreger konnte man wiederholt bei Bursitis cucullaris isolieren.
Pathogenese und Klinik ■ Im Bereich der vorderen aufsteigenden Hälfte des Widerrists stellt man bei der akuten Bursitis
eine sich nach oben und seitlich vorwölbende, doppelfaust- bis
fußballgroße, fluktuierende, allmählich in die Umgebung übergehende Schwellung fest (▶ Abb. 21.37). Sie ist im akuten Stadium schmerzhaft und vermehrt warm. Manchmal wölbt sich die
Bursa nur an einer Körperseite vor. Der flüssige Inhalt lässt sich
durch Druck von der einen auf die andere Seite verschieben.
Durch die Punktion gewinnt man eine gelbe, muköse, nach
einer Quetschung himbeerfarbene, leicht gerinnende Flüssigkeit.
Beim Bursahygrom lässt die pralle Füllung nach. Es bleibt ein
schwappend gefüllter Beutel zurück. Eine Resorption des Inhalts tritt selten ein. Die Bursawand ist verdickt. Nach Wälzen
oder erneuten Traumen füllt sich der Schleimbeutel wieder
prall.
Prognose ■ Gut, wenn die Ursache abgestellt wird und von
der belasteten Stelle bis zur Abheilung jegliche äußeren Einflüsse ferngehalten werden können. Die Prognose wird
schlecht, wenn pyogene Infektionen hinzukommen, die sich auf
Bänder, Knorpel und Knochen ausbreiten.
21.3.5.2
Bursitis cucullaris
Anatomie ■ Der Widerristschleimbeutel (Bursa cucullaris) ist
beim Pferd etwa 40 mm lang und im gesunden Zustand einer
Untersuchung nicht zugänglich.
▶ Abb. 21.37 Bursitis cucullaris.
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
des Epithels am Rande zu lösen beginnt. Die Umgebung der
eingedellten Nekrose ist in der ersten Woche geschwollen.
Hämatome in der Sattellage und am Widerrist sind selten. Sie
sind nicht groß. Eine Hautatrophie mit Haarausfall entsteht bei
dauerndem Druck durch zu eng sitzendes Geschirr. Die Haut
glänzt an der Druckstelle und ist oft papierdünn.
Quetschungen der Knorpelkappen und der Dornfortsätze
führen zu frühzeitigen Ossifikationen und zu periostitischen
Auflagerungen an Kappen und Rändern der Dornfortsätze. Diese können sich nicht nur berühren; sie verknöchern sogar miteinander (Kissing-Spine-Syndrom). Über Ausmaß und Umfang
der Ossifikation und der Periostitis gibt das Röntgenbild Auskunft. Im Szintigramm sind solche Veränderungen besser darzustellen. Sie können klinisch zum Sattelzwang führen. Die klinische Untersuchung der Sattellage und des Widerrists sollte
bei einer Ankaufsuntersuchung nicht unterlassen werden. Im
Verdachtsfall sollte auf die Möglichkeit einer Röntgenuntersuchung verwiesen werden.
21.3 Schädel, Wirbelsäule, Becken
913
Therapie und Prognose ■ Aseptische Bursitiden werden konservativ behandelt. In den ersten Stunden wird gekühlt, dann
mit feuchter Wärme behandelt. Hyperämisierende Einreibungen sind kontraindiziert. Sie führen meist zu einer verstärkten
Füllung der Bursa. Sind die akuten Erscheinungen abgeklungen,
wird die Bursa unter aseptischen Kautelen entleert. Danach injiziert man unter Penicillinschutz Prednisolon (400–500 mg).
Anschließend wird eine Kompresse als Gegendruck aufgelegt.
Am nächsten Tag ist die Bursa in der Regel leer. Sobald sich eine
Füllung wieder einstellt, die eine sichere Punktion zulässt, wird
die Therapie wiederholt. Meist muss im Abstand von 3–4 Tagen
3- bis 4-mal injiziert werden.
Ein operatives Vorgehen ist angezeigt, wenn aseptische Bursitiden oder Bursahygrome nach den oben angegebenen Methoden nicht zu heilen sind oder eine eitrige Bursitis vorliegt.
Es operiert sich am besten, wenn noch keine Abszedierung oder
Fistelbildung eingetreten ist, da es dabei gelingen kann, die Bursa in toto zu exstirpieren. Dies gelingt, wenn man an der am
stärksten vorgewölbten Seite beginnt, bis zwischen die Dornfortsätze hinein präpariert, ohne den Nackenstrang zu verletzen, das Pferd danach am Flaschenzug an allen 4 Gliedmaßen
hängend auf den Rücken legt und nach einem Hautschnitt von
unten nach oben auf der nun zugänglichen anderen Seite die
Bursawand freilegt und den uneröffneten Schleimbeutel auf
diese Art entfernt. Gelingt die Exstirpation in toto, kann man
nach Tamponade der Wundhöhle und Hautnaht eine Primärheilung innerhalb von 3–4 Wochen erzielen.
Sofern die Totalexstirpation dieser Bursa misslingt oder wenn
es bereits durch Abszedierung zur Fistelbildung gekommen ist,
wird die breite Spaltung erforderlich. Man legt beidseits im
Abstand von etwa 30 mm senkrechte, rechtwinklig zur oberen
Medianlinie verlaufende Inzisionen an, die die Bursa seitlich eröffnen. Die Schnitte dürfen nicht über den Nackenstrang hinweg zur anderen Seite geführt werden. Alle Inzisionen werden
drainiert. Mit dieser Operation wird eine langsame Demarkation des nekrotischen Bursawandgewebes und seiner Umgebung
angestrebt. Es wird mit feuchter Wärme und desinfizierenden
Lösungen nachbehandelt. Eine Heilung erfolgt innerhalb von
3–4 Monaten.
21.3.5.3
Widerristfistel
Ätiologie und Pathogenese ■ Eine Widerristfistel entsteht,
wenn eine Infektion durch Wunden, Stiche, Quetschungen usw.
von außen her stattgefunden hat. In vergangenen Zeiten riefen
Bruzellen (serologische Blutuntersuchung!) eine spezifische
Gewebsentzündung und besonders Bursitiden hervor, die abszedierten, wenn Druckeinwirkungen, auch eine Irritation, z. B.
durch Scheuern, von außen und damit eine Sekundärinfektion
hinzukamen.
Einer Widerristfistel können dann pathogenetisch zugrunde
liegen:
● Nekrose des Nackenbands, des Rückenbands oder der Widerristkappe
● eitrige Bursitis cucullaris
● Nekrose der Knorpelkappen und der Enden der Dornfortsätze
● intermuskuläre Phlegmone mit fortschreitender Fasziennekrose
● Taschenbildung mit Eiterversackung hinter das Schulterblatt
oder zwischen die Nackenbandplatten
Besonders in den Balkanstaaten werden Widerristfisteln durch
einen Befall mit Onchozerken hervorgerufen. Es handelt sich
um Filarien. Sie parasitieren in Sehnen und Bändern. Die Invasion findet in wasserreichen Gegenden in der wärmeren Jahreszeit bei über 3-jährigen Pferden statt. Die stärksten Veränderungen findet man bei den betroffenen Tieren im Alter von
8–10 Jahren. Die Parasiten werden durch Mücken (CulicoidesArten) übertragen. Die Mikrofilarien gelangen ins Blut. Die
wachsenden, langlebigen Würmer trifft man dann im Nackenband an. Die Invasion ist im vorderen Teil des Widerrists und
am Nackenstrang in der Gegend der Bursae cervicales am
stärksten. Man findet Verkalkung und Sklerose oder regressive
Veränderungen und kleinste Blutungen, die auch parabursal
liegen. Die Bursen sind erweitert. Ihre Synovialmembran ist
verdickt, sie enthält Knötchen und kann auch perforiert werden. Teile der Parasiten schwimmen dann im Bursainhalt und
werden zu Corpora oryzoidea umgebildet.
