Gründe und Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung privater Haushalte in der Schweiz: Ein wirtschaftstheoretischer Ansatz DISSERTATION der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich zur Erlangung der Würde eines Doktors der Wirtschaftswissenschaften vorgelegt von CHRISTOPH ZABOROWSKI von Deutschland genehmigt auf Antrag von Prof. Dr. Peter Zweifel Die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät gestattet hierdurch die Drucklegung der vorliegenden Dissertation, ohne damit zu den darin ausgesprochenen Anschauungen Stellung zu nehmen. Zürich, den 3. Februar 1999 Der Dekan: Prof. Dr. P. Stucki Diese Dissertation ist als pdf-Datei im Internet erhältlich unter der Adresse: http://www.unizh.ch/sozoec/publications/thesis Vorwort Verschuldung: Für den einen ist es schlicht intertemporale Optimierung, für den anderen ist es ein grosses Problem. Mit der Rezession in der ersten Hälfte der 90er Jahre hat sich die Problematik hochverschuldeter Haushalte verschärft. Durch die steigende Verschuldung ist natürlich auch die Zahl der Betreibungen gestiegen. Aufgrund der relativen Erfolglosigkeit der Lohnpfändung in der Schweiz, war es an der Zeit über Reformen des Betreibungs- und Konkursrechts zu reden. Die vorliegenden Dissertation entstand im Rahmen eines interdisziplinären Projekts der Proff. Isaak Meier und Peter Zweifel (Rechtswissenschaftliches Seminar bzw. Sozialökonomisches Seminar der Universität Zürich) sowie Dr. Ingrid Jent-Sørensen (Rechtswissenschaftliches Seminar der Universität Zürich) und mir selbst. Finanziert wurde dieses Projekt, und damit vor allem meine Arbeit, vom Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung unter der Projektnummer 12-45487.95. Während der Projektbericht vor allem eine Expertise darstellt und konkrete Vorschläge für eine Reform des Betreibungs- und Konkursrechtes enthält, konzentriert sich meine Dissertation auf den wirtschaftstheoretischen Bereich. Ich möchte an dieser Stelle meinem Betreuer Prof. Zweifel danken, der es mir ermöglicht hat an dem Nationalfondsprojekt teilzunehmen und somit diese Dissertation zu erstellen. Dank schulde ich auch Prof. Stefan Felder von der Universität Magdeburg, der mit wertvollen Hinweisen zum Gelingen dieses Buches beigetragen hat. Meine Kollegen Dr. Michael Breuer, Dr. Dario Bonato, Harry Telser, Jörg Wild und Roland Umbricht haben tatkräftig geholfen die Zahl der Fehler in dieser Arbeit zu reduzieren. Sollten dennoch welche zu finden sein, so gehen sie allein auf mein Konto. Schliesslich hätte ich ohne die ständige Unterstützung meiner zukünftigen Frau Filomena Montanaro, die Kraft für die ganze Arbeit nicht aufgebracht. Und last but not least: Ohne meine Eltern, Dieter und Inge Zaborowski, hätte ich erst gar nicht studieren können. Zürich, im Februar 1999 Christoph Zaborowski Inhaltsverzeichnis i Inhaltsverzeichnis Teil I Einleitung und Einführung in die Arbeit 1 1 Einleitung 1 2 Die rechtliche Seite der Betreibung 6 3 Betreibung und Pfändung in der Schweiz - Ergebnisse einer Datenerhebung 10 3.1 Soziodemographische Zusammensetzung der Stichprobe 11 3.2 Die Lebenssituation der von Betreibung betroffenen Personen 13 3.2.1 Zivilstand, Wohnung, Bildung und Beruf der Betroffenen 13 3.2.2 Die Einkommen der interviewten Personen 16 3.2.3 Das Ausmass der Verschuldung 17 3.3 Der Vollzug der Betreibung 20 3.4 Persönliche Aussagen der interviewten Personen 21 3.5 Die Gläubiger 23 4 Literatur zu Teil I 26 Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 1 Einleitung zu Teil II 29 30 1.1 Verschuldung, Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 30 1.2 Vorsätzliche vs. unbeabsichtigte Zahlungsunfähigkeit/Überschuldung 33 1.2.1 Vorsätzliche Überschuldung 1.2.2 Unbeabsichtigte Überschuldung 1.3 Modellierung und Vorgehensweise 2 Grundlagen der intertemporalen Optimierung und der Optimierung unter Risiko 33 35 37 40 ii Inhaltsverzeichnis 2.1 Grundlagen der intertemporalen Optimierung 2.1.1 Intertemporale Optimierung im Zwei-Perioden Modell 2.1.2 Intertemporale Optimierung im Multi-Perioden Modell 2.2 Einführung in die Risikonutzentheorie 3 Risiko als Grund für Überschuldung 3.1 Ohne explizite Darstellung des Überschuldungsrisikos 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 Vorsichtersparnis in der ökonomischen Literatur Das Modell von Blanchard und Mankiw Vorsichtssparen und Überschuldungsrisiko Einfluss des Einkommensrisikos auf die Überschuldungswahrscheinlichkeit 3.1.4.1 Das Einkommensrisiko sei gleichverteilt 3.1.4.2 Das Einkommensrisiko sei normalverteilt 40 40 44 49 53 53 53 54 59 62 62 66 3.2 Berücksichtigung des Überschuldungsrisikos 70 3.3 Die Rolle des Einkommens 74 4 Die Rolle der Zeitpräferenzrate 76 4.1 Die klassische Zeitpräferenzrate 76 4.2 Hyperbolische Diskontierung und zeitinkonsistentes Verhalten 77 5 Interdependente Präferenzen als Ursache der Überschuldung 5.1 Personell interdependente Präferenzen -- Die Jagd nach Status 5.1.1 Happiness vs. Präferenzordnung 5.1.2 Der Einfluss von Statuspräferenzen auf das Verhalten 5.1.2.1 Das rat-race 5.1.2.2 Ersparnis und Statuspräferenzen 5.2 Zeit-interdependente Präferenzen als Ursache der Überschuldung 85 85 85 88 88 93 94 6 Der Konsum langlebiger Konsumgüter als Verschuldungsgrund 97 6.1 Die Theorie langlebiger Konsumgüter 97 6.2 Die Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern und das Sparverhalten 99 7 Überschuldung aufgrund „unzureichender Optimierung“ 7.1 Mangelnde Fähigkeiten zur Haushaltsführung 103 103 Inhaltsverzeichnis 7.2 Sucht als Grund für Überschuldung 8 Empirische Evidenz iii 106 109 8.1 Die Studie von Lea et al. 110 8.2 Eigene Schätzungen 113 8.2.1 Die Variablen der Schätzung 8.2.2 Die verwendeten Schätzmodelle 8.2.3 Die Ergebnisse der Schätzungen 113 118 121 9 Schlussfolgerungen zu Teil II 132 10 Literatur zu Teil II 138 Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 1 Einleitung zu Teil III 143 143 1.1 Stand der Forschung hinsichtlich des individuellen Verhaltens bei einer Betreibung 143 1.2 Modellierung und Vorgehensweise 145 2 Intertemporale Optimierung mit Hilfe der Theorie der optimalen Kontrolle 146 2.1 Das dynamische Konsum-Modell mit endogenem Arbeitsangebot 146 2.2 Analyse im Phasenportrait 149 2.2.1 Der Gleichgewichtspfad für das Vermögen 2.2.2 Der Gleichgewichtspfad für die Freizeit 3 Die Modellierung des Verhalten eines Haushalts in der Lohnpfändung 3.1 Das statische Modell 3.1.1 Die Reaktion eines Individuums in einem Einperioden-Modell 3.1.2 Das Zweiperioden-Modell 3.2 Ein dynamisches Multiperioden-Modell 3.2.1 Das Modell 3.2.2 Allgemeine Gleichgewichtsanalyse im 149 151 155 155 155 157 163 163 iv Inhaltsverzeichnis Zustands-/Kozustandsphasenportrait 3.2.3 Analyse der Gleichgewichtspfade für Vermögen und Freizeit 3.2.3.1 Der Gleichgewichtspfad für das Vermögen 3.2.3.2 Der Gleichgewichtspfad für die Freizeit 4 Analyse eines betriebenen Individuums mittels Computersimulationen 4.1 Die Wahl der Nutzenfunktion 4.1.1 Logarithmische Cobb-Douglas-Nutzenfunktion 4.1.2 CES-Nutzenfunktion 4.1.3 Quadratische Nutzenfunktion 169 179 179 183 193 193 195 196 197 4.2 Festlegung der sonstigen Parameterwerte für die Simulationen 198 4.3 Simulationsergebnisse und komparative Dynamik 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4 Der Optimierungspfad Wirkung einer Änderung der Startschuld Änderung des Existenzminimums Die Rolle der Sozialhilfe 5 Reformvorschläge - Chancen für eine Pareto-Verbesserung? 5.1 Variables Existenzminimum 200 200 203 205 208 212 213 5.1.1 Das variable Existenzminimum im theoretischen Modell 213 5.1.2 Die Ergebnisse der Simulationen zum variablen Existenzminimum 219 5.1.2.1 Freibetrag f = m 221 5.1.2.2 Absenkung des Freibetrags f 228 5.1.2.3 Die Rolle der staatlichen Sozialhilfe und der Steuerzahler 231 5.2 Vorzeitige Entschuldung 232 5.3 Wirkung der Reformvorschläge auf den Kreditmarkt 238 6 Empirische Evidenz 243 6.1 Die Studie von Sullivan et al. (1989, 1994) 243 6.2 Eigene empirische Untersuchungen 245 7 Schlussfolgerungen zu Teil III 253 8 Literatur zu Teil III 259 Inhaltsverzeichnis Teil IV Erweiterungen und Schlussfolgerungen 1 Mögliche Erweiterungen der Modelle v 261 261 1.1 Die Vermögenspfändung 261 1.2 Die Rolle des Betreibungsamtes 265 2 Schlussfolgerungen zur gesamten Arbeit 269 3 Literatur zu Teil IV 275 Literaturverzeichnis 277 Anhang 285 Teil I Einleitung und Einführung in das Thema Teil I 1 Einleitung und Einführung in die Arbeit “Neither a borrower nor a lender be;...” Lord Polonius, 1. Akt, 3. Szene aus “Hamlet” von William Shakespeare 1 Einleitung Wären sie dem Ratschlag von Lord Polonius gefolgt, hätten 1996 in der Schweiz rund 370‘000 verschuldete Personen und ihre Gläubiger einige Probleme weniger gehabt.1 Wie aber kommt es, dass manche Menschen sich hoffnungslos überschulden, und wie reagieren sie auf eine Betreibung und die eventuell daraus folgende Lohnpfändung? Diesen beiden Fragen will ich in der vorliegenden Arbeit nachgehen. Die Ökonomen haben die Problematik der Überschuldung privater Haushalte bisher vor allem den Soziologen und den Juristen überlassen. Die Soziologie beschäftigt sich intensiv mit der Seite der Schuldner [vgl. z.B. Rosendorfer (1993) oder Böhm et al. (1997)]. Die Juristen, vor allem in den USA, diskutieren ausführlich die verschiedensten rechtlichen Möglichkeiten der Schuldensanierung privater Haushalte im Rahmen des Betreibungsverfahrens [vgl. z.B. Jackson (1986) oder Baird (1993)]. Der Grund für die Vernachlässigung der Verschuldung durch die Zunft der Ökonomen könnte sein, dass Verschuldung strenggenommen nichts anderes als negative Ersparnis ist. Im Rahmen der intertemporalen Optimierung spart oder entspart ein Individuum, wenn seine Zeitpräferenzrate den Marktzinssatz unter- bzw. übersteigt. Das Sparen ist von den Wirtschaftswissenschaftlern recht ausführlich behandelt worden [vgl. z.B. Deaton (1992)]. Die Verschuldung dagegen kaum. Es gibt aber einen grossen Unterschied zwischen Ersparnis und Verschuldung. Ein Fehler in der Entscheidung kann bei Verschuldung weitaus gravierendere 1) Laut der Datenerhebung von Meier et al. (1999) wurden in der Schweiz 1996 rund 370‘000 Personen betrieben. 2 1 Einleitung Folgen haben als bei Ersparnis. Wenn eine Person irgendwann in ihrem Leben feststellt, dass sie zuviel gespart hat (z.B. weil das Einkommen höher als erwartet ausgefallen ist), wird sie sich in diesem Augenblick möglicherweise über den in der Vergangenheit entgangenen Nutzen ärgern. Dabei bleibt es aber auch. Der Fehler ist relativ leicht zu revidieren, sei es durch Aufbrauchen des Vermögens, durch Verschenken oder Vererben. Anders sieht dies aus wenn sich ein Individuum verschuldet und z.B. das Einkommen dann geringer als erwartet ausfällt. Die Folge könnte die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung sein.1 Es kommt zu einer Betreibung, eventuell zu einer Pfändung. Das Individuum hat nun einen Eintrag in seinem Betreibungsregister. Dies kann sich durchaus negativ auf zukünftige Kreditanträge, Gesuche um eine Wohnung oder auch eine Arbeitsstelle auswirken. Im Rahmen einer Pfändung muss die betroffene Person ihre finanzielle Situation offenlegen. Es werden Vermögensbestandteile oder sogar Teile des Einkommens gepfändet. Insgesamt bedeutet die Überschuldung und die möglicherweise daraus folgende Betreibung mit einer Pfändung einen tiefen Einschnitt in das Leben der Betroffenen. Dementsprechend werden natürlich auch die zukünftigen Entscheidungen, z.B. bezüglich des Arbeitsangebotes, stärker tangiert, als dies bei „zu grosser“ Ersparnis der Fall ist. Auch für die Gläubiger bedeutet die Existenz zahlungsunfähiger Schuldner unter Umständen eine hohe Belastung. Vor allem kleinere Unternehmungen mit knapper Gewinnmarge können beim gleichzeitigem Auftreten mehrerer säumiger Schuldner selbst in Zahlungsschwierigkeiten kommen. Das Thema „Gründe und Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung privater Haushalte“ sollte also auch für die Ökonomen von Interesse sein. Um zu den, vor allem verbalen und manchmal empirischen, Werken der Soziologen und Juristen eine Erweiterung zu bieten, will ich mit meiner Dissertation das Thema in erster Linie wirtschaftstheoretisch angehen. Das Ziel dieser Arbeit ist es, einen ersten Schritt in der ökonomischen Analyse der Überschuldung privater Haushalte zu machen. 