Gründe und Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung

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Gründe und Folgen der
Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
privater Haushalte in der Schweiz:
Ein wirtschaftstheoretischer Ansatz
DISSERTATION
der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät
der Universität Zürich
zur Erlangung der Würde eines Doktors der Wirtschaftswissenschaften
vorgelegt von
CHRISTOPH ZABOROWSKI
von
Deutschland
genehmigt auf Antrag von
Prof. Dr. Peter Zweifel
Die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät gestattet hierdurch die Drucklegung
der vorliegenden Dissertation, ohne damit zu den darin ausgesprochenen
Anschauungen Stellung zu nehmen.
Zürich, den 3. Februar 1999
Der Dekan: Prof. Dr. P. Stucki
Diese Dissertation ist als pdf-Datei im Internet erhältlich unter der Adresse:
http://www.unizh.ch/sozoec/publications/thesis
Vorwort
Verschuldung: Für den einen ist es schlicht intertemporale Optimierung, für den
anderen ist es ein grosses Problem. Mit der Rezession in der ersten Hälfte der
90er Jahre hat sich die Problematik hochverschuldeter Haushalte verschärft.
Durch die steigende Verschuldung ist natürlich auch die Zahl der Betreibungen
gestiegen. Aufgrund der relativen Erfolglosigkeit der Lohnpfändung in der
Schweiz, war es an der Zeit über Reformen des Betreibungs- und Konkursrechts
zu reden. Die vorliegenden Dissertation entstand im Rahmen eines interdisziplinären Projekts der Proff. Isaak Meier und Peter Zweifel (Rechtswissenschaftliches Seminar bzw. Sozialökonomisches Seminar der Universität Zürich) sowie
Dr. Ingrid Jent-Sørensen (Rechtswissenschaftliches Seminar der Universität
Zürich) und mir selbst. Finanziert wurde dieses Projekt, und damit vor allem
meine Arbeit, vom Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung unter der Projektnummer 12-45487.95. Während der Projektbericht vor allem eine Expertise darstellt und konkrete Vorschläge für eine
Reform des Betreibungs- und Konkursrechtes enthält, konzentriert sich meine
Dissertation auf den wirtschaftstheoretischen Bereich.
Ich möchte an dieser Stelle meinem Betreuer Prof. Zweifel danken, der es mir
ermöglicht hat an dem Nationalfondsprojekt teilzunehmen und somit diese Dissertation zu erstellen. Dank schulde ich auch Prof. Stefan Felder von der Universität Magdeburg, der mit wertvollen Hinweisen zum Gelingen dieses Buches
beigetragen hat. Meine Kollegen Dr. Michael Breuer, Dr. Dario Bonato, Harry
Telser, Jörg Wild und Roland Umbricht haben tatkräftig geholfen die Zahl der
Fehler in dieser Arbeit zu reduzieren. Sollten dennoch welche zu finden sein, so
gehen sie allein auf mein Konto. Schliesslich hätte ich ohne die ständige Unterstützung meiner zukünftigen Frau Filomena Montanaro, die Kraft für die ganze
Arbeit nicht aufgebracht. Und last but not least: Ohne meine Eltern, Dieter und
Inge Zaborowski, hätte ich erst gar nicht studieren können.
Zürich, im Februar 1999
Christoph Zaborowski
Inhaltsverzeichnis
i
Inhaltsverzeichnis
Teil I Einleitung und Einführung in die Arbeit
1
1 Einleitung
1
2 Die rechtliche Seite der Betreibung
6
3 Betreibung und Pfändung in der Schweiz - Ergebnisse einer
Datenerhebung
10
3.1 Soziodemographische Zusammensetzung der Stichprobe
11
3.2 Die Lebenssituation der von Betreibung betroffenen Personen
13
3.2.1 Zivilstand, Wohnung, Bildung und Beruf der Betroffenen 13
3.2.2 Die Einkommen der interviewten Personen
16
3.2.3 Das Ausmass der Verschuldung
17
3.3 Der Vollzug der Betreibung
20
3.4 Persönliche Aussagen der interviewten Personen
21
3.5 Die Gläubiger
23
4 Literatur zu Teil I
26
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit
und Überschuldung
1 Einleitung zu Teil II
29
30
1.1 Verschuldung, Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
30
1.2 Vorsätzliche vs. unbeabsichtigte
Zahlungsunfähigkeit/Überschuldung
33
1.2.1 Vorsätzliche Überschuldung
1.2.2 Unbeabsichtigte Überschuldung
1.3 Modellierung und Vorgehensweise
2 Grundlagen der intertemporalen Optimierung
und der Optimierung unter Risiko
33
35
37
40
ii
Inhaltsverzeichnis
2.1 Grundlagen der intertemporalen Optimierung
2.1.1 Intertemporale Optimierung im Zwei-Perioden Modell
2.1.2 Intertemporale Optimierung im Multi-Perioden Modell
2.2 Einführung in die Risikonutzentheorie
3 Risiko als Grund für Überschuldung
3.1 Ohne explizite Darstellung des Überschuldungsrisikos
3.1.1
3.1.2
3.1.3
3.1.4
Vorsichtersparnis in der ökonomischen Literatur
Das Modell von Blanchard und Mankiw
Vorsichtssparen und Überschuldungsrisiko
Einfluss des Einkommensrisikos auf die
Überschuldungswahrscheinlichkeit
3.1.4.1 Das Einkommensrisiko sei gleichverteilt
3.1.4.2 Das Einkommensrisiko sei normalverteilt
40
40
44
49
53
53
53
54
59
62
62
66
3.2 Berücksichtigung des Überschuldungsrisikos
70
3.3 Die Rolle des Einkommens
74
4 Die Rolle der Zeitpräferenzrate
76
4.1 Die klassische Zeitpräferenzrate
76
4.2 Hyperbolische Diskontierung und zeitinkonsistentes Verhalten 77
5 Interdependente Präferenzen als Ursache der Überschuldung
5.1 Personell interdependente Präferenzen -- Die Jagd nach Status
5.1.1 Happiness vs. Präferenzordnung
5.1.2 Der Einfluss von Statuspräferenzen auf das Verhalten
5.1.2.1 Das rat-race
5.1.2.2 Ersparnis und Statuspräferenzen
5.2 Zeit-interdependente Präferenzen als Ursache der
Überschuldung
85
85
85
88
88
93
94
6 Der Konsum langlebiger Konsumgüter als Verschuldungsgrund 97
6.1 Die Theorie langlebiger Konsumgüter
97
6.2 Die Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern und das
Sparverhalten
99
7 Überschuldung aufgrund „unzureichender Optimierung“
7.1 Mangelnde Fähigkeiten zur Haushaltsführung
103
103
Inhaltsverzeichnis
7.2 Sucht als Grund für Überschuldung
8 Empirische Evidenz
iii
106
109
8.1 Die Studie von Lea et al.
110
8.2 Eigene Schätzungen
113
8.2.1 Die Variablen der Schätzung
8.2.2 Die verwendeten Schätzmodelle
8.2.3 Die Ergebnisse der Schätzungen
113
118
121
9 Schlussfolgerungen zu Teil II
132
10 Literatur zu Teil II
138
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und
Überschuldung - Die Betreibung
1 Einleitung zu Teil III
143
143
1.1 Stand der Forschung hinsichtlich des individuellen
Verhaltens bei einer Betreibung
143
1.2 Modellierung und Vorgehensweise
145
2 Intertemporale Optimierung mit Hilfe der Theorie der
optimalen Kontrolle
146
2.1 Das dynamische Konsum-Modell mit endogenem
Arbeitsangebot
146
2.2 Analyse im Phasenportrait
149
2.2.1 Der Gleichgewichtspfad für das Vermögen
2.2.2 Der Gleichgewichtspfad für die Freizeit
3 Die Modellierung des Verhalten eines Haushalts in der
Lohnpfändung
3.1 Das statische Modell
3.1.1 Die Reaktion eines Individuums in einem
Einperioden-Modell
3.1.2 Das Zweiperioden-Modell
3.2 Ein dynamisches Multiperioden-Modell
3.2.1 Das Modell
3.2.2 Allgemeine Gleichgewichtsanalyse im
149
151
155
155
155
157
163
163
iv
Inhaltsverzeichnis
Zustands-/Kozustandsphasenportrait
3.2.3 Analyse der Gleichgewichtspfade für Vermögen und
Freizeit
3.2.3.1 Der Gleichgewichtspfad für das Vermögen
3.2.3.2 Der Gleichgewichtspfad für die Freizeit
4 Analyse eines betriebenen Individuums mittels
Computersimulationen
4.1 Die Wahl der Nutzenfunktion
4.1.1 Logarithmische Cobb-Douglas-Nutzenfunktion
4.1.2 CES-Nutzenfunktion
4.1.3 Quadratische Nutzenfunktion
169
179
179
183
193
193
195
196
197
4.2 Festlegung der sonstigen Parameterwerte für die Simulationen 198
4.3 Simulationsergebnisse und komparative Dynamik
4.3.1
4.3.2
4.3.3
4.3.4
Der Optimierungspfad
Wirkung einer Änderung der Startschuld
Änderung des Existenzminimums
Die Rolle der Sozialhilfe
5 Reformvorschläge - Chancen für eine Pareto-Verbesserung?
5.1 Variables Existenzminimum
200
200
203
205
208
212
213
5.1.1 Das variable Existenzminimum im theoretischen Modell 213
5.1.2 Die Ergebnisse der Simulationen zum variablen
Existenzminimum
219
5.1.2.1 Freibetrag f = m
221
5.1.2.2 Absenkung des Freibetrags f
228
5.1.2.3 Die Rolle der staatlichen Sozialhilfe und der
Steuerzahler
231
5.2 Vorzeitige Entschuldung
232
5.3 Wirkung der Reformvorschläge auf den Kreditmarkt
238
6 Empirische Evidenz
243
6.1 Die Studie von Sullivan et al. (1989, 1994)
243
6.2 Eigene empirische Untersuchungen
245
7 Schlussfolgerungen zu Teil III
253
8 Literatur zu Teil III
259
Inhaltsverzeichnis
Teil IV Erweiterungen und Schlussfolgerungen
1 Mögliche Erweiterungen der Modelle
v
261
261
1.1 Die Vermögenspfändung
261
1.2 Die Rolle des Betreibungsamtes
265
2 Schlussfolgerungen zur gesamten Arbeit
269
3 Literatur zu Teil IV
275
Literaturverzeichnis
277
Anhang
285
Teil I Einleitung und Einführung in das Thema
Teil I
1
Einleitung und Einführung in die Arbeit
“Neither a borrower nor a lender be;...”
Lord Polonius, 1. Akt, 3. Szene aus
“Hamlet” von William Shakespeare
1 Einleitung
Wären sie dem Ratschlag von Lord Polonius gefolgt, hätten 1996 in der Schweiz
rund 370‘000 verschuldete Personen und ihre Gläubiger einige Probleme weniger gehabt.1 Wie aber kommt es, dass manche Menschen sich hoffnungslos überschulden, und wie reagieren sie auf eine Betreibung und die eventuell daraus
folgende Lohnpfändung? Diesen beiden Fragen will ich in der vorliegenden
Arbeit nachgehen.
Die Ökonomen haben die Problematik der Überschuldung privater Haushalte
bisher vor allem den Soziologen und den Juristen überlassen. Die Soziologie
beschäftigt sich intensiv mit der Seite der Schuldner [vgl. z.B. Rosendorfer
(1993) oder Böhm et al. (1997)]. Die Juristen, vor allem in den USA, diskutieren
ausführlich die verschiedensten rechtlichen Möglichkeiten der Schuldensanierung privater Haushalte im Rahmen des Betreibungsverfahrens [vgl. z.B. Jackson (1986) oder Baird (1993)]. Der Grund für die Vernachlässigung der
Verschuldung durch die Zunft der Ökonomen könnte sein, dass Verschuldung
strenggenommen nichts anderes als negative Ersparnis ist. Im Rahmen der intertemporalen Optimierung spart oder entspart ein Individuum, wenn seine Zeitpräferenzrate den Marktzinssatz unter- bzw. übersteigt. Das Sparen ist von den
Wirtschaftswissenschaftlern recht ausführlich behandelt worden [vgl. z.B.
Deaton (1992)]. Die Verschuldung dagegen kaum.
Es gibt aber einen grossen Unterschied zwischen Ersparnis und Verschuldung.
Ein Fehler in der Entscheidung kann bei Verschuldung weitaus gravierendere
1) Laut der Datenerhebung von Meier et al. (1999) wurden in der Schweiz 1996 rund
370‘000 Personen betrieben.
2
1 Einleitung
Folgen haben als bei Ersparnis. Wenn eine Person irgendwann in ihrem Leben
feststellt, dass sie zuviel gespart hat (z.B. weil das Einkommen höher als erwartet
ausgefallen ist), wird sie sich in diesem Augenblick möglicherweise über den in
der Vergangenheit entgangenen Nutzen ärgern. Dabei bleibt es aber auch. Der
Fehler ist relativ leicht zu revidieren, sei es durch Aufbrauchen des Vermögens,
durch Verschenken oder Vererben. Anders sieht dies aus wenn sich ein Individuum verschuldet und z.B. das Einkommen dann geringer als erwartet ausfällt.
Die Folge könnte die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung sein.1 Es kommt
zu einer Betreibung, eventuell zu einer Pfändung. Das Individuum hat nun einen
Eintrag in seinem Betreibungsregister. Dies kann sich durchaus negativ auf
zukünftige Kreditanträge, Gesuche um eine Wohnung oder auch eine Arbeitsstelle auswirken. Im Rahmen einer Pfändung muss die betroffene Person ihre
finanzielle Situation offenlegen. Es werden Vermögensbestandteile oder sogar
Teile des Einkommens gepfändet. Insgesamt bedeutet die Überschuldung und die
möglicherweise daraus folgende Betreibung mit einer Pfändung einen tiefen Einschnitt in das Leben der Betroffenen. Dementsprechend werden natürlich auch
die zukünftigen Entscheidungen, z.B. bezüglich des Arbeitsangebotes, stärker
tangiert, als dies bei „zu grosser“ Ersparnis der Fall ist. Auch für die Gläubiger
bedeutet die Existenz zahlungsunfähiger Schuldner unter Umständen eine hohe
Belastung. Vor allem kleinere Unternehmungen mit knapper Gewinnmarge können beim gleichzeitigem Auftreten mehrerer säumiger Schuldner selbst in Zahlungsschwierigkeiten kommen.
Das Thema „Gründe und Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
privater Haushalte“ sollte also auch für die Ökonomen von Interesse sein. Um zu
den, vor allem verbalen und manchmal empirischen, Werken der Soziologen und
Juristen eine Erweiterung zu bieten, will ich mit meiner Dissertation das Thema
in erster Linie wirtschaftstheoretisch angehen. Das Ziel dieser Arbeit ist es, einen
ersten Schritt in der ökonomischen Analyse der Überschuldung privater Haushalte zu machen.
1) In Abschnitt 1.1 von Teil II werden die beiden Begriffe Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung noch genauer definiert.
Teil I Einleitung und Einführung in das Thema
3
Ich bin von der häufig verwendeten Arbeitsweise, ein einfaches Modell zu
erstellen und dieses dann in jedem Kapitel ein wenig zu erweitern, abgewichen.
Der Grund hierfür liegt in der Komplexität des Themas. Was führt in die Verschuldung? Was sind die Folgen der Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung?
Dies sind zwei Fragen, die zweifelsohne zusammengehören. Es erscheint aber
nicht sinnvoll sie auch beide in einem einzigen ökonomischen Modell abzuhandeln. Dieses Modell müsste so vereinfacht werden, dass relevante Aussagen nur
noch auf sehr allgemeiner Ebene möglich wären. Die Zweiteilung erlaubt es, die
ex ante und die ex post Phase jeweils genau zu analysieren, um so einerseits die
unterschiedlichen Gründe für Überschuldung zu identifizieren und andererseits
das Verhalten eines Individuums während einer Lohnpfändung zu betrachten.
Ferner können einzelne Reformvorschläge für das Betreibungsrecht auf ihre Wirkung hin getestet werden.
Die vorliegende Dissertation unterteilt sich in vier Abschnitte. Der erste Teil
bildet zusammen mit dem vorliegenden Abschnitt die Einleitung in die Problematik der Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit privater Haushalte. Zuerst
werde ich kurz die rechtliche Abfolge einer Betreibung in der Schweiz vorstellen. Anschliessend werden die Ergebnisse einer Datenerhebung präsentiert, welche im Rahmen des Nationalfondsprojekts „Auf der Suche nach dem optimalen
Existenzminimum“1 auf 25 schweizerischen Betreibungsämtern durchgeführt
wurde. Während dieser Datenerhebung wurden 2‘705 Betreibungsakten analysiert und 187 Interviews mit Schuldnern durchgeführt.
Der zweite Teil beinhaltet die Analyse der Überschuldungsgründe. Eine entscheidende Rolle spielt vor allem das Einkommensrisiko und die daraus folgende
Wahrscheinlichkeit, durch einen exogenen Schock in die Überschuldung zu geraten. Diese Überschuldungswahrscheinlichkeit lässt sich durch das Ausmass der
Ersparnis beeinflussen. Es werden verschiedene, mehr oder weniger populäre,
Ansätze der ökonomischen Theorie vorgestellt, welche das Sparverhalten von
Individuen zu erklären versuchen. Jeder dieser Ansätze wäre es wert, in einer
eigenen Dissertation beschrieben zu werden. Die Anhänger und Kenner der
1) Vgl. Meier et al. (1999).
4
1 Einleitung
jeweiligen Modelle mögen es mir verzeihen, wenn ich nur jeweils die Grundlagen erläutere und versuche, den Einfluss auf das Sparverhalten der Individuen zu
analysieren. Eine tiefergehendere Analyse dieser Modelle würde den Rahmen
dieser Arbeit sprengen. Das Ziel dieses Teils ist es, über die in der soziologischen
Literatur genannten Überschuldungsgründe hinaus, eine wirtschaftstheoretische
Basis zu bieten, um dadurch die Entscheidungsfindung zur Prävention von Überschuldung seitens der Wirtschaftspolitik zu erleichtern.
Der dritte Teil ist den Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
gewidmet. Es wird angenommen, ein Individuum sei überschuldet und eine
Lohnpfändung sei bereits eingeleitet. Es wird analysiert, wie das Individuum mit
seinem Arbeitsangebot auf die Lohnpfändung reagiert. Ferner werden zwei
Reformvorschläge für das schweizerische Betreibungsrecht und ihre Effekte auf
das Arbeitsangebot der verschuldeten Personen untersucht. Dies ist zum einen
die Einführung eines variablen, einkommensabhängigen Existenzminimums und
zum anderen die Einführung einer Restschuldbefreiung. Im Vordergrund steht
dabei die Frage, wer die Gewinner und wer die Verlierer der möglichen Reformen sind. Das verwendete Modell ist ein dynamisches Kontrollmodell mit endlichem Zeithorizont. Die Ergebnisse werden mit Hilfe von Computersimulationen
errechnet.
Dieser dritte Teil stellt zum Teil Neuland dar. Wie bereits erwähnt, haben sich
die Ökonomen nicht sehr intensiv um das Thema Überschuldung gekümmert. In
besonderem Masse trifft dies auf die Durchführung einer Lohnpfändung und ihre
Anreizeffekte zu. Ich hoffe, ich kann mit dem von mir verwendeten Modell einen
Anstoss zur intensiveren Forschung auf diesem Gebiet liefern.
Der vierte Teil bildet den Abschluss der Arbeit. Es werden zuerst in zwei
Abschnitten kurz einige Aspekte beleuchtet, welche bei den Analysen der Teile II
und III der Einfachheit halber nicht berücksichtigt wurden. Letztendlich werden
die Schlussfolgerungen gezogen und Ideen für die Wirtschaftspolitik formuliert,
welche das Problem der Überschuldung sicher nicht beseitigen aber vielleicht
mildern können.
Teil I Einleitung und Einführung in das Thema
5
Die in dieser Arbeit vorgestellten Modelle bilden das Schweizer System des
Pfändungsvollzugs ab, können aber relativ einfach auch auf andere Rechtssysteme angewendet werden.
6
2 Die rechtliche Seite der Betreibung
2 Die rechtliche Seite der Betreibung
Der folgende Abschnitt dient einem Überblick über den Verlauf einer Betreibung
und deren Rechtsvoraussetzungen.1
Ein Gläubiger, der sich einem Schuldner gegenübersieht, welcher nicht bereit
ist, die Schuld zurückzubezahlen, hat die Möglichkeit, sich zur Durchsetzung seiner Forderung an ein Betreibungs- und Konkursamt zu wenden, um mit Hilfe des
Staates seine Forderung einzutreiben. Besteht die Schuld nicht in monetären
Werten, sondern z.B. einer Dienstleistung, ist der Weg über das Betreibungs- und
Konkursamt nicht möglich.
Der erste Schritt der Betreibung ist das Betreibungsbegehren (vgl. den Überblick in Abbildung I.1), welches der Gläubiger beim Betreibungsamt einreicht.
Der Gläubiger muss hierzu ein Formular ausfüllen, auf welchem der Schuldner,
der Gläubiger, die Forderungshöhe inkl. Zinsen und deren Grund angegeben
sind. Ferner muss der Gläubiger eine Vorauszahlung der Betreibungskosten leisten. Eine Überprüfung der Rechtmässigkeit der Forderung findet zu diesem
Zeitpunkt noch nicht statt. Aufgrund des Betreibungsbegehrens schickt ein
Betreibungsbeamte dem Schuldner einen Zahlungsbefehl zu, in welchem angedroht wird die Betreibung fortzusetzen, sofern die Zahlung nicht innerhalb von
20 Tagen erfolgt. Der Schuldner kann innerhalb dieser Frist entweder bezahlen
oder innerhalb von 10 Tagen einen Rechtsvorschlag erheben. Mit Hilfe des
Rechtsvorschlags erklärt der Schuldner, dass er mit dem Zahlungsbefehl nicht
einverstanden ist, da er den geforderten Betrag nicht oder zumindest nicht in der
angegebenen Höhe schulde. Der Rechtsvorschlag führt dazu, dass die Forderung,
wenn nötig, gerichtlich überprüft wird.
Bei der gerichtlichen Überprüfung legt der Gläubiger seine Beweismittel
bezüglich seiner Forderung offen. Je nach Beweislage wird der Richter entscheiden, ob er eine definitive oder provisorische Rechtsöffnung erteilt. Eine provisorische Rechtsöffnung heisst, dass der Rechtsvorschlag des Schuldners
1) Vgl. zum Betreibungs- und Konkursrecht u.a. auch Amonn (1997), Spühler et al. (1996)
sowie Spühler/Pfister (1997).
Teil I Einleitung und Einführung in das Thema
Abbildung I.1
7
Schema zur rechtlichen Abfolge einer Betreibung
Betreibungsbegehren
innerhalb von 20 Jahren
1 Tag
Zahlungsbefehl
Rechtsvorschlag
Bezahlung
20 Tage
Rechtskräftiger
Zahlungsbefehl
Fortsetzungsbegehren
Nichtanerkennung
bzw. Aberkennung
des Zahlungsbefehls
innerhalb von 6 Monaten
Pfändung
Keine Aktiven
Verlustschein
Lohnpfändung
Abwarten bis
Schuldner solvent
wird
1 Jahr
Arrestbegehren
möglich
ungenügend
Verlustschein
aus Pfändung
für ungedeckten Betrag
Erlös
Sachpfändung
1 Monat
bis 1 Jahr
Mobilien
6 Monate
bis 2 Jahre
Immobilien
Verwertungsbegehren
genügend:
Betreibungsverfahren erfolgreich
abgeschlossen
provisorisch beseitigt wird. Der Schuldner hat die Möglichkeit, mittels einer
Aberkennungsklage über den Gerichtsweg feststellen zu lassen, ob die Forderung
besteht oder nicht. Unterlässt er dies oder verliert er in diesem Prozess, wird die
8
2 Die rechtliche Seite der Betreibung
definitive Rechtsöffnung erteilt, und der Gläubiger kann durch ein Fortsetzungsbegehren die Fortsetzung der Betreibung einleiten.
Liegen von Seiten des Gläubigers keine Beweismittel für die Rechtmässigkeit
seiner Forderung vor, so muss er versuchen, im Rahmen eines Zivilprozesses
mittels einer Anerkennungsklage die definitive Rechtsöffnung zu erstreiten.
Das Fortsetzungsbegehren muss spätestens 1 Jahr nach Einleitung der Betreibung durch den Gläubiger gestellt werden, andernfalls erlischt der Zahlungsbefehl. Im Anschluss an das Fortsetzungsbegehren kann, sofern der Schuldner nach
wie vor nicht bereit oder nicht der Lage ist zu zahlen, eine Pfändung eingeleitet
werden. Die Pfändung wird vom Betreibungsbeamten dem Schuldner angekündigt. Sofern Vermögenswerte vorliegen, werden diese im Beisein des Schuldners
gepfändet, soweit dies zur Deckung der Schuld inkl. Zinsen und Betreibungskosten notwendig ist (Sachpfändung). Die Vermögensbestandteile welche als
unentbehrlich gelten, dürfen nicht gepfändet werden (die sog. Kompetenzstücke). Zu diesen Kompetenzstücken gehören z.B. Kleider, Geschirr und einige
Möbel. Im Anschluss an die Pfändung kann der Gläubiger innerhalb der bestehenden Fristen ein Verwertungsbegehren stellen, worauf die Vermögenswerte
öffentlich versteigert werden.1 Der Erlös fliesst dann dem Gläubiger zu.
Liegt kein pfändbares Vermögen vor, kann dem Schuldner ein Teil seines
Lohnes gepfändet werden (Lohnpfändung). Bei der Lohnpfändung wird der Teil
des Lohnes gepfändet, welcher das sog. betreibungsrechtliche Existenzminimum
übersteigt. Das betreibungsrechtliche Existenzminimum basiert auf Empfehlungen der Schweizerischen Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten und
soll das zum Leben notwendige Minimum gewährleisten.2
Liegen weder pfändbares Vermögen oder Lohn vor oder reichen die gepfändeten Beträge nicht zur vollständigen Deckung der Schulden, erhält der Gläubiger
1) Das Verwertungsbegehren für Mobilien kann frühestens 1 Monat nach der Pfändung beantragt werden und spätestens nach 1 Jahr. Für Immobilien beträgt diese Frist 6 Monate
bzw. 2 Jahre.
2) Die aktuellen Empfehlungen basieren auf einer Arbeit von Furrer und Hertig (1974). Das
Nationalfondsprojekt von Meier et al. (1999) hat unter anderem zur Aufgabe, eine
Grundlage für neue Empfehlungen zu erarbeiten.
Teil I Einleitung und Einführung in das Thema
9
einen Verlustschein. Der Verlustschein beendet vorläufig die Betreibung. Innerhalb von 6 Monaten kann der Gläubiger allerdings jederzeit durch ein Fortsetzungsbegehren eine neue Betreibung einleiten. Vermögen welches beim
Schuldner entdeckt wird, kann beschlagnahmt werden (in Arrest gelegt werden).
Für die geschuldete Forderung beginnt eine Verjährungsfrist von 20 Jahren zu
laufen. Zinsen kann der Gläubiger während einer Lohnpfändung und auch nach
Erhalt eines Verlustscheins nicht weiter berechnen.
Sieht ein Schuldner keine Möglichkeit, die an ihn gestellten Forderungen zu
begleichen, so kann er eine Insolvenzerklärung abgeben. Mit der Insolvenzerklärung erklärt sich der Schuldner gegenüber einem Konkursrichter für zahlungsunfähig. Bevor dem Antrag stattgegeben wird, muss jedoch ein Versuch zur
Schuldenbereinigung unternommen werden.1 Bei der Schuldenbereinigung prüfen ein Sachwalter, der Schuldner sowie die Gläubiger nach Möglichkeiten, die
Schulden mit Hilfe von Zahlungserleichterungen oder -aufschüben zu bereinigen. Ist diese Möglichkeit nicht gegeben, wird der Konkurs über den Schuldner
eröffnet. Der Vorteil für den Schuldner liegt darin, dass alle laufenden Betreibungen und Pfändungen beendet werden. So wird zum Beispiel auch eine Lohnpfändung gestoppt und der Schuldner kann wieder über seinen vollen Lohn verfügen.
Kommt der Schuldner wieder zu neuem Vermögen, so können die Gläubiger wieder Betreibungen einleiten. Eine Restschuldbefreiung, wie sie in den USA, England oder auch Deutschland (seit 1. Januar 1999) existiert, kennt das
schweizerische Recht nicht.
1) Dieser Zwischenschritt ist erst seit dem 1. Januar 1997 notwendig.
10
3 Betreibung und Pfändung in der Schweiz - Ergebnisse einer Datenerhebung
3 Betreibung und Pfändung in der Schweiz - Ergebnisse einer
Datenerhebung
Im vorliegenden Abschnitt soll die Situation betriebener Personen in der Schweiz
anhand der Daten einer 1997 durchgeführten Datenerhebung vorgestellt werden.1
Im Rahmen des Nationalfondsprojekts „Auf der Suche nach dem optimalen
Existenzminimum“ erfolgte eine Datenerhebung auf schweizerischen Betreibungsämtern. Es sind insgesamt 25 Betreibungsämter in 15 Kantonen berücksichtigt worden (vgl. Tabelle A.1 im Anhang). In jedem dieser Ämter wurden
zwei parallele Untersuchungen vorgenommen: Zum einen Interviews mit
Schuldnern und zum anderen eine Aktenanalyse. Die Untersuchungen haben Studierende der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich durchgeführt. Die beiden verwendeten Fragebögen sind im Anhang abgedruckt.
Ziel dieser Datenerhebung war a) das Verhalten der Schuldner genauer zu
durchleuchten, um mit Hilfe dieser Daten Reformvorschläge für das Betreibungs- und Konkursrecht machen zu können und b) eine stichprobenartige
Bestandsaufnahme der Betreibungen in der Schweiz durchzuführen, da die offiziellen Statistiken allerhand Ungenauigkeiten enthalten.
Bei der Aktenanalyse sind pro Amt rund 100 Personen aus den Akten bzw.
der EDV nach dem Zufallsprinzip herausgesucht worden. Von diesen Schuldnern
wurden dann die folgenden Daten erhoben: Geschlecht, Alter, Nationalität, Gläubiger, erledigte und laufende Betreibungen sowie das gewährte Existenzminimum (falls eine Lohnpfändung vorlag).2 Insgesamt haben die Studierenden
Daten von 2’705 Personen gesammelt.
Die Interviews dienten dazu, die amtlichen Angaben mit sozioökonomischen
Daten zu ergänzen. Sie fanden anlässlich der Einvernahme auf dem Betreibungsamt oder in der Wohnung des Schuldners statt. In der Regel erklärte sich mehr als
die Hälfte der Befragten zur Mitarbeit bereit. Bei einzelnen Fragen (insbesondere
1) Für eine ausführlichere Darstellung der Ergebnisse der Datenerhebung vgl. Meier et al.
(1999), Kap. II.3.
2) Bei vielen Ämtern sind Angaben zur Person wie Alter und Nationalität leider oft nur unvollständig oder gar nicht erfasst.
Teil I Einleitung und Einführung in das Thema
11
zum Einkommen) zogen es dann allerdings manche vor nicht zu antworten. Da
vielfach unsicher war, ob denn ein Schuldner überhaupt zur Einvernahme auf
dem Betreibungsamt erscheinen oder in seiner Wohnung anzutreffen sein würde,
blieb die Zahl der Interviews mit 187 eher gering. Bei einigen Einsätzen konnte
leider gar kein oder nur ein einziger Schuldner interviewt werden.
3.1 Soziodemographische Zusammensetzung der Stichprobe
In Tabelle I.1 ist die soziodemographische Zusammensetzung der gesamten
Stichprobe wiedergegeben. Zwei Drittel der von Betreibung betroffenen Personen sind Männer. Die grösste Altersgruppe stellen in beiden Untersuchungen die
Dreissig- bis Vierzigjährigen mit einem Anteil von über 30%. Die Personen mit
Schweizer Nationalität nehmen mit 60% bzw. 70% einen weitaus geringeren
Anteil ein, als es von ihrem Bevölkerungsanteil von rund 80% an der Gesamtbevölkerung zu erwarten wäre.1 Der hohe Ausländeranteil innerhalb der betriebenen Personen sollte nicht von vornherein als Ausfluss einer schlechteren
Zahlungsmoral interpretiert werden, sondern ist wohl vor allem auch auf die im
Schnitt finanziell schlechtere Situation der Personen ausländischer Herkunft
zurückzuführen. Dies lässt sich aus dem Umstand erklären, dass die ausländischen Mitbürger überdurchschnittlich häufig unter den finanzschwachen Haushalten zu finden sind. Die Armutsquote innerhalb der ausländischen Bevölkerung
beträgt 13%, während sie innerhalb der Bevölkerungsgruppe mit Schweizer
Nationalität 9% beträgt.2 Die soziologische Zusammensetzung entspricht recht
gut den Daten, welche von den sechs kantonalen Fachstellen für Schuldenfragen
bezüglich der Zusammensetzung ihrer Klientel zusammengetragen wurden.3
1) Vgl. Bundesamt für Statistik (1998).
2) Die verwendete Armutsgrenze beträgt 1’285 Fr./Monat für einen Einpersonenhaushalt,
vgl. Leu et al. (1997).
3) Gespräch mit Frau Haber von der Zürcher Fachstelle für Schuldenfragen sowie Artikel
in der Neue Zürcher Zeitung „Wer verschuldet sich“ vom 31.03.1998.
12
3 Betreibung und Pfändung in der Schweiz - Ergebnisse einer Datenerhebung
Tabelle I.1
Soziodemographische Zusammensetzung der
Stichprobe -- Aktenanalyse und Interviews
Geschlecht
Frauen
Männer
Summe I
Keine Information
Summe II
Alter
Aktenanalyse
Interviews
855
(32%)
54
(29%)
1’813
(68%)
132
(71%)
2’668
(100%)
186 (100%)
37
1
2’705
187
Aktenanalyse
Interviews
unter 25
156
(11%)
17
(9%)
26 - 30
207
(15%)
27
(14%)
31 - 40
437
(31%)
66
(35%)
41 - 50
323
(23%)
52
(28%)
51 - 60
> 60
202
(14%)
18
(10%)
95
(7%)
7
(4%)
Summe I
1’420
(100%)
Keine Information
1’285
Summe II
2’705
Nationalität
187 (100%)
187
Aktenanalyse
Interviews
725
(60%)
132
(70%)
36
(3%)
2
(1%)
9
(1%)
2
(1%)
101
(8%)
9
(5%)
ehem. Jugoslawien
98
(8%)
17
(9%)
Türkei
52
(4%)
3
(2%)
übriges Europa
80
(7%)
13
(7%)
100
(8%)
9
(5%)
Summe I
1’201
(100%)
Keine Information
1’504
Summe II
2’705
Schweiz
Deutschland
Frankreich
Italien
Alle anderen
187 (100%)
187
Teil I Einleitung und Einführung in das Thema
13
3.2 Die Lebenssituation der von Betreibung betroffenen Personen
Im folgenden Abschnitt werden die Ergebnisse der Interviews und der Aktenanalyse hinsichtlich der persönlichen Lebensumstände der von Überschuldung bzw.
Betreibung betroffenen Personen wiedergegeben.
3.2.1 Zivilstand, Wohnung, Bildung und Beruf der Betroffenen
Ein Grossteil der interviewten Personen war zur Zeit der Datenerhebung im Jahr
1997 alleinstehend. 32% der Befragten waren ledig und weitere 34% geschieden
oder getrennt von ihrem Partner. Das heisst, inkl. der verwitweten waren 69%
der befragten Personen nicht verheiratet. Gegenüber der Situation im Jahr 1992
sind zusätzlich 27 Personen (rund 15%) geschieden oder haben sich von ihrem
Partner getrennt. Scheidung bzw. Trennung vom Ehepartner scheint ein häufiger
ein Grund für Überschuldung zu sein (vgl. dazu auch später Tabelle I.8 in
Abschnitt 3.4) und die Schätzungen in Abschnitt 8 von Teil II). Auf die Frage
wieviele Personen im Haushalt wohnen, antworteten 112 Befragte (60%), dass
sie alleine wohnen würden, 34% sagten aus sie wohnten zu zweit, weitere 5%
wohnen zu dritt und nur zwei Personen wohnen in einem 4-Personen-Haushalt.
Wie aus Tabelle I.2 ersichtlich, zeigt sich die Situation bei der Aktenanalyse
nicht viel anders.
Die Schulbildung der Befragten konzentriert sich auf den Abschluss der Oberschule und Gewerbeschule (vgl. Tabelle I.3). Nur fünf Personen gaben an, die
Matura gemacht zu haben, und weitere fünf haben eine Hochschule besucht.
Immerhin 21 Personen gaben dagegen an, nur die Primarschule besucht zu
haben. Im Grossen und Ganzen ist das Bildungsniveau der Verschuldeten im Vergleich mit dem Durchschnitt der Gesamtbevölkerung eher unterdurchschnittlich.
Die meisten können aber immerhin eine abgeschlossene Ausbildung vorweisen.
In Tabelle I.4 sind die Berufe angegeben, welche die interviewten Schuldner
ausüben. Den grössten Anteil bilden die Arbeitslosen mit 29%. Einen Job als
ungelernter Arbeiter oder Bürogehilfe haben 12% der Befragten, und weitere 8%
kommen mit Gelegenheitsjobs über die Runden. Es ist offensichtlich, dass vor
14
3 Betreibung und Pfändung in der Schweiz - Ergebnisse einer Datenerhebung
Tabelle I.2
Haushalts
grösse
Haushaltsgrösse -- Aktenanalyse
1
Person
2
Personen
3
Personen
4
Personen
5
Personen
6
Personen
Wohngemeinschaft
Anzahl
145
74
43
32
9
1
17
Prozentanteila
45%
23%
13%
10%
3%
0.3%
5%
a. Anteil an vorhandenen Angaben (bei 2’384 Akten waren keine Angaben über die
Haushaltsgrösse vorhanden).
Tabelle I.3
Bildungsniveau der Schuldner und ihrer Partner
Schnitt
Schweiza
Zuletzt abgeschlossene
Schule/Ausbildung
Schuldner
Partner
Obligatorische Schule
80 (44%)
26 (37%)
20%
Sekundarstufe II
82 (46%)
38 (54%)
58%
Tertiärstufe
18 (10%)
6 (9%)
22%
Keine Schule
3 (2%)
1 (1%)
Summe I
183
(100%)
71
(100%)
4
116
187
187
Keine Antwort/Kein Partner
Summe II
a. Alle 25 - 64jährigen gemäss Bundesamt für Statistik, Sektion Bildung und
Wissenschaft, Stand 1996.
allem Arbeitslose und minder qualifizierte Personen mit dem Problem der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung zu kämpfen haben. Aufgrund ihres geringen Einkommens haben sie in der Regel keine Reserve, um unerwarteten
Ausgaben zu begegnen. Vergleicht man die aktuelle Situation mit derjenigen vor
fünf Jahren, so spiegelt sich der konjunkturelle Einbruch der Schweizer Wirtschaft deutlich wider. Während 1992 nur fünf der Interviewten arbeitslos waren,
waren es 1997 bereits 54. Nur ein Befragter der fünf Jahre zuvor arbeitslos war,
hatte zur Zeit der Datenerhebung eine Arbeitsstelle. Die anderen vier waren
Teil I Einleitung und Einführung in das Thema
Tabelle I.4
15
Berufe der Schuldner und ihrer Partner
Berufskategorie
Schuldner
Partner
Pensioniert/Bezüger einer vollen
IV-Rente
5 (3%)
4 (5%)
Student, Schüler, Lehrling
1 (1%)
0 (0%)
Hausfrau/mann
8 (4%)
21 (26%)
Ungelernter Arbeiter, Bürogehilfe
35 (19%)
17 (21%)
Arbeiter (mit Lehrabschluss),
Vorarbeiter
23 (12%)
11 (14%)
Selbst. Kleingewerbetreibender,
Handwerker
21 (11%)
3 (4%)
0 (0%)
1 (1%)
18 (10%)
7 (9%)
Beamter, Angestellter in leitender
Stellung
1 (1%)
0 (0%)
Arzt, Anwalt usw.
5 (3%)
1 (1%)
Direktor, Unternehmensleiter,
Chefbeamter
0 (0%)
1 (1%)
15 (8%)
3 (4%)
54 (29%)
12 (15%)
186 (100%)
81 (100%)
1
106
187
187
Lehrer
Beamter, Angestellter
Gelegenheitsarbeiten
Arbeitslos
Summe I
Keine Aussage/Kein Partner
Summe II
immer noch oder wieder ohne Arbeit. Von neun Personen wurden Gelegenheitsarbeiten als die Einnahmequelle des Jahres 1992 angegeben. Im Jahr 1997 waren
es bereits 15 Befragte, die ihren Lebensunterhalt mit Gelegenheitsjobs bestreiten
mussten. Von den 9 Personen die 1992 Gelegenheitsjobs inne hatten, sind 2 bis
16
3 Betreibung und Pfändung in der Schweiz - Ergebnisse einer Datenerhebung
1997 in die Arbeitslosigkeit abgerutscht, einer hat sich selbständig gemacht, und
der Rest ist bei den Gelegenheitsjobs geblieben.
Die Wohnsituation der Schuldner liess sich nur im Rahmen der Interviews
beantworten. Die meisten der befragten Personen wohnen in einer Mietwohnung
(79%), weitere 10% leben zur Untermiete und 6% wohnen bei Verwandten oder
Bekannten.
3.2.2 Die Einkommen der interviewten Personen
Mit einem durchschnittlichen Haushaltseinkommen (verfügbares Einkommen
aller Familienmitglieder inkl. aller Sozialbezüge) von Fr. 3’9741 pro Monat (vgl.
Tabelle I.5) liegen die betroffenen Personen deutlich unter dem Schweizer
Durchschnitt von Fr. 7’587 pro Monat [vgl. Bundesamt für Statistik (1992)]. In
Abbildung I.2 ist die Einkommensverteilung der interviewten Schuldner mittels
eines Histogramms grafisch dargestellt (nur Einkommen grösser Null wurden
berücksichtigt).
In Tabelle I.5 sind die Mittelwerte der monatlichen Einkommen der interviewten Personen für die Jahre 1992 bis 1997 sowie ihre Einkommenserwartungen für 1998 und 1999 angegeben. Es ist recht deutlich zu sehen, dass die
durchschnittlichen Einkommen der Verschuldeten, und auch die ihrer eventuell
vorhandenen Partner, von 1992 bis 1997 (dem Jahr der Datenerhebung) stetig
abgenommen haben. Für 1998 und 1999 wird allerdings im Schnitt wieder eine
Steigerung des Einkommens erwartet.
1) Berücksichtigt wurden nur Antworten die ein Einkommen grösser Null angaben. Werden
auch die "Nulleinkommen" berücksichtigt (Anteil 18%) verringert sich das durchschnittliche Haushaltseinkommen auf Fr. 3’612 pro Monat.
Teil I Einleitung und Einführung in das Thema
Abbildung I.2
17
Histogramm der Einkommensverteilung der Schuldner, 1997
Histogram
Häufigkeit
40
30
Frequency
20
10
Std. Dev = 2486.33
Mean = 3973.7
N = 170.00
0
0
0.
00
16 0.0
00
15 0.0
00
14 0.0
00
13 .0
0
00
12 0.0
00
11 0.0
00
10 0
.
00
90 .0
00
80 .0
00
70 .0
00
60 0
.
00
50 .0
00
40 .0
00
30 0
.
00
20 .0
00
10
0
0.
WAGE
monatliches Einkommen
Etwas mehr als ein Viertel der Befragten (52 Personen) gab an, Sozialleistungen zu beziehen (vgl. Tabelle I.6). Wie sich bereits anhand des grossen Anteils
von Arbeitslosen vermuten lässt, nimmt die Arbeitslosenentschädigung mit 40%
den Hauptanteil ein. An zweiter Stelle stehen Bezüge von der Fürsorge. Die
durchschnittliche Höhe der Sozialleistungen wurde mit Fr. 2’043 angegeben,
wobei die Bandbreite von Fr. 150 bis Fr. 5’300 reicht. 1992 bezogen nur 19 Personen Sozialleistungen, 10 von ihnen erhielten Zahlungen von der Fürsorge. Die
durchschnittliche Bezugshöhe der Sozialleistungen betrug Fr. 1‘851. Vier Fürsorgeempfänger von 1992 bezogen auch noch (bzw. wieder) 1997 Sozialhilfe.
3.2.3 Das Ausmass der Verschuldung
Die durchschnittliche Verschuldung1 der interviewten Personen liegt bei Fr.
54’645. Da der Mittelwert durch einige sehr hohe Ausreisser verzerrt ist,
erscheint es sinnvoll, auch noch einige Lageparameter zu betrachten. Das 25er
1) Der Ausdruck Verschuldung bezieht sich auf die Summe aller Schulden, nicht nur der
Schulden, welche bereits in einem Betreibungsverfahren hängig sind.
18
3 Betreibung und Pfändung in der Schweiz - Ergebnisse einer Datenerhebung
Tabelle I.5
Monatliches Einkommen der Befragtena
Mittelwert
(Franken)
Jahr
Median
(Franken)
Modus
(Franken)
Keine
Aussage
(Personen)
Einkommen = 0b
(Personen)
1992
3’804
3’500
3’500
54
15
1993
3’569
3’500
3’500
39
12
1994
3’468
3’500
3’500
31
19
1995
3’403
3’500
3’500
27
25
1997c
2’862
2’800
3’000
12
35
1998d
3’375
3’400
3’800
66
21
1999d
3’607
3’674
4’000
123
6
Partner 1992
3’066
3’000
3’500
139
5
Partner 1997c
2’804
2’700
3’500
135
4
Haushalt 1992e
3’942
3’550
3’500
22
1
Haushalt 1997e,d
3’974
3’500
3’000
17
0
a. Nur Einkommen grösser Null wurden berücksichtigt.
b. Anzahl der Personen, die angaben, über keinerlei Einkommen zu verfügen.
c. Zeitpunkt der Datenerhebung.
d. Die Frage lautete: Welches Einkommen erwarten sie in 1 bzw. 2 Jahren?
e. Einkommen Befragter plus Einkommen Partner.
Quartil beträgt Fr. 6‘000, der Median der Schuld liegt bei Fr. 15’000 und das 75er
Quartil bei Fr. 35‘000. Es ist also eine sehr starke Linkssteilheit zu beobachten.
Wie in Abbildung I.3 zu sehen ist, haben die Personen mit höherem Einkommen
nicht auch die höheren Schulden. Die Schuldenhöhe scheint unabhängig von der
Einkommenshöhe zu sein. Das durchschnittliche Verhältnis von Schulden zu
Einkommen beträgt 1.9.1
1) Diese Werte liegen unter denen einer amerikanischen Studie von Sullivan et al., bei der
Haushalte betrachtet wurden, welche Bankrott nach chapter 7 bzw. chapter 13 anmeldeten (zu einer kurzen Erläuterung der beiden Konkursverfahren vgl. Teil III, Abschnitt 5.2
auf 232). Deren Mittelwerte des Schuld/Einkommen-Verhältnisses betragen 3.56 (chapter 7) bzw. 2.33 (chapter 13) [vgl. Sullivan et al. (1989), 238ff].
Teil I Einleitung und Einführung in das Thema
Abbildung I.3
19
Beziehung zwischen Haushaltseinkommen und Schulden
2500000
2000000
1500000
Schuld
SCHULD
1000000
500000
0
0
WAGE
Tabelle I.6
5000
10000
15000
20000
Haushaltseinkommen
Bezüge von Sozialleistungen der interviewten
Schuldner 1997
Quelle
Anzahl
Anteil an
Bezügern
Anteil an allen
Befragten
AHV
3
6%
2%
EL
2
4%
1%
IV
5
10%
3%
SUVA
2
4%
1%
ALV
19
40%
10%
Fürsorge
21
37%
11%
Summe
52
100%
28%
Bei der Aktenanalyse ist die Schuldenhöhe nur grob anhand der laufenden
Betreibungen abschätzbar. Der Mittelwert beträgt Fr. 78‘589. Auch hier sind
allerdings einige sehr hohe Ausreisser dabei, so dass wiederum die Betrachtung
20
3 Betreibung und Pfändung in der Schweiz - Ergebnisse einer Datenerhebung
weiterer Lageparameter sinnvoll erscheint. Das 25er Quartil liegt bei Fr. 855, der
Median bei Fr. 4‘000 und das 75er Quartil bei Fr. 16‘254. Da bei diesen Zahlen
allerdings nur die in Betreibung gesetzten Schulden erfasst werden konnten, wird
die Gesamtschuldenlast der einzelnen betroffenen Personen eher unter- als überschätzt.
3.3 Der Vollzug der Betreibung
Vermögenspfändungen erfolgen nur noch selten. In insgesamt 32 Fällen der 187
interviewten Schuldner wurde vor Ort nach pfändbaren Vermögensbestandteilen
gesucht. Es wurden Kompetenzstücke mit einem Durchschnittswert in Höhe von
Fr. 1’621 belassen. Bei neun Personen konnte schliesslich eine Vermögenspfändung durchgeführt werden, mit einem geschätzten Durchschnittswert der Aktiva
von Fr. 3’295.
Wenn eine Pfändung vollzogen wird, so läuft es heute meistens auf eine
Lohnpfändung hinaus. In diesem Fall wird einem Schuldner ein Existenzminimum zugestanden und der Teil des Einkommens gepfändet, der über diesem
Minimum liegt.1 In Tabelle I.7 sind die Durchschnittswerte der gewährten Existenzminima für Einzelpersonen ohne Unterhaltspflichten angegeben. Die Einzelpersonen
ohne
Unterhaltspflichten
sind
untereinander
am
ehesten
vergleichbar. Die Unterschiede bei der Berechnung der Existenzminima sind
erheblich. Den grössten Spielraum besitzen die Beamten bei der Gewährung von
Zuschlägen für Berufs- oder sonstige notwendige Ausgaben. Im Durchschnitt
wurde ein Existenzminimum in Höhe von Fr. 1’997 gewährt. Der niedrigste
zugestandene Wert betrug Fr. 455 bei der Aktenanalyse und Fr. 505 bei den Interviews. Der höchste Wert betrug bei der Aktenanalyse Fr. 4’055 und bei den Interviews Fr. 4‘259, was vor allem auf die hohen Wohnungskosten der betroffenen
Person zurückzuführen war.
1) Vgl. dazu auch Abschnitt 2 in diesem Teil.
Teil I Einleitung und Einführung in das Thema
Tabelle I.7
21
Gewährtes Existenzminimum, Einpersonenhaushalt a
Aktenanalyse
Mittelwert
(Fr.)
(Standardabweichung)
Minimum;
Maximum
(Fr.)
Interviews
Anzahl
Personen
Mittelwert
(Fr.)
(Standardabweichung)
Minimum;
Maximum
(Fr.)
Anzahl
Personen
Grundbetrag
975
(114)
455; 1’065
223
1’006
(88)
505; 1’065
54
Wohnungskosten
788
(311)
200; 1830
201
903
(492)
300; 2’924
46
Energie
82
(82)
25; 523
39
60
(30)
20; 125
13
Sozialbeiträge
181
(65)
20; 500
147
190
(70)
59; 458
37
Berufskosten
151
(118)
25; 550
107
241
(346)
48; 1’227
20
274
(160)
49; 500
2
-
-
0
Verschiedenes
200
(160)
30; 900
117
156
(137)
40; 560
28
Summe
1’997
(541)
460; 4’055
223
2’129
(701)
505; 4’259
54
Zahlungen für
Kompetenzstücke
a. Werte in Franken und jeweils auf die Anzahl der Betroffenen berechnet.
3.4 Persönliche Aussagen der interviewten Personen
Als Hauptgrund für die derzeitige finanzielle Situation wurde von den Schuldnern in 28% der Fälle Arbeitslosigkeit benannt (vgl. Tabelle I.8).1 Scheidung ist
in 13% der Gründe genannt worden. Eine missglückte Geschäftsgründung wurde
in 10% der Fälle genannt und ebenfalls in 10% der Nennungen wurde zugegeben, im Umgang mit Finanzgeschäften unerfahren zu sein. Schliesslich besteht in
rund 5% der Nennungen der Grund für die Überschuldung in Alkohol-, Drogenoder Spielsucht.
1) Bei dieser Frage waren Mehrfachnennungen möglich.
22
3 Betreibung und Pfändung in der Schweiz - Ergebnisse einer Datenerhebung
Tabelle I.8
Gründe für die eigene Situation
Grund
Anzahla
Missglückte
Geschäftsgründung
22
(10%)
Scheidung
30
(13%)
Krankheit
20
(9%)
Arbeitslosigkeit
64
(28%)
Tod in der
Verwandschaft
3
(1%)
Bürgschaft
4
(2%)
Diebstahl, Betrug
4
(2%)
Unerfahrenheit in
Finanzgeschäften
23
(10%)
Sucht
12
(5%)
Sonstige
43
(19%)
225
(100%)
Insgesamt
a. 6 Personen gaben keine Auskunft.
Ein deprimierendes Ergebnis ist zweifelsohne, dass 16% der Befragten erwarten, nie wieder schuldenfrei zu sein (vgl. Tabelle I.9). Weitere 5% erwarten, dass
sie mehr als 10 Jahre bräuchten, um schuldenfrei zu werden. Es steht wohl ausser
Frage, dass diese Erwartungen einen erheblichen Einfluss auf die Arbeitsanreize
haben können.1 Auf der anderen Seite bemerkten immerhin 14% sie würden die
Schuldenfreiheit in weniger als einem Jahr erreichen.
In Abschnitt 4 von Teil II wird später im Rahmen der ökonomischen Theorie
eine hohe Zeitpräferenzrate als ein Grund für Verschuldung und somit auch für
Überschuldung angegeben werden. Die Zeitpräferenzrate gibt an, wie stark ein
1) Die Gründe, welche dazu führen könnten, dass solch pessimistische Erwartungen geäussert werden, werden in Abschnitt 6.2 von Teil III empirisch überprüft.
Teil I Einleitung und Einführung in das Thema
Tabelle I.9
23
Erwartung der Schuldenfreiheit nach
wievielen Jahren?
weniger als 1
Jahr
16
(14%)
1-2
31
(27%)
2-5
24
(21%)
5 - 10
20
(17%)
10 - 20
5
(4%)
> 20
1
(1%)
nie
19
(16%)
116
(100%)
Summe I
Keine Aussage
Summe II
71
187
Individuum Gegenwartskonsum gegenüber Zukunftskonsum vorzieht. Auf die
Frage, ob sie denn einen gewonnenen Betrag von Fr. 10’000 lieber bei der Bank
anlegen würden und wenn ja zu welchem Zinssatz, oder ob sie lieber das Geld
sofort hätten (sog. Gegenwartspräferenz), antworteten 76% der interviewten Personen, sie hätten das Geld lieber sofort. Diese Aussage ist allerdings, angesichts
der Verschuldung der Befragten, nicht weiter erstaunlich und von daher auch
nicht als hohe Gegenwartspräferenz und somit möglicherweise als ein Verschuldungsgrund interpretierbar. Eine hypothetische Frage, wie sie sich denn entscheiden würden, falls sie nicht verschuldet wären, erschien andererseits nicht sehr
sinnvoll.
3.5 Die Gläubiger
In Tabelle I.10 ist die Gläubigerstruktur der Stichprobe abgebildet. Falls eine Person mehrere Gläubiger aufwies, wurden die drei wichtigsten Gläubiger registriert.1 Es ist auffallend, dass die Steuerämter und die Versicherungen mit
24
3 Betreibung und Pfändung in der Schweiz - Ergebnisse einer Datenerhebung
Anteilen von 23% bzw. 21% die mit Abstand am häufigsten auftretenden Gläubiger darstellen. Im Falle der Versicherungen war es im Rahmen der Aktenanalyse leider nicht möglich, exakt nach den Sparten zu unterscheiden. Den grössten
Anteil weisen aber auf jeden Fall die Krankenkassen auf. Gläubiger wie das
Bankgewerbe inkl. der Treuhänder weisen einen geringeren Anteil auf als man
hätte vermuten können (12%). Auch die Swisscom ist mit einem Anteil von nur
1% nur marginal vertreten. Ein Grund hierfür sind sicherlich die besseren Sanktionsmöglichkeiten z.B. der Swisscom bei Nichtzahlung. Einer Person, welche die
Telephonrechnung nicht bezahlt, wird sehr schnell das Telephon gesperrt, was
eine sehr spürbare Sanktion darstellt. Die Krankenkassen dagegen müssen aufgrund des Obligatoriums Verträge eingehen und haben kaum Sanktionsmöglichkeiten bei Nichtzahlung der Prämien, ausser der Verweigerung der
Kostenerstattung. Dies wiederum führt dann nur dazu, dass nach einer Behandlung möglicherweise der Arzt nicht bezahlt wird; entsprechend nehmen die
Anbieter medizinischer Versorgung einen Anteil von 6% an den registrierten
Gläubigern ein. Die Steuerämter haben ebenfalls keinerlei Sanktionsmöglichkeiten. Sie können nur eine Betreibung einleiten und darauf hoffen, so ihre Forderungen durchzusetzen.
Resultat I.1
Gemäss der Datenerhebung auf einer Reihe von schweizerischen Betreibungs- und Konkursämtern ist der durchschnittliche Schuldner männlich, 40 Jahre alt und wohnt alleine.
Sein Einkommen liegt deutlich unter dem Schweizer Durchschnitt. Die Schulden übersteigen sein Jahreseinkommen um
das doppelte. Der Grund für seine Überschuldung ist
Arbeitslosigkeit. Die Hauptgläubiger sind das Steueramt,
gefolgt von Versicherungen und den Banken.
1) Die Wichtigkeit eines Gläubigers richtete sich in diesem Fall nach Höhe der Forderungen
und nach der Häufigkeit seines Auftretens bei einem Schuldner.
Teil I Einleitung und Einführung in das Thema
Tabelle I.10
25
Gläubigerstruktura
Aktenanalyse
Interviews
1049
(23%)
115
(32%)
Soziale und private
Versicherungen
976
(21%)
58b
(16%)
Bankgewerbe und Treuhänder
534
(12%)
60
(17%)
Versand und Handel
402
(9%)
24
(7%)
Sonst. öffentliche Stellen,
Gerichtskosten und Bussen
372
(8%)
22
(6%)
Medizinische Versorgung
164
(6%)
21
(6%)
46
(1%)
6
(2%)
931
(21%)
50
(14%)
4574
(100%)
356
(100%)
Steuerämter
Swisscom
Sonstige
Insgesamt (Anzahl Nennungen)
a. Bei dieser Frage waren Mehrfachnennungen möglich.
b. Davon sind 41 Sozialversicherungen.
Die Aktenanalyse und die Interviews erfassen unterschiedliche Typen von
Betroffenen. Im Gegensatz zu der Aktenanalyse, die aufgrund der zufälligen
Auswahl einen repräsentativen Schnitt durch die von Betreibung betroffenen Personen darstellt, erfolgten die Interviews mit Menschen, die bereits sehr tief in der
Verschuldung waren. Diejenigen, die betrieben werden, weil sie vergessen haben
eine Rechnung zu bezahlen oder grundsätzlich spät bezahlen, haben in der Regel
keinen persönlichen Kontakt mit dem Amt. Es kam daher mit diesen Personen
nicht zu einem Interview. Dazu kommt, dass Personen die zum ersten Mal in eine
Pfändung involviert sind, sich ihrer Situation schämen und somit eher zu der
Gruppe gehören, die nicht bereit war, an einem Interview teilzunehmen. Bei den
Interviews hatte man es vor allem mit Menschen zu tun, bei denen die Verschuldung bereits ein schweres Problem darstellt.
26
4 Literatur zu Teil I
4 Literatur zu Teil I
Amonn, K. (1997), Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrecht, 6.
Auflage, Bern.
Baird, D. G. (1993), The elements of bankruptcy, The Foundation Press, New
York.
Bundesamt für Statistik (1992), Verbrauchserhebung 1990: Ausgaben und
Einnahmen der privaten Haushalte, Bern.
Bundesamt für Statistik (1998), Statistisches Jahrbuch 1998, Verlag Neue
Zürcher Zeitung, Zürich.
Böhm, R., Hagen, J. J. und Bachinger C. (1997) [Hrsg.], Verschuldet, Verlag Peter
Lang, Frankfurt a. M.
Deaton, A. (1992), Understanding consumption, Oxford University Press, New
York.
Favre, A. (1989), Praktischer Ratgeber für das Schuldbetreibungs- und
Konkursrecht mit Verzeichnis der schweizerischen Betreibungs- und
Konkursämter, Echallens.
Furrer, M. B. und Hertig, H. (1974), Das Existenzminimum bei der
Lohnpfändung: Aktuelle juristische Probleme und Vorschlag einer
Neufestsetzung, unveröffentlichte Lizentiatsarbeit an der Rechts- und
Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bern, eingereicht bei
Prof. Schweingruber.
Jackson, T. H. (1986), The logic and limits of bankruptcy law, Harvard University
Press, Cambridge MA.
Leu, R. E., Burri, S. und Priester, T. (1997), Lebensqualität und Armut in der
Schweiz, Verlag Paul Haupt, Bern.
Meier, I., Zweifel, P., Zaborowski, C. und Jent-Sörensen, I. (erscheint Sept. 1999),
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Teil I Einleitung und Einführung in das Thema
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Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
29
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit
und Überschuldung
Nach dem Überblick über das Ausmass der Überschuldung privater Haushalte
und deren Situation in der Schweiz drängt sich die Frage auf: Was sind die
Gründe der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung? Unglücksfälle, Fahrlässigkeit seitens der Betroffenen oder wird die finanzielle Krise bewusst in Kauf
genommen?
Im zweiten Teil der Arbeit soll nach den Gründen für Überschuldung gesucht
werden. Der erste Abschnitt bringt einige Definitionen und erläutert meine Vorgehensweise. Im zweiten Abschnitt werde ich die Grundzüge der intertemporalen
Optimierung sowie der Optimierung unter Risiko erläutern. Vor allem das Konzept der intertemporalen Optimierung ist bei der Analyse von Verschuldung und
Überschuldung von zentraler Bedeutung. Im dritten Abschnitt soll die folgende
Frage geklärt werden: Wie reagiert ein Individuum auf Einkommensrisiko und
wie beeinflusst dieses Risiko die Wahrscheinlichkeit, in die Überschuldung zu
geraten? Es wird vor allem die Rolle der Ersparnis bzw. des Vermögens, als eine
Art Versicherung gegen Überschuldung betrachtet. Der vierte Abschnitt durchleuchtet die Rolle der Zeitpräferenzrate. Es wird erforscht, wie sowohl das Ausmass, als auch die Art der Abdiskontierung zukünftiger Ereignisse das
Sparverhalten eines Individuums und damit die Überschuldungswahrscheinlichkeit, beeinflussen. Der fünfte Abschnitt behandelt das alte und doch in der ökonomischen Theorie relativ wenig beachtete Phänomen der interdependenten
Präferenzen. Es wird analysiert, auf welche Weise sowohl personell als auch zeitlich interdependente Präferenzen die Ersparnis beeinflussen. Ein weiterer Faktor,
welcher das Sparverhalten und damit die Gefahr einer Überschuldung tangiert,
ist die Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern. Deren Rolle wird im sechsten
Abschnitt analysiert. Im siebten Abschnitt werden schliesslich noch einige weitere Faktoren diskutiert, welche zur Überschuldung führen könnten und sich nur
schwer in eine der genannten Kategorien einfügen lassen. Der achte Abschnitt
enthält die Ergebnisse einer Logit-Schätzung von Lea et al. (1995) und einer
eigenen Schätzung, mit deren Hilfe die in den theoretischen Kapiteln abgeleite-
30
1 Einleitung zu Teil II
ten Überschuldungsgründe überprüft werden. Die abschliessenden Schlussfolgerungen werden im neunten Abschnitt gezogen.
1 Einleitung zu Teil II
1.1 Verschuldung, Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
Als Verschuldung kann man prinzipiell jede Art von Verbindlichkeit bezeichnen.
Das kann entweder ein Kredit sein oder aber auch der Wert einer Sache oder
Dienstleistung, welche bereits erhalten, aber noch nicht bezahlt wurde. Eine solche Dienstleistung ist zum Beispiel die Benutzung des eigenen Telephons, da die
Rechnungsstellung erst 1 bis 2 Monate nach der Nutzung erfolgt.
Zahlungsunfähigkeit ist schlicht die Unfähigkeit, die fälligen Verbindlichkeiten zu bedienen. Überschuldung wird für private Haushalte häufig wie folgt definiert: „Unter ökonomischen Gesichtspunkten gilt der private Haushalt als
überschuldet, wenn er objektiv zahlungsunfähig ist, d.h. sein Einkommen nach
Abzug der Lebenshaltungskosten nicht mehr zur Rückzahlung fälliger Verbindlichkeiten ausreicht.“1 Überschuldung ist somit nicht an ein bestimmtes Ausmass
der Verschuldung gebunden, sondern ist ein anderes Wort für Zahlungsunfähigkeit. Dieser Definition werde ich mich jedoch nicht anschliessen. Aus modelltechnischen Gründen werde ich zwischen Zahlungsunfähigkeit (Unfähigkeit, die
fälligen
Verbindlichkeiten
zu
bedienen)
und
Überschuldung
( Vermögen + Einkommen < Verbindlichkeiten ) unterscheiden.
Um den Zusammenhang zwischen Verschuldung, Zahlungsunfähigkeit und
Überschuldung genauer zu erläutern, definiere ich die folgenden vier Verschuldungsgrade:
• Verschuldungsgrad I ( Verbindlichkeiten ≤ Liquides Vermögen )
Der Verschuldungsgrad I wird definiert durch jede Art von Verbindlichkeit,
solange diese Verbindlichkeiten das liquide Vermögen des Haushalts nicht
1) Schmidt, O. (1995), S. 4.
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
31
übersteigen. Als liquides Vermögen bezeichne ich Bargeld, Guthaben auf
Girokonten sowie weitere in kurzer Frist kündbare Guthaben.
Zahlungsunfähigkeit: Das Individuum ist im Verschuldungsgrad I zahlungsfähig.
Überschuldung: Überschuldung ist nicht gegeben.
• Verschuldungsgrad II
( Liquides Vermögen < Verbindlichkeiten ≤ Gesamtvermögen )
Verschuldungsgrad II ist erreicht, wenn die Verbindlichkeiten das liquide Vermögen übersteigen aber kleiner sind als das Gesamtvermögen des Haushalts.
Das Gesamtvermögen ist der Wert sämtlicher Aktiva des Haushalts (ohne
Humankapital).
Zahlungsunfähigkeit: Zahlungsunfähigkeit würde eintreten, wenn die Verbindlichkeiten sofort fällig wären und keine Möglichkeit der Kreditaufnahme
bestünde.
Überschuldung: Überschuldung ist nicht gegeben.
• Verschuldungsgrad III
( Gesamtvermögen < Verbindlichkeiten ≤ Gesamtvermögen+Humankapital )
Beim Verschuldungsgrad III übersteigen die Verbindlichkeiten den Wert des
gesamten Vermögens des Haushalts, werden aber noch durch den Erwartungswert des Zukunftseinkommens gedeckt.
Zahlungsunfähigkeit: Zahlungsunfähigkeit würde eintreten, wenn die Verbindlichkeiten sofort fällig wären und keine Möglichkeit der Kreditaufnahme
bestünde.
Überschuldung: Das Individuum ist überschuldet.
• Verschuldungsgrad IV
( Verbindlichkeiten > Gesamtvermögen+Humankapital )
32
1 Einleitung zu Teil II
Verschuldungsgrad IV ist erreicht, wenn die Verbindlichkeiten das gegenwärtige Vermögen, sowie den Gegenwartswert des Zukunftseinkommens übersteigen.
Zahlungsunfähigkeit: Zahlungsunfähigkeit würde eintreten, wenn die Verbindlichkeiten sofort fällig wären und keine Möglichkeit der Kreditaufnahme
bestünde.
Überschuldung: Das Individuum ist überschuldet.
Bei Verschuldungsgrad I ist weder Zahlungsunfähigkeit noch Überschuldung
möglich. Verschuldung im Ausmass des Verschuldungsgrad II kann jedoch
bereits zur Zahlungsunfähigkeit führen. Dies ist der Fall, wenn die liquiden
Finanzmittel nicht ausreichen, fällige Verbindlichkeiten zu bezahlen, die Liquidierung sonstiger Vermögensbestandteile in kurzer Frist nicht möglich ist, und
ferner kein Kredit aufgenommen werden kann. Überschuldung ist mit Verschuldungsgrad II jedoch nicht verbunden. Verschuldungsgrad III heisst, dass wie in
Verschuldungsgrad II Zahlungsunfähigkeit eintritt, sofern die Verbindlichkeiten
allesamt sofort fällig wären und keine Kreditaufnahme möglich ist. Die Verbindlichkeiten sind grösser als das Vermögen und das Nettovermögen somit negativ.
Das Individuum ist überschuldet. Bei Verschuldungsgrad IV tritt die Zahlungsunfähigkeit früher oder später auf jeden Fall ein. Realistischerweise wird eine Kreditaufnahme zur Begleichung der Verbindlichkeiten nicht mehr möglich sein.
Überschuldung ist ebenfalls gegeben, da die Verbindlichkeiten das gesamte Vermögen inkl. Humankapital übersteigen.
Bemerkungen zum Zahlungsbefehl und zur Betreibung
Im Rahmen der Datenerhebung auf schweizerischen Betreibungsämtern (vgl.
Abschnitt 3), sowie bei weiteren statistischen Analysen, wird in dieser Arbeit
häufig die Anzahl der Zahlungsbefehle als Approximation für Überschuldung
eingesetzt. Das schlichte Vergessen einer Rechnung oder die Nichtbezahlung aus
sonstigen Gründen kann zur Einleitung eines Betreibungsverfahrens und somit
zu einem Zahlungsbefehl führen, obwohl der betroffene Haushalt nicht zahlungsunfähig oder gar überschuldet ist. Wenn man davon absieht, dass sich Gläubiger
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
33
und Schuldner ausserhalb eines Betreibungsverfahrens einigen, so bildet Zahlungsunfähigkeit sicherlich eine hinreichende Bedingung für die Zusendung
eines Zahlungsbefehls, notwendig ist sie allerdings nicht. Überschuldung dagegen ist auch keine hinreichende Bedingung, da eine Person überschuldet sein
kann, ohne zahlungsunfähig zu sein.
Resultat II.1
Ein Individuum gilt als zahlungsunfähig, wenn es nicht in
der Lage ist, fällige Verbindlichkeiten zu begleichen. Es gilt
als überschuldet, wenn sein Vermögen plus dem Einkommen
nach Abzug der Verbindlichkeiten negativ wird. Für einen
Zahlungsbefehl bildet Zahlungsunfähigkeit eine hinreichende aber keine notwendige Bedingung. Überschuldung
ist weder hinreichend noch notwendig für eine Betreibung.
1.2 Vorsätzliche vs. unbeabsichtigte Zahlungsunfähigkeit/
Überschuldung
Wenn im weiteren Verlauf nur von Überschuldung gesprochen wird, so wird
damit auch Zahlungsunfähigkeit impliziert. Die nächsten beiden Abschnitte sind
der Frage der vorsätzlichen und der unbeabsichtigten Überschuldung gewidmet.
1.2.1 Vorsätzliche Überschuldung
Vorsätzliche Überschuldung heisst, dass ein Individuum mit Vorsatz eine Überschuldungssituation herbeiführt. Dies ist zu unterscheiden von dem Vorsatz, eine
Rechnung nicht zu bezahlen, wodurch es zu einem Betreibungsverfahren kommt.
Letzteres ist relativ häufig und kann verstanden werden als ein Ausnutzen der
Zahlungsfristen bis zum buchstäblich letzten Moment. Ein weiterer Grund
könnte auch die Hoffnung sein, der Gläubiger möge auf die Forderung verzichten, weil ihm der Aufwand einer Betreibung möglicherweise zu hoch ist.1 In diesen Fällen sind die Personen jedoch weder überschuldet noch zahlungsunfähig.
34
1 Einleitung zu Teil II
Sie könnten ihre Verbindlichkeiten begleichen, tun es aber aus den genannten
Gründen nicht, bzw. nicht fristgerecht. Vorsätzliche Überschuldung heisst dagegen, dass eine Person tatsächlich nicht mehr in der Lage ist, ihre Verbindlichkeiten zu begleichen und die Überschuldung absichtlich herbeigeführt wurde. Ein
Beispiel wäre die Aufnahme eines Kredits, obwohl der Kreditnehmer weiss, dass
er nicht in der Lage sein wird, diesen Kredit oder andere Verbindlichkeiten zu
bedienen. Aus rechtlicher Sicht begeht der Kreditnehmer somit einen Betrug.
Voraussetzung für einen Betrug dieser Art ist natürlich asymmetrische Information. Der oder die Kreditgeber kennen die finanzielle Lage des Kreditnehmers
gar nicht oder nur unvollständig.
Ein solches Verhalten ist zweifelsohne nicht unrealistisch. Je geringer die zu
erwartenden Kosten der Überschuldung und in deren Folge der Betreibung, desto
höher ist der Anreiz für eine Person, die eigene Budgetrestriktion auf Kosten
anderer zu erweitern. Das Individuum vollzieht eine herkömmliche Optimierung
der Art, dass der Nutzen aus der absichtlichen Überschuldung (z.B. Finanzierung
einer Weltreise) mit den zu erwartenden Kosten einer Betreibung (als Folge der
Überschuldung) verglichen wird. Selbst wenn eine Betreibung sicher ist, könnte
für manchen der Weg in die vorsätzliche Überschuldung attraktiv sein. Da es bei
einer überschuldeten Person definitionsgemäss kein Vermögen zu pfänden gibt,
muss auf eine Lohnpfändung ausgewichen werden. Lohnpfändung bedeutet ein
Leben am Existenzminimum. Weist aber eine Person eine hohe Zeitpräferenzrate
auf, so kann es sich für sie lohnen, in der Gegenwart viel zu konsumieren um
dann in der Folge eine Zeit lang am Existenzminimum zu leben. Ein weiterer
Kostenpunkt einer Betreibung ist natürlich der Reputationsverlust welcher mit
dem Betreibungsvorgang einhergeht. Ist das Individuum sehr auf seine Reputation bedacht, kann es dadurch von der vorsätzlichen Überschuldung abgehalten
werden.
1) Laut Repräsentanten von schweizerischen Inkasso-Unternehmen lohnt sich eine Betreibung für eine Forderung unter Fr. 100 aufgrund der anfallenden Kosten nicht. Dynamische Aspekte, wie zum Beispiel der Abschreckungseffekt, sind dabei allerdings nicht
miteinberechnet.
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
35
Resultat II.2
Gründe für vorsätzliche Überschuldung sind die relativ
geringen Kosten einer Betreibung entweder dadurch, dass
die Wahrscheinlichkeit einer Betreibung relativ gering oder
aber die Zeitpräferenzrate eines Individuums relativ gross
ist.
Der Übergang von der Überschuldung aus Fahrlässigkeit über grobe Fahrlässigkeit bis hin zum Vorsatz ist letztendlich kaum nachvollziehbar. Vorsätzliche
Überschuldung stellt vor allem für die Gläubiger ein Problem dar. Für den
Schuldner war es in diesem Fall ja geplant und offensichtlich nutzenmaximierend. Wenn im weiteren Verlauf der Arbeit von Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit die Rede ist, gehe ich von unbeabsichtigten Überschuldung aus unter
der Annahme, dass zumindest kein Vorsatz vorlag.
1.2.2 Unbeabsichtigte Überschuldung
Voraussetzung für unbeabsichtigte Überschuldung ist die Existenz von Risiko.
Besitzen die Individuen vollständige Informationen über ihre zukünftigen Einnahmen und Ausgaben, kann es unbeabsichtigte Überschuldung nicht geben.
Vollständige Information gibt es aber nicht. Zukünftige Ereignisse unterliegen
grundsätzlich einem Risiko.
Ein exogener Schock, wie zum Beispiel verminderte Einnahmen durch
Arbeitslosigkeit oder unerwartete Ausgaben durch Krankheit, kann einen Haushalt in die Zahlungsunfähigkeit und/oder die Überschuldung bringen. Landet der
Haushalt nach einem solchen exogenen Schock im Verschuldungsgrad I ist die
Zahlungsfähigkeit nach wie vor voll gegeben, er ist auch nicht überschuldet.
Führt der exogene Schock zu Verschuldungsgrad II, ist die Zahlungsfähigkeit im
Augenblick nicht mehr gegeben; überschuldet ist der Haushalt jedoch nicht. Es
besteht ferner die Möglichkeit, die Zahlungsunfähigkeit durch Kreditaufnahme
zu verhindern. Durch eine Kreditaufnahme steigt zwar der Schuldenstand (unter
36
1 Einleitung zu Teil II
Umständen bis in den Verschuldungsgrad III und damit in die Überschuldung),
aber fällige Verbindlichkeiten können getilgt werden, die Zahlungsfähigkeit
bleibt somit erhalten. Die Chance für die betroffene Person auf dem Kapitalmarkt
Liquidität zu besorgen, ist bei Verschuldungsgrad II noch relativ gut. Immerhin
steht noch Aktivvermögen als Sicherheit zur Verfügung. Gerät das Individuum
durch den exogenen Schock in Verschuldungsgrad III, so ist die Möglichkeit
durch Kreditaufnahme die Zahlungsfähigkeit zu erhalten, bereits erheblich eingeschränkt. Die Sicherheit die der Haushalt bieten kann, ist nur sein zukünftiges
Einkommen, sein Humankapital also. Die Überschuldung ist an dieser Stelle
bereits gegeben. Ist der Verschuldungsgrad IV erreicht, besteht in der Regel keine
Chance mehr, die Zahlungsunfähigkeit zu vermeiden. Überschuldet ist der Haushalt bei diesem Schuldenstand auf jeden Fall.
An dieser Stelle lassen sich bereits erste Ergebnisse hinsichtlich der Gründe
für unbeabsichtigte Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit festhalten. Zum
einen ist die Existenz von Risiko ein Grund sowohl für Überschuldung, als auch
für Zahlungsunfähigkeit, dass heisst sogar dessen Voraussetzung. Ein weiterer
Grund für Zahlungsunfähigkeit ist Kreditbeschränkung. Ohne Kreditbeschränkungen könnte die Zahlungsunfähigkeit vermieden werden. Möglich wäre dies
über eine Art Ponzi-Finanzierung der Schuld [vgl. Eichberger (1989)].1 Fällige
Verbindlichkeiten werden durch die Aufnahme eines neuen Kredits bezahlt, die
Zahlungsunfähigkeit wird so vermieden. In Absenz jeglicher Kreditrestriktion
wird in der Tat die Zahlungsunfähigkeit auf diese Weise bis zum Todeszeitpunkt
des Individuums verhindert. Realistisch ist dies natürlich nicht, denn es bestehen
Kreditrestriktionen. Aber es wird klar, dass Kreditrestriktionen einen Grund für
Zahlungsunfähigkeit darstellen. Vor allem bei kurzfristigen Schocks, wie zum
Beispiel eine einmalig auftretende hohe Ausgabe oder kurzfristige Arbeitslosigkeit, kann eine Kreditaufnahme die Zahlungsunfähigkeit verhindern. Der Schul-
1) Bei der Ponzi-Finanzierung werden die bei einem Kredit anfallenden Zinsen als auch die
fristgerechte Tilgung durch einen neuen Kredit finanziert. Solange es Kapital und Kapitalgeber für eine solche Finanzierung gibt, bleibt der Kreditnehmer immer zahlungsfähig. Seine Verschuldung steigt allerdings gegen unendlich.
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
37
denstand und damit letztendlich die Überschuldung wächst natürlich mit der
Aufnahme weiterer Kredite.
Kreditrestriktionen mindern zwar die Gefahr der Überschuldung, nicht aber
diejenige der Zahlungsunfähigkeit. Somit erscheinen die zur Zeit in der Schweiz
gestarteten Diskussionen um eine Verschärfung der Konsumkreditgesetze zur
Milderung der Schuldenproblematik in einem zweifelhaften Licht. Manchen
Menschen würde damit die Chance genommen, gerade durch Aufnahme eines
neuen Kredits Zahlungsunfähigkeit und damit Betreibung zu verhindern. Die
gestiegene Schuldenlast, ja selbst die eventuell daraus folgende Überschuldung,
bedeutet schliesslich nicht zwangsläufig den finanziellen Kollaps.
Resultat II.3
Eine notwendige aber nicht immer hinreichende Bedingung
für unbeabsichtigte Überschuldung als auch für unbeabsichtigte Zahlungsunfähigkeit ist Risiko. Kreditrestriktionen stellen ebenfalls eine notwendige aber nicht immer hinreichende
Bedingung für Zahlungsunfähigkeit dar.
1.3 Modellierung und Vorgehensweise
Wie bereits erwähnt, weiche ich von der häufig benutzten Definition der Überschuldung privater Haushalte als Zahlungsunfähigkeit ab. Der Grund liegt in der
Möglichkeit auf diese Weise einen fixen Wert der Verschuldung zu definieren,
bei dem ein Haushalt als überschuldet gelten soll. In der Regel wird diese Grenze
bei einem Nettovermögen kleiner als Null liegen. Ein Individuum soll als überschuldet gelten, wenn sein Nettoermögen negativ wird. Die Folge der Überschuldung ist annahmegemäss die Zahlungsunfähigkeit und schliesslich eine
Betreibung. Diese Betreibung wiederum hat zur Folge, dass dem Betroffenen der
Konsum auf das sog. betreibungsrechtliche Existenzminimum beschränkt wird.
Das Problem, dass trotz vorhandenen Vermögens die Zahlungsunfähigkeit eintre-
38
1 Einleitung zu Teil II
ten kann, ist nur von Bedeutung, wenn langlebige Konsumgüter als illiquide Vermögensbestandteile betrachtet werden. Wird das Vermögen als liquides
Finanzmittel betrachtet, sind Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung identisch.
Solange dies der Fall ist, spreche ich aus Vereinfachungsgründen nur von Überschuldung.
Im weiteren Verlauf wird nur von unbeabsichtigter Überschuldung die Rede
sein. Wie bereits festgestellt wurde, ist Risiko eine notwendige aber nicht immer
hinreichende Bedingung für unbeabsichtigte Überschuldung. In den folgenden
Abschnitten wird zuerst untersucht wie das Einkommensrisiko das Sparverhalten
eines Haushaltes und schliesslich die Überschuldungswahrscheinlichkeit beeinflusst. Ersparnis und Vermögensbildung ist eine Möglichkeit, dem Risiko
zukünftiger Ereignisse zu begegnen und die Überschuldungswahrscheinlichkeit
zu senken. Es wird dabei nur vom Einkommensrisiko gesprochen werden. Ausgabenrisiken werden als negative Einkommensschocks interpretiert. Als relevante Zufallsvariable gilt somit das für den „normalen Konsum“ verfügbare
Einkommen. Dieses Einkommen kann nach einem genügend grossen Ausgabenschock somit durchaus negativ werden. Der Vorteil ist, dass durch den Einbezug
negativer Werte mit einer breiteren Klasse von Dichtefunktionen gearbeitet werden kann. Der Term Ersparnis steht für die gesamte Bandbreite der intertemporalen Verlagerung von Ressourcen, also auch Verschuldung, welche in diesem Fall
negative Ersparnis darstellt.
Höhere Ersparnis senkt die Überschuldungswahrscheinlichkeit, wird ein
erstes Ergebnis lauten (vgl. Abschnitt 3). Die Aufgabe der Abschnitte 4 bis 7
wird es dann sein, unterschiedlichste Einflüsse auf die Ersparnis privater Haushalte zu analysieren, um so letztendlich auch deren Einfluss auf die Überschuldungswahrscheinlichkeit
herauszufiltern.
In
der
sozialwissenschaftlichen
Literatur werden die Schuldner häufig in fünf Gruppen eingeteilt: Krisenschuldner (exogener Schock führt zur Überschuldung), Armutsschuldner (zu geringes
Einkommen), Anspruchsschuldner (das Einkommen reicht nicht aus die Ansprüche zu decken), Defizitschuldner (permanent höhere Ausgaben als Einnahmen)
und zwanghafter Konsument (vor allem Suchtprobleme) [vgl. Hagen (1997)].
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
39
Diese Einteilung soll im weiteren Verlauf mit Theorie angereichert und erweitert
werden. Abbildung II.1 gibt einen Überblick über die vermuteten Faktoren welche zu Überschuldung führen könnten sowie den Abschnitt ihrer Behandlung in
diesem Teil der Arbeit.
Abbildung II.1 Vermutete Gründe für Überschuldung
Risiko
Abschnitt 3
Zeitpräferenz
Abschnitt 4
Einkommensschwäche
Abschnitt 3.3
Unzureichende
Optimierung
Abschnitt 7
Jagd nach Status
Abschnitt 5
Negativer Einkommensschock
Nachfrage nach
langlebigen
Konsumgütern
Abschnitt 6
Kreditrestriktionen
Abschnitt 1.2.2
Ersparnis
bzw.
Vermögen
Vermögen < 0
Überschuldung
Liquide Mittel < Fällige Verbindlichkeiten
Zahlungsunfähigkeit
Zahlungsfähigkeit / Keine Überschuldung
40
2 Grundlagen der intertemporalen Optimierung und der Optimierung unter Risiko
2 Grundlagen der intertemporalen Optimierung
und der Optimierung unter Risiko
Im folgenden Kapitel werden die, für die weitere Analyse notwendigen, theoretischen Grundsteine gelegt. Im ersten Abschnitt erläutere ich die Theorie der intertemporalen Optimierung, welche für den Rest der Arbeit die Basis bilden sollen.
Dieses Grundmodell erweitere und modifiziere ich später um die notwendigen
Bedingungen. Im Anschluss daran wird kurz die Risikonutzentheorie dargestellt.
2.1 Grundlagen der intertemporalen Optimierung
Für eine detaillierte Version der folgenden Ausführungen verweise ich an dieser
Stelle auf Deaton und Muellbauer (1980) [Kapitel 4 und 12], Varian (1992) [Kapitel
19] sowie Deaton (1992).
2.1.1 Intertemporale Optimierung im Zwei-Perioden Modell
Das einfachste Modell der intertemporalen Optimierung ist das zweiperiodige
Modell. Es wird angenommen, ein Individuum konsumiere in der ersten Periode
die Menge c1 nicht-langlebiger Konsumgüter und in der zweiten Periode die
Menge c2. Die zu den Gütern gehörigen Preisvektoren seien p1 und p2. Ferner
erziele das Individuum Einkommen in beiden Perioden in der Höhe von y1 bzw.
y2. Zusätzlich besitze es Vermögen v in Form einer Finanzanlage. Diese Anlage
kann positiv oder negativ sein. Vereinfachend nehme ich an, dass es sich bei dieser Anlage um eine Spareinlage bei einer Bank (positives v) bzw. um einen Kredit (negatives v) handelt. Die Anlage bzw. der Kredit wird mit dem Zinssatz r
verzinst. Das Individuum hat somit in jeder Periode ein Finanzeinkommen von
rt ⋅ vt – 1 .
Es sei darauf hingewiesen, dass es sich bei den Werten von y2, p2 und r2 um
zukünftige, also nicht bekannte Werte handelt. Das Individuum handelt somit
unter Unsicherheit. Es bildet sich Erwartungen über die zukünftigen Preise sowie
sein Einkommen. Ich will jedoch an dieser Stelle nicht weiter auf die Erwar-
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
41
tungsbildung eingehen, da sie die grundsätzlichen Aussagen des Modells nicht
wesentlich beeinflusst.
Wenn v0 das Vermögen am Ende der Periode 0 darstellt, so lauten die Budgetbeschränkungen für beide Perioden:
p 1 ⋅ c 1 = y 1 + v 0 ⋅ ( 1 + r 1 ) – v 1 und
e
e
e
p2 ⋅ c2 = y 2 + v1 ⋅ ( 1 + r2 ) – v2 .
(II.1)
Der Wert des Konsums ist in jeder Periode gleich dem Einkommen zuzüglich
(abzüglich) dem verzinsten Vermögen (Kredit) der Vorperiode und abzüglich
(zuzüglich) den in dieser Periode zurückgelegten (aufgenommenen) Ersparnissen
(Kredit). Unter der Annahme, dass die beiden Perioden die Lebensdauer des Individuums widerspiegeln und zusätzlich ein Erbschaftsmotiv ausgeschlossen wird,
muss das Vermögen am Ende der zweiten Periode vollständig aufgebraucht sein.
v2 ist somit gleich 0. Die beiden Budgetbeschränkungen in Gleichung (II.1) lassen sich jetzt zu einer Gleichung kombinieren:
e
p2 ⋅ c2
e
p 1 ⋅ c 1 + --------------- = y 1 + y 2 + v 0 ⋅ ( 1 + r 1 ) .
e
1 + r2
(II.2)
Der Barwert des Konsums muss gleich dem Barwert des Einkommens und Vermögens sein.
Die Präferenzen des Individuums werden durch eine Nutzenfunktion mit den
Argumenten c1 und c2 repräsentiert:
U = U ( c 1, c 2 ) .
(II.3)
Nach Maximierung von Gleichung (II.3) unter der Nebenbedingung (II.2),
ergibt sich als Bedingung 1. Ordnung für ein Maximum:
42
2 Grundlagen der intertemporalen Optimierung und der Optimierung unter Risiko
p1
∂U ⁄ ∂c 1
e
-------------------- = ----- ⋅ ( 1 + r 2 ) .
e
∂U ⁄ ∂c 2
p2
(II.4)
e
Der Quotient p 1 ⁄ p 2 auf der rechten Seite der Gleichung (II.4) gibt die Veränderung der Preise wieder, lässt sich somit auch als Kehrbruch der Inflationsrate
e
1 + i 2 interpretieren. Die Gleichung (II.4) wird so zu:
e
∂U ⁄ ∂c 1
1 + r2
-------------------- = -------------- .
e
∂U ⁄ ∂c 2
1 + i2
(II.5)
Die optimale Aufteilung des Konsums zwischen der 1. und der 2. Periode ist
erreicht, wenn das Verhältnis der Grenznutzen des Konsums in der ersten bzw.
zweiten Periode gleich dem Realzins ist. In diesem einfachen Modell lässt sich
sehr gut die Analogie zum herkömmlichen Zwei-Güter-Modell erkennen. Beim
Zwei-Güter-Modell erfordert die Optimalbedingung die Gleichheit der Grenzrate
der Substitution der Güter mit ihrem Preisverhältnis. In Gleichung (II.5) ist die
Grenzrate der intertemporalen Substitution gleich dem Realzins, der nichts anderes als ein Preisverhältnis ist. Der Preis (= Opportunitätskosten) des Gegenwartskonsums ist der entgangene Zins r. Der Preis des Zukunftskonsums ist die
Abdiskontierung durch die Inflationsrate i.
Die Reaktion des Konsumenten auf Änderung der exogenen Variablen ist
ebenfalls vergleichbar mit dem Zwei-Güter-Fall.
(1) Änderung des realen Zinssatzes
Die Reaktion auf eine Realzinsänderung ist nicht genau vorhersehbar. Ein
Senkung des Realzins führt zu einer Verbilligung des Gegenwartskonsums in
Relation zum Zukunftskonsum. Das Individuum substituiert Zukunftskonsum
durch Gegenwartskonsum (Substitutionseffekt). Bei gleichem Gegenwartskonsum führt eine Senkung des Realzinses jedoch zu einer Verringerung der
Ressourcen in der zweiten Periode; das Gesamteinkommen beider Perioden
sinkt und führt zu einer Verringerung des Konsums in beiden Perioden (Ein-
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
43
kommenseffekt). Welcher der zwei Effekte schliesslich den Ausschlag gibt,
wie gross also der Nettoeffekt ist, lässt sich ohne Spezifizierung einer Nutzenfunktion nicht bestimmen. In Abbildung II.2 ist die Wirkung einer Zinssenkung grafisch wiedergegeben.
Abbildung II.2
Intertemporale Optimierung im
Modell - Beispiel einer Zinssenkung
Zwei-Perioden
c1
u ( c1, c2)
e
1 + r2
– -------------1+i
c2
(2) Einkommensänderung
Eine Einkommensänderung hat einen eindeutigen Effekt zur Folge. Steigt das
Einkommen der ersten und/oder der zweiten Periode führt dies zu mehr Konsum. Die Verteilung des Mehrkonsums auf die beiden Perioden hängt von der
Grenzrate der intertemporalen Substitution ab.
Was heissen diese Ergebnisse für das Sparverhalten? Die Ersparnis in der
ersten Periode ist definiert durch:
s1 = y1 + v0 ⋅ ( 1 + r1 ) – c1 .
(II.6)
Für den Augenblick will ich das Modell einmal stark vereinfachen und nehme
an Inflation und Zins wären gleich Null (r = i = 0), ebenso wie das Vermögen der
Vorperiode v0. Die Optimalbedingung (II.5) ergibt dann
44
2 Grundlagen der intertemporalen Optimierung und der Optimierung unter Risiko
∂U
∂U
-------- = -------- .
∂c 1
∂c 2
(II.7)
Unter der Annahme stabiler Präferenzen, folgt aus Gleichung (II.7), dass der
Konsum der ersten Periode c1 gleich dem Konsum der zweiten Periode c2 ist. Mit
dieser Information lässt sich die Budgetbeschränkung umschreiben zu
y1 + y2
c 1 = ----------------- .
2
(II.8)
Für die Ersparnis [vgl. Gleichung (II.6)] ergibt sich damit:
y1 – y2
s 1 = ---------------2
(II.9)
Die Ersparnis ist positiv, wenn das Einkommen in der ersten Periode grösser
als dasjenige der zweiten Periode ist. Ist das Einkommen der zweiten Periode
grösser, so ist die Ersparnis negativ, der Konsument verschuldet sich.
2.1.2 Intertemporale Optimierung im Multi-Perioden Modell
Ich verlasse jetzt die restriktive Ebene des Zwei-Perioden Modells und erweitere
das Modell auf beliebig viele Perioden. Der Konsument maximiere vom Zeitpunkt 0 aus gesehen seinen Nutzen über einen endlichen Zeitraum hinweg. Ferner wird angenommen der Endzeitpunkt sei bekannt. Damit wird eine
Nutzenfunktion der folgenden Form maximiert:
U = U ( c 0, c 1, c 2, ...,c T ) .
(II.10)
Eine übliche Annahme bezüglich der funktionalen Form dieser Nutzenfunktion ist die der intertemporalen Additivität [vgl. Deaton (1992), 4]. Die Nutzenfunktion erhält dadurch das folgende Aussehen:
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
U = U 0 ( c 0 ) + U 1 ( c 1 ) + ...+U T ( c T ) .
45
(II.11)
Die Budgetbeschränkung für dieses Problem wird analog zu Gleichung (II.2)
geschrieben. Ich verzichte allerdings auf die Darstellung der Preisvektoren und
nehme vorerst an, die Preise würden sich nicht ändern. Von der Existenz von
Risiko wird also noch abgesehen. Somit gilt
T
ct
------------------ = v 0 +
t
t = 0 (1 + r)
∑
T
yt
------------------ .
t
t = 0 (1 + r)
∑
(II.12)
Die Budgetbeschränkung erfordert, dass der Gegenwartswert des Konsums
dem Gegenwartswert des Einkommens inkl. dem Vermögen der Startperiode entspricht. Es herrscht somit kein Vererbungsmotiv, und es ist auch keine Verschuldung über den Optimierungszeitraum hinaus möglich.
Wird Gleichung (II.11) unter der Budgetbeschränkung (II.12) maximiert, so
erhält man als Optimalbedingung:
∂U t
1
--------- = λ ⋅ ------------------ .
t
∂c t
(1 + r)
(II.13)
Die Variable λ stellt den Lagrangemultiplikator zur Nebenbedingung (II.12)
dar und ist über die Zeit konstant. Im Zeitablauf wird der Nenner des Bruchs auf
der rechten Seite der Gleichung (II.13) grösser. Da λ konstant ist heisst dies, dass
der Grenznutzen des Konsums im Zeitablauf fällt. Unter der Annahme der üblichen konkaven Form der Nutzenfunktion lässt sich bei gleichbleibenden Präferenzen
daraus
schliessen,
dass
der
Konsum
unabhängig
von
der
Einkommensentwicklung im Zeitablauf steigt.
Bisher wurde angenommen, der Konsument bewerte den Konsum in jeder
Periode gleich. Diese Annahme ist jedoch recht unrealistisch. Zukünftige Ereignisse werden in der Regel gegenüber gegenwärtigen Ereignissen abdiskontiert.
Diese Abdiskontierung wird mit der sog. Zeitpräferenzrate ausgedrückt, welche
46
2 Grundlagen der intertemporalen Optimierung und der Optimierung unter Risiko
angibt wie stark ein Individuum Gegenwartskonsum dem Zukunftskonsum vorzieht bzw. wieviel Konsumeinheiten mehr ihm geboten werden müssen, damit er
bereit ist den Konsum einer Einheit von „Heute“ auf „Morgen“ zu verschieben.
Die Zeitpräferenzrate bildet sozusagen das Gegenstück zum Zins. Die Optimalbedingung der Gleichung (II.13) ändert sich durch die Einführung der Zeitpräferenzrate wie folgt:
∂U t
1+δ t
--------- = λ ⋅  ------------ .
 1 + r
∂c t
(II.14)
Die Variable δ steht für die Zeitpräferenzrate und ist grösser als Null. Gleichung (II.14) lässt sich nach der Zeit differenzieren und durch ct dividieren. Man
erhält damit einen Ausdruck der angibt mit welcher Rate sich der Konsum im
Zeitablauf verändert:
·
1 + δ t
1+δ
1
c