▶ Abb. 21.38 Widerristfistel.
Bewegungsapparat
Definition ■ Als Widerristfistel bezeichnet man jede Erkrankung am Widerrist, die mit fortschreitender Nekrotisierung
sehnigen oder knöchernen Gewebes und mit Fistelbildung einhergeht (▶ Abb. 21.38).
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
Bei der eitrigen Bursitis ist die Körpertemperatur geringgradig erhöht. Die Schwellung ist diffuser und hochgradig
schmerzhaft. Auf der Haut sieht man in weiterer Umgebung der
Bursa die stärkere Füllung und Entzündung der radiär gestellten Lymphgefäße. Meist erkennt man auch infizierte Stich-,
Druck- oder Scheuerwunden oder genau in der Medianlinie
eine Fistelbildung mit Nackenbandnekrose. Dieser kann eine
seitliche Abszedierung vorausgegangen sein. Der Eiter ist
schleimig-gelb. Er enthält geronnene Fibrinflocken und
-klümpchen. Geht man mit dem behandschuhten Finger in die
Bursa ein, fühlt man die samtweiche oder höckrig verdickte,
schleimhautähnliche Synovialwand. Die Öffnung schließt sich
bisweilen. Der Schleimbeutel füllt sich erneut und abszediert
an anderer Stelle.
Nach Perforation der Synovialmembran treten subfasziale
und intermuskuläre Phlegmonen, Nekrotisierungen der umgebenden sehnigen Faszienteile, der Knorpelkappen oder eitrige
Osteomyelitiden der Dornfortsätze auf. So entsteht die Widerristfistel.
21 – Bewegungsapparat
Klinik ■ Die Widerristgegend ist verdickt. Die Lymphgefäßstränge sind auf der Haut radiär gestellt oder netzförmig sichtbar. In der Medianlinie, häufiger seitlich am Widerrist, sieht
man die Fistelöffnung, aus der sich Eiter entleert. Dieser läuft
an der Brustwand herab, hinterlässt Haarausfall und eine eitrige Dermatitis. Bei längerem Bestehen bilden sich rötliche
Streifen entlang der nässenden Hautentzündung. Bei Bewegung
des Halses kann der Eiter schubweise aus Eiterhöhlen abfließen, bei Eiterversackung hinter den Schulterblattknorpel ist er
schaumig.
Das Allgemeinbefinden ist gering gestört. Es kommt in monatelang dauernden Fällen trotz guter Fütterung zur Abmagerung.
Die erkrankten Pferde zeigen einen unsicheren Gang in der
Vorhand. Das Vorführen der Extremitäten erfolgt langsamer.
Die Tiere schleifen schließlich mit der Hufspitze auf dem Erdboden oder stolpern. Gelegentlich stehen sie mit überkreuzten
Schultergliedmaßen.
Diagnose ■ Mit der Sonde gelangt man durch den vielfach gewundenen Fistelkanal entweder auf das Rückenband, die Dornfortsätze oder in die geräumige Höhle der Bursa cucullaris. Oft
führt ein Kanal auf die andere Seite oder lässt sich nach vorn
oder hinten verfolgen. An der Beschaffenheit des Fistelgrunds
lässt sich nach den anatomischen Gegebenheiten der ursächliche Herd einigermaßen sicher diagnostizieren. Tiefe Taschen
führen manchmal nach vorn zwischen die Nackenbandplatten.
Das ist sehr selten der Fall und äußerlich an der Verdickung
zwischen Halswirbelsäule und Schulterregion zu erkennen.
Häufig lässt sich die Sonde in Richtung auf die Brustwand einführen, wo eine von einer Granulationsgewebshöhle umgebene
Eiterversackung liegt. Der Fistelkanal verläuft in den seltensten
Fällen geradlinig. Deswegen kann er zwischen den Muskelschichten oft nicht bis an das Ende verfolgt werden. Vor allem
muss man feststellen, ob Abzweigungen nach vorn oder hinten
bestehen. Perforationen der Eitertaschen in die Brusthöhle
kommen nicht vor.
Durch Kontrastfüllung der Fistel lässt sich bei geringer
Schwellung der Verlauf des Kanals im Röntgenbild darstellen.
Die Nekrose der Knorpelkappen wird bei eingeführter Sonde
im Röntgenbild gut erkennbar. Das szintigrafische Bild ist noch
aussagekräftiger.
Bei Onchozerkose findet man im Röntgenbild im Bereich des
sehnigen Nackenbands, der Widerristkappe, um die Bursa herum und auch im 1.–3. Dornfortsatz runde bis ovale Verkalkungsherde oder fleckige, amorphe bis haselnussgroße Stellen.
Therapie ■ Mit der lokalen Behandlung ist sofort eine allgemeine hochdosierte Antibiotikabehandlung zu kombinieren.
Ein Antibiogramm erweist sich als zweckmäßig, da dann gezielt
antibiotisch eingegriffen werden kann. Hohe Dosierungen sind
erforderlich, weil es sich um schlecht durchblutete und dadurch
für die erforderlichen Konzentrationen schwer erreichbare Gewebe handelt. Bei parasitärer Ursache ist mit der chirurgischen
Behandlung eine Avermectin-Therapie einzuleiten.
Die Behandlung der Widerristfistel ist schmerzhaft. Die Tiere
werden bei wiederholten Inzisionen und Spülungen widersetzlich. Länger anhaltende und wiederholte Sedierungen sind daher zweckmäßig. Tiefe Inzisionen müssen in Allgemeinnarkose
erfolgen. Das früher sehr oft angewandte radikalchirurgische
Vorgehen ist abzulehnen. Genauso wenig sind Exstirpationen
größerer Gewebemassen und eine Resektion von Dornfortsätzen erforderlich. Sie verunstalten das Tier. Bei der Widerristfistel muss man mit Wärme und demarkationsfördernden Mitteln
die Reinigung der Fisteln von deren Grund her fördern. Die Inzisionen sind so klein wie möglich, aber so groß und so tief wie
nötig vorzunehmen, so dass der Fistelgrund freigelegt wird. Die
Spülungen der in Demarkation befindlichen Wunden sollten
nur alle 5–6 Tage erfolgen.
Die Pferde müssen fliegenfrei aufgestallt werden. Eine Rotlichttherapie oder eine Behandlung im Solarium wirken günstig
auf den Heilungsverlauf. Es ist zu beachten: Die Widerristfistel
heilt von kaudal nach kranial aus. Bei in der Mitte des Widerrists liegenden Fisteln kann die Nekrotisierung zunächst kaudalwärts fortschreiten, verläuft dann aber kranialwärts; erst
jetzt ist mit Dauerheilung zu rechnen!
Es wird, wenn erforderlich, immer senkrecht zur Mittellinie
inzidiert. Man spaltet niemals über die Mittellinie hinweg nach
der anderen Seite. Inzisionen an einer Seite werden untereinander durch Mulldrainagen verbunden. Knorpelkappen
trägt man ab, wenn sie eindeutig durch ihre dunkelblaue Verfärbung der Nekrose anheimgefallen sind. Osteomyelitische
Herde an den Dornfortsätzen werden mit dem Schleifenmesser,
besser mit der oszillierenden Säge bis ins gesunde Gewebe abgetragen.