1) In Abschnitt 1.1 von Teil II werden die beiden Begriffe Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung noch genauer definiert. Teil I Einleitung und Einführung in das Thema 3 Ich bin von der häufig verwendeten Arbeitsweise, ein einfaches Modell zu erstellen und dieses dann in jedem Kapitel ein wenig zu erweitern, abgewichen. Der Grund hierfür liegt in der Komplexität des Themas. Was führt in die Verschuldung? Was sind die Folgen der Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung? Dies sind zwei Fragen, die zweifelsohne zusammengehören. Es erscheint aber nicht sinnvoll sie auch beide in einem einzigen ökonomischen Modell abzuhandeln. Dieses Modell müsste so vereinfacht werden, dass relevante Aussagen nur noch auf sehr allgemeiner Ebene möglich wären. Die Zweiteilung erlaubt es, die ex ante und die ex post Phase jeweils genau zu analysieren, um so einerseits die unterschiedlichen Gründe für Überschuldung zu identifizieren und andererseits das Verhalten eines Individuums während einer Lohnpfändung zu betrachten. Ferner können einzelne Reformvorschläge für das Betreibungsrecht auf ihre Wirkung hin getestet werden. Die vorliegende Dissertation unterteilt sich in vier Abschnitte. Der erste Teil bildet zusammen mit dem vorliegenden Abschnitt die Einleitung in die Problematik der Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit privater Haushalte. Zuerst werde ich kurz die rechtliche Abfolge einer Betreibung in der Schweiz vorstellen. Anschliessend werden die Ergebnisse einer Datenerhebung präsentiert, welche im Rahmen des Nationalfondsprojekts „Auf der Suche nach dem optimalen Existenzminimum“1 auf 25 schweizerischen Betreibungsämtern durchgeführt wurde. Während dieser Datenerhebung wurden 2‘705 Betreibungsakten analysiert und 187 Interviews mit Schuldnern durchgeführt. Der zweite Teil beinhaltet die Analyse der Überschuldungsgründe. Eine entscheidende Rolle spielt vor allem das Einkommensrisiko und die daraus folgende Wahrscheinlichkeit, durch einen exogenen Schock in die Überschuldung zu geraten. Diese Überschuldungswahrscheinlichkeit lässt sich durch das Ausmass der Ersparnis beeinflussen. Es werden verschiedene, mehr oder weniger populäre, Ansätze der ökonomischen Theorie vorgestellt, welche das Sparverhalten von Individuen zu erklären versuchen. Jeder dieser Ansätze wäre es wert, in einer eigenen Dissertation beschrieben zu werden. Die Anhänger und Kenner der 1) Vgl. Meier et al. (1999). 4 1 Einleitung jeweiligen Modelle mögen es mir verzeihen, wenn ich nur jeweils die Grundlagen erläutere und versuche, den Einfluss auf das Sparverhalten der Individuen zu analysieren. Eine tiefergehendere Analyse dieser Modelle würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Das Ziel dieses Teils ist es, über die in der soziologischen Literatur genannten Überschuldungsgründe hinaus, eine wirtschaftstheoretische Basis zu bieten, um dadurch die Entscheidungsfindung zur Prävention von Überschuldung seitens der Wirtschaftspolitik zu erleichtern. Der dritte Teil ist den Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung gewidmet. Es wird angenommen, ein Individuum sei überschuldet und eine Lohnpfändung sei bereits eingeleitet. Es wird analysiert, wie das Individuum mit seinem Arbeitsangebot auf die Lohnpfändung reagiert. Ferner werden zwei Reformvorschläge für das schweizerische Betreibungsrecht und ihre Effekte auf das Arbeitsangebot der verschuldeten Personen untersucht. Dies ist zum einen die Einführung eines variablen, einkommensabhängigen Existenzminimums und zum anderen die Einführung einer Restschuldbefreiung. Im Vordergrund steht dabei die Frage, wer die Gewinner und wer die Verlierer der möglichen Reformen sind. Das verwendete Modell ist ein dynamisches Kontrollmodell mit endlichem Zeithorizont. Die Ergebnisse werden mit Hilfe von Computersimulationen errechnet. Dieser dritte Teil stellt zum Teil Neuland dar. Wie bereits erwähnt, haben sich die Ökonomen nicht sehr intensiv um das Thema Überschuldung gekümmert. In besonderem Masse trifft dies auf die Durchführung einer Lohnpfändung und ihre Anreizeffekte zu. Ich hoffe, ich kann mit dem von mir verwendeten Modell einen Anstoss zur intensiveren Forschung auf diesem Gebiet liefern. Der vierte Teil bildet den Abschluss der Arbeit. Es werden zuerst in zwei Abschnitten kurz einige Aspekte beleuchtet, welche bei den Analysen der Teile II und III der Einfachheit halber nicht berücksichtigt wurden. Letztendlich werden die Schlussfolgerungen gezogen und Ideen für die Wirtschaftspolitik formuliert, welche das Problem der Überschuldung sicher nicht beseitigen aber vielleicht mildern können. Teil I Einleitung und Einführung in das Thema 5 Die in dieser Arbeit vorgestellten Modelle bilden das Schweizer System des Pfändungsvollzugs ab, können aber relativ einfach auch auf andere Rechtssysteme angewendet werden. 6 2 Die rechtliche Seite der Betreibung 2 Die rechtliche Seite der Betreibung Der folgende Abschnitt dient einem Überblick über den Verlauf einer Betreibung und deren Rechtsvoraussetzungen.1 Ein Gläubiger, der sich einem Schuldner gegenübersieht, welcher nicht bereit ist, die Schuld zurückzubezahlen, hat die Möglichkeit, sich zur Durchsetzung seiner Forderung an ein Betreibungs- und Konkursamt zu wenden, um mit Hilfe des Staates seine Forderung einzutreiben. Besteht die Schuld nicht in monetären Werten, sondern z.B. einer Dienstleistung, ist der Weg über das Betreibungs- und Konkursamt nicht möglich. Der erste Schritt der Betreibung ist das Betreibungsbegehren (vgl. den Überblick in Abbildung I.1), welches der Gläubiger beim Betreibungsamt einreicht. Der Gläubiger muss hierzu ein Formular ausfüllen, auf welchem der Schuldner, der Gläubiger, die Forderungshöhe inkl. Zinsen und deren Grund angegeben sind. Ferner muss der Gläubiger eine Vorauszahlung der Betreibungskosten leisten. Eine Überprüfung der Rechtmässigkeit der Forderung findet zu diesem Zeitpunkt noch nicht statt. Aufgrund des Betreibungsbegehrens schickt ein Betreibungsbeamte dem Schuldner einen Zahlungsbefehl zu, in welchem angedroht wird die Betreibung fortzusetzen, sofern die Zahlung nicht innerhalb von 20 Tagen erfolgt. Der Schuldner kann innerhalb dieser Frist entweder bezahlen oder innerhalb von 10 Tagen einen Rechtsvorschlag erheben. Mit Hilfe des Rechtsvorschlags erklärt der Schuldner, dass er mit dem Zahlungsbefehl nicht einverstanden ist, da er den geforderten Betrag nicht oder zumindest nicht in der angegebenen Höhe schulde. Der Rechtsvorschlag führt dazu, dass die Forderung, wenn nötig, gerichtlich überprüft wird. Bei der gerichtlichen Überprüfung legt der Gläubiger seine Beweismittel bezüglich seiner Forderung offen. Je nach Beweislage wird der Richter entscheiden, ob er eine definitive oder provisorische Rechtsöffnung erteilt. Eine provisorische Rechtsöffnung heisst, dass der Rechtsvorschlag des Schuldners 1) Vgl. zum Betreibungs- und Konkursrecht u.a. auch Amonn (1997), Spühler et al. (1996) sowie Spühler/Pfister (1997). Teil I Einleitung und Einführung in das Thema Abbildung I.1 7 Schema zur rechtlichen Abfolge einer Betreibung Betreibungsbegehren innerhalb von 20 Jahren 1 Tag Zahlungsbefehl Rechtsvorschlag Bezahlung 20 Tage Rechtskräftiger Zahlungsbefehl Fortsetzungsbegehren Nichtanerkennung bzw. Aberkennung des Zahlungsbefehls innerhalb von 6 Monaten Pfändung Keine Aktiven Verlustschein Lohnpfändung Abwarten bis Schuldner solvent wird 1 Jahr Arrestbegehren möglich ungenügend Verlustschein aus Pfändung für ungedeckten Betrag Erlös Sachpfändung 1 Monat bis 1 Jahr Mobilien 6 Monate bis 2 Jahre Immobilien Verwertungsbegehren genügend: Betreibungsverfahren erfolgreich abgeschlossen provisorisch beseitigt wird. Der Schuldner hat die Möglichkeit, mittels einer Aberkennungsklage über den Gerichtsweg feststellen zu lassen, ob die Forderung besteht oder nicht. Unterlässt er dies oder verliert er in diesem Prozess, wird die 8 2 Die rechtliche Seite der Betreibung definitive Rechtsöffnung erteilt, und der Gläubiger kann durch ein Fortsetzungsbegehren die Fortsetzung der Betreibung einleiten. Liegen von Seiten des Gläubigers keine Beweismittel für die Rechtmässigkeit seiner Forderung vor, so muss er versuchen, im Rahmen eines Zivilprozesses mittels einer Anerkennungsklage die definitive Rechtsöffnung zu erstreiten. Das Fortsetzungsbegehren muss spätestens 1 Jahr nach Einleitung der Betreibung durch den Gläubiger gestellt werden, andernfalls erlischt der Zahlungsbefehl. Im Anschluss an das Fortsetzungsbegehren kann, sofern der Schuldner nach wie vor nicht bereit oder nicht der Lage ist zu zahlen, eine Pfändung eingeleitet werden. Die Pfändung wird vom Betreibungsbeamten dem Schuldner angekündigt. Sofern Vermögenswerte vorliegen, werden diese im Beisein des Schuldners gepfändet, soweit dies zur Deckung der Schuld inkl. Zinsen und Betreibungskosten notwendig ist (Sachpfändung). Die Vermögensbestandteile welche als unentbehrlich gelten, dürfen nicht gepfändet werden (die sog. Kompetenzstücke). Zu diesen Kompetenzstücken gehören z.B. Kleider, Geschirr und einige Möbel. Im Anschluss an die Pfändung kann der Gläubiger innerhalb der bestehenden Fristen ein Verwertungsbegehren stellen, worauf die Vermögenswerte öffentlich versteigert werden.1 Der Erlös fliesst dann dem Gläubiger zu. Liegt kein pfändbares Vermögen vor, kann dem Schuldner ein Teil seines Lohnes gepfändet werden (Lohnpfändung). Bei der Lohnpfändung wird der Teil des Lohnes gepfändet, welcher das sog. betreibungsrechtliche Existenzminimum übersteigt. Das betreibungsrechtliche Existenzminimum basiert auf Empfehlungen der Schweizerischen Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten und soll das zum Leben notwendige Minimum gewährleisten.2 Liegen weder pfändbares Vermögen oder Lohn vor oder reichen die gepfändeten Beträge nicht zur vollständigen Deckung der Schulden, erhält der Gläubiger 1) Das Verwertungsbegehren für Mobilien kann frühestens 1 Monat nach der Pfändung beantragt werden und spätestens nach 1 Jahr. Für Immobilien beträgt diese Frist 6 Monate bzw. 2 Jahre. 2) Die aktuellen Empfehlungen basieren auf einer Arbeit von Furrer und Hertig (1974). Das Nationalfondsprojekt von Meier et al. (1999) hat unter anderem zur Aufgabe, eine Grundlage für neue Empfehlungen zu erarbeiten. Teil I Einleitung und Einführung in das Thema 9 einen Verlustschein. Der Verlustschein beendet vorläufig die Betreibung. Innerhalb von 6 Monaten kann der Gläubiger allerdings jederzeit durch ein Fortsetzungsbegehren eine neue Betreibung einleiten. Vermögen welches beim Schuldner entdeckt wird, kann beschlagnahmt werden (in Arrest gelegt werden). Für die geschuldete Forderung beginnt eine Verjährungsfrist von 20 Jahren zu laufen. Zinsen kann der Gläubiger während einer Lohnpfändung und auch nach Erhalt eines Verlustscheins nicht weiter berechnen. Sieht ein Schuldner keine Möglichkeit, die an ihn gestellten Forderungen zu begleichen, so kann er eine Insolvenzerklärung abgeben. Mit der Insolvenzerklärung erklärt sich der Schuldner gegenüber einem Konkursrichter für zahlungsunfähig. Bevor dem Antrag stattgegeben wird, muss jedoch ein Versuch zur Schuldenbereinigung unternommen werden.1 Bei der Schuldenbereinigung prüfen ein Sachwalter, der Schuldner sowie die Gläubiger nach Möglichkeiten, die Schulden mit Hilfe von Zahlungserleichterungen oder -aufschüben zu bereinigen. Ist diese Möglichkeit nicht gegeben, wird der Konkurs über den Schuldner eröffnet. Der Vorteil für den Schuldner liegt darin, dass alle laufenden Betreibungen und Pfändungen beendet werden. So wird zum Beispiel auch eine Lohnpfändung gestoppt und der Schuldner kann wieder über seinen vollen Lohn verfügen. Kommt der Schuldner wieder zu neuem Vermögen, so können die Gläubiger wieder Betreibungen einleiten. Eine Restschuldbefreiung, wie sie in den USA, England oder auch Deutschland (seit 1. Januar 1999) existiert, kennt das schweizerische Recht nicht. 1) Dieser Zwischenschritt ist erst seit dem 1. Januar 1997 notwendig. 10 3 Betreibung und Pfändung in der Schweiz - Ergebnisse einer Datenerhebung 3 Betreibung und Pfändung in der Schweiz - Ergebnisse einer Datenerhebung Im vorliegenden Abschnitt soll die Situation betriebener Personen in der Schweiz anhand der Daten einer 1997 durchgeführten Datenerhebung vorgestellt werden.1 Im Rahmen des Nationalfondsprojekts „Auf der Suche nach dem optimalen Existenzminimum“ erfolgte eine Datenerhebung auf schweizerischen Betreibungsämtern. Es sind insgesamt 25 Betreibungsämter in 15 Kantonen berücksichtigt worden (vgl. Tabelle A.1 im Anhang). In jedem dieser Ämter wurden zwei parallele Untersuchungen vorgenommen: Zum einen Interviews mit Schuldnern und zum anderen eine Aktenanalyse. Die Untersuchungen haben Studierende der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich durchgeführt. Die beiden verwendeten Fragebögen sind im Anhang abgedruckt. Ziel dieser Datenerhebung war a) das Verhalten der Schuldner genauer zu durchleuchten, um mit Hilfe dieser Daten Reformvorschläge für das Betreibungs- und Konkursrecht machen zu können und b) eine stichprobenartige Bestandsaufnahme der Betreibungen in der Schweiz durchzuführen, da die offiziellen Statistiken allerhand Ungenauigkeiten enthalten. Bei der Aktenanalyse sind pro Amt rund 100 Personen aus den Akten bzw. der EDV nach dem Zufallsprinzip herausgesucht worden. Von diesen Schuldnern wurden dann die folgenden Daten erhoben: Geschlecht, Alter, Nationalität, Gläubiger, erledigte und laufende Betreibungen sowie das gewährte Existenzminimum (falls eine Lohnpfändung vorlag).2 Insgesamt haben die Studierenden Daten von 2’705 Personen gesammelt. Die Interviews dienten dazu, die amtlichen Angaben mit sozioökonomischen Daten zu ergänzen. Sie fanden anlässlich der Einvernahme auf dem Betreibungsamt oder in der Wohnung des Schuldners statt. In der Regel erklärte sich mehr als die Hälfte der Befragten zur Mitarbeit bereit. Bei einzelnen Fragen (insbesondere 1) Für eine ausführlichere Darstellung der Ergebnisse der Datenerhebung vgl. Meier et al. (1999), Kap. II.3. 