---------------------⋅ λ ⋅ ------------ ⋅ ln  ------------ .
---- =
 1 + r
 1 + r
c t ⋅ u'' ( c t )
ct
(II.15)
Schliesslich lässt sich dann noch Gleichung (II.14) nach λ auflösen und in
Gleichung (II.15) einsetzen. Somit erhält man für die Wachstumsrate des Konsums:
·
u' ( c t )
1+δ
c
---- = ----------------------- ⋅ ln  ------------ .
 1 + r
c t ⋅ u'' ( c t )
ct
(II.16)
Sofern δ und r klein genug sind lässt sich auch schreiben:
·
u' ( c t )
c
---- = – ----------------------- ⋅ ( r – δ ) .
c t ⋅ u'' ( c t )
ct
(II.17)
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
47
Die Veränderungsrate des Konsums im Zeitablauf ist gegeben durch die intertemporale Substitutionselastizität multipliziert mit der Differenz aus Zinssatz und
Zeitpräferenzrate. Da u'' ( c t ) negativ ist folgt daraus, dass der Konsum im Zeitablauf steigt, sofern der Zins grösser als die Zeitpräferenzrate ist. Andernfalls fällt
er mit der Zeit. Bei konstantem Einkommen heisst dies, dass ein Individuum welches eine relativ niedrige Zeitpräferenzrate (< Zins) aufweist, am Anfang seines
Optimierungshorizontes eher spart, also ein Gläubiger ist. Ein Individuum mit
einer relativ hohen Zeitpräferenzrate (> Zins) wird sich eher verschulden und
diese Schulden dann gegen Ende seines Optimierungszeitraums zurückbezahlen.
Die Motivation für das Sparen ist die intertemporale Substitution aufgrund der
Differenz zwischen der Gegenwartspräferenz eines Individuums und dem Marktzinssatz (vgl. Abbildung II.3).
Abbildung II.3
Der Konsumpfad im Zusammenhang mit Zeitpräferenz
und Zins
ct
r> δ
r= δ
r< δ
0
T
Z eit
Die Lebenszyklus-Hypothese von Ando und Modigliani bringt noch ein weiteres Sparmotiv mit in das Spiel. Angenommen, Zinssatz und Zeitpräferenzrate
seien gleich, dass Einkommen aber variabel über die Zeit.1 Auf diese Weise
kommt man zu der Lebenszyklushypothese.2 In Abbildung II.4 ist ein Einkommenspfad angenommen, der am Lebensanfang steigt und gegen Lebensende wieder abfällt. Das Individuen ist in jüngeren Jahren eher Schuldner. In der
1) Vgl. Ando und Modigliani (1963).
2) Die Verbindung zwischen Einkommensentwicklung und Ersparnis wurde bereits in Abschnitt 2.1.1 gezogen.
48
2 Grundlagen der intertemporalen Optimierung und der Optimierung unter Risiko
Lebensmitte wird es dann sparen um diese Ersparnis gegen Ende des Lebens
wieder aufzubrauchen (vgl. Abbildung II.4). In diesem Fall wird die Ersparnis
durch das sich verändernde Einkommen motiviert. Wenn man sich noch einmal
die Optimalbedingung (II.14) in das Gedächtnis ruft, so ist zu sehen, dass bei
Gleichheit von Zeitpräferenzrate und Zinssatz, der Grenznutzen des Konsums,
und damit auch der absolute Konsum, im Zeitablauf konstant ist. Zukünftige
(und bekannte) Einkommensänderungen müssen also durch Ersparnis ausgeglichen werden, damit Bedingung (II.14) erfüllt ist. Auf diese Weise kommt man zu
dem in Abbildung II.4 gezeigtem Konsumpfad.
Abbildung II.4
Lebenszyklushypothese des Konsums
ct, yt
Sparen
yt
ct
Entsparen
0
T
Zeit
Browning und Lusardi (1996) listen neben dem Motiv der intertemporalen
Substitution und dem Lebenszyklus-Motiv noch sechs weitere Sparmotive auf.
Dies ist einmal das Vorsichtsmotiv, welches in Abschnitt 3 behandelt werden
wird. Ferner benennen sie das Motiv der Ausgabensteigerung, das Unabhängigkeitsmotiv, das Spekulationsmotiv, das Vererbungsmotiv, Freude am Sparen und
schliesslich die Ersparnis für Ausgaben für teure, langlebige Konsumgüter. Diese
letzten sechs Motive lassen sich allerdings ohne Probleme bei der Modellierung
in die ersten drei genannten einordnen. So ist zum Beispiel das Motiv „Ersparnis
für Ausgaben für teure, langlebige Konsumgüter“ eine Frage der intertemporalen
Substitution.
Ein Problem welches einem bei Maximierung des „Lebensnutzens“ begegnet
ist das des Endpunktes. Niemand kennt den Zeitpunkt seines Todes. In den mei-
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
49
sten Modellen wird entweder ein fixer Wert angenommen oder es wird über
einen unendlichen Zeitraum hinweg maximiert. Der Nachteil des ersten ist das
Problem, das in der letzten Periode keine Ressourcen übrig bleiben. Sofern kein
Vererbungsmotiv vorliegt, ist es für den Haushalt nicht effizient in der letzten
Periode Ressourcen übrig zu behalten. Diese Modelle arbeiten in diesem Fall mit
der Restriktion, dass am Ende der letzten Periode das Vermögen gleich Null sein
muss. Die zweite Variante ist die Annahme eines unendlichen Zeithorizontes. In
diesem Fall wird das Problem vermieden, dass das Individuum gegen Ende des
Zeithorizontes „gezwungen“ wird seine Ressourcen zu verbrauchen. Auf der
anderen Seite ist diese Art der Modellierung natürlich nicht mehr realistisch.
2.2 Einführung in die Risikonutzentheorie
In Abschnitt 1.2 wurde als ein erstes Resultat festgestellt, dass die Existenz von
Risiko eine notwendige Bedingung für unfreiwillige Überschuldung ist. Daher
sollen an dieser Stelle kurz die Grundlagen der Risikonutzentheorie gelegt werden.
Sobald Entscheidungen getroffen werden, deren Ergebnisse von Ereignissen
oder Zuständen beeinflusst werden können über die keine Kontrolle besteht, werden Entscheidungen unter Risiko gefällt. Die Ereignisse können die Umweltzustände sein wie zum Beispiel Sonnenschein oder Regen, welche ein geplantes
Picknick zum Erfolg oder Misserfolg machen können. Das Risiko kann auch den
Zustand eines Gutes betreffen das konsumiert werden soll, wie zum Beispiel ein
Auto dessen Qualität vor dem Kauf nicht vollständig ersichtlich ist. Auch die
eigenen, zukünftigen Präferenzen sind unter Umständen nicht sicher (ein
Umstand der in Abschnitt 4.2 noch von besonderem Interesse sein wird).
Hirshleifer und Riley (1992, Kap. 1) nennen 5 Elemente die ein Individuum
bei seiner Entscheidung unter Unsicherheit miteinbezieht:
(1) Ein Bündel möglicher Handlungsalternativen für das Individuum
(2) Ein Bündel möglicher Umweltzustände
50
2 Grundlagen der intertemporalen Optimierung und der Optimierung unter Risiko
(3) Eine Ergebnisfunktion welche alle möglichen Kombinationsmöglichkeiten
von Handlungen und Umweltzuständen abbildet
(4) Eine Wahrscheinlichkeitsfunktion welche die Erwartungen des Individuums
hinsichtlich der Umweltzustände ausdrückt
(5) Eine Präferenzordnung oder Nutzenfunktion welche den unterschiedlichen
Umweltzuständen Nutzen zuweist
Man stelle sich eine Lotterie vor: Die Handlungsalternativen sind an der Lotterie teilzunehmen und dafür 5 Geldeinheiten (GE) auszugeben oder es sein zu
lassen. Die möglichen Umweltzustände sind bei Teilnahme an der Lotterie der
Gewinn (10 GE zurück) oder der Verlust (die 5 GE sind verloren), bei Nichtteilnahme bleibt alles wie es ist (5 GE behalten). Die Ergebnisfunktion zeigt auf,
dass bei Teilnahme an der Lotterie entweder 5 GE verloren gehen oder ein Betrag
von 10 GE gewonnen wird. Bei Nichtteilnahme bleiben auf jeden Fall 5 GE beim
Besitzer. Die Wahrscheinlichkeitsfunktion weist jeder der Alternativen eine
Wahrscheinlichkeit zu. Die Wahrscheinlichkeit des Gewinns sei zum Beispiel
0.5, die des Verlusts in dem Fall ebenfalls 0.5 und bei Nichtteilnahme behält man
die 5 GE mit Wahrscheinlichkeit 1.
Die Präferenzordnung oder Nutzenfunktion folgt der herkömmlichen Theorie
der Nutzenmaximierung. Ich werde auf die Darstellung von Güterbündeln verzichten und den Konsumnutzen durch den Nutzen aus Einkommen y approximieren, unter der Annahme, dass dieses Einkommen letztendlich auch konsumiert
wird, wobei keine Rolle spielt wofür. In der Abbildung II.5 ist eine solche Nutzenfunktion in Abhängigkeit vom Einkommen y dargestellt. Sie hat den üblichen
konkaven Verlauf, der durch die Annahme der Risikoaversion entsteht. In der
betrachteten Lotterie besteht die Möglichkeit 5 GE sicher zu haben oder mit einer
Wahrscheinlichkeit von 0.5 10 GE zu gewinnen und mit einer Wahrscheinlichkeit
von 0.5 nichts zu haben (bzw. 5 GE zu verlieren). Auf der Horizontalen ist das
Einkommen y abgetragen. Der mögliche Gewinn von 10 GE ergibt den auf der
Vertikalen abgetragenen Nutzen von y*. Der Nutzen des Nichtgewinns sei in diesem Fall gleich Null und der Nutzen des Erwartungswertes (= 5 GE) ist gleich
dem Nutzen der Nichtteilnahme an der Lotterie (5 GE behalten). Entscheidend ist
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
51
allerdings der Erwartungsnutzen, welcher einem y von 2.5 GE entspricht. Dass
heisst, das betrachtete Individuum zieht aus der Teilnahme an der Lotterie einen
Nutzen, der einem sicheren Einkommen von 2.5 GE entspricht. Da die Teilnahme an der Lotterie aber 5 GE kostet, wird das Individuum vorziehen nicht
teilzunehmen, um die 5 GE mit Sicherheit behalten zu können. Ein Verhalten dieser Art bezeichnet man mit Risikoaversion, abgebildet durch den konkaven Verlauf der Nutzenfunktion. Dementsprechend wird ein Individuum mit linearer
Nutzenfunktion als risikoneutral bezeichnet und orientiert sich am Erwartungswert. Ein Individuum mit konvexer Nutzenfunktion präferiert eine Lotterie mit
einem Erwartungswert, der kleiner ist als die sichere Alternative. Ein solches
Individuum wird als risikofreudig bezeichnet.
Eine Unterscheidung zwischen Risiko und Unsicherheit wie sie Knight (1921)
macht, wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit nicht vorgenommen. Ich schliesse
mich der Argumentation von Hirshleifer und Riley (1992) an, demzufolge nicht
so sehr die Kalkulation einer objektiven Wahrscheinlichkeit wie sie Knight als
Voraussetzung für Risiko fordert, sondern schon eine subjektive Wahrscheinlichkeit ausreichend ist. Subjektive Wahrscheinlichkeit heisst, dass jedes Individuum
sich seine eigenen Erwartungen bezüglich zukünftiger Ereignisse bildet, gestützt
auf die ihm zur Verfügung stehenden Informationen. Diese subjektive Wahrscheinlichkeit kann unter Umständen deutlich von der objektiven abweichen,
was aber für die Entscheidung des Individuums nicht von Bedeutung ist, sondern
allenfalls für das Ergebnis.
52
2 Grundlagen der intertemporalen Optimierung und der Optimierung unter Risiko
Abbildung II.5
Darstellung der Risikonutzenfunktion
U
U(y)
U(yopt.)
U(E[y])
EU(y)
A
0
2.5 Fr.
π=0.5 =y*
5 Fr.
=E[y]
y
10 Fr.
π=0.5
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
53
3 Risiko als Grund für Überschuldung
Wie in Resultat II.5 von Abschnitt 1.2 erläutert, bildet Risiko eine notwendige
aber nicht immer hinreichende Bedingung für Überschuldung. Wäre Risiko auch
permanent eine hinreichende Bedingung für unfreiwillige Überschuldung, so
wären alle Menschen überschuldet, da zukünftige Ereignisse immer einem
Risiko unterliegen. Die Frage ist wie weit Risiko verantwortlich gemacht werden
kann für Überschuldung. Es soll in diesem Abschnitt überprüft werden, in welcher Form die Überschuldungswahrscheinlichkeit vom Einkommensrisiko
abhängt.
3.1 Ohne explizite Darstellung des Überschuldungsrisikos
In diesem ersten Abschnitt wird das Verhalten eines Individuums untersucht,
welches einem Einkommensrisiko unterliegt. Das Risiko der Überschuldung mit
der Folge eines Betreibungsverfahrens wird anfangs nicht berücksichtigt.
3.1.1 Vorsichtersparnis in der ökonomischen Literatur
Empirische Studien der 50er Jahre fanden relativ grosse Unterschiede im Sparverhalten zwischen Bevölkerungsgruppen mit unterschiedlichen Einkommensrisiken [vgl. Skinner (1988)]. Diejenigen, welche einem relativ hohen
Einkommensrisiko unterlagen, wie zum Beispiel Selbständige, besassen eine
höhere Sparneigung als zum Beispiel angestellte Manager. Ein ähnliches Ergebnis hat Gehrels (1991) mit deutschen Daten erhalten. Friedman (1957) begründete diese Unterschiede in der Sparneigung mit den unterschiedlichen
Einkommensrisiken. Diese Idee war zu diesem Zeitpunkt allerdings schon nicht
mehr neu. Fisher (1930) argumentierte, dass das Einkommensrisiko die Zeitpräferenzrate senke und somit das Sparen erhöhe. Dieser Idee schliessen sich zum
Beispiel Mezes und Auten (1978) an. Die aktuelle Literatur bezüglich des Konsumverhaltens bei Einkommensrisiko argumentiert allerdings nicht über die Zeitpräferenzrate. Die Theorie der sog. Vorsichtsersparnis (Precautionary Saving)
beruht auf der Konkavität der Nutzenfunktion und der daraus folgenden Risikoa-
54
3 Risiko als Grund für Überschuldung
version. Das Modell welches dieses Prinzip wohl mit am einfachsten zeigt,
stammt von Blanchard und Mankiw (1988); dieses Modell werde ich im folgenden Abschnitt vorstellen und auch für die weitere Analyse verwenden. Caballero
(1990 und 1991) hat dieses Modell ebenfalls verwendet und verallgemeinert. Die
Arbeiten von Skinner (1988), Zeldes (1989), Deaton (1991), Carroll und Kimball
(1995) sowie Carroll (1997) verfeinern die Theorie der Vorsichtsersparnis noch
und eliminieren auch einige der Unvollkommenheiten des Modells von Blanchard und Mankiw, dies allerdings um den Preis der Handhabbarkeit. Ohne
Simulationen am Computer sind die Ergebnisse kaum noch interpretierbar.
3.1.2 Das Modell von Blanchard und Mankiw
Blanchard und Mankiw (1988) entwickeln ein relativ einfaches Modell der intertemporalen Optimierung unter Einkommensrisiko. Dieses Modell soll als Basis
für meine Überlegungen dienen. Blanchard und Mankiw maximieren eine Zielfunktion der Art:
T–t
max EU = E
∑i = 0 U ( ct + i )
.
(II.18)
Ein Individuum maximiert seinen Erwartungsnutzen aus Konsum über den
bekannten Zeitraum t bis T hinweg. Das Risiko liegt beim zukünftigen Einkommen, welches nicht bekannt ist. Zinssatz und Zeitpräferenzrate sind gleich Null,
um den Einfluss des Risikos zu isolieren. Die Budgetbeschränkung für dieses
Maximierungsproblem lautet:
vt + i + 1 = vt + i + yt + i – ct + i .
(II.19)
Die Variable v steht für das Vermögen und die Variable y für das Arbeitseinkommen. Die Werte beziehen sich jeweils auf den Anfang einer Periode. Das
Vermögen der Gegenwartsperiode t ist gegeben ( v t = v t ). Das Vermögen der Endperiode ist in Absenz eines Erbschaftsmotivs gleich Null ( v T + 1 = 0 ) .
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
55
Das Risiko, welchem das Individuum unterliegt, beschränkt sich auf das
Arbeitseinkommen der zukünftigen Perioden. Nach Differenzierung der Zielfunktion (II.18) ergibt sich die Bedingung erster Ordnung für ein Maximum:
∂U
∂U
------- = E  -------------- .1
 ∂c 
∂c t
t+i
(II.20)
Der Grenznutzen des Konsums einer Periode t entspricht dem erwarteten Grenznutzen des Konsums jeder Folgeperiode t + i. Die Taylor Approximation 2. Ordnung der Gleichung (II.20) für EU' ( c t + i ) ergibt:2
2
1
EU' ( c t + i ) = U' ( c t ) + U'' ⋅ E ( c t + i – c t ) + --- ⋅ U''' ⋅ E ( c t + i – c t ) .
2
(II.21)
Gleichung (II.21) lässt sich durch U'' teilen und man erhält
2
U' ( c t )
EU' ( c t + i )
1 U'''
------------------------- = -------------- + E ( c t + i – c t ) + --- ⋅ -------- ⋅ E ( c t + i – c t ) .
2 U''
U''
U''
(II.22)
Die Entwicklung eines Masses für den Grad der Risikoaversion geht zurück
auf Arrow (1965) und Pratt (1964). Seitdem kennt man im Rahmen der Theorie
der Optimierung unter Risiko den Ausdruck – U'' ⁄ U' , als das Arrow-Pratt Mass
der absoluten und – U''w ⁄ U' als das Arrow-Pratt Mass der relativen Risikoaversion. Je grösser der Wert des Arrow-Pratt Masses, desto risikoaverser ist ein Individuum. Leland (1968), Sandmo (1970), Drèze und Modigliani (1972) und in
neuerer Zeit Kimball (1987) haben als Äquivalent zum Arrow-Pratt Mass den
absoluten und relativen Vorsichtskoeffizienten bezüglich des Konsums eingeführt und untersucht ( – U''' ⁄ U'' bzw. – U'''c ⁄ U'' ) .
1) Die Differenzierung von Gleichung (II.18) nach ct+i ergibt einen Satz Bedingungen erster
Ordnung der Form: ( ∂EU ) ⁄ ( ∂c t + i ) – λ = 0 für jedes 0 ≤ i ≤ T – t . Ausgehend von der
ersten Periode i = 0, lässt sich somit Gleichung (II.20) herleiten.
2) Vgl. Silberberg (1990) 54f.
56
3 Risiko als Grund für Überschuldung
Die beiden erwähnten Masse müssen nicht zwangsläufig dieselben sein. Es
ergibt sich allerdings bei der Verwendung einer exponentiellen Nutzenfunktion
[ U ( c ) = – ( 1 ⁄ γ ) ⋅ exp ( – γ ⋅ c ) ] sowie bei der Verwendung einer isoelastischen
Nutzenfunktion [ U ( c ) = 1 ⁄ ( 1 – γ ) ⋅ c
1–γ
] , dass das Arrow-Pratt Mass und der
Vorsichtskoeffizient identisch sind.1
Mit dieser Vorbereitung lässt sich Gleichung (II.22) unter Verwendung von
Gleichung (II.20) wie folgt schreiben:
2
1
E ( c t + i – c t ) = --- ⋅ a ⋅ E ( c t + i – c t ) .
2
(II.23)
Die Variable a steht für das absolute Arrow-Pratt Mass als auch für den absoluten Vorsichtskoeffizienten. In der weiteren Analyse will ich mich jetzt auf die
einfache Form der exponentiellen Nutzenfunktion konzentrieren. Diese Form
wird bei der Diskussion der Nutzenmaximierung unter Risiko sehr häufig verwendet. Es gilt somit
Ut = –e
– γc t
.
(II.24)
Unter der Annahme, dass das Arbeitseinkommen einem random walk folgt,
dessen Störterm eine symmetrische Zufallsverteilung mit einem Erwartungswert
2
von 0 und einer Varianz σ aufweist, lässt sich Gleichung (II.23) wie folgt ausdrücken:2
2
1
E ( c t + 1 ) = c t + --- ⋅ γ ⋅ σ .
2
(II.25)
1) Vgl. Blanchard und Mankiw (1988).
2) Blanchard und Mankiw erhalten an dieser Stelle statt 1/2 den Wert 1/4 auf der rechten
Seite der Gleichung (II.25). Auch nach wiederholtem Rechnen erhalte ich selbst allerdings 1/2, so wie auch Caballero (1990). Ich werde daher mit diesem Wert fortfahren.
Sollte sich der Wert 1/4 bewahrheiten, so ändert dies jedoch an den weiteren Ergebnissen
nicht viel.
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
57
Der Erwartungswert des Konsums in der kommenden Periode ist grösser als
der gegenwärtige Konsum, obwohl das Einkommen einen Erwartungswert aufweist, welcher dem heutigen Einkommen entspricht. Der Grund ist die konkave
Form der Nutzenfunktion, die in diesem Fall durch das absolute Arrow-Pratt
Mass der Risikoaversion γ bestimmt wird. Der Nutzen des Erwartungswertes des
Konsums ist geringer als der Nutzen sicheren Konsum in derselben Höhe (vgl.
Abschnitt 2.2). Somit muss der Erwartungswert des zukünftigen Konsums grösser sein als der sichere, aktuelle Wert, damit die Optimalbedingung (II.20)
[Grenznutzen des Erwartungswerts zukünftigen Konsums gleich dem Grenznutzen heutigen Konsums] erfüllt ist.
Mit Hilfe der Budgetgleichung lässt sich schliesslich der Konsum zum Zeitpunkt t bestimmen. Die Budgetgleichung (II.19) lässt sich auch unter der
Annahme v T + 1 = 0 wie folgt schreiben:
T–t
T–t
∑i = 0 E ( ct + i ) = vt + yt + ∑i = 1 E ( yt + i ) .
(II.26)
Die Summe des Konsums ab einer Periode t bis zum Ende der letzten Periode
T, muss gleich dem in dieser Periode verfügbaren Vermögen vt, plus dem Einkommen dieser Periode yt, plus der Summe der erwarteten Einkommen der Folgeperioden sein. Unter Verwendung der Gleichung (II.25) ergibt sich
schliesslich:
2
1
1
c t = -------------------- ⋅ v t + y t – --- ⋅ ( T – t ) ⋅ γ ⋅ σ .
2
T–t+1
(II.27)
Der Konsum zum Zeitpunkt t ist negativ abhängig von der Varianz des
2
Arbeitseinkommens σ . Die Ersparnis steigt mit steigender Varianz des Einkommens. Soweit sich die Varianz als das Risiko interpretieren lässt, heisst das
Ergebnis, dass die Ersparnis mit dem Einkommensrisiko steigt.
58
3 Risiko als Grund für Überschuldung
In Abbildung II.6 ist das Beispiel eines Einkommens- sowie eines Konsumpfads über 50 Perioden eingezeichnet. Die Varianz des Störterms beträgt 2,
der Erwartungswert des Einkommens in der 1. Periode beträgt 15 und das absolute Mass der Risikoaversion wurde auf 0.2 gesetzt. Wie zu sehen, ist der Konsumpfad im Trend steigend. Je grösser das Mass der Risikoaversion, desto steiler
wird dieser Pfad.
Abbildung II.6
Einkommens- und Konsumpfad im Modell von
Blanchard/Mankiw
40.00
35.00
30.00
25.00
Einkommen
20.00
Konsum
15.00
10.00
5.00
1
3
5 7
9 11 13 15 17 19 21 23 25 27 29 31 33 35 37 39 41 43 45 47 49
Resultat II.4
Das Resultat der Analyse von Blanchard und Mankiw ist,
dass erhöhtes Einkommensrisiko zu erhöhter Ersparnis (der
sog. Vorsichtsersparnis) führt, sofern die Individuen risikoavers sind.
Das Modell von Blanchard und Mankiw ist relativ einfach und daher gut
geeignet das Prinzip der Vorsichtsersparnis zu zeigen. Allerdings ermöglicht
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
59
diese Modellierung unliebsame Ergebnisse, da negativer Konsum möglich ist.
Wie anhand von Gleichung (II.27) zu sehen ist, müssen Einkommen yt und Ver2
mögen vt nur niedrig genug sein, bei gleichzeitig relativ grosser Varianz σ , und
das Ergebnis ist ein negativer Konsum ct.
3.1.3 Vorsichtssparen und Überschuldungsrisiko
Im vorherigen Abschnitt wurde die Existenz der sog. Vorsichtsersparnis aufgezeigt. Die Ersparnis steigt mit der Varianz des Einkommens. Sofern die Varianz
Rückschlüsse auf das Risiko erlaubt, lässt sich sagen, dass steigendes Einkommensrisiko zu verstärkter Ersparnis führt. Im folgenden Abschnitt will ich jetzt
der Frage nachgehen, wie sich ein steigendes Einkommensrisiko auf die Wahrscheinlichkeit der Überschuldung auswirkt. Dies vor allem unter der folgenden
Hypothese:
Die Existenz der Vorsichtsersparnis könnte dazu führen, dass
ein erhöhtes Einkommensrisiko durch Mehrersparnis überkompensiert wird, wodurch die Überschuldungswahrscheinlichkeit sinken könnte.
Für die weitere Analyse beschränke ich mich auf zwei Perioden. Ferner wird
angenommen, dass Vermögen betrage am Anfang der ersten Periode 0. Gleichung (II.27) kann somit wie folgt geschrieben werden:
2
1
c 1 = y 1 – --- ⋅ γ ⋅ σ .
2
(II.28)
Die Ersparnis in der ersten Periode ist schlicht durch die Differenz von Einkommen und Konsum definiert,
2
1
s 1 = y 1 – c 1 = --- ⋅ γ ⋅ σ .
2
(II.29)
60
3 Risiko als Grund für Überschuldung
Als nächstes muss die Definition der Überschuldung formalisiert werden. Zur
Vereinfachung lege ich die Bedingung fest, der Haushalt könne sich in Periode 2
nicht auf dem Kapitalmarkt verschulden und müsse mindestens ein Konsumnimin
veau in Höhe von c 2
min
y 2∗ + s 1 – c 2
erreichen. Daraus ergibt sich, dass
≥ 0.
(II.30)
Die Variable y 2∗ kennzeichnet das realisierte Arbeitseinkommen der zweiten
min
Periode. Die Variable c 2 steht für den Minimalkonsum welchen der Haushalt
zu Überleben braucht. Die Bedingung, dass sich das Individuum in der zweiten
Periode nicht verschulden kann erfordert, dass die Differenz aus Einkommen
plus Ersparnis der Vorperiode mindestens gleich dem Mindestkonsum ist.
Andernfalls soll das Individuum als überschuldet gelten. Dass heisst, die fälligen
Rechnungen von mehr oder weniger fixen Ausgaben, wie z.B. Miete oder Krankenversicherung, können nicht mehr bezahlt werden.
Mit diesen Vorgaben lässt sich jetzt ein kritischer Wert für das realisierte Einkommen der zweiten Periode berechnen. Liegt das Einkommen unter diesem
Wert, so ist der Haushalt überschuldet. Es gelte
krit
y2
min
= c2
min
– s1 = c2
2
1
– --- ⋅ γ ⋅ σ .
2
(II.31)
Die Frage ist nun, wie gross die Wahrscheinlichkeit ist, dass das Einkommen
den kritischen Wert unterschreitet. Die Eintrittswahrscheinlichkeit einer definierten Abweichung vom Erwartungswert einer Zufallsvariablen lässt sich mit Hilfe
der Tschebyscheffschen Ungleichung approximieren.1
Auf das vorliegende Problem bezogen ergibt die Tschebyscheffsche Ungleichung:
1) Vgl. Judge et al. (1988), 42.
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
61
Tschebyscheffsche Ungleichung:
2
Ist X eine beliebige Zufallsvariable mit E ( X ) = µ, var ( X ) = σ , so gilt:
2
σ
P ( X – µ ≥ c ) ≤ -----2
c
für jedes c > 0.
2
krit
σ
P ( y 2∗ – E ( y 2 ) ≥ E ( y 2 ) – y 2 ) ≤ -------------------------------------- .
krit 2
[ E ( y2 ) – y2 ]
(II.32)
Die Wahrscheinlichkeit, dass der Betrag der Differenz zwischen tatsächlichem Einkommen der zweiten Periode und erwartetem Einkommen grösser/
gleich der Differenz zwischen erwartetem und kritischem Einkommen ist, ist
kleiner als der Betrag auf der rechten Seite der Ungleichung (II.32). Diese
Ungleichung lässt sich noch etwas vereinfachen, so dass
2
krit
σ
P ( y 2∗ ≤ y 2 ) ≤ -------------------------------------- .
krit 2
[ E ( y2 ) – y2 ]
(II.33)
Die Wahrscheinlichkeit, dass das realisierte Einkommen der zweiten Periode
kleiner ist als der kritische Wert des Einkommens, ist kleiner als
2
krit 2
σ ⁄ [ E ( y2 ) – y2 ] .
Die Tschebyscheffsche Ungleichung ist allerdings nicht geeignet eine qualitative Analyse dieser Frage durchzuführen, da sie keine eindeutige Funktion darstellt. Im folgenden Abschnitt werde ich deshalb die Wirkung einer Erhöhung des
Risikos auf die Überschuldungswahrscheinlichkeit anhand zweier konkreter Verteilungen messen.
62
3 Risiko als Grund für Überschuldung
3.1.4 Einfluss des Einkommensrisikos auf die
Überschuldungswahrscheinlichkeit
Die interessante Frage lautet jetzt: Wie verändert sich die Überschuldungswahrscheinlichkeit mit der Standardabweichung? Differenziert man den kritischen
2
Wert des Einkommens [vgl. Gleichung (II.31)] nach der Varianz σ , so ergibt
sich bei risikoaversen Individuen ein negativer Wert,
krit
∂y 2
1
-------------- = – --- ⋅ γ < 0 bei Risikoaversion .
2
2
∂σ
(II.34)
Da man im allgemeinen von risikoaversen Individuen ausgehen kann [vgl.
Szpiro (1986)], sinkt der kritische Wert des Einkommens mit steigender Varianz.
Dass heisst, steigendes Risiko führt zu mehr Vorsichtsersparnis, dies wiederum
senkt den kritischen Wert des Einkommens. Ceteris paribus sinkt daher auch die
Überschuldungswahrscheinlichkeit. Auf der anderen Seite heisst eine Erhöhung
der Varianz, dass die zu erwartenden Abweichungen vom Erwartungswert grösser werden, dass ceteris paribus die Überschuldungswahrscheinlichkeit steigt.
Eine Veränderung der Varianz führt also zu zwei entgegengesetzten Resultaten.
Welcher Effekt letztendlich überwiegt, soll im folgenden anhand zweier konkreter Verteilungsfunktionen getestet werden.
3.1.4.1Das Einkommensrisiko sei gleichverteilt
Die einfachste Funktion einer Zufallsvariablen ist die stetige Gleichverteilung.
Ihre Verteilungsfunktion ist gegeben durch:

0

 x–a
F ( x ) =  ---------- b–a

1

für x < a
füra ≤ x ≤ b
für x > b.
(II.35)
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
63
Der Erwartungswert einer gleichverteilten Zufallsvariablen ist ( a + b ) ⁄ 2 und
2
die Varianz ( a – b ) ⁄ 12 .
In Anlehnung an Gleichung (II.35) lässt sich jetzt die Wahrscheinlichkeit
krit
bestimmen, dass das Einkommen den kritischen Wert y 2 unterschreitet. Sie
lautet:
krit
min
y2 – y2
krit
∗
P ( y 2 < y 2 ) = ----------------------------- .
max
min
y2 – y2
(II.36)
Eine Erhöhung des Risikos bei gleichbleibendem Erwartungswert lässt sich
bei der Gleichverteilung durch eine Verschiebung der beiden Extremwerte nach
aussen abbilden (vgl. Abbildung II.7).1
Abbildung II.7
Dichtefunktion des Zukunftseinkommens bei einer
Änderung der Varianz - Der Fall der Gleichverteilung
f(y2)
1
-----------b–a
a‘
a
min
y2
E (y 2)
krit
y2
b
b‘
y2
max
y2
Es kann festgehalten werden, dass
1) Die links-schraffierte Fläche in Abbildung II.7 ist die Wahrscheinlichkeit der Überschuldung vor der Risikoerhöhung, die rechts-schraffierte Fläche ist die Überschuldungswahrscheinlichkeit nach der Erhöhung.
64
3 Risiko als Grund für Überschuldung
max
∂y
--------------- = – 1 gilt.
min
∂y
(II.37)
min
Eine Erhöhung der Varianz lässt sich durch eine Verringerung von y 2
chen.
errei-
Durch die Veränderung der Extremwerte ändert sich die Varianz unter Verwendung der Gleichung (II.37) wie folgt:
min
max 2
∂ ( y 2 – y 2 ) ⁄ 12
∂σ
-------------- = ------------------------------------------------------- =
min
min
∂y 2
∂y 2
2
min
max
max
min
min
max
y2 – y2
2 ⋅ ( y 2 – y 2 ) ⋅ ( 1 – ∂y 2 ⁄ ∂y 2 ) ⋅ 12
-------------------------------------------------------------------------------------------------------- = ----------------------------2
3
12
.
(II.38)
Mit dem notwendigen Rüstzeug versehen, lässt sich jetzt mit Hilfe der Gleimin
chungen (II.34) und (II.38) die Gleichung (II.36) nach ∂y 2
differenzieren,
wodurch der Einfluss einer Risikoänderung auf die Überschuldungswahrscheinlichkeit analysiert werden kann,
krit
∂P ( y 2∗ < y 2 )
------------------------------------- =
min
∂y 2
 ∂y krit

 ∂y max 
2
max
min
krit
min
∂σ
2
2
 -------------- ⋅ -------------- – 1 ⋅ ( y
y 2 ) – ( y 2 – y 2 ) ⋅  --------------- – 1
–
2


 min

2
min
∂y 2
 ∂σ

 ∂y 2

----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------.
max
min 2
( y2 – y2 )
(II.39)
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
krit
2
2
65
min
Durch Einsetzen der Ausdrücke für ( ∂y 2 ) ⁄ ( ∂σ ) , ( ∂σ ) ⁄ ( ∂y 2
max
min
( ∂y 2 ) ⁄ ( ∂y 2 ) erhält man:
) sowie
krit
∂P ( y 2∗ < y 2 )
------------------------------------- =
min
∂y 2
min
max
max
min
krit
min
1
– --- ⋅ γ ⋅ ( y 2 – y 2 ) – 1 ⋅ ( y 2 – y 2 ) + 2 ⋅ ( y 2 – y 2 )
6
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- > 0.
<
max
min 2
( y2 – y2 )
(II.40)
Das Vorzeichen der Ableitung ist nicht eindeutig. Eine Erhöhung des Risikos,
min
ausgedrückt durch eine Verringerung (= Aussenverschiebung von y 2 ) führt
dann zu einer Verringerung der Überschuldungswahrscheinlichkeit, wenn das
Vorzeichen der Ableitung in Gleichung (II.39) grösser Null ist. Schliesslich lässt
krit
sich noch die Variable y 2 durch den Ausdruck der Gleichung (II.31) ersetzen.
Die Bedingung für eine Verringerung der Überschuldungswahrscheinlichkeit bei
einer Erhöhung des Risikos (= Erhöhung der Standardabweichung = Verringemin
rung y 2 ) lautet:
min
max
min
12 ⋅ ( y 2 + y 2 – 2 ⋅ c 2 )
γ > --------------------------------------------------------------------min
max 2
( y2 – y2 )
(II.41)
Die Vorsichtsersparnis risikoaverser Individuen führt dann zu einer Überkompensation eines gestiegenen Einkommensrisikos und damit zu einer Verringerung
der Überschuldungswahrscheinlichkeit, wenn der Grad der Risikoaversion grösser als der Ausdruck auf der rechten Seite der Ungleichung (II.41) ist.
66
3 Risiko als Grund für Überschuldung
3.1.4.2Das Einkommensrisiko sei normalverteilt
Im zweiten Fall wird nun angenommen, dass Zukunftseinkommen sei normalverteilt. In Abbildung II.8 ist die Wirkung einer Änderung der Varianz bei einer Normalverteilung grafisch dargestellt. Die links-schraffierte Fläche in Abbildung II.8
Abbildung II.8
Dichtefunktion des Zukunftseinkommens bei einer
Änderung der Varianz - Der Fall der Normalverteilung
f(y2)
krit
σ2
y2
E( y2)
y2
ist wiederum die Wahrscheinlichkeit der Überschuldung vor der Risikoerhöhung,
die rechts-schraffierte Fläche ist die Überschuldungswahrscheinlichkeit nach der
Erhöhung. Der Wert des kritischen Einkommens hat sich nach links verschoben
(aufgrund der durch die Risikoerhöhung ausgelösten höheren Ersparnis), was
einer Verringerung der Überschuldungswahrscheinlichkeit gleichkommt. Der
Gegeneffekt besteht jedoch in der Aussenverschiebung der gesamten Funktion
durch die Erhöhung des Risikos, was zu einer Erhöhung der Überschuldungswahrscheinlichkeit führt.
Die Verteilungsfunktion der Normalverteilung sieht aus wie folgt:1
1) Vgl. Bohley (1989), 399.
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
67
x
F(x) =
∫
–∞
1
1  ξ – µ 2
----------------------- ⋅ exp – --- ⋅ ------------ dξ .
2  σ 
σ⋅ 2⋅π
(II.42)
Aus der Verteilungsfunktion lässt sich die Wahrscheinlichkeit, dass ein
bestimmter Wert unterschritten wird, direkt ablesen. Für das vorliegende Problem, dass die Wahrscheinlichkeit zu ermitteln ist ob das Einkommen einen Wert
annehmen kann, welcher unterhalb des kritischen Wertes liegt, ergibt sich:
krit
krit
P ( y2 ≤ y2 ) = F ( y2 ) =
(II.43)
krit
y2
2
∫
–∞
1
1  y2 – E ( y2 ) 
----------------------- ⋅ exp – --- ⋅  -------------------------  dy 2.
σ
2 
σ⋅ 2⋅π

Eine Linksverschiebung des kritischen Einkommens (durch eine Ersparnissteigerung aufgrund einer Erhöhung der Varianz) verringert sich der Wert des
bestimmten Integrals in Gleichung (II.43), die Überschuldungswahrscheinlichkrit
keit P ( y 2 ≤ y 2 ) sinkt also. Auf der anderen Seite erhöht eine steigende Varianz
den Wert der Exponentialfunktion, wodurch der Wert des Integrals und damit die
Überschuldungswahrscheinlichkeit vergrössert wird.
Um die Grösse des Nettoeffekts herauszufinden, wird Gleichung (II.43) ver2
einfacht nach der Standardabweichung σ und nicht nach der Varianz σ differenziert. Die Ableitung des kritischen Einkommens nach der Standardabweichung
lautet:
krit
∂y 2
-------------- = – γ ⋅ σ < 0 bei Risikoaversion .
∂σ
(II.44)
68
3 Risiko als Grund für Überschuldung
Zur Vorbereitung einer einfacheren Rechnung lässt sich Gleichung (II.43) in
allgemeinerer Form schreiben:
krit
y2
krit
P ( y2 ≤ y2 ) =
–∞
krit
y2 ( σ )
∫
=
∫
2
1
1  y2 – E ( y2 ) 
----------------------- ⋅ exp – --- ⋅  -------------------------  dy 2
σ
2 
σ⋅ 2⋅π

(II.45)
f ( y 2, σ ) dy 2 .
–∞
In dieser Form lässt sich Gleichung (II.45) nach σ ableiten. Daraus resultiert:
krit
∂P ( y 2 ≤ y 2 )
---------------------------------- =
∂σ
y2 ( σ )
(II.46)
krit
∂f ( y 2, σ )
krit
∂( –∞)
---------------------- dy 2 + f [ y 2 , σ ] ⋅ -------------- – f [ – ∞, σ ] ⋅ --------------- = 0.
∂σ
∂σ
∂σ







∫
krit
∂y 2
–∞
krit
Die Ausdrücke f [ – ∞, σ ] und f [ y 2 , σ ] stehen für die Entwicklung des Integrals an der unteren bzw. oberen Grenze, also die jeweilige Dichte. Da eine
Ableitung an der unteren Grenze nicht existiert, entfällt der letzte Term auf der
rechten Seite der Gleichung (II.46). Das explizite Ergebnis des Differentials lautet:
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
69
krit
∂P ( y 2 ≤ y 2 )
---------------------------------- =
∂σ
(II.47)
krit
y2
2
–∞
krit
∂y 2
krit
f [ y 2 , σ ] ⋅ -------------∂σ









+
[ y2 – E ( y2 ) ] – 2 ⋅ π
1  y2 – E ( y2 ) 
------------------------------------------------------ ⋅ exp – --- ⋅  ------------------------- 
2
σ
2 