Als Spülmittel, das reinigend, desinfizierend, hyperämisierend und demarkierend wirkt, eignet sich z. B. 2 %ige PVP-JodLösung.
Die Haut unterhalb der Inzisionen wird eingefettet; damit
lassen sich hässliche Dermatitiden, nicht jedoch ein vorübergehender Haarausfall vermeiden. In die Wunden selbst kann
man osmotisch wirkende Sulfonamidlösungen verbringen. Fühlen sich die Kanäle glattwandig an, können die Drainagen entfernt werden. Setzt die definitive Heilung ein, verschwindet die
Lymphgefäßzeichnung.
Bei Eiterversackungen hinter das Schulterblatt sollte man
von Trepanationen der Skapula zwecks Eiterabflusses absehen.
In solchen Fällen sollte, auch aus Gründen des Tierschutzes,
eine alsbaldige Euthanasie vorgenommen werden.
Prognose ■ Sie sollte wegen der langen Dauer der Erkrankung
vorsichtig gestellt werden. Bei sorgfältiger Behandlung gelingt
es trotzdem, einen Großteil der Pferde zu heilen. Die Dauer der
Behandlung beträgt in Fällen mit kurzen, oberflächlichen Fisteln und Nekrose des Nackenbands oder der Knorpelkappen 3–
6 Wochen. Bei Fasziennekrose und Taschenbildungen, die
mehrfache Gegenöffnungen erforderlich machen, dauert die
Heilung 3–4 Monate und länger. Tiefe, hinter das Schulterblatt
reichende Taschenbildungen sind unheilbar.
Pyogene Allgemeininfektionen, metastatische Pneumonien
und Todesfälle durch Entkräftung können bei langdauernder
Behandlung auftreten.
Epikrise ■ Die Wirtschaftlichkeit der Therapie wird durch die
lange Behandlungsdauer in Frage gestellt. Exakte Aussagen
über den Erfolg und die Behandlungsdauer können in keinem
Fall getroffen werden.
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
914
21.3 Schädel, Wirbelsäule, Becken
915
21.3.6
Krankheiten der Brust- und
Lendenwirbelsäule
Walter Brehm, Michael Nowak, Astrid Rijkenhuizen
„Rückenbeschwerden“
Bewegungsapparat
21.3.6.1
Walter Brehm, Michael Nowak
Bedeutung ■ „Rückenbeschwerden“ (thorakolumbales/interspinales Syndrom, Kissing-Spines-Syndrom) stellen eine häufige orthopädische Erkrankung des Pferdes dar. Ihre Bedeutung
darf nicht unterschätzt werden, da sie eine wichtige Ursache
für die Einschränkung der Gebrauchsfähigkeit darstellt oder gar
zum Verlust des angestrebten Verwendungszwecks (z. B. der
Reittauglichkeit) führt.
derassen und Nutzungsarten vor. Sie sind gehäuft bei Dressur-,
Spring- und Vielseitigkeitspferden sowie bei Rennpferden (Traber, Vollblüter) zu finden. Viele Pferde erkranken im Alter zwischen 6 und 9 Jahren; aber auch jüngere Pferde (z. B. Remonten) können erkranken, während ältere Pferde (> 12 Jahre) nur
noch selten betroffen sind.
Ätiologie und Pathogenese ■ Ursächlich für „Rückenbeschwerden“ beim Pferd können sein:
● angeborene Fehlbildungen: Skoliose (▶ Abb. 21.39), Lordose,
Kyphose oder Synostosen
● Schäden am Bandapparat (▶ Abb. 21.40; Lig. supraspinale,
Ligg. interspinalia, Ligg. intertransversaria, Lig. longitudinale
dorsale et ventrale)
● Muskelschäden (M. longissimus dorsi, Sublumbalmuskulatur)
● Hautläsionen: Satteldruck (S. 911), „Pickel“
● Veränderungen an den Wirbeln (▶ Abb. 21.41): Spondylose,
Arthrose der kleinen Wirbelgelenke (Spondyloarthropathia
deformans), Kissing Spines, Frakturen (S. 920)
Auch die Subluxation des Kreuz-Darmbein-Gelenks (S. 923), Läsionen des Kreuzbeins und der Kruppenmuskulatur (S. 925)
werden den Rückenbeschwerden zugeordnet. Diese Erkrankun-
▶ Abb. 21.40 Ultraschallbild des Rückens aus dem Bereich der Sattellage
(Th13–TH15), rechts-kranial. Konturerhebung, subkutanes Ödem und Kontur- und Strukturverlust des Lig. supraspinale über Th14.
▶ Abb. 21.39 Klinisches Bild einer rechtsseitigen Skoliose der Brustwirbelsäule.
gen werden in separaten Kapiteln abgehandelt. Die genannten
Veränderungen können einzeln vorliegen oder in Kombination
mit anderen Erscheinungsformen auftreten.
In Einzelfällen wird ein direktes Trauma (Sturz, Hängenbleiben unter einem Hindernis, Verrenkungen der Wirbelsäule) als
Ursache angegeben. In den meisten Fällen lässt sich jedoch die
genaue Ursache für die Rückenbeschwerden nur schwer eruieren, allenfalls vermuten (z. B. Satteldruck, Reiter- und Ausbildungsfehler – fehlende Dehnung und Aufwölbung des Rückens
im Training –, Gliedmaßenerkrankungen), da es sich häufig um
ein multifaktorielles Geschehen handelt.
▶ Abb. 21.41 Schematische Darstellung verschiedener Lokalisationen der
röntgenologischen Veränderungen an der Brustwirbelsäule (schraffiert).
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
Vorkommen ■ Rückenbeschwerden kommen bei allen Pfer-
21 – Bewegungsapparat
Die Veränderungen an den Wirbeln entwickeln sich, wenn
kein Trauma zugrunde liegt, sehr langsam über Monate oder
Jahre, wobei die Pferde über einen langen Zeitraum beschwerdefrei sein können, oder sie erkranken aufgrund eines guten,
die Rückenmuskulatur stärkenden Trainings nicht. Am häufigsten finden sich die Wirbelveränderungen zwischen dem 10.
Brust- und dem 4. Lendenwirbel, dem Abschnitt mit der größten dorsoventralen und lateralen Beweglichkeit. Muskelverspannungen und Bänderzerrungen finden sich vermehrt im Bereich der vorderen Sattellage und der Lendenwirbelsäule.
Klinik ■ Die Symptome beim Reiten sind so zahlreich, dass hier
nur die häufigsten in Stichworten wiedergegeben werden können: Verlust des Temperaments, Sattel- und/oder Gurtzwang,
Empfindlichkeit beim Abtasten und Putzen, Durchdrücken des
Rückens beim Aufsitzen und Anreiten, Leistungsminderung,
Steifheit, kurzer, gebundener, schwungloser Gang, abstehender
oder eingeklemmter Schweif, Schweifschiefhaltung, Katzenbuckel, häufige Taktfehler im Trab, fehlender Vorwärtsdrang, Umspringen in den Kreuzgalopp, „hüpfende“ Hinterhand im Galopp, Aus-der-Hand-Ziehen der Zügel bei Paraden, Widersetzlichkeit bei Versammlung, Steigen, panikartiges Wegrennen
und/oder Stöhnen in bestimmten Lektionen, Springen ohne Rücken, Schwellungen im Bereich der Lendenmuskulatur, Widersetzlichkeit beim Rückwärtsrichten, fehlender Schub aus der
Hinterhand. Beim Vorführen sind die Pferde häufig laufunwillig, zeigen einen gebundenen Gang, schwingen nicht und die
Schweifrübe wird steif, nahezu waagerecht und ggf. schief getragen. Die Pferde sollten auch vorgeritten und dabei die im
Vorbericht geschilderten Symptome überprüft werden.