2) Bei vielen Ämtern sind Angaben zur Person wie Alter und Nationalität leider oft nur unvollständig oder gar nicht erfasst. Teil I Einleitung und Einführung in das Thema 11 zum Einkommen) zogen es dann allerdings manche vor nicht zu antworten. Da vielfach unsicher war, ob denn ein Schuldner überhaupt zur Einvernahme auf dem Betreibungsamt erscheinen oder in seiner Wohnung anzutreffen sein würde, blieb die Zahl der Interviews mit 187 eher gering. Bei einigen Einsätzen konnte leider gar kein oder nur ein einziger Schuldner interviewt werden. 3.1 Soziodemographische Zusammensetzung der Stichprobe In Tabelle I.1 ist die soziodemographische Zusammensetzung der gesamten Stichprobe wiedergegeben. Zwei Drittel der von Betreibung betroffenen Personen sind Männer. Die grösste Altersgruppe stellen in beiden Untersuchungen die Dreissig- bis Vierzigjährigen mit einem Anteil von über 30%. Die Personen mit Schweizer Nationalität nehmen mit 60% bzw. 70% einen weitaus geringeren Anteil ein, als es von ihrem Bevölkerungsanteil von rund 80% an der Gesamtbevölkerung zu erwarten wäre.1 Der hohe Ausländeranteil innerhalb der betriebenen Personen sollte nicht von vornherein als Ausfluss einer schlechteren Zahlungsmoral interpretiert werden, sondern ist wohl vor allem auch auf die im Schnitt finanziell schlechtere Situation der Personen ausländischer Herkunft zurückzuführen. Dies lässt sich aus dem Umstand erklären, dass die ausländischen Mitbürger überdurchschnittlich häufig unter den finanzschwachen Haushalten zu finden sind. Die Armutsquote innerhalb der ausländischen Bevölkerung beträgt 13%, während sie innerhalb der Bevölkerungsgruppe mit Schweizer Nationalität 9% beträgt.2 Die soziologische Zusammensetzung entspricht recht gut den Daten, welche von den sechs kantonalen Fachstellen für Schuldenfragen bezüglich der Zusammensetzung ihrer Klientel zusammengetragen wurden.3 1) Vgl. Bundesamt für Statistik (1998). 2) Die verwendete Armutsgrenze beträgt 1’285 Fr./Monat für einen Einpersonenhaushalt, vgl. Leu et al. (1997). 3) Gespräch mit Frau Haber von der Zürcher Fachstelle für Schuldenfragen sowie Artikel in der Neue Zürcher Zeitung „Wer verschuldet sich“ vom 31.03.1998. 12 3 Betreibung und Pfändung in der Schweiz - Ergebnisse einer Datenerhebung Tabelle I.1 Soziodemographische Zusammensetzung der Stichprobe -- Aktenanalyse und Interviews Geschlecht Frauen Männer Summe I Keine Information Summe II Alter Aktenanalyse Interviews 855 (32%) 54 (29%) 1’813 (68%) 132 (71%) 2’668 (100%) 186 (100%) 37 1 2’705 187 Aktenanalyse Interviews unter 25 156 (11%) 17 (9%) 26 - 30 207 (15%) 27 (14%) 31 - 40 437 (31%) 66 (35%) 41 - 50 323 (23%) 52 (28%) 51 - 60 > 60 202 (14%) 18 (10%) 95 (7%) 7 (4%) Summe I 1’420 (100%) Keine Information 1’285 Summe II 2’705 Nationalität 187 (100%) 187 Aktenanalyse Interviews 725 (60%) 132 (70%) 36 (3%) 2 (1%) 9 (1%) 2 (1%) 101 (8%) 9 (5%) ehem. Jugoslawien 98 (8%) 17 (9%) Türkei 52 (4%) 3 (2%) übriges Europa 80 (7%) 13 (7%) 100 (8%) 9 (5%) Summe I 1’201 (100%) Keine Information 1’504 Summe II 2’705 Schweiz Deutschland Frankreich Italien Alle anderen 187 (100%) 187 Teil I Einleitung und Einführung in das Thema 13 3.2 Die Lebenssituation der von Betreibung betroffenen Personen Im folgenden Abschnitt werden die Ergebnisse der Interviews und der Aktenanalyse hinsichtlich der persönlichen Lebensumstände der von Überschuldung bzw. Betreibung betroffenen Personen wiedergegeben. 3.2.1 Zivilstand, Wohnung, Bildung und Beruf der Betroffenen Ein Grossteil der interviewten Personen war zur Zeit der Datenerhebung im Jahr 1997 alleinstehend. 32% der Befragten waren ledig und weitere 34% geschieden oder getrennt von ihrem Partner. Das heisst, inkl. der verwitweten waren 69% der befragten Personen nicht verheiratet. Gegenüber der Situation im Jahr 1992 sind zusätzlich 27 Personen (rund 15%) geschieden oder haben sich von ihrem Partner getrennt. Scheidung bzw. Trennung vom Ehepartner scheint ein häufiger ein Grund für Überschuldung zu sein (vgl. dazu auch später Tabelle I.8 in Abschnitt 3.4) und die Schätzungen in Abschnitt 8 von Teil II). Auf die Frage wieviele Personen im Haushalt wohnen, antworteten 112 Befragte (60%), dass sie alleine wohnen würden, 34% sagten aus sie wohnten zu zweit, weitere 5% wohnen zu dritt und nur zwei Personen wohnen in einem 4-Personen-Haushalt. Wie aus Tabelle I.2 ersichtlich, zeigt sich die Situation bei der Aktenanalyse nicht viel anders. Die Schulbildung der Befragten konzentriert sich auf den Abschluss der Oberschule und Gewerbeschule (vgl. Tabelle I.3). Nur fünf Personen gaben an, die Matura gemacht zu haben, und weitere fünf haben eine Hochschule besucht. Immerhin 21 Personen gaben dagegen an, nur die Primarschule besucht zu haben. Im Grossen und Ganzen ist das Bildungsniveau der Verschuldeten im Vergleich mit dem Durchschnitt der Gesamtbevölkerung eher unterdurchschnittlich. Die meisten können aber immerhin eine abgeschlossene Ausbildung vorweisen. In Tabelle I.4 sind die Berufe angegeben, welche die interviewten Schuldner ausüben. Den grössten Anteil bilden die Arbeitslosen mit 29%. Einen Job als ungelernter Arbeiter oder Bürogehilfe haben 12% der Befragten, und weitere 8% kommen mit Gelegenheitsjobs über die Runden. Es ist offensichtlich, dass vor 14 3 Betreibung und Pfändung in der Schweiz - Ergebnisse einer Datenerhebung Tabelle I.2 Haushalts grösse Haushaltsgrösse -- Aktenanalyse 1 Person 2 Personen 3 Personen 4 Personen 5 Personen 6 Personen Wohngemeinschaft Anzahl 145 74 43 32 9 1 17 Prozentanteila 45% 23% 13% 10% 3% 0.3% 5% a. Anteil an vorhandenen Angaben (bei 2’384 Akten waren keine Angaben über die Haushaltsgrösse vorhanden). Tabelle I.3 Bildungsniveau der Schuldner und ihrer Partner Schnitt Schweiza Zuletzt abgeschlossene Schule/Ausbildung Schuldner Partner Obligatorische Schule 80 (44%) 26 (37%) 20% Sekundarstufe II 82 (46%) 38 (54%) 58% Tertiärstufe 18 (10%) 6 (9%) 22% Keine Schule 3 (2%) 1 (1%) Summe I 183 (100%) 71 (100%) 4 116 187 187 Keine Antwort/Kein Partner Summe II a. Alle 25 - 64jährigen gemäss Bundesamt für Statistik, Sektion Bildung und Wissenschaft, Stand 1996. allem Arbeitslose und minder qualifizierte Personen mit dem Problem der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung zu kämpfen haben. Aufgrund ihres geringen Einkommens haben sie in der Regel keine Reserve, um unerwarteten Ausgaben zu begegnen. Vergleicht man die aktuelle Situation mit derjenigen vor fünf Jahren, so spiegelt sich der konjunkturelle Einbruch der Schweizer Wirtschaft deutlich wider. Während 1992 nur fünf der Interviewten arbeitslos waren, waren es 1997 bereits 54. Nur ein Befragter der fünf Jahre zuvor arbeitslos war, hatte zur Zeit der Datenerhebung eine Arbeitsstelle. Die anderen vier waren Teil I Einleitung und Einführung in das Thema Tabelle I.4 15 Berufe der Schuldner und ihrer Partner Berufskategorie Schuldner Partner Pensioniert/Bezüger einer vollen IV-Rente 5 (3%) 4 (5%) Student, Schüler, Lehrling 1 (1%) 0 (0%) Hausfrau/mann 8 (4%) 21 (26%) Ungelernter Arbeiter, Bürogehilfe 35 (19%) 17 (21%) Arbeiter (mit Lehrabschluss), Vorarbeiter 23 (12%) 11 (14%) Selbst. Kleingewerbetreibender, Handwerker 21 (11%) 3 (4%) 0 (0%) 1 (1%) 18 (10%) 7 (9%) Beamter, Angestellter in leitender Stellung 1 (1%) 0 (0%) Arzt, Anwalt usw. 5 (3%) 1 (1%) Direktor, Unternehmensleiter, Chefbeamter 0 (0%) 1 (1%) 15 (8%) 3 (4%) 54 (29%) 12 (15%) 186 (100%) 81 (100%) 1 106 187 187 Lehrer Beamter, Angestellter Gelegenheitsarbeiten Arbeitslos Summe I Keine Aussage/Kein Partner Summe II immer noch oder wieder ohne Arbeit. Von neun Personen wurden Gelegenheitsarbeiten als die Einnahmequelle des Jahres 1992 angegeben. Im Jahr 1997 waren es bereits 15 Befragte, die ihren Lebensunterhalt mit Gelegenheitsjobs bestreiten mussten. Von den 9 Personen die 1992 Gelegenheitsjobs inne hatten, sind 2 bis 16 3 Betreibung und Pfändung in der Schweiz - Ergebnisse einer Datenerhebung 1997 in die Arbeitslosigkeit abgerutscht, einer hat sich selbständig gemacht, und der Rest ist bei den Gelegenheitsjobs geblieben. Die Wohnsituation der Schuldner liess sich nur im Rahmen der Interviews beantworten. Die meisten der befragten Personen wohnen in einer Mietwohnung (79%), weitere 10% leben zur Untermiete und 6% wohnen bei Verwandten oder Bekannten. 3.2.2 Die Einkommen der interviewten Personen Mit einem durchschnittlichen Haushaltseinkommen (verfügbares Einkommen aller Familienmitglieder inkl. aller Sozialbezüge) von Fr. 3’9741 pro Monat (vgl. Tabelle I.5) liegen die betroffenen Personen deutlich unter dem Schweizer Durchschnitt von Fr. 7’587 pro Monat [vgl. Bundesamt für Statistik (1992)]. In Abbildung I.2 ist die Einkommensverteilung der interviewten Schuldner mittels eines Histogramms grafisch dargestellt (nur Einkommen grösser Null wurden berücksichtigt). In Tabelle I.5 sind die Mittelwerte der monatlichen Einkommen der interviewten Personen für die Jahre 1992 bis 1997 sowie ihre Einkommenserwartungen für 1998 und 1999 angegeben. Es ist recht deutlich zu sehen, dass die durchschnittlichen Einkommen der Verschuldeten, und auch die ihrer eventuell vorhandenen Partner, von 1992 bis 1997 (dem Jahr der Datenerhebung) stetig abgenommen haben. Für 1998 und 1999 wird allerdings im Schnitt wieder eine Steigerung des Einkommens erwartet. 1) Berücksichtigt wurden nur Antworten die ein Einkommen grösser Null angaben. Werden auch die "Nulleinkommen" berücksichtigt (Anteil 18%) verringert sich das durchschnittliche Haushaltseinkommen auf Fr. 3’612 pro Monat. Teil I Einleitung und Einführung in das Thema Abbildung I.2 17 Histogramm der Einkommensverteilung der Schuldner, 1997 Histogram Häufigkeit 40 30 Frequency 20 10 Std. Dev = 2486.33 Mean = 3973.7 N = 170.00 0 0 0. 00 16 0.0 00 15 0.0 00 14 0.0 00 13 .0 0 00 12 0.0 00 11 0.0 00 10 0 . 00 90 .0 00 80 .0 00 70 .0 00 60 0 . 00 50 .0 00 40 .0 00 30 0 . 00 20 .0 00 10 0 0. WAGE monatliches Einkommen Etwas mehr als ein Viertel der Befragten (52 Personen) gab an, Sozialleistungen zu beziehen (vgl. Tabelle I.6). Wie sich bereits anhand des grossen Anteils von Arbeitslosen vermuten lässt, nimmt die Arbeitslosenentschädigung mit 40% den Hauptanteil ein. An zweiter Stelle stehen Bezüge von der Fürsorge. Die durchschnittliche Höhe der Sozialleistungen wurde mit Fr. 2’043 angegeben, wobei die Bandbreite von Fr. 150 bis Fr. 5’300 reicht. 1992 bezogen nur 19 Personen Sozialleistungen, 10 von ihnen erhielten Zahlungen von der Fürsorge. Die durchschnittliche Bezugshöhe der Sozialleistungen betrug Fr. 1‘851. Vier Fürsorgeempfänger von 1992 bezogen auch noch (bzw. wieder) 1997 Sozialhilfe. 