σ
dy 2





















∫
2
(-)
(+)
<
> 0.
Der erste Term auf der rechten Seite der Gleichung (II.47), das Integral, ist in
jedem Fall positiv. Der zweite Term ist negativ, sofern das Individuum risikoakrit
vers und somit die Ableitung ∂y 2 ⁄ ∂σ negativ ist [vgl. Gleichung (II.44)]. Das
Vorzeichen ist unbestimmt. Eine Erhöhung der Standardabweichung führt nicht
in jedem Fall zu einer Erhöhung der Überschuldungswahrscheinlichkeit.
Da der Ausdruck der Gleichung (II.47) eher unhandlich und schwer interpretierbar ist, soll zur Verdeutlichung, dass eine Verringerung der Überschuldungswahrscheinlichkeit aufgrund einer Risikosteigerung möglich ist, in Abbildung
II.9 eine einfache Simulation präsentiert werden. Es wird angenommen, der Mittelwert einer normalverteilten Einkommensverteilung betrage 300. In Abbildung
II.9 ist die Entwicklung der Überschuldungswahrscheinlichkeit in Abhängigkeit
von der Standardabweichung bei drei verschiedenen Niveaus der Risikoaversion
abgetragen. Bei allen drei Kurven ist deutlich zu sehen, dass bei steigendem Einkommensrisiko, abgebildet durch eine steigende Standardabweichung, anfänglich die Überschuldungswahrscheinlichkeit ebenfalls steigt, später aber dann
wieder absinkt. Dass heisst, das Individuen, die einem höheren Einkommensrisiko als andere unterliegen ceteris paribus nicht zwangsläufig auch einer höheren
Überschuldungswahrscheinlichkeit unterliegen.
70
3 Risiko als Grund für Überschuldung
Abbildung II.9
Simulation der Überschuldungswahrscheinlichkeit in
Abhängigkeit von der Standardabweichung bei
unterschiedlicher Risikoaversion
Überschuldungswahrscheinlichkeit
0.35
γ = 0.01
0.30
0.25
0.20
0.15
γ = 0.05
0.10
0.05
γ = 0.1
0
5
10
15
20
25
30
Standardabweichung
Resultat II.5
Ein steigendes Einkommensrisiko kann bei risikoaversen
Individuen deren Vorsichtsersparnis soweit erhöhen, dass
die Überschuldungswahrscheinlichkeit sinkt. Dies gilt unter
den gemachten Annahmen mindestens für eine Gleich- sowie
eine Normalverteilung des Einkommens.
3.2 Berücksichtigung des Überschuldungsrisikos
Das vorgestellte Modell zur Vorsichtsersparnis von Blanchard und Mankiw und
auch die anderen theoretischen Ansätze zu diesem Thema betrachten nur das Einkommensrisiko an sich, dass heisst die Möglichkeit, dass das Einkommen in der
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
71
nächsten Periode möglicherweise geringer (oder höher) als erwartet ausfallen
kann. Ein exogener Schock hat „nur“ eine Einkommens- und damit eine Konsumreduktion zur Folge. Ein Überschuldungsrisiko und einen möglichen Bankrott gibt es nicht. Der Bankrott privater Haushalte als Folge von Überschuldung
ist durchaus beachtet worden in der ökonomischen Forschung (vor allem auf der
empirischen Ebene), wenn auch nicht so ausgiebig wie das Bankrottrisiko von
Unternehmen. Zugegebenermassen ist für ein Unternehmen der Bankrott ein
weitaus einschneidenderes Ereignis als für einen privaten Haushalt. Das Unternehmen hört eventuell auf zu bestehen, es wird liquidiert. Der Haushalt jedoch
lebt und optimiert weiter unter gewissen Restriktionen wie zum Beispiel einer
Lohn- oder Vermögenspfändung. Mit dem Bankrott privater Haushalte auf der
theoretischen Ebene hat sich vor allem Sethi (1997) beschäftigt. Sein Buch
„Optimal consumption and investment with bankruptcy“ enthält eine Reihe von
Modellen, welche das Verhalten von Individuen hinsichtlich ihres Konsums bei
Existenz eines Bankrottrisikos mit den unterschiedlichsten Annahmen analysieren. Diese Modelle sind allerdings allesamt aufgrund ihrer hohen mathematischen Komplexität nur schwer interpretierbar.
Die einfachste Möglichkeit auch das Bankrottrisiko in die Optimierung einzuarbeiten ist sicherlich ein normales Präventionsmodell, wie es auch aus der Versicherungsliteratur bekannt ist.
Ein Individuum maximiere seinen Erwartungsnutzen aus Konsum über zwei
Perioden hinweg:
e
EU = U [ c 1, c 2 ] .
(II.48)
Zeitpräferenzrate und Zinssatz sind gleich und werden bei der Analyse nicht
weiter beachtet. Der Konsum der ersten Periode ist gleich dem Einkommen
abzüglich/zuzüglich der Ersparnis/Verschuldung dieser Periode,
c1 = y1 – s1 .
(II.49)
72
3 Risiko als Grund für Überschuldung
Der erwartete Konsum der zweiten Periode ist mit einer Wahrscheinlichkeit
1 – π gleich dem erwartetem Einkommen, plus/minus der Ersparnis/Verschuldung der Vorperiode. Mit Wahrscheinlichkeit π ist das Individuum in der zweiten Periode überschuldet. Die Überschuldung ist dadurch definiert, dass das
Einkommen einen kritischen Wert unterschreitet, bei dem Einkommen plus
Ersparnis nicht ausreichen den lebensnotwendigen Minimalkonsum zu erreichen.
Die Folge der Überschuldung ist eine Betreibung in dessen Folge der Konsum
des Individuums auf das betreibungsrechtliche Existenzminimum m beschränkt
e
wird. c 2 ist somit definiert durch:
e
c 2 =  y 2 + s 1
 m
mit Wahrscheinlichkeit 1 – π
(II.50)
mit Wahrscheinlichkeit π.
Unterschreitet y 2 den kritischen Wert, so tritt der Betreibungsfall ein, andernfalls kann das Individuum sein volles Einkommen y 2 plus/minus der Ersparnis/
Verschuldung der Vorperiode konsumieren (s1). Die Wahrscheinlichkeit, dass das
Einkommen den kritischen Wert unterschreitet, wurde in Abschnitt 3.1.4 am Beispiel der Gleich- und der Normalverteilung dargestellt. Je grösser der kritische
Wert, desto grösser ist die Überschuldungswahrscheinlichkeit π [vgl. hierzu
auch Gleichung (II.43)]. In Verbindung mit der Definition des kritischen Einkommens [vgl. Gleichung (II.31)] lässt sich somit schreiben:
∂π
∂π
-------- < 0 bzw. -------- > 0 .
∂c 1
∂s 1
(II.51)
Die zu maximierende Funktion (II.48) mit den beiden Nebenbedingungen (II.49)
und (II.50) lautet:
Max EU = U ( c ) + ( 1 – π ) ⋅ U ( y + y – c ) + π ⋅ U ( m ) .
1
2
1
1
c1
(II.52)
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
73
Die Bedingung erster Ordnung ergibt:
∂U ∂π
∂U ∂π
-------- – -------- ⋅ U ( y 2 + y 1 – c 1 ) – ( 1 – π ) ⋅ -------- + -------- ⋅ U ( m ) = 0 .
∂c 1 ∂c 1
∂c 1 ∂c 1
(II.53)
Schliesslich erhält man durch Umformung:
∂π
-------- ⋅ [ U ( y 2 + y 1 – c 1 ) – U ( m ) ]
∂c 1
∂U
-------- = ---------------------------------------------------------------------------- .
π
∂c 1
(II.54)
Der Term auf der linken Seite der Gleichung (II.54) gibt den Grenznutzen des
Konsums der ersten Periode an. Je höher der Grenznutzen, desto geringer der
absolute Konsum (unter der üblichen Annahme der konkaven Nutzenfunktion)
und damit um so grösser die Ersparnis in der ersten Periode bei gegebenem Einkommen y 1 . Ferner gilt:
• Die Ersparnis steigt mit steigender Differenz zwischen „Normalkonsum“ und
betreibungsrechtlichem Existenzminimum [Ausdruck in der eckigen Klammer im Zähler des Quotienten auf der rechten Seite der Gleichung (II.54)]. Je
geringer also das betreibungsrechtliche Existenzminimum im Vergleich zum
„Normalkonsum“, desto mehr Prävention in Form verstärkter Ersparnis wird
betrieben. Dies ist ein Ergebnis welches nicht überrascht. Es ist bereits
bekannt aus der Versicherungsliteratur. Je geringer in diesem Fall der Dekkungsgrad der Versicherung, desto grösser die Prävention.
• Ebenfalls ersparnissteigernd wirkt das Ausmass des Einflusses des Konsums
bzw. der Ersparnis der ersten Periode auf die Überschuldungswahrscheinlichkeit [ ∂π ⁄ ∂c 1 im Zähler des Quotienten auf der rechten Seite der Gleichung
(II.54)]. Je stärker dieser Einfluss, desto grösser die Ersparnis.
• Schliesslich ist auch die Ausgangswahrscheinlichkeit der Überschuldung π
von Bedeutung. Je grösser diese Wahrscheinlichkeit, je grösser also die Überschuldungsgefahr in der Ausgangslage, desto weniger wird gespart. Auch dies
74
3 Risiko als Grund für Überschuldung
ist nicht weiter erstaunlich. Je wahrscheinlicher es ist, dass eine Person in der
nächsten Periode überschuldet sein wird und nur noch das Existenzminimum
konsumieren kann, desto eher lohnt es sich, wenigstens noch in der laufenden
Periode so viel wie möglich zu konsumieren.
Resultat II.6
Wird das Risiko der Überschuldung in die Optimierung mit
einbezogen, so ist für das Ausmass der Ersparnis, als Prävention gegen Überschuldung, vor allem der Schaden, der
durch eine Überschuldung entsteht von Bedeutung. Dieser
Schaden wird in erster Linie durch das Verhältnis betreibungsrechtliches Existenzminimum zu „Normalkonsum“
bestimmt. Ferner wird die Ersparnis durch die Ausgangswahrscheinlichkeit der Überschuldung sowie die Einflussmöglichkeiten auf diese Wahrscheinlichkeit bestimmt.
Weitere Möglichkeiten der Modellierung der Optimierung mit Überschuldungsrisiko bietet die Bankenliteratur. Freixas und Rochet (1997) zeigen anhand
von drei Modellen die Optimierung einer Bank unter Einbezug eines Liquiditätsrisikos [Freixas und Rochet 1997, 227ff]. Die Ergebnisse sind allerdings letztendlich immer dieselben. Entscheidend für das Ausmass der Prävention gegen
Überschuldung sind die Kosten der Prävention in Relation zu den erwarteten
Kosten der Überschuldung.
3.3 Die Rolle des Einkommens
Ein Schwachpunkt beider Modelle ist die ungenügende Rolle des Einkommens.
Im ersten Modell ohne die Berücksichtigung eines Bankrottrisikos (vgl.
Abschnitt 3.1), ist das Niveau des Einkommens für den Entscheidungsprozess
nicht von Bedeutung. Vorsichtsersparnis wird getätigt, egal wie tief das Einkommen zu Beginn auch sein mag. Wie bereits in Abschnitt 3.1.2 erwähnt kann ein
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
75
unbefriedigendes Ergebnis des Modells von Blanchard und Mankiw der negative
Konsum sein. Das zweite betrachtete Modell (vgl. Abschnitt 3.2), berücksichtigt
das Einkommensniveau insoweit, als die Differenz zwischen Normaleinkommen
und betreibungsrechtlichem Existenzminimum für die Ersparnis eine Rolle
spielt. Zusätzlich konnte man feststellen, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit der
Überschuldung einen negativen Anreiz auf die Ersparnis hat. Da die Überschuldungswahrscheinlichkeit ceteris paribus bei Bezügern geringer Einkommen
höher sein dürfte als bei Bezügern hoher Einkommen, ist an dieser Stelle bereits
ein negativer Einfluss geringen Einkommens auf die Ersparnis festzuhalten.
Dazu kommt, dass bei einem Einkommen nahe des Existenzminimums eine
Vorsichtsersparnis gar nicht mehr möglich ist. Exogene Schocks sind zwar bei
einem sehr geringen Einkommen nicht so sehr auf der Einnahmenseite zu erwarten; auf der Ausgabenseite sind sie aber nach wie vor möglich. Das können
Kosten einer Krankheit sein, Gerichtsbussen usw. Treten solche unerwarteten
Ausgaben auf, so hat ein Individuum mit geringem Einkommen keine Möglichkeit diese Ausgaben in Verbindung mit dem notwendigen Konsum zu decken, die
Überschuldung ist die Folge.
Resultat II.7
Einkommensschwäche verunmöglicht es einem Individuum
Vorsichtsersparnis zu tätigen, da es zuerst einmal den notwendigen Konsum decken muss. Einkommensschwache
Haushalte sehen sich somit einer erhöhten Überschuldungswahrscheinlichkeit gegenüber. Auch ist für sie der Anreiz zur
Vorsichtsersparnis gering, da die Ausgangswahrscheinlichkeit der Überschuldung unter Umständen ohnehin schon
sehr hoch ist.
76
4 Die Rolle der Zeitpräferenzrate
4 Die Rolle der Zeitpräferenzrate
Im ersten Abschnitt dieses Kapitels wird nochmals kurz der Effekt diskutiert, den
die Abdiskontierung zukünftiger Ereignisse auf die Ersparnis hat. Der zweite
Abschnitt ist dem Konzept der hyperbolischen Diskontierung gewidmet.
4.1 Die klassische Zeitpräferenzrate
Die Rolle, welche die Zeitpräferenzrate hinsichtlich der Sparentscheidung des
Individuums einnimmt, wurde bereits in Abschnitt 2.1 angedeutet. Je höher die
Zeitpräferenzrate in Relation zum Marktzinssatz ist, desto eher wird ein Individuum dazu neigen wenig zu sparen bzw. sich zu verschulden. Dieser Effekt kann
die sparfördernde Wirkung einer hohen Risikoaversion überkompensieren. Mögliche zukünftige Verluste durch Einkommensausfall oder möglicherweise sogar
Überschuldung werden stärker abdiskontiert und verlieren somit an Gewicht bei
der Optimierung.
Die Vorsichtsersparnis beruhte auf Gleichung (II.20) in Abschnitt 3 dieses
Teils, der Gleichheit des Grenznutzens des Konsums der Periode t und des erwarteten Grenznutzens des Konsums der Periode t+i:
U' ( c t ) = E [ U' ( c t + i ) ] .
(II.55)
Damit diese Bedingung auch bei Existenz von Risikoaversion erfüllt ist, muss
der Erwartungswert des Konsums in jeder Periode grösser sein als in der vorangegangenen. Wird in dieses Modell eine Zeitpräferenzrate δ eingeführt, so ergibt
die Optimalbedingung:
E [ U' ( c t + i ) ]
U' ( c t ) = ------------------------------- .
i
(1 + δ)
(II.56)
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
77
Durch die Abdiskontierung der Zukunftsperioden wird der Effekt der Risikoaversion, welcher das Individuum „zwang“ den Erwartungswert des Konsums in
jeder Periode zu steigern, kompensiert. Die Vorsichtsersparnis sinkt mit der Zeitpräferenzrate.
Der Einfluss der Zeitpräferenzrate ist offensichtlich. Personen mit relativ
hoher Zeitpräferenzrate werden ceteris paribus einer höheren Überschuldungswahrscheinlichkeit unterliegen, da sie weniger Ersparnis tätigen.
Resultat II.8
Je höher die Zeitpräferenzrate eines Individuums, je stärker
also zukünftige Perioden abdiskontiert werden, desto geringer fällt die Ersparnis aus. Die Überschuldungswahrscheinlichkeit ist für Menschen mit relativ hoher Zeitpräferenzrate
demzufolge höher.
4.2 Hyperbolische Diskontierung und zeitinkonsistentes Verhalten
Im folgenden Abschnitt soll nun nicht so sehr die „klassische“ Zeitpräferenzrate
im Vordergrund stehen, deren Einfluss wie erwähnt unbestreitbar ist, sondern
vielmehr das relativ neue Konzept des zeitinkonsistenten Verhaltens und der
hyperbolischen Diskontierung.
Wer kennt das nicht? Man steht vor der Erledigung einer unangenehmen Aufgabe, wie zum Beispiel eine Beurteilung für ein paper zu schreiben, wofür einem
eine Woche Zeit zur Verfügung steht. Fängt man sofort an, hat man 7 Tage Zeit,
kann das paper in Ruhe lesen, eine gute Beurteilung schreiben und am kommenden Wochenende einen Ausflug machen. Am ersten Tag hat man aber nicht recht
Lust und lässt die Arbeit liegen. Wenn man am folgenden Tag anfängt, hat man
immer noch 6 Tage Zeit, kein Problem. Soweit ist das Verhalten noch voll und
ganz kompatibel mit der klassischen Entscheidungstheorie. Aufgrund der Zeitpräferenzrate wird der Nutzen des heutigen, freien Tages höher bewertet als der
78
4 Die Rolle der Zeitpräferenzrate
Schaden, der durch die Verzögerung in den folgenden 6 Tagen entsteht. Was passiert denn nun am darauffolgenden Tag? Nichts; denn nach wie vor hat man keine
Lust und ausserdem sollten 5 Tage genug sein. Am dritten Tag passiert dasselbe
und setzt sich bis zum letzten Tag fort. An diesem wird dann unter grossem Zeitdruck auf die Schnelle dieser Report fabriziert, unter viel Schimpfen über die
eigene Inkonsequenz, die einem das eingebrockt hat. Zusätzlich fällt auch noch
der geplante Ausflug ins Wasser.
Entgegen der klassischen Entscheidungstheorie wird der ursprüngliche Plan,
der am ersten Tag erstellt wurde, und die Produktion des Reports für den 2. - 7.
Tag vorsah, jeden Tag durch einen neuen Plan ersetzt. Strotz (1956) hat auf das
Phänomen hingewiesen, dass viele Menschen es vorziehen ihre zukünftigen Entscheidungen durch gegenwärtiges Handeln einzuschränken, wenn die Zukunftsdiskontierung nicht exponentiell, sondern hyperbolisch ist. Die Existenz von
Sparplänen, die nur dann einen Ertrag bringen, wenn sie nicht vor dem vereinbarten Zeitpunkt aufgelöst werden, sind ein Hinweis darauf, dass nicht wenige Individuen ihren zukünftigen Entscheidungen nicht trauen und daher Selbstbindung
betreiben.
O’Donoghue und Rabin (1996) benutzen bei ihrer Modellierung „zeitinkonsistenten“ Verhaltens eine Unterscheidung zwischen naiven und cleveren Individuen. Die naiven Individuen wissen nicht, dass sich ihre Präferenzen in Zukunft
ändern werden. Sie verhalten sich so, wie in dem kleinen Eingangsbeispiel über
das Verfassen eines Berichts beschrieben.1 Die cleveren Individuen erwarten,
dass sich ihre Präferenzen ändern und sorgen durch Selbstbindung vor.
Bei der hyperbolischen Diskontierung werden Ereignisse eines zukünftigen
Zeitpunkts unterschiedlich diskontiert, je nachdem wie nahe dieser Zeitpunkt ist.
Die Diskontfunktion der hyperbolischen Diskontierung sieht aus wie folgt:
f(t ) = (1 + α ⋅ t )
γ
– --α
mit α, γ > 0 .
(II.57)
1) Es sollte sich nach dieser Erkenntnis niemand mehr über einen schlechten Report zu einem eigenen paper ärgern. Die hyperbolische Diskontierung naiver referees ist schuld.
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
79
Um den Effekt unterschiedlicher Diskontraten in Abhängigkeit vom Zeitpunkt darzustellen, wird die Funktion nach der Zeit t differenziert:
γ
– --- – 1
·
α
f ( t ) = –γ ⋅ ( 1 + α ⋅ t )
.
(II.58)
Schliesslich lässt sich der Ausdruck der Gleichung (II.57) einsetzen und nach
Umformung erhält man die Veränderungsrate der Diskontierung:
·
–γ
f( t)
-------- = ------------------- ,
1+α⋅t
f( t)
(II.59)
Wie in Gleichung (II.59) zu sehen ist, fällt die Diskontierungsfunktion mit der
Zeit t.
Bei der herkömmlichen, exponentiellen Diskontierung spielt es keine Rolle,
in welchem Zeitpunkt man sich augenblicklich befindet. Die Veränderungsrate
t
einer exponentiellen Diskontfunktion f ( t ) = δ ist gegeben durch:
·
1
f( t)
-------- = ln --- .
δ
f( t)
(II.60)
Die Diskontierung ist somit über die Zeit konstant.
Die Modellierung der hyperbolischen Diskontierung erfolgt in einem grossen
Teil der Literatur über die etwas einfacher zu handhabende sog. quasi-hyperbolische Diskontierung [vgl. u.a. Laibson (1996, 1997 und 1998) oder O’Donoghue/
Rabin (1996)]. Die quasi-hyperbolische Diskontierung wird wie folgt modelliert:
Die Optimierung über T Perioden wird als ein Spiel mit T Teilnehmern dargestellt. Der Nutzen des Spielers t ist gegeben durch:
80
4 Die Rolle der Zeitpräferenzrate
U t ( c 0, c 1, ..., c T ) = E t u ( c t ) + β ⋅
T–t
∑i = 1 δ
i
⋅ u( ct + i )
(II.61)
mit 0 < β ≤ 1 und
0 < δ ≤ 1.
Die Variable δ repräsentiert die klassische Diskontrate. Die Variable β repräsentiert die „kurzfristige Ungeduld“ (short-term impatience) [vgl. O’Donoghue
und Rabin (1996)]. Ist β = 1, so erfolgt die Diskontierung auf die klassische,
exponentielle Weise. Ist β < 1, so erhält die Periode t relativ mehr Gewicht in
Periode t als in jeder Periode zuvor. In Abbildung II.10 sind Beispiele der exponentiellen und der quasi-hyperbolischen Diskontierung zum Vergleich eingezeichnet.
Abbildung II.10 Exponentielle und quasi-hyperbolische Diskontierung
1.20
Diskontrate
1.00
0.80
0.60
Quasi-hyperbolische Diskontierung
0.40
0.20
Exponentielle Diskontierung
48
45
42
39
36
33
30
27
24
21
18
15
12
9
6
3
0
-
Perioden
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
81
Die T Spieler stellen ein und dieselbe Person dar aber zu verschiedenen Zeitpunkten. Es sind T verschiedene „Ichs“. Das erste „Ich“ ist eine Art StackelbergFührer, es optimiert seinen Nutzen über den gesamten Zeitraum gemäss der Formel in Gleichung (II.61). Das zweite „Ich“ ist ein Stackelberg-Führer zweiten
Grades, die Entscheidung des ersten „Ichs“ bildet für ihn eine Restriktion. Unter
dieser Restriktion erfolgt die Optimierung wieder gemäss Gleichung (II.61). Das
Spiel geht so weiter bis zum letzten „Ich“. Dieses hat keine grosse Wahl mehr
und muss die Handlungen aller T - 1 Spieler vor ihm als Restriktion nehmen.
Aufgrund der Tatsache, dass ein Individuum mit hyperbolischer Diskontierung zum Zeitpunkt T seine Aktionen der vorangegangen Perioden bereuen kann,
obwohl sich an den sonstigen Gegebenheiten nichts geändert hat und auch keine
neuen Informationen vorliegen, hat Deaton (1994) dieses Verhalten als nicht nur
zeitinkonsistent, sondern auch als irrational bezeichnet. Auch Strotz (1955) zeigt,
dass zeitkonsistentes Verhalten nur möglich ist, wenn die Diskontrate die herkömmliche Form annimmt. In der Tat stimmt die Modellierung des Optimierungsverhaltens einer Person mit Hilfe einer Abfolge von Spielen nicht mit den
klassischen Annahmen rationalen Verhaltens überein. Die Interpretation dieses
allerdings recht realistischen Verhaltens fällt einfacher, wenn man die Reaktionen
als einen Ausdruck sich ändernder Präferenzen bezeichnet. Ein Individuum kann
eine vergangene Entscheidung bereuen, wenn sich seine Präferenzen geändert
haben und die Möglichkeit dieser Änderung nicht Bestandteil seiner Optimierung
war. Es erfolgt strenggenommen also eine Optimierung unter Risiko, in diesem
Fall dem Risiko sich ändernder Präferenzen.
Wie wirkt nun die quasi-hyperbolische Diskontierung auf das Sparverhalten?
Zur Erläuterung simuliere ich zwei Individuen, die in Periode t = 0 über die kommenden 50 Perioden ihren Nutzen maximieren. Ihre Nutzenfunktionen weisen
eine logarithmische und intertemporal additive Form auf:
ν =
50
50
∑t = 0 Ut = ∑t = 0 ln ct .
(II.62)
82
4 Die Rolle der Zeitpräferenzrate
Die simulierten Individuen verdienen in jeder der 50 Perioden 10 Geldeinheiten. Der Preis einer Konsumeinheit ist 1, der Marktzins ist gleich Null. Ein Individuum weist eine “normale”, exponentielle Zeitpräferenz mit einer Diskontrate
δ = 0.97 auf. Das andere Individuum hat eine quasi-hyperbolische Zeitpräferenz, mit einem β = 0.6 und einem δ = 0.99 [vgl. Gleichung (II.61)].
Das Individuum mit den “normalen” Präferenzen startet in der Anfangsperiode mit einem Konsum mehr als doppelt so hoch wie das Periodeneinkommen
(vgl. Abbildung II.11). Die Verschuldung steigt stetig an bis zur 21. Periode wo
sie das 9.5fache des Periodeneinkommens beträgt. Danach baut die Person ihre
Verschuldung ab. In der letzten Periode tätigt sie Konsum in Höhe von 4.2. Das
Individuum mit der quasi-hyperbolischen Diskontierung stellt in Periode Null
den Plan auf, in der ersten Periode etwas mehr als die andere Person zu konsumieren, sich also ebenfalls zu verschulden. Schon für die zweite Periode ist allerdings geplant den Konsum stark zu reduzieren. Die Verschuldung soll ihren
Höhepunkt in der 22. Periode mit 33.6 erreichen, also deutlich weniger als der
andere Haushalt. Der Konsum in der letzten Periode beträgt laut Plan 7.6. Tatsächlich startet das Individuum mit der quasi-hyperbolischen Diskontierung wie
geplant, aber in der zweiten Periode findet nicht die vorgesehene Reduzierung
des Konsums statt. Es wird nur marginal weniger konsumiert als in der ersten
Periode. Da sich dieses Verhalten fortsetzt, erreicht das Individuum sein Schuldenmaximum in der 23. Periode mit 125.5 statt 33.6 Einheiten. Die Budgetrestriktion zwingt das Individuum jetzt den Konsum in einem immer stärkeren
Masse zu reduzieren, der dann in der letzten Periode nur noch 1 beträgt.
Das Rechenbeispiel hat deutlich gezeigt, dass ein Individuum mit hyperbolischer Diskontierung unter den gemachten Annahmen sich weitaus stärker verschuldet als es eigentlich geplant hatte. Die Einführung von Risiko und
Risikoaversion würde das Ausmass der Verschuldung sicherlich senken, aber das
Ergebnis, dass die Ersparnis geringer ausfällt, bleibt erhalten. Der Vergleich mit
einer Person die exponentiell diskontiert, kann nur bedingt durchgeführt werden,
da es sich um eine andere Art der Diskontierung handelt. Dasselbe Ergebnis wie
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
83
Abbildung II.11 Konsum- und Sparpfade bei unterschiedlicher
Diskontierung
Konsumpfade bei unterschiedlicher Diskontierung
25.00
Konsum
20.00
15.00
Exponentielle Diskontierung
10.00
Hyperbolische Diskontierung - Plan
5.00
Quasi-hyperbolische Diskontierung - Ist
50
48
46
44
42
40
38
36
34
32
Perioden
30
28
26
24
22
20
18
16
14
12
8
10
6
4
2
0
-
Sparpfade bei unterschiedlicher Diskontierung
Ersparnis
50
48
46
44
42
40
38
36
34
32
30
28
26
24
18
16
14
12
10
8
6
4
2
0
22
Perioden
-
20
20.00
-20.00
-40.00
Quasi-hyperbolische Diskontierung - Plan
-60.00
Exponentielle Diskontierung
-80.00
-100.00
-120.00
Hyperbolische Diskontierung - Ist
-140.00
84
4 Die Rolle der Zeitpräferenzrate
es das Individuum mit hyperbolischer Diskontierung aufweist ergibt sich, wenn
der ersten Person eine höhere Zeitpräferenzrate zugewiesen wird.
Das Interessante ist aber die Abweichung vom Plan. Das Individuum nimmt
sich vor relativ wenig Schulden aufzunehmen und steht dann in der 23. Periode
vor einem grossen Schuldenberg, welcher es dazu zwingt den Konsum in der
letzten Periode bis auf eine Einheit zu reduzieren. Dieses Ergebnis mag erklären,
warum manche Menschen geradewegs tief in die Verschuldung laufen und sich
somit für zukünftige Perioden immer schärfere Restriktionen auferlegen. Laibson
(1998) weist darauf hin, dass US-Haushalte am unteren Quartil der Wohlstandsskala im Augenblick des Übergangs in die Rente eine Reduktion ihres Konsums
um 30% hinnehmen (müssen?). Laibson erklärt dies unter anderem mit der
hyperbolischen Diskontierung.
Führt nun diese Planabweichung an sich zu einer erhöhten Wahrscheinlichkeit
der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung? Diese Frage muss wohl mit
„Nein“ beantwortet werden. Die Höhe der Diskontrate des Individuums mit
exponentieller Diskontierung lässt sich so kalibrieren, dass es dasselbe Ausmass
an Verschuldung erreicht. Wenn nicht zusätzlich angenommen wird, dass mit
geplanter Verschuldung automatisch mehr Informationen über Einkommensschocks vorhanden sind als bei ungeplanter Verschuldung, ist die Überschuldungswahrscheinlichkeit in beiden Fällen gleich.
Resultat II.9
Prinzipiell hat die hyperbolische Diskontierung dasselbe
Ergebnis wie eine starke exponentielle Diskontierung. Der
Unterschied ist, dass eigentlich alles anders geplant war und
nur aufgrund des zeitinkonsistenten Verhaltens die Verschuldung ein höheres Ausmass angenommen hat. Die Planabweichung an sich führt aber nicht zu einer höheren
Wahrscheinlichkeit der Überschuldung.
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
85
5 Interdependente Präferenzen als Ursache der Überschuldung
Nicht wenige Menschen verschulden sich, weil sie trotz relativ geringen Einkommens versuchen über den Kauf von sog. Statusgütern nach aussen einen wohlhabenden Eindruck zu vermitteln. Das Phänomen der Jagd nach Status und sein
Einfluss auf das Sparverhalten steht im Mittelpunkt des folgenden Abschnitts.
Ein weiterer interessanter Fall sind die sog. zeitinterdependeten Präferenzen,
deren Einfluss auf das Sparverhalten in Abschnitt 5.2 untersucht wird.
5.1 Personell interdependente Präferenzen -- Die Jagd nach Status
5.1.1 Happiness vs. Präferenzordnung
In dem Buch „Choosing the right pond“ des amerikanischen Ökonomen Robert
Frank findet sich das folgende Gedankenexperiment:
Stellen Sie sich vor, Sie wären in der folgenden Situation:
Sie sind ein(e) gut verdienender BürgerIn der Schweiz und erhalten das Angebot auf einen sehr reichen Planeten zu reisen. Die Reise ist umsonst, die Möglichkeit zur Rückkehr besteht jedoch nicht. Ihre Situation auf der Erde kann
als sehr gut bezeichnet werden Sie verdienen Fr. 300'000 pro Jahr und leben in
einem grossen und gut eingerichtetem Haus in einem ruhigen und eleganten
Wohnviertel. Ihre Kinder gehen auf die besten Schulen und sind bei ihren
Freunden und Freundinnen sehr beliebt. Sie sind eine Person die in ihrem
Beruf als hochqualifizierte(r) ExperteIn angesehen wird und die in bester
gesundheitlicher Verfassung ist. Sie haben eine grosse Anzahl von FreundenInnen, bei denen sie als eine der charmantesten und cleversten Personen
bekannt sind.
Auf dem neuen Planeten wäre ihr Einkommen Fr. 3'000'000 pro Jahr. Aber
anstatt innerhalb des Topsegmentes der Einkommensskala, befinden sie sich
nun eher am unteren Ende. Das Haus, welches sie sich dort leisten könnten
wäre grösser und schöner eingerichtet als ihr altes. Das Wohnviertel gehört
86
5 Interdependente Präferenzen als Ursache der Überschuldung
jedoch zu der Sorte, vor dem Eltern ihre Kinder warnen, dort bloss nicht hinzugehen. Sie würden demselben Beruf wie auf der Erde nachgehen. Die
Bewohner des neuen Planeten sind allerdings so hoch qualifiziert, dass ihre
eigene Ausbildung als schlecht angesehen würde. Die Schule, auf die sie ihre
Kinder schicken könnten, ist besser ausgerüstet als ihre alte. Im Vergleich mit
anderen Schulen des Planeten ist sie allerdings minderwertig. Ihre Kinder
könnten ein grösseres Wissen als auf der Erde ansammeln. Anstatt aber wie
auf der Erde zu den Klassenbesten zu zählen, hätten sie sehr hart mit den
Anforderungen zu kämpfen. Die KlassenkameradenInnen ihrer Kinder werden von ihren Eltern aufgefordert sich doch andere Spielkameraden zu
suchen. Sie würden dieselben Geschichten und Witze wie auf der Erde erzählen, aber anstatt als clever und charmant zu gelten, hält man sie für langweilig
und einfach.
Würden sie gehen?
Quelle: Frank (1985, 116f). Übersetzung und Anpassung an die Schweiz und die heutige Zeit
vom Autor.
Die meisten würden wohl auf diese Frage mit „Nein“ antworten. Abgesehen
davon, dass es wohl noch viele andere Gründe gibt nicht mit auf diesen Planeten
zu gehen, zeigt diese kleine Geschichte doch recht anschaulich, wie sehr der Nutzen aus Konsum auch von den äusseren Umständen und dem Konsum der Mitmenschen abhängt.
Wenn mehr Konsum strikt mehr Nutzen bedeutet, müssten dann nicht die
Menschen in der Schweiz und in den anderen hochindustrialisierten Ländern im
Durchschnitt um ein vielfaches glücklicher sein, als die Menschen in den sog.
“unterentwickelten” Ländern? Ferner müssten sie auch glücklicher sein als ihre
Vorfahren, die von dem heute durchschnittlichen Konsumniveau weit entfernt
waren. Dieses dürfte wohl nicht der Fall sein. Bei Easterlin (1973) sind Ergebnisse aus einer Studie abgedruckt, in der die Rate der Zufriedenheit (Happiness)
mit dem Pro-Kopf-Einkommen in Verbindung gebracht wurde (vgl. Abbildung
II.12).
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
87
Abbildung II.12 Durchschnittliche Zufriedenheitsrate und
Pro-Kopf BSP
Zufriedenheitsrate
7
USA
Kuba
6
Ägypten
Japan
Nigeria Philippinen Panama
Jugoslawien
Brasilien
Polen
4
Indien
5
Israel BRD
3
2
1
100
150
200
300
400
500
600
800
1000
1500
2000
3000
Reales BSP Pro-Kopf (US$)
Quelle: Easterlin (1973), S. 106, aus: Frank (1985), S. 31.
Auch wenn diese Studie, vor allem in bezug auf die Einkommensdaten, sehr
veraltet ist, dürfte sich am Ergebnis nicht viel geändert haben. Selbst in Ländern
die ein sehr niedriges Pro-Kopf-Einkommen ausweisen, scheinen die Menschen
im Durchschnitt nicht unzufriedener zu sein als in den reichen Ländern. Auf Länder, in denen die Armut existenzbedrohend ist oder die von Krieg heimgesucht
werden, trifft dies natürlich nicht zu.
Geschulte Ökonomen werden jetzt einwenden, dass interpersonelle oder intertemporäre Nutzenvergleiche nicht möglich sind. Nutzen misst nicht so sehr die
Rate der Zufriedenheit, sondern ist schlicht ein Ausdruck der Präferenzen. Wenn
der Konsum eines Güterbündels x mehr Nutzen als der Konsum eines Güterbündels y bringt, so wird das Bündel x dem Bündel y vorgezogen. Über das Ausmass
des Nutzens wird nichts ausgesagt. Im wesentlichen geht diese verhaltensgestützte Nutzenkonzeption, die ordinale Nutzenfunktion, auf Edgeworth (1881)
und Fisher (1892) zurück. Kahneman et al. (1997) bezeichnen letzteres Nutzen-
88
5 Interdependente Präferenzen als Ursache der Überschuldung
konzept mit „decision utility“ und das Konzept des gefühlten, erlebten Nutzens
mit „experienced utility“. Das Konzept des Entscheidungsnutzen (decision utility) hat sich gegenüber dem Konzept des erfahrenen oder gefühlten Nutzens
(experienced utility) durchgesetzt. In mehr oder weniger allen Lehrbüchern der
Ökonomie wird das Konzept des Entscheidungsnutzens gelehrt.1 Ökonomen früherer Zeiten dagegen haben sich noch mit experienced utility beschäftigt.2 Der
Grund für den „Sieg“ des Verhaltenskonzeptes ist darin zu suchen, dass es sich
auf beobachtbare Grössen konzentriert wie Preise und das Verhalten der Konsumenten. Es wird betont, dass sich subjektive, hedonistische Erfahrung nicht messen liesse und man sich daher auf die beobachtbaren Grössen Preise und
Konsumentenverhalten stützen müsse.3 Daraus resultierte die Theorie der geoffenbarten Präferenzen (revealed preferences). Für einen grossen Teil der ökonomischen Fragen ist dieses Konzept ausreichend. Bei der Suche nach den Gründen
für Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung könnte aber das Prinzip der interdependenten Präferenzen durchaus eine wichtige Rolle spielen.
5.1.2 Der Einfluss von Statuspräferenzen auf das Verhalten
5.1.2.1Das rat-race
Wie wird das Verhalten der Individuen durch die Existenz von Statuspräferenz
beeinflusst? Die Individuen ziehen Nutzen aus dem Konsum einfacher Güter und
aus Status. Der Status wird dabei durch den Konsum sog. Statusgüter (z.B.
Luxusauto, Fernreisen, grosses Haus) erreicht. Entscheidend ist dabei jedoch
nicht die absolute Höhe des Konsums, sondern das Ausmass des eigenen Konsums in Relation zum durchschnittlichen Konsum der Mitmenschen. Der Konsum von Statusgütern verbessert auf der einen Seite die eigene Situation und auf
der anderen Seite verschlechtert er die Situation der anderen Es werden also
externe Effekte produziert.4 Wenn ein Individuum mehr Statusgüter kauft, um
seinen Status zu erhöhen, werden alle andere Individuen ihm dieses nachtun, um
1) Vgl. Samuelson/Nordhaus (1989), Varian (1985) oder Henderson/Quandt (1983).
2) Vgl. Bentham (1781), Veblen (1899) und Duesenberry (1949).
3) In ihrem Artikel „Back to Bentham? Explorations of Experienced Utility“ wiedersprechen Kahneman et al. (1997) dieser Sichtweise deutlich.
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
89
ihren gesunkenen Status wiederherzustellen. Dieses Verhalten wird auch häufig
mit „Keeping up with the Jones“ bezeichnet. Das Ergebnis ist, dass sich auf diese
Weise niemand verbessern kann; es ist ein Nullsummenspiel. In der nächsten
Periode geht das Spiel wieder von vorne los. Dieses sog. rat-race hält solange an,
bis ein Gleichgewicht erreicht ist.
Ich will dieses Statuswettrüsten beispielhaft als ein Spiel mit zwei Teilnehmern darstellen, den Individuen Jones und Smith. Es wird angenommen, dass
eine Einheit mehr Status fünf Nutzeneinheiten stiftet und eine Einheit Konsum
normaler Güter zwei Nutzeneinheiten. Ferner wird angenommen, die Beschaffung einer Einheit Status (mittels dem Kauf von Statusgütern) koste jedes Individuum eine Einheit eines normalen Gutes. Für den Start des rat-race ergibt sich
damit folgendes Bild:
Jones
Kauf
Kein Kauf
Kauf
-2 / - 2
+3/-3
Kein Kauf
-3/+3
+2/+2
Smith
Erwartet Smith, dass Jones keine Statusgüter kauft, so ist die optimale Strategie selbst welche zu kaufen. Er kann dadurch seine Position verbessern und einen
Nutzengewinn von 3 erhalten, gegenüber einem Gewinn von 2, wenn beide keine
Statusgüter kaufen. Erwartet er, dass Jones Statusgüter kauft, so muss er selbst
auch kaufen, da er sonst eine Nutzeneinbusse von 3 hat. In jedem Fall ist die optimale Strategie für beide Parteien Statusgüter zu kaufen. Das Spiel endet somit im
linken, oberen Quadranten. Keine der beiden Parteien konnte ihre Statusposition
verbessern. Aber beide Parteien haben auf Konsum normaler Güter verzichten
müssen.
In Abbildung II.13 werden wiederum die beiden Individuen Smith und Jones
betrachtet. Im Ausgangspunkt konsumieren beide normale Güter im Umfang c0
4) Diese externen Effekte sind es, die manche Ökonomen zur Überzeugung gebracht haben,
diese Güter zu besteuern [vgl. Konrad (1990) oder Rauscher (1993)].
90
5 Interdependente Präferenzen als Ursache der Überschuldung
Abbildung II.13 Fortsetzung des rat-race durch eine
Einkommenssteigerung bei Jones
c
Smith
c2
c0
U0
c4
U2
U4
c
Jones
z1
z3
z4
z0
z2
c1
c3
c0
U0
z0
z2 z3
z1
U1
U3
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
91
sowie Statusgüter, deren einziger Nutzen in der Erzeugung von Status liegt. Der
Status zu Beginn wird durch z0 beschrieben.
(1) Im ersten Schritt erfährt das Individuum Jones eine Einkommenserhöhung,
seine Budgetgerade verschiebt sich parallel nach aussen. Aufgrund des höheren Einkommens fragt Jones nicht nur mehr Konsum, sondern auch mehr Status nach und kauft zu diesem Zweck mehr Statusgüter. Sein neuer, optimaler
Konsum liegt bei c1 (Konsum) und z1 (Status). Sein Nutzen erhöht sich von U0
auf U1. Dadurch, dass Jones sich mehr Statusgüter gekauft hat, verschlechtert
sich der Status von Smith um exakt das Ausmass, wie sich Jones Status verbessert hat. Smith‘s Budgetgerade dreht sich nach innen, Status wird für ihn
teurer. Bei der bestehenden Aufteilung zwischen Konsum und Statusgütern
wäre Smith Status auf z1 gesunken.
(2) Um mit Jones mithalten zu können (Keeping up with the Jones), kauft Smith
ebenfalls mehr Statusgüter, obwohl sich sein Einkommen nicht verändert hat.
Sein neuer Konsumpunkt liegt bei c2 bzw. z2 und sein Nutzen bei U2. Dadurch,
dass nun auch Smith seinen Konsum an Statusgütern erhöht hat verschlechtert
sich Jones Status wieder ein wenig auf z2.
(3) Jones Reaktion ist eine erneute Steigerung seinen Konsums an Statusgütern
zu Lasten der normalen Güter. Sein neuer Konsumpunkt ist c3 und z3 mit dem
Nutzen U3.
(4) Dies wiederum führt zu einem neuen Zug bei Smith, dessen Budgetgerade
sich durch Jones Konsum an Statusgütern erneut nach innen gedreht hat (z3).
Smith neues Optimum liegt bei z4 und c4 mit dem Nutzen U4. Das geht nun so
lange weiter, bis ein neues Gleichgewicht erreicht ist. Letztendlich haben
beide ihren Konsum an normalen Gütern verringert und befinden sich auf
einer niedrigeren Indifferenzkurve, als ohne das rat-race.
Wenn man sich von der vereinfachten Analyse des 2-Parteien Modells löst
und eine Gesellschaft mit vielen Marktteilnehmern anschaut, so ergibt sich folgendes Bild: In jeder Periode erfahren einzelne Individuen Schocks, wie zum
Beispiel Einkommenssteigerungen, die zu einer steigenden Nachfrage nach Sta-
92
5 Interdependente Präferenzen als Ursache der Überschuldung
tus führen und so ein neues rat-race in Gang setzen. Bei einem solchen ständigen
„Rennen“ wirken zwei Effekte. Zum einen besteht ein Anreiz ständig mehr Statusgüter zu konsumieren, da der eigene Status durch den Konsum der anderen
ständig negativen Schocks ausgesetzt ist und der Grenznutzen des Status somit
sinkt. Auf der anderen Seite steigt der Preis des Status. Um ein gegebenes Statusniveau zu erreichen muss man ständig seinen Konsum an Statusgütern erhöhen,
was einer Preissteigerung für Status gleichkommt. Dies führt dazu, dass je nach
Verhältnis von Einkommens- und Substitutionseffekt die Nachfrage nach Status
sinkt. Das Ergebnis eines Statusrennens innerhalb einer Volkswirtschaft mit vielen Individuen hat Rauscher (1993) per Computer simuliert. Während die Individuen versuchen einander im Konsum zu übertrumpfen, steigt die Nachfrage nach
Status anfangs. Ab einem gewissen Punkt steigen die Individuen aus dem Rennen aus, nehmen es jedoch ein paar Perioden später wieder auf.
Es ist für dieses Statuswettrüsten auch nicht von Bedeutung, ob wir es mit naiven Individuen, welche die Reaktionen der Mitbürger nicht antizipieren, oder mit
cleveren Individuen zu tun haben. Auch ein Individuum das weiss, dass seine
Mitmenschen ihren Konsum an Statusgütern erhöhen, sobald es selbst dieses
durchführt, wird sich dem Rennen nicht entziehen können, solange es Präferenzen für Status hat. Es ist das Phänomen das fast ein jeder kennt: „Man muss halt
mitmachen, wenn man dazugehören will.“
Resultat II.10
Der Wettlauf um Status, das sog. rat-race, hat einen Überkonsum an Statusgütern zur Folge. Alle Marktteilnehmer
könnten ohne das Statuswettrüsten ein höheres Nutzenniveau
erreichen.
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
93
5.1.2.2Ersparnis und Statuspräferenzen
Wie wirkt nun die Existenz von Statuspräferenzen auf das Sparverhalten? Ich
nehme zuerst ein naives Individuum an, ein Individuum welches das Verhalten
der anderen Marktteilnehmer nicht antizipiert. Ferner wird Status wie ein normales Gut behandelt. Ex ante wird das Individuum bei stabilem und sicherem
Zukunftseinkommen sowie bei Vernachlässigung von Zins und Zeitpräferenzrate
seinen Konsum an normalen sowie Statusgütern für jede Periode gleichsetzen.
Die intratemporale Optimierung erfolgt gemäss dem Preis- und Grenznutzenverhältnis von Güter- zu Statuskonsum. Durch das rat-race sinkt allerdings nun der
Status durch den Statuskonsum der anderen Individuen. Um dies auszugleichen,
muss der eigene Konsum an Statusgütern erhöht werden. Dies geschieht aber
durch eine Umschichtung im intratemporalen Budget, also zwischen Konsum
normaler Güter und Konsum von Statusgütern. Ersparnis oder Verschuldung
bringen keinen Nutzengwinn. Das Mehr an Status welches durch Verschuldung
möglich wäre, würde durch ein Weniger an Status in Zukunft bezahlt. Eine solche Umschichtung ist bei Gleichheit von Zeitpräferenzrate und Zinssatz nicht
nutzensteigernd. Der Konsum von Status führt, isoliert von sonstigen Einflüssen,
nicht zu einem veränderten Sparverhalten.
Reagiert ein cleveres Individuum, eine Person also welche die Reaktion der
anderen voraussieht, genauso?1 Prinzipiell sollte auch eine solche Person nicht
anders reagieren. Jede aufgenommene Schuld muss später bezahlt werden. Allerdings könnte ein cleveres Individuum den Versuch machen, die anderen mittels
einer Art ruinösem Wettbewerb vorzeitig aus dem Rennen zu werfen, indem
gleich zu Beginn sehr hohe kreditfinanzierte Ausgaben für Statusgüter getätigt
werden, in der Hoffnung, die anderen würden dann vorzeitig das Rennen beenden. Sehr realistisch erscheint dieses Verhalten jedoch nicht. Damit gilt auch für
ein cleveres Individuum, dass Statuskonsum das Sparverhalten nicht ändert.
Die Existenz von Statuspräferenzen an sich, führt also nicht zu einem anderen
Sparverhalten.2 Allerdings wecken Statuspräferenzen die Nachfrage nach Status1) Zugegeben, eine wirklich clevere Person verzichtet auf dieses sinnlose Rennen. Ich sollte
vielleicht besser von cleveren Naivlingen sprechen.
94
5 Interdependente Präferenzen als Ursache der Überschuldung
gütern, die häufig langlebige Konsumgüter sind. Welche Folgen der Konsum
langlebiger Konsumgüter auf das Sparverhalten und die Überschuldungswahrscheinlichkeit hat, wird in Abschnitt 6 dieses Teils untersucht werden.
Resultat II.11
Die These, dass die Jagd nach Status, isoliert von sonstigen
Einflüssen, die Überschuldungswahrscheinlichkeit erhöht,
kann nicht bestätigt werden. Die Jagd nach Status hat keinen
Effekt auf das Sparverhalten, weckt aber die Nachfrage nach
langlebigen Konsumgütern.
5.2 Zeit-interdependente Präferenzen als Ursache der Überschuldung
Im vorherigen Modell verglichen die Individuen ihr eigenes Konsumniveau mit
dem Konsumniveau anderer Menschen. Ein anderes Modell interdependenter
Präferenzen geht davon aus, dass die Individuen als Referenzpunkt ihren eigenen, vergangenen Konsum nehmen. Modelle dieser Art wurden unter den Stichwörtern „loss aversion“ oder „endowment effect“ von Ökonomen wie Kahneman
und Tversky (1979), Tversky und Kahneman (1991) oder Bowman et al. (1993)
vertreten. Die entscheidende Aussage dieser Theorien ist, dass Individuen sich
bezüglich ihres Konsums an einem Referenzpunkt orientieren und negative
Abweichungen von diesem Punkt stärker bewerten als positive. Die Annahme
einer intertemporal additiven Nutzenfunktion (vgl. Abschnitt 2.1) wird somit aufgehoben.
Das Phänomen, dass Objekte welche sich bereits im Besitz eines Individuums
befinden höher bewertet werden, als wenn dasselbe Objekt zu kaufen ist, wird
von Kahneman et al. (1991) anhand verschiedenster Experimente gezeigt. Zahlungsbereitschaft und Akzeptanzbereitschaft fallen auseinander. Dieser Effekt
wird häufig als der Besitzeffekt (endowment effect) bezeichnet. Auf diesem
2) Vgl. hierzu auch Grossmann (1998).
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
95
Besitzeffekt baut letztendlich die Idee der Verlustaversion (loss aversion) auf.
Ein Referenzniveau, z.B. an Konsum, repräsentiert die Ausstattung. Eine Reduzierung des Konsums, also eine Aufgabe eines Teils der Ausstattung, wird stärker
bewertet als ein Gewinn. Kahnemann (1979) nimmt nun an, dass kleine, negative
Abweichungen vom Referenzpunkt stärker bewertet werden (= höherer Nutzenverlust), als wenn derselbe Betrag „gewonnen“ würde. Je grösser die Verluste,
desto geringer aber der zusätzliche Nutzenverlust. In Abbildung II.14 ist eine
Wertefunktion für Verlustaversion schematisch abgebildet. Das Individuum präsentiert sich somit risikoavers bezüglich Gewinnen aber risikofreudig hinsichtlich Verlusten [vgl. Bowman et al. (1993)].
Abbildung II.14 Eine typische Wertefunktion für Verlustaversion
Wert
Verluste
Gewinne
Bowman et al. (1993) zeigen anhand eines Zwei-Perioden Modells, dass Individuen bei einem erwarteten zukünftigem Einkommensrückgang unter genügend
hoher Unsicherheit ihren aktuellen Konsum nicht verringern. Dieses Ergebnis
steht in krassem Gegensatz zu den Ergebnissen der Vorsichtsersparnis (vgl.
Abschnitt 3.1.3). Der Erwartungswert des Zukunftseinkommens liegt zwar unter
dem aktuellen Wert, aber aufgrund der hohen Varianz hofft das Individuum auf
einen positiven Ausschlag und verzichtet auf eine Konsumreduktion. Der Grund
hierfür ist der Besitzeffekt, der das Individuum dazu bringt bezüglich eines
erwarteten Verlustes risikofreudig zu reagieren.
96
5 Interdependente Präferenzen als Ursache der Überschuldung
Die Folge für das Sparen ist in diesem Fall eindeutig. Trotz eines erwarteten
Einkommensrückganges wird der Konsum nicht reduziert. Es wird keine Ersparnis für die zukünftige, erwartet schlechtere Periode vorgenommen. Das heisst,
dass die Überschuldungswahrscheinlichkeit steigt.
Bowman et al. haben nur mit einem Zwei-Perioden Modell gearbeitet und
konnten somit den Referenzkonsum exogen vorgeben. In einem Multi-Perioden
Modell bildet sich der Referenzkonsum endogen. Als Reaktion auf einen exogenen Einkommensschock passt sich der Referenzpunkt mit einer gewissen Verzögerung an. Wenn man es also mit einer längerfristigen Einkommensreduktion zu
tun hat, z.B. durch längere Arbeitslosigkeit, so wird das Individuum seinen Konsum schrittweise dem neuen Einkommen anpassen. Während der Anpassungsphase ist die Überschuldungswahrscheinlichkeit dann dementsprechend höher.
Resultat II.12
Die sog. Verlustaversion führt dazu, dass Individuen ihren
Konsum unter Umständen nur langsam einem neuen Einkommensniveau anpassen. Die Ersparnis ist während dieser
Anpassungsphase geringer als vorher und die Überschuldungswahrscheinlichkeit steigt somit.
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
97
6 Der Konsum langlebiger Konsumgüter als Verschuldungsgrund
Eine nicht seltene Schuldnerkarriere, vor allem bei jüngeren Menschen, sieht aus
wie folgt: Junger Mann in Ausbildung kauft schnelles Auto auf Kredit dazu teure
Kleidung [unter anderem um seinen Status zu erhöhen (vgl. Abschnitt 5.1 dieses
Teils)]. Der Schuldendienst beginnt empfindlich auf das monatliche Budget zu
drücken. Statt die Schuld zu tilgen, wird der Kredit weiter aufgestockt. Schliesslich bedarf es nur eines geringen Anlass (z.B. eine Reparatur des Autos) und das
Budget wird endgültig gesprengt. Der junge Mann kann den Schuldendienst
nicht mehr leisten, worauf die Kredite von der Bank gekündigt werden. Was folgt
ist die Zahlungsunfähigkeit und schliesslich die Betreibung.
Ereignisse dieser Art nähren die Vermutung, dass langlebige Konsumgüter,
wie zum Beispiel Autos, einen Einfluss auf die Überschuldungswahrscheinlichkeit haben. Im folgenden Abschnitt will ich versuchen den Einfluss des Konsums
langlebiger Konsumgüter auf das Sparen und die Überschuldungswahrscheinlichkeit zu verdeutlichen. Der erste Abschnitt ist einer kurzen Darstellung der
Theorie der langlebigen Konsumgüter gewidmet.Im zweiten Abschnitt wird dann
untersucht, wie der Konsum langlebiger Güter das Sparverhalten und damit die
Überschuldungswahrscheinlichkeit beeinflusst.
6.1 Die Theorie langlebiger Konsumgüter
Die Theorie der langlebigen Konsumgüter behandelt Konsumgüter die über mehr
als eine Periode ihrem Besitzer Nutzen stiften. Eine ausführlichere Darstellung
dieser Theorie geben D eaton und M uellbauer (1980) [Kapitel 13].
Güter wie Nahrungsmittel, Kino- oder Theaterbesuche, Urlaubsreisen und
dgl. werden im wahrsten Sinne des Wortes „verkonsumiert“. Durch den Konsum
verschwindet das Gut. Im Gegensatz dazu ist der Konsum eines langlebigen
Gutes über mehrere Perioden hinweg möglich. Güter dieser Art sind Fernseher,
Autos, Möbel usw. Diese Güter unterliegen allenfalls einer physischen Abschreibung über die Nutzungsdauer hinweg.
98
6 Der Konsum langlebiger Konsumgüter als Verschuldungsgrund
Als theoretischer Hintergrund wird ein Zwei-Perioden Modell gewählt. Ein
Individuum erziele Nutzen aus dem Konsum eines langlebigen und eines normalen Gutes. Seine Nutzenfunktion ist gegeben durch
U = U ( c 1, c 2, d 1 ;d 0 ) .
(II.63)
c 1 und c 2 stellen die konsumierten Gütermengen des normalen Gutes in der
ersten bzw. zweiten Periode dar. d 0 ist der Bestand an langlebigen Konsumgütern
welche in einer vorangegangenen Periode 0 erworben wurden. Die Höhe dieser
Variable ist jedoch nicht mehr Bestandteil der Optimierung für die Perioden 1
und 2, sie ist exogen. d 1 schliesslich ist der Bestand an langlebigen Konsumgütern am Ende der Periode 1. Es wird angenommen, der Bestand an langlebigen
Konsumgütern d unterliege einer konstanten Abschreibung in Höhe von κ . Dass
heisst, der Bestand langlebiger Konsumgüter in einer Periode ist
dt = qt + ( 1 – κ ) ⋅ dt – 1 .
(II.64)
Die Variable q t steht für die Neu- oder Ersatzanschaffung langlebiger Konsumgüter in Periode t. Die Budgetbeschränkungen für beide Perioden lauten:
p 1 ⋅ c 1 + h 1 ⋅ q 1 = y 1 + v 0 ⋅ ( 1 + r 1 ) – v 1 und
p2 ⋅ c 2 + h2 ⋅ q2 = y2 + v1 ⋅ ( 1 + r2 ) – v2 ,
(II.65)
wobei die Variablen h 1 und h 2 die Preise der langlebigen Konsumgüter und die
Variablen v0 bzw. v1 das Vermögen darstellen.
Analog zum Grundmodell der intertemporalen Optimierung (vgl. Abschnitt
2.1) wird auch in diesem Modell angenommen, dass der Bestand an Vermögen
und langlebigen Konsumgütern am Ende der zweiten Periode gleich Null ist. Ein
Vererbungsmotiv ist also ausgeschlossen. Durch Auflösen der Gleichung (II.64)
nach q t und Einsetzen in die Budgetbeschränkungen (II.65), erhält man eine neue
Budgetbeschränkung:
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
 p2 
(1 – κ)
p 1 ⋅ c 1 +  -------------- ⋅ c 2 + h 1 – h 2 ⋅ ----------------- ⋅ d 1
1 + r2
 1 + r 2
99
(II.66)
y2
= y 1 + -------------- + v 0 ⋅ ( 1 + r 1 ) + h 1 ⋅ ( 1 – κ ) ⋅ d 0 .
1+r
2
Diese Budgetbeschränkung unterscheidet sich von der eines „normalen“
Zweiperioden-Modells (vgl. Abschnitt 2.1.1) durch die beiden Terme
[ h 1 – h 2 ⋅ ( 1 – κ ) ⁄ ( 1 + r 2 ) ] ⋅ d 1 und h 1 ⋅ ( 1 – κ ) ⋅ d 0 . Wie ist nun der Ausdruck
in der eckigen Klammer auf der linken Seite der Gleichung (II.66) zu interpretieren? h 2 ⋅ ( 1 – κ ) ⁄ ( 1 + r 2 ) ist der Barwert einer Einheit des langlebigen Konsumgutes in der zweiten Periode. Ist der Barwert kleiner als h 1 , dem Preis des
Gutes in der ersten Periode, so liegt eine Wertminderung im Zeitablauf vor, was
wohl für die meisten langlebigen Konsumgüter zutrifft. Vor allem bei technischen Geräten ist die Abschreibungsrate recht gross. Ist der Barwert grösser als
h 1 , so liegt eine Wertsteigerung im Zeitablauf vor. Dies ist der Fall bei Gütern
deren Abschreibungsrate sehr klein ist oder die, wie zum Beispiel Antiquitäten,
grossen Preissteigerungen unterliegen. Der Ausdruck in der eckigen Klammer
stellt somit die Nutzungskosten eines langlebigen Konsumgutes dar. Der Ausdruck auf der rechten Seite der Gleichung (II.66) ist der um die Abschreibung
reduzierte Bestand an langlebigen Konsumgütern am Anfang der ersten Periode.
Dieser Bestand liesse sich verkaufen und somit in Konsum nichtlanglebiger Konsumgüter transformieren. Langlebige Konsumgüter sind nichtliquides Vermögen,
das im Unterschied zum Geldvermögen durch Konsum Nutzen stiften.1
6.2 Die Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern und das
Sparverhalten
Wie beeinflusst nun die Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern das Sparverhalten der Individuen? Ich werde zur Analyse das in Abschnitt 6.1 vorgestellte
Modell auf T Perioden erweitern. Um den Effekt der langlebigen Konsumgüter
1) Im allgemeinen wird angenommen, dass Geld an sich keinen Nutzen stiftet, sondern nur
einen Faktor zum Kauf nutzenstiftender Konsumgüter darstellt.
100
6 Der Konsum langlebiger Konsumgüter als Verschuldungsgrund
auf das Sparen zu isolieren, müssen alle anderen, das Sparverhalten beinflussenden Faktoren, ausgeschlossen gehalten werden. Dementsprechend werden die
Preise p und h konstant gehalten. Ferner wird angenommen, Zinssatz r sei gleich
0. Es wird ferner eine Abschreibung der langlebigen Konsumgüter ausgeschlossen, indem auch κ gleich 0 gesetzt wird. Schliesslich sei auch das Einkommen y
über die Zeit hinweg konstant. Die Budgetbeschränkung (II.66) lautet somit:
T
T
T
∑t = 1 p ⋅ ct + ∑t = 1 h ⋅ ( dt – dt – 1 ) = ∑t = 1 y + d0 .
(II.67)
Die Variable d 0 steht für den exogenen Bestand langlebiger Konsumgüter zu
Beginn des Optimierungszeitraums. Unter Verallgemeinerung der Nutzenfunktion (II.63) auf
U t = U ( c t, d t ; d 0 ) ,
(II.68)
lassen sich die folgenden Bedingungen erster Ordnung für ein Maximum herleiten:
∂U
∂U
--------------- = ------- ⇒ c t – 1 = c t
∂c t
∂c t – 1
(II.69)
und
∂U
∂U
--------------- = ------- ⇒ d t – 1 = d t .
∂d t – 1 ∂d t
Das Individuum wünscht in jeder Periode gleich viel zu konsumieren. Dies
gilt für die normalen als auch für die langlebigen Konsumgüter. Daraus folgt,
dass das Individuum in der ersten Periode das gewünschte Ausmass an langlebigen Konsumgütern kauft und diese dann im Laufe der folgenden Perioden konsumiert. Die Ausgaben in der ersten Periode betragen somit p ⋅ c + h ⋅ d . Die
Ausgaben in den folgenden Perioden betragen nur noch p ⋅ c , da ja eine
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
101
Abschreibung der langlebigen Konsumgüter ausgeschlossen wurde. Es ist für
den Haushalt notwendig sich in der ersten Periode zu verschulden bzw. die
Ersparnis zu verringern um den Grundstock an langlebigen Konsumgütern zu
erwerben. Die Verschuldung wird im Laufe der folgenden Perioden abgebaut, da
die Ausgaben dann geringer sind.
Die Ersparnis ist in den ersten Perioden also geringer bzw. sogar negativ.
Steigt dadurch auch die Überschuldungswahrscheinlichkeit? Das Vermögen des
Haushalts bleibt gleich, der Kauf eines langlebigen Konsumgutes stellt einen
Aktivtausch dar. Liquide Finanzmittel werden in illiquide Vermögensbestandteile
verwandelt. Das Individuum wechselt dadurch von Verschuldungsgrad I
( Verbindlichkeiten ≤ Liquides Vermögen )
zu
Verschuldungsgrad
II
( Liquides Vermögen < Verbindlichkeiten ≤ Gesamtvermögen ) . In Abschnitt
1.3 hatte ich definiert, dass Überschuldung eintritt, wenn das Vermögen negativ
wird. Das Vermögen aber hat sich durch den Kauf nicht verändert. Die Überschuldungswahrscheinlichkeit ändert sich nicht durch den Kauf langlebiger Konsumgüter, solange keine Abschreibung vorliegt.
Tangiert wird vom Kauf langlebiger Konsumgüter allerdings die Wahrscheinlichkeit der Zahlungsunfähigkeit. Zahlungsunfähigkeit kann eintreten, wenn die
langlebigen Konsumgüter nur schwer wieder zu veräussern sind. Vor allem der
Wohnung angepasste Möbel wie zum Beispiel eine Einbauküche sind kaum
innerhalb kurzer Frist zu verkaufen. Sofern langlebige Konsumgüter als illiquide
Vermögensbestandteile mit in das Spiel kommen, bezeichnen die Begriffe Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung nicht mehr denselben Sachverhalt. Durch
den Kauf langlebiger Konsumgüter steigt die Wahrscheinlichkeit der Zahlungsunfähigkeit.
Es gibt allerdings einen Punkt welcher auch das Vermögen und damit die
Überschuldungswahrscheinlichkeit betrifft. Es ist dies die Abschreibungsrate der
langlebigen Konsumgüter. Gekauft wird beispielsweise ein Auto zum Preis von
Fr. X. Wie oben erläutert sinken die liquiden Finanzmittel um X Franken. Auf der
anderen Seite steigt das „Anlagevermögen“. Dieser Anstieg fällt allerdings geringer aus als die X Franken. Gerade beim Beispiel Auto ist eine hohe Abschrei-
102
6 Der Konsum langlebiger Konsumgüter als Verschuldungsgrund
bungsrate zu beachten. Schon direkt nach dem Kauf ist es kaum möglich das
Auto zum Preis von X Franken wieder zu verkaufen. Mit jedem Kilometer der
gefahren wird, sinkt der Wiederverkaufswert. Ausser bei langlebigen Konsumgütern die auch gleichzeitig Anlagecharakter besitzen und in ihrem Wert steigen
oder zumindest konstant bleiben, führt der Kauf langlebiger Güter auch zu einer
Verringerung des Gesamtvermögens und damit zu einer Steigerung der Überschuldungswahrscheinlichkeit.
Das Substitut zum Kauf langlebiger Konsumgüter stellt das Leasing dar. Beim
Leasing fallen die einmalig hohen Ausgaben weg, stattdessen wird pro Periode
eine festgelegte Leasingrate bezahlt. Die starke Reduktion der Ersparnis in den
ersten Perioden wie beim Kauf und die daraus folgende erhöhte Wahrscheinlichkeit der Zahlungsunfähigkeit fallen damit nicht an. Stattdessen erfährt das Individuum in jeder Periode eine erhöhte finanzielle Belastung durch die Leasingraten.
Resultat II.13
Die Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern, häufig
angeheizt durch die Jagd nach Status, verringert die Ersparnis vor allem in jungen Jahren. Die Überschuldungswahrscheinlichkeit im Sinne der Gefahr eines negativen
Vermögens erhöht sich deshalb, weil nur die wenigsten langlebigen Konsumgüter in ihrem Wiederverkaufswert steigen
oder mindestens konstant bleiben. Es steigt aber vor allem
die Wahrscheinlichkeit der Zahlungsunfähigkeit, da langlebige Konsumgüter eine geringe Liquidität besitzen.
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
103
7 Überschuldung aufgrund „unzureichender Optimierung“
In den vorherigen Kapiteln kamen bereits einige Konzepte zur Sprache, welche
über die Modelle der klassischen ökonomischen Lehre hinausgehen (vgl. die
Abschnitte 4.2 und 5 in diesem Teil). Die beiden Konzepte der hyperbolischen
Diskontierung sowie der interdependenten Präferenzen beschreiben Verhaltensweisen, welche durchaus häufig sind, sich aber in der volkswirtschaftlichen
Modellierung nur langsam durchsetzen. Die Rationalität der betrachteten Individuen stand in diesen Modellen allerdings nicht ausser Frage. Es gibt aber auch
Verhaltensweisen welche an der Rationalität zweifeln lassen, gerade bei dem
Thema Überschuldung. Zum einen betrifft dies die Art der Haushaltsführung, in
der Form, dass bei manchen Menschen jegliche Übersicht über die Finanzen zu
fehlen scheint. Zum anderen betrifft dies Menschen mit Suchtkrankheiten, welche aufgrund ihrer Sucht unter Umständen jegliche Finanzplanung vermissen lassen.
7.1 Mangelnde Fähigkeiten zur Haushaltsführung
Der folgende Abschnitt geht der Frage nach, inwieweit unzureichende Fähigkeiten eines Individuums, seine Finanztransaktionen zu kontrollieren, eine Ursache
für Überschuldung sein können und wie sich dieses Verhalten unter Umständen
modellieren lässt.
Ohne Zweifel ist in den meisten Fällen ein Einnahmen- oder Ausgabenschock
die Ursache der Überschuldung. Mit mehr Ersparnis hätte manch ein Individuum
die Überschuldung vermeiden können, ist also möglicherweise auch ein wenig
selbst schuld an seinem Schicksal. Letztendlich war es aber das Risiko, welches
„zugeschlagen“ hat. Es gibt aber auch die Fälle, wo Personen Schritt für Schritt
tiefer in die Verschuldung rutschen, ohne dass ein exogener Schock daran beteiligt ist. Man könnte dahinter die sog. vorsätzliche Überschuldung vermuten (vgl.
Abschnitt 1.2 in diesem Teil). Die Hilflosigkeit, mit der diese Menschen dann
aber schliesslich vor ihrem finanziellen Scherbenhaufen stehen, wenn dieser von
104
7 Überschuldung aufgrund „unzureichender Optimierung“
einem Betreibungsbeamten oder einem Mitglied einer Schuldenberatungsstelle
aufgedeckt wird, lässt aber an der Existenz eines Vorsatzes zweifeln.
Für die meisten Menschen bedeutet der moderne bargeldlose Zahlungsverkehr, bei dem mit Daueraufträgen, elektronischer Überweisung und Kreditkarten
Transaktionskosten gespart werden, eine grosse Erleichterung. Manche jedoch
haben Schwierigkeiten damit. Dies betrifft mitnichten nur ältere Menschen, welche vielleicht mit der Technik nicht so vertraut sind, sondern Personen aller
Altersgruppen. “Die Annahme, der Umgang mit Geld müsse nicht gelernt werden, ist ein Irrtum.” [Papula (1997), 183]. Vor allem das Kreditkartengeschäft,
welches einem das Gefühl gibt ständig Geld in der Tasche zu haben, bedeutet
eine ständige Verführung, dieses auch auszugeben. Werbebotschaften wie
„Bezahlen Sie einfach mit Ihrem guten Namen“ tun ihr übriges dazu, die Verbindung zwischen Kauf und Budgetrestriktion aufzulösen. Zusätzlich werden die
Ausgaben dadurch verschleiert, dass die Kreditkartenabrechnung erst einige
Wochen später per Einzugsermächtigung vom Konto erfolgt. Dazu kommen dann
fixe Zahlungsverpflichtungen wie Wohnungsmiete, Telephon- und Rundfunkgebühren, Versicherungsprämien und dgl., deren Höhe einem durch Einzugsermächtigung und Dauerauftrag unter Umständen gar nicht so geläufig sind. Die
Folge ist, dass sich Schritt für Schritt Schulden ansammeln, ohne dass es wirklich
bemerkt wird. Häufig werden zukünftige, aber nahezu sichere Zahlungsverpflichtungen, wie z.B. Steuer oder Wohnungsmiete, nicht mit in die Budgetplanung einbezogen. Werden diese Verpflichtungen dann schliesslich fällig, so ist
nicht selten die Zahlungsunfähigkeit die Folge.
Auch die aggressive Werbepolitik vieler Konsumkreditbanken drängt vor
allem labileren Menschen die Annahme eines, mitunter viel zu hohen, Kredits
geradezu auf. Der Schuldendienst belastet das knappe Budget äusserst schwer. In
dieser Situation wird den Schuldnern dann oft von ihrer Bank eine Aufstockung
des Kredits angeboten. Angesichts der ständig knappen Kasse wird dieses Angebot auch nur zu gerne wahrgenommen, mit der Folge, dass die Last des Schuldendienstes noch schwerer wird. Ein grosser Teil des Kredits muss zum
Schuldendienst verwendet werden. Der Rest wird im wahrsten Sinne des Wortes
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
105
verkonsumiert. Er wird für die täglichen Bedürfnisse verbraucht, eventuell wird
eine Reise damit finanziert. Erleichtert wird der Gang zur Bank durch die zweifelsohne sich ändernde Einstellung der Gesellschaft zur Verschuldung. Während
früher allenfalls Kredite zur Finanzierung eines Hauskaufs oder -bau gesellschaftlich akzeptiert waren, führt das „Leben auf Pump“ heute kaum noch zu
gesellschaftlicher Kritik. Allerdings kommen offensichtlich nicht alle Menschen
mit dieser Freiheit zurecht.
Mangelnder Überblick über die eigenen Finanzen als Überschuldungsgrund
zieht sich durch eine Reihe von Untersuchungen. In der Datenerhebung von
Meier et al. (1999) sagten 10% der Befragten aus, der Grund für ihre Überschuldung sei mangelhafte Haushaltsführung (vgl. Abschnitt 3 in Teil I). Eine Untersuchung bei Schuldnerberatungsstellen in München ergab, dass rund 18% der
Befragten als Grund für ihre Probleme Leichtsinn, Naivität und Unwissenheit im
Umgang mit dem täglichen Zahlungsverkehr angeben [Rosendorfer (1993)]. Lea
et al. (1995) fanden ebenfalls einen signifikanten Einfluss des Geldmanagements
privater Haushalte auf die Verschuldungssituation (vgl. später Abschnitt 8.1).
Wie lassen sich nun Beobachtungen dieser Art ökonomisch interpretieren?
Prinzipiell führt mangelnder Überblick über die Ausgaben dazu, dass Varianz
und Erwartungswert des zukünftigen verfügbaren Einkommens systematisch
falsch eingeschätzt werden. Sofern die Einschätzung zu optimistisch ist, fällt die
Ersparnis dementsprechend geringer aus (vgl. zur Rolle der Erwartungen und
ihren Einfluss auf die Ersparnis Abschnitt 3 in diesem Teil). Das ganze Problem
lässt sich somit in die Modellierung des Einkommensrisiko integrieren. Der
Grund dafür, dass Erwartungswert und Varianz falsch eingeschätzt werden, liesse
sich mit Informationskosten begründen. Diese Informationskosten sind für Individuen mit relativ geringer Bildung sicher höher als für andere. Tatsächlich ergibt
die Untersuchung von Meier et al. (1999), dass das Bildungsniveau der von
Betreibung Betroffenen eher unterdurchschnittlich ist (vgl. Abschnitt 3). Zu demselben Resultat kommen auch eine Reihe von anderen Studien [vgl. den Überblick bei Tokunaga (1993)].
106
7 Überschuldung aufgrund „unzureichender Optimierung“
Eines neuen ökonomischen Modells zur Erfassung der „unzureichenden Optimierung“ bedarf es also nicht. Die Modellierung über ein herkömmliches Modell
mit Erwartungsbildung und Informationskosten würde das Ergebnis erbringen,
dass Menschen mit hohen Informationskosten eher Fehler bei der Erwartungsbildung machen und von daher einer höheren Überschuldungswahrscheinlichkeit
ausgesetzt sind. Der Fehler der Erwartungsbildung kann natürlich auch in die
andere Richtung gehen. Das zukünftige Einkommen bzw. die zukünftigen Ausgaben werden zu pessimistisch eingeschätzt, die Folge ist eine überoptimale
Ersparnis. Nur werden diese Fälle selten publik, ausser wenn bei einer verstorbenen, vermeintlich mittellosen Person plötzlich Reichtümer auf einem Konto oder
gar in der Matratze entdeckt werden.
Resultat II.14
Systematisch falsche Einschätzung des zukünftigen, verfügbaren Einkommens aufgrund nicht genutzter Informationen
führt unter Umständen zu ungenügender Ersparnis. Die
Gefahr einer Überschuldung steigt.
7.2 Sucht als Grund für Überschuldung
Im Rahmen der Datenerhebung auf schweizerischen Betreibungsämtern sagten
rund 5% der befragten Personen aus, der Grund für ihre Überschuldung sei eine
Suchtkrankheit (vgl. Abschnitt 3 in Teil I, Tabelle I.8). Die meisten Menschen
denken bei Suchterkrankungen zuerst an Alkohol- und Drogensucht und vielleicht noch an die Abhängigkeit von Medikamenten. Weniger bekannt ist die
Glücksspielsucht oder auch die Konsumsucht.
Die Gefahr aufgrund einer Suchterkrankung in eine Überschuldungssituation
zu geraten ist zweifelsohne sehr gross. Die Sucht wirkt zuerst einmal direkt auf
das Budget durch den Kauf des Suchtgutes. Vor allem bei der Glücksspielsucht
ist dies von erheblicher Bedeutung. Hier trifft es Individuen mit hohen Einkom-
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
107
men unter Umständen ebenso hart wie Individuen mit geringen Einkommen, da
die Glücksspieleinsätze mit dem Einkommen steigen. Bei der Drogen- und Alkoholsucht ist die Finanzierung bei Vorliegen eines regelmässigen Einkommens
häufig noch gewährleistet.
Allerdings bergen Drogen- und Alkoholsucht noch zusätzlich die Gefahr, dass
durch die Abhängigkeit auch die Arbeitsstelle und somit das zur Finanzierung
der Sucht notwendige Einkommen verlorengeht. In diesem Fall droht der finanzielle Kollaps. Anfangs wird die Sucht noch über Kredite finanziert, welche dann
aber aufgrund des fehlenden Einkommens nicht mehr bedient werden können.
Die Rolle von Suchtkrankheiten im Rahmen ökonomischer Modellierung
haben zuerst Becker und Murphy (1988) untersucht. Sucht erfordert eine Beziehung zwischen einer Person und einem Gut. Die Sucht führt dazu, dass ein
Suchtkapitalstock aufgebaut wird, welcher eine immer grössere Nachfrage nach
dem Suchtgut induziert. Suchtanfällig sind vor allem Personen, welche die
Zukunft relativ stark abdiskontieren [vgl. Becker und Murphy (1988)].
Der steigende Konsum des Suchtgutes führt bei gleichbleibendem Einkommen dazu, dass der Konsum anderer Güter zurückgeht. Da es aber einen Punkt
gibt, an dem ein Minimalkonsum für die sonstigen Güter erreicht wird, muss die
süchtige Person entweder ihre Budgetrestriktion erweitern oder aber auf das
Suchtgut verzichten. Der Verzicht auf das Suchtgut fällt bekannterweise sehr
schwer. Der erste Schritt ist somit die legale Erweiterung der Budgetrestriktion
per Kredit. Auf diese Weise wird die Budgetrestriktion nur temporär erweitert.
Da aber die betroffenen Individuen eine sehr hohe Zeitpräferenzrate aufweisen,
spielt die Zukunft, in welcher der Kredit zurückbezahlt werden sollte, kaum eine
Rolle. Der weitere Verlauf ist somit nahezu vorprogrammiert. Der Kredit ist
irgendwann aufgebraucht, die Zinsen und unter Umständen der ganze Kredit sind
fällig, und Geld für den Konsum des Suchtmittels bedarf es auch noch. Damit
beginnt sich die Spirale in eine immer höhere Verschuldung zu drehen. Schliesslich bricht das Schuldengebäude zusammen, weil eine Rechnung oder ein Kredit
nicht mehr fristgerecht bedient werden kann, worauf dann eine Betreibung eingeleitet wird. Der Grund für die Überschuldung ist also der Suchtkapitalstock, der
108
7 Überschuldung aufgrund „unzureichender Optimierung“
einen steigenden Konsum des Suchtgutes verlangt, in Verbindung mit einer starken Abdiskontierung zukünftiger Ereignisse.
Bei der Modellierung des Suchtverhaltens wird häufig auf das Konzept der
hyperbolischen Diskontierung zurückgegriffen [vgl. z.B. Orphanides und Zervos
(1998) sowie Abschnitt 4.2 dieses Teils]. Methodisch lässt sich Sucht als Überschuldungsgrund somit sehr gut über die Art und das Ausmass der Diskontierung
modellieren.
Resultat II.15
Sucht wirkt als Überschuldungsgrund vor allem dadurch,
dass dem Konsum des Suchtgutes alles andere untergeordnet
wird und die süchtige Person eine hohe Zeitpräferenzrate
aufweist.
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
109
8 Empirische Evidenz
Im Verlauf der letzten fünf Kapitel wurde versucht die Gründe der Überschuldung privater Haushalte auf theoretischer Ebene herzuleiten. Das Einkommensrisiko und der daraus möglicherweise resultierenden negative Schocks ist ein
Hauptgrund für Überschuldung. Die Wahrscheinlichkeit der Überschuldung kann
jedoch mit Hilfe von Ersparnis verringert werden. Die Abschnitte 3 bis 7 gaben
verschiedene Gründe an, warum möglicherweise keine ausreichende Ersparnis
vorgenommen wird. Da Einkommensrisiko für alle Menschen vorliegt, wenn
zweifelsohne auch in unterschiedlichem Ausmass, müsste nun empirisch überprüft werden, inwieweit die genannten Gründe für verringerte Ersparnis einen
Einfluss auf das Auftreten von Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit haben.
Idealerweise müsste eine Untersuchung auf der Mikroebene stattfinden, mit
einer ausreichenden Anzahl überschuldeter als auch nicht überschuldeter Haushalte. Als abhängige Variable müsste das Auftreten von Überschuldung bzw.
Zahlungsunfähigkeit gewählt werden. Die Einflussvariablen wären der Grad der
Risikoaversion, die Zeitpräferenzrate, das Einkommen, das soziale Umfeld für
den Einfluss der Statuspräferenzen, die Menge an langlebigen Konsumgütern,
der Bildungsgrad als Approximation für die Fähigkeit der Haushaltsführung
sowie Dummyvariablen für allfällig vorhandenen Suchtkrankheiten. Ferner müssten noch diverse demographische Variablen berücksichtigt werden wie z. B.
Alter und Geschlecht. Mit einem Probit-Schätzmodell liesse sich dann die Relevanz der Einflussgrössen auf die Überschuldungswahrscheinlichkeit bestimmen.
Die von Meier et al. (1999) im Rahmen der Nationalfondsstudie erhobenen
Daten sind allerdings nicht geeignet eine Analyse der erwähnten Art durchzuführen, da die Kontrollgruppe der nicht verschuldeten Haushalte fehlt. In den folgenden beiden Abschnitten wird daher als Ersatz zuerst eine Logit-Schätzung von
Lea et al. (1995) mit Daten aus England präsentiert. Im Anschluss daran wird
eine eigene Schätzung mit Panel-Daten auf der Makroebene vorgestellt.
110
8 Empirische Evidenz
8.1 Die Studie von Lea et al.
Bei der Untersuchung von Lea et al. (1995) wurden Personen in England befragt,
welche von der lokalen Wasserversorgungsgesellschaft in drei verschiedene
Schuldnertypen (keine Schuld, mittlere Schuld, hohe Schuld) eingeteilt worden
waren. Mit Hilfe der Daten wurde eine geordnete Logit-Schätzung durchgeführt,
mit dem Ziel die Schuldkategorie vorherzusagen. Die unabhängigen Variablen
wurden standardisiert und in Gruppen zusammengefasst. Die Variablengruppen
(inkl. der dazugehörigen Variablen) lauten im einzelnen:
(1) Armut (Geringes Einkommen, Weibliches Geschlecht, Teilzeitarbeit oder
pensioniert, viele Kinder im Haushalt)
Diese Variable entspricht den theoretischen Überlegungen des Abschnitts 3.3.
Es wird ein positives Vorzeichen erwartet. Je höher der Grad der Armut, desto
grösser die Wahrscheinlichkeit einer höheren Schuldenkategorie.
(2) Einstellung nahestehender Personen gegenüber Verschuldung (Wie denken
Verwandte/Freunde über Schulden)
Je lockerer die Einstellung der Familie/Freunde gegenüber Schulden, desto
grösser die Wahrscheinlichkeit einer hohen Schuldenkategorie.
(3) Ökonomisches Umfeld (Finanzielle Situation der Eltern, Situation der Eltern
verglichen mit der eigenen, Taschengeldzahlungen wurden früh eingestellt)
Die Motivation für diese Variable kamen für Lea et al. aus den Aussagen der
Hochverschuldeten (Kategorie 3), welche in vielen Fällen relativ wohlhabende Eltern hatten. Für diese Variable wird ein positives Vorzeichen erwartet.
(4) Sozialer Vergleich (Schlechte finanzielle Stellung im Vergleich zu Freunden,
Familie, Arbeitskollegen, Personen im Fernsehen)
Diese Variable lässt sich mit den Aussagen zur Rolle des Status in Abschnitt
5.1 vergleichen. Je geringer die eigene Stellung im Vergleich zu den anderen,
desto höher die erwartete Schuldenkategorie.
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
111
(5) Allgemeines Verhalten (verpasste Verabredungen)
Diese Variable soll das annahmegemäss eher unzuverlässige Verhalten der
Schuldner abdecken. Je unzuverlässiger eine Person, desto höher die erwartete Schuldnerkategorie.
(6) Schlechtes Finanzmanagement (kein Bankkonto, schlechte Einschätzung hinsichtlich des eigenen Finanzmanagements, keine Rücklagen für regelmässige
Zahlungen, kein Gebrauch von Daueraufträgen)
Die Rolle des ungenügenden Finanzmanagements wurde in Abschnitt 7.1
abgehandelt. Je schlechter das Finanzmanagement, desto grösser die Wahrscheinlichkeit in einer hohen Schuldnergruppe zu landen.
Die nächsten drei Variablen lassen sich in die Kategorie „Status“ einordnen
(zur Wirkung der Statuspräferenzen auf die Überschuldungswahrscheinlichkeit
vgl. Abschnitt 5.1), mit der Aussage, dass mit steigendem Interesse an Status und
Luxus die Verschuldung steigt.
(7) Nutzung von Krediten mit geringem Status (Kredite von „Kredithaien“, kein
Gebrauch von Kreditkarten)
(8) Konsumverhalten (Zigarettenkäufer, Weihnachtsgeschenke für die Kinder,
kein eigenes Auto oder Telephon)
(9) Luxuseinstellung (betrachtet Weihnachtsgeschenke für Kinder als notwendige
Güter und Auto oder Telephon als Luxusgüter)
Lea et al. erwarten für die drei Variablen allerdings kein positives, sondern ein
negatives Vorzeichen. Je geringer ausgeprägt die Einstellung zu Luxus, desto
höher die erwartete Schuldnerkategorie. Meines Erachtens wird an dieser
Stelle die Kausalität verdreht. Wer längere Zeit unter einer hohen Schuldenlast gelebt hat gibt langsam seine Einstellung zu Luxus auf und wird bescheidener. Diese Variablen repräsentieren damit Symptome, aber keine Ursachen
der Verschuldung.
(10)Kurzer Zeithorizont (wartet ungern um einen höheren Preis zu erzielen,
bedarf eines hohen Rabatts um Rechnungen vor dem Termin zu bezahlen)
112
8 Empirische Evidenz
Diese letzte Variable stimmt wieder ganz klar mit den theoretischen Ergebnissen zur Zeitpräferenz überein (vgl. Abschnitt 4). Eine höhere Gegenwartspräferenz führt ceteris paribus zu höherer Verschuldung.
Lea et al. haben drei Modelle geschätzt. Modell 1 beinhaltet alle zehn Variablengruppen. In Modell 2 wurde die Variablengruppe „Sozialer Vergleich“ weggelassen, da sie für einen grossen Anteil der fehlenden Beobachtungen
verantwortlich ist. In Modell 3 wurde schliesslich nur mit den in Modell 1 signifikanten Variablen geschätzt.
Signifikant sind vier Variablengruppen mit den erwarteten Vorzeichen. Es
sind dies die Indizes für Armut, Ökonomisches Umfeld, schlechtes Finanzmanagement und „Gebrauch von Krediten mit geringem Status“, letzterer allerdings
mit geringerer Signifikanz als die anderen. Absolut dominant ist die Variable
Armut mit der allein bereits ein Anteil von 52% korrekt prognostizierter Schuldkategorien erreichbar ist (mit allen Variablen sind es 59%). Interessant ist, dass
eine gute finanzielle Stellung der Eltern einen positiven Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit hat, in eine höhere Schuldnerkategorie zu kommen. Begründen
lässt sich dies mit dem Umstand, dass die Kinder gutsituierter Eltern zum einen
nicht so gut gelernt haben mit knappen Ressourcen umzugehen und zum anderen
der Abschreckungseffekt einer hohen Schuldenlast fehlt.
Resultat II.16
Lea et al. (1995) finden heraus, dass vor allem Armut einen
Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit hat, in einer schlechten
Schuldnergruppe zu landen. Ferner sind schlechtes Finanzmanagement, ökonomisches Umfeld sowie die geringe Nutzung von sog. Statuskrediten signifikant in ihrem Einfluss.
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
113
8.2 Eigene Schätzungen
Im Rahmen der auf den Betreibungsämtern der Schweiz durchgeführten Datenerhebung (vgl. Abschnitt 3), fehlte uns leider eine Kontrollgruppe, so dass eine
Schätzung wie sie Lea et al. unternommen haben, nicht möglich war. Stattdessen
wird in diesem Abschnitt versucht, das Auftreten von Überschuldung auf der
Makroebene mit bestimmten Eigenschaften des Kantons in Verbindung zu bringen. Als Indikator des Auftretens von Überschuldung dient zum einen die Anzahl
der Zahlungsbefehle pro Einwohner für die Jahre 1985 bis 1995. Wie bereits in
Abschnitt 1.1 dieses Teils erläutert, ist die Anzahl der Zahlungsbefehle nur eine
grobe Approximation für das Auftreten von Überschuldung. Wer einen Zahlungsbefehl erhält, ist nicht zwangsläufig überschuldet oder zahlungsunfähig. In
einer zweiten Schätzung wird daher als abhängige Variable die relative Anzahl an
Konkursen gewählt.1 Die Anzahl Konkurse dürfte die Anzahl überschuldeter
oder zahlungsunfähiger Haushalte nun eher unterschätzen, da nicht jede zahlungsunfähige Person Konkurs anmeldet. Dies liegt zum einen an mangelnder
Information über die Folgen eines Konkurses. Ausserdem ist der Konkurs unter
Umständen doch eher ein unliebsames Mittel sich dem Zugriff der Gläubiger zu
entziehen, da er von der Gesellschaft als eher negativ beurteilt wird. Die Reputation eines Konkursiten leidet dementsprechend.
8.2.1 Die Variablen der Schätzung
Die unterschiedliche Häufigkeit des Auftretens von Zahlungsbefehlen bzw. Konkursen soll durch eine Regressionsanalyse erklärt werden, wobei neun mögliche
Einflussvariablen zur Verfügung stehen:
(1) Volkseinkommen pro Kopf (VOEINK)
Das Pro-Kopf-Einkommen wird unter der Hypothese verwendet, dass mehr
Wohlstand eine geringere Anzahl an Zahlungsbefehlen/Konkurse nach sich
zieht (vgl. Abschnitt 3.3).
1) Zu den rechtlichen Voraussetzungen für einen Konkurs vgl. Abschnitt 2, Teil I.
114
8 Empirische Evidenz
(2) Personenwagendichte (PW)
Personenwagen werden häufig auf Kredit gekauft und stellen ausserdem ein
langlebiges Konsumgut mit Statuscharakter dar. Die Vermutung geht dahin,
dass gerade ärmere Haushalte durch den Autokauf auf Kredit in finanzielle
Schwierigkeiten geraten können (vgl. Abschnitte 6.1 und 5.1). Die zu testende
Hypothese lautet in diesem Fall: Eine grössere Anzahl an Personenwagen pro
Einwohner führt zu einer grösseren relativen Anzahl an Zahlungsbefehlen/
Konkursen. Das erwartete Vorzeichen des Regressionskoeffizienten ist somit
positiv.1
(3) Bevölkerungsdichte (BEVDI)
Die zu dieser Variablen gehörende Hypothese lautet: Je höher die Bevölkerungsdichte, desto grösser die relative Anzahl an Zahlungsbefehlen und Konkursen. Der Grund hierfür ist die steigende Anonymität und das Versagen der
sozialen Kontrolle in den Ballungsräumen. Vor allem auf die Konkurse sollte
dies einen Einfluss haben aufgrund der bereits erwähnten negativen Einstellung gegenüber Konkursen von Seiten der Gesellschaft. Das erwartete Vorzeichen des Koeffizienten ist positiv.