Diagnose ■ Bei der Adspektion des Pferdes muss auf Verformungen der Wirbelsäule und auf Asymmetrien und Schwellungen der Muskulatur geachtet werden. Unterschiedlich starker
Druckschmerz (Wegdrücken des Rückens, Ausweichen zur Seite, In-die-Knie-Gehen) kann sowohl bei der Palpation der
Dornfortsätze als auch der langen Rückenmuskeln ausgelöst
werden. Er kann punktuell oder über einen größeren Bereich
des Rückens bestehen (Achtung: Die Rückenmuskeln werden
segmental innerviert). Die Beweglichkeit jedes Wirbelgelenks
der Brust- und Lendenwirbelsäule und des Lumbosakralgelenks
muss für sich kontrolliert werden: Dorso-, Ventro- und Lateroflexion (osteopathische/chiropraktische Untersuchung). Zusätzliche Informationen erlangt man durch die Kontrolle der Akupunkturpunkte.
Bei der rektalen Untersuchung wird die Sublumbalmuskulatur (Psoasmuskulatur) abgetastet (ohne Benutzung einer Bremse). Bei Entzündungen dieser Partien zeigen die Pferde Unruhe,
wölben den Rücken auf oder trippeln mit den Beckengliedmaßen auf der Stelle. Veränderungen an der Sublumbalmuskulatur, den Bandscheiben der letzten Lendenwirbel und dem Lumbosakralgelenk zeigt auch die rektale Ultraschalluntersuchung
auf.
Die Diagnose der Rückenerkrankung basiert grundlegend auf
den Befunden der klinischen Untersuchung. Um eine Beteiligung der Brust- und Lendenwirbel am Krankheitsgeschehen
nachzuweisen, ist die röntgenologische Untersuchung unverzichtbar. Am stehenden Pferd lassen sich nur bestimmte Ab-
schnitte der Brust- und Lendenwirbelsäule röntgenologisch
darstellen. Hierdurch lässt sich lediglich ein grober Einblick in
die Skelettveränderungen erzielen. Um einen Gesamtüberblick
über alle Anteile der Wirbelsäule (Dornfortsätze, kleine Wirbel[Facetten-]gelenke, Wirbelkörper) zu erhalten, kann die röntgenologische Untersuchung am stehenden Patienten mittels digitaler Technik oder in Allgemeinnarkose auch mit konventioneller Technik durchgeführt werden. Hierzu sind leistungsstarke
Röntgengeräte, hochverstärkende Folien (SE 12) und die Benutzung von Parallel- oder Laufrastern erforderlich.
Wichtig ist es, zumal bei Untersuchung am stehenden Patienten, die Kopf-Hals-Haltung zu standardisieren, um zu zuverlässigen, vergleichbaren Messungen der Abstände der Dornfortsätze zueinander zu kommen. Bei tiefer Kopf-Hals-Haltung
wird der Abstand über-, bei hoher Kopf-Hals-Haltung wird er
unterschätzt. Die mittlere Kopf-Hals-Haltung mit einer Positionierung des rostralen Endes des Kopfes auf Höhe des Buggelenks (▶ Abb. 21.42) stellt hier das gut einzustellende Optimum
dar.
Auch muss die Messung der Abstände anhand von Röntgenaufnahmen erfolgen, die die zu beurteilenden Dornfortsätze in
senkrechtem Strahlengang darstellen. Bei Missachtung dieser
Regeln werden die resultierenden Messungen unzuverlässig
und sind auch für Verlaufskontrollen weniger geeignet.
Die Veränderungen im Röntgenbild betreffen in erster Linie
die Dornfortsätze: Verengungen der Abstände zwischen den
Procc. spinosi, Randsklerosierungen, Pseudarthrosenbildung,
Insertionsexostosen (▶ Abb. 21.43) und Berührungen oder
Überlappungen einzelner oder mehrerer Dornfortsätze (Kissing
Spines, ▶ Abb. 21.44); nur die zystoiden Veränderungen lassen
mit hoher Wahrscheinlichkeit auf einen Knochenschmerz
schließen. Jedoch muss beachtet werden, dass die röntgenologischen Befunde nicht immer mit den klinischen Symptomen
korrelieren, zugleich ist eine sichere Unterscheidung zwischen
aktiven und inaktiven Prozessen schwierig.
Die Dornfortsätze an den kaudalen Brust- und Lendenwirbeln unterliegen im jugendlichen Alter (> 3–4 Jahre) erheblichen Formveränderungen durch den formativen Einfluss der
Zugkräfte der an den Dornfortsätzen inserierenden Bänder und
Faszien mit zunehmender Variabilität der Dornfortsätze. Dies
▶ Abb. 21.42 Technik der Röntgenuntersuchung des Rückens bei mittlerer Kopf-Hals-Haltung. (Chirurgische Tierklinik, Universität Leipzig)
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
916
21.3 Schädel, Wirbelsäule, Becken
▶ Abb. 21.44 Seitliche Röntgendarstellung der proximalen Anteile der
Dornfortsätze aus dem Bereich der Sattellage (Th11–Th17), rechts-kranial.
Kissing Spines: starke Randsklerosierungen mit großflächigen, zystenähnlichen Defekten am kranialen Rand von Th12–Th15.
Cave
Bei chronischen Rückenbeschwerden zeigen sich häufig
keine Abweichungen von der Norm in den Laborwerten,
obwohl ein Muskelschmerz vorliegen kann.
Um bei chronischen Rückenbeschwerden eine Unterscheidung
zwischen einer Weichteil- und Skeletterkrankung vornehmen
zu können, wird die Verabreichung entzündungs- und
schmerzlindernder Medikamente über 3–4 Tage empfohlen.
Stellt sich eine Besserung beim Reiten ein, kann eine Knochenerkrankung vermutet werden.
Die Sonografie kann ebenfalls zur Darstellung von Muskelund Bänderläsionen bei rückenkranken Pferden eingesetzt
▶ Abb. 21.45 Röntgendiagnostik der Erkrankung der Facettengelenke der
Lendenwirbelsäule. Der Pfeil weist auf unscharfe Gelenkspalte sowie Sklerose des subchondralen Knochens hin. Die Facettengelenke der Lendenwirbelsäule lassen sich aufgrund der Muskulatur nicht in jedem Fall so gut
darstellen.
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
▶ Abb. 21.43 Seitliche Röntgendarstellung der Dornfortsätze im Bereich
der kaudalen Brustwirbelsäule.
a Die Kopf-Hals-Haltung des Pferdes beeinflusst den Abstand zwischen
den Dornfortsätzen (Pfeile). Die hier dargestellte mittlere Position sollte
daher als Standard verwendet werden. Die Wirbelkörper sollten mit abgebildet sein.
b Röntgendiagnostik der Kissing Spines, Engstand mit Überlagerung, starke Sklerosierungen und zystoide Defekte.
erklärt, warum Pferde ohne jede röntgenologische Auffälligkeit
nur in der Altersklasse unter 3 Jahren zu finden sind. Schon bei
3- und 4-jährigen Pferden werden Veränderungen an den
Dornfortsätzen im Röntgenbild gefunden, ohne dass diese in jedem Fall als pathologisch einzustufen sind. Bei Pferden über
5–6 Jahren finden sich praktisch immer röntgenologische Auffälligkeiten, wobei diese bei Springpferden deutlicher ausgeprägt sind als bei Dressurpferden. Es wird vermutet, dass
Überlappungen der Dornfortsätze infolge einer Spondylose auftreten.