3.2.3 Das Ausmass der Verschuldung Die durchschnittliche Verschuldung1 der interviewten Personen liegt bei Fr. 54’645. Da der Mittelwert durch einige sehr hohe Ausreisser verzerrt ist, erscheint es sinnvoll, auch noch einige Lageparameter zu betrachten. Das 25er 1) Der Ausdruck Verschuldung bezieht sich auf die Summe aller Schulden, nicht nur der Schulden, welche bereits in einem Betreibungsverfahren hängig sind. 18 3 Betreibung und Pfändung in der Schweiz - Ergebnisse einer Datenerhebung Tabelle I.5 Monatliches Einkommen der Befragtena Mittelwert (Franken) Jahr Median (Franken) Modus (Franken) Keine Aussage (Personen) Einkommen = 0b (Personen) 1992 3’804 3’500 3’500 54 15 1993 3’569 3’500 3’500 39 12 1994 3’468 3’500 3’500 31 19 1995 3’403 3’500 3’500 27 25 1997c 2’862 2’800 3’000 12 35 1998d 3’375 3’400 3’800 66 21 1999d 3’607 3’674 4’000 123 6 Partner 1992 3’066 3’000 3’500 139 5 Partner 1997c 2’804 2’700 3’500 135 4 Haushalt 1992e 3’942 3’550 3’500 22 1 Haushalt 1997e,d 3’974 3’500 3’000 17 0 a. Nur Einkommen grösser Null wurden berücksichtigt. b. Anzahl der Personen, die angaben, über keinerlei Einkommen zu verfügen. c. Zeitpunkt der Datenerhebung. d. Die Frage lautete: Welches Einkommen erwarten sie in 1 bzw. 2 Jahren? e. Einkommen Befragter plus Einkommen Partner. Quartil beträgt Fr. 6‘000, der Median der Schuld liegt bei Fr. 15’000 und das 75er Quartil bei Fr. 35‘000. Es ist also eine sehr starke Linkssteilheit zu beobachten. Wie in Abbildung I.3 zu sehen ist, haben die Personen mit höherem Einkommen nicht auch die höheren Schulden. Die Schuldenhöhe scheint unabhängig von der Einkommenshöhe zu sein. Das durchschnittliche Verhältnis von Schulden zu Einkommen beträgt 1.9.1 1) Diese Werte liegen unter denen einer amerikanischen Studie von Sullivan et al., bei der Haushalte betrachtet wurden, welche Bankrott nach chapter 7 bzw. chapter 13 anmeldeten (zu einer kurzen Erläuterung der beiden Konkursverfahren vgl. Teil III, Abschnitt 5.2 auf 232). Deren Mittelwerte des Schuld/Einkommen-Verhältnisses betragen 3.56 (chapter 7) bzw. 2.33 (chapter 13) [vgl. Sullivan et al. (1989), 238ff]. Teil I Einleitung und Einführung in das Thema Abbildung I.3 19 Beziehung zwischen Haushaltseinkommen und Schulden 2500000 2000000 1500000 Schuld SCHULD 1000000 500000 0 0 WAGE Tabelle I.6 5000 10000 15000 20000 Haushaltseinkommen Bezüge von Sozialleistungen der interviewten Schuldner 1997 Quelle Anzahl Anteil an Bezügern Anteil an allen Befragten AHV 3 6% 2% EL 2 4% 1% IV 5 10% 3% SUVA 2 4% 1% ALV 19 40% 10% Fürsorge 21 37% 11% Summe 52 100% 28% Bei der Aktenanalyse ist die Schuldenhöhe nur grob anhand der laufenden Betreibungen abschätzbar. Der Mittelwert beträgt Fr. 78‘589. Auch hier sind allerdings einige sehr hohe Ausreisser dabei, so dass wiederum die Betrachtung 20 3 Betreibung und Pfändung in der Schweiz - Ergebnisse einer Datenerhebung weiterer Lageparameter sinnvoll erscheint. Das 25er Quartil liegt bei Fr. 855, der Median bei Fr. 4‘000 und das 75er Quartil bei Fr. 16‘254. Da bei diesen Zahlen allerdings nur die in Betreibung gesetzten Schulden erfasst werden konnten, wird die Gesamtschuldenlast der einzelnen betroffenen Personen eher unter- als überschätzt. 3.3 Der Vollzug der Betreibung Vermögenspfändungen erfolgen nur noch selten. In insgesamt 32 Fällen der 187 interviewten Schuldner wurde vor Ort nach pfändbaren Vermögensbestandteilen gesucht. Es wurden Kompetenzstücke mit einem Durchschnittswert in Höhe von Fr. 1’621 belassen. Bei neun Personen konnte schliesslich eine Vermögenspfändung durchgeführt werden, mit einem geschätzten Durchschnittswert der Aktiva von Fr. 3’295. Wenn eine Pfändung vollzogen wird, so läuft es heute meistens auf eine Lohnpfändung hinaus. In diesem Fall wird einem Schuldner ein Existenzminimum zugestanden und der Teil des Einkommens gepfändet, der über diesem Minimum liegt.1 In Tabelle I.7 sind die Durchschnittswerte der gewährten Existenzminima für Einzelpersonen ohne Unterhaltspflichten angegeben. Die Einzelpersonen ohne Unterhaltspflichten sind untereinander am ehesten vergleichbar. Die Unterschiede bei der Berechnung der Existenzminima sind erheblich. Den grössten Spielraum besitzen die Beamten bei der Gewährung von Zuschlägen für Berufs- oder sonstige notwendige Ausgaben. Im Durchschnitt wurde ein Existenzminimum in Höhe von Fr. 1’997 gewährt. Der niedrigste zugestandene Wert betrug Fr. 455 bei der Aktenanalyse und Fr. 505 bei den Interviews. Der höchste Wert betrug bei der Aktenanalyse Fr. 4’055 und bei den Interviews Fr. 4‘259, was vor allem auf die hohen Wohnungskosten der betroffenen Person zurückzuführen war. 1) Vgl. dazu auch Abschnitt 2 in diesem Teil. Teil I Einleitung und Einführung in das Thema Tabelle I.7 21 Gewährtes Existenzminimum, Einpersonenhaushalt a Aktenanalyse Mittelwert (Fr.) (Standardabweichung) Minimum; Maximum (Fr.) Interviews Anzahl Personen Mittelwert (Fr.) (Standardabweichung) Minimum; Maximum (Fr.) Anzahl Personen Grundbetrag 975 (114) 455; 1’065 223 1’006 (88) 505; 1’065 54 Wohnungskosten 788 (311) 200; 1830 201 903 (492) 300; 2’924 46 Energie 82 (82) 25; 523 39 60 (30) 20; 125 13 Sozialbeiträge 181 (65) 20; 500 147 190 (70) 59; 458 37 Berufskosten 151 (118) 25; 550 107 241 (346) 48; 1’227 20 274 (160) 49; 500 2 - - 0 Verschiedenes 200 (160) 30; 900 117 156 (137) 40; 560 28 Summe 1’997 (541) 460; 4’055 223 2’129 (701) 505; 4’259 54 Zahlungen für Kompetenzstücke a. Werte in Franken und jeweils auf die Anzahl der Betroffenen berechnet. 3.4 Persönliche Aussagen der interviewten Personen Als Hauptgrund für die derzeitige finanzielle Situation wurde von den Schuldnern in 28% der Fälle Arbeitslosigkeit benannt (vgl. Tabelle I.8).1 Scheidung ist in 13% der Gründe genannt worden. Eine missglückte Geschäftsgründung wurde in 10% der Fälle genannt und ebenfalls in 10% der Nennungen wurde zugegeben, im Umgang mit Finanzgeschäften unerfahren zu sein. Schliesslich besteht in rund 5% der Nennungen der Grund für die Überschuldung in Alkohol-, Drogenoder Spielsucht. 1) Bei dieser Frage waren Mehrfachnennungen möglich. 22 3 Betreibung und Pfändung in der Schweiz - Ergebnisse einer Datenerhebung Tabelle I.8 Gründe für die eigene Situation Grund Anzahla Missglückte Geschäftsgründung 22 (10%) Scheidung 30 (13%) Krankheit 20 (9%) Arbeitslosigkeit 64 (28%) Tod in der Verwandschaft 3 (1%) Bürgschaft 4 (2%) Diebstahl, Betrug 4 (2%) Unerfahrenheit in Finanzgeschäften 23 (10%) Sucht 12 (5%) Sonstige 43 (19%) 225 (100%) Insgesamt a. 6 Personen gaben keine Auskunft. Ein deprimierendes Ergebnis ist zweifelsohne, dass 16% der Befragten erwarten, nie wieder schuldenfrei zu sein (vgl. Tabelle I.9). Weitere 5% erwarten, dass sie mehr als 10 Jahre bräuchten, um schuldenfrei zu werden. Es steht wohl ausser Frage, dass diese Erwartungen einen erheblichen Einfluss auf die Arbeitsanreize haben können.1 Auf der anderen Seite bemerkten immerhin 14% sie würden die Schuldenfreiheit in weniger als einem Jahr erreichen. In Abschnitt 4 von Teil II wird später im Rahmen der ökonomischen Theorie eine hohe Zeitpräferenzrate als ein Grund für Verschuldung und somit auch für Überschuldung angegeben werden. Die Zeitpräferenzrate gibt an, wie stark ein 1) Die Gründe, welche dazu führen könnten, dass solch pessimistische Erwartungen geäussert werden, werden in Abschnitt 6.2 von Teil III empirisch überprüft. Teil I Einleitung und Einführung in das Thema Tabelle I.9 23 Erwartung der Schuldenfreiheit nach wievielen Jahren? weniger als 1 Jahr 16 (14%) 1-2 31 (27%) 2-5 24 (21%) 5 - 10 20 (17%) 10 - 20 5 (4%) > 20 1 (1%) nie 19 (16%) 116 (100%) Summe I Keine Aussage Summe II 71 187 Individuum Gegenwartskonsum gegenüber Zukunftskonsum vorzieht. Auf die Frage, ob sie denn einen gewonnenen Betrag von Fr. 10’000 lieber bei der Bank anlegen würden und wenn ja zu welchem Zinssatz, oder ob sie lieber das Geld sofort hätten (sog. Gegenwartspräferenz), antworteten 76% der interviewten Personen, sie hätten das Geld lieber sofort. Diese Aussage ist allerdings, angesichts der Verschuldung der Befragten, nicht weiter erstaunlich und von daher auch nicht als hohe Gegenwartspräferenz und somit möglicherweise als ein Verschuldungsgrund interpretierbar. Eine hypothetische Frage, wie sie sich denn entscheiden würden, falls sie nicht verschuldet wären, erschien andererseits nicht sehr sinnvoll. 3.5 Die Gläubiger In Tabelle I.10 ist die Gläubigerstruktur der Stichprobe abgebildet. Falls eine Person mehrere Gläubiger aufwies, wurden die drei wichtigsten Gläubiger registriert.1 Es ist auffallend, dass die Steuerämter und die Versicherungen mit 24 3 Betreibung und Pfändung in der Schweiz - Ergebnisse einer Datenerhebung Anteilen von 23% bzw. 21% die mit Abstand am häufigsten auftretenden Gläubiger darstellen. Im Falle der Versicherungen war es im Rahmen der Aktenanalyse leider nicht möglich, exakt nach den Sparten zu unterscheiden. Den grössten Anteil weisen aber auf jeden Fall die Krankenkassen auf. Gläubiger wie das Bankgewerbe inkl. der Treuhänder weisen einen geringeren Anteil auf als man hätte vermuten können (12%). Auch die Swisscom ist mit einem Anteil von nur 1% nur marginal vertreten. Ein Grund hierfür sind sicherlich die besseren Sanktionsmöglichkeiten z.B. der Swisscom bei Nichtzahlung. Einer Person, welche die Telephonrechnung nicht bezahlt, wird sehr schnell das Telephon gesperrt, was eine sehr spürbare Sanktion darstellt. Die Krankenkassen dagegen müssen aufgrund des Obligatoriums Verträge eingehen und haben kaum Sanktionsmöglichkeiten bei Nichtzahlung der Prämien, ausser der Verweigerung der Kostenerstattung. Dies wiederum führt dann nur dazu, dass nach einer Behandlung möglicherweise der Arzt nicht bezahlt wird; entsprechend nehmen die Anbieter medizinischer Versorgung einen Anteil von 6% an den registrierten Gläubigern ein. Die Steuerämter haben ebenfalls keinerlei Sanktionsmöglichkeiten. Sie können nur eine Betreibung einleiten und darauf hoffen, so ihre Forderungen durchzusetzen. Resultat I.1 Gemäss der Datenerhebung auf einer Reihe von schweizerischen Betreibungs- und Konkursämtern ist der durchschnittliche Schuldner männlich, 40 Jahre alt und wohnt alleine. Sein Einkommen liegt deutlich unter dem Schweizer Durchschnitt. Die Schulden übersteigen sein Jahreseinkommen um das doppelte. Der Grund für seine Überschuldung ist Arbeitslosigkeit. Die Hauptgläubiger sind das Steueramt, gefolgt von Versicherungen und den Banken. 1) Die Wichtigkeit eines Gläubigers richtete sich in diesem Fall nach Höhe der Forderungen und nach der Häufigkeit seines Auftretens bei einem Schuldner. Teil I Einleitung und Einführung in das Thema Tabelle I.10 25 Gläubigerstruktura Aktenanalyse Interviews 1049 (23%) 115 (32%) Soziale und private Versicherungen 976 (21%) 58b (16%) Bankgewerbe und Treuhänder 534 (12%) 60 (17%) Versand und Handel 402 (9%) 24 (7%) Sonst. öffentliche Stellen, Gerichtskosten und Bussen 372 (8%) 22 (6%) Medizinische Versorgung 164 (6%) 21 (6%) 46 (1%) 6 (2%) 931 (21%) 50 (14%) 4574 (100%) 356 (100%) Steuerämter Swisscom Sonstige Insgesamt (Anzahl Nennungen) a. Bei dieser Frage waren Mehrfachnennungen möglich. b. Davon sind 41 Sozialversicherungen. Die Aktenanalyse und die Interviews erfassen unterschiedliche Typen von Betroffenen. Im Gegensatz zu der Aktenanalyse, die aufgrund der zufälligen Auswahl einen repräsentativen Schnitt durch die von Betreibung betroffenen Personen darstellt, erfolgten die Interviews mit Menschen, die bereits sehr tief in der Verschuldung waren. Diejenigen, die betrieben werden, weil sie vergessen haben eine Rechnung zu bezahlen oder grundsätzlich spät bezahlen, haben in der Regel keinen persönlichen Kontakt mit dem Amt. Es kam daher mit diesen Personen nicht zu einem Interview. Dazu kommt, dass Personen die zum ersten Mal in eine Pfändung involviert sind, sich ihrer Situation schämen und somit eher zu der Gruppe gehören, die nicht bereit war, an einem Interview teilzunehmen. Bei den Interviews hatte man es vor allem mit Menschen zu tun, bei denen die Verschuldung bereits ein schweres Problem darstellt. 26 4 Literatur zu Teil I 4 Literatur zu Teil I Amonn, K. (1997), Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrecht, 6. Auflage, Bern. Baird, D. G. (1993), The elements of bankruptcy, The Foundation Press, New York. Bundesamt für Statistik (1992), Verbrauchserhebung 1990: Ausgaben und Einnahmen der privaten Haushalte, Bern. Bundesamt für Statistik (1998), Statistisches Jahrbuch 1998, Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich. Böhm, R., Hagen, J. J. und Bachinger C. (1997) [Hrsg.], Verschuldet, Verlag Peter Lang, Frankfurt a. M. Deaton, A. (1992), Understanding consumption, Oxford University Press, New York. Favre, A. (1989), Praktischer Ratgeber für das Schuldbetreibungs- und Konkursrecht mit Verzeichnis der schweizerischen Betreibungs- und Konkursämter, Echallens. Furrer, M. B. und Hertig, H. (1974), Das Existenzminimum bei der Lohnpfändung: Aktuelle juristische Probleme und Vorschlag einer Neufestsetzung, unveröffentlichte Lizentiatsarbeit an der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bern, eingereicht bei Prof. Schweingruber. Jackson, T. H. (1986), The logic and limits of bankruptcy law, Harvard University Press, Cambridge MA. Leu, R. E., Burri, S. und Priester, T. (1997), Lebensqualität und Armut in der Schweiz, Verlag Paul Haupt, Bern. Meier, I., Zweifel, P., Zaborowski, C. und Jent-Sörensen, I. (erscheint Sept. 1999), Auf der Suche nach dem optimalen Existenzminimum, Schlussbericht Nationalfondsprojekt Nr. 12-45487.95, Schulthess Verlag, Zürich. Rosendorfer, Tatjana (1993), Schuldensituation und Haushaltsführung überschuldeter Haushalte: Eine empirische Untersuchung ausgewählter Haushalte in München, Verlag Peter Lang, Frankfurt a. M. Spühler, K., Stücheli, P. und Pfister (1996), Schuldbetreibungs- und Konkursrecht I, Vorlesungsskript, Zürich. Spühler, K., Pfister (1997), Schuldbetreibungs- und Konkursrecht II, Vorlesungsskript, Zürich. Teil I Einleitung und Einführung in das Thema 27 Sullivan, T.A., Warren, E. und Westbrook, J. L. (1989), As we forgive our debtors: Bankruptcy and consumer credit in America, Oxford University Press, New York. Walder, H.U., Jent-Sörensen, I. (1990), Tafeln zum Schuldbetreibungs- und Konkursrecht, 4. Auflage, Zürich. Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 29 Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung Nach dem Überblick über das Ausmass der Überschuldung privater Haushalte und deren Situation in der Schweiz drängt sich die Frage auf: Was sind die Gründe der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung? Unglücksfälle, Fahrlässigkeit seitens der Betroffenen oder wird die finanzielle Krise bewusst in Kauf genommen? Im zweiten Teil der Arbeit soll nach den Gründen für Überschuldung gesucht werden. Der erste Abschnitt bringt einige Definitionen und erläutert meine Vorgehensweise. Im zweiten Abschnitt werde ich die Grundzüge der intertemporalen Optimierung sowie der Optimierung unter Risiko erläutern. Vor allem das Konzept der intertemporalen Optimierung ist bei der Analyse von Verschuldung und Überschuldung von zentraler Bedeutung. Im dritten Abschnitt soll die folgende Frage geklärt werden: Wie reagiert ein Individuum auf Einkommensrisiko und wie beeinflusst dieses Risiko die Wahrscheinlichkeit, in die Überschuldung zu geraten? Es wird vor allem die Rolle der Ersparnis bzw. des Vermögens, als eine Art Versicherung gegen Überschuldung betrachtet. Der vierte Abschnitt durchleuchtet die Rolle der Zeitpräferenzrate. Es wird erforscht, wie sowohl das Ausmass, als auch die Art der Abdiskontierung zukünftiger Ereignisse das Sparverhalten eines Individuums und damit die Überschuldungswahrscheinlichkeit, beeinflussen. Der fünfte Abschnitt behandelt das alte und doch in der ökonomischen Theorie relativ wenig beachtete Phänomen der interdependenten Präferenzen. Es wird analysiert, auf welche Weise sowohl personell als auch zeitlich interdependente Präferenzen die Ersparnis beeinflussen. Ein weiterer Faktor, welcher das Sparverhalten und damit die Gefahr einer Überschuldung tangiert, ist die Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern. Deren Rolle wird im sechsten Abschnitt analysiert. Im siebten Abschnitt werden schliesslich noch einige weitere Faktoren diskutiert, welche zur Überschuldung führen könnten und sich nur schwer in eine der genannten Kategorien einfügen lassen. Der achte Abschnitt enthält die Ergebnisse einer Logit-Schätzung von Lea et al. (1995) und einer eigenen Schätzung, mit deren Hilfe die in den theoretischen Kapiteln abgeleite- 30 1 Einleitung zu Teil II ten Überschuldungsgründe überprüft werden. Die abschliessenden Schlussfolgerungen werden im neunten Abschnitt gezogen. 1 Einleitung zu Teil II 1.1 Verschuldung, Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung Als Verschuldung kann man prinzipiell jede Art von Verbindlichkeit bezeichnen. Das kann entweder ein Kredit sein oder aber auch der Wert einer Sache oder Dienstleistung, welche bereits erhalten, aber noch nicht bezahlt wurde. Eine solche Dienstleistung ist zum Beispiel die Benutzung des eigenen Telephons, da die Rechnungsstellung erst 1 bis 2 Monate nach der Nutzung erfolgt. Zahlungsunfähigkeit ist schlicht die Unfähigkeit, die fälligen Verbindlichkeiten zu bedienen. Überschuldung wird für private Haushalte häufig wie folgt definiert: „Unter ökonomischen Gesichtspunkten gilt der private Haushalt als überschuldet, wenn er objektiv zahlungsunfähig ist, d.h. sein Einkommen nach Abzug der Lebenshaltungskosten nicht mehr zur Rückzahlung fälliger Verbindlichkeiten ausreicht.“1 Überschuldung ist somit nicht an ein bestimmtes Ausmass der Verschuldung gebunden, sondern ist ein anderes Wort für Zahlungsunfähigkeit. Dieser Definition werde ich mich jedoch nicht anschliessen. Aus modelltechnischen Gründen werde ich zwischen Zahlungsunfähigkeit (Unfähigkeit, die fälligen Verbindlichkeiten zu bedienen) und Überschuldung ( Vermögen + Einkommen < Verbindlichkeiten ) unterscheiden. Um den Zusammenhang zwischen Verschuldung, Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung genauer zu erläutern, definiere ich die folgenden vier Verschuldungsgrade: • Verschuldungsgrad I ( Verbindlichkeiten ≤ Liquides Vermögen ) Der Verschuldungsgrad I wird definiert durch jede Art von Verbindlichkeit, solange diese Verbindlichkeiten das liquide Vermögen des Haushalts nicht 1) Schmidt, O. (1995), S. 4. Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 31 übersteigen. Als liquides Vermögen bezeichne ich Bargeld, Guthaben auf Girokonten sowie weitere in kurzer Frist kündbare Guthaben. Zahlungsunfähigkeit: Das Individuum ist im Verschuldungsgrad I zahlungsfähig. Überschuldung: Überschuldung ist nicht gegeben. • Verschuldungsgrad II ( Liquides Vermögen < Verbindlichkeiten ≤ Gesamtvermögen ) Verschuldungsgrad II ist erreicht, wenn die Verbindlichkeiten das liquide Vermögen übersteigen aber kleiner sind als das Gesamtvermögen des Haushalts. Das Gesamtvermögen ist der Wert sämtlicher Aktiva des Haushalts (ohne Humankapital). Zahlungsunfähigkeit: Zahlungsunfähigkeit würde eintreten, wenn die Verbindlichkeiten sofort fällig wären und keine Möglichkeit der Kreditaufnahme bestünde. Überschuldung: Überschuldung ist nicht gegeben. • Verschuldungsgrad III ( Gesamtvermögen < Verbindlichkeiten ≤ Gesamtvermögen+Humankapital ) Beim Verschuldungsgrad III übersteigen die Verbindlichkeiten den Wert des gesamten Vermögens des Haushalts, werden aber noch durch den Erwartungswert des Zukunftseinkommens gedeckt. Zahlungsunfähigkeit: Zahlungsunfähigkeit würde eintreten, wenn die Verbindlichkeiten sofort fällig wären und keine Möglichkeit der Kreditaufnahme bestünde. Überschuldung: Das Individuum ist überschuldet. • Verschuldungsgrad IV ( Verbindlichkeiten > Gesamtvermögen+Humankapital ) 32 1 Einleitung zu Teil II Verschuldungsgrad IV ist erreicht, wenn die Verbindlichkeiten das gegenwärtige Vermögen, sowie den Gegenwartswert des Zukunftseinkommens übersteigen. Zahlungsunfähigkeit: Zahlungsunfähigkeit würde eintreten, wenn die Verbindlichkeiten sofort fällig wären und keine Möglichkeit der Kreditaufnahme bestünde. Überschuldung: Das Individuum ist überschuldet. Bei Verschuldungsgrad I ist weder Zahlungsunfähigkeit noch Überschuldung möglich. Verschuldung im Ausmass des Verschuldungsgrad II kann jedoch bereits zur Zahlungsunfähigkeit führen. Dies ist der Fall, wenn die liquiden Finanzmittel nicht ausreichen, fällige Verbindlichkeiten zu bezahlen, die Liquidierung sonstiger Vermögensbestandteile in kurzer Frist nicht möglich ist, und ferner kein Kredit aufgenommen werden kann. Überschuldung ist mit Verschuldungsgrad II jedoch nicht verbunden. Verschuldungsgrad III heisst, dass wie in Verschuldungsgrad II Zahlungsunfähigkeit eintritt, sofern die Verbindlichkeiten allesamt sofort fällig wären und keine Kreditaufnahme möglich ist. Die Verbindlichkeiten sind grösser als das Vermögen und das Nettovermögen somit negativ. Das Individuum ist überschuldet. Bei Verschuldungsgrad IV tritt die Zahlungsunfähigkeit früher oder später auf jeden Fall ein. Realistischerweise wird eine Kreditaufnahme zur Begleichung der Verbindlichkeiten nicht mehr möglich sein. Überschuldung ist ebenfalls gegeben, da die Verbindlichkeiten das gesamte Vermögen inkl. Humankapital übersteigen. Bemerkungen zum Zahlungsbefehl und zur Betreibung Im Rahmen der Datenerhebung auf schweizerischen Betreibungsämtern (vgl. Abschnitt 3), sowie bei weiteren statistischen Analysen, wird in dieser Arbeit häufig die Anzahl der Zahlungsbefehle als Approximation für Überschuldung eingesetzt. Das schlichte Vergessen einer Rechnung oder die Nichtbezahlung aus sonstigen Gründen kann zur Einleitung eines Betreibungsverfahrens und somit zu einem Zahlungsbefehl führen, obwohl der betroffene Haushalt nicht zahlungsunfähig oder gar überschuldet ist. Wenn man davon absieht, dass sich Gläubiger Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 33 und Schuldner ausserhalb eines Betreibungsverfahrens einigen, so bildet Zahlungsunfähigkeit sicherlich eine hinreichende Bedingung für die Zusendung eines Zahlungsbefehls, notwendig ist sie allerdings nicht. Überschuldung dagegen ist auch keine hinreichende Bedingung, da eine Person überschuldet sein kann, ohne zahlungsunfähig zu sein. Resultat II.1 Ein Individuum gilt als zahlungsunfähig, wenn es nicht in der Lage ist, fällige Verbindlichkeiten zu begleichen. Es gilt als überschuldet, wenn sein Vermögen plus dem Einkommen nach Abzug der Verbindlichkeiten negativ wird. Für einen Zahlungsbefehl bildet Zahlungsunfähigkeit eine hinreichende aber keine notwendige Bedingung. Überschuldung ist weder hinreichend noch notwendig für eine Betreibung. 1.2 Vorsätzliche vs. unbeabsichtigte Zahlungsunfähigkeit/ Überschuldung Wenn im weiteren Verlauf nur von Überschuldung gesprochen wird, so wird damit auch Zahlungsunfähigkeit impliziert. Die nächsten beiden Abschnitte sind der Frage der vorsätzlichen und der unbeabsichtigten Überschuldung gewidmet. 1.2.1 Vorsätzliche Überschuldung Vorsätzliche Überschuldung heisst, dass ein Individuum mit Vorsatz eine Überschuldungssituation herbeiführt. Dies ist zu unterscheiden von dem Vorsatz, eine Rechnung nicht zu bezahlen, wodurch es zu einem Betreibungsverfahren kommt. Letzteres ist relativ häufig und kann verstanden werden als ein Ausnutzen der Zahlungsfristen bis zum buchstäblich letzten Moment. Ein weiterer Grund könnte auch die Hoffnung sein, der Gläubiger möge auf die Forderung verzichten, weil ihm der Aufwand einer Betreibung möglicherweise zu hoch ist.1 In diesen Fällen sind die Personen jedoch weder überschuldet noch zahlungsunfähig. 34 1 Einleitung zu Teil II Sie könnten ihre Verbindlichkeiten begleichen, tun es aber aus den genannten Gründen nicht, bzw. nicht fristgerecht. Vorsätzliche Überschuldung heisst dagegen, dass eine Person tatsächlich nicht mehr in der Lage ist, ihre Verbindlichkeiten zu begleichen und die Überschuldung absichtlich herbeigeführt wurde. Ein Beispiel wäre die Aufnahme eines Kredits, obwohl der Kreditnehmer weiss, dass er nicht in der Lage sein wird, diesen Kredit oder andere Verbindlichkeiten zu bedienen. Aus rechtlicher Sicht begeht der Kreditnehmer somit einen Betrug. Voraussetzung für einen Betrug dieser Art ist natürlich asymmetrische Information. Der oder die Kreditgeber kennen die finanzielle Lage des Kreditnehmers gar nicht oder nur unvollständig. Ein solches Verhalten ist zweifelsohne nicht unrealistisch. Je geringer die zu erwartenden Kosten der Überschuldung und in deren Folge der Betreibung, desto höher ist der Anreiz für eine Person, die eigene Budgetrestriktion auf Kosten anderer zu erweitern. Das Individuum vollzieht eine herkömmliche Optimierung der Art, dass der Nutzen aus der absichtlichen Überschuldung (z.B. Finanzierung einer Weltreise) mit den zu erwartenden Kosten einer Betreibung (als Folge der Überschuldung) verglichen wird. Selbst wenn eine Betreibung sicher ist, könnte für manchen der Weg in die vorsätzliche Überschuldung attraktiv sein. Da es bei einer überschuldeten Person definitionsgemäss kein Vermögen zu pfänden gibt, muss auf eine Lohnpfändung ausgewichen werden. Lohnpfändung bedeutet ein Leben am Existenzminimum. Weist aber eine Person eine hohe Zeitpräferenzrate auf, so kann es sich für sie lohnen, in der Gegenwart viel zu konsumieren um dann in der Folge eine Zeit lang am Existenzminimum zu leben. Ein weiterer Kostenpunkt einer Betreibung ist natürlich der Reputationsverlust welcher mit dem Betreibungsvorgang einhergeht. Ist das Individuum sehr auf seine Reputation bedacht, kann es dadurch von der vorsätzlichen Überschuldung abgehalten werden. 1) Laut Repräsentanten von schweizerischen Inkasso-Unternehmen lohnt sich eine Betreibung für eine Forderung unter Fr. 100 aufgrund der anfallenden Kosten nicht. Dynamische Aspekte, wie zum Beispiel der Abschreckungseffekt, sind dabei allerdings nicht miteinberechnet. Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 35 Resultat II.2 Gründe für vorsätzliche Überschuldung sind die relativ geringen Kosten einer Betreibung entweder dadurch, dass die Wahrscheinlichkeit einer Betreibung relativ gering oder aber die Zeitpräferenzrate eines Individuums relativ gross ist. Der Übergang von der Überschuldung aus Fahrlässigkeit über grobe Fahrlässigkeit bis hin zum Vorsatz ist letztendlich kaum nachvollziehbar. Vorsätzliche Überschuldung stellt vor allem für die Gläubiger ein Problem dar. Für den Schuldner war es in diesem Fall ja geplant und offensichtlich nutzenmaximierend. Wenn im weiteren Verlauf der Arbeit von Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit die Rede ist, gehe ich von unbeabsichtigten Überschuldung aus unter der Annahme, dass zumindest kein Vorsatz vorlag. 