(4) Anteil der Stadtbevölkerung an der Gesamtbevölkerung im Kanton (STADT)
Diese Variable stellt eine Alternative zu der Variable Bevölkerungsdichte dar.
Es gibt grosse Kantone mit relativ geringer Bevölkerungsdichte, in denen aber
relativ viele Menschen in einer Stadt und dementsprechend anonymen Raum
leben (zum Beispiel der Kanton Bern). Berücksichtigt wurden Städte ab
30’000 Einwohnern. Das erwartete Vorzeichen ist wie bei der Variable Bevölkerungsdichte positiv.
(5) Arbeitslosigkeit (AL)
1) Auf der anderen Seite ist die relative Anzahl von Personenwagen möglicherweise auch
eine Spiegelung des Volkseinkommens. In diesem Fall wäre die Gefahr von Multikollinearität zwischen diesen beiden Variablen gegeben, eine Möglichkeit, welche später geprüft wird.
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
115
Das Auftreten von Arbeitslosigkeit erhöht die Gefahren von Überschuldung
aufgrund des fehlenden Einkommens, es wird also ein positiver Zusammenhang erwartet.
(6) Scheidungsrate (SCHEID)
Bei der Analyse von Schuldnerdaten ist festzustellen, dass Alimentenansprüche nicht selten ein Grund für Betreibungen sind [vgl. Abschnitt 3, Teil I]. Es
liegt somit die Hypothese nahe, dass mit einer erhöhten Scheidungsrate in
einem Kanton auch eine höhere relative Anzahl an Zahlungsbefehlen und
Konkursen einhergeht.
(7) Geburtenrate (GEBURT)
Die Geburt eines Kindes stellt ebenfalls einen „negativen Schock“ auf das
verfügbare Einkommen dar.1
(8) Ausländeranteil (AUSLAND)
Diese demographische Variable entspringt der Tatsache, dass viele ausländische Mitbürger in wirtschaftlich angespannten Verhältnissen leben. Es ist
daher naheliegend anzunehmen, dass die Rate der Zahlungsbefehle/Konkurse
mit der Ausländerquote steigt.
(9) Einkommensverteilung (GINI)
Die Einkommensverteilung, gemessen mit dem Gini-Koeffizienten2, sollte
einen Einfluss auf die Jagd nach Status und damit eventuell auf die Verschuldung bzw. die Anzahl Zahlungsbefehle/Konkurse haben. Es stellt sich allerdings die Frage, ob eine eher gleiche oder eher ungleiche Verteilung die Jagd
nach Status anheizt. Vorstellbar ist, dass bei gleicher Einkommensverteilung
die einzelnen Individuen erst recht versuchen, mittels Statuskonsum aus der
Masse herauszustechen. Das Vorzeichen ist somit nicht eindeutig. Allerdings
kann man wohl erwarten, dass eher eine ungleiche Einkommensverteilung zu
1) In den meisten Fällen dürfte der positive Nutzeneffekt eines Kindes auf die Eltern den
Einkommenseffekt überkompensieren.
2) Der Gini-Koeffizient misst die Gleichheit einer Verteilung. Ein Wert von 0 bedeutet eine
absolute Gleichverteilung, ein Wert von 1 bedeutet die maximale Ungleichheit.
116
8 Empirische Evidenz
mehr Verschuldung führt (positives Vorzeichen), in dem Sinne, dass diejenigen, welche am unteren Ende der Einkommensskala sind, versuchen ihren
„Rückstand“ mittels Statuskonsum, zumindest nach aussen hin, aufzuholen. 1
Die exogenen Variablen werden in Tabelle II.1 den in den Abschnitten 3 bis 7
theoretisch untersuchten Überschuldungsgründen zugeteilt.
Tabelle II.1 Einteilung der exogenen Variablen zu den theoretisch
untersuchten Gründen
Theoretisch untersuchter
Überschuldungsgrund
Einkommensrisiko
Zu geringes Einkommen
Abschnitt
in Teil II
3
3.3
Exogene Variable in
den Schätzungen
AL, SCHEID,
GEBURT
VOEINK, AUSLAND
Jagd nach Status
5
GINI
Nachfrage nach langlebigen
Konsumgütern
6
PW
Unzureichende Fähigkeiten/
Soziale Kontrolle
7.1
BEVDI, STADT
In Tabelle II.2 ist die deskriptive Statistik zu den in der Regression verwendeten Variablen angegeben. Bei einigen der verwendeten Variablen ist die Gefahr
der Multikollinearität vorhanden, so z.B. bei Personenwagen und Arbeitslosigkeit in Bezug auf das Volkseinkommen. Um eine grobe Abschätzung in diese
Richtung vorzunehmen, werden in Tabelle II.3 die Korrelationskoeffizienten ausgewiesen. Je höher der Korrelationskoeffizient zweier Variablen, desto grösser ist
die Gefahr der Multikollinearität, mit der Folge, dass sich der Einfluss einer
bestimmten erklärenden Variable nicht mehr isolieren lässt. Ein Korrelationskoeffizient höher als 0.8 weist auf diese Gefahr hin.2
1) Berechnet wurde der Gini-Koeffizient aufgrund von Daten der Bundessteuer.
2) Vgl. Kennedy (1994), S. 179f.
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
Tabelle II.2
117
Deskriptive Statistik der verwendeten Variablen,
Mittelwerte über 26 Kantone, 1985 - 1995
Variable
Mittelwert
Standardabweichung
20.99
8.74
0.50
0.43
38.10
9.74
Zahlungsbefehle (pro 100 Einwohner)a
ZAHL
Konkurse (pro 100 Einwohner)b
KONKURS
Volkseinkommen (pro Einwohner, in 1’000 Fr.)a
VOEINK
Personenwagendichte (pro 1’000 Einwohner)a
PW
425.65
46.29
Bevölkerungsdichte (Einwohner pro km2)a
BEVDI
439.67
1’005.77
Anteil Stadtbevölkerung (pro 100 Einwohner)a
STADT
14.82
22.10
Arbeitslosigkeit
(Arbeitslose pro 1’000 Erwerbstätige)a
AL
17.58
18.13
Scheidungsrate
(Scheidungen pro 1’000 Einwohner)a
SCHEID
1.72
0.55
Geburtenrate (Geburten pro 1’000 Einwohner)a
GEBURT
12.65
1.66
Ausländeranteil (Ausländer pro 100 Einwohner)a
AUSLAND
15.01
6.68
Ginikoeffizient (* 100)c
GINI
30.30
2.47
a. Daten auf Anfrage beim Bundesamt für Statistik.
b. Daten vom Schweizerischen Verband Creditreform SVC.
c. Eigene Berechnung: Daten auf Anfrage von der Eidgenössischen Steuerverwaltung.
Wie aus Tabelle II.3 ersichtlich, ist der Korrelationskoeffizient zwischen
Volkseinkommen (VOEINK) und Personenwagen (PW) mit 0.26 niedriger als
man hätte erwarten können. Auch der Koeffizient zwischen Arbeitslosigkeit
(AL) und Volkseinkommen ist mit 0.33 nicht zu hoch. Anders verhält es sich bei
der Ausländerquote (AUSLAND) und Scheidungsrate (SCHEID), wo der Korrelationskoeffizient von 0.77 Multikollinearität befürchten lässt. Dasselbe gilt für
die Beziehung der Bevölkerungsdichte (BEVDI) zum Anteil der Stadtbevölkerung (STADT). Die anderen Werte sind zwar nicht als niedrig zu bezeichnen, liegen aber allesamt noch in einem vertretbaren Bereich.
118
8 Empirische Evidenz
Tabelle II.3Korrelationsmatrix der exogenen Variablen
VOEINK
PW
BEVDI
STADT
AL
SCHEID
GEBURT
AUSL
VOEINK
1.00
PW
0.26
1.00
BEVDI
0.43
-0.35
1.00
STADT
0.32
-0.24
0.76
1.00
AL
0.37
0.41
0.19
0.24
1.00
SCHEID
0.49
0.37
0.40
0.56
0.53
1.00
GEBURT
-0.30
-0.10
-0.45
-0.50
-0.34
-0.57
1.00
AUSL
0.46
0.41
0.38
0.47
0.48
0.77
0.53
1.00
GINI
0.51
0.13
0.22
0.14
-0.09
0.13
-0.1
0.20
GINI
1.00
8.2.2 Die verwendeten Schätzmodelle
Der vorliegende Datensatz besteht aus sog. Panel-Daten. Das heisst, es wurden
Querschnittsdaten über alle 26 Kantone der Schweiz mit Zeitreihen der Jahre
1985 - 1995 zusammengefasst. Geschätzt wurde mit Hilfe dreier verschiedener
Schätzmodelle: Der Kleinstquadrate-Schätzung ohne gruppenspezifische Dummyvariablen (OLS = Ordinary Least Squares), der Kleinstquadrate-Schätzung
mit gruppenspezifischen Dummyvariablen (LSDV = Least Square Dummy
Variables) sowie dem Fehlerkomponenten-Modell (EC = Error Component).1
Kleinstquadrate-Schätzung ohne gruppenspezifische Dummyvariablen
(OLS)
Das spezielle eines Panel-Datensatzes ist, dass für die verschiedenen Einheiten
(in vorliegenden Fall die Kantone) Beobachtungen aus verschiedenen Jahren vorliegen. Bei der OLS-Schätzung wird dieser Effekt ignoriert, und es wird ein
gemeinsamer Achsenabschnitt sowie ein gemeinsamer Steigungskoeffizient für
1) Ausführlichere Darstellungen der Schätzung von Panel-Daten finden sich bei Kmenta
(1971), Stimson (1985) sowie Blundell und Matyas (1992).
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
119
alle Einheiten angenommen. Damit wird der folgende Satz von Schätzgleichungen spezifiziert:
Zahlungsbefehle (Konkurse) it = α + β ⋅ VOEINK it + γ ⋅ PW it ... + ε it
mit i = 1 bis 26 Kantone und t = 1 bis 11 Jahre.
(II.70)
Unter der Annahme, dass die Konstante α sowie die Koeffizienten konstant
sind über die Zeit als auch über die Kantone, lässt sich eine einzige Schätzgleichung mit 286 Beobachtungen (26 Kantone * 11 Jahre) bilden. Die Annahme der
konstanten Koeffizienten ist zweifelsohne sehr restriktiv und in vielen Fällen
nicht erfüllt. Eine OLS-Schätzung alleine ermöglicht kein volles Ausschöpfen
der Informationen eines Panels. Weitere Modelle sind also notwendig.
OLS-Schätzung mit gruppenspezifischen Dummyvariablen (LSDV)
Wenn grosse Variation zwischen den Beobachtungen der Einheiten (Kantone)
und/oder der Jahre vorliegt, können die Ergebnisse einer OLS-Schätzung verzerrt
sein. Dies lässt sich vermeiden, indem man jeder Einheit mit Hilfe von Dummyvariablen eine Konstante zuweist:
Zahlungsbefehle (Konkurse) it = α i + β ⋅ VOEINK it + γ ⋅ PW it ... + ε it
mit i = 1 bis 26 Kantone und t = 1 bis 11 Jahre.
(II.71)
Der Unterschied zum OLS-Modell ist in der einheitspezifischen Konstante α i
zu suchen. Jeder Einheit, im vorliegenden Fall den Kantonen, wird eine spezifische Konstante zugewiesen. Der Nachteil des LSDV-Modells liegt in der reduzierten Anzahl an Freiheitsgraden durch die grosse Zahl an Dummyvariablen.
Existiert nur wenig Varianz zwischen den Einheiten oder Jahren, ist eine LSDVSchätzung nicht zu empfehlen.
120
8 Empirische Evidenz
Fehlerkomponenten-Schätzung (EC)
Hier wird angenommen, dass die individuellen Konstanten der Einheiten Störterme darstellen. Die Unterschiede zwischen den Einheiten sind nicht als Verschiebungen der Parameter der Regressionsfunktion zu betrachten, sondern als
normalverteilte Schocks. Die Schätzgleichung hat die Form:
Zahlungsbefehle (Konkurse) it = α + β ⋅ VOEINK it + γ ⋅ PW it ... + ε it + ν i
mit i = 1 bis 26 Kantone und t = 1 bis 11 Jahre
2
E ( ν i ) = 0, Var ( ν i ) = σ i , Cov ( ε it, ν i ) = 0.
(II.72)
Die Konstante α ist wiederum als konstant über Einheiten und Jahre angenommen. Der Unterschied zum OLS-Modell liegt in dem zusätzlichen Störterm
ν i . Dieser Störterm erfasst die kantonsspezifischen Merkmale. Da somit keine
Dummyvariablen mehr nötig sind werden Freiheitsgrade gespart. Andererseits
wird im EC-Modell angenommen, dass die Störterme jeder Querschnittseinheit
mit den anderen Regressoren unkorreliert sind. Ist dies nicht der Fall, so resultiert
eine Verzerrung der Schätzkoeffizienten.
Welches der drei gezeigten Schätzverfahren ist zu bevorzugen? Die Kleinstquadrate-Schätzung (OLS) hat das bereits erwähnte Problem, dass die Besonderheit eines Panel-Datensatzes, Beobachtungen über die Zeit und den Raum
aufzuweisen, ignoriert wird. Das LSDV-Modell ist durch die Verwendung vieler
Dummyvariablen ineffizient. Die Folge des EC-Modells wiederum könnte ein
Verzerrung in den Koeffizienten sein, aufgrund vorhandener Korrelation zwischen den einheitsspezifischen Störtermen und den Regressoren. Der sog. Hausman Test testet die Hypothese, dass Korrelation vorliegt gegen die Nullhypothese
nicht vorhandener Korrelation. Mit Hilfe des Breusch-Pagan Langrangemultiplikatortest kann schliesslich auch das EC-Modell mit dem OLS-Modell verglichen
werden. Die Nullhypothese lautet in diesem Fall, dass die Varianz der Fehler2
komponenten σ i gleich Null ist. In diesem Fall wäre die adäquatere Schätzmethode das OLS-Modell. Hohe Wert des LM-Testes bei gleichzeitig geringen
Werten des Hausmann Testes sprechen für das EC-Modell gegenüber den beiden
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
121
anderen.1 Letztendlich sollten allerdings die Ergebnisse aller drei Modelle
betrachtet und für die Interpretation genutzt werden.
8.2.3 Die Ergebnisse der Schätzungen
Die Ergebnisse der Schätzungen für die Zahlungsbefehle als auch für die Konkurse erscheinen in Tabelle II.4. Die Vorzeichen der signifikanten Regressionskoeffizienten entsprechen den Erwartungen. Die Variable Arbeitslosigkeit ist in
jedem Modell hochsignifikant in ihrem Einfluss auf die Anzahl der Zahlungsbefehle als auch der Konkurse. Einen signifikanten Einfluss auf die Zahlungsbefehle, unabhängig vom Schätzmodell, hat auch die Geburtenrate. Bei den
Konkursen sind die Scheidungsrate und der Anteil der Stadtbewohner eindeutig
signifikant in ihrem Einfluss. Bei den anderen Variablen hängt es davon ab, welches Schätzmodell man wählt. Es ist in beiden Schätzreihen zu sehen, dass die
LSDV-Schätzung einen grossen Teil der Streuung erklärt (R2 > 0.9), obwohl
gleichzeitig nur wenige Variablen signifikant sind. Dies deutet darauf hin, dass
auf der kantonalen Ebene andere, nicht im Modell verwendete Variablen, für die
relative Anzahl der Zahlungsbefehle und Konkurse verantwortlich sind, was
durch die kantonsspezifischen Dummyvariablen aufgefangen wird. In beiden
Schätzungen sprechen die Teststatistiken des LM- und des Hausman-Testes für
das EC-Modell. Interessant ist, dass die Bevölkerungsdichte im OLS-Modell
einen signifikanten Einfluss auf die Anzahl der Zahlungsbefehle hat und der
Anteil der Stadtbewohner in keinem Modell signifikant ist. Bei den Konkursen
hingegen ist die Bevölkerungsdichte in keinem Fall signifikant, der Anteil der
Stadtbewohner aber in allen drei Modellen. Die demographische Variable Ausländer ist in den OLS und EC-Modellen signifikant in ihrem Einfluss auf die
relative Anzahl an Zahlungsbefehlen, als auch auf die relative Anzahl der Konkurse. Die Tatsache, dass in beiden Fällen diese Variable im LSDV-Modell eindeutig nicht signifikant ist, deutet jedoch darauf hin, dass in diesen Fällen die
Erklärung eher bei anderen kantonsspezifischen Eigenschaften zu suchen ist. In
keinem der Modelle signifikant in ihrem Einfluss ist die Variable für die Einkom-
1) Vgl. zu diesen beiden Tests auch Greene, W. H. (1997), Kap. 14.
122
Tabelle II.4
8 Empirische Evidenz
Häufigkeit von Zahlungsbefehlen und Konkursen:
Schätzung mit allen Variablen über 26 Kantone, 1985 - 1995a
Zahlungsbefehle
Konkurse
OLS
LSDV
EC
OLS
LSDV
EC
Konstante
2.90
(0.53)
-
-2.67
(-0.72)
-1.83***
(-7.36)
-
-1.17***
(-4.47)
Volkseinkommen
-0.38***
(-9.26)
0.02
(0.69)
-0.01**
(-3.16)
0.002
(1.22)
0.01***
(4.32)
-0.009***
(-3.89)
Personenwagendichte
0.07***
(7.52)
0.002
(0.33)
0.02**
(2.63)
-0.0005
(-1.12)
0.0002
(0.51)
0.0003
(0.79)
Bevölkerungsdichte
0.002***
(3.39)
-0.01
(-1.74)
-0.0006
(-0.75)
-0.00002
(-0.99)
-0.00
(-0.23)
-0.00
(-0.68)
Stadtbewohner
-0.02
(-0.75)
0.12
(0.37)
0.07
(1.90)
0.004***
(3.54)
0.05*
(-2.09)
0.005*
(2.08)
Arbeitslosigkeit
0.2***
(8.73)
0.1***
(12.81)
0.1***
(13.00)
0.006***
(6.91)
0.007***
(8.78)
0.003***
(10.18)
Scheidungsrate
1.46
(1.53)
-0.16
(-0.25)
0.55
(0.89)
0.31***
(7.17)
0.13**
(2.76)
0.15***
(3.44)
Geburtenrate
-0.50*
(-2.39)
1.00***
(5.96)
0.61***
(3.97)
0.09***
(9.10)
0.02
(1.83)
0.03**
(2.94)
Ausländerquote
0.47***
(6.82)
0.07
(0.99)
0.34***
(5.24)
0.03***
(9.03)
0.004
(0.73)
0.01**
(3.07)
Ginikoeffizient
-0.15
(-1.10)
0.16
(1.85)
0.12
(1.52)
0.008
(1.22)
0.005
(0.90)
0.004
(0.78)
R2
0.74
0.96
0.51
0.78
0.93
0.71
korr. R2
0.73
0.96
-
0.77
0.92
-
LM-Test
-
-
524.14***
-
-
383.69***
Hausman-Test
-
-
124.92
-
-
21.69
***
signifikant auf dem 99.9% Signifikanzniveau
**
signifikant auf dem 99% Signifikanzniveau
*
signifikant auf dem 95% Signifikanzniveau
a. t-Werte in Klammern.
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
123
mensungleichheit, der Ginikoeffizient. Weitere Schätzungen ohne die Variablen
Bevölkerungsdichte und/oder Scheidung (Gefahr der Multikollinearität) brachten
keine wesentlich geänderten Ergebnisse.
Ein grosses Problem bei dieser Schätzung könnte unter Umständen ein vorhandener Strukturbruch sein. Mit Blick auf Abbildung II.15 ist zu erkennen, dass
ab 1990 vor allem die Arbeitslosigkeit sprunghaft angestiegen ist. Es könnte
somit ratsam sein zwei Schätzungen vorzunehmen, mit der Annahme, dass für
die Periode 1985 - 1989 signifikant andere Koeffizienten gelten als für die Periode 1990 - 1995. Mit dem sogenannten Chow-Test1 lässt sich auf einen Strukturbruch
testen.
Die
Ergebnisse
des
Chow-Test
bestätigen
im
99%
Signifikanzniveau die These eines Strukturbruchs. Die Aufteilung des Panels in
zwei Zeitabschnitte (1985 - 1989 und 1990 - 1995) scheint daher sinnvoll.
Abbildung II.15 Darstellung des Strukturbruchs im Jahr 1990 anhand der
Entwicklung der Arbeitslosenquote in den Kantonen
1985 - 1995
ZH
8
BE
LU
7
UR
SZ
6
OW
NW
GL
5
ZG
FR
4
SO
BS
3
BL
SH
2
AR
AI
1
SG
GR
0
1995
1994
1993
1992
1991
1990
1989
1988
1987
1986
1985
AG
TG
TI
1) Vgl. Pindyck und Rubinfeld (1991) oder Kennedy (1994).
124
8 Empirische Evidenz
Tabelle II.5
Deskriptive Statistik, Mittelwerte über 26 Kantone,
1985 - 1989 und 1990 -1995
Variable
Mittelwerte
1985 - 1989
Mittelwerte
1990 - 1995
19.11
22.56
0.33
0.65
33.31
42.10
Personenwagendichte (pro 1’000 Einwohner)a
406.40
441.70
Bevölkerungsdichte (Einwohner pro km2)a
428.50
449.00
14.97
14.70
Arbeitslosigkeit (Arbeitslose pro 1’000 Erwerbstätige)a
7.44
26.04
Scheidungsrate (Scheidungen pro 1’000 Einwohner)a
1.57
1.86
Geburtenrate (Geburten pro 1’000 Einwohner)a
12.58
12.71
Ausländerquote (Ausländer pro 100 Einwohner)a
13.59
16.20
Ginikoeffizient (* 100)c
30.27
30.32
Zahlungsbefehle (pro 100 Einwohner)a
Konkurse (pro 100 Einwohner)b
Volkseinkommen (pro Einwohner, in 1’000 Fr.)a
Anteil Stadtbevölkerung (pro 100 Einwohner)a
a. Daten auf Anfrage beim Bundesamt für Statistik.
b. Daten vom Schweizerischen Verband Creditreform SVC.
c. Eigene Berechnung: Daten auf Anfrage von der Eidgenössischen Steuerverwaltung.
In Tabelle II.5 sind die Mittelwerte der Beobachtungen der verwendeten
Variablen beider Zeitperioden eingetragen. Mit Ausnahme des Stadtbewohneranteils liegen die Werte der Jahre 1990 - 1995 über denen der Jahre 1985 - 1990.
Die Ergebnisse der Schätzung für die beiden Perioden sind in Tabelle II.6 und
Tabelle II.7 wiedergegeben.
Es sind eindeutig Unterschiede zwischen beiden Zeitabschnitten zu erkennen.
Das Volkseinkommen hat in beiden Perioden im OLS und im EC-Modell einen
signifikanten Einfluss auf die Anzahl der Zahlungsbefehle. Bei den Konkursen
dagegen ist der Effekt in der zweiten Periode (1990 - 1995) deutlich abgeschwächt. Die Anzahl der Personenwagen stellt nur im OLS-Modell eine Varia-
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
Tabelle II.6
125
Häufigkeit von Zahlungsbefehlen: Schätzung mit allen
Variablen über 26 Kantone, Zwei Zeitintervallea
1985 - 1989
1990 - 1995
OLS
LSDV
EC
OLS
LSDV
EC
Konstante
3.74
(0.53)
-
15.49**
(2.95)
-11.65
(-1.41)
-
4.53
(0.81)
Volkseinkommen
-0.17**
(-2.95)
-0.07
(-1.49)
-0.12**
(-2.92)
-0.40***
(-6.39)
0.12
(1.36)
-0.16**
(-2.66)
Personenwagen
0.06***
(4.69)
-0.01
(-1.11)
0.009
(0.91)
0.07***
(5.24)
-0.01
(-1.45)
0.006
(0.99)
Bevölkerungsdichte
0.0005
(0.80)
-0.006
(-0.99)
-0.0006
(-0.54)
0.002*
(2.19)
-0.01
(-1.92)
-0.001
(-1.30)
Stadtbewohner
-0.03
(-1.36)
-0.17
(-0.23)
0.02
(0.33)
-0.01
(-0.44)
0.83
(1.51)
0.09*
(2.21)
Arbeitslosigkeit
0.6***
(6.83)
0.03
(0.41)
0.1*
(2.50)
0.2***
(6.37)
0.1***
(9.43)
0.1***
(10.23)
Scheidung
1.13
(1.03)
-0.70
(-0.82)
0.06
(0.07)
3.02*
(2.11)
-0.33
(-0.43)
1.27
(1.75)
Geburt
-0.25
(-0.77)
0.15
(0.49)
-0.31
(-1.19)
0.16
(0.47)
0.45
(1.87)
0.42*
(1.96)
Ausländer
0.37***
(4.80)
0.28
(1.37)
0.57***
(4.90)
0.49***
(4.58)
-0.05
(-0.60)
0.26***
(3.97)
Ginikoeffizient
-0.32
(-1.94)
-0.16
(-0.16)
-0.03
(-0.36)
-0.01
(-1.41)
0.22*
(2.19)
0.21*
(2.09)
R2
0.80
0.98
0.60
0.74
0.98
0.48
korr. R2
0.79
0.97
0.73
0.98
LM-Test
-
-
128.59***
-
-
118.86***
Hausman-Test
-
-
39.60
-
-
157.20*
***
signifikant bei 99.9% Signifikanzniveau
**
signifikant bei 99% Signifikanzniveau
*
signifikant bei 95% Signifikanzniveau
a. t-Werte in Klammern
126
Tabelle II.7
8 Empirische Evidenz
Häufigkeit von Konkursen: Schätzung mit allen Variablen über
26 Kantone, Zwei Zeitintervallea
1985 - 1989
1990 - 1995
OLS
LSDV
EC
OLS
LSDV
EC
Konstante
-1.07**
(-2.97)
-
-0.44
(-1.39)
-2.08***
(-5.44)
-
-0.89
(-1.90)
Volkseinkommen
-0.002
(-0.60)
0.007*
(2.28)
0.007**
(2.74)
0.002
(0.66)
-0.02*
(-2.10)
-0.005
(-0.96)
Personenwagen
-0.0002
(-0.32)
0.00
(0.04)
-0.0004
(-0.68)
-0.0007
(-1.07)
-0.0002
(-0.32)
0.00
(0.08)
Bevölkerungsdichte
0.00
(0.36)
-0.001***
(-3.50)
-0.00
(-1.15)
-0.00
(-0.87)
-0.00
(-0.13)
-0.00
(-0.16)
Stadtbewohner
0.004***
(3.50)
0.05*
(2.09)
0.008**
(3.01)
0.003*
(2.07)
-0.06
(-1.37)
0.005
(1.61)
Arbeitslosigkeit
-0.003
(-0.77)
-0.005
(-1.24)
-0.007*
(-2.01)
0.006***
(5.13)
0.008***
(7.00)
0.007***
(7.86)
Scheidung
0.23***
(4.13)
-0.02
(-0.37)
0.03
(0.55)
0.36***
(5.49)
0.20**
(2.84)
0.23***
(3.60)
Geburt
0.05**
(3.31)
0.02
(1.20)
0.03
(1.88)
0.10***
(6.34)
0.004
(0.17)
0.03
(1.45)
Ausländer
0.03***
(8.48)
0.02
(1.72)
0.04***
(5.79)
0.03***
(5.20)
0.0002
(0.03)
0.01*
(2.07)
Ginikoeffizient
-0.0003
(-0.03)
-0.009
(-1.46)
-0.008
(-1.44)
0.01
(1.51)
0.02
(1.74)
0.02
(1.95)
R2
0.78
0.97
0.73
0.75
0.93
0.66
korr. R2
0.76
0.95
0.73
0.91
LM-Test
-
-
129.50***
-
-
107.95***
Hausman-Test
-
-
19.90
-
-
23.49
***
signifikant bei 99.9% Signifikanzniveau
**
signifikant bei 99% Signifikanzniveau
*
signifikant bei 95% Signifikanzniveau
a. t-Werte in Klammern
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
ble
mit
signifikantem
Einfluss
auf
die
Zahlungsbefehle
127
dar.
Die
Bevölkerungsdichte sowie der Anteil der Stadtbewohner hat auf die Anzahl der
Zahlungsbefehle anscheinend nur geringfügig Einfluss. Auf die Anzahl der Konkurse dagegen hat der Anteil der Stadtbewohner in der ersten Periode (1985 1989) signifikanten Einfluss. Die These, dass die Anonymität der Stadt den
Schritt in den Konkurs fördert scheint bestätigt. In der Periode 1990 - 1995 ist
dieser Einfluss allerdings geringer geworden. In den 80er Jahren scheint die relative Anzahl der Zahlungsbefehle als auch der Konkurse kaum durch die Arbeitslosigkeit beeinflusst worden zu sein, welche zu dieser Zeit nahe Null war. Dieses
hat sich in der ersten Hälfte der 90er Jahre dramatisch verändert. Die Scheidungsrate hat auf die Anzahl der Zahlungsbefehle keinen signifikanten Effekt,
wohl aber auf die Konkurse. Dies gilt vor allem in der zweiten Periode. Die
Geburtenrate als Einkommensschock ist in ihrer Wirkung auch nicht sehr stark.
Die Zahl der in der Schweiz lebenden Ausländer hat, wie im Gesamtmodell, nur
dann einen signifikanten Effekt, wenn keine kantonsspezifischen Dummyvariablen (LSDV-Modell) berücksichtigt werden. Der Ginikoeffizient als Mass für die
Einkommensgleichheit hat im zweiten Zeitabschnitt im LSDV und im ECModell einen schwach signifikanten Einfluss auf die Anzahl der Zahlungsbefehle. Demnach führt steigende Einkommensungleichheit zu einer steigenden
Anzahl von Zahlungsbefehlen pro Einwohner.
Schliesslich wurde auf Basis der letzten beiden Schätzungen noch eine Elastizitätenberechnung durchgeführt. Eine Elastizität sagt aus, um wieviel Prozent die
Häufigkeit von Zahlungsbefehlen steigt/fällt, wenn eine der erklärenden Variablen um 1 Prozent steigt. Es stehe di/i für die prozentuale Veränderung der Zahlungsbefehle und dx/x für die prozentuale Veränderung einer bestimmten
erklärenden Variablen. Es gilt:
∂i x
di ⁄ i
e i, x = ------------ = ----- ⋅ -- .
∂x i
dx ⁄ x
(II.73)
128
8 Empirische Evidenz
Die Ergebnisse der Elastizitätenberechnung sind in Tabelle II.8 wiedergegeben. Es wurden nur die signifikanten Werte eingetragen. Der Einfluss auf die
relative Anzahl der Zahlungsbefehle hat sich wie folgt entwickelt:
Tabelle II.8
Elastizitäten der Häufigkeit von Zahlungsbefehlen und
Konkursena
Zahlungsbefehle
OLS
LSDV
Konkurse
EC
OLS
LSDV
EC
0.69
Volkseinkommen
1985 - 1989
-0.30
-0.21
0.67
1990 - 1995
-0.74
-0.29
-1.09
Personenwagendichte
1985 - 1989
1.20
1990 - 1995
1.37
Bevölkerungsdichte
1985 - 1989
0.13
-1.66
1990 - 1995
1985 - 1989
0.20
0.35
Stadtbewohner
1990 - 1995
0.06
0.07
Arbeitslosigkeit
1985 - 1989
0.22
0.03
1990 - 1995
0.19
Scheidungsrate
1985 - 1989
1.10
1990 - 1995
1.04
1985 - 1989
2.09
0.13
0.12
-0.16
0.25
0.31
0.28
0.57
0.66
Geburtenrate
1990 - 1995
0.24
1.91
Ausländerquote
1985 - 1989
0.26
0.41
1.37
1.54
1990 - 1995
0.35
0.34
0.64
0.28
Ginikoeffizient
1985 - 1989
1990 - 1995
0.31
0.28
a. Die Elastizitäten sind anhand der Mittelwerte (vgl. Tabelle II.2) berechnet.
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
129
• Das Volkseinkommen pro Kopf ist in der Periode 1990 - 1995 gegenüber
1985 - 1989 in seinem Einfluss gestiegen.
• Dasselbe gilt auch für den Einfluss der Personenwagen pro Kopf.
• Die Variable Bevölkerungsdichte hat keine signifikanten Koeffizienten aufzuweisen. Deren Alternative, die Variable Stadtbewohner, weist einzig in der
Periode 1990 - 1995 im EC-Modell einen signifikanten, aber eher geringen
Einfluss auf.
• Die Arbeitslosigkeit war in der Periode 1985 - 1989 in der Schweiz nahe Null,
dementsprechend ist auch ihr Einfluss auf die relative Anzahl an Zahlungsbefehlen in dieser Zeit vernachlässigbar gewesen, Seit 1990 hat sich dies eindeutig geändert. Die Arbeitslosenquote ist die einzige exogene Variable,
welche für die Periode 1990 - 1995, in allen Schätzmodellen sowohl bei der
relativen Anzahl an Zahlungsbefehlen, als auch bei den Konkursen signifikante Koeffizienten aufweist.
• Die Scheidungsrate hat keinen signifikanten Einfluss auf die relative Anzahl
an Zahlungsbefehlen.
• Die Geburtenrate hat, ebenso wie die Bevölkerungsdichte nur in der Periode
1990 - 1995 im EC Modell einen signifikanten Koeffizienten.
• Die Ausländerquote hat in der Zeit 1990 -1995 weniger Einfluss auf die relative Anzahl der Zahlungsbefehle gehabt als 1985 - 1989.
• Der Ginikoeffizient, die Einkommensverteilung also, hat erst seit 1990 einen
signifikanten, positiven Einfluss auf die relative Anzahl der Zahlungsbefehle.
Die Einflüsse auf die relative Anzahl der Konkurse sind wie folgt:
• Das Volkseinkommen pro Kopf hat in der Periode 1985 - 1989, etwas unerwartet, einen positiven Einfluss gehabt. Tatsächlich ist in dieser Periode die
Zahl der Konkurse in den einkommensstarken Kantonen mit dem Volkseinkommen gestiegen, während sie in den einkommensschwächeren Kantonen
eher gesunken oder gleich geblieben ist.
130
8 Empirische Evidenz
• Die Personenwagendichte hat keinen signifikanten Einfluss auf die relative
Anzahl der Konkurse.
• Der Koeffizient der Variable Bevölkerungsdichte hat einzig in der Periode
1985 - 1989 einen signifikant, negatives Vorzeichen, während der Anteil der
Bewohner in Städten mit mehr als 30‘000 Einwohnern im selben Zeitraum
einen signifikant positiv Einfluss auf die relative Anzahl der Konkurse hat.
• Die Variable Bevölkerungsdichte hat im LSDV-Modell während der Periode
1085 - 1989 ein negatives, signifikantes Vorzeichen. Die Variable für den
Anteil der Stadtbewohner dagegen weist in drei Fällen das erwartete positive
Vorzeichen auf. Allerdings ist der Einfluss während der Periode 1990 - 1995
deutlich geringer als in den Jahren zuvor.
• Der Einfluss der Scheidungsrate ist laut dem OLS-Modell in der Periode 1990
- 1995 zwar geringer als 1985 - 1989, aber bei Verwendung des LSDV- und
des EC-Modells ist diese Variable erst in der Periode 1990 - 1995 signifikant
in ihrem Einfluss.
• Die Geburtenrate ist nur bei Verwendung des OLS-Modells signifikant in
ihrem Einfluss.
• Wie auch bei der relativen Anzahl Zahlungsbefehlen, hat auch bei den Konkursen der positive Einfluss der Ausländerquote nach 1990 stark abgenommen.
• Der Ginikoeffizient hat keinen signifikanten Einfluss auf die relative Anzahl
der Konkurse.
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
Resultat II.17
Mit Hilfe der empirischen Analyse auf der Makroebene kann
vor allem der Einfluss von Einkommensschocks, vor allem
Arbeitslosigkeit, auf die Überschuldungswahrscheinlichkeit
bestätigt werden. Die Variablen, welche den Einfluss der
Jagd nach Status und der langlebigen Konsumgüter approximieren sollten, sind nur bedingt signifikant in ihrem Einfluss.
131
132
9 Schlussfolgerungen zu Teil II
9 Schlussfolgerungen zu Teil II
Im zweiten Teil der Arbeit wurde nach den Gründen für Zahlungsunfähigkeit und
Überschuldung gesucht. Der Ausdruck Überschuldung steht nach allgemeiner
Definition nicht für einen bestimmten Schuldenstand, sondern schlicht für das
Ereignis Zahlungsunfähigkeit. In dieser Arbeit wird jedoch unterschieden zwischen der Zahlungsunfähigkeit (Unfähigkeit fällige Verbindlichkeiten zu begleichen) und der Überschuldung (Vermögen kleiner Null). Ein Problem stellt in
erster Linie die Zahlungsunfähigkeit dar, auf die häufig eine Betreibung und
möglicherweise eine Pfändung folgt. Überschuldung stellt kein Problem dar,
solange das Individuum zahlungsfähig bleibt. Je höher die Überschuldung und je
länger sie andauert, desto wahrscheinlicher wird jedoch die Zahlungsunfähigkeit.
Im allgemeinen wird in dieser Arbeit angenommen, dass bei Eintreten der Überschuldung auch die Zahlungsunfähigkeit folgt.
Zahlungsunfähigkeit als auch Überschuldung können mit Vorsatz herbeigeführt werden, sofern ihre Kosten, wie zum Beispiel die Kosten einer Betreibung
und des Reputationsverlustes, geringer sind als der Nutzen. Der Nutzen kann
bestehen aus dem erhöhten Konsum vor der Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung. Sofern kein Risiko existiert, sind Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung grundsätzlich vorsätzlich. Sobald Risiko ins Spiel kommt, besteht die
Möglichkeit, dass Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ungewollt eintreten.
Ein notwendiger Grund für unbeabsichtigte Zahlungsunfähigkeit ist das Vorhandensein von Kreditrestriktionen. Ist es einem Individuum möglich unbegrenzt
Mittel auf dem Kapitalmarkt aufzunehmen, so wird es niemals zahlungsunfähig
sein. Der Schuldenstand und damit die Gefahr der Überschuldung nehmen natürlich zu. Realistischerweise muss man allerdings mit Kreditrestriktionen rechnen.
Ist Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung prinzipiell die Folge des vorhandenen Risikos? Dass heisst, es haben alle Überschuldeten schlicht Pech gehabt,
sind also sog. Krisenschuldner? Diese Aussage ist nur teilweise richtig, denn es
bestehen Möglichkeiten die Wahrscheinlichkeit der Zahlungsunfähigkeit bzw.
Überschuldung zu beeinflussen. Das Resultat des Abschnitts 3 war, dass die
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
133
Wahrscheinlichkeit einer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung durch
Ersparnis reduziert werden kann. Verantwortlich für das Ausmass dieser Vorsichtsersparnis ist die Risikoaversion eines Individuums sowie das Ausmass des
Risikos selbst, gemessen anhand der Varianz bzw. der Standardabweichung.
Somit drängt sich die nächste Frage auf. Was ausser der Risikoaversion und dem
Risiko selbst führt dazu, dass manche Individuen weniger sparen als andere?
Zum einen spielt Einkommensschwäche eine grosse Rolle (vgl. Abschnitt
3.3). Ein Individuum welches ein Einkommen bezieht, dass ihm nur mit Mühe
den täglichen Bedarf deckt, kann keine Ersparnis tätigen um unerwarteten Ausgaben zu begegnen. Dies ist der Fall des sog. Armutsschuldners. Es langt bereits
ein relativ milder negativer Schock um die Zahlungsunfähigkeit oder gar Überschuldung herbei zu führen.
Unabhängig vom Einkommen muss zweifelsohne die Höhe der Zeitpräferenzrate als entscheidend für das Ausmass der Ersparnis genannt werden (vgl.
Abschnitt 4). Je grösser die Präferenz eines Individuums für Gegenwartskonsum
im Vergleich zu Zukunftskonsum, desto weniger wird es sparen und um so höher
ist ceteris paribus die Wahrscheinlichkeit einer finanziellen Krise (der „Ungeduldsschuldner“).
Die Jagd nach Status führt, für sich alleine genommen, nicht zu erhöhter
Überschuldungswahrscheinlichkeit (vgl. Abschnitt 5.1). Allerdings heizt Statusdenken die Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern an, mit den in Abschnitt 6
erwähnten Folgen. Ein liebgewonnenes Konsumniveau, welches mit aller Kraft
auch nach einem Einkommensrückgang zu erhalten versucht wird, ist ein weiterer möglicher Grund für Überschuldung (vgl. Abschnitt 5.2). Erklärt wird dieses
Verhalten mit der sog. Verlustaversion. Dazu kommt, dass eine Reduktion des
Konsumniveaus auf ein, dem reduzierten Einkommen angemessenes Niveau,
unter Umständen nur unter Inkaufnahme hoher Transaktionskosten möglich ist.
Die Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern führt zu verringerter Ersparnis (vgl. Abschnitt 6). Das Vermögen sinkt in diesem Fall durch die relativ hohe
Abschreibungsrate welche die meisten langlebigen Konsumgüter besitzen. Die
Überschuldungswahrscheinlichkeit steigt also. Ferner steigt vor allem die Wahr-
134
9 Schlussfolgerungen zu Teil II
scheinlichkeit der Zahlungsunfähigkeit, da langlebige Konsumgüter in der Regel
illiquide Vermögensbestandteile darstellen. Diese Schuldner lassen sich in die
Kategorie der Anspruchsschuldner einordnen. Vor allem bei jungen Menschen
wird die Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern durch die Jagd nach Status
ausgelöst. Der Kauf von Autos, Stereoanlagen, Reisen usw. ist nicht selten der
Grund für steigende Verschuldung. Diese kann dann schliesslich in Verbindung
mit einem Einkommensrückgang oder unerwarteten Ausgaben zur Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung führen.
Als ein weiterer Grund für Überschuldung wird nicht selten von den Betroffenen selbst, die mangelnde Fähigkeit mit Geld umzugehen genannt (vgl.
Abschnitt 7.1). Die Überschuldung aufgrund „mangelhafter Haushaltsführung“
ist methodisch die Folge eines Optimierungsprozesses unter Risiko, mit systematischen Fehlern bei der Einschätzung des verfügbaren Einkommens sowie dessen
Varianz. Überschuldung dieser Art kann eigentlich nur durch Aufklärung und
Information verhindert oder zumindest eingeschränkt werden. Man könnte diese
Schuldnergruppe Informationsschuldner nennen.
Der letzte Abschnitt der sich mit den Gründen für Zahlungsunfähigkeit
beschäftigt hat befasst sich mit dem Thema Suchtkrankheiten (vgl. Abschnitt
7.2). Zweifelsohne stellt Sucht einen Grund für Überschuldung dar, als dort vor
allem die bereits erwähnten Verhaltensweisen der Zeitinkonsistenz zum Tragen
kommen. Sucht als Verschuldungsgrund lässt sich in die Kategorie „Zwanghafter
Konsument“ einordnen. In Tabelle II.9 sind die fünf „klassischen“ Schuldnergruppen [vgl. Hagen (1997)] sowie eine neue Kategorie, zusammen mit den
Gründen für das Auftreten von Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung und
ihre Fundstelle im Text wiedergegeben.
Abschnitt 8 schliesslich war der empirischen Evidenz gewidmet. Eine Untersuchung in England von Lea et al. (1995) mit Mikrodaten hatte zum Ergebnis,
dass vor allem Einkommensschwäche als ein Grund für Überschuldung angesehen werden muss. Eigene Untersuchungen mit Daten auf der Makroebene führten zu dem Ergebnis, dass es neben dem Niveau des Einkommens, vor allem
auch die Varianz desselben ist, welche die Überschuldung beeinflusst. Der exo-
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
Tabelle II.9
135
Schuldnerkategorie und die Gründe für
Zahlungsunfähigkeit/Überschuldung
Fundstelle
in Teil II
der Arbeit
Schuldnerkategorie
Grund für Zahlungsunfähigkeit
Krisenschuldner
Ein exogener Einnahmen- oder Ausgabenschock kann zur
Zahlungsunfähigkeit/Überschuldung führen
Abschnitt
3
Armutsschuldner
Zu geringes Einkommen um Ersparnis zu tätigen führt zu
einer höheren Wahrscheinlichkeit der Zahlungsunfähigkeit/
Überschuldung
Abschnitt
3.3
Ungeduldsschuldner
Eine hohe Zeitpräferenzrate führt zu Verschuldung und
damit erhöhter Gefahr von Zahlungsunfähigkeit/
Überschuldung
Abschnitt
4
Anspruchsschuldner
Die Nachfrage nach
langlebigen Gütern,
Statusgütern führt oft zu
Verschuldung und damit zu
erhöhter Wahrscheinlichkeit der Zahlungsunfähigkeit
Abschnitte
5 und 6
Informationsschuldner
Mangelnde Übersicht über das Haushaltsbudget führt unter
Umständen zur Zahlungsunfähigkeit/Überschuldung
Abschnitt
7.1
Zwanghafter
Konsument
Suchkrankheiten erfordern finanzielle Mittel zur
Befriedigung der Sucht, daraus folgt unter Umständen
Zahlungsunfähigkeit/Überschuldung
Abschnitt
7.2
Grund für Überschuldung
Der Kauf langlebiger
Konsumgüter führt dann zu
erhöhter Wahrscheinlichkeit
der Überschuldung, wenn
diese Güter einer hohen
Abschreibungsrate unterliegen
gene negative Schocks Arbeitslosigkeit hat zumindest in den 90er Jahren einen
eindeutig signifikanten positiven Einfluss auf die relative Anzahl der Zahlungsbefehle als auch der Konkurse. Andere Variablen welche Einkommensschocks
abbilden, wie die Scheidungsrate oder die Geburtenrate eines Kindes, sind in
ihrem Einfluss nicht eindeutig signifikant, ebenso wie die Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern, wie z.B. Autos.
136
9 Schlussfolgerungen zu Teil II
Resultat II.18
Die Gründe für Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
sind negative externe Schocks auf der Einnahmen- oder Ausgabenseite, häufig verbunden mit ungenügender Prävention
in Form von nicht ausreichender Ersparnis. Die Gründe für
die mangelnde Prävention sind vor allem eine hohe Zeitpräferenzrate und geringe Risikoaversion. Ferner spielt die
Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern eine Rolle, häufig auch angeheizt durch Statusdenken. Mangelnde Fähigkeiten mit Geld umzugehen sowie Suchtkrankheiten führen
ebenfalls zu finanziellen Problemen und nicht selten zu Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung.
Lassen sich aus der Analyse wirtschaftspolitische Konsequenzen für eine bessere Prävention gegen Überschuldung ziehen? Ist ein Bedarf für staatliche Präventionsmassnahmen vorhanden? In erster Linie wäre die Prävention eine
Aufgabe der Marktteilnehmer selbst. Das betrifft natürlich zuerst einmal den
Schuldner. Die Aufnahme eines Kredits oder die Verringerung der Ersparnis
erhöht die Überschuldungswahrscheinlichkeit. Dessen muss sich ein jeder
bewusst sein.
Andererseits liegt es auch an den Gläubigern Prävention zu betreiben. Der
Vorteil eines staatlichen Betreibungsverfahren für die Gläubiger ist, dass sie die
Eintreibung ihrer Aussenstände einer hoheitlichen Stelle übergeben können, die
mit Hilfe der Staatsgewalt auf Begleichung der Schulden drängen kann. Damit
wird die Notwendigkeit für den Gläubiger die Kreditwürdigkeit eines Kunden zu
prüfen geringer.
Massnahmen wie die zur Zeit diskutierte Verschärfung der Verfügbarkeit von
Konsumkrediten sind auf keinen Fall geeignet die Schuldenproblematik zu lösen.
Wie bereits erwähnt, kann ein funktionierender Kreditmarkt den Individuen helfen die Zahlungsunfähigkeit mit all ihren Folgen zu vermeiden. Ein Individuum
Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
137
welches zahlungsfähig bleibt und somit nicht einem Betreibungsverfahren unterworfen wird, hat noch ehesten die Motivation und die Möglichkeiten aus einer
hohen Verschuldung wieder herauszufinden. Zweifelsohne erfordert dies aber
auch mehr Disziplin, als wenn exogen die Möglichkeit einer weiteren Neuverschuldung eingeschränkt wird. Die unbeschränkte Verfügbarkeit von Krediten
verführt natürlich dazu diese auch auszunutzen. Es ist aber immer zu bedenken,
dass die Einschränkung des Kreditmarktes alle dort handelnden Individuen
betrifft, von denen der grösste Teil keine Probleme mit Überschuldung hat.
Die Möglichkeiten des Staats einzugreifen, sofern dies gewünscht wird, liegen eher im ex post Bereich. Der Staat kann und sollte auch nicht die Präferenzen
der Menschen beeinflussen. Durch Regulierung des Betreibungsverfahrens kann
aber das Verhalten der Schuldner als auch der Gläubiger bis zu einem gewissen
Grad beeinflusst werden.1 Diese Massnahme erweckt zwar den Eindruck des
„am Brunnen Stehens und Zuguckens wie das Kind hineinfällt“ - aber es
erscheint mir sinnvoller als den Kreditmarkt, in welcher Form auch immer, einzuschränken (vgl. dazu auch die Schlussbemerkungen in Abschnitt 2, Teil IV dieser Arbeit).
Resultat II.19
Geeignete Massnahmen zur Prävention sind vor allem von
Seiten der Schuldner und Gläubiger zu fordern. Staatliche
Einschränkungen des Kreditmarktes sind nicht zu befürworten. Stattdessen sollte versucht werden durch die Art des
Betreibungsverfahrens auf die handelnden Parteien einzuwirken.
1) Das ex post Verhalten des Schuldners wird im nächsten Teil der Arbeit behandelt.
138
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Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
143
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und
Überschuldung - Die Betreibung
In den vorherigen Abschnitten wurden die Gründe für das Auftreten von Überschuldung untersucht. In Teil III geht es nun um die Folgen der Überschuldung.
Was geschieht, wenn ein Individuum überschuldet ist und wie reagiert es darauf?
Vereinfachend wird angenommen, dass auf Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit grundsätzlich eine Betreibung folgt. 1 Der erste Abschnitt dieses Teils enthält einen kurzen Überblick über den Stand der ökonomischen Forschung zum
Thema Betreibung und Lohnpfändung sowie eine Erläuterung meiner Vorgehensweise. Im zweiten Abschnitt wird kurz die Theorie der optimalen Kontrolle
vorgestellt, welche als Grundlage für die späteren Modelle dient. Der dritte
Abschnitt enthält die Formulierung einiger Modelle auf Basis der mikroökonomischen Konsumtheorie, welche das Verhalten eines Schuldners in der Lohnpfändung erklären sollen. Diese Modelle werden im vierten Abschnitt mit Hilfe
von Computersimulationen durchgerechnet. Der fünfte Abschnitt ist der Formulierung einiger Reformvorschläge für das Betreibungsrecht gewidmet. Die Vorschläge sind einmal die Einführung eines variablen, einkommensabhängigen
betreibungsrechtlichen Existenzminimums sowie einer Restschuldbefreiung. Im
sechsten Abschnitt wird dann versucht, die theoretisch hergeleiteten Ergebnisse
empirisch zu untermauern. Schliesslich werden im siebten Abschnitt die
Schlussfolgerungen gezogen.
1 Einleitung zu Teil III
1.1 Stand der Forschung hinsichtlich des individuellen Verhaltens bei
einer Betreibung
Obwohl die Verschuldung privater Haushalte und der nicht selten daraus resultierende Privatkonkurs ein häufiges Thema in sozialwissenschaftlichen Studien darstellt, tauchen mikroökonomisch fundierte Überlegungen hierzu in der
1) Die rechtlichen Folgen einer Betreibung wie zum Beispiel die Vermögens- und die Lohnpfändung wurden in Abschnitt 2 von Teil I abgehandelt.
144
1 Einleitung zu Teil III
wirtschaftswissenschaftlichen Literatur eher selten auf. Dies ist erstaunlich, da
die Erparnisbildung privater Haushalte wohl eine der am besten untersuchten
Fragestellungen in der Volkswirtschaftslehre ist. Untersuchungen über das ex
post Verhalten eines Individuums, welches also bereits überschuldet ist, sind
dagegen selten. Mit der Pfändung von Vermögen beschäftigen sich Dubey und
Shubik (1988), die eine „optimale“ Pfändungsregel herleiten. Die zumindest in
der Schweiz viel häufigere Lohnpfändung, die Einbehaltung zukünftigen Einkommens also, wird nicht betrachtet, obwohl doch gerade sie aufgrund ihrer
Anreizwirkungen ein interessantes Gebiet der Forschung sein müsste.
Einzig ein Aufsatz von Dye (1986) beschäftigt sich mit Thema der Lohnpfändung. Allerdings verzichtet Dye auf die formale Endogenisierung des Arbeitsangebotes und leitet die Ergebnisse für diesen Fall nur verbal her. Sein Ergebnis ist,
dass verschuldete Personen unter einem harten Pfändungsregime weniger arbeiten als unter einem etwas grosszügigerem. Allerdings wird als ein hartes Regime
eines bezeichnet, welches dem Schuldner nichts mehr belässt. Die starken Vereinfachungen haben das Modell von Dye relativ einfach und überschaubar
gemacht. Allerdings gehen gleichzeitig die Möglichkeiten verloren, die Situation, wie sie sich unter den gegebenen Rechtsbestimmungen darstellt, und mögliche Reformen vor einem realistischen Hintergrund zu analysieren.
Im Bereich der empirischen Studien haben Sullivan et al. (1989, 1994) eine
erste tiefgreifende Analyse der Verschuldungs- und Konkursproblematik privater
Haushalte in den USA geliefert.1 Für Deutschland sind ähnliche Studien von
Rosendorfer (1993) und den Landesarbeitsämtern Nordrhein-Westfalens und
Baden-Württembergs (1996) unternommen worden. In der Schweiz stellt die von
Meier et al. (1999) im Jahre 1997 durchgeführte Datenerhebung eine erste Untersuchung dieser Art dar.2
1) Vgl. auch Abschnitt 6.1 dieses Teils.
2) Für einen Überblick über die Ergebnisse der Datenerhebung vgl. Abschnitt 3 in Teil I dieser Arbeit.
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
145
1.2 Modellierung und Vorgehensweise
Ziel meiner Modelle ist es, das Verhalten eines Individuums abzubilden, welches
einer Pfändung unterliegt. Da die Vermögenspfändung in der Schweiz nur noch
eine geringe Bedeutung besitzt, konzentriere ich mich auf die Lohnpfändung.
Von besonderem Interesse ist die Frage, unter welchen Bedingungen die Pfändung zu einer Tilgung der Schuld führt und wann nicht. Zu diesem Zweck erweitere ich ein Einperioden-Modell erst auf zwei und dann auf n Perioden. Die
Gründe, welche das Individuum in die Verschuldung führten, sowie die Anreizeffekte verschiedener Pfändungsregime auf das Präventionsverhalten, sollen an
diese Stelle nicht interessieren.
Es wird angenommen, das Individuum sei zu Beginn des Optimierungszeitraums bereits überschuldet und eine Lohnpfändung sei eingeleitet. Da ein derartiges Modell mit exogenem Arbeitsangebot kaum interessante Ergebnisse liefern
kann, muss das Arbeitsangebot endogenisiert werden. Der Preis für diese realistischere Modellierung ist, dass ein Modell mit endogenem Konsum und Arbeitsangebot über n Perioden hinweg mathematisch recht anspruchsvoll wird. Mit Hilfe
der Theorie der optimalen Kontrolle können mögliche Optimierungspfade isoliert und interpretiert werden. Eine qualitative Analyse der Bedingungen, unter
welchen Schuldentilgung erfolgt und wann nicht, ist allerdings schon nicht mehr
durchführbar. Auch die Ergebnisse der Datenerhebung (vgl. Meier et al. (1999)
sowie Abschnitt 3 in Teil I dieser Arbeit), sind nur sehr eingeschränkt zu Überprüfung des Schuldnerverhaltens während einer Lohnpfändung verwendbar. Der
Grund liegt darin, dass diese Datenerhebung zum einen eine Querschnittsanalyse
darstellt, während für eine Analyse des Verhaltens eher Zeitreihendaten notwendig wären, und zum anderen schlicht die Anzahl derer, die einer Lohnpfändung
unterliegen, für eine empirische Analyse zu gering ist. Zu diesem Zweck habe
ich schliesslich Computersimulationen durchgeführt, mit deren Hilfe das dynamische Modell getestet werden soll. Es können damit verschiedene exogene
Parameter bestimmt und ihre Wirkung auf das Verhalten getestet werden.
Schliesslich werden mit Hilfe der Simulationen auch zwei Reformvorschläge
analysiert.
146
2 Intertemporale Optimierung mit Hilfe der Theorie der optimalen Kontrolle
2 Intertemporale Optimierung mit Hilfe der Theorie der
optimalen Kontrolle
Dynamische Modelle lassen sich unter bestimmten Voraussetzungen mit der
Theorie der Optimalen Kontrolle lösen. Mit ihrer Hilfe lassen sich dann die Optimierungspfade über die Zeit errechnen. Bei den klassischen Modellen werden
dagegen nur einzelne Gleichgewichtspunkte beschrieben. Bevor ich das Modell
eines verschuldeten Haushalts angehe, werde ich die Grundzüge der Theorie der
optimalen Kontrolle anhand eines Konsum-Freizeit-Modells vorstellen. Einen
guten Überblick über die Theorie der optimalen Kontrolle geben Feichtinger und
Hartl (1986), Fryer und Greenman (1987) oder auch Chiang (1992).
2.1 Das dynamische Konsum-Modell mit endogenem Arbeitsangebot
Ausgegangen wird von einer gewöhnlichen Zielfunktion der Art,
T
V =
∫e
– δt
⋅ U ( c t, l t ) dt .
(III.1)
1
Ein Individuum maximiere seinen Nutzen aus Konsum (ct) und Freizeit (lt)
innerhalb eines Zeitraums von T Perioden. Die Variable T steht für das Ende des
bekannten Optimierungshorizontes. Der Konsum zukünftiger Perioden wird mit
der Zeitpräferenzrate δ abdiskontiert. Die beiden Variablen ct und lt sind die sog.
Kontrollvariablen. Das Individuum steuert seinen Optimierungspfad zu jedem
Zeitpunkt t durch Veränderungen von ct bzw. lt.
Durch den Konsum bzw. die Freizeit ändert sich der Bestand des Vermögens
·
vt. Die Veränderung der Zustandsvariablen vt in der Zeit ( v t = ∂v t ⁄ ∂t ) ist gege-
ben durch die Differenz aus Zinsertrag r t ⋅ v t plus Arbeitseinkommen
w t ⋅ ( 1 – l t ) , abzüglich dem Wert des Konsums p t ⋅ c t . Es wird angenommen,
dass die zukünftigen Werte von r t, w t und p t für jede Periode bekannt sind. Die
sog. Bewegungsgleichung lautet:
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
·
vt = vt ⋅ rt + wt ⋅ ( 1 – lt ) – pt ⋅ ct .
147
(III.2)
Schliesslich bedarf es noch einer Endbedingung. Im allgemeinen wird für
Konsum-Modelle mit Vermögensverzehr angenommen, der Wert des Vermögens
müsse am Ende der Optimierung gleich Null sein (vgl. dazu auch Abschnitt 2.1,
Teil II). Dadurch ergibt sich:
vT = 0 .
(III.3)
Nach Formulierung der Zielfunktion (III.1) und der Bewegungsgleichung
(III.2) lässt sich die sog. Hamiltonfunktion wie folgt schreiben:
T
H(t) =
∫
e
– δt
⋅ U ( c t, l t ) + λ t ⋅ [ v t ⋅ r t + w t ⋅ ( 1 – l t ) – p t ⋅ c t ]dt .
(III.4)
0
Die Hamiltonfunktion ist vergleichbar mit der herkömmlichen Lagrangefunktion. Als zulässige Kontrolltrajektorien, werden alle im Zeitintervall [0, T] stückweise stetigen Funktionen von ct und lt betrachtet [vgl. Feichtinger und Hartl
(1986), Kap. 2]. Der Parameter λ t ist wie bei der Lagrangefunktion als Lagrangemultiplikator zu interpretieren. Der Unterschied zum statischen Modell (vgl.
Abschnitt 2.1 in Teil II) ist, dass λ t nicht konstant ist. Er ist als Schattenpreis der
restringierenden Variablen (in diesem Fall des Vermögens vt) zu interpretieren.
Eine marginale Einheit Vermögensverzehr zum Zeitpunkt t, verringert den maximalen Wert des zukünftigen Vermögens und damit der Zielfunktion (III.4) um
λ t . Die Variable λ t wird auch Kozustandsvariable genannt.
Die Maximierung der Hamiltonfunktion erfolgt analog zur Maximierung
einer Lagrangefunktion. Die Differenzierung der Hamiltonfunktion nach den
Kontrollvariablen ct und lt (mit t < T) ergibt die Bedingungen erster Ordnung für
ein Maximum:
148
2 Intertemporale Optimierung mit Hilfe der Theorie der optimalen Kontrolle
∂H
∂U – δ t
------- = 0 ⇒ ------- ⋅ e
= λt ⋅ pt
∂c t
∂c t
(III.5)
und
∂U – δ t
∂H
------- = 0 ⇒ ------- ⋅ e
= λt ⋅ wt .
∂l t
∂l t
(III.6)
Die Ableitung der Hamiltonfunktion nach der Kozustandsvariablen λ t ergibt
die Bewegungsgleichung:
∂H
·
·
-------- = v t ⇒ v t ⋅ r t + w t ⋅ ( 1 – l t ) – p t ⋅ c t = v t .
∂λ t
(III.7)
Die Hamiltonfunktion wird zusätzlich noch nach der Zustandsvariablen vt differenziert. Die sog. Kozustandsgleichung
·
·
∂H
------- = – λ t ⇒ – λ t = λ t ⋅ r ,
∂v t
(III.8)
gibt an wie sich der Schattenpreis des Vermögens ändert. Da die Zustandsvariable λ t und der Zins r annahmegemäss positiv sind, fällt der Schattenpreis im
Zeitablauf. Die Opportunitätskosten des Vermögensverzehrs werden mit der Zeit
geringer.
Wie auch im statischen Modell konsumiert das Individuum Freizeit und Güter
in jeder Periode in einer Relation, dass das Grenznutzenverhältnis von Konsum
und Freizeit dem Preis/Lohnverhältnis entspricht,
∂U ⁄ ∂c t
pt
------------------- = ----- .
∂U ⁄ ∂l t
wt
(III.9)
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
149
2.2 Analyse im Phasenportrait
Eine Analyse im Phasenportrait bietet die Möglichkeit die Konsumpfade des
Haushalts grafisch zu analysieren. Um die Konsumpfade analysieren zu können,
muss eine funktionale Form für die Nutzenfunktion angenommen werden. Bei
dieser ersten Analyse eines Standardmodells wähle ich die mathematisch einfachste Form: Eine logarithmische Nutzenfunktion, abgeleitet von der CobbDouglas-Nutzenfunktion. Ferner wird angenommen, dass die Zins-, Lohn- und
Preisniveaus sich im Zeitablauf nicht verändern und bekannt sind. Die Zeitindizes können somit bei der Darstellung von r, w und p vernachlässigt werden. Die
verwendete Nutzenfunktion hat die Form:
U = α ⋅ ln c t + ( 1 – α ) ⋅ ln l t .
(III.10)
2.2.1 Der Gleichgewichtspfad für das Vermögen
Den ersten Schritt einer Analyse im Phasenportrait bildet die Berechnung der
Gleichgewichtsgeraden für die Zustandsvariable vt. Auf dieser Gleichgewichtsgeraden findet keine Veränderung des Vermögensbestandes statt, dass heisst
·
vt = 0 .
Die Differenzierung der funktionalen Form der Nutzenfunktion nach den
Kontrollvariablen c t und l t [vgl. Gleichung (III.10)] ergibt:
∂U
α
∂U
1–α
------- = ---- bzw. ------- = ------------ .
∂l t
ct
∂c t
lt
(III.11)
Nach Ersetzen der Ableitungen der Nutzenfunktion in den Gleichungen (III.5)
und (III.6) durch die expliziten Ableitungen der Gleichung (III.10), ergeben sich
die Bedingungen erster Ordnung wie folgt:
150
2 Intertemporale Optimierung mit Hilfe der Theorie der optimalen Kontrolle
–δ t
α⋅e
------------------ = λ t ⋅ p
ct
(III.12)
und
–δ t
(1 – α) ⋅ e
-------------------------------- = λ t ⋅ w .
lt
(III.13)
Die Gleichung (III.12) wird nach λ t aufgelöst und in Gleichung (III.13) eingesetzt. Diese Gleichung lässt sich dann schliesslich nach der Variable ct auflösen
und man erhält
α ⋅ w ⋅ lt
c t = ------------------------- .
p ⋅ (1 – α)
(III.14)
Der erhaltene Ausdruck (III.14) wird in die Bewegungsgleichung (III.7) eingesetzt und somit gilt
·
α⋅w
v t = v t ⋅ r + w – l ⋅ w – ----------------- .
(1 – α)
(III.15)
·
Die Vermögensveränderung v t ist jetzt nur noch von den beiden endogenen
Variablen vt und lt abhängig. Aus dieser Gleichung lässt sich ein Gleichgewichtspfad für die Vermögensveränderung ermitteln. Der Gleichgewichtspfad für das
Vermögen ist dadurch gekennzeichnet, dass die Vermögensveränderung gleich
·
Null ist ( v t = 0 ). Es gilt
·
v t = 0, wenn
r ⋅ (1 – α)
l t = v t ⋅ ------------------------ + ( 1 – α ).
w
(III.16)
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
151
Eine Abweichung des Freizeitkonsums von diesem Gleichgewichtswert führt
zu einer Veränderung des Vermögens. Eine Unterschreitung des Wertes führt zu
einer Steigerung des Vermögens, das Individuum spart also:
·
v t > 0, wenn
(III.17)
r ⋅ (1 – α)
l t < v t ⋅ ------------------------ + ( 1 – α ).
w
Eine Überschreitung führt zu einer Verringerung des Vermögensbestandes, das
Individuum entspart:
·
v t < 0, wenn
(III.18)
r ⋅ (1 – α)
l t > v t ⋅ ------------------------ + ( 1 – α ).
w
Die Gleichgewichtsgerade ist in Abbildung III.1 dargestellt.
2.2.2 Der Gleichgewichtspfad für die Freizeit
Als nächstes wird die Veränderung des Freizeitkonsums in der Zeit untersucht.
Die Ableitung der Nutzenfunktion (III.11) in Gleichung (III.6) eingesetzt und
nach lt aufgelöst ergibt:
– δt
e ⋅ (1 – α)
l t = -------------------------------- .
λt ⋅ w
(III.19)
Gleichung (III.19) lässt sich nach der Zeit ableiten,
·
– δt
– δt
( –δ ⋅ e ⋅ λt ⋅ w – e ⋅ w ⋅ λt ) ⋅ ( 1 – α )
·
l t = --------------------------------------------------------------------------------------------------- .
2
( λt ⋅ w )
(III.20)
152
2 Intertemporale Optimierung mit Hilfe der Theorie der optimalen Kontrolle
·
λ t in Gleichung (III.20) wird durch Gleichung (III.8) ersetzt und nach einigen
weiteren Umformungen erhält man den Ausdruck für die Veränderung des Freizeitkonsums in der Zeit:
·
l = lt ⋅ ( r – δ ) .
(III.21)
Die Veränderung der Freizeit ist gleich Null, sofern die konsumierte Freizeit
Null ist oder der Zins exakt der Zeitpräferenzrate entspricht. Ist der Zins grösser
als die Zeitpräferenzrate, so steigert das Individuum seine Freizeit im Zeitablauf.
Der Grund hierfür ist, dass zukünftiger Konsum bzw. Freizeit, als eine besondere
Form des Konsums, mit einem geringeren Wert abdiskontiert werden, als Ersparnis verzinst wird. Es ist somit optimal Konsum und Freizeit von der Gegenwart
in die Zukunft zu verlegen. Ist der Zins kleiner als die Zeitpräferenzrate so verringert das Individuum seinen Konsum und die Freizeit im Zeitablauf. In diesem
Fall wird zukünftiger Konsum stärker abdiskontiert als die Ersparnis verzinst
wird. Es ist optimal mehr in der Gegenwart zu konsumieren als in der Zukunft.
In Abbildung III.1 sind die Bewegungen im Freizeit-Vermögensraum zweier
unterschiedlicher Individuen abgetragen. Ein Individuum mit einer relativ niedrigen Zeitpräferenzrate ( δ < r ) startet mit relativ niedrigem Freizeitkonsum (Punkt
A) und häuft in den folgenden Perioden Vermögen an. Dieses wird gegen Ende
seines Optimierungshorizontes dann verbraucht. Sein Freizeitkonsum steigt über
die gesamte Zeit hinweg. Ein Individuum mit einer relativ hohen Zeitpräferenzrate ( δ > r ) startet mit einem relativ hohen Freizeitkonsum (Startpunkt B) den er
dann über die Zeit hinweg senkt. Dieses Individuum entspart vom ersten Augenblick an. In beiden Fällen enden die Individuen bei der Endbedingung v T = 0 .
In einem letzten Schritt sollen nun die Konsumpfade von lt und ct berechnet
werden. Die Auflösung der Differentialgleichung (III.8) ergibt:
λt = K ⋅ e
– rt
.
(III.22)
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
153
Abbildung III.1 Phasenportrait
l
< <
<
<B
<
<
r>δ
<
<
<
<
.v = 0
r<δ
>
1
A
>
r>δ
r<δ
v0
vT = 0
v
Die Variable K stellt die Konstante aus der Integration dar. Gleichung (III.22)
in die Gleichungen (III.14) und (III.19) eingesetzt ergibt:
t( r – δ)
α⋅e
c t = -------------------------p⋅K
(III.23)
und
t( r – δ )
(1 – α) ⋅ e
l t = ---------------------------------------- .
w⋅K
(III.24)
Die Gleichungen (III.23) und (III.24) geben die Konsumpfade für Güter- und
Freizeitkonsum in der Zeit an. Je nachdem ob der Zins grösser oder kleiner als
die Zeitpräferenzrate ist, erscheint die Exponentialfunktion im Zähler oder im
Nenner des Bruches und vergrössert bzw. verkleinert dessen Wert mit steigendem
t. Der Startwert in t = 0 ist gegeben durch 1 ⁄ ( w ⋅ K ) . Durch Berechnung der
Konstanten liesse sich das Niveau des Konsums bzw. der Freizeit ermitteln.
154
2 Intertemporale Optimierung mit Hilfe der Theorie der optimalen Kontrolle
Allerdings wird dies bei zwei Kontrollvariablen mathematisch bereits sehr
anspruchsvoll, weshalb das Modell eines verschuldeten Individuums später auch
mit Hilfe von Computersimulationen durchgerechnet wird.
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
155
3 Die Modellierung des Verhalten eines Haushalts in der
Lohnpfändung
Nach der Erläuterung der Theorie der optimalen Kontrolle zur Lösung dynamischer Modelle im vorherigen Kapitel, werde ich jetzt vorläufig wieder zur statischen Betrachtung zurückkehren. Im ersten Abschnitt dieses Kapitels werde ich
die Wirkung einer Lohnpfändung in einem statischen Modell vorstellen. Vor
allem das Zweiperioden-Modell ist dazu geeignet den Trade-off in der Entscheidung des Individuums darzustellen. Im zweiten Abschnitt wird schliesslich dieses
Modell
dynamisiert
und
bildet
somit
die
Grundlage
für
die
Simulationsrechnungen.
3.1 Das statische Modell
3.1.1 Die Reaktion eines Individuums in einem Einperioden-Modell
Es wird in diesem und in den folgenden Modellen angenommen, dass betrachtete
Individuum sei überschuldet und eine Betreibung sei bereits eingeleitet worden.
Da aufgrund fehlenden Vermögens eine Vermögenspfändung erfolglos wäre,
wird der betroffenen Person nun der Lohn gepfändet bis die zu zahlende Schuld
beglichen ist. Die Lohnpfändung hat zur Folge, dass das verfügbare Einkommen
sich auf das betreibungsrechtliche Existenzminimum beschränkt. Alles was darüber hinaus erwirtschaftet wird unterliegt der Pfändung.1 Es wird ferner davon
ausgegangen, dass das Individuum mindestens ein Konsumniveau in Höhe des
Existenzminimums erreichen möchte. Der Arbeitseinsatz wird also bei Absenz
von Sozialtransfers mindestens zur Finanzierung des Existenzminimums ausreichen.
In Abbildung III.2 ist das Nutzenoptimum eines Individuums im Rahmen
eines einperiodigen Modells grafisch wiedergegeben. Das Individuum kann mit
Hilfe seines Einkommens, welches durch seinen Arbeitseinsatz und den Lohnsatz bestimmt wird, Konsumgüter kaufen. Seine Budgetrestriktion lautet somit
1) Vgl. hierzu auch Abschnitt 2 in Teil I.
156
3 Die Modellierung des Verhalten eines Haushalts in der Lohnpfändung
Abbildung III.2 Das Individuum in der Lohnpfändung Einperioden-Modell
c
w/p
c1
U2 U1
A
c2= m
B
l1
l2
1
l
p ⋅ c = w ⋅ (1 – l) .
(III.25)
Die Variable p steht für den Preisvektor der Konsumgüter, c ist das Konsumgüterbündel und w repräsentiert den Lohnsatz. Die Zahl 1 steht für die maximal
zur Verfügung stehende Zeit und l ist der Freizeitkonsum. Das Individuum maximiert eine Nutzenfunktion mit den Argumenten Konsum und Freizeit,
U = U ( c, l ) .
(III.26)
Ohne Lohnpfändung wähle das Individuum zum Beispiel den Punkt A (vgl.
Abbildung III.2), mit dem dazugehörigen Güterkonsum c1 und dem Freizeitkonsum l1. Erfolgt eine Lohnpfändung und das Einkommen wird bis auf das betreibungsrechtliche Existenzminimum m gepfändet, so wählt das Individuum B als
neuen Konsumpunkt. Sein Güterkonsum c2 ist auf das Existenzminimum m
beschränkt und es steigert seinen Freizeitkonsum soweit, dass es mit seinem
Arbeitseinkommen nur noch das betreibungsrechtliche Existenzminimum verdient [ w ⋅ ( 1 – l 2 ) = m ]. Der Pfändungserfolg ist damit gleich Null, es erfolgt
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
157
keine Verringerung der Schuld.1 Ein Freizeitkonsum geringer als l2 ist nicht mehr
optimal. Punkt B stellt einen Kumulationspunkt dar, an dem sich alle Optimalpunkte der Indifferenzkurven „sammeln“, deren Tangentialpunkte mit der
ursprünglichen Budgetgerade (vor der Pfändung) oberhalb von Punkt B liegt.
Resultat III.1
Im Rahmen eines Einperioden-Modells führt die vollständige
Pfändung des Einkommens oberhalb des betreibungsrechtlichen Existenzminimums zu einer Reduzierung des Arbeitsangebotes auf das zur Erreichung des Existenzminimums
notwendige Mass und somit zu einem Pfändungserfolg von
Null.
3.1.2 Das Zweiperioden-Modell
Das soeben beschriebene Modell ist allerdings vor allem in einer Hinsicht ungenügend, nämlich der Beschränkung auf eine einzige Periode. Wird eine zweite
Periode eingeführt, so vergrössert sich der Entscheidungsraum für das Individuum. Wiederum könnte es sich bei einer Lohnpfändung zur Reduktion seines
Arbeitsangebotes auf das zur Erwirtschaftung des Existenzminimums notwendige Mass beschränken. Die andere Möglichkeit ist jedoch einen Arbeitseinsatz
zu leisten, bei dem ein Einkommen erreicht wird, welches höher als das Existenzminimum ist. In diesem Fall ist irgendwann einmal die Schuld vollständig
abgetragen und die Konsumrestriktion verschwindet. Das Individuum steht also
vor der Entscheidung Freizeit heute gegen Konsum morgen einzutauschen. Die
Frage lautet: Unter welchen Bedingungen wird das Individuum sich entscheiden
über das Existenzminimum hinaus zu arbeiten um seine Schuld abzutragen und
unter welchen Bedingungen wird es sich „gehen lassen“?
1) Von der Möglichkeit, dass die Schuldtilgung an sich Nutzen bringt, also ein Argument in
der Nutzenfunktion darstellt, wird abgesehen.
158
3 Die Modellierung des Verhalten eines Haushalts in der Lohnpfändung
Die Entscheidungssituation des von der Lohnpfändung betroffenen Individuums lässt sich im Zweiperioden-Modell mit Hilfe der Abbildung III.3 sehr gut
verdeutlichen. Das betrachtete Individuum maximiert wiederum seinen Nutzen
aus Konsum (c) und Freizeit (l) in jeder der beiden Perioden. Da ich an dieser
Stelle das Modell so einfach wie möglich konzipieren will, werden Lohnsatz,
Güterpreise, Zins und Zeitpräferenzrate konstant gehalten und auf 1 normiert.
Die Grafiken auf der linken Seite der Abbildung III.3 zeigen jeweils den Freizeit/Konsum-Entscheid ( c 1, l 1 ) in der ersten Periode, die auf der rechten Seite
den Freizeit/Konsum-Entscheid ( c 2, l 2 ) in der zweiten Periode. Im obersten Teil
A sei das Existenzminimum in beiden Perioden auf mA festgelegt. Der Konsumpunkt in einem Zustand ohne Pfändung wäre durch die Tangentialpunkte (Q 1 **,
Q 2 **) der Indifferenzkurven U1 ** bzw. U2** mit der jeweiligen Budgetgeraden
gegeben. Befindet sich das Individuum in einer Lohnpfändung, so reduziert sich
sein maximaler Konsum auf das betreibungsrechtliche Existenzminimum m A. In
Absenz einer zweiten Periode wäre das Optimum am Eckpunkt Q1 (vgl. das
Ergebnis des Einperioden-Modell in Abschnitt 3.1.1). Das Individuum würde
relativ viel Freizeit l1 wählen, also nur noch soviel arbeiten, dass es sich das Existenzminimum leisten kann (Indifferenzkurve U 1 ).1 Damit baut es jedoch seine
Schuld nicht ab, mit der Folge, dass der Konsum der zweiten Periode durch die
fortgesetzte Lohnpfändung ebenfalls auf m A beschränkt wird (erreichte Indifferenzkurve U 2 ).
Alternativ könnte das Individuum die Schuld in der ersten Periode tilgen. Der
Betrag dieser Schuld sei exogen gegeben. Um diese Schuld zu tilgen, müsste das
krit
Individuum ein Arbeitsangebot leisten welches grösser als 1 - l A ist. In der
Folge wäre es am Ende der ersten Periode schuldenfrei. In diesem Fall hätte es in
der ersten Periode eine Nutzeneinbusse in Höhe der Strecke AB aufgrund der
geringeren Freizeit. In der zweiten Periode jedoch hätte die Lohnpfändung ein
Ende, und das Individuum käme gegenüber dem Pfändungsfall in den Genuss
eines Nutzenzuwachses in Höhe der Strecke CD. Im Teil A der Abbildung III.3
1) Diese Aussage gilt nicht nur für das in Abbildung III.3 gezeigte Präferenzfeld, sondern
für alle jene Felder, deren Grenzrate der Substitution von Freizeit für Arbeitseinkommen
bzw. Konsum bei Q1 hinter dem erzielbaren Lohnsatz zurückbleibt.
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
159
Abbildung III.3 Wirkung einer Existenzminimumserhöhung auf das
Arbeitsangebot
c1 A. Ausgangssituation: Existenzminimum bei mc2
A
Q1 **
Q2 **
D
U1 **
U*1
mA
c1
B
mA
c1
C
U1
Q2
A
l1
1
lkrit
A
R1
A
lkrit
lkrit
B
A
U1
l2
1
R2
U2 **
U2
U*1
l1
1
l2
c2
B S1
U*1
A
lkrit
lkrit
B
C
1
Q2 **
D
C
C. Existenzminimum bei mC
mC
mB
U2
c2
B. Existenzminimum bei mB
B
mB
Q1
U2 **
Q2 **
D
C
S2
U2
U**
2
U1
1
l1
1
l2
160
3 Die Modellierung des Verhalten eines Haushalts in der Lohnpfändung
ist die Strecke CD grösser als AB. Damit übersteigt der Nutzengewinn infolge
Beendigung der Pfändung den Nutzenverlust infolge weniger Freizeit, und das
Individuum entscheidet sich zu einer Tilgung der Schuld.
Im Teil B der Abbildung III.3 wurde das Existenzminimum von mA auf mB
erhöht. Bei der eingezeichneten Präferenzstruktur wird das Individuum seinen
Konsum entsprechend erhöhen und auf den Eckpunkt R1 übergehen. Damit bleibt
aber vom Lohneinkommen für die Rückzahlung der Schuld nichts übrig. Will das
Individuum an der Rückzahlung festhalten, muss es auf Freizeit verzichten.
krit
krit
Deren kritischer Wert sinkt von l A beispielsweise auf l B aufgrund des höheren Existenzminimums und ceteris paribus dementsprechend geringeren Pfändungserfolgs. Das dazugehörige Nutzenniveau ist durch die Indifferenzkurve
∗
U 1 gegeben, so dass die Strecke AB wiederum den Nutzenentgang anzeigt, der
in der ersten Periode durch die Schuldenrückzahlung verursacht wird.
In der zweiten Periode ermöglicht die Befreiung von der Pfändung einen Nutzengewinn im Betrage von CD. Im Vergleich zur Ausgangssituation (Teil A der
Abbildung III.3) fällt dieser Gewinn allerdings geringer aus, weil ja das Existenzminimum mit mB grosszügiger festgelegt wurde. Es wirkt deshalb als Restriktion
weniger bindend. Dennoch wird sich das Individuum nach wie vor zur Tilgung
der Schuld entscheiden, denn die Differenz zwischen Nutzengewinn CD und
Nutzenverlust AB ist immer noch positiv.
Der Teil C der Abbildung III.3 zeigt eine nochmalige Erhöhung des Existenzminimums auf mC. Gegeben, dass das Individuum einmal mehr den Eckpunkt S1
wählt, also die erweiterte Konsummöglichkeit ausschöpft, müsste es nochmals
auf Freizeit verzichten, um die Schuld zurückzahlen zu können. Dies wird durch
krit
krit
den Übergang von l B auf l C angezeigt. Die Begleichung der Schuld in der
ersten Periode ist demnach mit dem Nutzenniveau U 1 verbunden und führt zu
einer Nutzeneinbusse im Betrag von AB. Der Nutzengewinn durch Beendigung
der Betreibung in der zweiten Periode reicht nicht mehr aus, um das Individuum
für die zur Schuldentilgung notwendige Freizeitverringerung in der ersten Periode zu entschädigen (Strecke CD kleiner als Strecke AB). Das Individuum zieht
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
161
es vor, sein Arbeitsangebot auf das für das Existenzminimum notwendige Ausmass zu reduzieren und die Schuld nicht zu tilgen.
Einen weiteren exogenen Schock stellt die Erhöhung der abzutragenden
Schuld dar. Dieser Fall ist in Abbildung III.4 dargestellt. Die Abbildung ist nach
demselben Prinzip wie Abbildung III.3 aufgebaut. Die Grafiken auf der linken
Seite zeigen den Entscheid des Individuums in der ersten, die Grafiken auf der
rechten Seite den Entscheid in der zweiten Periode. In der Ausgangsituation
besteht eine Startschuld in einer Höhe, dass ein Arbeitsangebot in Höhe von
krit
1 – l A notwendig ist um die Schuld innerhalb der ersten Periode zu tilgen. Die
Alternative der Tilgung wäre wiederum das Stehenlassen der Schuld und ein
Konsum am Eckpunkt Q1. Da der Nutzenverlust durch die geringere Freizeit bei
einem Abbau der Schuld (Strecke AB) geringer ist als der Nutzengewinn in der
Folgeperiode durch unbeschränkten Konsum (Strecke CD), entschliesst sich das
∗
Individuum zu einer Schuldtilgung (Indifferenzkurve U 1 ).
Eine Erhöhung des Ausgangswertes der Schuld hat eine Reduktion der Freizeit zur Folge sofern die Schuld getilgt werden soll (= Linksverschiebung von
krit
krit
l A nach l B in Abbildung III.4). Die Budgetgerade aber bleibt unverändert.
Um die Schuld zu tilgen, muss mehr Freizeit geopfert werden, der Nutzenverlust
in der ersten Periode wird grösser. Im Beispiel der Abbildung III.4 entscheidet
sich das Individuum nach der ersten Erhöhung der Startschuld, trotz des erhöhten
Freizeitverlustes, nach wie vor dazu die Schuld zu tilgen (Strecke AB kleiner als
krit
die Strecke CD). Nach der zweiten Erhöhung (Linksverschiebung von l B nach
krit
l C ) wird der Freizeitverlust bei Schuldtilgung jedoch so gross, dass der Nutzenentgang während der Tilgungsphase (Strecke AB) grösser ist als der Nutzengewinn durch die beendigte Betreibung (Strecke CD). Das Individuum verzichtet
auf die Tilgung seiner Schulden.
162
3 Die Modellierung des Verhalten eines Haushalts in der Lohnpfändung
Abbildung III.4 Wirkung einer Erhöhung der Startschuld auf das
Arbeitsangebot
c1
c2
A. Ausgangssituation
U2
Q1**
Q2**
B Q1
m
A
c1
U2 **
lAkrit
B: 1. Erhöhung der Startschuld
U1 **
U1 m
Q1
C
*
U1
1
D
l1
A
c1
l1
l2
c2
U2
U2 **
Q2 **
B R1
1
C
*
U1
C: 2. Erhöhung der Startschuld
m
l2
D
Q1
U1 m
1
lBrit lAkrit
1
U2 **
Q2 **
B S1
l2
c2
U2
m
1
U*1 m
D
Q1
C
U1
A
lCkrit
lBkrit lAkrit
ki
1
l1
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
163
Resultat III.2
Im Rahmen eines Zweiperioden-Modells lässt sich festhalten, dass eine Erhöhung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums
zu
einer
Verstärkung
der
Arbeitsanstrengungen führen kann. Dies gilt so lange, wie
der Nutzengewinn aus einem Abbau der Verschuldung und
der daraus resultierenden Beendigung der Lohnpfändung,
grösser als der Nutzenverlust durch den verringerten Freizeitkonsum in der ersten Periode ist. Dasselbe gilt für eine
exogene Erhöhung der Startschuld.
3.2 Ein dynamisches Multiperioden-Modell
Im soeben vorgestellten Zweiperioden-Modell hatte das Individuum nur die
Wahl zwischen Bezahlen der Schuld und Nichtbezahlen. Tatsächlich kann eine
Person mit längerem Zeithorizont auch noch die Dauer der Rückzahlung bestimmen. Da die Schuld in der Schweiz während der Lohnpfändung nicht verzinst
wird (vgl. Abschnitt 2 in Teil I), ist dieser Punkt natürlich auch für den oder die
Gläubiger von grosser Bedeutung. Um diesen Freiheitsgrad mit in das Modell
einzubauen, muss es dynamisiert werden. Für die Lösung eines solches dynamischen Modells bietet sich die in Abschnitt 2 erläuterte Theorie der optimalen
Kontrolle an.
3.2.1 Das Modell
Die Zielfunktion sowie die Bewegungsgleichung sind dieselben wie im vorgestellten Standardmodell des Abschnitts 2 (die jeweiligen Lagrangemultiplikatoren erscheinen in Klammern):
164
3 Die Modellierung des Verhalten eines Haushalts in der Lohnpfändung
T
V =
∫
e
– δt
⋅ U ( c t, l t ) dt
(III.27)
1
und
·
v t = v t ⋅ r t + w t ⋅ ( 1 – l t ) – p t ⋅ c t . ( 1λ t )
(III.28)
Die Zukunftswerte des Zinssatzes rt, des Lohnsatzes wt sowie des Preisniveaus pt sind wiederum bekannt. Durch die Lohnpfändung (das Einkommen
oberhalb des Existenzminimums wird gepfändet) müssen dem Modell noch
einige Restriktionen auferlegt werden. Als Vereinfachung nehme ich an, dass ein
negatives Vermögen (vt < 0) den Sachverhalt der Überschuldung kennzeichnet
(vgl. auch Abschnitt 1 in Teil II). Dass heisst, in dem Augenblick in dem das Vermögen des Individuums negativ wird, kommt es zu einer Betreibung und einer
Lohnpfändung. Von dem Augenblick an, in dem die Schulden abgebaut sind
( v t ≥ 0 ), ist die Lohnpfändung beendet und das Individuum kann über sein Einkommen wieder frei entscheiden. Mathematisch lässt sich diese Pfändungsbedingung durch eine Art Kuhn-Tucker Bedingung ausdrücken:1
( p t ⋅ c – m ) ⋅ v t ≥ 0.
t
( 2λt )
(III.29)
Solange wie vt < 0 und dem Individuum der Teil des Einkommens gepfändet
wird welcher das Existenzminimum m übersteigt, muss p t ⋅ c – m ≤ 0 gelten,
t
dass heisst p t ⋅ c , der Wert des Konsums also, kann nicht grösser als das betreit
bungsrechtliche Existenzminimum m sein. p t ⋅ c > m ist erst möglich, wenn
t
v t ≥ 0 , also keine Schuld mehr besteht und die Lohnpfändung beendet ist.
Konsum und Freizeit unterliegen beide einer Nichtnegativitätsbedingung, so dass
1) Den Hinweis zur mathematischen Formulierung dieses Problems verdanke ich Prof. Dr.
Stefan Felder (Universität Magdeburg).
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
ct ≥ 0
165
( 3λt )
(III.30)
( 4λt )
(III.31)
und
lt ≥ 0 .
Das betreibungsrechtliche Existenzminimum stellt keinen staatlichen Transfer
dar, sondern ist der Betrag, der dem Individuum von seinem eigenen Einkommen
nach der Lohnpfändung belassen wird. Es ist also noch zu gewährleisten, dass
das Individuum mindestens das betreibungsrechtliche Existenzminimum erarbeitet. Damit eine weitere Verschuldung nicht möglich ist gilt:
wt ⋅ ( 1 – lt ) ≥ m .
( 5λt )
(III.32)
Schliesslich ist noch das Problem der Endbedingung zu lösen. Im Normalfall
wird die Restriktion auferlegt, dass Vermögen solle in Absenz eines Erbschaftsmotivs am Ende der letzten Periode gleich Null sein (vgl. Abschnitt 2.1 in Teil II
sowie 2.1 in Teil III). Wird diese Bedingung in das vorliegende Modell eingeführt, so wird das Individuum allerdings dazu „gezwungen“ die Schuld bis zum
Ende der letzten Periode zu tilgen. Da aber gerade die Frage wann eine Schuld
getilgt wird und wann nicht von Interesse ist, wird die Endbedingung etwas
gelockert indem gefordert wird, das Vermögen dürfe am Ende der letzten Periode
nicht positiv sein:
v T ≤ 0.
1λ t
(III.33)
Da sich die Endbedingung auf das Vermögen vt bezieht, ist der dazugehörige
Lagrangemultiplikator 1λt , der Multiplikator der Bewegungsgleichung (III.28).
Die Lösung eines Kuhn-Tucker Problems im dynamischen Kontext erfolgt ähnlich wie beim statischen Modell [vgl. Chiang (1992), Kap. 10]. Die ursprüngli-
166
3 Die Modellierung des Verhalten eines Haushalts in der Lohnpfändung
che Hamiltonfunktion mit der Zielfunktion (III.27) und der Bewegungsgleichung
(III.28),
T
H(t) =
∫e
–δ ⋅ t
⋅ U ( c t, l t ) + 1λt ⋅ [ v t ⋅ r t + w t ⋅ ( 1 – l t ) – p t ⋅ c t ]dt ,
(III.34)
0
wird zusammen mit den Kuhn-Tucker Bedingungen in eine Lagrangefunktion
überführt. Es ergibt sich somit:
L = H ( t ) + 2λt ⋅ ( p t ⋅ c t – m ) ⋅ v t +
3λt ⋅ c t + 4λt ⋅ l t + 5λt ⋅ [ w t ⋅ ( 1 – l t ) – m ].
(III.35)
Die Lagrangemultiplikatoren 2λt bis 5λt stellen eine Art von Schattenpreisen
dar. Ihre Interpretation wird im folgenden Exkurs gegeben.
Exkurs: Interpretation der Lagrangemultiplikatoren der Kuhn-TuckerBedingungen
Die Lagrangemultiplikatoren der Kuhn-Tucker-Bedingungen geben an, wie
stark sich der Funktionswert der Gleichung (III.35) bei optimalem Pfad
ändert, wenn die jeweilige Restriktion um eine marginale Einheit gelockert
wird.1 Liegt das Optimum innerhalb der gesetzten Grenzen, so hat eine marginale Änderung der Restriktion keinen Einfluss auf den Funktionswert. Der
dazugehörige Lagrangeparameter ist in diesem Fall gleich Null. Liegt der
optimale Pfad auf der gesetzten Grenze, so hat man es mit einem Randoptimum zu tun. Wird die Grenze nun verschoben, so ändert sich der Funktionswert von L.
In Abbildung III.5 ist die Wirkung einer Lockerung einer Restriktion bezüglich x grafisch dargestellt. Ist die Restriktion auf x = x 1 festgelegt, so bildet
1) Zu einer detaillierten Darstellung der Maximierung mit Ungleichungen und zur Interpretation der Lagrangemultiplikatoren vgl. Chiang (1984), Kap. 21.2.
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
167
Punkt A das Randoptimum, der dazugehörige maximale Funktionswert ist y1.
Eine Lockerung der Restriktion auf x = x 2 führt zu einem neuen Randoptimum bei Punkt B. Der Funktionswert erhöht sich von y1 auf y2. Diese Veränderung wird durch einen positiven Wert des Lagrangemultiplikators
abgebildet. Liegt die Restriktion bei x 3 , bringt eine neuerliche Lockerung
keine Änderung des Funktionswertes mit sich, da das Optimum bei Punkt C
eine innere Lösung darstellt. In diesem Fall ist der Lagrangemultiplikator der
Restriktion gleich Null.
Abbildung III.5
Wirkung der Lockerung einer Restriktion - Ein Beispiel
y
C
y2
y1
B
A
y = y (x )
_
_
x1 x2
_
x3
x
Gleichung (III.35) wird nun nach den beiden Kontrollvariablen sowie den
Lagrangemultiplikatoren differenziert und man erhält die Bedingungen erster
Ordnung für ein Maximum. Die Gleichungen (III.36) und (III.37) sind das
Ergebnis der Differenzierung von (III.35) nach den Kontrollvariablen ct und lt:
∂U –δt
∂L
------- = 0 ⇒ ------- ⋅ e – 1λt ⋅ p t + 2λt ⋅ p t ⋅ v t + 3λt = 0
∂c t
∂c t
(III.36)
und
∂U –δt
∂L
------ = 0 ⇒ ------- ⋅ e – 1λt ⋅ w t + 4λt – 5λt ⋅ w t = 0 .
∂l t
∂l t
(III.37)
168
3 Die Modellierung des Verhalten eines Haushalts in der Lohnpfändung
Die Ableitung nach der Kozustandsvariablen 1λt ergibt die Bewegungsgleichung:
·
∂L
---------- = v· t ⇒ v t = v t ⋅ r t + w t ⋅ ( 1 – l t ) – p t ⋅ c t .
∂ 1λt
(III.38)
Differenzierung der Lagrangefunktion nach der Zustandsvariablen vt ergibt
die Kozustandsgleichung:
·
·
∂L
------- = – 1λt ⇒ – 1λt = 1λt ⋅ r t + 2λt ⋅ ( p t ⋅ c t – m ) .
∂v t
(III.39)
Die folgenden vier Gleichungen sind die Ableitungen der Lagrangefunktion
nach den vier Lagrangemultiplikatoren der Kuhn-Tucker Bedingungen:
∂H
∂L
---------- ≥ 0 ⇒ ( p t ⋅ c – m ) ⋅ v t ≥ 0
t
∂ 2λt
2λt ≥ 0
---------- = 0 ,
2λt ⋅ ∂
2λt
∂L
---------- ≥ 0 ⇒ c t ≥ 0
∂ 3λt
3λ t ≥ 0
∂H
--------λ
⋅
3 t ∂ λ- = 0 , (III.41)
3 t
∂L
---------- ≥ 0 ⇒ l t ≥ 0
∂ 4λt
4λ t ≥ 0
---------- = 0 ,
4λt ⋅ ∂
4λt
∂L
---------- ≥ 0 ⇒ w t ⋅ ( 1 – l t ) – m ≥ 0
∂ 5λt
5λ t ≥ 0
∂H
--------λ
⋅
5 t ∂ λ- = 0 . (III.43)
5 t
∂H
(III.40)
(III.42)
Schliesslich ist noch die Transversalitätsbedingung festzulegen. Im Gegensatz
zu dem in Abschnitt 2.1 vorgestellten Standardmodell kann das Vermögen am
Ende des Planungshorizontes nicht auf Null fixiert werden. Die Transversalitätsbedingung für die Endbedingung (III.33) lautet:
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
1λT ≥ 0
–vT ≥ 0
169
– v T ⋅ 1λT = 0 . (III.44)
Ist das Vermögen am Ende des Planungshorizontes in Periode T gleich Null,
so ist die Kozustandsvariable 1λT frei in ihrem Wert. Ist das Vermögen kleiner
Null, so muss 1λT gleich Null sein.1 Wie in Abschnitt 2 des Teil I erwähnt, wird
die Schuld während der Pfändungsphase nicht verzinst. In den weiteren theoretischen Analysen wird diese Besonderheit berücksichtigt werden.
3.2.2 Allgemeine Gleichgewichtsanalyse im Zustands-/
Kozustandsphasenportrait
Die möglichen Lösungspfade des oben beschriebenen Modells können im allgemeinen Rahmen anhand eines Phasenportraits der Zustandsvariablen vt und der
Kozustandsvariablen 1λt analysiert werden.2 Auf diese Weise wird festgestellt,
ob ein eindeutiges Gleichgewicht zustande kommt. Hierzu werden zuerst von
den vier endogenen Variablen ct, lt, 1λt und vt die beiden Variablen ct und lt als
implizite Funktionen der beiden anderen dargestellt. Aus den Bedingungen erster
Ordnung (III.36) und (III.37), ergibt sich nach dem Satz über implizite Funktionen [vgl. hierzu Chiang (1984), Kap. 8]:



M⋅



∂c t
------∂v t
∂l t
------∂v t
∂c t 
---------- 
 L L
∂ 1λt 
vc c 1λt
 = – 
∂l t 
 L vl L l 1λt
---------- 
∂ 1λt 



 mit M =  L cc L cl  .

 L L 

 cl ll 
(III.45)
Die Variablen Lij stellt die gemischten oder zweiten Ableitungen der Lagrangefunktion (III.35) nach den Parametern i bzw. j dar. Es wird angenommen, dass
die Lagrangefunktion streng konkav in c und l ist. Damit gelten die folgenden
Bedingungen zweiter Ordnung:
1) Vgl. Chiang (1992), Kap. 7.
2) Vgl. dazu auch Feichtinger und Hartl (1986), Kap. 4.3.
170
3 Die Modellierung des Verhalten eines Haushalts in der Lohnpfändung
2
L cc < 0, L ll < 0, M = L cc ⋅ L ll > L cl .
(III.46)
Es wird ferner angenommen, dass L cl > 0 ist. Die Auflösung der Gleichung
(III.45) nach der Cramerschen Regel und Einsetzen der jeweiligen Ableitungen
ergibt die folgenden vier Gleichungen:
2
∂c t
1
------- = – --------- ⋅
M
∂v t
– δt
∂ U
λ t ⋅ p t -------------- ⋅ e
2
∂l t ∂c t
2
0
∂ U – δt
---------- ⋅ e
2
∂l t
2
∂ U – δt
– 2λt ⋅ p t ⋅ ---------- ⋅ e
2
∂l t
= ------------------------------------------------M
(III.47)
> 0, wenn vt < 0
= 0, wenn vt > 0 (da 2λt = 0).
Das Vorzeichen von ∂c t ⁄ ∂v t ist positiv, wenn das Vermögen vt negativ ist,
dass Individuum also betrieben wird. Ist das Vermögen vt positiv und die Betreibung beendet, ist die Pfändungsbedingung nicht mehr bindend, und der Lagrangemultiplikator 2λt = 0 [vgl. Gleichung (III.40)]. Damit ergibt sich für den
Bereich positiven Vermögens, dass ∂c t ⁄ ∂v t = 0 ist. Diese Bedingung besagt,
dass es im Optimum nicht möglich ist, durch intertemporale Verschiebung von
Vermögen eine Konsumsteigerung zu erreichen.
Die Ableitungen ∂c t ⁄ ∂ 1λt und ∂l t ⁄ ∂v t ergeben:
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
2
∂c t
1
---------- = – ------- ⋅
M
∂ 1λt
– δt
∂ U
– p t -------------- ⋅ e
∂l t ∂c t
2
∂ U – δt
– w t ---------- ⋅ e
2
∂l t
2
171
2
– δt
∂ U – δt
∂ U
p t ⋅ ---------- ⋅ e – w t ⋅ -------------- ⋅ e
2
∂l t ∂c t
∂l t
= ------------------------------------------------------------------------------- < 0
M
(III.48)
2
∂ U
unter der Annahme, dass -------------- > 0
∂l t ∂c t
und
2
∂l t
1
------- = – ------- ⋅
M
∂v t
∂ U – δt
---------- ⋅ e
λ ⋅ pt
2
2 t
∂c t
2
– δt
∂ U
-------------- ⋅ e
∂l t ∂c t
0
> 0, wenn vt < 0
= 0, wenn vt > 0 (da 2λt = 0).
Die letzte Ableitung ∂l t ⁄ ∂ 1λt lautet:
2
– δt
∂ U
-------------- ⋅ e
2λt ⋅ p t ⋅ ∂l
t ∂c t
= -------------------------------------------------M
(III.49)
172
3 Die Modellierung des Verhalten eines Haushalts in der Lohnpfändung
2
1
∂l
---------- = – ------- ⋅
M
∂ 1λt
2
∂ U – δt
---------- ⋅ e
–pt
2
∂c t
=
(III.50)
2
– δt
∂ U
-------------- ⋅ e
–wt
∂c t ∂l t
2
– δt
∂ U –δt
∂ U
w t ⋅ ---------- ⋅ e – p t ⋅ -------------- ⋅ e
2
∂l t ∂c t
∂l t
------------------------------------------------------------------------------- < 0.
M
Aus den Gleichungen (III.28) sowie (III.47) bis (III.50) wird das folgende
Differentialgleichungssystem gebildet:
·
∂l t
∂l t
∂v t
∂c t
∂c t
------- = L λ v + L c λ ⋅ ------- + L l λ ⋅ ------- = r t – p t ⋅ ------- – w t ⋅ ------1 t
1 t ∂v
1 t ∂v
∂v t
∂v t
∂v t
t
t
(+/0)
(+/0)
(III.51)
< 0, wenn vt < 0 (rt = 0)
> 0, wenn vt > 0 (2λt = 0)
unbestimmt, wenn vt = 0 (rt, 2λt > 0).
Sofern das Vermögen negativ ist, wird das Individuum annahmegemäss
betrieben und dem schweizerischen Pfändungssystem folgend, kein Zins berech·
net (vgl. Abschnitt 2 in Teil I). Es gilt somit r = 0 und damit ∂v t ⁄ ∂v t < 0 . Auf der
anderen Seite gilt bei positivem Vermögen, dass 2λt = 0 ist und somit gilt
∂c t ⁄ ∂v t = ∂l t ⁄ ∂v t = 0 [vgl. die Gleichungen (III.47) und (III.49)]. Bei einem
Vermögen von Null gilt keine von beiden Bedingungen. Gleichung (III.51) gibt
zusätzlich die Dynamik der Vermögensveränderung an. Ein negatives Vorzeichen
·
heisst, dass links der [ v t = 0 ] -Geraden (vt kleiner als auf der Geraden) das Ver·
mögen im Zeitablauf steigt, also v t > 0 ist. Oberhalb der Geraden gilt dann
·
v t < 0 . Bei positivem Vorzeichen ist diese Beziehung umgekehrt.
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
173
·
∂l t
∂c t
∂l t
∂v t
∂c t
---------- = L c λ ⋅ ---------- + L l λ ⋅ ---------- = – p t ⋅ ---------- – w t ⋅ ---------- > 0
1 t ∂ λ
1 t ∂ λ
∂ 1λt
∂ 1λt
∂ 1λt
1 t
1 t
(-)
(-)
(III.52)
·
∂l t
∂c t
∂ 1λ t
∂c t
---------- = – L vv – L vc ⋅ ------- – L vl ⋅ ------- = – λ t ⋅ p t ⋅ ------2
∂v t
∂v t
∂v t
∂v t
(+/0)
(III.53)
< 0, wenn vt <− 0
= 0, wenn vt > 0 (2λt = 0)
·
∂l t
∂c t
∂ 1λ t
∂c t
---------- = – L v λ – L vc ⋅ ---------- – L vl ⋅ ---------- = – r t – λ t ⋅ p t ⋅ ---------2
1
∂ 1λt
∂ 1λt
∂ 1λt
∂ 1λt
(-)
> 0, wenn vt < 0 (rt = 0)
< 0, wenn vt > 0 (2λt = 0)
unbestimmt, wenn vt = 0 (rt, 2λt > 0).
(III.54)
Gleichung (III.54) zeigt die partielle Bewegung der Kozustandsvariablen. Bei
·
·
positivem Vorzeichen gilt oberhalb der [ 1λt = 0 ] -Geraden 1λt > 0 und unterhalb
·
der Geraden 1λt < 0 . Ist das Vorzeichen der Gleichung (III.54) negativ, gilt wieder die umgekehrte Bedingung (zur partiellen Dynamik vgl. auch Abbildung III.6
und Abbildung III.7 später im Text). Die Kuhn-Tucker-Bedingungen (III.30) bis
(III.32) sind in dieses Gleichungssystem aus Vereinfachungsgründen nicht inte·
·
griert. Nach dieser Vorarbeit können die Steigungen der [ v t bzw. 1λt = 0 ] -Geraden ermittelt werden:
(+/0)
d 1λ t
---------dv t
(+/0)
∂l t
∂c t
r t – p t ⋅ ------- – w t ⋅ ------·
∂v t
∂v t
∂v t ⁄ ∂v t
= – ------------------= – --------------------------------------------------- > 0, wenn v t < 0
·
∂l t
∂c t
·v = 0
∂v t ⁄ ∂λ t
– p t ⋅ ---------- – w t ⋅ ---------- < 0, wenn vt > 0
∂ λ
∂ λ
1 t
(-)
1 t
(-)
(III.55)
174
3 Die Modellierung des Verhalten eines Haushalts in der Lohnpfändung
und
(+/0)
d 1λt
---------dv t
∂c t
– 2λt ⋅ p t ⋅ ------·
∂v t
∂λ t ⁄ ∂v t
> 0 wenn v t < 0
= – ------------------=
–
------------------------------------------·
∂c
·
∂λ t ⁄ ∂λ t
t = 0, wenn vt > 0
λ=0
– r t – 2λt ⋅ p t ⋅ -------.
∂λt
(III.56)
(-)
Mit dieser Analyse steht fest, dass die Steigung beider Geraden bei negativem
Vermögen positiv ist. Welche der beiden Geraden die grössere Steigung aufweist
·
ist nicht feststellbar. Bei positivem Vermögen ist die Steigung der [ v t = 0 ] -Gera·
den negativ, während die [ 1λt = 0 ] -Gerade eine Horizontale ist.
Für den Bereich negativen und den Bereich positiven Vermögens ergeben sich
die folgenden Ergebnisse:
(a) Bereich negativen Vermögens (vt < 0) - Lohnpfändung findet statt
·
(a1) [ 1λt = 0 ] -Gerade
·
Die Steigung der [ 1λt = 0 ] -Geraden ist bei einer Lohnpfändung positiv und
gleich 2λt [vgl. Gleichung (III.56)]. Die partielle Dynamik ober- und unter·
halb der Geraden ergibt sich aus Gleichung (III.54). Oberhalb der [ 1λt = 0 ] ·
·
Geraden ist 1λt > 0 . Unterhalb der Geraden ist 1λ t < 0 (vgl. Abbildung III.6
und Abbildung III.7). Zusätzlich müssen allerdings noch die Kuhn-TuckerRestriktionen beachtet werden. Da bei einer Lohnpfändung die Schuld nicht
verzinst wird, ist rt = 0. Die Kozustandsgleichung aus Gleichung (III.39) erg·
ibt somit 1λt = – 2λt ⋅ ( p t ⋅ c t – m ) . Der Wert des Konsums p t ⋅ c t kann das
betreibungsrechtliche Existenzminimum m nicht übersteigen. Da 2λt positiv
·
ist, kann 1λt nicht negativ sein, sondern ist gleich Null, wenn das Individuum
genau das Existenzminimum konsumiert ( p t ⋅ c t = m ) und ist positiv, wenn
das Individuum freiwillig weniger als das Existenzminimum konsumiert
·
( p t ⋅ c t < m ) . Damit ist der Bereich unterhalb der [ 1λt = 0 ] -Geraden nicht
erreichbar. Ein Schnittpunkt mit der Achse existiert nicht, da die Achse nicht
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
175
mehr zum Bereich vt < 0 gehört. Der „imaginäre“ Achsenabschnitt der
·
[ 1λt = 0 ] -Geraden ist im Rahmen der allgemeinen Analyse nicht feststellbar.
·
(a2) [ v t = 0 ] -Gerade
·
Wie oben bereits hergeleitet hat die [ v t = 0 ] -Gerade im Bereich negativen
Vermögens eine positive Steigung [vgl. Gleichung (III.55)]. Oberhalb der
Geraden findet nach Gleichung (III.51) eine partielle Dynamik von der
·
Geraden weg statt ( v t > 0 ) . Unterhalb der Geraden ist dem entsprechend
·
v t < 0 . Letztere Bewegung wird allerdings durch die Restriktion, dass das
Einkommen w t ⋅ ( 1 – l t ) mindestens dem Existenzminimum m entsprechen
muss und der Konsum p t ⋅ c t wiederum nicht höher als das Existenzminimum
m sein kann, verhindert [vgl. Gleichung (III.43) sowie Abbildung III.6 und
·
Abbildung III.7]. Somit kann v t nicht negativ sein. Der Bereich unterhalb der
·
[ v t = 0 ] -Geraden ist nicht erreichbar. Auch in diesem Fall besteht kein
Schnittpunkt mit der Achse.
(b) Vermögen ist gleich Null (vt = 0) - Keine Lohnpfändung
Der Bereich des „Nullvermögens ist deshalb interessant, weil an dieser Stelle
keine Lohnpfändung mehr stattfindet und gleichzeitig die Bedingung
v t ⋅ ( p t ⋅ c t – m ) ≥ 0 durch vt = 0 erfüllt ist, wodurch der Lagrangemultiplika-
tor 2λt ≠ 0 .
·
(b1) [ 1λt = 0 ] -Punkt
Über die Lage auf der Achse lässt sich nichts aussagen. Die partielle Dynamik
auf der Achse ist wie folgt: Alle Elemente auf der rechten Seite der Kozu·
standsgleichung 1λt = – 1λt ⋅ r t – 2λt ⋅ ( p t ⋅ c t – m ) sind nicht negativ. Daraus
·
folgt, dass 1λt ≤ 0 ist (vgl. Abbildung III.6 und Abbildung III.7).
·
(b2) [ v t = 0 ] -Punkt
Auch in diesem Fall ist eine Aussage über die Lage nicht möglich, Die partielle Dynamik ist ebenfalls unbestimmt [vgl. Gleichung (III.51)].
(c) Bereich positiven Vermögens (vt > 0) - Keine Lohnpfändung
176
3 Die Modellierung des Verhalten eines Haushalts in der Lohnpfändung
·
(c1) [ 1λt = 0 ] -Gerade
·
Die Kozustandsgleichung lautet 1λt = – 1λt ⋅ r t – 2λt ⋅ ( p t ⋅ c t – m ) [vgl.
Gleichung (III.39)]. Im Bereich positiven Vermögens ist 2λt = 0 , somit
·
·
bleibt 1λt = – 1λt ⋅ r t . Es gilt also 1λt = 0, wenn 1λt = 0 ist. Die
·
[ 1λt = 0 ] -Gerade ist deckungsgleich mit der horizontalen Achse. Ist 1λt > 0 ,
·
so findet eine partielle Bewegung in Richtung der [ 1λt = 0 ] -Geraden statt
·
( 1λt < 0 ) .
·
(c2) [ v t = 0 ] -Gerade:
Die Steigung der Geraden ist negativ. Über die Lage dieser Geraden kann
keine genaue Aussage gemacht werden ohne eine Nutzenfunktion zu bestimmen. Mit Hilfe von Gleichung (III.51) lässt sich aber immerhin die partielle
Dynamik ober- und unterhalb der Geraden bestimmen. Oberhalb der
·
·
·
[ v t = 0 ] -Geraden ist v t > 0 . Unterhalb der Gleichgewichtsgeraden ist v t < 0
(vgl. Abbildung III.6 und Abbildung III.7).
Ein eindeutiges Gleichgewicht gibt es in diesem Modell nicht. Ein eindeutiges
·
·
Gleichgewicht wäre ein Schnittpunkt zwischen der [ v t = 0 ] - und der [ 1λt = 0 ] Geraden, auf den sich das System im unendlichen Zeitraum zubewegt. Im vorliegenden Modell gibt es einen Schnittpunkt im Bereich positiven Vermögens
·
(Schnittpunkt der [ v t = 0 ] -Geraden mit der horizontalen Achse) und unter
Umständen einen weiteren im Bereich negativen Vermögens.1 Das Modell ist
dennoch lösbar aufgrund seiner Restriktionen. In Abbildung III.6 ist ein mögliches Szenario eines Schuldenabbaus dargestellt.
Die schraffierten Flächen in Abbildung III.6 bezeichnen die Bereiche, welche
durch die Restriktionen nicht erreichbar sind. Das Individuum startet beispielsweise bei einem Vermögen in Höhe von v0, die Schuld wird im Laufe der Zeit
abgebaut und es wird sogar ein positiver Vermögensbetrag angespart. Schliesslich verlangt die Transversalitätsbedingung [vgl. Gleichung (III.44)], dass in der
letzten Periode das Vermögen nicht positiv sein darf.
1) Da die Lage der Geraden nicht sicher ist, könnte sich der Schnittpunkt auch im Bereich
eines negativen 1λt befinden und wäre somit nicht erreichbar.
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
177
Das mögliche Szenario eines Nichtabbaus der Schuld ist in Abbildung III.7
·
·
abgebildet. Die [ v t = 0 ] -Gerade liegt vollständig unterhalb der [ 1λt = 0 ] -Geraden. Die schraffierten Flächen sind wiederum nicht erreichbar. Punkt A ist ein
Gleichgewicht, bei dem das Individuum in diesem Punkt verharrt. Die Transversalitätsbedingung für einen Nichtabbau der Schuld ( v T < 0 ) lautet 1λT = 0 . Da
bei der Pfändung die Schuld nicht verzinst wird, also r = 0 ist, und bei einem
Nichtabbau der Schuld der Wert des Konsums sicher nicht unterhalb des Existenzminimums
liegt,
ergibt
sich
für
die
Kozustandsgleichung
·
1λt = – 1λt ⋅ r – 2λt ⋅ ( p t ⋅ c t – m ) = 0 . Die Kozustandsvariable ändert sich also
nicht im Zeitablauf. Somit ergibt sich bei 1λT = 0 , dass 1λt = 0 ist. Der einzige Punkt bei dem erfüllt ist, dass einerseits die Kozustandsvariable gleich Null
·
ist und gleichzeitig das Vermögen sich nicht ändert ( v t = 0 ) , ist Punkt A in
Abbildung III.7.
Eine Zusammenfassung der Ergebnisse gibt Tabelle III.1:
Tabelle III.1 Ergebnisse der allgemeinen Gleichgewichtsanalyse
Vermögensbereich
vt < 0
·
Schuldabbau
1λ t ≥ 0
·
vt > 0
vt ≥ 0
·
λ
1 t<0
·
v t > 0 in der
Anfangsphase
·
v t ≤ 0 gegen Ende
des Zeithorizonts
·
Kein
Schuldabbau
1λ t = 0
·
vt = 0
-
Nach dieser ersten und allgemeinen Analyse der möglichen Gleichgewichtspfade, die kein allgemeines Gleichgewicht ergab, sollen im folgenden Abschnitt
die Bewegungen des Vermögens und der Freizeit anhand einer konkreten Nutzenfunktion nachgezeichnet werden.
178
3 Die Modellierung des Verhalten eines Haushalts in der Lohnpfändung
Abbildung III.6
Phasenportrait der Zustands- und Kozustandsvariablen
- Szenario Abbau der Schuld
λ
1 t
>
> >
> >
.
λ=0
1 t
>
.
-v
v0
.
.
v =0
λ=0
v=0
Abbildung III.7
>
> > >
vT
+v
Phasenportrait der Zustands- und Kozustandsvariablen
- Szenario Nichtabbau der Schuld
λ
1 t
.
λ=0
1 t
.
v =0
.
.
v =0
-v
v =0 .
λ=0
A = v0 = vT
+v
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
179
3.2.3 Analyse der Gleichgewichtspfade für Vermögen und Freizeit
Wie auch schon beim Standardmodell wird an dieser Stelle eine Analyse der
Gleichgewichtspfade für das Vermögen und die Freizeit durchgeführt. Zu diesem
Zweck verwende ich wieder die logarithmische Nutzenfunktion. Der Zinssatz,
das Preisniveau sowie der Lohnsatz werden wiederum als konstant angenommen,
ihre Zeitindizes im folgenden somit weggelassen. Es gelte
U = α ⋅ ln c t + ( 1 – α ) ⋅ ln l t .
(III.57)
3.2.3.1 Der Gleichgewichtspfad für das Vermögen
Der erste Schritt stellt wieder die Suche nach der Gleichgewichtsgeraden für die
Vermögensveränderung dar. Die Vorgehensweise ist dieselbe wie beim Standardmodell in Abschnitt 2.2. Unter Ausnutzung der angenommenen funktionalen
Form für die Nutzenfunktion (III.57) und Isolierung von ct bzw. lt ergeben sich
die Bedingungen erster Ordnung (III.36) und (III.37) wie folgt:
– δt
α⋅e
c t = --------------------------------------------------------1λt ⋅ p – 2λt ⋅ p ⋅ v t – 3λt
(III.58)
und
– δt
(1 – α) ⋅ e
l t = ---------------------------------------1λt ⋅ w – 4λt + 5λt
(III.59)
Die Ausdrücke der Gleichungen (III.58) und (III.59) lassen sich nun in die
Bewegungsgleichung (III.28) einsetzen. Nach Umformung erhält man:
180
3 Die Modellierung des Verhalten eines Haushalts in der Lohnpfändung
·
vt = vt ⋅ r + w ⋅ ( 1 – lt ) –
(III.60)
–1
v t ⋅ 2λt 
1 – α
1
4λ t
5λt
3λ t
p ⋅ p ⋅  ------------ ⋅ ----------- – -------------------------- + ------------------ + ------------------ – -----------------w ⋅ l t w ⋅ α ⋅ e –δt α ⋅ e – δt α ⋅ e – δt α ⋅ e –δt
 α
Es sind drei Fälle zu unterscheiden: a) Das Vermögen ist negativ ( v t < 0 ) ,
dem Individuum wird der Lohn gepfändet (der linke Quadrant in Abbildung III.6
bzw. Abbildung III.7), b) das Vermögen ist gleich Null ( v t = 0 ) (die vertikale
Achse in Abbildung III.6 bzw. Abbildung III.7), es findet keine Lohnpfändung
statt und c) das Vermögen ist positiv ( v t > 0 ) und es findet keine Lohnpfändung
statt (der rechte Quadrant in Abbildung III.6 bzw. Abbildung III.7).
a) Das Vermögen ist negativ
Wenn das Vermögen negativ ist, gilt das Individuum als überschuldet und zahlungsunfähig. In der Folge wird somit der Lohn des Individuums bis auf das
betreibungsrechtliche Existenzminimum gepfändet. Ich nehme an dieser Stelle
vereinfachend an, das Individuum wolle nicht weniger als das Existenzminimum
konsumieren. Somit ist p ⋅ c t = m .1 Der Wert des Konsums p ⋅ c t wird in der
Bewegungsgleichung (III.38) durch das betreibungsrechtliche Existenzminimum
m ersetzt. Dies ergibt:
·
vt = vt ⋅ r + w ⋅ ( 1 – lt ) – m .
(III.61)
Für die Gleichgewichtsgerade erhält man somit
1) Sofern das betreibungsrechtliche Existenzminimum m tief genug liegt, ist diese Annahme
recht realistisch.
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
r w–m
·
v t = 0, wenn l t = v t ⋅ ---- + -------------w
w
r w–m
v· t > 0, wenn l t < v t ⋅ ---- + -------------w
w
w
–m
r
·
v t < 0, wenn l t > v t ⋅ ---- + -------------- .
w
w
181
(III.62)
Die Steigung der Gleichgewichtsgeraden ist im Bereich negativen Vermögens
grösser als im Bereich positiven Vermögens (vgl. das „Normalmodell in
Abschnitt 2 dieses Teils und den nachfolgenden Abschnitt über den Bereich positiven Vermögens). Die Lage des Achsenabschnitts (ohne den Punkt auf der
Achse) hängt vom betreibungsrechtlichen Existenzminimum ab. Ist dieses gleich
Null, so ist der Achsenabschnitt gleich 1.
Im schweizerischen Betreibungsrecht wird während einer laufenden Lohnpfändung die Schuld nicht mehr verzinst. Wird diese Überlegung einbezogen, so
ergibt sich für Gleichung (III.62):
·
w–m
v t = 0, wennl t = -------------w
·
w–m
v t > 0, wennl t < -------------w
·
w–m
v t < 0, wennl t > -------------- .
w
(III.63)
Die Steigung der Gleichgewichtsgeraden ist somit im Bereich negativen Vermögens gleich Null (vgl. den linken Quadranten in Abbildung III.8). Oberhalb
·
dieser Geraden wäre v t < 0 . Der Fall, dass weniger Arbeit geleistet wird als zur
Finanzierung des Existenzminimums notwendig ist [ w ⋅ ( 1 – l t ) < m ] , wurde
allerdings durch Bedingung (III.32) ausgeschlossen.
b) Das Vermögen ist gleich Null
Ist das Vermögen gleich Null findet ebenfalls keine Lohnpfändung statt. Der
Gleichgewichtspunkt ergibt
182
3 Die Modellierung des Verhalten eines Haushalts in der Lohnpfändung
·
v t = 0, wennl t = 1 – α
·
v t > 0, wennl t < 1 – α
·
v t < 0, wennl t > 1 – α.
(III.64)
Der Gleichgewichtspunkt ergibt den Achsenabschnitt der Gleichgewichtsgeraden im Bereich nicht-negativen Vermögens.
c) Das Vermögen ist positiv
Das Vermögen ist positiv, dass Individuum ist nicht überschuldet und der Lohn
wird somit nicht gepfändet. Dieser Fall ist derselbe wie im Standardmodell. Der
Konsum ct ist nicht auf das betreibungsrechtliche Existenzminimum m
beschränkt. Der Lagrangemultiplikator 2λt gleich Null, wodurch Bedingung
(III.40) erfüllt ist. Zusätzlich nehme ich zur Vereinfachung eine innere Lösung
an, womit die Multiplikatoren 3λt und 4λt ebenfalls gleich Null werden. Schliesslich wird noch angenommen das Individuum arbeite mehr als zur Finanzierung
des Existenzminimums notwendig ist, wodurch auch der letzte Lagrangemultiplikator 5λt Null wird. Für die Bewegungsgleichung ergibt sich dadurch
·
w⋅α
v t = v t ⋅ r + w – l t ⋅  w + ------------ .
1–α
(III.65)
Die Gleichgewichtsgerade ist dieselbe wie im Standardmodell des Abschnitts 2:
·
r ⋅ (1 – α)
v t = 0, wennl t = v t ⋅ ------------------------ + ( 1 – α )
w
·
r ⋅ (1 – α)
v t > 0, wennl t < v t ⋅ ------------------------ + ( 1 – α )
w
·
r ⋅ (1 – α)
v t < 0, wennl t > v t ⋅ ------------------------ + ( 1 – α ).
w
(III.66)
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
183
In Abbildung III.8 sind die Gleichgewichtsgeraden im Bereich negativen und
nicht-negativen Vermögens sowie die partielle Dynamik des Vermögens eingezeichnet.
Abbildung III.8 Phasenportrait mit der partiellen Dynamik des
Vermögens
l
1
.
v=0
w–m
-------------w
.
v=0
1–α
0
-v
+v
3.2.3.2 Der Gleichgewichtspfad für die Freizeit
Der nächste Schritt ist die Analyse des Freizeitkonsums im Zeitablauf. Die
Ableitung der Nutzenfunktion (III.57) nach lt, in Gleichung (III.37) eingesetzt
und nach lt aufgelöst ergibt:
– δt
(1 – α) ⋅ e
l t = --------------------------------------------------- .
1λ t ⋅ w – 4λ t + 5 λ t ⋅ w
Durch Differenzierung der Gleichung (III.67) nach der Zeit erhält man
(III.67)
184
3 Die Modellierung des Verhalten eines Haushalts in der Lohnpfändung
– δt
– δt
·
l t = ( – δ ⋅ ( 1 – α ) ⋅ e ⋅ ( 1λt ⋅ w – 4λt ⋅ w + 5λt ) – ( 1 – α ) ⋅ e ⋅
·
·
·
2
( 1λt ⋅ w – 4λt + 5λt ⋅ w ) ⁄ ( 1λt ⋅ w – 4λt + 5λt ⋅ w ) ).
(III.68)
Durch Einsetzen der Gleichung (III.67) lässt sich der Ausdruck vereinfachen,
·
·
·

·
1λt ⋅ w – 4λt + 5λt ⋅ w
l t = l t ⋅  – δ – --------------------------------------------------- .