Weniger häufig – da röntgenologisch schwierig darzustellen
– werden Arthrosen der kleinen Wirbelgelenke (Facettengelenke) diagnostiziert (▶ Abb. 21.45). Verknöcherungen des Lig. longitudinale ventrale lassen sich dagegen gut darstellen.
Die röntgenologischen Befunde für sich sind für die Diagnose
einer Rückenerkrankung wenig aussagekräftig. Heute wird vielfach das Röntgen der Brust- und Lendenwirbelsäule mit der
Szintigrafie kombiniert (▶ Abb. 21.46). Der Vorteil der Knochenszintigrafie liegt darin, dass sowohl Veränderungen am
Skelett, die im Röntgenbild noch nicht sichtbar sind, dargestellt
als auch pathologische Befunde der röntgenologischen Untersuchung im Hinblick auf ihre tatsächliche Beteiligung am akuten Geschehen (Entzündung) überprüft werden können.
Der positive Ausfall einer lokalen Infiltrationsanästhesie
zwischen und um die veränderten Dornfortsätze sichert die Diagnose weiter ab (der negative Ausfall der Anästhesie beweist
umgekehrt nicht, dass keine Rückenerkrankung vorliegt).
Die Bestimmung der Muskelenzymaktivitäten (CK, LDH)
sollte routinemäßig vor und nach Belastung durchgeführt werden. Erhöhte Werte geben Hinweise auf eine Muskelerkrankung.
Bewegungsapparat
917
21 – Bewegungsapparat
918
●
●
▶ Abb. 21.46 Szintigrafisches Bild der Brustwirbelsäule 45° links in einer
monochromatischen Farbpalette. Drei Dornfortsätze reichern fokal verstärkt an, was auf aktive Stoffwechselprozesse in diesem Bereich hinweist.
werden. Allerdings können in der Regel nur schwere Muskelund Bänderläsionen sicher diagnostiziert werden.
Zusammenfassend treten Schwierigkeiten in der Diagnosestellung bei Rückenbeschwerden aufgrund folgender Gegebenheiten auf:
● Die klinischen Symptome können ausgesprochen vielfältig
und graduell sehr unterschiedlich in Erscheinung treten.
● Ähnliche oder gleiche Symptome kommen auch bei anderen
Erkrankungen vor (s. u.).
● Mehrere Befunde können gleichzeitig und an unterschiedlichen Stellen der Brust- und Lendenwirbelsäule vorliegen.
● Die Angaben im Vorbericht sind häufig ungenau.
● Die erhobenen pathologischen Befunde am Rücken (Druckempfindlichkeit etc.) gehen nicht zwingend mit einer klinisch
manifesten Erkrankung der Wirbelsäule (Rückenschmerzen)
einher.
● Röntgenologische Veränderungen sind nur selten ein sicheres Indiz für eine Rückenerkrankung.
Differenzialdiagnosen ■ Aufgrund der häufig unspezifischen
Symptomatik muss eine Vielzahl von Differenzialdiagnosen berücksichtigt werden:
● Lahmheiten der Becken-, aber auch der Schultergliedmaßen
● „Untugenden“ des Pferdes
● Erkrankungen des Kreuzbeins, der Kruppenmuskulatur und
des Beckens
● Subluxation des Iliosakralgelenks
● Erkrankungen der Zähne und der Maulhöhle
Erkrankungen der Halswirbelsäule (inkl. geringgradiger Ataxien)
organische Erkrankungen (z. B. Leber, Niere)
Ausbildungs- und Reiterfehler, unpassender Sattel
Therapie ■ Pferde mit einer Weichteilerkrankung werden
konservativ behandelt. Dabei gilt prinzipiell, dass eine funktionelle Anpassung erkrankter Bandstrukturen an die Bewegung
und später an die Belastung erzielt werden muss und Verspannungen der Muskulatur zunächst gelöst werden müssen, bevor
mit der Arbeit wieder begonnen werden kann. Für die konservative Therapie sind eine Vielzahl unterschiedlicher Medikamente und Behandlungsmethoden bekannt: lokale Infiltrationen (Quaddelungen, Neuraltherapie) oder systemische Applikation entzündungshemmender und muskelrelaxierender Medikamente, Vitamin-E-, Selen- und Magnesium-Gaben,
physikalische Therapien (Interferenzstrom, Solarium, Thermium, Sauna), lokale Wärmebehandlung (Fangopackungen), Physiotherapie (Massagen, Akupressur), Bewegungstherapie (inkl.
Aquatraining), Akupunktur, Ultraschallbehandlung, chiropraktische oder osteopathische Behandlung usw.
In bestimmten Fällen, die streng selektiert werden müssen,
besteht die Möglichkeit der chirurgischen Behandlung durch
Teilresektion erkrankter Dornfortsätze. Der Zugang erfolgt von
der Seite oder in der Medianen durch das Lig. supraspinale. Bei
letzterer Methode werden die seitlich an dem Dornfortsatz ansetzende Muskulatur und die Ligg. interspinalia bis zu der Stelle
gelöst, an der keine Berührung der benachbarten Dornfortsätze
mehr nachzuweisen ist. Die Resektion erfolgt entweder mit
einer oszillierenden Säge und/oder dem Osteotom nach Huskamp. Anschließend erfolgt die Naht des Lig. supraspinale und
der Haut. Die Pferde erhalten postoperativ Analgetika und Antibiose und für ca. 2–3 Wochen Boxenruhe, bevor mit der kontrollierten Schrittbewegung begonnen wird. Das aufbauende
Trainingsprogramm erstreckt sich über mindestens 3–4 Monate.
Prognose ■ Eine exakte Prognose lässt sich in vielen Fällen
nicht stellen. Sie ist von mehreren Faktoren abhängig: Art, Ausmaß und Dauer der Erkrankung, Verwendungszweck, Alter,
konservative oder chirurgische Behandlung, Trainingsbedingungen usw. Eine relativ günstige Prognose besteht bei allen
Weichteilerkrankungen der Brust- und Lendenwirbelsäule.
Die Ergebnisse einzelner Autoren bei chirurgischer Behandlung des Kissing-Spines-Syndroms variieren stark. Die Prognose
ist umso günstiger
● je weniger Dornfortsätze erkrankt sind,
● bei positivem Ausfall einer lokalen Infiltrationsanästhesie,
● wenn keine arthrotischen Veränderungen an den kleinen
Wirbelgelenken und den Wirbelkörpern vorliegen.
Die Indikation für eine chirurgische Behandlung muss daher
vorab genau geprüft werden.
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
●
21.3 Schädel, Wirbelsäule, Becken
919
21.3.6.2
Spondylose und Spondyloarthrose
▶ Abb. 21.47 Seitliche Röntgendarstellung der dorsalen Intervertebralgelenke (Facettengelenke) der Brustwirbelsäule (Th14–Th16), rechts-kranial.
Osteolyse am kranialen Rand des dorsalen Intervertebralgelenks von Th15
mit Sklerosierung (Pfeile).