1.2.2 Unbeabsichtigte Überschuldung Voraussetzung für unbeabsichtigte Überschuldung ist die Existenz von Risiko. Besitzen die Individuen vollständige Informationen über ihre zukünftigen Einnahmen und Ausgaben, kann es unbeabsichtigte Überschuldung nicht geben. Vollständige Information gibt es aber nicht. Zukünftige Ereignisse unterliegen grundsätzlich einem Risiko. Ein exogener Schock, wie zum Beispiel verminderte Einnahmen durch Arbeitslosigkeit oder unerwartete Ausgaben durch Krankheit, kann einen Haushalt in die Zahlungsunfähigkeit und/oder die Überschuldung bringen. Landet der Haushalt nach einem solchen exogenen Schock im Verschuldungsgrad I ist die Zahlungsfähigkeit nach wie vor voll gegeben, er ist auch nicht überschuldet. Führt der exogene Schock zu Verschuldungsgrad II, ist die Zahlungsfähigkeit im Augenblick nicht mehr gegeben; überschuldet ist der Haushalt jedoch nicht. Es besteht ferner die Möglichkeit, die Zahlungsunfähigkeit durch Kreditaufnahme zu verhindern. Durch eine Kreditaufnahme steigt zwar der Schuldenstand (unter 36 1 Einleitung zu Teil II Umständen bis in den Verschuldungsgrad III und damit in die Überschuldung), aber fällige Verbindlichkeiten können getilgt werden, die Zahlungsfähigkeit bleibt somit erhalten. Die Chance für die betroffene Person auf dem Kapitalmarkt Liquidität zu besorgen, ist bei Verschuldungsgrad II noch relativ gut. Immerhin steht noch Aktivvermögen als Sicherheit zur Verfügung. Gerät das Individuum durch den exogenen Schock in Verschuldungsgrad III, so ist die Möglichkeit durch Kreditaufnahme die Zahlungsfähigkeit zu erhalten, bereits erheblich eingeschränkt. Die Sicherheit die der Haushalt bieten kann, ist nur sein zukünftiges Einkommen, sein Humankapital also. Die Überschuldung ist an dieser Stelle bereits gegeben. Ist der Verschuldungsgrad IV erreicht, besteht in der Regel keine Chance mehr, die Zahlungsunfähigkeit zu vermeiden. Überschuldet ist der Haushalt bei diesem Schuldenstand auf jeden Fall. An dieser Stelle lassen sich bereits erste Ergebnisse hinsichtlich der Gründe für unbeabsichtigte Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit festhalten. Zum einen ist die Existenz von Risiko ein Grund sowohl für Überschuldung, als auch für Zahlungsunfähigkeit, dass heisst sogar dessen Voraussetzung. Ein weiterer Grund für Zahlungsunfähigkeit ist Kreditbeschränkung. Ohne Kreditbeschränkungen könnte die Zahlungsunfähigkeit vermieden werden. Möglich wäre dies über eine Art Ponzi-Finanzierung der Schuld [vgl. Eichberger (1989)].1 Fällige Verbindlichkeiten werden durch die Aufnahme eines neuen Kredits bezahlt, die Zahlungsunfähigkeit wird so vermieden. In Absenz jeglicher Kreditrestriktion wird in der Tat die Zahlungsunfähigkeit auf diese Weise bis zum Todeszeitpunkt des Individuums verhindert. Realistisch ist dies natürlich nicht, denn es bestehen Kreditrestriktionen. Aber es wird klar, dass Kreditrestriktionen einen Grund für Zahlungsunfähigkeit darstellen. Vor allem bei kurzfristigen Schocks, wie zum Beispiel eine einmalig auftretende hohe Ausgabe oder kurzfristige Arbeitslosigkeit, kann eine Kreditaufnahme die Zahlungsunfähigkeit verhindern. Der Schul- 1) Bei der Ponzi-Finanzierung werden die bei einem Kredit anfallenden Zinsen als auch die fristgerechte Tilgung durch einen neuen Kredit finanziert. Solange es Kapital und Kapitalgeber für eine solche Finanzierung gibt, bleibt der Kreditnehmer immer zahlungsfähig. Seine Verschuldung steigt allerdings gegen unendlich. Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 37 denstand und damit letztendlich die Überschuldung wächst natürlich mit der Aufnahme weiterer Kredite. Kreditrestriktionen mindern zwar die Gefahr der Überschuldung, nicht aber diejenige der Zahlungsunfähigkeit. Somit erscheinen die zur Zeit in der Schweiz gestarteten Diskussionen um eine Verschärfung der Konsumkreditgesetze zur Milderung der Schuldenproblematik in einem zweifelhaften Licht. Manchen Menschen würde damit die Chance genommen, gerade durch Aufnahme eines neuen Kredits Zahlungsunfähigkeit und damit Betreibung zu verhindern. Die gestiegene Schuldenlast, ja selbst die eventuell daraus folgende Überschuldung, bedeutet schliesslich nicht zwangsläufig den finanziellen Kollaps. Resultat II.3 Eine notwendige aber nicht immer hinreichende Bedingung für unbeabsichtigte Überschuldung als auch für unbeabsichtigte Zahlungsunfähigkeit ist Risiko. Kreditrestriktionen stellen ebenfalls eine notwendige aber nicht immer hinreichende Bedingung für Zahlungsunfähigkeit dar. 1.3 Modellierung und Vorgehensweise Wie bereits erwähnt, weiche ich von der häufig benutzten Definition der Überschuldung privater Haushalte als Zahlungsunfähigkeit ab. Der Grund liegt in der Möglichkeit auf diese Weise einen fixen Wert der Verschuldung zu definieren, bei dem ein Haushalt als überschuldet gelten soll. In der Regel wird diese Grenze bei einem Nettovermögen kleiner als Null liegen. Ein Individuum soll als überschuldet gelten, wenn sein Nettoermögen negativ wird. Die Folge der Überschuldung ist annahmegemäss die Zahlungsunfähigkeit und schliesslich eine Betreibung. Diese Betreibung wiederum hat zur Folge, dass dem Betroffenen der Konsum auf das sog. betreibungsrechtliche Existenzminimum beschränkt wird. Das Problem, dass trotz vorhandenen Vermögens die Zahlungsunfähigkeit eintre- 38 1 Einleitung zu Teil II ten kann, ist nur von Bedeutung, wenn langlebige Konsumgüter als illiquide Vermögensbestandteile betrachtet werden. Wird das Vermögen als liquides Finanzmittel betrachtet, sind Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung identisch. Solange dies der Fall ist, spreche ich aus Vereinfachungsgründen nur von Überschuldung. Im weiteren Verlauf wird nur von unbeabsichtigter Überschuldung die Rede sein. Wie bereits festgestellt wurde, ist Risiko eine notwendige aber nicht immer hinreichende Bedingung für unbeabsichtigte Überschuldung. In den folgenden Abschnitten wird zuerst untersucht wie das Einkommensrisiko das Sparverhalten eines Haushaltes und schliesslich die Überschuldungswahrscheinlichkeit beeinflusst. Ersparnis und Vermögensbildung ist eine Möglichkeit, dem Risiko zukünftiger Ereignisse zu begegnen und die Überschuldungswahrscheinlichkeit zu senken. Es wird dabei nur vom Einkommensrisiko gesprochen werden. Ausgabenrisiken werden als negative Einkommensschocks interpretiert. Als relevante Zufallsvariable gilt somit das für den „normalen Konsum“ verfügbare Einkommen. Dieses Einkommen kann nach einem genügend grossen Ausgabenschock somit durchaus negativ werden. Der Vorteil ist, dass durch den Einbezug negativer Werte mit einer breiteren Klasse von Dichtefunktionen gearbeitet werden kann. Der Term Ersparnis steht für die gesamte Bandbreite der intertemporalen Verlagerung von Ressourcen, also auch Verschuldung, welche in diesem Fall negative Ersparnis darstellt. Höhere Ersparnis senkt die Überschuldungswahrscheinlichkeit, wird ein erstes Ergebnis lauten (vgl. Abschnitt 3). Die Aufgabe der Abschnitte 4 bis 7 wird es dann sein, unterschiedlichste Einflüsse auf die Ersparnis privater Haushalte zu analysieren, um so letztendlich auch deren Einfluss auf die Überschuldungswahrscheinlichkeit herauszufiltern. In der sozialwissenschaftlichen Literatur werden die Schuldner häufig in fünf Gruppen eingeteilt: Krisenschuldner (exogener Schock führt zur Überschuldung), Armutsschuldner (zu geringes Einkommen), Anspruchsschuldner (das Einkommen reicht nicht aus die Ansprüche zu decken), Defizitschuldner (permanent höhere Ausgaben als Einnahmen) und zwanghafter Konsument (vor allem Suchtprobleme) [vgl. Hagen (1997)]. Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 39 Diese Einteilung soll im weiteren Verlauf mit Theorie angereichert und erweitert werden. Abbildung II.1 gibt einen Überblick über die vermuteten Faktoren welche zu Überschuldung führen könnten sowie den Abschnitt ihrer Behandlung in diesem Teil der Arbeit. Abbildung II.1 Vermutete Gründe für Überschuldung Risiko Abschnitt 3 Zeitpräferenz Abschnitt 4 Einkommensschwäche Abschnitt 3.3 Unzureichende Optimierung Abschnitt 7 Jagd nach Status Abschnitt 5 Negativer Einkommensschock Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern Abschnitt 6 Kreditrestriktionen Abschnitt 1.2.2 Ersparnis bzw. Vermögen Vermögen < 0 Überschuldung Liquide Mittel < Fällige Verbindlichkeiten Zahlungsunfähigkeit Zahlungsfähigkeit / Keine Überschuldung 40 2 Grundlagen der intertemporalen Optimierung und der Optimierung unter Risiko 2 Grundlagen der intertemporalen Optimierung und der Optimierung unter Risiko Im folgenden Kapitel werden die, für die weitere Analyse notwendigen, theoretischen Grundsteine gelegt. Im ersten Abschnitt erläutere ich die Theorie der intertemporalen Optimierung, welche für den Rest der Arbeit die Basis bilden sollen. Dieses Grundmodell erweitere und modifiziere ich später um die notwendigen Bedingungen. Im Anschluss daran wird kurz die Risikonutzentheorie dargestellt. 2.1 Grundlagen der intertemporalen Optimierung Für eine detaillierte Version der folgenden Ausführungen verweise ich an dieser Stelle auf Deaton und Muellbauer (1980) [Kapitel 4 und 12], Varian (1992) [Kapitel 19] sowie Deaton (1992). 2.1.1 Intertemporale Optimierung im Zwei-Perioden Modell Das einfachste Modell der intertemporalen Optimierung ist das zweiperiodige Modell. Es wird angenommen, ein Individuum konsumiere in der ersten Periode die Menge c1 nicht-langlebiger Konsumgüter und in der zweiten Periode die Menge c2. Die zu den Gütern gehörigen Preisvektoren seien p1 und p2. Ferner erziele das Individuum Einkommen in beiden Perioden in der Höhe von y1 bzw. y2. Zusätzlich besitze es Vermögen v in Form einer Finanzanlage. Diese Anlage kann positiv oder negativ sein. Vereinfachend nehme ich an, dass es sich bei dieser Anlage um eine Spareinlage bei einer Bank (positives v) bzw. um einen Kredit (negatives v) handelt. Die Anlage bzw. der Kredit wird mit dem Zinssatz r verzinst. Das Individuum hat somit in jeder Periode ein Finanzeinkommen von rt ⋅ vt – 1 . Es sei darauf hingewiesen, dass es sich bei den Werten von y2, p2 und r2 um zukünftige, also nicht bekannte Werte handelt. Das Individuum handelt somit unter Unsicherheit. Es bildet sich Erwartungen über die zukünftigen Preise sowie sein Einkommen. Ich will jedoch an dieser Stelle nicht weiter auf die Erwar- Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 41 tungsbildung eingehen, da sie die grundsätzlichen Aussagen des Modells nicht wesentlich beeinflusst. Wenn v0 das Vermögen am Ende der Periode 0 darstellt, so lauten die Budgetbeschränkungen für beide Perioden: p 1 ⋅ c 1 = y 1 + v 0 ⋅ ( 1 + r 1 ) – v 1 und e e e p2 ⋅ c2 = y 2 + v1 ⋅ ( 1 + r2 ) – v2 . (II.1) Der Wert des Konsums ist in jeder Periode gleich dem Einkommen zuzüglich (abzüglich) dem verzinsten Vermögen (Kredit) der Vorperiode und abzüglich (zuzüglich) den in dieser Periode zurückgelegten (aufgenommenen) Ersparnissen (Kredit). Unter der Annahme, dass die beiden Perioden die Lebensdauer des Individuums widerspiegeln und zusätzlich ein Erbschaftsmotiv ausgeschlossen wird, muss das Vermögen am Ende der zweiten Periode vollständig aufgebraucht sein. v2 ist somit gleich 0. Die beiden Budgetbeschränkungen in Gleichung (II.1) lassen sich jetzt zu einer Gleichung kombinieren: e p2 ⋅ c2 e p 1 ⋅ c 1 + --------------- = y 1 + y 2 + v 0 ⋅ ( 1 + r 1 ) . e 1 + r2 (II.2) Der Barwert des Konsums muss gleich dem Barwert des Einkommens und Vermögens sein. Die Präferenzen des Individuums werden durch eine Nutzenfunktion mit den Argumenten c1 und c2 repräsentiert: U = U ( c 1, c 2 ) . (II.3) Nach Maximierung von Gleichung (II.3) unter der Nebenbedingung (II.2), ergibt sich als Bedingung 1. Ordnung für ein Maximum: 42 2 Grundlagen der intertemporalen Optimierung und der Optimierung unter Risiko p1 ∂U ⁄ ∂c 1 e -------------------- = ----- ⋅ ( 1 + r 2 ) . e ∂U ⁄ ∂c 2 p2 (II.4) e Der Quotient p 1 ⁄ p 2 auf der rechten Seite der Gleichung (II.4) gibt die Veränderung der Preise wieder, lässt sich somit auch als Kehrbruch der Inflationsrate e 1 + i 2 interpretieren. Die Gleichung (II.4) wird so zu: e ∂U ⁄ ∂c 1 1 + r2 -------------------- = -------------- . e ∂U ⁄ ∂c 2 1 + i2 (II.5) Die optimale Aufteilung des Konsums zwischen der 1. und der 2. Periode ist erreicht, wenn das Verhältnis der Grenznutzen des Konsums in der ersten bzw. zweiten Periode gleich dem Realzins ist. In diesem einfachen Modell lässt sich sehr gut die Analogie zum herkömmlichen Zwei-Güter-Modell erkennen. Beim Zwei-Güter-Modell erfordert die Optimalbedingung die Gleichheit der Grenzrate der Substitution der Güter mit ihrem Preisverhältnis. In Gleichung (II.5) ist die Grenzrate der intertemporalen Substitution gleich dem Realzins, der nichts anderes als ein Preisverhältnis ist. Der Preis (= Opportunitätskosten) des Gegenwartskonsums ist der entgangene Zins r. Der Preis des Zukunftskonsums ist die Abdiskontierung durch die Inflationsrate i. Die Reaktion des Konsumenten auf Änderung der exogenen Variablen ist ebenfalls vergleichbar mit dem Zwei-Güter-Fall. (1) Änderung des realen Zinssatzes Die Reaktion auf eine Realzinsänderung ist nicht genau vorhersehbar. Ein Senkung des Realzins führt zu einer Verbilligung des Gegenwartskonsums in Relation zum Zukunftskonsum. Das Individuum substituiert Zukunftskonsum durch Gegenwartskonsum (Substitutionseffekt). Bei gleichem Gegenwartskonsum führt eine Senkung des Realzinses jedoch zu einer Verringerung der Ressourcen in der zweiten Periode; das Gesamteinkommen beider Perioden sinkt und führt zu einer Verringerung des Konsums in beiden Perioden (Ein- Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 43 kommenseffekt). Welcher der zwei Effekte schliesslich den Ausschlag gibt, wie gross also der Nettoeffekt ist, lässt sich ohne Spezifizierung einer Nutzenfunktion nicht bestimmen. In Abbildung II.2 ist die Wirkung einer Zinssenkung grafisch wiedergegeben. Abbildung II.2 Intertemporale Optimierung im Modell - Beispiel einer Zinssenkung Zwei-Perioden c1 u ( c1, c2) e 1 + r2 – -------------1+i c2 (2) Einkommensänderung Eine Einkommensänderung hat einen eindeutigen Effekt zur Folge. Steigt das Einkommen der ersten und/oder der zweiten Periode führt dies zu mehr Konsum. Die Verteilung des Mehrkonsums auf die beiden Perioden hängt von der Grenzrate der intertemporalen Substitution ab. Was heissen diese Ergebnisse für das Sparverhalten? Die Ersparnis in der ersten Periode ist definiert durch: s1 = y1 + v0 ⋅ ( 1 + r1 ) – c1 . (II.6) Für den Augenblick will ich das Modell einmal stark vereinfachen und nehme an Inflation und Zins wären gleich Null (r = i = 0), ebenso wie das Vermögen der Vorperiode v0. Die Optimalbedingung (II.5) ergibt dann 44 2 Grundlagen der intertemporalen Optimierung und der Optimierung unter Risiko ∂U ∂U -------- = -------- . ∂c 1 ∂c 2 (II.7) Unter der Annahme stabiler Präferenzen, folgt aus Gleichung (II.7), dass der Konsum der ersten Periode c1 gleich dem Konsum der zweiten Periode c2 ist. Mit dieser Information lässt sich die Budgetbeschränkung umschreiben zu y1 + y2 c 1 = ----------------- . 