1λt ⋅ w – 4λt + 5λt ⋅ w
(III.69)
Die Variable 1λt kann durch die Kozustandsgleichung (III.39) ersetzt werden.
Dass Resultat lautet schliesslich wie folgt:
·
·
λ
λ
⋅
⋅
λ
⋅
(
⋅
)
⋅
λ
+
–
+
–
r
w
p
c
m
w
4 t 5 t⋅w
1 t

·
t
2 t
⋅
=
--------------------------------------------------------------------------------------------------------------– δ .
lt
lt 


1λt ⋅ w – 4λt + 5λt ⋅ w
(III.70)
Für die Analyse der Gleichung (III.70) ist wiederum eine genauere Bereichsunterscheidung notwendig (vgl. die drei Bereiche in Abbildung III.9).
a) Das Vermögen ist negativ
Der für das vorliegende Problem interessanteste Fall ist derjenige des negativen
Vermögens. Das Individuum ist überschuldet und sein Lohn wird gepfändet. Wie
bereits erwähnt, findet eine Verzinsung der Schuld während der Lohnpfändung
nicht statt. Der Zinssatz ist somit r = 0. Zusätzlich wird von vornherein angenomc t > 0 und l t > 0 ,
men,
dass
Individuum
konsumiere
so
dass
·
·
1
3λt = 4λt = 3λt = 4λt = 0 . Ferner ist bei einer Lohnpfändung p ⋅ c t = m , so
dass Gleichung (III.70) sich ändert zu
1) Wiederum unter der vereinfachenden Annahme, das Individuum wolle auf keinen Fall
weniger als das Existenzminimum konsumieren.
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
·
 – 5λt

·
l t = l t ⋅  -------------------- – δ .
 1λt + 5λt 
185
(III.71)
Die Frage ist, wie das Individuum auf diese Situation reagiert. Eine mögliche
Reaktion ist die Aufgabe, also der Verzicht auf eine Schuldtilgung.
Fall 1) Keine Schuldtilgung
Das Individuum verzichtet darauf die Schuld zu tilgen, so dass am Ende des
betrachteten Zeitraums v T < 0 ist. In diesem Fall muss die Kozustandsvariable
sein,
damit
die
Transversalitätsbedingung
(III.44)
1λT· = 0
[ – 1λt = 0, – v T ≥ 0, – v T ⋅ 1λT = 0 ] erfüllt ist. Die Kozustandsgleichung ergibt
unter der Annahme r = 0 und p ⋅ c t = m ,
·
– 1λt = 0.
(III.72)
Die Veränderung des Parameters 1λt über die Zeit ist gleich Null. Da auch
1λT = 0 , ist zwangsläufig 1λt = 0 . Die Veränderung der Freizeit im Zeitablauf
ist gegeben durch
·
 5λt 
·
l t = l t ⋅  – ------- – δ .
 5λt 
(III.73)
Der Lagrangeparameter 5λt ist der Parameter der Bedingung, dass mindestens soviel Arbeit geleistet werden muss, dass das Existenzminimum finanziert
wird [ w ⋅ ( 1 – l t ) – m ≥ 0 ]. Konsumiert das Individuum weniger Freizeit, ist also
·
w ⋅ ( 1 – l t ) – m > 0 , so ist 5λt = 5λt = 0 . In diesem Fall wäre die Bedingung
erster
Ordnung
für
ein
Optimum
[vgl.
– δt
( ∂U ) ⁄ ( ∂l t ) ⋅ e – 1λt ⋅ w t + 4λt – 5λt ⋅ w t = 0 ]:
Gleichung
(III.37),
186
3 Die Modellierung des Verhalten eines Haushalts in der Lohnpfändung
∂U – δt
------- ⋅ e
= 0.
∂l t
(III.74)
Diese Bedingung ist allerdings nicht erfüllbar. Mehr Freizeit ist natürlich auch
nicht möglich. Damit konsumiert das Individuum also genau so viel Freizeit,
dass w ⋅ ( 1 – l t ) – m = 0 gilt und somit ist 5λt grösser Null ist. Damit gilt dann
·
aber auch, dass sich die Freizeit im Zeitablauf nicht mehr ändert also l t = 0 . Die
Kosten der Restriktion w ⋅ ( 1 – l t ) – m ≥ 0 sinken im Zeitablauf, da sie immer
weniger Perioden betreffen je näher es auf das Ende des Zeithorizontes zugeht.
·
Aufgrund der Gleichung (III.73) gilt 5λt = – 5λt ⋅ δ .
Entschliesst sich das Individuum seine Schuld nicht zu tilgen, so wird es über
den gesamten Optimierungszeitraum hinweg seine Freizeit auf einem Wert konstant halten, der es ihm ermöglicht genau das Existenzminimum zu konsumieren.
Fall 2) Schuldtilgung
Statt auf der Schuld sitzenzubleiben, könnte sich das Individuum auch dazu entschliessen diese zu tilgen. Für die Transversalitätsbedingung gilt somit
v T = 0 und 1λT frei . Das Individuum startet mit Verschuldung ( v t < 0 ) , baut
diese ab bis v t = 0 und spart möglicherweise kurzfristig sogar Vermögen an
( v t > 0 ) , bis in der letzten Periode dann gilt v T = 0 . Während der Lohnpfändung in der ersten Phase gilt 2λt > 0 aber p ⋅ c – m = 0 . Es wird wiederum
·
angenommen, Freizeit sei grösser Null und somit 4λt = 4λt = 0 . Früher oder
später muss in mindestens einer Periode w ⋅ ( 1 – l t ) > m sein, da ein Schuldenabbau und somit v T = 0 ansonsten nicht möglich ist. In diesem Fall wird
·
λ
λ
=
5
t = 0 . Ferner gilt nach wie vor, dass während der Lohnpfändung r = 0.
5 t
Für die Gleichgewichtsgerade ergibt sich somit
·
1
l t = l t ⋅  --------------- – δ .
 λ ⋅w 
1 t
(III.75)
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
187
Welche Möglichkeiten existieren nun? Zum einen könnte die Freizeit konstant
·
bleiben, also l t = 0 sein. Das würde bei l t > 0 bedeuten, dass
1
-.
1λt = ---------δ⋅w
(III.76)
Dies Ergebnis in die Optimalbedingung (III.39) unter Ausnutzung der Nutzenfunktion (III.57) eingesetzt ergibt
lt = e
– δt
⋅ δ.
(III.77)
Dieses Resultat führt allerdings zu sehr geringen Werten von Freizeit (in der
ersten Periode t = 0 gleich der Diskontrate). Es erscheint von daher als nicht sehr
realistisch, dass 1λt ≥ 1 ⁄ ( δ ⋅ w ) . In der Regel kann somit davon ausgegangen
·
werden, dass l t < 0 . Die Freizeit also im Zeitablauf sinkt. Dieser Prozess läuft
solange ab bis v t = 0 , dann gilt die Bedingung für ein Vermögen von Null.
b) Das Vermögen ist gleich Null
Ist das Vermögen gleich Null ( v t = 0 ) , findet keine Betreibung und damit auch
·
·
keine Lohnpfändung mehr statt. Eine innere Lösung ( 4λt, 5λt, 4λt und 4λt = 0 )
führt zu
·
2λ t
l t = l t ⋅ r + ------- ⋅ ( p ⋅ c t – m ) – δ .
λ
(III.78)
1 t
Da durch v t = 0 die Bedingung (III.40) [ ( p ⋅ c t – m ) ⋅ v t ≥ 0 ] erfüllt ist, ist
der Lagrangemultiplikator 2λt frei. Die Variable 2λt gibt an, um welchen Betrag
der Wert der Zielfunktion (III.35) steigt, wenn die dazugehörige Restriktion [in
diesem Fall die Pfändungsbedingung ( p ⋅ c t – m ) ⋅ v t ≥ 0 ] um eine marginale
Einheit gelockert wird. Es wurde angenommen, dass Individuum wolle in der
Regel mehr als das Existenzminimum konsumieren. Der optimale Konsum liegt
188
3 Die Modellierung des Verhalten eines Haushalts in der Lohnpfändung
in diesem Fall oberhalb von m, ist also durch die Restriktion nicht betroffen. Die
Einschränkung betrifft das Vermögen. Das Vermögen kann nicht negativ werden,
bzw. nur um den Preis einer Betreibung. Ob also an dieser Stelle die Freizeit fällt
oder steigt, hängt von dem Term innerhalb der Klammer in Gleichung (III.78) ab.
Wenn r + ( 2λt ⁄ 1λt ) ⋅ ( p ⋅ c t – m ) > δ , dann sinkt die Freizeit. Im umgekehrten
Fall steigt sie.
Fall 1) r > δ
·
Ist der Zinssatz grösser als die Zeitpräferenzrate, so steigt die Freizeit ( l t > 0 ) . Es
ist damit auch klar, dass das Niveau der Freizeit kleiner als der Achsenabschnitt
der Gleichgewichtsgeraden 1 – α für das Vermögen im positiven Bereich sein
muss. Andernfalls würde das Individuum gleich wieder in die Verschuldung
geraten, da der Konsum das Einkommen überstiege. Dadurch würde das Vermögen wieder kleiner Null werden und eine Betreibung mit Lohnpfändung eingeleitet. Somit würde dann wieder gelten r = 0 und ferner durch die Lohnpfändung
p ⋅ ct – m = 0 .
Ist r > δ, verläuft der Optimierungspfad unterhalb des Achsenabschnitts der
·
positiven [ v t = 0 ] -Geraden. Dass Individuum konsumiert weniger als es erarbei·
tet und somit ist v t > 0 . Das Individuum tritt in den Bereich positiven Vermögens
ein.
Fall 2) r < δ, aber r + ( 2λt ⁄ 1λt ) ⋅ ( p ⋅ c t – m ) > δ
·
Ist der Zinssatz kleiner als die Zeitpräferenzrate, aber l t > 0 aufgrund des Terms
( 2λt ⁄ 1λt ) ⋅ ( p ⋅ c t – m ) [vgl. Gleichung (III.78)], so gilt für ein Freizeitniveau
oberhalb der steady-state Geraden des Vermögens dasselbe wie im vorherigen
Fall - er ist nicht möglich. Ist der Freizeitkonsum geringer als der Achsenabschnitt 1 - α, so steigt der Freizeitkonsum und gleichzeitig wird gespart. Durch
·
die Ersparnis und damit v t > 0 aber kommt Bedingung (III.79) wieder zum Tra·
gen [ l t = l t ⋅ ( r – δ ) ]. Da r < δ sinkt die Freizeit wieder und die Ersparnis verstärkt sich. Dieser Prozess würde zu einer ewigen Ersparnis führen und ist somit
nicht mit der Transversalitätsbedingung vereinbar.
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
189
Der Fall r + ( 2λt ⁄ 1λt ) ⋅ ( p ⋅ c t – m ) > δ ist nicht möglich.
Fall 3) r + ( 2λt ⁄ 1λt ) ⋅ ( p ⋅ c t – m ) < δ
Schliesslich besteht noch die Möglichkeit, dass die Zeitpräferenzrate grösser als
·
r + ( 2λt ⁄ 1λt ) ⋅ ( p ⋅ c t – m ) ist. Damit gilt l t < 0 . Unterhalb von 1 - α kann dieser
Pfad nicht verlaufen, da wie bereits erwähnt die Endbedingung verletzt würde.
Oberhalb der Gleichgewichtsgeraden ist auch kein Gleichgewicht möglich, da
eine Verschuldung nicht mehr möglich ist. Das Gleichgewicht ergibt sich schliesslich auf der Gleichgewichtsgeraden im Achsenabschnitt 1 - α, wobei
·
·
v t = l t = 0 sinkt.
Der Fall r + ( 2λt ⁄ 1λt ) ⋅ ( p ⋅ c t – m ) < δ führt dazu, dass das
·
jeder Periode genau sein Einkommen konsumiert und somit v t =
Individuum in
·
l t = 0 sind.
c) Das Vermögen ist positiv
Für das nicht verschuldete Individuum v t > 0 ergibt sich dasselbe Bild wie im
Standardmodell (vgl. Abschnitt 2.2). Die Lagrangemultiplikatoren
2λt, 3λt, 4λt und 5λt sind bei Annahme einer inneren Lösung gleich Null und es
ergibt sich
·
lt = lt ⋅ ( r – δ )
(III.79)
Da die Möglichkeit positiven Vermögens bei einem ursprünglich verschuldeten Individuum nur dann eintreten kann, wenn r > δ (Fall 1 bei einem Vermögen
·
von Null), ist also l t > 0 . Das Individuum spart anfangs, bis die Freizeit so gross
wird, dass der Konsum das Einkommen überschreitet und wieder entspart wird,
so dass in der letzten Periode die Endbedingung v T = 0 erfüllt ist.
Punkt A in Abbildung III.9 bietet als Beispiel ein Individuum welches seine
Startverschuldung in Höhe von v0 abbaut und aufgrund seiner relativ geringen
Zeitpräferenzrate nach der erfolgreichen Schuldtilgung Vermögen anspart.
Gegen Ende des Optimierungszeitraums wird das Vermögen wieder abgebaut
190
3 Die Modellierung des Verhalten eines Haushalts in der Lohnpfändung
und ist am Ende der letzten Periode gleich Null. Die Freizeit sinkt während der
Schuldtilgung kontinuierlich um dann später wieder anzusteigen.
Abbildung III.9 Mögliche Gleichgewichtspfade bei der Lohnpfändung
l
1
.
v=0
C
<
>
1–α
>
>
r>δ
<
v0
>
>
>
<
>
A>
<
w–m
-------------w
B > r<δ
-v
.v = 0
<
>
>
>
+v
Punkt B zeigt das Beispiel eines Individuums mit relativ hoher Zeitpräferenzrate, welches sich aber auch zu einem Schuldenabbau entschlossen hat. Dieses
Individuum startet mit relativ viel Freizeit, welche im Laufe der Schuldtilgungsphase reduziert wird. Nach erfolgter Schuldtilgung verbleibt das Individuum auf
·
der [ v = 0 ] -Geraden im Schnittpunkt mit der vertikalen Achse.
Punkt C schliesslich wird von einem Individuum gehalten welches auf
Schuldtilgung verzichtet. Weder Freizeit noch Vermögen ändern sich im Zeitablauf.
Eine exogene Erhöhung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums m
·
senkt die [ v t = 0 ] -Gerade im Bereich negativen Vermögens. Ist das Existenzminimum m so hoch, dass die Gleichgewichtsgerade des negativen Vermögens
unterhalb derjenigen des positiven Vermögens liegt ( m > α ⋅ w ) , so geschieht ein
Schuldenabbau nur noch dann, wenn der Zinssatz grösser als die Zeitpräferenzrate ist.
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
191
Tabelle III.2 Ergebnisse der Analyse des Vermögens- und
des Freizeitpfades
Vermögensbereich
Schuldabbau
Kein
Schuldabbau
vt < 0
·
lt < 0
·
vt > 0
·
lt = 0
·
vt = 0
vt = 0
vt > 0
·
l t = 0 und
·
v t = 0 , wenn r <
(nur wenn r > δ)
·
lt > 0
·
v t > 0 zu Anfang
δ
·
·
l t > 0 und v t > 0 ,
wenn r > δ
-
·
v t < 0 gegen Ende
des
Optimierungshorizon
tes
-
Im Rahmen der Simulationen wird aus Vereinfachungsgründen auch der Zins
für den Bereich positiven Vermögens gleich Null gesetzt. Das Individuum wird
·
·
somit, wenn es die Schulden abbaut, immer im steady-state Punkt ( v t = l t = 0 )
enden. Sind die Schulden getilgt wird ab diesem Zeitpunkt in jeder Periode das
konstante Arbeitseinkommen konsumiert. Die Aufteilung zwischen Konsum und
Freizeit erfolgt dann gemäss der Optimalbedingung. Der relevante Pfad für die
weitere Analyse ist somit der Pfad B. Je höher das Existenzminimum m, je näher
also der Wert des Ausdrucks ( w – m ) ⁄ w an dem Wert der optimalen Aufteilung
zwischen Konsum und Freizeit 1 – α bei einem Vermögen von Null, desto geringer ist die Chance, dass das Individuum seine Schulden tilgt (vgl. Abbildung
III.9).
192
3 Die Modellierung des Verhalten eines Haushalts in der Lohnpfändung
Resultat III.3
Wie auch im Zweiperioden-Modell, so gibt es auch im Mehrperioden-Modell nur zwei effiziente Entscheidungen für die
Individuen: Entweder wird die Schuld innerhalb des gesetzten Zeithorizontes getilgt oder die Schuld bleibt bestehen
und das Individuum erarbeitet nur das betreibungsrechtliche
Existenzminimum. Je grösser das betreibungsrechtliche Existenzminimum, desto eher werden die Individuen ihre Schulden nicht tilgen.
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
193
4 Analyse eines betriebenen Individuums mittels
Computersimulationen
Das in Abschnitt 3.2 vorgestellte Modell kann mit den zur Verfügung stehenden
Daten leider nicht empirisch ausreichend überprüft werden, da die Datenerhebung auf schweizerischen Betreibungsämtern (vgl. Abschnitt 3, Teil I) eine Querschnittsanalyse mit relativ wenigen Beobachtungen hinsichtlich Lohnpfändungen
darstellt; nötig wären aber Zeitreihen.1 Eine interessante Alternative bilden Computersimulationen. Bei einer solchen Simulation wird das Modell anhand realer
Werte „durchgespielt“. Unterschiedliche Annahmen können so auf ihre Wirkung
hin getestet werden. Zusätzlich lassen sich mit Hilfe der Computersimulationen
Veränderungen der exogenen Variablen sowie die Wirkung von Reformvorschlägen analysieren. Die Simulationen wurden mit Hilfe des von der Weltbank entwickelten General Algebraic Modeling System (GAMS) getätigt. Der
Algorithmus ist im Anhang abgedruckt.
4.1 Die Wahl der Nutzenfunktion
Der Nachteil der Computersimulationen besteht vor allem darin, dass nicht mit
einem allgemeinen Ausdruck für die Nutzenfunktion gearbeitet werden kann. Für
die Berechnung ist es notwendig sich eine Nutzenfunktion auszusuchen. Aufgrund dieses Verlustes an Allgemeingültigkeit spielt die Wahl der funktionalen
Form eine grosse Rolle für die berechneten Ergebnisse. Stern (1986) hat folgende
Anforderungen an eine Nutzenfunktion mit den Argumenten Konsum und Freizeit formuliert:
(1) Konsistent mit der Nutzenmaximierung, insbesondere hinsichtlich der
Slutzky-Aufteilung
(2) Schätzbarkeit: a) Linear in den Koeffizienten b) Haushaltscharakteristika können eingefügt werden c) Stochastische Variation der beobachteten Grössen
1) Einige Versuche mittels der vorhandenen Daten die theoretischen Aussagen empirisch zu
überprüfen, sind in Abschnitt 6 dieses Teils zu finden.
194
4 Analyse eines betriebenen Individuums mittels Computersimulationen
(angesichts standardisierter Arbeitszeiten könnte diese Anforderung ein Problem darstellen)
(3) Einfache Kalkulation der direkten und indirekten Nutzenfunktion, der Ausgabenfunktion und der inversen Angebotsfunktion
(4) Einfachheit bezüglich der Anwendung auf Politikprobleme: Kriterien 2 und 3
zusammen mit der Transparenz der wichtigen Parameter
(5) Möglichkeiten des Einbaus in Computermodelle für die optimale Einkommensbesteuerung
(6) Verhalten des Individuums bei einem niedrigen Niveau des Arbeitsangebots:
a) Die Möglichkeit negativen Grenzleids für die Arbeit 2) Möglichkeit, dass
Freizeit inferior ist
(7) Aggregation
(8) Flexibilität der möglichen Reaktionen des Arbeitsangebotes auf Lohnsatzänderungen
Nicht alle diese Bedingungen sind für das vorliegende Problem von Bedeutung. Von grosser Wichtigkeit sind ohne Zweifel das erste Kriterium und auch
das zweite, insoweit in Zukunft möglicherweise die Simulationsergebnisse empirisch überprüft werden sollen. Das Kriterium 5, die Möglichkeit die Nutzenfunktion in Computermodellen zu benutzen, ist natürlich zentral für die Simulationen.
Bei den Simulationen wurde schliesslich mit drei verschiedenen funktionalen
Formen gearbeitet: Einer logarithmischen Cobb-Douglas-Funktion, einer CESFunktion sowie einer quadratischen Nutzenfunktion. Alle drei Funktionen werden in den folgenden drei Abschnitten kurz vorgestellt. Für eine detaillierte
Beschreibung dieser drei Funktionen sowie anderer funktionaler Formen für eine
Nutzenfunktion mit den Argumenten Konsum und Freizeit bzw. Arbeit vgl. Stern
(1986).
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
195
4.1.1 Logarithmische Cobb-Douglas-Nutzenfunktion
Die funktionale Form der logarithmischen Cobb-Douglas-Funktion lautet wie
folgt:
U ( c, l ) = α ⋅ ln c + ( 1 – α ) ⋅ ln l .
(III.80)
Die logarithmische Cobb-Douglas-Funktion ist additiv separabel zwischen
Konsum und Freizeit, es existiert keine Kreuzableitung. Die Anforderungen an
die 1. und 2. Ableitung werden erfüllt indem ∂U ⁄ ∂c, ∂U ⁄ ∂l > 0 und
2
2
2
2
∂ U ⁄ ∂c , ∂ U ⁄ ∂l < 0 sind unter der Bedingung, dass 0 < α < 1 . Die SlutzkyBedingung ist erfüllt. Die resultierende Arbeitsangebotsfunktion lautet
1 – l = α.
(III.81)
Das Arbeitsangebot hängt einzig von dem Parameter α ab und ist somit unabhängig vom Lohnsatz. Diese Tatsache macht die Cobb-Douglas-Funktion sehr
einfach in ihrer Verwendung. Allerdings bedeutet die Unabhängigkeit vom Lohnsatz auch einen Verlust an Realität.
Stern (1986) verwendet in seinem Überblick statt der logarithmischen CobbDouglas-Funktion das sog. Lineare Ausgabensystem (LES). Der Unterschied
liegt in der Einführung eines Minimalkonsums, so dass
U ( c, l ) = α ⋅ ln ( c – c ) + ( 1 – α ) ⋅ ln l .
(III.82)
Es entsteht somit erst Nutzen, wenn der Konsum den Minimalwert c überschreitet. Der Vorteil liegt darin, dass auf diese Weise ein Minimalkonsum in die
Nutzenfunktion integriert wird und nicht mehr per Restriktion auferlegt werden
muss. Obgleich dieses Vorgehen für die folgende Untersuchung über die Wirkung eines Existenzminimums auf den ersten Blick sehr vorteilhaft erscheint,
habe ich mich dennoch entschlossen auf die Verwendung des LES zu verzichten.
Die Verwendung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums als Minimalkon-
196
4 Analyse eines betriebenen Individuums mittels Computersimulationen
sum c ist nicht sinnvoll, da das betreibungsrechtliche Existenzminimum im Rahmen der Analysen verändert wird. Eine Veränderung eines Parameters in der
Nutzenfunktion würde aber eine „neue“ Person kreieren und einen Vergleich
unmöglich machen. Es müsste somit der Minimalkonsum als eine Art „absolutes
Minimum“ definiert werden, welches das Individuum auf keinen Fall unterschreiten möchte. Dieses Minimum müsste natürlich geringer als das kleinste
verwendete betreibungsrechtliche Existenzminimum sein. Dieses Minimum lässt
sich auch ohne Probleme auf Null skalieren, so dass die Verwendung eines Minimalkonsums nicht mehr notwendig erscheint. Verwendet wird also eine funktionale Form der Art:
U ( c, l ) = α ⋅ ln c + ( 1 – α ) ⋅ ln l .
(III.83)
Für die Simulationen wird der Parameter α auf 0.5 gesetzt.
4.1.2 CES-Nutzenfunktion
Die CES-Nutzenfunktion (CES = Constant Elasticity of Substitution) lautet:
U ( c, l ) = ( α ⋅ c
–β
+ (1 – α) ⋅ l
1
– --–β β
)
.
(III.84)
Auch bei der CES-Nutzenfunktion lässt sich ein Minimalkonsum einbauen
[vgl. Stern (1986)]. Aus den genannten Gründen wird aber auch hier darauf verzichtet. Die CES-Funktion erfüllt die Slutzky Bedingung, sofern 1 ⁄ ( 1 + β ) > 0 .
Die Arbeitsangebotsfunktion lautet:
w
1 – l = -----------------------ζ
w+k⋅w
1–α ζ
1
mit k =  ------------ und ζ = ----------- α 
1+β
.
(III.85)
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
197
Auch die CES-Funktion ist hinsichtlich Lohnsatzänderungen nicht sehr flexibel. Das Arbeitsangebot bleibt zwar nicht konstant wie bei der Cobb-DouglasFunktion, aber es fällt monoton. Für die Simulationen wurden die Parameter auf
α = 0.6 und β = 0.4 gesetzt.
4.1.3 Quadratische Nutzenfunktion
Die dritte verwendete Nutzenfunktion ist die quadratische Nutzenfunktion:
2
2
U ( c, l ) = α ⋅ c + β ⋅ l + γ ⋅ c ⋅ l + ϑ ⋅ l + ε ⋅ c .
(III.86)
Bei der quadratischen Nutzenfunktion ist es von grosser Bedeutung wie die
fünf Parameter festgelegt werden, da bei gewissen Parameterwerten die Kriterien
von Stern nicht erfüllt sind. Für die Erfüllung des ersten Kriteriums von Stern
2
müssen α, β < 0 und 4 ⋅ α ⋅ β – γ > 0 sein. Die Arbeitsangebotsfunktion lautet
w ⋅ (2 ⋅ α ⋅ w – γ + ε) – ϑ
1 – l = ------------------------------------------------------------ .
2
2 ⋅ (α ⋅ w + β – γ ⋅ w)
(III.87)
Bezüglich der Reaktion auf Lohnsatzänderungen weist die quadratische Nutzenfunktion die interessantesten Eigenschaften von den drei verwendeten Funktionen auf. Das Arbeitsangebot steigt anfangs mit steigendem Lohnsatz fällt
später aber wieder ab, der Einkommenseffekt überwiegt dann also. Die in den
α = – 0.1, β = – 2.4,
Simulationen
verwendeten
Parameter
sind
γ = 0.1, ϑ = 4.6, ε = 1.25 . Damit erfüllt die Funktion die Anforderungen von
Stern im relevanten Bereich.
Einen Überblick über die drei verwendeten Funktionen und ihre Parameter
gibt Tabelle III.3. Die Verläufe aller drei Arbeitsangebotsfunktionen in Abhängigkeit vom Lohnsatz sind in Abbildung III.10 wiedergegeben.
198
4 Analyse eines betriebenen Individuums mittels Computersimulationen
Abbildung III.10 Arbeitsangebotsfunktionen in Abhängigkeit vom
Lohnsatz
1.20
1.00
Arbeitsangebot
0.80
LES
CES
0.60
Quadratisch
0.40
0.20
.0
.0
16
.0
15
.0
14
.0
13
.0
12
0
7.
11
0
6.
0
0
5.
.0
0
4.
10
0
3.
0
0
2.
9.
0
1.
8.
0
0.
-
Lohnsatz
Tabelle III.3 Überblick über die in den Simulationen verwendeten
Nutzenfunktionen
Cobb-Douglas U = 0.5 ⋅ ln c + 0.5 ⋅ ln l
CES
Quadratisch
U = ( 0.6 ⋅ c
– 0.4
2
+ 0.4 ⋅ l
1
– ------– 0.4 0.4
)
2
U = – 0.1 ⋅ c – 2.4 ⋅ l + 0.1 ⋅ c ⋅ l + 4.6 ⋅ l + 1.25 ⋅ c
4.2 Festlegung der sonstigen Parameterwerte für die Simulationen
Die Computersimulationen werden mit sechs verschiedenen Schuldnergruppen
durchgeführt. Es wird unterschieden zwischen drei Einkommensgruppen die
jeweils eine niedrige und eine hohe Schuld aufweisen. Die Einteilung dieser
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
199
Gruppen orientiert sich an den Ergebnissen der Interviews auf den schweizerischen Betreibungsämtern (vgl. Abschnitt 3, Teil I). Als Einkommensbasis werden die Einkommen des 0.25er Quartils, des 0.5er Quartils und des 0.75er
Quartils genommen. Es werden damit drei Gruppen gebildet: Gruppe 1 mit
einem Einkommen von Fr. 2’100 pro Monat, Gruppe 2 mit einem Einkommen
von Fr. 3’200 und Gruppe 3 mit einem Einkommen von Fr. 4’330 pro Monat. In
jeder der Gruppen werden dann die Quartilswerte für die Verschuldung berechnet, in diesen Fällen das 0.25er und das 0.75er Quartil. Das Existenzminimum
wird für alle drei Gruppen mit dem allgemeinen Mittelwert von ca. Fr. 2’000
angesetzt.
Abbildung III.11 Schema zur Skalierung der Parameter der Simulation
mittels der Datenerhebung
0.25
Q uartil
25‘680
Jah reseink o m m en
Q uartil
0.25
S ch uld enh ö he 5‘000
G rup pe
Ia
0.75
38‘400
51‘960
0.25
0.75
56‘500
0.5
5‘450
Ib
0.75
28‘500
IIa
IIb
0.25
8‘300
IIIa
0.75
50‘000
IIIb
Die Lohnsätze w für die Simulationen können auf zwei Arten skaliert werden.
Einmal so, dass ihre Verhältnisse den Einkommen der Datenerhebung entsprechen. Die andere Möglichkeit wäre sie so zu skalieren, dass die resultierenden
Einkommen, also w ⋅ ( 1 – l t ) , den Einkommensverhältnissen der Datenerhebung
entsprechen (wobei das Einkommen zugrundegelegt wird, welches bei Nichtbetreibung zustande kommt1). Für die Cobb-Douglas-Funktion spielt diese Frage
keine Rolle, da das Arbeitsangebot nicht vom Lohnsatz abhängt. Bei einem Parameterwert von α = 0.5 ist das resultierende Einkommen gleich dem halben
1) Da sich das Einkommen im Zeitablauf ändert, müsste als Referenzwert das Durchschnitteinkommen der betrachteten Perioden genommen werden. Das durchschnittliche Arbeitsangebot ist definiert durch ∅l =
T
∑i = 1 li ⁄ T .
200
4 Analyse eines betriebenen Individuums mittels Computersimulationen
Lohnsatz. Auf die anderen beiden Nutzenfunktionen trifft dies aber nicht zu. Ich
habe mich schliesslich dazu entschlossen die Lohnsätze für alle drei Nutzenfunktionen konstant zu halten um dadurch eine bessere Vergleichbarkeit zu ermöglichen. Die Parameter der CES und der quadratischen Nutzenfunktion habe ich
dann so kalibriert, dass für die niedrigste Lohngruppe bei allen drei Nutzenfunktionen im Nichtbetreibungsfall dasselbe durchschnittliche Einkommen resultiert.
Der Zinssatz für die Gläubiger ist auf Null gesetzt, da während der Lohnpfändung keine Verzinsung der Schuld erfolgt. Die Einführung eines Extrazinssatzes
für den Fall, dass das Vermögen nicht negativ ist, würde das Modell erheblich
komplizierter machen, ohne dass die Ergebnisse prinzipiell verändert werden.
Um die Verluste für die Gläubiger, welche bei Änderungen von Parametern entstehen könnten, abzuschätzen, wird für die Gläubiger mit einem Zinssatz von
0.05 gerechnet. Die Zeitpräferenzrate der Schuldner wird auf 0.03 festgelegt. Die
Anzahl der Perioden beträgt 20. Auch dieser Wert hat seinen Ursprung in den
Ergebnissen der Interviews. Rund 83% der interviewten Personen erwarten
innerhalb von 20 Jahren wieder schuldenfrei zu sein. Nur 1% der Befragten
geben einen endlichen Wert grösser als 20 Jahre an, während die restlichen 16%
erwarten nie wieder schuldenfrei zu sein (vgl. Abschnitt 3, Teil I). Ferner sind 20
Jahre der Zeitraum, innerhalb dessen ein Verlustschein verjährt (vgl. Abschnitt 2,
Teil I). Die Parameterwerte für die Simulationen sowie die Vergleichswerte der
Datenerhebung sind in Tabelle III.4 eingetragen.
4.3 Simulationsergebnisse und komparative Dynamik
4.3.1 Der Optimierungspfad
Bei Simulation der 6 Gruppen mit den in Tabelle III.4 angegebenen Parameterwerten ergibt sich das folgende Bild:
• In der Lohngruppe I (w = 2.14) erfolgt weder bei den Schuldnern mit der
geringen Schuld (v 0 = -0.21) noch bei denjenigen mit der hohen Schuld (v 0 =
- 2.35) eine Tilgung. Alle verharren auf einem Arbeitsangebot von 0.47, welches gerade ausreicht das betreibungsrechtliche Existenzminimum in Höhe
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
201
Tabelle III.4 Festlegung der Parameter für die Simulation und Vergleich mit
der Datenerhebung
Datenerhebung
Gruppe
Ia
Einkommen in den
Interviews in Franken
Ib
IIa
25’680
IIIb
51’960
24’000
5’000
Verhältnis Einkommen zu
Existenzminimum
Verhältnis Verschuldung
zu Einkommen
IIIa
38’400
Existenzminimum in
Franken (pro Jahr)
Schuldenhöhe in Franken
IIb
56’500
5’450
1.07
0.2
28’500
8’300
1.60
2.2
0.14
50’000
2.17
0.74
0.16
0.96
In der Simulation verwendete Werte
Lohnsatz (w)
2.14
3.20
Existenzminimum (m)
(Grundszenario)
Vermögen zu Anfang
Periode 1 (v0)
4.33
1
- 0.21
- 2.35
- 0.23
- 1.19
- 0.35
- 2.08
Normaleinkommena der
Cobb-Douglas-Funktion
1.07
1.60
2.17
Normaleinkommena der
CES-Funktion
1.07
1.51
1.93
Normaleinkommena der
quadratischen Funktion
1.07
1.93
2.78
Zinssatz für Schuldner
0
Zinssatz für Gläubiger
0.05
Zeitpräferenzrate
0.03
Anzahl Perioden
20
a. Das Normaleinkommen ist das Einkommen, welches erzielt würde, wenn keine
Lohnpfändung erfolgen würde.
202
4 Analyse eines betriebenen Individuums mittels Computersimulationen
von 1 zu finanzieren. Dieses Ergebnis gilt für alle drei Nutzenfunktionen. Es
ist allerdings nicht weiter erstaunlich, dass die beiden Individuen ihre Schuld
nicht tilgen. Das betreibungsrechtliche Existenzminimum liegt mit dem Wert
1 nur knapp unter dem „Normaleinkommen“ dieser Individuen von 1.07. Das
Verhalten entspricht somit dem in Abschnitt 3.2.2 vorgestellten theoretischen
Szenario des Nichtabbaus der Schuld (vgl. Fall C in Abbildung III.9, S. 190).
• Die Individuen der Lohngruppe II (w = 3.2) bauen beide ihre Schuld ab. Die
Individuen mit der niedrigen Schuld (v 0 = - 0.23) benötigen nur eine Periode
zum Schuldenabbau. Nach erfolgter Tilgung erarbeitet dieses Individuum sein
„Normaleinkommen“. Auch dieses Ergebnis gilt für alle drei Nutzenfunktionen. Die Individuen mit der hohen Schuld (v 0 = - 1.19) benötigen zwei Perioden im Falle der Cobb-Douglas-Funktion und der quadratischen
Nutzenfunktion. Das Individuum mit der CES-Nutzenfunktion benötigt drei
Perioden zur Schuldtilgung. In Abbildung III.12 ist der Optimierungspfad
eines Individuums der Gruppe IIb am Beispiel der CES-Nutzenfunktion abgebildet. In allen Fällen sinkt die Freizeit während der Phase der Lohnpfändung,
wie im theoretischen Modell hergeleitet (vgl. Abschnitt 3.2).
Abbildung III.12 Konsum- und Freizeitpfad eines Haushalts in der Lohnpfändung - Lohngruppe IIb mit CES-Nutzenfunktion
2.5
2
1.5
Freizeit
Konsum
1
0.5
0
0
5
10
15
20
Perioden
• Auch die Individuen der Lohngruppe III (w = 4.33) bauen ihre Schuld ab. Die
niedrige Schuld (v 0 = - 0.35) wird innerhalb einer Periode getilgt, die hohe
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
203
Schuld (v 0 = - 2.08) innerhalb von zwei Perioden. Danach erarbeiten die Individuen wieder ihr „Normaleinkommen“. Die Ergebnisse gelten für alle drei
Nutzenfunktionen. Auch hier sinkt die Freizeit während der Lohnpfändung.
4.3.2 Wirkung einer Änderung der Startschuld
Ich will zuerst die Wirkung einer Änderung der Startschuld auf das Arbeitsangebot untersuchen. Das Existenzminimum beträgt für alle drei Lohngruppen nach
wie vor 1. Eine Erhöhung der Startschuld führt dazu, dass ceteris paribus das
Individuum eine längere Zeit braucht um diese Schuld zu tilgen. Verändert es
sein Arbeitsangebot nicht, so verringert sich der Gegenwartswert seines Konsums über den gesamten Optimierungszeitraum. Erhöht es sein Arbeitsangebot
so verringert sich der Freizeitkonsum. In Abbildung III.13 ist die Reaktion dreier
Individuen mit Cobb-Douglas-Nutzenfunktion und unterschiedlichen Lohnsätzen
eingezeichnet.
Das Individuum mit dem geringsten Lohnsatz (w = 2.14) reagiert nicht auf die
Erhöhung der Schuld. Sein Arbeitsangebot bleibt konstant bis zu dem Punkt, wo
es sich entscheidet die Schuld nicht mehr zu tilgen. Die beiden Individuen mit
den höheren Lohnsätzen (w = 3.2 bzw. w = 4.33) steigern ihr Arbeitsangebot mit
steigender Startverschuldung, bis zu dem Punkt, an dem auch sie aufgeben die
Schuld zu tilgen. Die maximal akzeptierte Schuld, welche die Individuen bereit
sind zurückzuzahlen, anstatt nur noch das Existenzminimum zu erarbeiten, ist in
Tabelle III.5 eingetragen. Die Ergebnisse der Simulationen bestätigen die Aussagen des Zweiperioden-Modells, hinsichtlich einer exogenen Erhöhung der Startschuld (vgl. Abschnitt 3.1.2, Abbildung III.4 auf Seite 162).
Eine zu hohe Schuld würde das Individuum zu lange dazu zwingen einerseits
nur das Existenzminimum konsumieren zu können und gleichzeitig auch noch
relativ viel arbeiten zu müssen. Aufgrund der Gegenwartspräferenz werden die in
der Zukunft liegenden Perioden, in denen nach Tilgung der Schuld wieder volle
Wahlfreiheit herrschen würde, geringer bewertet als die Gegenwart mit relativ
wenig Freizeit.
204
4 Analyse eines betriebenen Individuums mittels Computersimulationen
Abbildung III.13 Reaktion des Arbeitsangebotes auf eine Erhöhung der
Startschuld - Cobb-Douglas-Funktion
Arbeitsangebot
0.600
0.500
0.400
w = 2.14
w = 3.2
0.300
w = 4.33
0.200
Es wird nur noch das Existenzminimum erarbeitet
0.100
Startschuld – v 0
0.01
0.1
1
10
In Tabelle III.5 ist für alle drei Lohngruppen sowie für alle drei Nutzenfunktionen angegeben, wie hoch die maximal akzeptierte Schuld ist. Ferner wird ausgewiesen welches das maximal akzeptierte Verhältnis von Schulden zu
Einkommen ist sowie der kritische Wert der sog. standardisierte Tilgungsdauer
Ds. Die standardisierte Tilgungsdauer gibt an, wieviele Perioden ein Individuum
benötigen würde seine Schuld zu tilgen, wenn es genau so viel Arbeit anbietet,
als wenn keine Lohnpfändung erfolgen würde. Der kritische Wert ist dann der
Wert, bis zu dem das Individuum bereit ist die Schuld zu tilgen.
Resultat III.4
Eine steigende Anfangsschuld führt dazu, dass zumindest die
Individuen mit den höheren Lohnsätzen anfangs ihr Arbeitsangebot steigern. Aber auch für diese Individuen gibt es eine
maximal akzeptierte Schuld über die hinaus sie nur noch das
Existenzminimum erarbeiten.
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
205
Tabelle III.5 Maximal akzeptierte Schuld
Lohngruppe
I
II
III
Nutzenfunktion
Maximal
akzeptierte
Schuld v 0
krit. Wert
Schuld/Einkommen
a
–v0
--------------------------( 1 – lN ) ⋅ w
krit. Wert
standardisierte
Tilgungsdauer Ds
a
–v 0
----------------------------------1 – lN ) ⋅ w – m
Cobb-Douglas
- 0.06
0.06
0.86
CES
- 0.14
0.13
2.00
Quadratisch
- 0.19
0.18
2.71
Cobb-Douglas
- 3.1
1.94
5.17
-4
2.65
7.84
Quadratisch
- 5.2
2.69
5.59
Cobb-Douglas
- 8.7
4.01
7.44
CES
- 11.2
5.80
12.04
- 15
5.40
8.43
CES
Quadratisch
a. lN steht für das „Normaleinkommen“, also das Einkommen, welches erzielt wird wenn
keine Lohnpfändung erfolgt.
4.3.3 Änderung des Existenzminimums
Vor allem für die Politik ist wichtig, wie sich Veränderungen des Existenzminimums auf das Verhalten der Verschuldeten auswirken. Im Zweiperioden-Modell
wurde bereits beschrieben, dass eine Existenzminimumserhöhung zu einer Erhöhung des Arbeitsangebotes führen kann. Dies gilt zumindest so lange, wie der
Nutzengewinn in der zweiten Periode durch den unbeschränkten Konsum grösser
ist, als der Nutzenverlust durch die Mehrarbeit in der ersten Periode. Im Mehrperioden-Modell besteht für das Individuum natürlich die Möglichkeit, auf eine
Erhöhung des Arbeitsangebotes zu verzichten und stattdessen die Rückzahlungsdauer zu verlängern.
Die Gläubiger interessieren sich zweifelsohne nicht primär dafür, ob die
Schuldner mehr arbeiten, sondern ob sie ihre Schulden möglichst schnell zurück-
206
4 Analyse eines betriebenen Individuums mittels Computersimulationen
bezahlen. Da die Schuld während der Pfändungsphase nicht mehr verzinst wird,
hat ein Gläubiger ein Interesse seine Forderungen innerhalb kürzester Zeit
zurückzuerhalten. Von dem eventuellen gesellschaftlichen Interesse an einem
steigenden Arbeitsangebot von Seiten der Schuldner will ich an dieser Stelle
absehen. Wird also mit ξ der Pfändungserfolg pro Periode bezeichnet, so ergibt
sich:
ξt = w ⋅ ( 1 – lt ) – m .
(III.88)
Die Gleichung (III.88) nach m differenziert, gleich Null gesetzt und nach
∂ ( 1 – l t ) ⁄ ∂m aufgelöst ergibt:
∂ ( 1 – lt )
1
-------------------- = ---- .
∂m
w
(III.89)
Die folgende Gleichung gibt an um wieviel Prozent das Arbeitsangebot steigen muss, damit bei einer einprozentigen Erhöhung des Existenzminimums der
Pfändungserfolg gleich bleibt:
∂ ( 1 – lt )
m
m
e ( 1 – l ), m = -------------------- ⋅ ----------------- = ------------------------- .
( 1 – lt )
∂m
( 1 – lt ) ⋅ w
(III.90)
Die notwendigen Elastizitäten zum Konstanthalten der Gläubigerverluste sind
für alle drei Lohngruppen in Tabelle III.6 dargestellt. Die Elastizitätenberechnung erfolgte aufgrund des durchschnittlichen Arbeitsangebots. Da die Individuen der Lohngruppe I schon bei dem Ausgangswert des Existenzminimums in
Höhe von 1 keinen Schuldabbau betreiben, entfallen für sie logischerweise auch
die Berechnung der notwendigen Elastizitäten.
Das Existenzminimum wird in den Simulationen um 1, 10, 20, 30 40 und
50% gesteigert, also bis auf den Wert 1.5. Eine Erhöhung des Arbeitsangebotes
ist in einigen Fällen festzustellen, allerdings um einen marginalen Wert. In vielen
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
207
Tabelle III.6 Notwendige Elastizitäten des Arbeitsangebots bei
einer Erhöhung des Existenzminimums
CobbDouglas
CES
Quadratisch
-
-
-
IIa
0.62
0.66
0.52
IIb
0.62
0.65
0.51
IIIa
0.46
0.52
0.36
IIIb
0.45
0.50
0.35
Lohngruppe
Ia/Ib
Fällen wird das Arbeitsangebot sogar gesenkt. Die notwendige Arbeitsangebotselastizität wird in keinem Fall erreicht. Das Individuum der Lohngruppe IIb mit
Cobb-Douglas-Nutzenfunktion hört auf mit der Schuldtilgung, wenn das betreibungsrechtliche Existenzminimum um 50% gesteigert wird. Bei Verwendung der
CES-Nutzenfunktion erfolgt die Aufgabe schon bei einer Steigerung des Minimums um 40%.
Resultat III.5
Auch im Mehrperioden-Modell kann eine Erhöhung des
betreibungsrechtlichen Existenzminimums gemäss den Simulationsrechnungen in Einzelfällen zu einer Steigerung des
Arbeitsangebotes führen. Diese Steigerung reicht jedoch
nicht aus, den verringerten Pfändungserfolg pro Periode zu
kompensieren. Häufiger ist sogar ein Absinken des Arbeitsangebotes. Wird das betreibungsrechtliche Existenzminimum
um mehr als 50% gesteigert verzichten sogar einige der
simulierten Individuen auf eine Schuldtilgung, im Gegensatz
zur Ausgangssituation.
208
4 Analyse eines betriebenen Individuums mittels Computersimulationen
Die Erhöhung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums bringt also
Mehrkosten für die Gläubiger mit sich, da die Schuld während der Lohnpfändung
nicht verzinst wird. Je mehr Perioden notwendig sind um die Schuld zu tilgen,
desto höher wird der Zinsverlust für die Gläubiger.
4.3.4 Die Rolle der Sozialhilfe
Bisher wurde angenommen, dass keine staatlichen Transfers existieren. Es galt
die Bedingung, dass jedes Individuum mindestens das betreibungsrechtliche Existenzminimum erreichen will und daher dementsprechend genug Arbeit anbietet
und auch dazu in der Lage ist. Diese Annahmen entsprechen zweifelsohne nicht
der Realität. Es existiert als letztes soziales Netz die Sozialhilfe, welche Menschen die nicht durch eigene Anstrengung ein definiertes Minimum erreichen
können, unterstützt. Die Existenz einer staatlichen Fürsorge kann die Arbeitsanreize beeinflussen, da das Existenzminimum jetzt auch ohne Eigenleistung
erreichbar ist.
Zur Wirkungsweise einer Sozialhilfe gebe ich ein einfaches Beispiel. In
Abbildung III.14 ist die Entscheidungssituation eines Individuums dargestellt,
welches die Wahl hat zwischen Freizeit l und Konsum c (finanziert durch Arbeit
= 1 - l). Ohne Sozialhilfe würde das Individuum mit der Indifferenzkurve Ui
Punkt A mit c1 Einheiten Konsum und l1 Einheiten Freizeit wählen. Wird Sozialhilfe in Höhe von c eingeführt, bedeutet dies, dass das Individuum ein Konsumniveau c erreichen kann, ohne dafür zu arbeiten also gleichzeitig Freizeit in
voller Höhe (l = 1) konsumieren könnte (Punkt B). Das Individuum mit der in
Abbildung III.14 gezeigten Präferenzstruktur ist bei Einführung einer Sozialhilfe
indifferent zwischen der Option Arbeiten und der Option „Sozialhilfe kassieren“.
Staatliche Sozialhilfe kann also die Arbeitsanreize senken und könnte somit dazu
führen, dass manche Individuen, die eine relativ hohe Präferenz für Freizeit aufweisen, sich überlegen mit der Arbeit aufzuhören.1
1) Ein ausführlicheres Modell welches die Anreizwirkungen der Sozialhilfe auf das Arbeitsangebot untersucht stammt von Siebert und Stähler (1995).
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
209
Abbildung III.14 Wirkung der Sozialhilfe
c
w
c1
A
B
c-
Ui
l1
l=1
l
Zur Zeit ist das betreibungsrechtliche Existenzminimum in der Schweiz in
den meisten Fällen tiefer als das Existenzminimum der Sozialhilfe. Man könnte
dies damit begründen, dass im Falle einer Betreibung die Rechte des Gläubigers
geschützt werden müssen und von daher ein möglichst grosser Teil des Lohnes
gepfändet werden muss um die Schulden zu tilgen. Auf der anderen Seite
erscheint es ungerecht, wenn eine Person die arbeitet und einer Lohnpfändung
unterliegt, mit weniger Geld auskommen muss als eine Person die nicht arbeitet
und Sozialhilfe bekommt. Verschärft wird das Problem dadurch, dass die Sozialhilfe nicht pfändbar ist. Es kann also unter Umständen nutzenmaximierend sein
im Falle einer Lohnpfändung die Arbeit aufzugeben und Sozialhilfe zu beziehen,
da hierdurch ein höheres Konsumniveau erreicht werden kann.
Als Beispiel vergleiche ich zwei identische Individuen. Beide Personen sind
verschuldet. Die erste arbeitet und unterliegt einer Lohnpfändung bis die Schuld
abbezahlt ist. Das zweite Individuum arbeitet nicht und bekommt Sozialhilfe
welche über dem betreibungsrechtlichen Existenzminimum liegt. In den Perioden, in denen das erste Individuum seine Schuld abbezahlt und einer Pfändung
unterliegt, ist sein Nutzenniveau niedriger als das des zweiten Individuums, welches zum einen mehr Freizeit und zum anderen mehr Güterkonsum hat. Das erste
Individuum ist jedoch irgendwann schuldenfrei und kann wieder voll über sein
210
4 Analyse eines betriebenen Individuums mittels Computersimulationen
Einkommen verfügen, während die zweite Person auf dem Niveau der Sozialhilfe bleibt. Je höher die Zeitpräferenzrate eines Individuums und je länger der
Zeitraum der Lohnpfändung, desto eher wird es sich dazu entscheiden nicht zu
arbeiten, um stattdessen Sozialhilfe zu bekommen.
Die Sozialhilfe konnte im bestehenden Simulationsmodell leider nur mit
beschränktem Erfolg eingebaut werden.1 Der Grund liegt in der Unstetigkeit der
Sozialhilfefunktion [vgl hierzu auch Sieber und Stähler (1995)]. Die bei den
Simulationen verwendete Funktion hat die folgende Form:
Ψ t = Max [ 0, c – w ⋅ ( 1 – l t ) ] .
(III.91)
Der staatliche Transfer ψ t ist 0, wenn das Einkommen w ⋅ ( 1 – l t ) einer
betroffenen Person das Sozialhilfeminimum bzw. die Armutsgrenze c übersteigt,
andernfalls wird das Einkommen bis zum Minimum c per Transferleistung aufgestockt. Dementsprechend ändert sich die Bewegungsgleichung zu:
·
vt = vt ⋅ r + w ⋅ ( 1 – lt ) – p ⋅ ct + ψt .
(III.92)
In Absenz jeglicher Aversionen gegen staatliche Transferleistungen ist die
Wahl eines Einkommens zwischen Null und c nicht optimal. Das Individuum
wird sich entweder entscheiden selbst zu arbeiten und mehr als die Sozialhilfe
verdienen oder es wird überhaupt nicht arbeiten und die volle Sozialhilfe in Höhe
von Ψ t = c bekommen.
Die Folge einer Einführung staatlicher Sozialhilfe in das Modell liegt auf der
Hand. Angenommen, das Sozialhilfeminimum liegt auf derselben Höhe wie das
betreibungsrechtliche Minimum. Dann werden die Individuen mit dem geringen
Lohnsatz (Gruppe I), welche auch ohne Sozialhilfe es vorziehen die Schuld nicht
zu tilgen, bei Einführung einer Sozialhilfe ganz aufhören zu arbeiten und statt
dessen Sozialhilfe beziehen. Für sie ist keinerlei Arbeitsanreiz mehr vorhanden.
1) Bei einigen Simulationen konnte das Programm bei Verwendung der Sozialhilfefunktion
kein Ergebnis errechnen.
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
211
Auch Individuen welche bisher die Schuld tilgten, haben nun verstärkt Anreize
dies zu unterlassen, da die Option „Nichttilgung der Schuld“ attraktiver geworden ist.
Resultat III.6
Die Einführung einer staatlichen Sozialhilfe senkt die
Arbeitsanreize für die Schuldner. Diejenigen, welche bisher
darauf verzichteten die Schuld zu tilgen, aber immerhin das
Existenzminimum selbst erarbeiteten, werden nun ganz auf
Eigenarbeit verzichten. Dadurch, dass es attraktiver wird die
Schuld nicht zu tilgen und statt dessen volle Freizeit und
Sozialhilfe zu kassieren, sinken die Anreize zum Schuldenabbau.
Natürlich ist die Sachlage in der Realität nicht ganz so einfach. Für viele Menschen bedeutet der Gang zum Sozialamt eine Erniedrigung und sie ziehen es vor
selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Leu et al. (1997) berechnen für die
Schweiz eine Nichtbezugsquote bei der staatlichen Sozialhilfe von 45%. Dass
heisst, dass nur jeder zweite an sich Sozialhilfeberechtiger diese auch tatsächlich
in Anspruch nimmt. Als Hauptgrund für den Nichtbezug wird von den Betroffenen der Wille wirtschaftlich selbständig zu sein angegeben [vgl. Leu et al.
(1997), 186f]. Die prinzipielle Überlegung, dass Sozialhilfe zweifelsohne sinnvoll ist, aber auch Arbeitsanreize beeinträchtigt, kann jedoch nicht von der Hand
gewiesen werden. Im Zusammenhang mit einer Lohnpfändung gewinnt dies an
Bedeutung.
212
5 Reformvorschläge - Chancen für eine Pareto-Verbesserung?
5 Reformvorschläge - Chancen für eine Pareto-Verbesserung?
In den folgenden Abschnitten werden mögliche Reformen der Lohnpfändung
vorgestellt. Der erste Vorschlag beinhaltet eine Änderung des Pfändungsverfahrens. Es geht darum nicht wie bisher den Lohn jenseits des Existenzminimums zu
100% zu pfänden, sondern den Individuen einen Prozentsatz ihres zusätzlichen
Einkommens zu belassen. Dies läuft auf ein variables Existenzminimum hinaus.
Der zweite Vorschlag sieht nach einer festzulegenden Anzahl von Jahren eine
Entschuldung vor. Dass heisst, ein hoffnungslos überschuldetes Individuum hätte
die Möglichkeit wieder von vorne anzufangen. Es soll getestet werden, ob diese
Vorschläge Raum für eine Pareto-Verbesserung bieten, sei es in dem Sinne einer
absoluten Verbesserung oder zumindest im Sinne einer potentiellen Verbesserung. Eine potentielle Pareto-Verbesserung erfordert, dass die Gewinner einer
Reform die Verlierer entschädigen könnten (es ist nicht notwendig, dass sie dies
auch tun). Die vier betroffenen Parteien sowie ihre Interessen sind in Tabelle III.7
eingetragen.
Tabelle III.7 Die von der Lohnpfändung betroffenen Parteien
und ihre Interessen
Schuldner
Möglichst unbeschränkte Verfügung über das eigene
Einkommen
Gläubiger
Raschest mögliche Rückzahlung der Schulden von
Seiten der Schuldner
Steuerzahler
Erhaltung des Arbeitsangebotes der Schuldner (bei
Existenz staatlicher Sozialhilfe)
Sonstige,
nichtverschuldete
Nachfrager auf dem
Kreditmarkt
Keine negativen externen Effekte auf den Kreditmarkt
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
213
5.1 Variables Existenzminimum
Eine mögliche Reform hinsichtlich des betreibungsrechtlichen Existenzminimums könnte darin bestehen, dass derzeitige fixe Existenzminimum in ein variables, einkommensabhängiges umzuwandeln. Zur Zeit wird einem Individuum der
Teil des Einkommens, welcher das Existenzminimum übersteigt zu 100%
gepfändet, was sicherlich Arbeitsanreize zerstört. Es ist somit zu überlegen, ob es
nicht von Vorteil wäre dem Individuum einen Teil des Einkommens zu belassen,
welcher über das Existenzminimum hinaus erwirtschaftet wird. In diesem Fall ist
ein Pfändungssatz einzuführen welcher kleiner als 100% ist.
5.1.1 Das variable Existenzminimum im theoretischen Modell
Das betreibungsrechtliche Existenzminimum m ändert sich durch Einführung
eines variablen Existenzminimums wie folgt:
mt = [ w ⋅ ( 1 – lt ) – f ] ⋅ ( 1 – τ ) + f .
(III.93)
Das bisher exogen gegebene und fixe Existenzminimum wird endogenisiert
und ist abhängig vom Einkommen w ⋅ ( 1 – l t ) , vom Pfändungssatz τ und von
einem Freibetrag f der von der Pfändung ausgenommen ist. Zur Erinnerung werden an dieser Stelle noch einmal die Hamilton- sowie die Lagrangefunktion des
Abschnitts 3.2.1 [Gleichung (III.34) und (III.35)] präsentiert:
T
H(t) =
∫e
–δ ⋅ t
⋅ U ( c t, l t ) + 1λt ⋅ [ v t ⋅ r t + w t ⋅ ( 1 – l t ) – p t ⋅ c t ]dt ,
(III.94)
0
und
L = H ( t ) + 2λ t ⋅ ( p t ⋅ c t – m ) ⋅ v t +
3λt ⋅ c t + 4λt ⋅ l t + 5λt ⋅ [ w t ⋅ ( 1 – l t ) – m ]
.
(III.95)
214
5 Reformvorschläge - Chancen für eine Pareto-Verbesserung?
Mit Einführung des variablen Existenzminimums [vgl. Gleichung (III.93)],
ändert sich die Lagrangefunktion (III.95) zu
L = H ( t ) + 2λt ⋅ { p t ⋅ c t – [ [ w ⋅ ( 1 – l t ) – f ] ⋅ ( 1 – τ ) + f ] } ⋅ v t +
3λt ⋅ c t + 4λt ⋅ l t + 5λt ⋅ [ w t ⋅ ( 1 – l t ) – f ].
(III.96)
Die Bedingungen erster Ordnung für ein Maximum ergeben nach dieser Umformung:
∂U – δt
∂L
------- = 0 ⇒ ------- ⋅ e – 1λt ⋅ p t + 2λt ⋅ p t ⋅ v t + 3λt = 0
∂c t
∂c t
(III.97)
und
∂U – δt
∂L
------ = 0 ⇒ ------- ⋅ e – 1λt ⋅ w t +
∂l t
∂l t
(III.98)
2λt ⋅ ( 1 – τ ) ⋅ w ⋅ v t + 4λt – 5λt ⋅ w t = 0.
Die Ableitung nach der Kozustandsvariablen 1λt ergibt wiederum die Bewegungsgleichung:
·
·
∂L
-------- = v t ⇒ v t = v t ⋅ r + w t ⋅ ( 1 – l t ) – p t ⋅ c t .
∂λ t
(III.99)
Differenzierung der Lagrangefunktion nach der Zustandsvariablen vt ergibt
die geänderte Kozustandsgleichung:
·
·
∂L
------- = – 1λt ⇒ – 1λt = 1λt ⋅ r +
∂v t
2λt ⋅ { p t ⋅ c t – [ [ w ⋅ ( 1 – l t ) – f ] ⋅ ( 1 – τ ) + f ] }
.
(III.100)
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
215
Die folgenden vier Gleichungen sind die Ableitungen der Lagrangefunktion
nach den vier Lagrangemultiplikatoren der Kuhn-Tucker Bedingungen:
∂L
---------- ≥ 0 ⇒ { p t ⋅ c – ( [ w ⋅ ( 1 – l t ) – f ] ⋅
t
∂ 2λt
(III.101)
∂L
--------λ
⋅
2 t ∂ λ- = 0,
2 t
( 1 – τ ) + f ) } ⋅ vt ≥ 0
2λt ≥ 0
∂L
---------- ≥ 0 ⇒ c t ≥ 0
∂ 3λt
3λt ≥ 0
∂L
--------λ
⋅
3 t ∂ λ- = 0 , (III.102)
3 t
∂L
---------- ≥ 0 ⇒ l t ≥ 0
∂ 4λt
4λt ≥ 0
---------- = 0 , (III.103)
4λt ⋅ ∂
4λ t
∂L
---------- ≥ 0 ⇒ w t ⋅ ( 1 – l t ) – f ≥ 0
∂ 5λt
5λt ≥ 0
∂L
--------λ
⋅
5 t ∂ λ- = 0 . (III.104)
5 t
∂L
Die Transversalitätsbedingung schliesslich bleibt unverändert:
1λT ≥ 0
–vT ≥ 0
– v T ⋅ 1λT = 0 . (III.105)
Für eine explizite Analyse der Gleichgewichtsgeraden wird wieder die logarithmische Nutzenfunktion angenommen. Die Gleichgewichtsgerade für das
Vermögen im positiven Bereich erfährt gegenüber dem Modell des Abschnitts
3.2.2 keine Änderung. Im Bereich des negativen Vermögens ergibt sie (mit Zinssatz r = 0):1
1) Vgl. hierzu Gleichung (III.60) in Abschnitt 3.2.3, Seite 180.
216
5 Reformvorschläge - Chancen für eine Pareto-Verbesserung?
w–f
·
v t = 0, wenn l t = ----------w
w–f
·
v t > 0, wenn l t < ----------w
w–f
·
v t < 0, wenn l t > -----------.
w
(III.106)
Zur Erinnerung: Die Gleichgewichtsgerade für ein fixes Existenzminimum
lautet l t = ( w – m ) ⁄ w . Je nachdem ob der Freibetrag grösser oder kleiner als
das fixe Existenzminimum ist, liegt die Gerade des variablen Existenzminimums
über oder unter derjenigen des fixen betreibungsrechtlichen Existenzminimums.
Die Analyse des Gleichgewichtspfades für die Freizeit gestaltet sich etwas
aufwendiger. Das Vorgehen ist dasselbe wie in den vorangegangenen Abschnitten.1 Die Gleichgewichtsgerade ist gekennzeichnet durch:2
·
·
·
(
τ
)
λ
⋅
⋅
⋅
λ
λ
⋅
λ
1
–
–
+
–
w
v
a
2
4
5
t
t
t⋅w


·
t
2 t
l t = l t ⋅  ----------------------------------------------------------------------------------------------------- – δ
 1λt ⋅ w – 2λt ⋅ ( 1 – τ ) ⋅ w ⋅ v t – 4λt + 5λt ⋅ w

(III.107)
·
mit a = p ⋅ ct – { f + ( 1 – τ ) ⋅ [ f – w ⋅ ( 1 – l t – v t ) ] }.
Für den Fall des positiven Vermögens ergibt sich keine Änderung. Der interessante Fall ist der des negativen Vermögens unter der Annahme, die Schuld
werde bis zur Periode T nicht getilgt, also v T < 0 . Daraus folgt wieder laut der
Transversalitätsbedingung (III.105), dass 1λT = 0 ist. Da der Konsum bei einer
Pfändung das betreibungsrechtliche Existenzminimum nicht übersteigen kann,
·
gilt auch wieder 1λt = 0 und somit 1λt = 0 . Aus der Annahme einer nicht
getilgten Schuld ( v T < 0 ) sowie der Bedingung, dass Freizeit grösser Null ist
( lt > 0 )
(r = 0)
und
der
Zinssatz
gleich
Null
folgt:
1) Vgl. Gleichung (III.69) in Abschnitt 3.2.3, Seite 184.
2) Aufgrund der Nichtverzinsung der Schuld während der Pfändung wird wie gehabt r = 0
gesetzt.
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
217
·
v T < 0 ⇒ 1λT = 0 ⇒ 1λt = 0 und 4λt = 4λt = r = 0 . Damit ergibt sich für
die Gleichgewichtsgerade:
·
·
·
⋅
(
τ
)
⋅
⋅
(
τ
)
⋅
⋅
λ
(
⋅
)
λ
λ
1
–
+
1
–
–
–
f
w
v
w
v
2
5


t
t
t
·
t
2 t
l t = l t ⋅  --------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- – δ .