Ätiologie ■ Die Ursachen der Spondylose werden in Verbindung mit Traumen, erhöhter oder ungewöhnlicher mechanischer Belastung der Wirbelsäule und primären degenerativen
Veränderungen im Anulus fibrosus der Zwischenwirbelscheibe
gesehen. In schweren Fällen reagiert das Gewebe auf den Entzündungsprozess mit Verkalkung und Bildung periostaler Auflagerungen mit nachfolgender Ossifikation. Die deformierenden Veränderungen an den Wirbelkörpern schreiten nur sehr
langsam voran. Die arthrotischen Befunde an den kleinen Wirbelgelenken (Facettengelenke) entsprechen denen anderer Gelenke mit einer Arthropathia deformans (Verschmälerung des
Gelenkspalts, subchondrale Sklerosierung, Ausziehung und unregelmäßige Kontur der Gelenkfläche, Randexostosen, zystoide
Defekte u. a.).
Klinik ■ Die Symptome der Spondylose und Spondylarthrose
entsprechen den Befunden bei Rückenbeschwerden des Pferdes
(S. 915).
Diagnose ■ Sie kann röntgenologisch (▶ Abb. 21.47,
▶ Abb. 21.48) und szintigrafisch gesichert werden. Die Spondylopathia deformans wird auch als Nebenbefund der röntgenologischen Untersuchung ohne klinisch manifeste Symptome gefunden. In diesen Fällen liegt meist eine vollständige knöcherne
Überbrückung benachbarter Wirbelkörper vor (Ankylose).
Therapie ■ Eine kausale Therapie bei Spondylosen ist nicht
bekannt. Jedoch kann eine längerfristige analgetische Behandlung in Verbindung mit reduzierter Belastung und begleitenden
physiotherapeutischen Maßnahmen auf Dauer zur Linderung
der Symptome führen.
Bei Spondylarthrosen (Facetten-Syndrom) sind Punktion und
i.a. Behandlung des/der betroffenen Gelenke unter Ultraschallkontrolle mit Hyaluronsäure und/oder Kortikosteroiden das
Mittel der Wahl. Gelingt die i.a. Behandlung nicht, sollte eine
symptomatische Behandlung in Form von lokalen infiltrativen
Injektionen (Neuraltherapie) zur Anwendung kommen.
Stets sollte die Wirbelsäule osteopathisch oder chiropraktisch
kontrolliert und ggf. behandelt werden, da durch die Erkran-
▶ Abb. 21.48 Röntgendiagnostik der Spondylose der Brustwirbelsäule.
Starke Randexostosenbildung im ventralen Abschnitt der rechts und links
neben dem Pfeil abgebildeten Wirbelkörper. Der Pfeil markiert eine vollständige Überbrückung.
kung vielfach die Nachbargelenke wegen der Mehrbeanspruchung zu „Blockaden“ neigen. Als begleitende Therapien kommen Akupunktur, Physiotherapie inkl. Bewegungstherapie,
physikalische Therapien, z. B. Magnetfeld, Wärmebehandlung
vor der Bewegung (Solarium, Thermium, Sauna), zur Anwendung.
Prognose ■ Fehlen Rückenbeschwerden und liegt eine vollständige knöcherne Überbrückung benachbarter Wirbelkörper
vor, ist die Prognose einer Spondylose günstig. Anderenfalls ist
die Prognose für ein Reitpferd bei Vorliegen einer Spondylose
und/oder Spondylarthrose vorsichtig zu stellen, da die Tiere unter Mehr- oder Fehlbelastung zu Rezidiven neigen.
21.3.6.3
Lumbosakrale Gelenkschmerzen
Walter Brehm, Astrid Rijkenhuizen
Definition ■ Es handelt sich um eine Lahmheit mit reduzierter
Funktionsfähigkeit durch Schmerzen im Lumbosakralgelenk.
Pathogenese ■ Die Beweglichkeit (Flexibilität) der Wirbelsäule ist beim Pferd nicht in jedem Rückenabschnitt gleich. Die
Hauptbeweglichkeit befindet sich im Lumbosakralgelenk. Deswegen wird dieses Gelenk stark beansprucht. Dressur- und
Springpferde sind mehr betroffen, da während der Arbeit Hintergliedmaßen und Rücken besonders belastet werden. Dies ist
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
Definition ■ Die Spondylose (Spondylosis deformans, Spondylopathia deformans) ist eine seltene, chronisch degenerative
Erkrankung am ventralen Bandapparat (Lig. longitudinale ventrale) der Brustwirbelsäule. Die morphologischen Veränderungen vollziehen sich am ventralen Längsband, an den Zwischenwirbelscheiben und den Wirbelkörpern. Sie treten zumeist im
Bereich der größten mechanischen Belastung zwischen dem 9.
und 15. Brustwirbel auf.
Als Spondyloarthrose (Spondyloarthrosis deformans, Spondyloarthropathia deformans) bezeichnet man die chronisch-deformierende Umformung der dorsalen Wirbelgelenke (Facettengelenke). Anzeichen arthrotischer Veränderungen der kleinen Wirbelgelenke finden sich bei der röntgenologischen und
szintigrafischen Untersuchung bei vielen Pferden und an fast
allen Gelenken der Brust- und Lendenwirbelsäule.
Bewegungsapparat
Walter Brehm, Michael Nowak
21 – Bewegungsapparat
920
Klinik ■ Aus dem Vorbericht erfährt man von einer chronischen Lahmheit, die mit Leistungsschwäche einhergeht. Eine
reduzierte Leistungsfähigkeit führt zu einem Rittigkeitsproblem. Das Pferd ist „im Rücken fest“, liegt „schwer auf der
Hand“ oder hält „den Schweif schief“. Meistens fällt beim Reiten auf, dass sich die Zeit, die man zum Lösen braucht, verlängert. Es besteht leichte Lahmheit, die Tiere bewegen sich steif
und haben Probleme beim Untertreten mit der Hinterhand. Da
der Rücken die Kraft der Hinterhand nicht mehr nach vorne
überträgt, entsteht eine Schrittverkürzung. Das Pferd läuft auf
der Vorhand, deswegen sind die Übergänge vom Galopp in den
Trab und vom Trab in den Schritt meistens erschwert. Die Lust
zu arbeiten ist reduziert. Rückwärtsrichten und Arbeit auf enger Volte werden oft nur mit Widerwillen ausgeführt.
Diagnose ■ Eine exakte Lahmheitsuntersuchung und der Ausschluss anderer Lahmheitsursachen weisen bei der klinischen
Untersuchung auf den Rücken hin. Dabei wird eine schmerzhafte Reaktion bei der Palpation des Lumbosakralgelenks bemerkt.
Auch die Muskeln in der Umgebung des Lumbosakralgelenks
können schmerzhaft sein. Eine belastete Bewegung unter dem
Reiter kann Informationen darüber geben, wie der Rücken gehalten wird. Veränderungen im Bereich des Lumbosakralgelenks können sonografisch dargestellt werden. Die sonografische Untersuchung bietet einen erheblichen Vorteil gegenüber
einer röntgenologischen Darstellung, zu der die Pferde in Allgemeinanästhesie abgelegt werden müssen. Szintigrafische Untersuchungen ermöglichen schließlich den schmerzhaften Bereich zu lokalisieren. Diagnostische lokale Infiltrationsanästhesien reduzieren teilweise die klinischen Probleme und können
die Diagnose bestätigen.