2 (II.8) Für die Ersparnis [vgl. Gleichung (II.6)] ergibt sich damit: y1 – y2 s 1 = ---------------2 (II.9) Die Ersparnis ist positiv, wenn das Einkommen in der ersten Periode grösser als dasjenige der zweiten Periode ist. Ist das Einkommen der zweiten Periode grösser, so ist die Ersparnis negativ, der Konsument verschuldet sich. 2.1.2 Intertemporale Optimierung im Multi-Perioden Modell Ich verlasse jetzt die restriktive Ebene des Zwei-Perioden Modells und erweitere das Modell auf beliebig viele Perioden. Der Konsument maximiere vom Zeitpunkt 0 aus gesehen seinen Nutzen über einen endlichen Zeitraum hinweg. Ferner wird angenommen der Endzeitpunkt sei bekannt. Damit wird eine Nutzenfunktion der folgenden Form maximiert: U = U ( c 0, c 1, c 2, ...,c T ) . (II.10) Eine übliche Annahme bezüglich der funktionalen Form dieser Nutzenfunktion ist die der intertemporalen Additivität [vgl. Deaton (1992), 4]. Die Nutzenfunktion erhält dadurch das folgende Aussehen: Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung U = U 0 ( c 0 ) + U 1 ( c 1 ) + ...+U T ( c T ) . 45 (II.11) Die Budgetbeschränkung für dieses Problem wird analog zu Gleichung (II.2) geschrieben. Ich verzichte allerdings auf die Darstellung der Preisvektoren und nehme vorerst an, die Preise würden sich nicht ändern. Von der Existenz von Risiko wird also noch abgesehen. Somit gilt T ct ------------------ = v 0 + t t = 0 (1 + r) ∑ T yt ------------------ . t t = 0 (1 + r) ∑ (II.12) Die Budgetbeschränkung erfordert, dass der Gegenwartswert des Konsums dem Gegenwartswert des Einkommens inkl. dem Vermögen der Startperiode entspricht. Es herrscht somit kein Vererbungsmotiv, und es ist auch keine Verschuldung über den Optimierungszeitraum hinaus möglich. Wird Gleichung (II.11) unter der Budgetbeschränkung (II.12) maximiert, so erhält man als Optimalbedingung: ∂U t 1 --------- = λ ⋅ ------------------ . t ∂c t (1 + r) (II.13) Die Variable λ stellt den Lagrangemultiplikator zur Nebenbedingung (II.12) dar und ist über die Zeit konstant. Im Zeitablauf wird der Nenner des Bruchs auf der rechten Seite der Gleichung (II.13) grösser. Da λ konstant ist heisst dies, dass der Grenznutzen des Konsums im Zeitablauf fällt. Unter der Annahme der üblichen konkaven Form der Nutzenfunktion lässt sich bei gleichbleibenden Präferenzen daraus schliessen, dass der Konsum unabhängig von der Einkommensentwicklung im Zeitablauf steigt. Bisher wurde angenommen, der Konsument bewerte den Konsum in jeder Periode gleich. Diese Annahme ist jedoch recht unrealistisch. Zukünftige Ereignisse werden in der Regel gegenüber gegenwärtigen Ereignissen abdiskontiert. Diese Abdiskontierung wird mit der sog. Zeitpräferenzrate ausgedrückt, welche 46 2 Grundlagen der intertemporalen Optimierung und der Optimierung unter Risiko angibt wie stark ein Individuum Gegenwartskonsum dem Zukunftskonsum vorzieht bzw. wieviel Konsumeinheiten mehr ihm geboten werden müssen, damit er bereit ist den Konsum einer Einheit von „Heute“ auf „Morgen“ zu verschieben. Die Zeitpräferenzrate bildet sozusagen das Gegenstück zum Zins. Die Optimalbedingung der Gleichung (II.13) ändert sich durch die Einführung der Zeitpräferenzrate wie folgt: ∂U t 1+δ t --------- = λ ⋅ ------------ . 1 + r ∂c t (II.14) Die Variable δ steht für die Zeitpräferenzrate und ist grösser als Null. Gleichung (II.14) lässt sich nach der Zeit differenzieren und durch ct dividieren. Man erhält damit einen Ausdruck der angibt mit welcher Rate sich der Konsum im Zeitablauf verändert: · 1 + δ t 1+δ 1 c ---------------------⋅ λ ⋅ ------------ ⋅ ln ------------ . ---- = 1 + r 1 + r c t ⋅ u'' ( c t ) ct (II.15) Schliesslich lässt sich dann noch Gleichung (II.14) nach λ auflösen und in Gleichung (II.15) einsetzen. Somit erhält man für die Wachstumsrate des Konsums: · u' ( c t ) 1+δ c ---- = ----------------------- ⋅ ln ------------ . 1 + r c t ⋅ u'' ( c t ) ct (II.16) Sofern δ und r klein genug sind lässt sich auch schreiben: · u' ( c t ) c ---- = – ----------------------- ⋅ ( r – δ ) . c t ⋅ u'' ( c t ) ct (II.17) Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 47 Die Veränderungsrate des Konsums im Zeitablauf ist gegeben durch die intertemporale Substitutionselastizität multipliziert mit der Differenz aus Zinssatz und Zeitpräferenzrate. Da u'' ( c t ) negativ ist folgt daraus, dass der Konsum im Zeitablauf steigt, sofern der Zins grösser als die Zeitpräferenzrate ist. Andernfalls fällt er mit der Zeit. Bei konstantem Einkommen heisst dies, dass ein Individuum welches eine relativ niedrige Zeitpräferenzrate (< Zins) aufweist, am Anfang seines Optimierungshorizontes eher spart, also ein Gläubiger ist. Ein Individuum mit einer relativ hohen Zeitpräferenzrate (> Zins) wird sich eher verschulden und diese Schulden dann gegen Ende seines Optimierungszeitraums zurückbezahlen. Die Motivation für das Sparen ist die intertemporale Substitution aufgrund der Differenz zwischen der Gegenwartspräferenz eines Individuums und dem Marktzinssatz (vgl. Abbildung II.3). Abbildung II.3 Der Konsumpfad im Zusammenhang mit Zeitpräferenz und Zins ct r> δ r= δ r< δ 0 T Z eit Die Lebenszyklus-Hypothese von Ando und Modigliani bringt noch ein weiteres Sparmotiv mit in das Spiel. Angenommen, Zinssatz und Zeitpräferenzrate seien gleich, dass Einkommen aber variabel über die Zeit.1 Auf diese Weise kommt man zu der Lebenszyklushypothese.2 In Abbildung II.4 ist ein Einkommenspfad angenommen, der am Lebensanfang steigt und gegen Lebensende wieder abfällt. Das Individuen ist in jüngeren Jahren eher Schuldner. In der 1) Vgl. Ando und Modigliani (1963). 2) Die Verbindung zwischen Einkommensentwicklung und Ersparnis wurde bereits in Abschnitt 2.1.1 gezogen. 48 2 Grundlagen der intertemporalen Optimierung und der Optimierung unter Risiko Lebensmitte wird es dann sparen um diese Ersparnis gegen Ende des Lebens wieder aufzubrauchen (vgl. Abbildung II.4). In diesem Fall wird die Ersparnis durch das sich verändernde Einkommen motiviert. Wenn man sich noch einmal die Optimalbedingung (II.14) in das Gedächtnis ruft, so ist zu sehen, dass bei Gleichheit von Zeitpräferenzrate und Zinssatz, der Grenznutzen des Konsums, und damit auch der absolute Konsum, im Zeitablauf konstant ist. Zukünftige (und bekannte) Einkommensänderungen müssen also durch Ersparnis ausgeglichen werden, damit Bedingung (II.14) erfüllt ist. Auf diese Weise kommt man zu dem in Abbildung II.4 gezeigtem Konsumpfad. Abbildung II.4 Lebenszyklushypothese des Konsums ct, yt Sparen yt ct Entsparen 0 T Zeit Browning und Lusardi (1996) listen neben dem Motiv der intertemporalen Substitution und dem Lebenszyklus-Motiv noch sechs weitere Sparmotive auf. Dies ist einmal das Vorsichtsmotiv, welches in Abschnitt 3 behandelt werden wird. Ferner benennen sie das Motiv der Ausgabensteigerung, das Unabhängigkeitsmotiv, das Spekulationsmotiv, das Vererbungsmotiv, Freude am Sparen und schliesslich die Ersparnis für Ausgaben für teure, langlebige Konsumgüter. Diese letzten sechs Motive lassen sich allerdings ohne Probleme bei der Modellierung in die ersten drei genannten einordnen. So ist zum Beispiel das Motiv „Ersparnis für Ausgaben für teure, langlebige Konsumgüter“ eine Frage der intertemporalen Substitution. Ein Problem welches einem bei Maximierung des „Lebensnutzens“ begegnet ist das des Endpunktes. Niemand kennt den Zeitpunkt seines Todes. In den mei- Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 49 sten Modellen wird entweder ein fixer Wert angenommen oder es wird über einen unendlichen Zeitraum hinweg maximiert. Der Nachteil des ersten ist das Problem, das in der letzten Periode keine Ressourcen übrig bleiben. Sofern kein Vererbungsmotiv vorliegt, ist es für den Haushalt nicht effizient in der letzten Periode Ressourcen übrig zu behalten. Diese Modelle arbeiten in diesem Fall mit der Restriktion, dass am Ende der letzten Periode das Vermögen gleich Null sein muss. Die zweite Variante ist die Annahme eines unendlichen Zeithorizontes. In diesem Fall wird das Problem vermieden, dass das Individuum gegen Ende des Zeithorizontes „gezwungen“ wird seine Ressourcen zu verbrauchen. Auf der anderen Seite ist diese Art der Modellierung natürlich nicht mehr realistisch. 2.2 Einführung in die Risikonutzentheorie In Abschnitt 1.2 wurde als ein erstes Resultat festgestellt, dass die Existenz von Risiko eine notwendige Bedingung für unfreiwillige Überschuldung ist. Daher sollen an dieser Stelle kurz die Grundlagen der Risikonutzentheorie gelegt werden. Sobald Entscheidungen getroffen werden, deren Ergebnisse von Ereignissen oder Zuständen beeinflusst werden können über die keine Kontrolle besteht, werden Entscheidungen unter Risiko gefällt. Die Ereignisse können die Umweltzustände sein wie zum Beispiel Sonnenschein oder Regen, welche ein geplantes Picknick zum Erfolg oder Misserfolg machen können. Das Risiko kann auch den Zustand eines Gutes betreffen das konsumiert werden soll, wie zum Beispiel ein Auto dessen Qualität vor dem Kauf nicht vollständig ersichtlich ist. Auch die eigenen, zukünftigen Präferenzen sind unter Umständen nicht sicher (ein Umstand der in Abschnitt 4.2 noch von besonderem Interesse sein wird). Hirshleifer und Riley (1992, Kap. 1) nennen 5 Elemente die ein Individuum bei seiner Entscheidung unter Unsicherheit miteinbezieht: (1) Ein Bündel möglicher Handlungsalternativen für das Individuum (2) Ein Bündel möglicher Umweltzustände 50 2 Grundlagen der intertemporalen Optimierung und der Optimierung unter Risiko (3) Eine Ergebnisfunktion welche alle möglichen Kombinationsmöglichkeiten von Handlungen und Umweltzuständen abbildet (4) Eine Wahrscheinlichkeitsfunktion welche die Erwartungen des Individuums hinsichtlich der Umweltzustände ausdrückt (5) Eine Präferenzordnung oder Nutzenfunktion welche den unterschiedlichen Umweltzuständen Nutzen zuweist Man stelle sich eine Lotterie vor: Die Handlungsalternativen sind an der Lotterie teilzunehmen und dafür 5 Geldeinheiten (GE) auszugeben oder es sein zu lassen. Die möglichen Umweltzustände sind bei Teilnahme an der Lotterie der Gewinn (10 GE zurück) oder der Verlust (die 5 GE sind verloren), bei Nichtteilnahme bleibt alles wie es ist (5 GE behalten). Die Ergebnisfunktion zeigt auf, dass bei Teilnahme an der Lotterie entweder 5 GE verloren gehen oder ein Betrag von 10 GE gewonnen wird. Bei Nichtteilnahme bleiben auf jeden Fall 5 GE beim Besitzer. Die Wahrscheinlichkeitsfunktion weist jeder der Alternativen eine Wahrscheinlichkeit zu. Die Wahrscheinlichkeit des Gewinns sei zum Beispiel 0.5, die des Verlusts in dem Fall ebenfalls 0.5 und bei Nichtteilnahme behält man die 5 GE mit Wahrscheinlichkeit 1. Die Präferenzordnung oder Nutzenfunktion folgt der herkömmlichen Theorie der Nutzenmaximierung. Ich werde auf die Darstellung von Güterbündeln verzichten und den Konsumnutzen durch den Nutzen aus Einkommen y approximieren, unter der Annahme, dass dieses Einkommen letztendlich auch konsumiert wird, wobei keine Rolle spielt wofür. In der Abbildung II.5 ist eine solche Nutzenfunktion in Abhängigkeit vom Einkommen