5λt – 2λt ⋅ ( 1 – τ ) ⋅ w ⋅ v t
(III.108)
Unter der Annahme, dass das Arbeitsangebot so gross ist, dass das Einkommen den Freibetrag des betreibungsrechtlichen Existenzminimums übersteigt, ist
·
λ
λ
=
5
t = 0 . Damit ergibt die Bewegungsgleichung für die Freizeit
5 t
·
·


v
λ
·
f
t 2 t
l t = l t ⋅  – ------------ + ---- – ------- – δ .
 w ⋅ v t v t 2λt 
(III.109)
Ist ein Arbeitsangebot über das betreibungsrechtliche Existenzminimum hinaus möglich, auch wenn die Schuld nicht innerhalb der T Perioden getilgt wird?
Wenn das Arbeitsangebot das betreibungsrechtliche Existenzminimum übersteigt
·
gilt 2λt = 2λt = 0 . Aus Gleichung (III.109) ergeben sich drei mögliche Lösungen:
·
vt
·
f
Fall 1) δ > ---- – ------------ und damit l t < 0
vt w ⋅ vt
·
Die Zeitpräferenzrate ist grösser als v t ⁄ v t – f ⁄ ( w ⋅ v t ) . Der zweite
f ⁄ ( w ⋅ v t ) ist auf jeden Fall positiv. Die Wachstumsrate des Vermögens
Term
·
vt ⁄ vt
kann nicht negativ sein, da eine weitere Verschuldung ja ausgeschlossen ist. Ist
sie gleich Null, hiesse dies, dass das Arbeitsangebot nicht grösser ist, als zur
Erarbeitung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums notwendig. Dies wiederum ist aber nicht vereinbar mit der sinkenden Freizeit, welche zwangsläufig
zu einer positiven Wachstumsrate des Vermögens führen würde. Fall 1 bedeutet
also, dass ein Pfad mit steigendem Vermögen und sinkender Freizeit möglich ist.
Dies auch, wenn wie angenommen die Schuld nicht innerhalb der T Perioden
getilgt wird.
218
5 Reformvorschläge - Chancen für eine Pareto-Verbesserung?
·
vt
·
f
Fall 2) δ = ---- – ------------ und damit l t = 0
vt w ⋅ vt
Dieser zweite Fall erfordert eine positive Wachstumsrate des Vermögens, also
einen teilweisen Abbau der Schuld innerhalb des Zeithorizontes von T Perioden.
·
Eine negative Wachstumsrate v t ⁄ v t ist nicht möglich. Eine Wachstumsrate von
Null würde heissen, dass die Zeitpräferenzrate negativ wäre. Diese Möglichkeit
·
ist aber ausgeschlossen. Damit ist in diesem Fall v t ⁄ v t > 0 zwingend.
·
vt
·
f
Fall 3) δ < ---- – ------------ und damit l t > 0
vt w ⋅ vt
Auch dieser Fall erfordert eine positive Wachstumsrate des Vermögens, da die
Zeitpräferenzrate nicht negativ sein kann.
Bei der Analyse des fixen Existenzminimums musste die Möglichkeit eines
Arbeitsangebotes, welches grösser ist als das zur Finanzierung des Minimums
notwendige, eindeutig verworfen werden (vgl. Abschnitt 3.2.2). Bei Einführung
eines variablen Existenzminimums lohnt es sich mehr zu arbeiten, selbst dann,
wenn das nicht zu einer Beendigung der Pfändung und somit freiem Konsum
führt. Die drei vorgestellten Fälle zeigen, dass es durch Einführung eines variablen Existenzminimums möglich ist, dass ein Individuum innerhalb des gegebenen Zeitraums nur einen Teil der Schuld tilgt, anstatt wie bisher entweder die
Schuld ganz zu tilgen oder sie vollständig stehen zu lassen. Der Grund hierfür ist,
dass das Individuum einen Teil des Mehreinkommens behalten kann. Gegenüber
der Abbildung III.9 in Abschnitt 3.2 (der Fall des fixen Existenzminimums), ist
in Abbildung III.15, welche die Gleichgewichtspfade bei einem variablen Existenzminimum darstellt, ein weiterer Pfad hinzugekommen: Das Individuum,
welches in Punkt C startet, baut seine Schuld teilweise ab, ohne sie aber innerhalb der T Perioden vollständig zu tilgen. Die Ergebnisse der Analyse sind nochmals in Tabelle III.8 zusammengefasst.
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
219
Abbildung III.15 Mögliche Gleichgewichtspfade bei der Lohnpfändung Der Fall eines variablen Existenzminimums
l
1
.
v=0
D
>
<
1–α
>
>
>
-v
v=0
<
A
= vT
>
.
<
<
C> >
B >
<
w–m
-------------w
>
>
>
>
>
v0
+v
Resultat III.7
Das theoretisch hergeleitete Ergebnis lässt den Schluss zu,
dass ein variables Existenzminimum unter Umständen dazu
führt, dass ein Individuum Mehrarbeit leistet. Dies gilt auch
dann, wenn die Schuld nicht innerhalb des Optimierungszeitraums getilgt wird. Der Grund liegt in den zusätzlichen Konsummöglichkeiten
durch
das
einkommensabhängige
Existenzminimum.
5.1.2 Die Ergebnisse der Simulationen zum variablen Existenzminimum
Im vorherigen Abschnitt habe ich hergeleitet, dass die Mehrarbeit bei einem flexiblen Existenzminimum für das Individuum durchaus eine nutzenmaximierende
Strategie ist. Der Vorteil für die Schuldner liegt auf der Hand. Eine Einheit weniger Freizeit in der Gegenwart bringt nicht nur eine beschleunigte Beendigung der
220
5 Reformvorschläge - Chancen für eine Pareto-Verbesserung?
Tabelle III.8 Ergebnisse der Analyse des Vermögens- und
des Freizeitpfades - Variables Existenzminimum
Vermögensbereich
Schuldabbau
Keine vollständige
Schuldtilgung
innerhalb T
Kein
Schuldabbau
vt < 0
·
lt < 0
·
vt > 0
·
lt < 0
·
vt > 0
vt = 0
vt > 0
·
l t = 0 und
·
v t = 0 , wenn r <
(nur wenn r > δ)
·
lt > 0
·
v t > 0 zu Anfang
δ
·
·
l t > 0 und v t > 0 ,
wenn r > δ
·
v t < 0 gegen Ende des
Optimierungshorizontes
-
-
-
-
aber
vT < 0
·
lt = 0
·
vt = 0
Pfändung und damit der Konsumbeschränkung in der Zukunft mit sich, zusätzlich gewinnt der Haushalt auch Konsum in der Gegenwart, da ihm nicht mehr
100% des zusätzlichen Lohns gepfändet werden. Der Preis dieses Reformvorschlags ist allerdings, dass bei gleichbleibendem Arbeitsangebot der Pfändungserfolg pro Periode sinkt. Die Rückzahlung der Schuld nimmt einen längeren
Zeitraum in Anspruch, was aufgrund der fehlenden Verzinsung zu Verlusten für
die Gläubiger führt. Entscheidend ist dabei natürlich, ob der Freibetrag f [vgl.
Gleichung (III.93)] gleich dem bestehenden fixen Existenzminimum ist (in den
Simulationen hiesse dies m = f =1) oder ob dieser Freibetrag gegenüber m
gesenkt wird.
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
221
5.1.2.1 Freibetrag f = m
Die Frage, die sich, wie schon in Abschnitt 4.3.3, jetzt stellt, lautet: Welche
Arbeitsangebotselastizität müssen die Individuen aufweisen, damit bei einer
Absenkung des Pfändungssatzes und gegebenem Freibetrag, der Pfändungserfolg
gleich bleibt? Die notwendige Elastizität ergibt
∂(1 – l) τ
f – (1 – l)
e 1 – l, τ = ------------------ ⋅ ---------- = ----------------------- .
∂τ
1–l
1–l
(III.110)
Die notwendigen Elastizitäten für konstante Gläubigerverluste bei Absenkung
des Pfändungssatzes sind in Tabelle III.9 angegeben.
Tabelle III.9 Notwendige Elastizitäten des Arbeitsangebots bei
einer Verringerung des Pfändungssatzes
CobbDouglas
CES
Quadratisch
-
-
-
IIa
0.99
1.11
0.65
IIb
0.98
1.08
0.64
IIIa
0.99
1.23
0.55
IIIb
0.95
1.18
0.53
Lohngruppe
Ia/Ib
Wie schon bei der Erhöhung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums,
bleibt auch hier die erhoffte Reaktion der Individuen bei den Simulationsrechungen aus. Das Arbeitsangebot bleibt im wesentlichen konstant oder sinkt sogar.
Die Individuen mit dem geringen Lohnsatz reagieren nicht auf eine Reduzierung
des Pfändungssatzes (solange dieser grösser als 0.1 ist). Die Grenzrate der Substitution zwischen Konsum und Freizeit ( ∂U ⁄ ∂l ) ⁄ ( ∂U ⁄ ∂c ) ist bei diesen Individuum (im Fall der Cobb-Douglas-Nutzenfunktion unter Vernachlässigung der
Zeitpräferenzrate) für einen Pfändungssatz von 1 gleich 1.88. Dass heisst, dem
Individuum müssten für die Aufgabe einer Einheit Freizeit 1.88 Einheiten Kon-
222
5 Reformvorschläge - Chancen für eine Pareto-Verbesserung?
sum geboten werden. Einen Mehrkonsum von 1.88 Einheiten pro 1 Einheit weniger Freizeit erreicht dieses Individuum jedoch erst bei einem Pfändungssatz von
0.1.
Durch die Einführung eines variablen Existenzminimums ändert sich bei einigen Individuen aber die maximal akzeptierte Schuld. Die Vermutung, dass bei
genügend kleinem Pfändungssatz die Individuen bereit sein könnten Mehrarbeit
zu leisten, obwohl die Schuld nicht innerhalb des gesetzten Zeithorizontes abgebaut wird, wurde bereits im theoretischen Abschnitt 5.1.1 geäussert. In Tabelle
III.10, Tabelle III.11 und Tabelle III.12 ist die maximal akzeptierte Schuld jeder
Schuldnergruppe und den drei verschiedenen Nutzenfunktionen in Abhängigkeit
vom Pfändungssatz eingetragen. Ferner sind das maximal akzeptierte Schuld/
krit
Einkommensverhältnis und die maximal akzeptierte Tilgungsdauer D s ausgewiesen. Die Individuen der Gruppe mit dem geringsten Lohnsatz (Gruppe I) reagieren bei einer Absenkung des Pfändungssatzes auf 0.2 nicht. Wird der
Pfändungssatz auf 0.1 abgesenkt, so sind die Individuen mit einer Cobb-Douglasoder CES-Nutzenfunktion bereit, bei jeder Schuldhöhe Mehrarbeit zu leisten und
reduzieren zumindest ihre Schulden dadurch. Die Individuen der anderen beiden
Lohngruppe reagieren stärker auf eine Absenkung des Pfändungssatzes. Die
Gruppe mit dem höchsten Lohnsatz (Gruppe III) ist schon bei einer Absenkung
auf 0.7 bereit bei jeder Schuld Mehrarbeit zu leisten.
Welches sind nun die Verluste, die bei einer Reduzierung des Pfändungssatzes
entstehen? Bezeichnet man die Gläubigerverluste mit ϑ , so ergibt sich
ϑ =
T
∑t = 1 v t ⋅ r .
(III.111)
Die Gläubigerverluste ergeben sich aus der Summe der Zinsverluste, welche
in jeder Periode anfallen in der die Schuld noch nicht getilgt ist. Aus Vereinfachungsgründen werden Zinseszinsen nicht berücksichtigt. Den Simulationsrechungen zufolge steigen die Gläubigerverluste mit der Absenkung des
Pfändungssatzes. Eine absolute Pareto-Verbesserung ist durch eine einfache
Pfändungssatz
Nutzenfunktion
1
0.9
0.8
0.7
0.6
0.5
0.4
0.3
v0
v/y
Ds
0.06
0.06
0.86
0.06
0.06
0.95
0.06
0.06
1.07
0.06
0.06
1.22
0.06
0.06
1.43
0.06
0.06
1.71
0.06
0.06
2.14
- - 0.06
0.06 0.06
0.06 4.29
2.86
–∞
∞
∞
CES
v0
v/y
Ds
0.14
0.13
2.00
0.14
0.13
2.22
0.14
0.13
2.5
0.14
0.13
2.86
0.14
0.13
3.33
0.14
0.13
4
0.14
0.13
5
- - 0.15
0.14 0.14
0.13 10.71
6.67
–∞
∞
∞
Quadratisch
v0
v/y
Ds
0.19
0.18
2.71
0.19
0.18
3.02
0.19
0.18
3.39
0.19
0.18
3.88
0.19
0.18
4.52
0.19
0.18
5.43
0.19
0.18
6.79
- - 0.19 - 0.19
0.19 0.18 0.18
0.18 13.57 27.14
9.05
CobbDouglas
–v
1 – lN ) ⋅ w
–v0
Ds =------------------------------.
1 – lN ) ⋅ w – m
0
v/y = -----------------------
0.2
0.1
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
Tabelle III.10 Maximal akzeptierte Schuld bei variablem Existenzminimum -- Lohngruppe I
223
224
Tabelle III.11 Maximal akzeptierte Schuld bei variablem Existenzminimum -- Lohngruppe II
Pfändungssatz
Nutzenfunktion
CES
Quadratisch
0.9
0.8
0.7
0.6
0.5
0.4
v0
v/y
Ds
- 3.1
1.94
5.17
- 3.3
2.06
6.11
- 3.4
2.13
7.08
- 3.6
2.25
8.57
- 3.8
2.38
10.5
6
- 4.1
2.56
13.6
7
- 4.5
2.81
18.7
5
–∞
∞
∞
–∞
∞
∞
–∞
∞
∞
v0
v/y
Ds
-4
2.65
7.84
- 4.1
2.72
8.93
- 4.2
2.78
10.2
9
- 4.3
2.85
12.0
4
–∞
∞
∞
–∞
∞
∞
–∞
∞
∞
–∞
∞
∞
–∞
∞
∞
–∞
∞
∞
v0
v/y
Ds
- 5.2
2.69
5.59
- 5.4
2.8
6.45
- 5.4
2.8
7.26
- 5.7
2.95
8.76
–∞
∞
∞
–∞
∞
∞
–∞
∞
∞
–∞
∞
∞
–∞
∞
∞
–∞
∞
∞
–v
1 – lN ) ⋅ w
–v 0
Ds =------------------------------.
1 – lN ) ⋅ w – m
0
v/y = -----------------------
0.3
0.2
0.1
5 Reformvorschläge - Chancen für eine Pareto-Verbesserung?
CobbDouglas
1
Pfändungssatz
Nutzenfunktion
1
0.9
0.8
0.7
0.6
CobbDouglas
v0
v/
y
Ds
- 8.7
4.01
7.44
- 9.6
4.42
9.12
10.3
4.75
11
-11
5.07
13.4
3
-12 -13.3
5.53 6.13
17.0 22.7
4
9
CES
v0
v/
y
Ds
11.2
5.80
12.0
4
11.4
5.91
13.6
2
11.8
6.11
15.8
6
–∞
∞
∞
–∞
∞
∞
Quadratisc
h
v0
v/
y
Ds
- 15
5.40
8.43
15.5
5.58
9.68
- 20
7.19
14.0
4
–∞
∞
∞
–∞
∞
∞
–v
1 – lN ) ⋅ w
–v0
Ds =------------------------------.
1 – lN ) ⋅ w – m
0
v/y = -----------------------
0.5
0.4
0.3
0.2
0.1
–∞
∞
∞
–∞
∞
∞
–∞
∞
∞
–∞
∞
∞
–∞
∞
∞
–∞
∞
∞
–∞
∞
∞
–∞
∞
∞
–∞
∞
∞
–∞
∞
∞
–∞
∞
∞
–∞
∞
∞
–∞
∞
∞
–∞
∞
∞
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
Tabelle III.12 Maximal akzeptierte Schuld bei variablem Existenzminimum -- Lohngruppe III
225
226
5 Reformvorschläge - Chancen für eine Pareto-Verbesserung?
Absenkung des Pfändungssatzes nicht erreichbar. Um die Frage zu klären, ob
eine potentielle Pareto-Verbesserung möglich ist, bedürfte es einer Wohlfahrtsanalyse. Der Nutzengewinn der Schuldner müsste mit den Verlusten der Gläubiger verglichen werden. Um einen solchen Vergleich durchzuführen, müsste man
eine soziale Wohlfahrtsfunktion entwickeln, ein Vorhaben welches ohne Werturteile nicht möglich ist. Eine Vereinfachung wäre es nur die Gläubiger untereinander zu vergleichen. Unter der Annahme, dass alle die gleiche Nutzen- oder
Gewinnfunktion haben, könnten die Verluste einzelner Gläubiger mit den möglichen Gewinnen anderer verglichen werden.1
Betrachtet man die sechs in den Simulationen verwendeten Schuldner sowie
ihre Gläubiger, so gibt es eigentlich nur zwei Gruppen von Gläubigern welche
sich durch eine Absenkung des Pfändungssatzes verbessern können. Es sind dies
die Gläubiger der Schuldnergruppen Ia und Ib. Wird der Pfändungssatz bis auf
0.1 abgesenkt, so zahlen auch die beiden gering verdienenden Schuldner zumindest einen Teil ihrer Schuld zurück (vgl. Tabelle III.10), im Gegensatz zur Situation mit einem Pfändungssatz von 1. Die Gläubiger der anderen beiden
Schuldnergruppen IIa bis IIIb müssten allerdings hohe Verluste hinnehmen (ein
Vergleich der Verluste findet sich in Tabelle III.13).
Die Zinsverluste, welche durch eine Absenkung des Pfändungssatzes auf 0.1
den Gläubigern entstehen, sind in Tabelle III.13 eingetragen. In dieser Tabelle
sind die Gläubigerverluste des Grundszenarios (Pfändungssatz = 1) sowie die
Veränderung der Kosten (in Relation zum Grundszenario) bei einer Absenkung
des Pfändungssatzes bis auf 0.1 eingetragen. Wird der Pfändungssatz bis auf diesen Wert abgesenkt, so sinken die Verluste der Gläubiger der beiden Schuldnergruppen Ia und Ib (mit Ausnahme der Individuen mit einer quadratischen
Nutzenfunktion). Die Verluste der Gläubiger der Schuldnergruppen II und III
steigen jedoch. Allerdings sind die Gewinne der Gläubiger der „armen“ Individuen (Gruppe I) in der Summe grösser als die aufsummierten Verluste der anderen Gläubiger. Betrachtet man nur die sechs verwendeten Gläubigergruppen, so
1) Solange von der Existenz einer staatlichen Sozialhilfe abgesehen wird, sind die Steuerzahler von den Reformvorschlägen nicht betroffen. Die anderen, nicht verschuldeten
Marktteilnehmer werden für den Augenblick noch vernachlässigt.
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
227
ist eine potentielle Pareto-Verbesserung durch die Absenkung des Pfändungssatzes auf 0.1 erreichbar. Es dürfte allerdings schwierig, bzw. eher unmöglich sein,
im politischen Prozess einen Pfändungssatz von 0.1 durchzudrücken.
Tabelle III.13 Entwicklung der Gläubigerverluste ϑ bei unterschiedlichen
Pfändungssätzen
Lohngruppe
I
II
III
Pfändungssatz
Gläubigerkosten ϑ und deren Veränderung
Cobb-Douglas
CES
Quadratisch
Ia
Ib
Ia
Ib
Ia
Ib
1a
0.56b
6.24b
0.56b
6.24b
0.56b
6.24b
0.1c
-0.37
-3.91
-0.4
-5.52
0
0
IIa
IIb
IIa
IIb
IIa
IIb
1a
0
0.021
0
0.009
0
0
0.1c
+0.02
+0.54
+0.02
+0.68
+0.01
+0.35
IIIa
IIIb
IIIa
IIIb
IIIa
IIIb
1a
0
0
0
0
0
0
0.1c
+0.02
+0.86
+0.02
+1.13
+0.01
+0.54
a. Diese Reihe gibt die absolute Höhe der Kosten im Grundszenario (Pfändungssatz = 1)
wieder.
b. In diesen Fällen wird die Schuld nicht getilgt. Der ausgewiesene Wert ergibt sich durch
die Höhe der Schuld, inkl. der in den 20 Perioden aufgelaufenen Zinsen.
c. Diese Reihe gibt die Veränderung der Kosten in Relation zum Grundszenario wieder.
228
5 Reformvorschläge - Chancen für eine Pareto-Verbesserung?
Resultat III.8
Wird der Freibetrag f auf einen Wert gleich dem bestehendem fixen Existenzminimum festgelegt, so ist gemäss den
Simulationsrechnungen eine potentielle Pareto-Verbesserung erst dann möglich, wenn der Pfändungssatz von derzeit
1 auf 0.1 abgesenkt wird. Dies wiederum dürfte im politischen Prozess in der Realität kaum eine Chance haben
durchgesetzt zu werden.
5.1.2.2 Absenkung des Freibetrags f
Es stellt sich also die Frage, ob es nicht möglich ist die Verluste für alle Gläubiger zu senken. Eine Möglichkeit die Gläubigerverluste auszugleichen, könnte die
Verringerung des Freibetrags sein. Durch die Absenkung des Pfändungssatzes
erfahren die Schuldner einen Nutzenzuwachs, es besteht also ein gewisser Spielraum diesen Nutzenzuwachs durch Absenkung des Freibetrags abzuschöpfen und
somit die Gläubigerverluste zu senken. In Tabelle III.14 sind die kritischen Werte
der Freibeträge eingetragen, über die hinaus eine weitere Absenkung des Pfändungssatzes die Gläubigerkosten steigern würde.
Die Schuldnergruppe I ist in dieser Tabelle nicht aufgeführt, da bei dieser
Gruppe die Gläubigerkosten schon maximal sind. Die Schuldnergruppen IIa und
IIIa sind nicht aufgeführt, da bei diesen Gruppen durch eine Absenkung des
Pfändungssatzes keine nennenswerten Zusatzverluste für die Gläubiger entstehen. Die Schuld wird immer in der ersten Periode abgebaut.
Wie in Tabelle III.14 zu sehen ist, müsste der Freibetrag schon bei einer geringen Absenkung des Pfändungssatzes empfindlich verringert werden um die
Gläubigerkosten konstant zu halten. Eine Absenkung des Pfändungssatzes auf
0.7 erfordert im Extremfall (Gruppe IIIb, CES-Nutzenfunktion) eine Verringerung des Freibetrags auf 0.15 (von ursprünglich 1). Wird der Pfändungssatz auf
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
229
Tabelle III.14 Kritischer Wert des Freibetrags um Gläubigerverluste
konstant zu halten
Pfändungssatz
Nutzenfunktion
0.8
0.7
0.6
0.85
CES
0.9
0.73
Quadratisch
0.8
0.7
Cobb-Douglas
0.9
0.55
CES
0.77
0.45
Quadratisch
0.75
0.55
Cobb-Douglas
0.79
0.2
CES
0.58
0.15
Quadratisch
0.45
0.35
Cobb-Douglas
0.63
-b
CES
0.35
-b
Quadratisch
0.15
0
0.4
-b
CES
0
-b
Quadratisch
-b
-b
Cobb-Douglas
0.5
Notwendiger
Freibetrag f bei
Lohngruppe IIIba
0.95
Cobb-Douglas
0.9
Kritischer Wert des
Freibetrags f bei
Lohngruppe IIba
a. In der Ausgangssituation ist der Freibetrag f = 1 und damit gleich dem fixen
Existenzminimum.
b. Es existiert kein Freibetrag, bei dem die Gläubigerverluste nicht steigen würden.
0.6 gesenkt, so ist in zwei Fällen (Gruppe IIIb, CES und Quadratische Nutzenfunktion) ein Konstanthalten der Gläubigerkosten nicht mehr möglich.
Ein solch starkes Absenken des Freibetrags hat natürlich Auswirkungen auf
den Nutzen der Schuldnergruppe I, welche bei Bestehen eines fixen Existenzmi-
230
5 Reformvorschläge - Chancen für eine Pareto-Verbesserung?
nimums keine Mehrarbeit leisteten und somit ceteris paribus bei Einführung
eines variablen Existenzminimums alleine von dem Freibetrag leben müsste.
Wird der Freibetrag gesenkt, so entscheiden sich gegenüber der Ausgangssituation einige Schuldner jetzt dafür die Schuld zu tilgen. In Tabelle III.15 ist der
Nutzenverlust für die Schuldner eingetragen, welcher entsteht, wenn für eine
Absenkung des Pfändungssatzes auf 0.9, 0.8 und 0.7 der jeweils pessimistischste
Fall angenommen wird, also die jeweils stärkste Verringerung des Freibetrags
berücksichtigt wird (vgl. die jeweiligen Werte in Tabelle III.14).
Tabelle III.15 Nutzenverlust und Schuldenabbau der Schuldnergruppe I bei
einer Absenkung des Freibetrags
Pfändungssatz
Nutzenverlust/Schuldabbau
Freibetrag
Nutzenfunktion
Ia
- 7%
A
- 7%
A
0%
A
- 6%
A
- 0.4%
A
- 3%
-
- 7%
A
- 67%
A
0%
A
- 6%
A
Quadratisch
- 4%
A
- 9%
-
Cobb-Douglas
- 7%
A
- 70%
A
0%
A
- 6%
A
- 4%
A
- 5%
A
Cobb-Douglas
0.9
0.7
CES
Quadratisch
Cobb-Douglas
0.8
0.7
0.45
0.15
Ib
CES
CES
Quadratisch
A heisst Abbau der Schuld im Gegensatz zu einer Situation mit fixem Existenzminimum in
Höhe von 1.
Wird der Freibetrag gesenkt, so werden auch die Individuen der Schuldnergruppe I ab einem gewissen Punkt Schuldenabbau tätigen (Gekennzeichnet durch
ein A in Tabelle III.15). Der Nutzenverlust ist allerdings für diese Gruppe bei
Annahme der Cobb-Douglas-Nutzenfunktion, gewaltig. Auf die Realität bezogen
stellt sich zusätzlich das Problem, dass aufgrund nicht perfekt funktionierender
Arbeitsmärkte unfreiwillige Arbeitslosigkeit existiert. In der vorliegenden Simu-
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
231
lation arbeiten die Schuldner und erreichen somit noch ein gewisses Konsumniveau. Findet aber eine Person keine Arbeit, so kann sie mit einem verringerten
Existenzminimum kaum überleben. Das derzeitige Existenzminimum stellt
bereits einen äusserst knapp bemessenen Grundbedarf dar, der auch bei Einführung eines verringerten Pfändungssatzes aus sozialen Gründen nicht in einem
nennenswerten Umfang abgesenkt werden kann.
Resultat III.9
Eine absolute Pareto-Verbesserung ist durch Einführung
eines einkommensabhängigen Existenzminimums nicht möglich. Es gibt Gläubiger, die hohe Verluste erleiden. Durch
eine gleichzeitige Absenkung des Freibetrags könnten diese
Verluste vermieden werden, dies würde allerdings die
Schuldner beeinträchtigen. Eine grössere Absenkung des
Freibetrags ist schliesslich auch aus sozialen Gründen nicht
durchführbar.
5.1.2.3 Die Rolle der staatlichen Sozialhilfe und der Steuerzahler
Wie bereits in Abschnitt 4.3.4 erwähnt, so muss auch an dieser Stelle beachtet
werden, dass in der Realität eine staatliche und steuerfinanzierte Sozialhilfe existiert. Neben der Tatsache, dass dies einige Ergebnisse verändert, kommt eine
dritte Partei mit ins Spiel, welche bei der Überprüfung einer potentiellen ParetoVerbesserung beachtet werden muss. Das Interesse der Steuerzahler als Finanziers der Sozialhilfe liegt darin, dass ein Schuldner selbst das Existenzminimum
(oder mehr) verdient, anstatt Sozialhilfe zu beziehen.1 In den Fällen, in denen ein
Schuldner es vorzieht die Schuld nicht zu tilgen und somit höchstwahrscheinlich
auch das Existenzminimum nicht mehr selbst erarbeiten wird, erleiden die Steu-
1) Die Tatsache, dass die Steuerzahler häufig auch gleichzeitig Gläubiger sind soll an dieser
Stelle ausser Acht gelassen werden.
232
5 Reformvorschläge - Chancen für eine Pareto-Verbesserung?
erzahler einen Verlust. Sie müssen in jeder Periode das Existenzminimum finanzieren.
Eine Absenkung des Pfändungsbetrags führt dazu, dass die maximal akzeptierte Schuld steigt (vgl. Tabelle III.10). Es entscheiden sich also weniger Individuen dazu auf eine Schuldtilgung zu verzichten, was dann dazu führt, dass auch
dementsprechend weniger Individuen sozialhilfeabhängig sind.1 Nimmt man
allerdings die drei Schuldnergruppen der Simulationen als Referenz, so muss
gesagt werden, dass dort eine Reaktion erst bei einer Absenkung des Pfändungssatzes auf 0.1 eintritt. Die Steuerzahler profitieren von der Einführung eines einkommensabhängigen Existenzminimums also nur bedingt.
Resultat III.10
Werden die Steuerzahler als Finanziers der Sozialhilfe in die
Überlegungen einbezogen, so lässt sich mit Hilfe der Simulationsrechnungen sagen, dass diese von einer Reduzierung
des Pfändungssatzes profitieren, allerdings nur wenn dieser
sehr stark abgesenkt wird.
5.2 Vorzeitige Entschuldung
Am 1. Januar 1999 ist in Deutschland eine neue Insolvenzordnung in Kraft getreten. Es jetzt möglich für hochverschuldete Privathaushalte eine Restschuldbefreiung durchzuführen; eine Praxis welche in den angelsächsischen Ländern schon
seit langem an der Tagesordnung ist.2 In den USA sind dies z.B. die Entschuldungsverfahren nach chapter 7 oder chapter 13. Ein Entschuldungsverfahren
nach chapter 7 heisst, dass das vorhandene Vermögen des Schuldners verwertet
1) Es wurde angenommen, dass bei Existenz einer staatlichen Sozialhilfe diejenigen Individuen, welche auf eine Schuldtilgung verzichten auch gleichzeitig auf Eigenarbeit verzichten, da sie auf diese Weise ein höheres Nutzenniveau erreichen (vgl. Abschnitt
4.3.4).
2) In England z.B. schon seit dem 18. Jhd. und in den USA seit dem 19. Jhd. [vgl. Forsblad
(1997)].
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
233
wird. Das zukünftige Einkommen wird nicht angetastet. Nach der Verwertung
des Vermögens werden die Restschulden erlassen und der Schuldner kann wieder
einen schuldenfreien Neustart wagen („fresh start“). Eine Schuldbefreiung nach
chapter 13 beinhaltet einen Vergleich des Schuldners mit seinen Gläubigern. Das
Vermögen wird nicht angetastet. Der Schuldner verpflichtet sich innerhalb von 3
- 5 Jahren einen bestimmten Anteil der Schulden zu tilgen. Im Anschluss daran
wird dann die Restschuld erlassen.1 In der Schweiz ist eine Restschuldbefreiung
bisher nicht möglich. Zwar ist es auch Privaten möglich den Konkurs durchzuführen, aber dies führt nicht zu einer Befreiung von den Schulden, sondern stoppt
„nur“ die laufenden Betreibungen und Pfändungsverfahren. Kommt der Schuldner wieder zu Vermögen, können die Gläubiger von neuem eine Betreibung einleiten. Zwar muss dieses neue Vermögen sehr hoch sein damit die Pfändungen
wieder eingeleitet werden können, dennoch ist es dem Schuldner unmöglich
wirklich neu anzufangen um sich selbst wieder Wohlstand aufzubauen. Dies gilt
zumindest solange, wie die Konkursverlustscheine nicht verjährt sind, also mindestens 20 Jahre.2
Der Vorteil einer Restschuldbefreiung liegt in der Möglichkeit, dass das verschuldete Individuum frei von der Schuldenlast wieder “neu anfangen kann“. Vor
allem die Individuen, welche sehr hoch verschuldet sind und keine Hoffnung
mehr sehen ihre Last abzubauen, profitieren von einer Restschuldbefreiung. Es
stellt sich jetzt die Frage, ob denn auch die Gläubiger unter Umständen davon
profitieren könnten oder ob sie vor allem Verluste durch die Einführung einer
solchen Regelung erfahren würden.
Für die Modellierung wird als neue Variable die Entschuldungsvariable Γ t
eingeführt. Entschuldung heisst, dass in der Periode in welcher die Entschuldung
stattfindet, die Schulden exogen getilgt werden. Dass heisst:
Γt = –v t .
1) Zu einer kurzen Erläuterung beider Verfahren vgl. Forsblad (1997), 131ff.
2) Vgl. hierzu auch Abschnitt 2 in Teil I.
(III.112)
234
5 Reformvorschläge - Chancen für eine Pareto-Verbesserung?
Diese Variable wird in die Bewegungsgleichung eingesetzt, mit der Folge,
dass die Schulden der Periode t = i exogen getilgt werden,
·
vt = vt ⋅ r + w ⋅ ( 1 – lt ) – p ⋅ ct + Γt ⋅ φt
mit φ t = 1, wenn t = i
(III.113)
i = Zeitpunkt der Entschuldung.
Die Variable φ t ist eine Dummyvariable welche nur in der Periode in der die
Entschuldung stattfindet den Wert 1 hat, sonst gilt φ t = 0 für t ≠ i .
Simuliert wurde die Entschuldung in der 10., 7. und 5. Periode ohne Rückzahlungskonditionen. Die Restschuldbefreiung wirkt in diesem Fall wie ein verringerter Zeithorizont. Am Verhalten der Individuen ändert sich prinzipiell nichts,
allerdings sind die Werte der Startschuld, bei denen die Schuldner davon absehen
noch Anstrengungen zum Abbau ihrer Schulden zu tätigen, weitaus geringer als
ohne Restschuldbefreiung. Bei allen drei verwendeten Nutzenfunktionen und
einheitlich über die drei Schuldnergruppen hinweg verringert sich die maximal
akzeptierte Schuld.1 Findet die Entschuldung in der 10. Periode statt, so verringert sich die maximal akzeptierte Schuld um 50%. Bei einer Entschuldung in der
7. Periode um 65% und bei Entschuldung in der 5. Periode um 75%. Dass heisst,
die Individuen tendieren aufgrund der Restschuldbefreiung eher dazu ihre Schuld
stehen zu lassen und auf den Zeitpunkt der Entschuldung zu warten, anstatt sie
selbst zu tilgen. Allerdings führt die Restschuldbefreiung dazu, dass die Individuen der Lohngruppe I, welche im bestehenden System ihre Schuld nicht tilgten
und über den gesamten Zeitraum von T = 20 Perioden nur das Existenzminimum
konsumierten, nach der Restschuldbefreiung wieder mehr Arbeit anbieten
( 1 – l t = 0.50 bei allen drei Nutzenfunktionen für Lohngruppe I nach der Restschuldbefreiung, gegenüber 1 – l t = 0.47 vor der Restschuldbefreiung).2
1) Die maximal akzeptierte Schuld ist der Betrag der exogen gegeben Startschuld, bis zu
dem ein Individuum eine Tilgung der Schuld betreibt. Übersteigt die Startschuld diesen
Betrag, so wird auf eine Tilgung verzichtet.
2) Bei Existenz einer Sozialhilfe heisst das, dass die Individuen ganz auf Eigenarbeit verzichten und statt dessen Sozialhilfe beziehen (vgl. dazu auch den Abschnitt 4.3.4 in diesem Teil über die Wirkung der Sozialhilfe).
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
235
Eine vorzeitige Entschuldung hat also nicht nur Auswirkungen auf die
Schuldner die ohne Schuldenerlass ihren Arbeitseinsatz auf das Existenzminimum reduziert hätten, sondern auch auf diejenigen welche ihre Schulden getilgt
hätten. Für einige dieser Individuen lohnt es sich nun die Schuld nicht mehr zu
tilgen und statt dessen auf den Zeitpunkt der Entschuldung zu warten. Dies ist der
Fall des „cheating“, welcher auch bei sicher zu erwartenden Steueramnestien in
der einschlägigen Literatur bemerkt wird [vgl. z.B. Das-Gupta (1996) oder
Andreoni (1991)]. Für die sechs verwendeten Schuldnergruppen heisst die Einführung einer Restschuldbefreiung, dass die Schuldner der Gruppe IIb (w = 3.2,
v0 = -1.19) es bei einer Restschuldbefreiung in der 5. Periode vorziehen die
Schuld nicht mehr zu tilgen und statt dessen auf die Schuldbefreiung warten. Findet die Restschuldbefreiung in der 7. Periode statt, so gilt dies nur für Individuen
der Gruppe IIb mit einer Cobb-Douglas-Nutzenfunktion. Findet die Restschuldbefreiung in der 10. Periode statt, ändert sich nichts gegenüber dem Referenzszenario ohne Schuldbefreiung.
Auf der „Gewinnerseite“ einer solchen Reform sind eindeutig die verschuldeten Haushalte. Die Chance wieder neu anzufangen hilft viele psychische Probleme, welche oft mit grossen finanziellen Problemen einhergehen, zu mindern
[vgl. dazu auch Huls (1997)]. In der amerikanischen Law&Economics Literatur
wird in diesem Zusammenhang oft erwähnt, dass die Restschuldbefreiung einen
Versicherungscharakter hat. „Discharge provides some protection from the
„regret“ we expierence when impulsive behavior or the flawed decision-making
„heuristics“ that most of us naturally employ cause us to act unwisely with
respect to credit“ [Jackson (1985), 1]. Der Preis für diese Versicherung sind z.B.
höhere Zinsen oder erschwerte Verfügbarkeit von Krediten [vgl. Baird (1993),
Kap. 2].1 Die Versicherungsleistung besteht in diesem Fall aus der Möglichkeit,
dass einem nach erfolgtem Schaden (= Eintreten der Zahlungsunfähigkeit bzw.
Überschuldung) mit Hilfe einer Restschuldbefreiung die Schulden erlassen werden.
1) Mehr zum Versicherungscharakter der Restschuldbefreiung folgt in Abschnitt 5.3.
236
5 Reformvorschläge - Chancen für eine Pareto-Verbesserung?
Die Verlierer sind die Gläubiger, welche unter dem alten Regime noch ihre
Schuld zurückbekommen hätten. Im Falle der Existenz einer Sozialhilfe werden
die Steuerzahler zum einen entlastet, da alle Individuen, auch die sehr hoch verschuldeten, nach der Amnestie neu anfangen können und die Gefahr, dass sie zu
Fürsorgeempfängern werden bzw. bleiben, geringer wird.1 Dieser positive
Effekt, den eine Restschuldbefreiung auf die Arbeitsanreize vor allem sehr hoch
verschuldeter Individuen hat, bildet die Basis für die positive Beurteilung dieses
Prinzips in der wissenschaftlichen Literatur [vgl. z.B. Jackson (1985)]. Auf der
anderen Seite ist für die verschuldeten Haushalte allerdings auch ein verstärkter
Anreiz vorhanden die Zeit bis zur Entschuldung als Fürsorgeempfänger „durchzustehen“, statt selbst an der Entschuldung zu arbeiten.
Offensichtlich ist eine unbedingte Schuldbefreiung mit problematischen Wirkungen für die Gläubiger behaftet. Im neuen deutschen Insolvenzverfahren ist
denn auch die Restschuldbefreiung an einige Bedingungen geknüpft. Zusammen
mit dem Schuldner und den Gläubigern erstellt das Insolvenzgericht einen Schuldenbereinigungsplan. Der Schuldner muss sich verpflichten bis zu 7 Jahre lang
den pfändbaren Teil seines Einkommens an einen Treuhänder abzutreten.2 Auf
diese Weise soll versucht werden genau die Verhaltensmuster zu verhindern, welche das Ergebnis der vorgestellten Simulationsstudien waren. Auch in den USA
hat man einschlägige Erfahrungen gemacht. Seit Inkrafttreten des Bankruptcy
Code 1978, welcher die vereinfachten Schuldbefreiungen nach chapter 7 oder
chapter 13 möglich machte, hatte sich die Zahl der Konsumentenkonkurse innerhalb von sechs Jahren verdoppelt. Aus diesem Anlass wurden 1984 einige Änderungen vorgenommen welche vor allem den Gläubigerschutz verbessern sollten.
Die Schätzungen über den Anteil derjenigen Schuldner welche das System ausnutzen, in der Art, dass sie eine Schuldbefreiung nach chapter 7 in Anspruch nehmen, obwohl sie eigentlich die Schulden zurückbezahlen könnten, gehen weit
auseinander. Sullivan et al. (1989) widersprechen Angaben in Höhe von 20 oder
1) Auf diesen Vorteil, den die Gesellschaft durch eine Restschuldbefreiung hat, weist auch
Huls (1997) hin.
2) Vgl. Forsblad (1997), S. 201ff.
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
237
gar 70% und nennen nach eigenen Schätzungen einen Anteil von 3 bis 9% [Sullivan et al. (1989), S. 220].
Unbestreitbar scheinen flankierende Massnahmen notwendig zu sein, um
Missbrauch und hohe Gläubigerverluste zu verhindern. Dies sind zum Beispiel
die bereits erwähnten Verpflichtungen des Schuldners zu einer Teilrückzahlung,
ohne die ihm eventuell der Schuldbefreiung verwehrt wird.
Es bleiben natürlich noch gewisse Bedenken, ob die Chance auf eine Restschuldbefreiung nicht zu einem fahrlässigeren Umgang mit Verschuldung von
Seiten der Schuldner führen könnte. Das Problem des ex ante moral hazard ist
sicher nicht zu unterschätzen. Die Anreizwirkungen unterschiedlicher Kosten
einer Überschuldung auf die Schuldner wurden bereits ansatzweise in Abschnitt
1.2 von Teil II besprochen. Die Regeln für eine Pfändung bestimmen letztendlich
den Preis einer Verlängerung eines Kredits über die vereinbarte Frist hinaus. Je
lockerer die Bestimmungen, desto billiger ist es eine Schuld nicht fristgerecht
zurückzubezahlen. Dies hat selbstverständlich eine Wirkung auf die freiwillige
Überschuldung wie sie bereits besprochen wurde. Aber auch die unfreiwillige
Überschuldung wird dadurch berührt. Es sinkt der Erwartungsschaden einer
Überschuldung und damit dann auch die Prävention.
Auf der anderen Seite sind eine mehrjährige Pfändungsphase, der Verlust des
Vermögens und des Rufs als kreditwürdiger Kunde ein relativ hohes Abschrekkungspotential. Für Kanada meint Ziegel (1997), dass die gestiegene Anzahl an
Privatkonkursen und Restschuldbefreiungen nicht auf die erleichterten Möglichkeiten diese durchzuführen, zurückzuführen ist. Wie bereits erwähnt verneinen
auch Sullivan et al. (1989) einen hohen Grad an Missbrauch.
Eine Restschuldbefreiung hat vor allem zwei Ziele. Zum einen soll versucht
werden die Arbeitsanreize hoffnungslos Überschuldeter wieder zu erhöhen, um
somit letztendlich auch Kosten in Form von Sozialhilfe für die Gesellschaft zu
vermeiden. Ausserdem ist eine Restschuldbefreiung Bestandteil staatlicher Sozialpolitik. Sie soll Menschen, welche in Not geraten sind, ermöglichen wieder neu
anzufangen.1 Wie jeder Bestandteil des sozialen Netzes, ist auch dieser natürlich
nicht vor Missbrauch gefeit.
238
5 Reformvorschläge - Chancen für eine Pareto-Verbesserung?
Resultat III.11
Eine vorzeitige Entschuldung ohne flankierende Massnahmen hat eher negative Anreizeffekte, zumindest für die Perioden vor der Entschuldung. Die Versuchung, vor allem für
hoch verschuldete Haushalte, sich vor der Entschuldung aus
dem Erwerbsleben mindestens teilweise zurückzuziehen ist
relativ gross. Durch die Auferlegung von Rückzahlungsbedingungen könnten diese negativen Effekte jedoch gemildert
werden.
5.3 Wirkung der Reformvorschläge auf den Kreditmarkt
Rea (1984) bezeichnet die „Strafen“ (= Kosten der Betreibung für den Schuldner), welche den Preis einer Nichtrückzahlung einer Schuld erhöhen, als „arm
breaking“, in Anlehnung an die drakonischen Mittel, welche in früheren Jahren
zur Eintreibung einer Schuld genutzt wurden. Tatsächlich kann aber die
Erschwerung einer Betreibung und eines Pfändungsverfahrens für den Gläubiger
(z.B. durch ein variables Existenzminimum oder eine Restschuldbefreiung) Auswirkungen haben, welche in Richtung des „Arm breaking“ zurückführen. Je
schwerer es für einen Gläubiger wird über das offizielle Verfahren seine Aussenstände wieder zu bekommen, desto eher wird er dazu neigen, dieses Verfahren zu
umgehen. Wenn der erwartete Ertrag des offiziellen Betreibungsverfahrens relativ zu den Kosten sinkt, so lohnt es sich unter Umständen eigene Anstrengungen
zu unternehmen, die Forderungen einzutreiben. Als Beispiel dienen Methoden,
die auf den Effekt der Reputation setzen, wie beispielhaft der Text der Werbebroschüre einer amerikanischen Geldeintreibungsfirma beweist, die säumigen
Schuldnern damit droht, ihren Namen im Internet zu publizieren und ferner die
lokale Presse, Nachbarn, Arbeitgeber, Vermieter, Bank usw. zu informieren.1
1) Vgl. hierzu auch Graver (1997).
1) Internet Seite der Firma A.S.M.A.E (http://www.enforce.to).
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
239
Ein weitere (und viel häufigere) Reaktion von Seiten der Gläubiger ist der
Versuch die Verfügbarkeit von Krediten einzuschränken. Dies betrifft somit nicht
nur die säumigen Schuldner, sondern alle Marktteilnehmer. Gropp et al. (1997)
haben mit Daten des U.S. 1983 Survey of Consumer Finances gezeigt, dass in
Staaten mit relativ lockeren Regeln für eine Entschuldung, die Verfügbarkeit von
Krediten hinsichtlich der Häufigkeit wie auch der Höhe für Haushalte mit geringem Vermögen geringer war als in anderen Staaten. Dieselben Haushalte sahen
sich auch höheren Zinsen beim Autokauf auf Kredit gegenüber.
Wenn für die Kreditgeber das Risiko der Kreditvergabe steigt, so werden
diese das Angebot der Kredite verringern (zum Beispiel durch die Einführung
von Zutrittsbeschränkungen). Baird (1993) bezeichnet diese Kosten der Restschuldbefreiung für die Kreditnachfrager, als den Preis für die Versicherung bei
persönlichem Bankrott nicht den vollen Schaden tragen zu müssen. In der Tat
lässt sich das Ganze mit einer Versicherung vergleichen. Es können sogar Parallelen zu einer Sozialversicherung gezogen werden. Es ist eine Zwangsversicherung, niemand kann freiwillig ex ante auf eine Restschuldbefreiung im Ernstfall
verzichten um dafür geringere Zinsen zu zahlen. Das Grundangebot der Versicherung ist für alle vorgegeben. Ferner ist die Restschuldbefreiung an gewisse
Auflagen gebunden (wie zum Beispiel Teilrückzahlung), was sich mit dem
Selbstbehalt in der Krankenversicherung vergleichen lässt. Schliesslich werden
die Prämien zwischen den Risiken kaum differenziert. Dies allerdings nicht aufgrund staatlicher Vorgaben, sondern weil die guten Risiken (Schuldner die
zurückzahlen werden) und die schlechten Risiken (Schuldner welche nicht zahlen werden) ex ante kaum zu identifizieren sind.
Ist diese Zwangsversicherung Pareto-optimal? Die Alternative wären freiwillige Vereinbarungen zwischen den Schuldnern und den Gläubigern vor
Abschluss des Kreditvertrags. Wird vereinbart, dass im Falle eines finanziellen
Bankrotts des Schuldners eine Restschuldbefreiung zum Tragen kommt, so wird
der Schuldner dies mit einem höheren Kreditzins zu bezahlen haben. Andernfalls
könnte er auf den Abschluss dieser Versicherung verzichten und einen geringeren
Zins zahlen. in diesem Fall muss er dann aber damit rechnen im Schadensfalle so
240
5 Reformvorschläge - Chancen für eine Pareto-Verbesserung?
lange betrieben zu werden, bis er seine Schuld wieder beglichen hat. Ein Grund
für ein System mit „erzwungener Restschuldbefreiung“ könnte die Überzeugung
sein, dass die Menschen auf Abschluss einer freiwilligen Versicherung verzichten, da sie die Gefahren eines finanziellen Bankrotts systematisch falsch einschätzen. Eine derartige paternalistische Einstellung ist allerdings bei den
meisten Ökonomen eher verpönt. Der Übergang zur Bevormundung ist ohne
Zweifel fliessend. Man muss sich vor allem immer bewusst sein, dass vereinfachte Betreibungsverfahren (für den Schuldner) und die Einführung einer Restschuldbefreiung nicht nur die in einem Verfahren direkt betroffenen Parteien
(Schuldner und Gläubiger), sondern alle auf dem Markt tätigen Akteure betreffen.
Dennoch, die Erhöhung des Kreditrisikos für die Gläubiger (z.B. durch die
Einführung einer Restschuldbefreiung) ist nicht von vorneherein ineffizient. Der
status quo zeichnet sich heute zum Teil dadurch aus, dass vor allem Banken ein
eher geringes Kreditausfallrisiko haben und somit ohne allzu tiefgehende Überprüfung der finanziellen Verhältnisse eines Kunden manchmal leichtfertig Kredite vergeben. Der Grund hierfür liegt in den Sanktionsmöglichkeiten welche
eine Bank besitzt. Wird eine Kreditrate nicht fristgerecht bezahlt, so wird dem
Schuldner damit gedroht den gesamten Kredit zu kündigen, was in der Regel
dazu führt, dass dieser vor allem seinen Kredit bedient und statt dessen andere
Verbindlichkeiten zurückstellt. Das Kreditausfallrisiko wird vor allem auf die
sog. unfreiwilligen Gläubiger übertragen, welche keine Sanktionsmöglichkeiten
besitzen wie zum Beispiel die Steuerämter (vgl. dazu auch die Ergebnisse der
Datenerhebung in Abschnitt 3.5 von Teil I). Die Kosten der Prävention sind für
diese Gläubiger höher als für die „freiwilligen“ Gläubiger. Eine Bevorzugung der
unfreiwilligen Gläubiger1, würde zu einer Rückverlagerung des Kreditrisikos an
die freiwilligen Gläubiger führen, welche darauf mit erhöhter Screeningtätigkeit
reagieren müssten. Da diese geringere Präventionskosten als die „unfreiwilligen
Gläubiger“ haben, wäre diese Rückverlagerung des Risikos durchaus effizient.
Der positive Präventionseffekt wäre dann, dass so mancher Kredit an Kunden,
1) Zum Beispiel durch Einberechnung der Steuerzahlungen in das Existenzminimum wie
das bereits mit den Beiträgen für die Krankenkasse geschieht.
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
241
welche Schwierigkeiten im Umgang mit ihren Finanzmitteln haben, nicht mehr
genehmigt würde.
Resultat III.12
Die Reform des Betreibungsverfahrens hätte nicht nur auf
das Verhalten der Schuldner während der Betreibung einen
Effekt, sondern auch auf das Verhalten hinsichtlich der Prävention gegen Überschuldung. Je geringer die Kosten einer
Betreibung, desto eher wird ein Individuum bereit sein das
Eintreten der Zahlungsunfähigkeit und/oder der Überschuldung zu riskieren. Auch das Verhalten der Kreditgeber wird
beeinflusst. Eine Erhöhung des Risikos einen Teil des Kredits
nicht zurückzubekommen, führt zu einer Verteuerung der
Kredite oder zu einer erschwerten Verfügbarkeit. Auf der
anderen Seite kann die positive Folge ein verbessertes Screening seitens der Kreditgeber sein, so dass vor allem die Individuen, welche Schwierigkeiten im Umgang mit Geld haben,
möglicherweise vor der Überschuldung bewahrt werden.
Abschliessend sind die Gewinner und Verlierer der vorgestellten Reformen
schematisch in Tabelle III.16 eingetragen. Als teilnehmende Parteien werden nur
die Schuldner der sechs verwendeten Schuldnergruppen, ihre Gläubiger sowie
die „sonstigen Kreditnachfrager“ verwendet.1 Die Gewinner der beiden Reformideen sind eindeutig die Schuldner, während die Gläubiger und die sonstigen
Kreditnachfrager Nutzeneinbussen in Kauf nehmen müssen. Die Steuerzahler
sind im Rahmen der simulierten Schuldnergruppen nicht von den Reformen
1) Die sechs verwendeten Schuldnergruppen bilden nur einen Ausschnitt aus der Grundgesamtheit der Schuldner. Einige Vorteile der Reformvorschläge, z.B. des variablen Existenzminimums, treten erst bei sehr hoch verschuldeten und gleichzeitig relativ gut
verdienenden Personen zu Tage (vgl. z.B. die maximal akzeptierte Schuld in Abschnitt
5.1.2, Tabelle III.10). Diese Personen existieren, wurden aber bei den Simulationen nicht
berücksichtigt, da ihre Zahl eher gering ist.
242
5 Reformvorschläge - Chancen für eine Pareto-Verbesserung?
betroffen. Die verwendeten Schuldergruppen repräsentieren die Schuldner im
0.25er, 05er und 0.75 Quartil der Einkommensverteilung der von Meier et al.
(1999) durchgeführten Datenerhebung. Werden auch Schuldner mit höheren Einkommen und vor allem Schuldhöhe mit in die Analyse einbezogen, so ergeben
sich auch für deren Gläubiger und auch die Steuerzahler die bereits erwähnten
Vorteile.
Tabelle III.16 Verlierer und Gewinner der Reformvorschläge im Rahmen
der Simulationen
Einführung eines
variables
Existenzminimums
(Pfändungssatz 0.7)
Einführung einer
Restschuldbefreiung
(Schuldbefreiung in
der 7. Periode)
Gewinner
Verlierer
Schuldner
Gläubiger
Sonstige,
nicht verschuldete
Kreditnachfrager
Schuldner
Gläubiger der
Schuldnergruppe IIb (nur
Cobb-Douglasfunktion)
Sonstige,
nicht verschuldete
Kreditnachfrager
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
243
6 Empirische Evidenz
Ein Ziel der vorliegenden Untersuchung war es herauszufinden, unter welchen
Bedingungen ein Individuum seine Schulden abbaut oder nicht. Mit Hilfe von
Simulationen liessen sich in den vorangegangenen Abschnitten einige Ergebnisse
herleiten, welche nun empirisch überprüft werden müssten. Leider ist die ökonomische Forschung in diesem Bereich noch nicht sehr weit gekommen. Die
Rechtswissenschaftler sind zwar sehr interessiert an diesem Gebiet, allerdings
fehlt ihnen oft das ökonometrische Rüstzeug für fundierte Untersuchungen. Zu
erwähnen ist eine Studie aus den USA von Sullivan et al. (1989, 1991), welche
im folgenden Abschnitt vorgestellt wird. Im Anschluss daran werden im zweiten
Abschnitt die Versuche präsentiert, welche ich unternommen habe mit den zu
Verfügung stehenden Daten die theoretischen Aussagen zu belegen (oder zu
widerlegen).
6.1 Die Studie von Sullivan et al. (1989, 1994)
Empirische Studien bezüglich individuellen Verhaltens bei Lohnpfändungen
konnte ich keine ausfindig machen. Dies ist allerdings nicht allzu erstaunlich, da
es offensichtlich auch an der theoretischen Fundierung fehlt (vgl. Abschnitt 1.1
in diesem Teil). Etwas besser sieht die Situation hinsichtlich des Reformvorschlags „Restschuldbefreiung“ aus. Bei der Restschuldbefreiung stehen zwei
Problempunkte im Vordergrund. Zum einen die Frage, ob eine Restschuldbefreiung dazu führt, dass Schuldner, die ohne diese Restschuldbefreiung ihre Schulden getilgt hätten, dieses nun unterlassen, in der Hoffnung sie durch die
„Amnestie“ los zu werden. Im Rahmen der Computersimulationen musste diese
Frage mit „Ja“ beantwortet werden (vgl. Abschnitt 5.2). Die zweite Frage
beschäftigt sich mit dem Problem des ex ante moral hazard. Führt eine Restschuldbefreiung zu einem fahrlässigeren Umgang mit Verschuldung? Die Gründe
die zur Überschuldung führen wurden bereits in Teil II dieser Arbeit abgehandelt.
Ohne Zweifel sind die Kosten einer Überschuldung von Bedeutung für die Prävention. In den USA hatte sich nach Inkrafttreten des Bankruptcy Code 1978 die
244
6 Empirische Evidenz
Zahl der Konsumentenkonkurse innerhalb weniger Jahre verdoppelt, was 1984
schliesslich zur Einführung einiger Änderungen zu Gunsten der Gläubiger führte
[vgl. Forsblad (1997), 130].
Sullivan et al (1989, 1994) gehen der Frage des Missbrauchs der Restschuldbefreiung nach. Mit Missbrauch ist in diesem Fall gemeint, dass Schuldner sich
für Bankrott erklären und in den Genuss der Restschuldbefreiung kommen,
obwohl sie eigentlich ihre Schulden hätten tilgen könnten. Sullivan et al haben in
den 80er Jahren Daten von 2’400 Schuldner gesammelt, welche Konkurs nach
chapter 7 oder chapter 13 angemeldet hatten (Sullivan et al. 1989). Anfang der
90er Jahre wurden dann diese Daten aktualisiert und mit den 10 Jahre älteren verglichen (Sullivan et al., 1994). Die Frage des Missbrauchs gehen Sullivan et al.
wie folgt an: Die Annahme ist, dass Schuldner welche eigentlich ihre Schuld per
Verkauf ihrer Vermögensbestandteile hätten tilgen können, aber statt dessen
Bankrott nach chapter 13 (Nichtpfändung des Vermögens, sondern Teilrückzahlungsplan) anmelden, das System missbrauchen. Es wird getestet, ob das Schulden/Einkommensverhältnis zwischen Bankrotteuren nach chapter 7 bzw. chapter
13 signifikant unterschiedlich ist. Wird das System missbraucht, so ist das Schulden/Einkommensverhältnis unter den chapter 13 Schuldnern kleiner als unter den
chapter 7 Schuldnern. In einem zweiten Test werden die Schulden/Einkommensverhältnisse von Bankrotteuren in Staaten verglichen, welche unterschiedlich
strenge Regeln für den Bankrott haben. Die These lautet, dass in den Staaten mit
eher legeren Regeln mehr Schuldner zu finden sind, die ihre Schulden eigentlich
tilgen könnten, das Schulden/Einkommensverhältnis also geringer ist.
Sullivan et al. können keine dieser Thesen bestätigen. Es gibt keinen signifikanten Unterschied im Schulden/Einkommensverhältnis zwischen den chapter 7
und chapter 13 Schuldnern. Auch zwischen den Staaten mit legeren und denen
mit strengen Regeln für eine Bankrotterklärung, gibt es keinen signifikanten
Unterschied in den Schulden/Einkommensverhältnissen. Ob ein Schuldner Bankrott nach chapter 7 oder chapter 13 erklärt, hat laut Sullivan et al. keine ökonomischen Gründe. Sullivan et al. sprechen den ökonomischen Modellen
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
245
Erklärungsgehalt ab, da diese von rational optimierenden Individuen ausgehen,
was die Schuldner in der Mehrzahl eben nicht seien.
Die Studie von Sullivan et al. enthält allerdings einige Schwächen, welche
von Shuchman (1990) aufgedeckt werden. Zum einen haben Sullivan et al. bei
ihrem Vergleich zwischen den Staaten nur auf die Unterschiede in den Bedingungen für Vermögenspfändungen geachtet. Einige wichtige Unterschiede, wie zum
Beispiel die Existenz oder Nichtexistenz von Lohnpfändungen, wurden nicht
beachtet. Schwerwiegender ist allerdings das Fehlen einer detaillierteren Analyse
unter welchen Bedingungen ein Individuum überhaupt einen Antrag auf Restschuldbefreiung, also Bankrott nach chapter 7 oder chapter 13 anmeldet. Aber
genau dies ist natürlich die Frage des ex post moral hazard. Zahlt ein Individuum
seine Schulden zurück oder versucht es per Bankrotterklärung einen Teil der
Schulden los zu werden? Diese Frage konnte bisher leider nicht beantwortet werden.
Resultat III.13
Empirische Untersuchungen bezüglich des Verhaltens von
Schuldnern welche von einem Betreibungsverfahren betroffen sind, gibt es nur wenige. In den USA haben Sullivan et al.
(1989, 1994) überprüft, ob die dortigen Regeln der Restschuldbefreiung dazu führen, dass das System ausgenutzt
wird. Sullivan et al. konnten dies nicht bestätigen.
6.2 Eigene empirische Untersuchungen
Im Rahmen der Datenerhebung auf den schweizerischen Betreibungs- und Konkursämtern konnte nur eine Querschnittsanalyse durchgeführt werden. Um das
Verhalten der Schuldner in einer Lohnpfändung empirisch zu überprüfen hätte es
246
6 Empirische Evidenz
eine Zeitreihenanalyse gebraucht.1 Letztere konnte in dem kurzen Zeitrahmen
leider nicht durchgeführt werden.
Was bleibt ist der Versuch mit den vorhandenen Daten die Theorie der
Abschnitte 3 bis 5 zu überprüfen. Wie bereits erwähnt, sagten 16% der Befragten
aus, sie hätten die Erwartung nie wieder schuldenfrei zu sein (vgl. Abschnitt 3,
Teil I). Es ist verständlich, dass eine solche Erwartung dazu führen kann, dass ein
Schuldner keinen grossen Anreiz mehr hat zu arbeiten um seine Schulden abzubauen. Die Gefahr ist, dass er „sich hängen lässt“ und noch weiter in die Verschuldung abrutscht. Es ist an dieser Stelle eine klare Unterscheidung zu machen
zwischen einem Individuum, dass sich z.B. ein Haus baut und nun vor der Erwartung steht dieses Haus für 10 - 20 Jahre abzubezahlen und einem Individuum,
dass sich Stück für Stück immer weiter verschuldet hat, aber dennoch keinen
Besitz aufweist und vor der Erwartung steht die nächsten Jahrzehnte möglicherweise bis an sein Lebensende verschuldet zu sein. Die interviewten Schuldner
gehören eher zu der letzteren Gruppe. Vermögensgegenstände sind nicht in
wesentlichem Umfang vorhanden (vgl. Abschnitt 3).
Die interessante Frage ist nun, welche Variablen ein Individuum zu der Aussage bringen, es würde nie wieder schuldenfrei sein. Unter der Annahme, aus
einer solchen Aussage folge eine Nichttilgung der Schuld, könnten eventuell
einige Aussagen der Simulationsrechnungen überprüft werden.
Es stehen zwei mögliche Wege zur Verfügung dieses Problem empirisch zu überprüfen.
• Probit-Modell in Verbindung mit einer OLS-Schätzung
Die erste Möglichkeit beinhaltet zwei getrennte Schätzungen. Der Ansatzpunkt ist die Frage, unter welchen Bedingungen ein Individuum aussagt es
werde nie wieder schuldenfrei bzw. es werde in endlicher Zeit schuldenfrei. In
diesem Fall hat die abhängige Variable zwei Ausprägungen. Die Variable
PROB ist gleich 1, wenn die Individuen aussagen sie werden nie wieder
schuldenfrei sein und 0, wenn sie einen endlichen Zeitraum angeben. Das
1) Vgl. zur Datenerhebung Abschnitt 3 in Teil I dieser Arbeit sowie Meier et al. (1999).
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
247
adäquate Schätzmodell ist damit ein sog. Probit-Modell. Es wird die Wahrscheinlichkeit geschätzt, dass ein Individuum aussagt es werde nie wieder
schuldenfrei sein. In einem zweiten Schritt wird dann klassisches OLSModell benutzt um für die Individuen, welche aussagten sie werden in endlicher Zeit schuldenfrei sein, die Einflüsse auf den angegebenen Zeitraum zu
schätzen. Die abhängige Variable ist in diesem Fall die ausgesagte Dauer der
Verschuldung (DAUER).
• Tobit-Modell
Die zweite Möglichkeit der empirischen Überprüfung ist die Verwendung
eines sog. Tobit-Modells [vgl. hierzu auch Kennedy (1994), 238ff und Pindyck und Rubinfeld (1991), 275ff]. Das Tobit-Modell (auch censored regression model genannt) wird definiert durch die folgende Gleichung:
y i∗ = α + β ⋅ x i∗ + ε i∗
mit
(III.114)
y = y i∗ wenn y i∗ > 0
y = 0 wenn y ∗ ≤ 0.
i
Die abhängige Variable y wird gleich Null gesetzt, wenn ihre Ausprägung
einen gesetzten Grenzwert unter- oder überschreitet [im Beispiel der Gleichung (III.114) ist die Variable nach unten durch den Wert 0 beschränkt].
Andernfalls entspricht der Wert der Variablen der tatsächlichen Ausprägung.
Im vorliegenden Fall muss dazu die abhängige Variable DAUER so transformiert werden, dass ihr Wert mit der Länge der ausgesagten Tilgungszeit sinkt
und bei der Aussage, dass man nie wieder schuldenfrei sein würde, schliesslich Null ist. Dazu wird der Kehrbruch von DAUER gebildet (= Variable
DAUERK). Der Zahlencode für die Aussage „Nie wieder schuldenfrei“ ist 99.
Unterschreitet DAUERK den Wert 0.0102 (= Kehrbruch von 98), so nimmt
sie den Wert 0 an.
248
6 Empirische Evidenz
Die bei den Schätzungen verwendeten, erklärenden Variablen sind die folgenden:
• Schuldenhöhe (SCHULD)
Für diese Variable kann ein positives Vorzeichen erwartet werden. Je höher
die Verschuldung, desto eher wird ein Haushalt dazu neigen sich aufzugeben
bzw. braucht eine längere Zeit die Schulden zu tilgen, so lautete das Ergebnis
der Simulationsrechnungen (vgl. Abschnitt 4.3.2, Teil III).
• Haushaltseinkommen (EINKOM)
Ein stabiles und hohes Einkommen verbessert die Möglichkeiten die Schulden zu tilgen. Es kann ein negatives Vorzeichen erwartet werden (vgl. die
Unterschiede im Tilgungsverhalten der drei simulierten Lohngruppen in
Abschnitt 4, Teil III).
• Existenzminimum (M)
Im Rahmen der Simulationen hatte die Erhöhung des betreibungsrechtlichen
Existenzminimums einen verringerten Schuldenabbau zur Folge (vgl.
Abschnitt 4.3.3, Teil III). Es wäre somit ein positives Vorzeichen zu erwarten.
• Zu erwartende Tilgungsdauer (Ds)
Diese Variable kann anstatt der drei Variablen Schulden, Einkommen und
Existenzminimum eingesetzt werden. Sie entspricht in diesem Fall dem Ds,
welches in den Simulationen verwendet wurde.1 Eine hohe zu erwartende Tilgungsdauer sollte zu einer höheren Wahrscheinlichkeit der Aussage „Nie
mehr schuldenfrei“ führen bzw. zu einer längeren erwarteten Tilgungsphase.
• Verhältnis Schulden zu Einkommen (SCH/EINK)
Auch diese Variable wurde in den Simulationen verwendet (vgl. Abschnitt 4,
Teil III.). Sie ersetzt ebenfalls die drei Variablen Schulden, Einkommen und
Existenzminimum. Je höher das Verhältnis Schulden zu Einkommen, desto
eher wird ein Individuum die Erwartung äussern nie wieder schuldenfrei zu
sein.
–v 0
1) D s = ------------- , vgl. hierzu auch Abschnitt 4, Teil III.
y–m
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
249
• Geschlecht (SEX)
Diese Variable ist eine Dummyvariable mit der Ausprägung 0 für Frauen und
1 für Männer. Das Vorzeichen ist ungewiss.
• Nationalität (AUSL)
Auch diese Variable ist eine Dummyvariable mit der Ausprägung 1 für Ausländer und 0 für Schweizer. Das Vorzeichen ist ebenfalls ungewiss.
• Alter (ALTER)
Ein Vorzeichen kann nicht prognostiziert werden.
• Einschätzung der persönlichen Situation (EINSCHÄTZ)
Die Variable gibt an, wie eine interviewte Person ihre eigene Situation einschätzt. Die Ausprägungen der Variable reichen von 1 für „Hervorragend“ bis
7 für „Sehr schlecht“. Auch hier ist die Erwartung ambivalent. Zum einen
kann eine positive Einschätzung der eigenen Situation zu der erwähnten
Bequemlichkeit führen, zum anderen könnte sie ein Zeichen dafür sein, dass
das Individuum bereit ist sich weiter anstrengt die Schulden loszuwerden.
• Wunscheinkommen (GENUG)
Die interviewten Personen konnten angeben, welches Einkommen es bedürfe
damit sie sich „Hervorragend“, „Sehr gut“ usw. fühlen. Als Variable wurden
die Einkommen genommen, welche es für „Genügend“ gehalten werden. Ein
hoher Wert heisst in diesem Fall, dass das Individuum relativ anspruchsvoll