Differenzialdiagnosen ■ Eine Lahmheitsursache im Bereich
der Hintergliedmaßen sollte ausgeschlossen werden. Hinterhandlahmheiten führen zu Veränderungen im Bewegungsmuster, bei längerem Bestehen zu schmerzhaften Verspannungen
der Rückenmuskulatur. Letztere sind einer Rückenerkrankung
ähnlich. Dies ist z. B. bei beidseitiger proximaler Desmitis des
Tendo interosseus, aber auch bei anderen Lahmheitsursachen
der Fall. Eine Verspannung der Rückenmuskulatur kann zu positiven Palpationsergebnissen führen. Diese Verspannungen
sind jedoch sekundärer Natur.
Therapie ■ Es hat eine Ruhigstellung zumindest über 2 Monate zu erfolgen. Dies beginnt mit Boxenruhe, später erfolgt Weidegang kombiniert mit kontrolliertem aufbauendem Bewegungsprogramm, um gezielt die Rückenmuskulatur zu trainieren. Zusätzlich werden systemisch Entzündungshemmer
(NSAIDs) und lokal kurz- oder lang wirkende Glukokortikoide
eingesetzt. Eventuell kann ein Muskelrelaxans (z. B. Methocarbamol) appliziert werden. Chiropraktik und Osteopathie werden als Therapieverfahren beim Vorliegen von Blockierungen
bzw. Bewegungseinschränkungen empfohlen. Die Gefahr bei
unsachgemäßer Anwendung dieser Methoden besteht darin,
dass bei Überschreiten der anatomischen Grenzen dem Patien-
ten erhebliche Schäden zugefügt werden können. Die Physiotherapie als Bewegungstherapie sowie die Massage durch qualifizierte Therapeuten bieten einen großen Einsatzbereich sowohl in der Prophylaxe als auch in der begleitenden Therapie
von Rückenerkrankungen.
21.3.6.4
Frakturen
Walter Brehm, Michael Nowak
Vorkommen und Ätiologie ■ Frakturen der Brust- und Lendenwirbel treten selten auf. Sie werden vermehrt bei Galoppern
und Vielseitigkeitspferden beobachtet, die bei hohen Geschwindigkeiten stürzen oder sich überschlagen. Als weitere
Ursache sind das Unterlaufen niedriger Hindernisse, Aufstehversuche unter niedrigen Flankierbäumen, Frakturen durch
Blitzschlag u. Ä. bekannt. Nach einer Studie von Jeffcott [7] erkranken Fohlen weniger häufig als erwachsene Tiere.
Pathogenese ■ Die Frakturen lassen sich grob einteilen in
Frakturen der Dornfortsätze und Frakturen des Wirbelbogens
und/oder Wirbelkörpers. Frakturen der Dornfortsätze kommen vor allem nach Überschlägen vor, bei denen die Pferde auf
dem Rücken landen. Am Widerrist als höchstem Punkt des Rückens (Th3–Th8) entstehen die meisten Dornfortsatzfrakturen
(▶ Abb. 21.49). Am Widerrist liegen zumeist Frakturen mehrerer Dornfortsätze vor. Frakturen der Wirbelbögen und -körper
treten vermehrt am 1.–3., 9.–16. Brustwirbel und 18. Brust- bis
6. Lendenwirbel auf. Dabei handelt es sich häufig um Kompressions-Splitterfrakturen.
Klinik ■ Frakturen der Dornfortsätze sind leicht zu diagnostizieren. Der erkrankte Bereich (in der Regel der Widerrist) erscheint abgeflacht und skoliotisch, der Kamm des Widerrists zu
einer oder beiden Seiten verbreitert. Im akuten Stadium ist der
Bereich geschwollen, vermehrt warm und schmerzhaft. Die
Pferde laufen mit kurzen, gebundenen Schritten bei steif gehaltenem Rücken und Hals und bewegen sich unwillig.
Bei Frakturen der Wirbelbögen/-körper wird in der Regel
das Rückenmark traumatisiert. Es kommt je nach Lokalisation,
Art der Fraktur und Ausmaß der Rückenmarkschädigung zu unterschiedlich stark ausgeprägten neurologischen Ausfallerscheinungen (Ataxie). Verschieben sich die Knochenfragmente,
kommt es sofort zur Paraplegie, während ohne oder bei nur geringer Dislokation die neurologischen Ausfallerscheinungen anfangs schwächer sein können und sich erst im Laufe einiger
Stunden oder Tage entweder durch eine stärker werdende Verschiebung der Fragmente oder durch Schwellungen im Bereich
des Rückenmarkkanals (Blutungen, Ödeme) bis zur Paraplegie
ausweiten können. Wenn keine Verschiebung der Fragmente
oder nur eine Fissur vorliegt, besteht die Chance einer vollständigen Genesung bei anfänglich strenger Boxenruhe.
Diagnose ■ Sie stützt sich auf die Anamnese und die Befunde
der klinischen und neurologischen Untersuchung. Gürtelförmiger Schweißausbruch und Nachhandparalyse/-parese sind eindeutige Symptome für eine Wirbelkörper/-bogenfraktur mit
Rückenmarkkompression. Von diagnostischem Wert ist auch
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
beim Übergang vom Galopp zum Halt, beim Reiten in Schlangenlinien, bei der Volte und beim Springen besonders der Fall.
21.3 Schädel, Wirbelsäule, Becken
921
die Perkussion, die eine deutliche Schmerzreaktion in der Zone
des entsprechenden Spinalfortsatzes ergibt (Überprüfung der
Hautsensibilität an Rumpf und Gliedmaßen).
Bei Verdacht auf eine Lendenwirbelfraktur kann die rektale,
digitale und sonografische Untersuchung hilfreich sein. Die
röntgenologische Untersuchung (▶ Abb. 21.50) sichert in vielen
Fällen die Verdachtsdiagnose.
▶ Abb. 21.50 Seitliches Röntgenbild der Brust-/Lendenwirbelsäule (Th12–
L3) eines 8 Wochen alten Fohlens, rechts-kranial. Fraktur von Th16 in der
kranialen Epiphyse, starke Luxation nach dorsal und Dislokation nach kranial (Pfeile).
Cave
Frakturen im apikalen Anteil der Dornfortsätze von Th2–
Th8 dürfen nicht mit den bis ins hohe Alter vorkommenden isolierten Apophysen verwechselt werden.
Frakturen der Brust- und Lendenwirbelkörper/-bögen und der
Dornfortsätze der Lendenwirbelsäule können mit leistungsstarken Röntgengeräten und unter Verwendung hochverstärkender
Folien (SE 12) und Parallel- oder Laufraster röntgenologisch im
seitlichen und ventrodorsalen (Allgemeinanästhesie nötig)
Strahlengang abgebildet werden. Kleinere Absprengungsfrakturen oder Fissuren sind im Röntgenbild häufig nicht erkennbar.
In diesen Fällen kann die Knochenszintigrafie die Diagnose der
Wirbelfissur oder -fraktur sichern. Falls bei entsprechender
Symptomatik und dementsprechendem Verdacht keine knöchernen Veränderungen wahrnehmbar sind, wird ergänzend
die Myelografie zur Darstellung von Weichteilläsionen im Wirbelkanal eingesetzt.
Therapie ■ Frakturen der Dornfortsätze im Bereich des Widerrists heilen auch ohne chirurgische Behandlung; ggf. muss
der Sattel den veränderten Verhältnissen des Widerrists angepasst werden. Nur für den Fall, dass eine korrekte Auflage des
Sattels am Widerrist nicht gewährleistet oder eine Sequestrierung eingetreten ist, müssen die entsprechenden Fragmente
chirurgisch entfernt werden. Die Heilung tritt innerhalb von
2–6 Monaten ein, wobei die Pferde die ersten Wochen Boxenruhe erhalten und die Fütterung auf Brusthöhe erfolgt. Sobald
die akuten Anzeichen abgeklungen sind, erfolgt ein physio-
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
Bewegungsapparat
▶ Abb. 21.49 Multiple Dornfortsatzfrakturen im Widerristbereich.
a Klinisches Bild: dorsale Abflachung und seitliche Verbreiterung des Widerrists, Schulterblattknorpel als höchster Punkt.
b Röntgendiagnostik von multiplen Dornfortsatzfrakturen im
Widerristbereich.
21 – Bewegungsapparat
922
Prognose ■ Für den Einsatz als Reit-/Sportpferd ist die Prognose bei Frakturen der Dornfortsätze generell als günstig einzustufen, insbesondere dann, wenn die Rehabilitationsmaßnahmen frühzeitig eingesetzt werden. Bei Wirbelkörperfrakturen ist sie ungünstig. Sie ist infaust, wenn das Rückenmark verletzt ist. Wenn innerhalb eines Tages keine Besserung
eingetreten ist, sollten diese Pferde euthanasiert werden. Bei
Wirbelfrakturen ohne oder mit nur geringer Schädigung des
Rückenmarks kann eine Heilung eintreten. Eine sportliche Nutzung ist jedoch fraglich, solange neurologische Ausfallerscheinungen bestehen bleiben. Bei Beteiligung des Rückenmarkkanals (Vorliegen einer Ataxie III.–IV. Grades) ist die Prognose
ungünstig bis infaust.
21.3.7
Krankheiten der Kreuzbeinregion und
des Beckens
Klinik ■ Frakturen des Kreuzbeins können zu Bewegungsstörungen führen. Insbesondere bei Frakturen des Kreuzbeinflügels und einer damit verbundenen Traumatisierung des KreuzDarmbein-Gelenks zeigen die Pferde Lahmheit, legen sich ungern hin und stehen nur mit Mühe auf. Die Symptome, die kurz
nach der Verletzung auftreten, richten sich nach dem Ort der
Schädigung der Cauda equina: Harn- und Kotinkontinenz, Paralyse des Schweifs, der Harnblase und des Mastdarms, Verlust
der Hautsensibilität. Geht die Kreuzbeinfraktur mit einer Verletzung des Plexus lumbosacralis einher, werden vor allem
Symptome einer Paralyse des N. ischiadicus angetroffen.
Adspektorisch besteht immer eine Asymmetrie des Beckens.
Die Palpation des Kreuzbeins und seiner Umgebung ist
schmerzhaft. Durch die rektale Untersuchung lässt sich in der
Regel die Fraktur bzw. Umfangsvermehrung am Beckengewölbe
ertasten. Wenn eine Hand dem Kreuzbein aufliegt und mit der
anderen der Schweif auf- und niederbewegt wird, gelingt es
manchmal, Krepitation nachzuweisen.
Diagnose ■ Mittels der rektalen und perkutanen Sonografie
lassen sich Frakturen des Kreuzbeins in sehr vielen Fällen sicher diagnostizieren. Anderenfalls wird die Diagnose durch die
röntgenologische Untersuchung (seitliche und ventrodorsale
Aufnahme) gestellt. In unklaren Fällen kann durch die Szintigrafie eine Abklärung erfolgen.
Wird eine chirurgische Druckentlastung erwogen, können
durch die positive Kontrastepidurografie und Phlebografie die
genaue Lokalisation und das Ausmaß der Kompression des Rückenmarks bestimmt werden.
Differenzialdiagnosen ■ Neuritis caudae equinae (S. 755).
Walter Brehm, Michael Nowak
Therapie und Prognose ■ In der Regel ist nur eine konser21.3.7.1
Kreuzbein
Anatomie ■ Die Kreuzwirbelsäule ist beim erwachsenen Pferd
unbeweglich; die einzelnen Kreuzwirbel sind beim Pferd mit
4–5 Jahren zum Kreuzbein, Os sacrum, verschmolzen. Die
Dornfortsätze neigen sich im Gegensatz zu denen der Lendenwirbelsäule nach kaudal; sie werden unter der Einwirkung der
Gesäß- und Sitzbeinmuskulatur, deren Aponeurosen an den
Dornfortsätzen entspringen, geformt. Die einzelnen Dornfortsätze stehen frei und sind an ihren Enden zu Beulen verdickt.
Nur in seltenen Fällen sind bei älteren Pferden die einzelnen
Dornfortsätze in ihrer ganzen Länge zur Crista sacralis mediana
verschmolzen. An den Dornfortsatzkappen setzt dorsal das sehnige Lig. supraspinale an. Dieses Band wird durch das Lig. sacroiliaca dorsale pars brevis verstärkt, das vom Tuber sacrale an
die ersten Dornfortsatzkappen zieht.
Kreuzbeinfraktur
Vorkommen ■ Kreuzbeinfrakturen treten relativ selten auf.
Ätiologie ■ Sie entstehen durch ein direktes Trauma, z. B. bei
Stürzen, Überschlägen oder plötzlicher hundesitziger Stellung,
wenn das Kreuzbein hierdurch gestaucht wird.
vative Therapie möglich. Je nach klinischer Erscheinung erhalten die Pferde anfänglich Boxenruhe und NSAIDs. Gegebenenfalls müssen das Rektum regelmäßig ausgeräumt und die Harnblase entleert werden. Tritt keine Besserung des Zustands innerhalb der ersten 10 Tage ein, ist die Prognose ungünstig.
Eine chirurgische Druckentlastung des Rückenmarkkanals ist
theoretisch möglich [8]. Zur Versorgung von Kreuzbeinfrakturen wurde je nach Konfiguration auch die Plattenosteosynthese
mit Erfolg eingesetzt [8].
Sakrokokzygealsyndrom
Vorkommen ■ Erkrankungen des Bandapparats und der Muskulatur bzw. der Muskelaponeurosen am Kreuzbein und an der
Schwanzwirbelsäule kommen bei allen Pferderassen vor. Sie
ähneln den Veränderungen aus dem Bereich der Brust- und
Lendenwirbelsäule, können allein auftreten oder mit einer Erkrankung der Brust- und Lendenwirbelsäule und des Iliosakralgelenks vergesellschaftet sein.
Ätiologie ■ Die Erkrankung kann durch ein Trauma (z. B Hängenbleiben mit der Kruppe an einem Gegenstand, Schlagverletzung) oder durch Überbeanspruchung der Muskulatur ausgelöst werden. Auch Zugluft kann ursächlich eine Rolle spielen.
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
therapeutisches Training zur Anpassung an die neuen Druckund Zugbelastungen. Hilfreich können auch Kalziumgaben,
Magnetfeldtherapie und begleitend Akupunktur sein.
Fragmente an den Dornfortsätzen kaudal des Widerrists werden chirurgisch exstirpiert.
Eine chirurgische Behandlungsmethode für die Fälle, bei denen Frakturen der Brust- und Lendenwirbelkörper/-bögen vorliegen, gibt es bisher nicht. Liegt keine Dislokation der Frakturstücke vor oder besteht eine Fissur, und die neurologischen
Ausfallerscheinungen sind nur gering (Ataxie I. – III. Grades),
kann eine konservative Therapie mit NSAIDs versucht werden.
Diese Pferde können zur Stabilisierung in ein Gurtsystem gestellt werden.
Herunterladen