ist und somit auch relativ viel finanzielle Mittel benötigt, um sich „Genügend“ zu fühlen. Eine Erwartung für das Vorzeichen zu formulieren gestaltet
sich auch hier schwierig. Hohe Ansprüche können dazu führen, dass eine Person versucht einen Lebensstandard zu erreichen, den sie sich eigentlich nicht
leisten kann. Die Folge wäre unter Umständen eine steigende Verschuldung
und somit natürlich auch die Erwartung einer längeren Rückzahlungsdauer.
Andererseits bietet ein hohes Anspruchsdenken auch ein Ziel welches den
Betroffenen dazu anhält die aktuelle Situation zu verändern, die Schulden also
zu beseitigen.
250
6 Empirische Evidenz
• Anzahl Kinder (KINDER)
Auch bei dieser Variable fällt eine Vorhersage schwer. Auf der einen Seite
bedeuten Kinder eine erhöhte finanzielle Belastung und senken somit den
Spielraum für eine Schuldtilgung. Auf der anderen Seite bedeuten Kinder eine
höhere Verantwortung für die verschuldete Person, was dazu führen könnte,
dass diese sich selbst nicht so schnell aufgibt.
• Zivilstand (ZIVIL)
Für die Variable Zivilstand, mit den Ausprägungen 1 für Verheiratet und 0 für
alles andere, ergibt sich dieselbe Interpretation wie für die Kinder.
• Arbeitslosigkeit (AL)
Diese Variable nimmt den Wert 1 an, sofern eine Person arbeitslos ist und den
Wert 0, wenn dieses nicht zutrifft. Ein Arbeitsloser wird höchstwahrscheinlich
von vornherein weniger Hoffnungen haben seine Schulden beseitigen zu können als andere. Es wäre somit ein positives Vorzeichen zu erwarten.
Die Ergebnisse der Probit-Schätzung sind eher ernüchternd. Keine der erklärenden Variablen hat einen signifikanten Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit ob
eine Person aussagt sie würde in endlicher Zeit schuldenfrei oder nicht. Es spielt
hierbei keine Rolle ob die geschätzte Tilgungszeit, das Verhältnis Schulden zu
Einkommen oder die getrennten Variablen Schulden, Einkommen und Existenzminimum benutzt werden.
In der zweiten Schätzreihe, welche auf einem normalen OLS-Modell basiert,
sind die Ergebnisse etwas besser. Die abhängige Variable ist in diesem Fall die
Anzahl an Jahren, welche die Schuldner als die Zeit angeben, die es voraussichtlich dauern wird, bis sie wieder schuldenfrei sind. Die Aussagen der Personen
welche glauben nie wieder schuldenfrei zu sein, werden bei dieser Schätzung
nicht berücksichtigt. Geschätzt wurden vier Modelle. Eines mit der Variable Ds
für die geschätzte Tilgungsdauer. Ein zweites mit der Variable Schulden zu Einkommen SCH/EINK. Ein drittes mit den drei getrennten Variablen Schulden
(SCHULD), Einkommen (EINKOM) und Existenzminimum (M). In einem vierten Modell wurden schliesslich die drei Variablen SCHULD, EINKOM und M
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
251
verwendet, gleichzeitig wurde die Variable KINDER gegen ZIVIL ausgetauscht.
Die Ergebnisse der Schätzungen sind in Tabelle III.17 wiedergegeben.
Die Variable Ds ist nicht signifikant. Die Variable SCH/EINK ist allerdings
hoch signifikant, was wohl vor allem auf den Einfluss der Schuldenhöhe
(SCHULD) zurückzuführen ist (vgl. Modell 3). Je höher die Schulden, desto
grösser ist die Zeitspanne, innerhalb derer die interviewten Personen erwarten
wieder schuldenfrei zu werden. Schliesslich sind die Variablen KINDER als auch
ZIVIL signifikant in ihrem Einfluss. Allerdings ergibt sich bei Verwendung der
Variablen KINDER anstatt ZIVIL das bessere R2. Die Personen, welche Kinder
zu versorgen haben oder/und verheiratet sind, geben also eine geringere Zeitspanne an, innerhalb derer sie ihre Schulden tilgen werden.
Schliesslich wurde noch das Tobit-Modell geschätzt. Bei der Tobit-Schätzung
ergaben sich allerdings ebenfalls keine signifikanten Werte.
Resultat III.14
Die Ergebnisse der theoretischen Modelle und der Computersimulationen können mit den zur Verfügung stehenden
Daten kaum bestätigt werden. Nötig wäre eine Zeitreihenanalyse.
252
6 Empirische Evidenz
Tabelle III.17 OLS-Schätzung für die ausgesagte Tilgungszeit
Variable
1. Modell
2. Modell
0.97
(0.61)
0.78
(0.71)
- 0.07
(- 0.06)
- 1.72
(- 1.56)
ALTER
- 0.075
(- 1.49)
- 0.03
(- 0.82)
- 0.04
(- 1.09)
AUSL
- 1.25
(- 0.99)
0.14
(0.15)
- 0.52
(- 0.55)
- 0.09*
(- 2.3)
- 0.19
(- 0.19)
2.41**
(3.08)
-
1.73**
(3.08)
-
2.11**
(3.33)
-
AL
0.76
(0.43)
0.53
(0.42)
0.74
(0.56)
- 2.91**
(- 2.52)
1.44
(1.05)
EINSCHÄTZ
0.95
(1.86)
0.55
(1.48)
0.56
(1.47)
0.45
(1.12)
- 0.0004
(- 0.67)
- 0.0002
(- 0.48)
- 0.18
(- 0.4)
0.00009
(0.18)
0.03
(1.78)
-
-
-
-
-
-
-
0.33***
(6.77)
-
-
-
0.00008***
(6.67)
- 0.0006
(- 1.95)
0.0001***
(7.38)
- 0.0006
(- 1.96)
-
-
0.0005
(0.75)
R2
0.39
0.69
0.71
0.002**
(3.19)
0.68
korr. R2
0.29
0.63
0.64
0.61
SEX
KINDER
ZIVIL
GENUG
Ds
SCH/EINK
SCHULD
EINKOM
M
* Signifikant auf dem 95% Signifikanzniveau
** Signifikant auf dem 99% Signifikanzniveau
***
Signifikant auf dem 99.9% Signifikanzniveau
3. Modell
4. Modell
-
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
253
7 Schlussfolgerungen zu Teil III
Teil III dieser Arbeit ist überschrieben mit dem Titel „Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung“. Nachdem in Teil II der Weg in die
Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung genauer untersucht wurde, war das
Ziel der Analyse nun das Verhalten nachdem die Überschuldung eingetreten ist.
Die Folge ist, vereinfachend angenommen, eine Betreibung. Bei der Betreibung
versucht der Gläubiger mit Hilfe hoheitlicher Unterstützung seine Aussenstände
einzutreiben. Bei Schuldnern welche „nur“ zahlungsunfähig sind kann dies mit
Hilfe einer Vermögenspfändung geschehen. In der Schweiz ist die Vermögenspfändung allerdings kaum noch von Bedeutung. Die meisten Schuldner sind
nicht nur zahlungsunfähig, sie sind auch überschuldet; es ist also kein Vermögen
mehr vorhanden. In diesen Fällen besteht die Chance des Gläubigers seine Forderung erfüllt zu bekommen in der Lohnpfändung. Bei der Lohnpfändung wird der
Teil des Einkommens des Schuldners gepfändet, welcher das sog. betreibungsrechtliche Existenzminimum übersteigt.1
Die theoretische Analyse in diesem Teil der Arbeit war dem Verhalten der
Schuldner während der Lohnpfändung gewidmet. Die Vermögenspfändung ist in
diesem Teil der Arbeit nicht beachtet worden. Die theoretische Analyse erfolgte
in drei Schritten. In einem ersten Schritt wurde mittels eines einfachen Einperioden-Modells mit den Argumenten Konsum und Freizeit, die grundsätzliche
Wirkung einer Lohnpfändung gezeigt. Die herrschende Praxis alles Einkommen
jenseits des betreibungsrechtlichen Existenzminimums zu pfänden, hat dieselbe
Wirkung wie eine Steuer mit Freibetrag und einem Grenzsteuersatz von 100%.
Das Individuum wird in der Regel darauf verzichten mehr als das Existenzminimum zu erarbeiten. Der Pfändungserfolg ist gleich Null.
Dieses extreme Ergebnis relativiert sich natürlich, sobald eine zweite Periode
eingeführt wird. Gelingt es dem Individuum innerhalb der ersten Periode die
Schuld zu tilgen, so ist es in der zweiten Periode schuldenfrei und unterliegt auch
keiner Lohnpfändung mehr. Es kann wieder voll über sein Einkommen verfügen.
1) Vgl. auch Abschnitt 2 von Teil I.
254
7 Schlussfolgerungen zu Teil III
Der Trade-off ist also die Aufgabe von Freizeit heute gegen Konsum morgen.
Wird das betreibungsrechtliche Existenzminimum erhöht, so sinkt der Nutzen
einer Schuldtilgung, da der Schaden durch die Lohnpfändung und den dadurch
eingeschränkten Konsum kleiner wird. Bis zu einem gewissen Grad wird das
Individuum sein Arbeitsangebot mit steigendem Existenzminimum steigern um
nach wie vor die Schuld innerhalb der ersten Periode tilgen zu können. Irgendwann aber ist das betreibungsrechtliche Existenzminimum so gross, dass sich die
Mehrarbeit nicht mehr lohnt. Das Individuum wird die Schuldtilgung aufgeben
und nur noch das Existenzminimum erarbeiten.
In einem dritten Schritt wird das Zweiperioden-Modell auf eine beliebige
Anzahl von Perioden erweitert und dynamisiert. Mit Hilfe der Theorie der optimalen Kontrolle lassen sich die Optimierungspfade analysieren. Über die Bedingungen, wann eine Schuld getilgt wird und wann nicht, lassen sich aber keine
detaillierten Aussagen machen. Liegt das betreibungsrechtliche Existenzminimum so hoch, dass es das Einkommen welches ein Individuum in Absenz einer
Betreibung zu erzielen wünscht übersteigt, so wird in der Regel ein Schuldenabbau nicht erfolgen. Ein Individuum, welches es vorzieht die Schuld nicht zu tilgen, wird über den gesamten Zeitraum hinweg nie mehr als das
betreibungsrechtliche Existenzminimum erarbeiten.
Durch Computersimulationen lassen sich die theoretischen Ergebnisse deutlicher aufzeigen. Es wurden sechs verschiedene Schuldnergruppen simuliert, deren
Schuld/Einkommensverhältnisse den Ergebnissen der Datenerhebung angepasst
wurden.1 Je geringer der Lohnsatz eines Individuums, desto eher wird es dazu
neigen seine Schulden nicht abzubauen, sondern statt dessen nur noch das Existenzminimum zu erarbeiten. Der mögliche Konsumgewinn, den es durch Tilgung der Schuld und die Beendigung der Lohnpfändung erreichen könnte, ist zu
gering um das Individuum für den Verlust an Freizeit zu entschädigen. Wird das
Existenzminimum gesteigert, so ist eine Erhöhung des Arbeitsangebotes nur in
wenigen Fällen zu beobachten. Wie auch im Zweiperioden-Modell gibt es einen
1) Zur Datenerhebung vgl. Meier et al. (1999) sowie Abschnitt 3 in Teil I dieser Arbeit.
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
255
Punkt, an dem das Individuum schliesslich mit Schuldtilgung aufhört und sich
statt dessen mit dem Existenzminimum zufrieden gibt.
Alle Modelle basieren auf der Annahme, die Individuen würden sich das Existenzminimum selbst erarbeiten. In der Realität sieht dies anders aus. Es existiert
eine staatliche Sozialhilfe, welche zur Zeit in der Schweiz sogar geringfügig
höher ist als das betreibungsrechtliche Existenzminimum. Mit Existenz einer
staatlichen Sozialhilfe werden natürlich die Individuen, welche auf eine Schuldtilgung verzichten und mit dem Existenzminimum „zufrieden“ sind, dieses nicht
mehr selbst erarbeiten, sondern die Arbeit ganz sein lassen und von der staatlichen Fürsorge leben. Auch für diejenigen, welche bei Absenz einer staatlichen
Sozialhilfe noch bereit waren die Schulden abzubauen, wird die Option „Nichttilgung“ attraktiver.
In Abschnitt 5 wurden schliesslich zwei Reformvorschläge für das schweizerische Betreibungsrecht vorgestellt. Der erste sieht eine Flexibilisierung des
betreibungsrechtlichen Existenzminimums vor. Statt wie bisher 100% des Einkommens jenseits des Existenzminimums zu pfänden, sollte jenseits eines Freibetrags ein Pfändungssatz von weniger als 1 angewandt werden. Die
theoretischen Ergebnisse erlauben den Schluss, dass ein variables Existenzminimum dazu führen könnte, dass manche Individuen Mehrarbeit leisten, obwohl
die Schuld nicht innerhalb des Optimierungszeitraums getilgt wird. In diesem
Fall erhält zum einen der Gläubiger immerhin einen Teil seiner Forderung zurück
und die Staatskasse bzw. die Steuerzahler werden durch die gesparte Sozialhilfe
entlastet. Die Ergebnisse der Computersimulationen bestätigen diese Ergebnisse
jedoch nicht. Nimmt man die sechs in den Simulationen verwendeten Schuldnergruppen als Referenz, so muss gesagt werden, dass die Gläubiger durch die Einführung eines variablen Existenzminimums in erster Linie Verluste zu erleiden
hätten. Erst bei einer Absenkung des Pfändungssatzes auf 0.1 hätten die Gläubiger der „ärmsten“ Schuldner einen Vorteil, da diese dann immerhin einen Teil
ihrer Schuld abtragen, im Gegensatz zu einem System mit einem Pfändungssatz
in Höhe von 1. Auch die Steuerzahler hätten nur dann einen Vorteil, wenn der
Pfändungssatz bis auf 0.1 abgesenkt würde. Erst bei diesem Wert fangen die bei-
256
7 Schlussfolgerungen zu Teil III
den „ärmsten“ Schuldner an zu arbeiten, statt wie bisher nur das Existenzminimum zu erwirtschaften. Eine Absenkung des Pfändungssatzes bis auf 0.1
erscheint aber kaum durchsetzbar. Eine Absenkung des Freibetrags als Kompensation für den verringerten Pfändungssatz ist aus sozialen Gründen nicht in nennenswertem Umfang möglich.
Tatsächlich besteht die Gruppe der Schuldner aber nicht nur aus den sechs in
den Simulationen verwendeten Gruppen. Vor allem im Bereich der sehr hoch
Verschuldeten kann ein variables Existenzminimum dazu führen, dass Individuen, für die es sich bisher nicht gelohnt hat zu arbeiten, nun anfangen wieder
einen Job zu suchen, da sie immerhin einen Teil des Mehreinkommens behalten
können. Zaborowski und Zweifel (1998) haben ein Modell mit Individuen simuliert welche höhere Lohnsätze und höhere Schulden besitzen als diejenigen des in
dieser Arbeit vorgestellten Modells. Bei diesen Simulationen war das Ergebnis
hinsichtlich einer Absenkung des Pfändungsbetrages auch optimistischer als das
hier vorliegende. Eine absolute Paretoverbesserung ist durch Einführung eines
variablen Existenzminimums nicht möglich. Ob eine potentielle Paretoverbesserung erfolgen kann, müsste noch mittels einer Wohlfahrtsanalyse genauer überprüft werden.
Der zweite Reformvorschlag beinhaltet eine Restschuldbefreiung wie sie
bereits in vielen Ländern, allen voran den USA, üblich ist. Eine bedingungslose
Restschuldbefreiung führt dazu, dass Individuen, welche bisher ihre Schulden
tilgten, unter Umständen nun darauf verzichten um statt dessen auf die Schuldbefreiung zu warten. Je früher diese Schuldbefreiung durchgeführt wird, desto grösser sind die Anreize die Schulden nicht mehr aus eigener Kraft abzubauen. Eine
Schuldbefreiung, die an Bedingungen, wie zum Beispiel Teilrückzahlung, gebunden ist, hat aber durchaus Vorteile. Diese Vorteile sind vor allem auf der Seite der
Steuerzahler zu finden. Individuen, denen durch die Restschuldbefreiung ein
„fresh start“ ermöglicht wird, haben grosse Anreize ihr Leben wieder selbst in
die Hand zu nehmen, anstatt von der Sozialhilfe abhängig zu sein. Ohne Zweifel
existiert aber auch das Problem des ex ante moral hazard, in der Form, dass eine
Schuldbefreiung die Kosten der Überschuldung für den Schuldner senkt und
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
257
somit möglicherweise die Prävention gar nicht erst in die Überschuldung zu
kommen, vernachlässigt wird.
Es ist schliesslich noch zu bedenken, dass Reformen des Betreibungsrechts
nicht nur das ex post, sondern auch das ex ante Verhalten der Schuldner und auch
das Gläubigerverhalten beeinflussen. Je grösser das Risiko für Kreditgeber unter
Umständen nichts oder nur einen Teil der Forderungen zu erhalten, desto höher
werden sie den Preis für einen Kredit ansetzen oder die Verfügbarkeit einschränken. Diese Massnahmen treffen aber dann alle Marktteilnehmer, da die „schlechten“ Kreditnehmer von den „guten“ ex ante nur schwer zu trennen sind.
Abschnitt 6 war der empirischen Evidenz gewidmet. Zum Verhalten von Individuen in einer Lohnpfändung gibt es leider keine empirischen Beobachtungen.
Die Wirkungen einer Restschuldbefreiung wurden in den USA von Sullivan et al.
(1989, 1994) untersucht. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass Missbrauch nicht in
nennenswertem Umfang existiert. Mit Daten aus der Datenerhebung auf den
schweizerischen Betreibungsämtern wurde schliesslich noch versucht die Einflüsse zu identifizieren, welche Individuen dazu bringen auszusagen, sie würden
nie wieder schuldenfrei. Dies unter der Annahme, dass eine solche Aussage darauf hindeutet, dass die betroffene Person keine grossen Anreize mehr hat sich
noch gross für eine Schuldtilgung einzusetzen. Die Koeffizienten wie Schuldenhöhe, Einkommen, standardisierte Rückzahlungsdauer sowie einige demographische Variablen sind im wesentlichen aber nicht signifikant.
258
7 Schlussfolgerungen zu Teil III
Resultat III.15
Ein Individuum welchem aufgrund einer nicht getilgten
Schuld der Lohn gepfändet wird, steht vor zwei Möglichkeiten. Zum einen könnte es Mehrarbeit in der Gegenwart leisten um die Schuld zu tilgen und in Zukunft wieder
unbeschränkten Konsum geniessen zu können. Statt dessen
könnte die verschuldete Person auch auf eine Schuldtilgung
verzichten und so mehr Freizeit konsumieren, um den Preis
des
auf
das
betreibungsrechtliche
Existenzminimum
beschränkten Konsums. Die Einführung eines variablen Existenzminimums erhöht die Arbeitsanreize für die Schuldner,
führt aber zu Verlusten bei den Gläubigern. Dasselbe gilt für
eine Restschuldbefreiung, bei der zusätzlich noch die Gefahr
des ex ante moral hazard besteht. Vor allem die Steuerzahler
als Finanziers der öffentlichen Sozialhilfe dürften neben den
Schuldnern von den aufgezeigten Reformen profitieren, während die Gläubiger und die sonstigen, nicht verschuldeten
Marktteilnehmer verlieren.
Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung
259
8 Literatur zu Teil III
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Teil IV Erweiterungen und Schlussfolgerungen
261
Teil IV Erweiterungen und Schlussfolgerungen
Dieser letzte Teil der Arbeit dient einmal einem Überblick über Erweiterungsmöglichkeiten der aufgezeigten Modelle und ferner einer Zusammenfassung
sowie Kommentierung der erhaltenen Ergebnisse.
1 Mögliche Erweiterungen der Modelle
Die aufgezeigten Modelle sind zweifelsohne noch in vieler Hinsicht unvollständig. Über die möglichen Effekte einer bisher vernachlässigten Vermögenspfändung gibt der erste Abschnitt dieses Kapitels kurz Auskunft. Ob eine Betreibung
erfolgreich endet oder nicht (sei es durch eine direkte Bezahlung seitens des
Schuldners oder durch eine Pfändung), hängt auch vom Betreibungsamt bzw.
dem Verhalten der Betreibungsbeamten ab. Die Anreize, welche das Verhalten
der Betreibungsbeamten beeinflussen, werden im zweiten Abschnitt untersucht.
1.1 Die Vermögenspfändung
Voraussetzung für eine (erfolgreiche) Vermögenspfändung ist, dass der Schuldner „nur“ zahlungsunfähig, nicht aber überschuldet ist. Letzteres heisst bekanntlich, dass kein Vermögen mehr vorhanden ist (vgl. Abschnitt 1.1, Teil II). In der
Schweiz hat die Vermögenspfändung kaum noch Bedeutung, da die meisten
Schuldner überschuldet und nicht nur zahlungsunfähig sind. In den seltensten
Fällen sind Vermögensbestandteile vorhanden, die gepfändet werden könnten.
Die Vermögensbestandteile die vorhanden sind, können in der Regel kaum
erfolgreich verkauft bzw. versteigert werden, da sie meist zu alt sind.
Aufgrund der geringen Bedeutung der Vermögenspfändung liegt das Schwergewicht dieser Arbeit auf der Lohnpfändung. Der Vollständigkeit halber soll die
Vermögenspfändung in diesem Abschnitt jedoch auch kurz zur Sprache kommen.
Wie auch bei der Lohnpfändung ist die ökonomische Literatur bezüglich einer
Vermögenspfändung eher spärlich. Dubey und Shubik (1988) haben ein Modell
für das ex ante Verhalten eines Schuldners entwickelt. Sie untersuchen die
262
1 Mögliche Erweiterungen der Modelle
Anreizwirkungen der Lohnpfändung auf die Entscheidung, eine Schuld nicht
zurückzubezahlen. Wie sehen aber die Anreizwirkungen ex post aus? Interessant
sind natürlich vor allem die Anreize auf das Arbeitsangebot. Zum pfändbaren
Vermögen gehören liquide finanzielle Mittel (wie zum Beispiel Sparbücher), als
auch langlebige Konsumgüter, welche nicht als Kompetenzstücke anerkannt werden und somit pfändbar sind (vgl. Abschnitt 2 in Teil I).
In Abbildung IV.1 ist das Beispiel einer Vermögenspfändung grafisch widergegeben. Das Individuum maximiert in der Ausgangssituation ohne Pfändung
seinen Nutzen U1 durch Güterkonsum c und Freizeit l. Ohne Pfändung ist der
maximal mögliche Konsum gleich dem maximal möglichen Arbeitseinkommen
w ⋅ ( 1 – l ) (mit l = 0) plus dem vorhandenen Vermögen v. Auf der anderen Seite
beträgt die maximal mögliche Freizeit l = 1 (bei einem Arbeitseinkommen von 0
und damit einem maximal möglichen Konsum in Höhe von v). Eine Pfändung
des Vermögens (wie in Abbildung IV.1), führt zu einer Parallelverschiebung der
Budgetgeraden nach innen. Die Reaktion des Individuums auf diesen Einkommenseffekt ist eindeutig. In Zukunft wird weniger konsumiert. In welchem Ausmass sich die Verringerung auf Konsum und Freizeit aufteilt, hängt von der
Grenzrate der Substitution zwischen Konsum und Freizeit ab. Die Freizeit wird
zumindest nicht erhöht, das Arbeitsangebot bleibt also mindestens konstant und
wird wahrscheinlich sogar steigen. In der Folgeperiode wird die getroffene Entscheidung hinsichtlich Konsum und Freizeit nach dem einmaligen exogenen
Schock der Pfändung ceteris paribus beibehalten.
Wie stellt sich die Sachlage dar, wenn nicht liquides Vermögen, sondern langlebige Konsumgüter gepfändet werden?1 Das Individuum zieht in der laufenden
Periode Nutzen aus Konsum, Freizeit und dem Bestand langlebiger Konsumgüter
der letzten Periode, zuzüglich den langlebigen Konsumgütern, welche in der laufenden Periode erworben werden. Das Individuum hat die Wahl zwischen Freizeit und der Erzielung von Einkommen, welches zu Konsumzwecken oder zum
Kauf neuer langlebiger Konsumgüter genutzt werden kann. Die Budgetrestriktion für eine Periode t ergibt
1) Zur Theorie der langlebigen Konsumgüter vgl. Abschnitt 6 von Teil II.
Teil IV Erweiterungen und Schlussfolgerungen
Abbildung IV.1
263
Wirkung der Pfändung des liquiden Vermögens
c
w+v
P fänd un g v on v
w
U1
U2
v
1
p ⋅ ct + h ⋅ [ dt – dt – 1 ⋅ ( 1 – κ ) ] = w ⋅ ( 1 – lt ) .
l
(IV.1)
Die Variable h steht für den Preisvektor der langlebigen Konsumgüter (vgl.
Abschnitt 6 von Teil II). Die Differenz in der eckigen Klammer auf der linken
Seite der Gleichung (IV.1) gibt an, wieviele langlebige Konsumgüter in der laufenden Periode gekauft werden. Der Bestand an langlebigen Konsumgütern der
letzten Periode d t – 1 wird mit der Rate κ abgeschrieben.
Unter der Annahme, dass der Bestand langlebiger Konsumgüter nicht zu Konsumzwecken kurzfristig verkauft werden kann, lässt sich die Budgetrestriktion in
einer dreidimensionalen Grafik darstellen (vgl. Abbildung IV.2).
Die Budgetrestriktion stellt sich als die Fläche zwischen den drei Achsenabschnitten dar. Die maximal zu konsumierende Freizeit wird wiederum auf 1 normiert. Der maximale Konsum c ist erreicht, wenn keine neuen langlebigen
Konsumgüter gekauft werden und keinerlei Freizeit getätigt wird, und ist somit
gegeben durch w/p. Der maximale Konsum an langlebigen Konsumgütern ist
erreicht, wenn weder Verbrauchskonsum noch Freizeit getätigt werden. In diesem Fall kann das gesamte Einkommen w zum Neukauf von langlebigen Kon-
264
1 Mögliche Erweiterungen der Modelle
Abbildung IV.2
Verschiebung der Budgetrestriktion bei Pfändung
langlebiger Konsumgüter
l1
1
w
---p
c1
w
---h
Pfändung von d 0 ⋅ ( 1 – κ )
w
d 0 ⋅ ( 1 – κ ) + ---h
d1
sumgütern benutzt werden. Der in der laufenden Periode t zur Verfügung
stehende
Bestand
an
langlebigen
Konsumgütern
betrüge
dann
d 0 ⋅ ( 1 – κ ) + w ⁄ h . Die minimale Ausstattung an langlebigen Konsumgütern ist
schlicht der Bestand der Vorperiode d 0 ⋅ ( 1 – κ ) , der zur Verfügung steht, egal
wieviel Freizeit oder Konsum getätigt werden. Werden dem Individuum die langlebigen Konsumgüter am Anfang der Periode gepfändet, um eine vorhandene
Schuld zu tilgen [Annahme: – v = d 0 ⋅ ( 1 – κ ) ], verschiebt sich die Budgetfläche nach innen. Das Ganze ist nichts anderes als bei der Pfändung liquiden Vermögens, nur das hier eine dritte Dimension hinzugekommen ist. Das
Arbeitsangebot wird dementsprechend wiederum mindestens konstant bleiben.
Die Vermögenspfändung ist einer Lohnpfändung vorzuziehen, da die negativen Anreizeffekte auf das Arbeitsangebot aufgrund des fehlenden Substitutionseffektes nicht vorhanden sind. Auch von den Schuldnern scheint die
Vermögenspfändung bevorzugt zu werden, wie Daten aus den USA zu belegen
scheinen. Im Rahmen der Restschuldbefreiung wird in den USA die Alternative
Teil IV Erweiterungen und Schlussfolgerungen
265
einer Liquidation des Vermögens (Restschuldbefreiung nach chapter 7), gegenüber der monatlichen Rückzahlung vom laufenden Einkommen (Restschuldbefreiung nach chapter 13) von der Mehrheit der betroffenen Personen vorgezogen
[vgl. Forsblad (1997)].1 Das Problem der Vermögenspfändung ist jedoch, dass
meistens nicht mehr genug Vermögen vorhanden ist, um die Schuld zu tilgen.
Selbst wenn pfändbare Gegenstände vorhanden sind, sind sie häufig nicht mehr
viel wert. Nicht selten können mit dem Erlös der gepfändeten Gegenstände auf
einer öffentlichen Versteigerung nicht einmal die Kosten des Transports und der
Versteigerung gedeckt werden.
Resultat IV.1
Die Vermögenspfändung hat, unabhängig davon ob liquides
Vermögen oder langlebige Konsumgüter gepfändet werden,
keine negativen Anreizeffekte auf das Arbeitsangebot. Sie ist
von daher der Lohnpfändung vorzuziehen. Das Problem der
Vermögenspfändung ist jedoch, das in den meisten Fällen
unzureichende Vermögen der verschuldeten Personen.
1.2 Die Rolle des Betreibungsamtes
Die Intention meiner Arbeit liegt auf einer Analyse des Verhaltens überschuldeter
Personen und deren Reaktionen auf Reformen im Betreibungsrecht. Nicht zuletzt
hängt der Erfolg einer Betreibung aber auch von der durchführenden Instanz,
dem Betreibungsamt bzw. seinen Beamten ab. Aus diesem Grunde soll im folgenden Abschnitt die Rolle des Betreibungsamtes kurz dargestellt werden.
Bei der Eintreibung der Schulden per Zahlungsbefehl und wenn nötig per
Lohn- oder Vermögenspfändung ist das Betreibungsamt bzw. der einzelne Betreibungsbeamte die handelnde Instanz vor Ort. Er ist gewissermassen ein Agent des
1) Zu einer kurzen Erläuterung der Verfahren nach chapter 7 bzw. chapter 13 vgl. Teil III,
Abschnitt 5.2, Seite 232.
266
1 Mögliche Erweiterungen der Modelle
Gläubigers. Die Aufgabe des Betreibungsbeamten ist es, im Auftrag des Gläubigers dessen Forderungen einzutreiben, wenn es sein muss mit Hilfe einer Pfändung. Dabei hat der Betreibungsbeamte einen diskretionären Spielraum. Der
diskretionäre Spielraum fängt damit an, dass der Betreibungsbeamte durch häufige Präsenz beim Schuldner vor Ort diesen verstärkt unter Druck setzen kann,
die Schuld zu bezahlen. Bei der Vermögenspfändung ist es der Betreibungsbeamte, der innerhalb der gesetzlichen Regelungen die Vermögensgegenstände heraussucht, die seiner Meinung nach bei einer Versteigerung ausreichend Erlös
erzielen könnten. Auch bei der Lohnpfändung hat der Betreibungsbeamte einen
Spielraum bei der Berechnung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums. Je
höher der psychische Druck, der durch die Pfändung des Einkommens eines
Schuldners ensteht, je höher das Mitleid mit einem Schuldner, desto weniger
wird der Betreibungsbeamte alleine als Sachwalter des Gläubigers agieren und
das Existenzminimum eher grosszügig berechnen.
Welches sind nun die Anreize für die Beamten? Die Amtsleiter eines jeden
Amtes, werden von der Gemeinde oder dem Kreis für den sie zuständig sind,
gewählt. Die Besoldung kann auf zwei verschiedene Arten erfolgen. In den grösseren Ämtern werden die Amtsleiter sowie ihre untergeordneten Beamten per
Periodenfixum entlohnt. Auf kleineren Ämtern werden die Amtsleiter oft pro
Betreibungsfall vergütet (die sog. Sportler).1
Entlohnung per Periodenfixum
Die Betriebskosten des Amtes werden von der Gemeinde übernommen. Die
Gemeinde bekommt dafür die Gebühren, welche die Betreibungsbeamten für
jeden Betreibungsfall in Abhängigkeit von der Forderungshöhe einziehen. Aufgrund des Periodenfixums besteht für die Beamten kein direkter monetärer
Anreiz für einen effizienten Output (= Betreibungserfolg) zu sorgen. Gleichzeitig
haben die Gläubiger kaum Sanktionsmöglichkeiten, wenn sie nicht zufrieden
sind mit der Arbeit des Amtes. Nur wenn ein Beamter eindeutig seine Kompeten-
1) Vgl. Bünzli (1994).
Teil IV Erweiterungen und Schlussfolgerungen
267
zen überschreitet, besteht eine Möglichkeit erfolgreich Rekurs gegen einen
Betreibungsvorgang bzw. das Ergebnis einzulegen.1
Die Alternative, vor allem für Gläubiger, welche relativ geringe Forderungen
aufweisen, ist auf eine Eintreibung zu verzichten. Für die Betreibungsämter wäre
dies sogar von Vorteil, da die „Grossgläubiger“ unter der Annahme gleichen
Arbeitsaufwandes einen höheren Deckungsbeitrag erwirtschaften, aufgrund der
von der Forderungshöhe abhängigen Gebühren. Es besteht für die Beamten also
ein Anreiz zur Diskriminierung von Gläubigern mit geringen Forderungen
gegenüber den „Grossgläubigern“, da so das Budget entlastet werden kann. Eine
ausgeglichene Rechnung oder gar ein Überschuss erhöhen schliesslich die Wiederwahlchancen der Beamten.
Entlohnung pro Betreibungsfall (Sportler)
Die sog. Sportler werden pro Betreibungsfall von der Gemeinde/Kreis entlohnt.
Die Gemeinde wiederum kassiert von den Gläubigern die von der Forderungshöhe abhängigen Gebühren. Die Betriebskosten des Amtes werden von den
Amtsleitern getragen. Unter diesem Regime besteht für die Beamten zum einen
ein Anreiz, die Betriebskosten niedrig zu halten und zum anderen nicht zu viele
Gläubiger zu verlieren. Eine Verlockung zur Diskriminierung von „kleinen“
Gläubigern besteht aber auch bei den Sportlern, da auf diese Weise wiederum
eher ein Überschuss erzielt werden kann, wodurch die Wiederwahlchancen
gesteigert werden.
Den theoretischen Überlegungen folgend, müssten die Ämter mit dem sog.
Sportlersystem einen höheren Selbstfinanzierungsgrad aufweisen und auch die
höhere Erfolgsquote (zumindest die höheren Anstrengungen, eine solche zu
erreichen). Empirisch gibt es jedoch bisher keine Beobachtungen welche diese
These bestätigen oder widerlegen könnten.
1) Dasselbe gilt natürlich auch für die Schuldner.
268
1 Mögliche Erweiterungen der Modelle
Resultat IV.2
Der Theorie folgend sollten Ämter, welche dem sog. Sportlersystem unterliegen, ceteris paribus einen höheren Selbstfinanzierungsgrad und gleichzeitig eine höhere Erfolgsquote
aufweisen. Diese These ist empirisch bisher jedoch nicht
überprüft worden.
Teil IV Erweiterungen und Schlussfolgerungen
269
2 Schlussfolgerungen zur gesamten Arbeit
„Wir wissen nicht, sondern wir raten.“
Karl Popper, Logik der Forschung, S. 223
Ziel meiner Dissertation war es, die Gründe für Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung sowie ihre Folgen in Form einer Lohnpfändung mit Hilfe der ökonomischen Theorie zu analysieren. Ich bin diese beiden Fragen aus Gründen der
Vereinfachung getrennt angegangen. Teil II der Arbeit war den Gründen der Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung gewidmet, während ich mich in Teil III
mit den Anreizwirkungen einer Lohnpfändung beschäftigt habe.
Der entscheidende Grund für unfreiwillige Überschuldung ist die Existenz
von Risiko. Ein exogener Schock in Form eines Einkommensausfalls oder unerwarteter Ausgaben kann ein Individuum in die Zahlungsunfähigkeit/Überschuldung stürzen. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person aufgrund eines exogenen
Schocks in eine finanzielle Krise gerät, lässt sich jedoch beeinflussen. Je höher
die Ersparnis bzw. das Vermögen eines Individuums, desto geringer ist die Überschuldungswahrscheinlichkeit.
Damit kommt die Frage nach den Motiven der Ersparnis auf. Ein Motiv ist die
sog. Vorsichtsersparnis. Je risikoaverser ein Individuum, desto mehr Vorsichtsersparnis tätigt es und desto geringer ist demzufolge die Überschuldungswahrscheinlichkeit. Personen, die ein geringes Einkommen aufweisen, haben
allerdings nicht die Möglichkeit Vorsichtsersparnis zu tätigen. Es ist von daher
nicht sehr erstaunlich, dass unter den verschuldeten Personen überdurchschnittlich viele mit geringem Einkommen zu finden sind. Ebenfalls drückend auf die
Ersparnis wirkt die Zeitpräferenzrate. Individuen mit einer hohen Präferenz für
Gegenwartskonsum neigen eher dazu zu entsparen, sich also zu verschulden, als
zu sparen. Sie unterliegen somit auch einer erhöhten Überschuldungswahrscheinlichkeit. Zusätzlich werden die erwarteten Kosten einer Überschuldung relativ
stark abdiskontiert, was den sparfördernden Effekt der Risikoaversion kompensiert.
270
2 Schlussfolgerungen zur gesamten Arbeit
Die meisten ökonomischen Modelle gehen davon aus, dass die Individuen
Nutzen nur aus dem absoluten Niveau ihres Konsums ziehen. Tatsächlich sind
die Menschen auch an ihrem relativen Status innerhalb der Gesellschaft interessiert. In Abschnitt 5 von Teil II habe ich überprüft, wie sich die sog. Jagd nach
Status auf die Überschuldungswahrscheinlichkeit auswirkt. Das Ergebnis dabei
ist, dass die Jagd nach Status die Ersparnis nicht direkt tangiert. Stattdessen wird
die Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern angeheizt, da Status sehr häufig
an den Besitz langlebiger Konsumgüter geknüpft ist. Die Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern aber erhöht zum einen die Gefahr zahlungsunfähig zu werden und andererseits auch die Überschuldungswahrscheinlichkeit. Die Gefahr
der Zahlungsunfähigkeit wird durch den Kauf des Gutes ausgelöst, der die liquiden Finanzmittel verringert. Die Überschuldungswahrscheinlichkeit erhöht sich
unter Umständen aufgrund der relativ hohen Abschreibungsrate, welche die meisten langlebigen Konsumgüter aufweisen.
Neben dem erwähnten Konzept der interpersonellen Präferenzen existiert
auch noch das Konzept der intertemporalen Präferenzen. Die Individuen orientieren sich hinsichtlich ihres Konsumniveaus an vergangenen Perioden. Dies hat zur
Folge, dass nach einem Einkommensschock das Konsumniveau nur schrittweise
abgesenkt wird wodurch die Ersparnis sinkt und die Überschuldungswahrscheinlichkeit steigt.
Schliesslich wurde noch untersucht, inwieweit „irrationales“ Verhalten für
Überschuldung verantwortlich gemacht werden kann. Umfragen bei überschuldeten Personen haben ergeben, dass rund 10 - 20% der überschuldeten Personen
angeben, sie wären aufgrund unzureichender Kenntnisse im Umgang mit Geld in
die Verschuldung geraten [vgl. Meier et al. (1999) und Rosendorfer (1993)].
Dennoch sind diese Verhaltensweisen nicht so sehr ein Ausfluss irrationalen Verhaltens sondern vielmehr Informationsdefizite bzw. mangelhafte Informationsverarbeitung. Schliesslich stellen auch Suchtkrankheiten nicht selten einen
Überschuldungsgrund dar.
Empirische Untersuchungen, die mit Hilfe eines Panel-Datensatzes auf der
kantonalen Ebene durchgeführt wurden, bestätigen vor allem die Rolle des unge-
Teil IV Erweiterungen und Schlussfolgerungen
271
nügenden Finanzmanagements sowie exogener Schocks (insbesondere Arbeitslosigkeit) auf die Überschuldungswahrscheinlichkeit. Zu einem ähnlichen Ergebnis
kommt auch die empirische Studie von Lea et al. (1995) für England.
Ist ein Individuum erst einmal überschuldet, droht nicht selten die Betreibung
und ihrer Folge dann unter Umständen auch eine Pfändung. Da Überschuldung
bereits impliziert, dass kein Vermögen mehr vorhanden ist, bleibt nur die Lohnpfändung. In Teil III bin ich der Frage nachgegangen, welche Anreizwirkungen
eine Lohnpfändung auf das Arbeitsangebot eines Individuums hat. Bei der Lohnpfändung wird dem Schuldner der Teil des Einkommens gepfändet und zur
Schuldtilgung verwendet, der das sog. betreibungsrechtliche Existenzminimum
übersteigt. Das Individuum steht vor der Entscheidung in der Gegenwart auf
Freizeit zu verzichten, also Mehrarbeit zu leisten, um auf diese Weise die Schuld
zurückzubezahlen und in Zukunft wieder frei konsumieren zu können. Oder es
verzichtet auf eine Schuldtilgung und arbeitet nur noch so viel, dass es genau das
betreibungsrechtliche Existenzminimum erreicht, dies natürlich aufgrund der
nicht getilgten Schuld bis zum Ende des betrachteten Zeithorizontes.
Nach der Vorbereitung mittels eines Ein- und eines Zweiperioden-Modells
erfolgt die Modellierung des überschuldeten Individuums in der Lohnpfändung
mit Hilfe eines dynamischen Multiperioden-Modells. Anhand von Computersimulationen lässt sich feststellen, bei welchen Werten des betreibungsrechtlichen
Existenzminimums Individuen mit unterschiedlichen Lohnsätzen es vorziehen,
ihre Schulden nicht mehr zu tilgen. Je geringer der Lohnsatz in Relation zum
betreibungsrechtlichen Existenzminimum, desto eher wird das Individuum darauf verzichten, die Schuld zu tilgen und statt dessen nur noch das Existenzminimum konsumieren.
Im weiteren Verlauf von Teil III habe ich dann zwei Reformvorschläge für das
Betreibungsrecht auf ihre Wirkung hin getestet. Die Einführung eines variablen
(= einkommensabhängigen) Existenzminimums erhöht die Arbeitsanreize für die
Schuldner. Da aber ceteris paribus den Simulationsrechnungen zufolge der Pfändungserfolg pro Periode geringer wird und das erhöhte Arbeitsangebot nicht ausreicht diesen Effekt zu kompensieren, resultiert aus der Einführung eines
272
2 Schlussfolgerungen zur gesamten Arbeit
variablen Existenzminimums eine Verschlechterung der Situation der Gläubiger.
Dasselbe gilt für die Einführung einer Restschuldbefreiung. Letztere hat aber vor
allem für die Steuerzahler noch eine positive Komponente. Personen, welche bisher aufgrund der andauernden Lohnpfändung es vorzogen nicht zu arbeiten und
statt dessen Sozialhilfe zu beziehen, erhalten nach Inkrafttreten der Restschuldbefreiung neue Arbeitsanreize. Diese positiven Effekte gelten vor allem für Individuen, die sehr hoch verschuldet sind.
An dieser Stelle muss sich der Autor natürlich fragen, ob das verwendete
theoretische Modell eines Individuums in der Lohnpfändung der Problemstellung
überhaupt gerecht wurde. Angesichts der Nichterreichbarkeit allgemeiner Aussagen darüber unter welchen Umständen ein Individuum seine Schulden tilgt oder
nicht, müsste man eigentlich antworten „Nein“. Auf der anderen Seite sind die
mit Hilfe der Computersimulationen erhaltenen Ergebnisse über alle drei verwendetet Nutzenfunktionen stabil und es besteht somit die Hoffnung nicht nur
Spezialfälle getestet zu haben.
Empirische Bestätigung für die in diesem Teil gemachten Aussagen konnte
leider nicht gefunden werden. Dies liegt vor allem daran, dass die im Rahmen
des Nationalfondsprojekts erhobenen Daten [vgl. Meier et al. (1999)] nur eine
Querschnittsanalyse darstellen, nötig wäre in diesem Zusammenhang aber eine
Zeitreihenanalyse.
Schliesslich wurden noch im letztem Teil der Arbeit einige mögliche Erweiterungen vorgestellt. Dies ist zum einen eine Analyse der Effekte einer Vermögenspfändung. Auch die Pfändung des Vermögens hat einen Einfluss auf das
Arbeitsangebot der betroffenen Individuen. Sie stellt einen Einkommenseffekt
dar, der in der Regel zu einer Steigerung des Arbeitsangebots führt. Die Lohnpfändung dagegen führt bei Individuen mit niedrigem Lohnsatz zu einer Reduzierung des Arbeitsangebotes auf das zur Finanzierung des Existenzminimums
notwendige Ausmass. Die Vermögenspfändung ist von daher prinzipiell der
Lohnpfändung vorzuziehen. Der zweite Abschnitt war dem Verhalten des Betreibungsamtes gewidmet. In der Schweiz wird unterschieden zwischen Betreibungsämtern in welchen die Beamten per Periodenfixum entlohnt werden und
Teil IV Erweiterungen und Schlussfolgerungen
273
solchen in denen die Entlohnung von der Anzahl der Betreibungsfälle abhängt
(sog. Sportler). Theoretisch sollten die Sportler einen höheren Selbstfinanzierungsgrad als die anderen Betreibungsämter aufweisen. Empirisch wurde dies
bisher jedoch noch nicht überprüft.
Welches wirtschaftspolitische Fazit lässt sich nun aus meiner Arbeit ziehen?
Zur Prävention habe ich bereits in den Schlussbemerkungen zu Teil II angemerkt,
dass der Staat sich an dieser Stelle eher passiv verhalten sollte. Einschränkungen
des Kreditmarktes sind nicht geeignet das Problem der Zahlungsunfähigkeit und
Überschuldung zu beseitigen. Den Menschen kann nicht jedes Risiko abgenommen werden. Die Möglichkeiten des Staates liegen in der Ausgestaltung der Folgen der Überschuldung. Es ist aber zweifelsohne vernünftig, dass ein staatlich
geregeltes und kontrolliertes Betreibungsverfahren existiert, da ansonsten durchaus die Gefahr eines „Wild-West“-Verhaltens von seiten privater Geldeintreiber
drohen würde. Der Staat stellt mit dem Betreibungsverfahren Rechtssicherheit
zur Verfügung.
Das Verfahren selbst muss zum einen in seinen Folgen eine Abschreckung für
Schuldner bieten, da ansonsten die Kosten des Nichtbezahlens einer Rechnung
zu gering werden. Ein zu legeres Verfahren würde vor allem auch für die Gläubiger ein Verlust an Rechtssicherheit bedeuten, was den Kreditmarkt als Ganzes
beeinträchtigen könnte. Auf die Lohnpfändung bezogen erscheint es von daher
durchaus sinnvoll, ein knappes Existenzminimum (auf der Höhe des bestehenden
Existenzminimums) mit einem Anreiz für Wohlverhalten zu koppeln. Die Einführung eines variablen Existenzminimums als einen derartigen Anreiz erscheint
jedoch nicht sinnvoll. Seine Einführung würde zwar prinzipiell eine Verstärkung
der Arbeitsanreize für Personen in der Lohnpfändung bedeuten, die effektive
Wirkung aber dürfte nicht ausreichen, die Gläubigerverluste zu kompensieren.
Einen sinnvolleren Anreiz dagegen bietet eine Restschuldbefreiung unter Auflagen. Möglicherweise liesse sich hier eine Mischung zwischen dem sehr legeren
amerikanischen und dem strengen deutschen Weg finden. Dem Schuldner ist aufzuerlegen, dass er innerhalb einer gesetzten Frist einen Teil der Schuld zu tilgen
hat, andernfalls wird ihm die Restschuldbefreiung nicht gewährt.1
274
2 Schlussfolgerungen zur gesamten Arbeit
Inwieweit einer dieser Vorschläge tatsächlich in das schweizerische Betreibungsrecht Eingang findet, hängt nicht zuletzt von der Bereitschaft der Gläubiger
ab, Verluste in Kauf zu nehmen. Nicht zuletzt sollte nach wie vor versucht werden, den Schuldenstand vor allem durch eine Vermögenspfändung zu reduzieren,
da diese geringere negative Effekte aufweist. Durch modernes Marketing und
vereinfachte Zahlungsbedingungen könnten die im Augenblick nicht so erfolgreichen Versteigerungen von gepfändeten Vermögensbestandteilen effizienter
gemacht werden.
Ich hoffe, ich habe mit meiner Dissertation ein wenig dazu beigetragen, zum
einen die Diskussion um die Überschuldungsproblematik zu versachlichen und
zum anderen einen Anstoss für die Ökonomen zu liefern, auch vermehrt auf diesem Gebiet tätig zu werden, ganz im Sinne von „... economics as an expansive
imperialist discipline.“ [Hirshleifer (1985), S. 53].
1) Genauere Ausführungen zu der möglichen Ausgestaltung einer Restschuldbefreiung sind
bei Meier et al. (1999) zu finden.
Teil IV Erweiterungen und Schlussfolgerungen
275
3 Literatur zu Teil IV
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Anhang
285
Anhang
1 Anhang zu Teil I
1.1 Fragebogen für die Interviews
1)
Datum
2)
Amt
Kanton
(2a)
Stadt
(2b)
Amt
(2c)
3)
Betreibungsnummer (NICHT ERHOBEN)
4)
Geschlecht
Weiblich
Männlich
5)
Geburtsjahr
6)
Nationalität
Schweiz
Deutschland
Frankreich
Italien
ehem. Jugoslawien
Türkei
übriges Europa
ausserhalb Europas
(1)
(2)
(1)
(2)
(3)
(4)
(5)
(6)
(7)
(8)
286
Anhang zu Teil I
Tabelle A.1
Kanton
Liste der Ämter welche an der Datenerhebung teilgenommen
haben
Untersuchte Akten
Interviews
Bern
108
11
Biel
103
10
Basel
Basel
94
16
Zug
Zug
116
11
Schaffhausen
Schaffhausen
114
11
St. Gallen
St. Gallen
112
4
Glarus
Glarus
111
7
Davos
110
1
Samedan
103
5
Aargau
Reinach
93
10
Nidwalden
Stans
136
1
Appenzell I.
Appenzell
101
7
Yverdon
72
5
Lausanne
132
2
Freiburg
Tafers
132
2
Tessin
Lugano
147
3
Wallis
Visp
112
11
Zürich 5
87
20
Zürich 7
73
14
Zürich 12
125
9
Dübendorf
101
2
Egg
97
1
Pfäffikon
103
9
Winterthur
106
15
Zollikon
117
0
2’705
187
Bern
Graubünden
Waadt
Zürich
Insgesamt
Stadt/Amt
Anhang
7)
287
Zivilstand
jetzt (7a) vor 5 Jahren (7b)
Ledig
Verheiratet
Verwitwet
Getrennt/geschieden
8)
(1)
(2)
(3)
(4)
Wieviele Personen sind zu versorgen (inkl. Alimentenempfänger)?
jetzt
Erwachsene
Kinder
9)
vor 5 Jahren
(8a)
(8c)
(8b)
(8d)
Wohnung:
jetzt (9a) vor 5 Jahren (9b)
In einer Mietwohnung?
In einer Eigentumswohnung?
In einem gemieteten Haus?
In einem Eigenheim?
Bei Angehörigen oder Bekannten?
Zur Untermiete?
Im Hotel?
Anzahl Zimmer
10) Wohnsitz im Ausland innerhalb der letzten 5 Jahre?
Ja
(1)
Nein
(2)
11) Wechsel des Wohnsitzkantons innerhalb der letzten 5 Jahre?
Ja
(1)
Nein
(2)
(1)
(2)
(3)
(4)
(5)
(6)
(7)
(9c)
288
Anhang zu Teil I
12) Berufliche Stellung:
jetzt (12a)
Pensioniert oder Bezüger/in einer vollen IV-Rente
Student/in, Schüler/in oder Lehrling
Hausfrau/-mann
Un- oder angelernte/r Arbeiter/in oder Bürogehilfe/in
Arbeiter/in (mit Lehrabschluss) oder Vorarbeiter/in
Landwirt/in
Selbst. Kleingewerbetreibende/r oder Handwerker/in
Lehrer/in
Beamter/Beamtin oder Angestellte/r
Beamter/Beamtin oder Angestellte/r in leitender Stellung
Freier Beruf (z.B. Arzt/Ärztin oder Anwalt/Anwältin)
Direktor/in, Unternehmensleiter/in oder Chefbeamter/-beamtin
Arbeitslos
Gelegenheitsjobs
vor 5 Jahren (12b)
(1)
(2)
(3)
(4)
(5)
(6)
(7)
(8)
(9)
(10)
(11)
(12)
(13)
(14)
13) Berufliche Stellung des/der Ehegatte/gattin bzw Partner/Partnerin:
jetzt (13a)
Pensioniert oder Bezüger/in einer vollen IV-Rente
Student/in, Schüler/in oder Lehrling
Hausfrau/-mann
Un- oder angelernte/r Arbeiter/in oder Bürogehilfe/in
Arbeiter/in (mit Lehrabschluss) oder Vorarbeiter/in
Landwirt/in
Selbst. Kleingewerbetreibende/r oder Handwerker/in
Lehrer/in
Beamter/Beamtin oder Angestellte/r
Beamter/Beamtin oder Angestellte/r in leitender Stellung
Freier Beruf (z.B. Arzt/Ärztin oder Anwalt/Anwältin)
Direktor/in, Unternehmensleiter/in oder Chefbeamter/-beamtin
Arbeitslos
vor 5 Jahren (13b)
(1)
(2)
(3)
(4)
(5)
(6)
(7)
(8)
(9)
(10)
(11)
(12)
(13)
14) Bildung:
Sie
selbst (14a)
Primarschule
Oberschule / Realschule / Sekundarschule / Bezirksschule
KV, Gewerbeschule, landwirtschaftliche Schule
Handelsschule, Verkehrsschule, Kunstgewerbeschule u.ä.
Mittelschule mit Maturität
Höhere Fach-, und Berufsausbildung, höhere Fachprüfung
Ihr/e
Gatte/in (14b)
(1)
(2)
(3)
(4)
(5)
(6)
Anhang
289
Höhere Fachschule, Technikum, Lehrerseminar
Hochschule, Universität mit Diplom
Keine Bildung
15) Höhe des Monatseinkommens?
-
nach Abzug aller Beiträge (AHV, IV, EO, Kinder- und Familienzulagen etc.)
zuzüglich Alimente
zuzüglich Rente
bei Teilzeitbeschäftigung bitte nicht auf 100% aufrechnen
auch Einkommen aus Spareinlagen, Obligationen, Aktien, Immobilien etc.
16) Und wie war das früher?.
16 a)
vor 2 Jahren (1994)
16b)
vor 3 Jahren (1993)
16c)
vor 4 Jahren (1992)
16d)
vor 5 Jahren (1991)
17) Einkommenserwartungen für 1997?
(7)
(8)
(9)
290
Anhang zu Teil I
18) Einkommenserwartungen für 1998?
19) Monatsbezug des/der PartnersIn:
Keine Angabe bzw. kein Partner
20) Und wie war das vor fünf Jahren (1991)?
Keine Angabe bzw. kein Partner
21) Bezug von Sozialleistungen (AHV, EL, IV, SUVA, ALV, Fürsorge)?
Nein
21a)
Art
AHV
EL
(1)
(2)
IV
(3)
SUVA
(4)
Fürsorge
(5)
ALV
(6)
21b) Höhe
Anhang
291
22) Sozialleistungen vor 5 Jahren
Nein
22a) Art
AHV
EL
(1)
(2)
IV
(3)
SUVA
(4)
Fürsorge
(5)
ALV
(6)
22b) Höhe
23) Beschreibung der derzeitigen wirtschaftlichen Situation:
jetzt (23a)
Hervorragend
Sehr gut
Gut
Genügend
Ungenügend
Schlecht
Sehr schlecht
vor 5 Jahren (23b)
(1)
(2)
(3)
(4)
(5)
(6)
(7)
24) Wenn Sie ihre derzeitige Situation in bezug auf Familie und Arbeit überdenken, wie würden
Sie Ihr Bruttohaushaltseinkommen (Bruttoeinkommen aller Haushaltsmitglieder inkl. Sozialleistungen) beschreiben?
Hervorragend,
wenn es höher als
Fr.
wäre
(24a)
Sehr gut,
wenn es bei rund
Fr.
läge
(24b)
Gut
wenn es bei rund
Fr.
läge
(24c)
Genügend
wenn es bei rund
Fr.
läge
(24d)
Ungenügend
wenn es bei rund
Fr.
läge
(24e)
Schlecht
wenn es bei rund
Fr.
läge
(24e)
Sehr schlecht
wenn es unter
Fr.
wäre
(24f)
292
Anhang zu Teil I
25) Wie kam es zur derzeitigen finanziellen Situation (Mehrfachnennungen
möglich)?
Missglückte Geschäftsgründung
(1)
Scheidung, Trennung
(2)
Krankheit, Erwerbsunfähigkeit, Unfall
(3)
Arbeitslosigkeit
(4)
Tod des Ehegatten, Eltern
(5)
Gesamtschuldnerische Haftung, Bürgschaft
(6)
Opfer von Diebstahl, Betrug
(7)
Unerfahrenheit im Umgang mit Ratenzahlungen und Krediten
(8)
Suchtproblem (Alkohol, Drogen, Spiel u.ä.)
(9)
Sonstige Gründe
(10)
26) Der oder die Gläubiger kommen aus den folgenden Branchen:
Bei mehreren Gläubigern bitte die drei mit den höchsten Anteilen angeben.
Bankgewerbe
Versicherungsgewerbe
Versandhäuser und Handel
Vermieter
Sozialversicherungen/Krankenkassen
Alimentenempfänger
Medizinische Versorgung
Telecom
Steuerbehörde
Gerichtskosten und Bussen
Sonstige öffentl. Stellen
Treuhandbüro
Sonstige
27) Die Höhe der in Betreibung gesetzten Forderungen beträgt
Fr.
(1)
(2)
(3)
(4)
(5)
(6)
(7)
(8)
(9)
(10)
(11)
(12)
(13)
Anhang
293
28) Höhe der Schuldenlast insgesamt :
Keine Angabe
29) Belassene Aktiva gemäss den Richtlinien zur Berechnung des
betreibungsrechtlichen Notbedarfs (Existenzminimum)
Franken
Monatlicher Grundbetrag
(29a)
Wohnungskosten
(29b)
Sozialbeiträge (soweit nicht bereits vom Lohn abgezogen)
(29c)
Besondere Berufskosten
(29d)
Unterstützungs- und Unterhaltsbeiträge
(29e)
Auslagen für die Schulung der Kinder
(29f)
Abzahlung oder Miete von Kompetenzstücken
(29g)
Weitere notwendige Auslagen
(29h)
Strom/Energie
(29i)
Summe
(29j)
30) Sonstige belassene Aktiva (Kompetenzstücke)
Geschätzter Wert
(in Franken)
Auto (eigenes)
(30a)
Auto (geleast)
(30b)
Fernseher (eigener)
(30c)
Fernseher (geleast)
(30d)
Personalcomputer
(30e)
HiFi-Anlage (eigene)
(30f)
HiFi-Anlage (geleast)
(30g)
294
Anhang zu Teil I
Mobiltelephon
(30h)
Möbel
(30i)
Sonstige
(30j)
Geschätzter Gesamtwert der belassenen Aktiva
(30k)
31) Gepfändete Aktiva
Geschätzter Wert
(in Franken)
Auto
(31a)
Fernseher
(31b)
Personalcomputer
(31c)
HiFi-Anlage
(31d)
Mobiltelephon
(31e)
Möbel
(31f)
Sonstige
(31g)
Geschätzter Gesamtwert der gepfändeten Aktiva
(31h)
32) Früher abgegebene Insolvenzerklärungen
Anzahl
33) Früher ausgestellte Konkursverlustscheine
Anzahl
(33a)
Wert
(33b)
Anhang
295
34) Früher vorgenommene Betreibungen und ausgestellte Pfändungsverlustscheine
Anzahl Betreibungen
(34a)
Gesamtwert
(34b)
Anzahl Verlustscheine
(34c)
Gesamtwert
(34d)
35) Wie lange wird es etwa dauern bis Schuldenfreiheit erreicht ist:
Jahre
Keine Aussage
36) Zinsfrage
Angenommen, Sie hätten bei einem Wettbewerb Fr. 10'000 gewonnen. Sie hätten dann die Wahl,
das Geld sofort zu beziehen oder in einer Bank für ein Jahr verzinsen zu lassen. Welchen Zinssatz
müsste Ihnen die Bank zahlen, damit Sie bereit wären, das Geld bei der Bank zu lassen oder
möchten Sie es sofort beziehen?
%
Ich möchte das Geld lieber sofort
37) Bemerkungen und Kritik des Befragten
38) Eindruck von der Wohnung bzw. Zimmer:
Überdurchschnittlich gut eingerichtet
(1)
Durchschnittliche Einrichtung
(2)
Spärliche Einrichtung
(3)
Verwahrlost
(4)
39) Sonstige Eindrücke und Besonderheiten
296
Anhang zu Teil I
1.2 Fragebogen für die Aktenanalyse
1)
Datum
2)
Amt
Kanton
(2a)
Stadt
(2b)
Amt
(2c)
3)
„Kunden“nummer (NICHT ERHOBEN)
4)
Geschlecht
Weiblich
Männlich
5)
Geburtsjahr
6)
Nationalität
Schweiz
Deutschland
Frankreich
Italien
ehem. Jugoslawien
Türkei
übriges Europa
ausserhalb Europas
(1)
(2)
(1)
(2)
(3)
(4)
(5)
(6)
(7)
(8)
Anhang
7)
297
Der oder die Gläubiger kommen aus den folgenden Branchen:
Bei mehreren Gläubigern bitte die drei mit den höchsten Forderungen angeben.
Bankgewerbe
Versicherungsgewerbe
Versandhäuser und Handel
Vermieter
Sozialversicherungen/Krankenkassen
Alimentenempfänger
Medizinische Versorgung
Telecom
Steuerbehörde
Gerichtskosten und Bussen
Sonstige öffentl. Stellen
Treuhandbüro
Sonstige
(1)
(2)
(3)
(4)
(5)
(6)
(7)
(8)
(9)
(10)
(11)
(12)
(13)
298
8)
Anhang zu Teil I
Erledigte Betreibungen seit dem 01.01.1994
Betrag
Anzahl
Verlustscheine insgesamt (X)
(8a)
(8b)
Abbestellte Forderungen insgesamt (A)
(8c)
(8d)
Konkurse insgesamt (K)
(8e)
(8f)
Zwangsverwertung gedeckt insgesamt (DB)
(8g)
(8h)
Zwangsverwertung mit Verlust insgesamt (DV)
(8i)
(8j)
Unzustellbar/Fortgezogen insgesamt (U/F)
(8k)
(8l)
Erloschen insgesamt (E)
(8m)
(8n)
Bezahlt (Z)
(8o)
(8p)
Forderungen insgesamt
(8q)
(8r)
Anhang
9)
299
Laufende Betreibungen
Betrag
Anzahl
Lohnpfändungen insgesamt (L)
(9a)
(9b)
Vermögenspfändungen insgesamt(V)
(9c)
(9d)
Vermögens- und Lohnpfändungen insgesamt (VuL)
(9e)
(9f)
Zahlungsbefehle insgesamt
(9g)
(9h)
Fortsetzungsbegehren insgesamt(FB)
(9i)
(9j)
Rechtsvorschläge insgesamt(RV)
(9k)
(9l)
Nichtzugestellten Zahlungsbefehle insgesamt (ZB)
(9m)
(9n)
Laufenden Betreibungen insgesamt
(9o)
(9p)
300
Anhang zu Teil I
10) Belassene Aktiva gemäss den Richtlinien zur Berechnung des
betreibungsrechtlichen Notbedarfs (Existenzminimum)
Franken
Monatlicher Grundbetrag
(10a)
Wohnungskosten
(10b)
Sozialbeiträge (soweit nicht bereits vom Lohn abgezogen)
(10c)
Besondere Berufskosten
(10d)
Unterstützungs- und Unterhaltsbeiträge
(10e)
Auslagen für die Schulung der Kinder
(10f)
Abzahlung oder Miete von Kompetenzstücken
(10g)
Weitere notwendige Auslagen
(10h)
Strom/Energie
(10i)
Summe
(10j)
11) Anzahl Personen im Haushalt (WG = 99)
12) Lohnhöhe (bei unbestimmtem Lohn freilassen)
Anhang
301
2 Anhang zu Teil III
2.1 Das Simulationsprogramm GAMS
Die vorgestellten Simulationen wurden mit der Simulationssoftware GAMS
(General Algebraic Modelling System) durchgeführt. GAMS stellt für die
Lösung unterschiedlichster Probleme verschiedene sog. Solver zur Verfügung.
Das vorliegende Optimierungsproblem stellt aufgrund der Restriktionen ein
nichtlineares Problem dar. Die zur Lösung nichtlinearer Programmierung zu verwendenden Solver sind MINOS, CONOPT und CONOPT2. Alle drei Solver
basieren auf unterschiedlichen mathematischen Algorithmen und es können
somit auch unterschiedliche Lösungen resultieren. Da die einzelnen Gleichgewichte relativ nahe beieinander liegen und die Programme iterativ vorgehen, sind
solche unterschiedlichen Ergebnisse möglich. Bei den durchgeführten Simulationen wurde durchgehend CONOPT2 benutzt. Bei der Verwendung von MINOS
ergaben sich bei einigen Simulationen Fehlermeldungen, ferner ist CONOPT2
auch dazu geeignet mit nicht-differenzierbaren Funktionen zu arbeiten. Bei dem
Versuch auch die Sozialhilfe zu simulieren waren solche Funktionen notwendig.
2.2 GAMS-Algorithmus für das Lohnpfändungsmodell
Im folgenden wird der verwendete GAMS-Algorithmus dargestellt. Das vorliegende Modell simuliert die Entscheidung eines Individuums unter der Annahme
eines fixen Existenzminimums und einer vorzeitigen Entschuldung nach 10 Perioden. Es wird das Beispiel der Cobb-Douglasfunktion wiedergegeben.
$Title Schuldnermodell
$Offupper
$Ontext
Schuldnermodell mit fixem Existenzminimum und vorzeitiger Entschuldung in
der 10. PeriodeCobb-Douglas-Nutzenfunktion
$Offtext
302
Anhang zu Teil III
*Zeitindex fuer das Vermoegen und fuer die Optimierung
Sets
tl
Vermoegenshorizont
/0*20/
t(tl) Optimierungshorizont
/1*20/
tt(t) Endperiode
/20/
*Exogene Variablen
Scalars
b
Zeitpraeferenzrate
/0.03 /
r
Zinssatz für Schuldner
/0.0 /
q
Glaeubigerzins
/0.05 /
w
Lohnsatz pro Zeiteinheit /2.14 /
v0
Startwert Vermoegen
/-0.21 /
alpha
Funktionsparameter
/0.5 /
mc
Freibetrag
/1 /
preis
Preisvektor
/1 /
f
Pfaendungssatz
/1 /;
Parameters
beta(t) Diskontfaktor;
*Berechnung des Diskontfaktors
beta(t) = (1+b)**(1-ord(t));
Display beta;
*Endogene Variablen
Variables
i(t)
Entschuldung
g(t)
Dummy
j(t)
Verluste
m(t)
Minimum
e(t)
Einnahmen
s(t)
Ersparnis
v(tl)
Vermoegen
c(t)
Konsum
l(t)
Freizeit
Anhang
303
z(tl)
Hilfsvariable
verlust
arbeit
utility;
positive variable c,l;
*Definition der Gleichungen
Equations
ii(t)
Entschuldung
jj(t)
Verlustgleichung
mm(t)
Minimumsgleichung
mk(t)
Konsumrestriktion
ml(t)
Mindestarbeit
ss(t)
Sparfunktion
vv(tl)
Vermoegensgleichung
aa(t)
Endbedingung
ll(t)
Freizeitbeschraenkung
zz(tl)
Hilfsgleichung
ff(t)
Pfaendungsbedingung
verl
Glaeubigerkosten
arb
Durchschnittliches Arbeitsangebot
util
Konsumfunktion: objective function;
ii(t)..
i(t) =e= - v(t-1);
jj(t)..
j(t) =e= v(t)*q;
mm(t)..
m(t) =e= mc + (1 - f)*{w*[1 - l(t)] - mc};
mk(t)..
c(t) =g= 0.001;
ff(t)..
(c(t)-m(t))*v(t) =g= 0;
ml(t)..
w*(1-l(t)) =g= m(t);
ss(t)..
s(t) =e= w * (1 - l(t)) - c(t)*preis;
304
Anhang zu Teil III
zz(tl)..
z(tl) =e= v(tl-1);
vv(t)..
v(t) =e= z(t)*(1+r) + s(t) + i(t)*g(t);
aa(tt)..
v(tt) =l= 0;
ll(t)..
l(t) =l= 1;
verl..
verlust =e= sum{t, j(t)};
arb..
arbeit =e= (sum{t, 1-l(t)})/20;
util..
utility =e= sum{t, beta(t)*[p2*log[c(t)] + (1-p2)*log[l(t)]]};
Model Schuldner1 /all/;
*Beschraenkungen der Variablen
c.lo(t) = 0.001;
l.lo(t) = 0.001;
v.fx("0") = v0;
*Entschuldungsdummy g = 1 wenn Entschuldung stattfindet
g.fx("1") = 0;
g.fx("2") = 0;
g.fx("3") = 0;
g.fx("4") = 0;
g.fx("5") = 0;
g.fx("6") = 0;
g.fx("7") = 0;
g.fx("8") = 0;
g.fx("9") = 0;
g.fx("10") = 1;
g.fx("11") = 0;
g.fx("12") = 0;
g.fx("13") = 0;
g.fx("14") = 0;
g.fx("15") = 0;
Anhang
g.fx("16") = 0;
g.fx("17") = 0;
g.fx("18") = 0;
g.fx("19") = 0;
g.fx("20") = 0;
*Ausfuehrungsoptionen
option nlp=conopt2;
Solve Schuldnermodell maximizing utility using nlp;
305
Lebenslauf
Christoph Zaborowski, geboren 1968, besuchte die Schulen in Deutschland und
schloss sein Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität Konstanz 1994
mit dem Diplom ab. Von 1994 bis 1998 war er am Institut für Empirische Wirtschaftsforschung und später am Sozialökonomischen Seminar der Universität
Zürich am Lehrstuhl von Prof. Dr. Peter Zweifel als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig. Seit 1996 hat er sich schwerpunktmässig im Rahmen eines vom Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung
unterstützten Law and Economics Projektes mit der Überschuldung privater
Haushalte beschäftigt.
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