y dargestellt. Sie hat den üblichen konkaven Verlauf, der durch die Annahme der Risikoaversion entsteht. In der betrachteten Lotterie besteht die Möglichkeit 5 GE sicher zu haben oder mit einer Wahrscheinlichkeit von 0.5 10 GE zu gewinnen und mit einer Wahrscheinlichkeit von 0.5 nichts zu haben (bzw. 5 GE zu verlieren). Auf der Horizontalen ist das Einkommen y abgetragen. Der mögliche Gewinn von 10 GE ergibt den auf der Vertikalen abgetragenen Nutzen von y*. Der Nutzen des Nichtgewinns sei in diesem Fall gleich Null und der Nutzen des Erwartungswertes (= 5 GE) ist gleich dem Nutzen der Nichtteilnahme an der Lotterie (5 GE behalten). Entscheidend ist Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 51 allerdings der Erwartungsnutzen, welcher einem y von 2.5 GE entspricht. Dass heisst, das betrachtete Individuum zieht aus der Teilnahme an der Lotterie einen Nutzen, der einem sicheren Einkommen von 2.5 GE entspricht. Da die Teilnahme an der Lotterie aber 5 GE kostet, wird das Individuum vorziehen nicht teilzunehmen, um die 5 GE mit Sicherheit behalten zu können. Ein Verhalten dieser Art bezeichnet man mit Risikoaversion, abgebildet durch den konkaven Verlauf der Nutzenfunktion. Dementsprechend wird ein Individuum mit linearer Nutzenfunktion als risikoneutral bezeichnet und orientiert sich am Erwartungswert. Ein Individuum mit konvexer Nutzenfunktion präferiert eine Lotterie mit einem Erwartungswert, der kleiner ist als die sichere Alternative. Ein solches Individuum wird als risikofreudig bezeichnet. Eine Unterscheidung zwischen Risiko und Unsicherheit wie sie Knight (1921) macht, wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit nicht vorgenommen. Ich schliesse mich der Argumentation von Hirshleifer und Riley (1992) an, demzufolge nicht so sehr die Kalkulation einer objektiven Wahrscheinlichkeit wie sie Knight als Voraussetzung für Risiko fordert, sondern schon eine subjektive Wahrscheinlichkeit ausreichend ist. Subjektive Wahrscheinlichkeit heisst, dass jedes Individuum sich seine eigenen Erwartungen bezüglich zukünftiger Ereignisse bildet, gestützt auf die ihm zur Verfügung stehenden Informationen. Diese subjektive Wahrscheinlichkeit kann unter Umständen deutlich von der objektiven abweichen, was aber für die Entscheidung des Individuums nicht von Bedeutung ist, sondern allenfalls für das Ergebnis. 52 2 Grundlagen der intertemporalen Optimierung und der Optimierung unter Risiko Abbildung II.5 Darstellung der Risikonutzenfunktion U U(y) U(yopt.) U(E[y]) EU(y) A 0 2.5 Fr. π=0.5 =y* 5 Fr. =E[y] y 10 Fr. π=0.5 Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 53 3 Risiko als Grund für Überschuldung Wie in Resultat II.5 von Abschnitt 1.2 erläutert, bildet Risiko eine notwendige aber nicht immer hinreichende Bedingung für Überschuldung. Wäre Risiko auch permanent eine hinreichende Bedingung für unfreiwillige Überschuldung, so wären alle Menschen überschuldet, da zukünftige Ereignisse immer einem Risiko unterliegen. Die Frage ist wie weit Risiko verantwortlich gemacht werden kann für Überschuldung. Es soll in diesem Abschnitt überprüft werden, in welcher Form die Überschuldungswahrscheinlichkeit vom Einkommensrisiko abhängt. 3.1 Ohne explizite Darstellung des Überschuldungsrisikos In diesem ersten Abschnitt wird das Verhalten eines Individuums untersucht, welches einem Einkommensrisiko unterliegt. Das Risiko der Überschuldung mit der Folge eines Betreibungsverfahrens wird anfangs nicht berücksichtigt. 3.1.1 Vorsichtersparnis in der ökonomischen Literatur Empirische Studien der 50er Jahre fanden relativ grosse Unterschiede im Sparverhalten zwischen Bevölkerungsgruppen mit unterschiedlichen Einkommensrisiken [vgl. Skinner (1988)]. Diejenigen, welche einem relativ hohen Einkommensrisiko unterlagen, wie zum Beispiel Selbständige, besassen eine höhere Sparneigung als zum Beispiel angestellte Manager. Ein ähnliches Ergebnis hat Gehrels (1991) mit deutschen Daten erhalten. Friedman (1957) begründete diese Unterschiede in der Sparneigung mit den unterschiedlichen Einkommensrisiken. Diese Idee war zu diesem Zeitpunkt allerdings schon nicht mehr neu. Fisher (1930) argumentierte, dass das Einkommensrisiko die Zeitpräferenzrate senke und somit das Sparen erhöhe. Dieser Idee schliessen sich zum Beispiel Mezes und Auten (1978) an. Die aktuelle Literatur bezüglich des Konsumverhaltens bei Einkommensrisiko argumentiert allerdings nicht über die Zeitpräferenzrate. Die Theorie der sog. Vorsichtsersparnis (Precautionary Saving) beruht auf der Konkavität der Nutzenfunktion und der daraus folgenden Risikoa- 54 3 Risiko als Grund für Überschuldung version. Das Modell welches dieses Prinzip wohl mit am einfachsten zeigt, stammt von Blanchard und Mankiw (1988); dieses Modell werde ich im folgenden Abschnitt vorstellen und auch für die weitere Analyse verwenden. Caballero (1990 und 1991) hat dieses Modell ebenfalls verwendet und verallgemeinert. Die Arbeiten von Skinner (1988), Zeldes (1989), Deaton (1991), Carroll und Kimball (1995) sowie Carroll (1997) verfeinern die Theorie der Vorsichtsersparnis noch und eliminieren auch einige der Unvollkommenheiten des Modells von Blanchard und Mankiw, dies allerdings um den Preis der Handhabbarkeit. Ohne Simulationen am Computer sind die Ergebnisse kaum noch interpretierbar. 3.1.2 Das Modell von Blanchard und Mankiw Blanchard und Mankiw (1988) entwickeln ein relativ einfaches Modell der intertemporalen Optimierung unter Einkommensrisiko. Dieses Modell soll als Basis für meine Überlegungen dienen. Blanchard und Mankiw maximieren eine Zielfunktion der Art: T–t max EU = E ∑i = 0 U ( ct + i ) . (II.18) Ein Individuum maximiert seinen Erwartungsnutzen aus Konsum über den bekannten Zeitraum t bis T hinweg. Das Risiko liegt beim zukünftigen Einkommen, welches nicht bekannt ist. Zinssatz und Zeitpräferenzrate sind gleich Null, um den Einfluss des Risikos zu isolieren. Die Budgetbeschränkung für dieses Maximierungsproblem lautet: vt + i + 1 = vt + i + yt + i – ct + i . (II.19) Die Variable v steht für das Vermögen und die Variable y für das Arbeitseinkommen. Die Werte beziehen sich jeweils auf den Anfang einer Periode. Das Vermögen der Gegenwartsperiode t ist gegeben ( v t = v t ). Das Vermögen der Endperiode ist in Absenz eines Erbschaftsmotivs gleich Null ( v T + 1 = 0 ) . Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 55 Das Risiko, welchem das Individuum unterliegt, beschränkt sich auf das Arbeitseinkommen der zukünftigen Perioden. Nach Differenzierung der Zielfunktion (II.18) ergibt sich die Bedingung erster Ordnung für ein Maximum: ∂U ∂U ------- = E -------------- .1 ∂c ∂c t t+i (II.20) Der Grenznutzen des Konsums einer Periode t entspricht dem erwarteten Grenznutzen des Konsums jeder Folgeperiode t + i. Die Taylor Approximation 2. Ordnung der Gleichung (II.20) für EU' ( c t + i ) ergibt:2 2 1 EU' ( c t + i ) = U' ( c t ) + U'' ⋅ E ( c t + i – c t ) + --- ⋅ U''' ⋅ E ( c t + i – c t ) . 2 (II.21) Gleichung (II.21) lässt sich durch U'' teilen und man erhält 2 U' ( c t ) EU' ( c t + i ) 1 U''' ------------------------- = -------------- + E ( c t + i – c t ) + --- ⋅ -------- ⋅ E ( c t + i – c t ) . 2 U'' U'' U'' (II.22) Die Entwicklung eines Masses für den Grad der Risikoaversion geht zurück auf Arrow (1965) und Pratt (1964). Seitdem kennt man im Rahmen der Theorie der Optimierung unter Risiko den Ausdruck – U'' ⁄ U' , als das Arrow-Pratt Mass der absoluten und – U''w ⁄ U' als das Arrow-Pratt Mass der relativen Risikoaversion. Je grösser der Wert des Arrow-Pratt Masses, desto risikoaverser ist ein Individuum. Leland (1968), Sandmo (1970), Drèze und Modigliani (1972) und in neuerer Zeit Kimball (1987) haben als Äquivalent zum Arrow-Pratt Mass den absoluten und relativen Vorsichtskoeffizienten bezüglich des Konsums eingeführt und untersucht ( – U''' ⁄ U'' bzw. – U'''c ⁄ U'' ) . 1) Die Differenzierung von Gleichung (II.18) nach ct+i ergibt einen Satz Bedingungen erster Ordnung der Form: ( ∂EU ) ⁄ ( ∂c t + i ) – λ = 0 für jedes 0 ≤ i ≤ T – t . Ausgehend von der ersten Periode i = 0, lässt sich somit Gleichung (II.20) herleiten. 2) Vgl. Silberberg (1990) 54f. 56 3 Risiko als Grund für Überschuldung Die beiden erwähnten Masse müssen nicht zwangsläufig dieselben sein. Es ergibt sich allerdings bei der Verwendung einer exponentiellen Nutzenfunktion [ U ( c ) = – ( 1 ⁄ γ ) ⋅ exp ( – γ ⋅ c ) ] sowie bei der Verwendung einer isoelastischen Nutzenfunktion [ U ( c ) = 1 ⁄ ( 1 – γ ) ⋅ c 1–γ ] , dass das Arrow-Pratt Mass und der Vorsichtskoeffizient identisch sind.1 Mit dieser Vorbereitung lässt sich Gleichung (II.22) unter Verwendung von Gleichung (II.20) wie folgt schreiben: 2 1 E ( c t + i – c t ) = --- ⋅ a ⋅ E ( c t + i – c t ) . 2 (II.23) Die Variable a steht für das absolute Arrow-Pratt Mass als auch für den absoluten Vorsichtskoeffizienten. In der weiteren Analyse will ich mich jetzt auf die einfache Form der exponentiellen Nutzenfunktion konzentrieren. Diese Form wird bei der Diskussion der Nutzenmaximierung unter Risiko sehr häufig verwendet. Es gilt somit Ut = –e – γc t . (II.24) Unter der Annahme, dass das Arbeitseinkommen einem random walk folgt, dessen Störterm eine symmetrische Zufallsverteilung mit einem Erwartungswert 2 von 0 und einer Varianz σ aufweist, lässt sich Gleichung (II.23) wie folgt ausdrücken:2 2 1 E ( c t + 1 ) = c t + --- ⋅ γ ⋅ σ . 2 (II.25) 1) Vgl. Blanchard und Mankiw (1988). 2) Blanchard und Mankiw erhalten an dieser Stelle statt 1/2 den Wert 1/4 auf der rechten Seite der Gleichung (II.25). Auch nach wiederholtem Rechnen erhalte ich selbst allerdings 1/2, so wie auch Caballero (1990). Ich werde daher mit diesem Wert fortfahren. Sollte sich der Wert 1/4 bewahrheiten, so ändert dies jedoch an den weiteren Ergebnissen nicht viel. Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 57 Der Erwartungswert des Konsums in der kommenden Periode ist grösser als der gegenwärtige Konsum, obwohl das Einkommen einen Erwartungswert aufweist, welcher dem heutigen Einkommen entspricht. Der Grund ist die konkave Form der Nutzenfunktion, die in diesem Fall durch das absolute Arrow-Pratt Mass der Risikoaversion γ bestimmt wird. Der Nutzen des Erwartungswertes des Konsums ist geringer als der Nutzen sicheren Konsum in derselben Höhe (vgl. Abschnitt 2.2). Somit muss der Erwartungswert des zukünftigen Konsums grösser sein als der sichere, aktuelle Wert, damit die Optimalbedingung (II.20) [Grenznutzen des Erwartungswerts zukünftigen Konsums gleich dem Grenznutzen heutigen Konsums] erfüllt ist. Mit Hilfe der Budgetgleichung lässt sich schliesslich der Konsum zum Zeitpunkt t bestimmen. Die Budgetgleichung (II.19) lässt sich auch unter der Annahme v T + 1 = 0 wie folgt schreiben: T–t T–t ∑i = 0 E ( ct + i ) = vt + yt + ∑i = 1 E ( yt + i ) . (II.26) Die Summe des Konsums ab einer Periode t bis zum Ende der letzten Periode T, muss gleich dem in dieser Periode verfügbaren Vermögen vt, plus dem Einkommen dieser Periode yt, plus der Summe der erwarteten Einkommen der Folgeperioden sein. Unter Verwendung der Gleichung (II.25) ergibt sich schliesslich: 2 1 1 c t = -------------------- ⋅ v t + y t – --- ⋅ ( T – t ) ⋅ γ ⋅ σ . 2 T–t+1 (II.27) Der Konsum zum Zeitpunkt t ist negativ abhängig von der Varianz des 2 Arbeitseinkommens σ . Die Ersparnis steigt mit steigender Varianz des Einkommens. Soweit sich die Varianz als das Risiko interpretieren lässt, heisst das Ergebnis, dass die Ersparnis mit dem Einkommensrisiko steigt. 58 3 Risiko als Grund für Überschuldung In Abbildung II.6 ist das Beispiel eines Einkommens- sowie eines Konsumpfads über 50 Perioden eingezeichnet. Die Varianz des Störterms beträgt 2, der Erwartungswert des Einkommens in der 1. Periode beträgt 15 und das absolute Mass der Risikoaversion wurde auf 0.2 gesetzt. Wie zu sehen, ist der Konsumpfad im Trend steigend. Je grösser das Mass der Risikoaversion, desto steiler wird dieser Pfad. Abbildung II.6 Einkommens- und Konsumpfad im Modell von Blanchard/Mankiw 40.00 35.00 30.00 25.00 Einkommen 20.00 Konsum 15.00 10.00 5.00 1 3 5 7 9 11 13 15 17 19 21 23 25 27 29 31 33 35 37 39 41 43 45 47 49 Resultat II.4 Das Resultat der Analyse von Blanchard und Mankiw ist, dass erhöhtes Einkommensrisiko zu erhöhter Ersparnis (der sog. Vorsichtsersparnis) führt, sofern die Individuen risikoavers sind. Das Modell von Blanchard und Mankiw ist relativ einfach und daher gut geeignet das Prinzip der Vorsichtsersparnis zu zeigen. Allerdings ermöglicht Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 59 diese Modellierung unliebsame Ergebnisse, da negativer Konsum möglich ist. Wie anhand von Gleichung (II.27) zu sehen ist, müssen Einkommen yt und Ver2 mögen vt nur niedrig genug sein, bei gleichzeitig relativ grosser Varianz σ , und das Ergebnis ist ein negativer Konsum ct. 3.1.3 Vorsichtssparen und Überschuldungsrisiko Im vorherigen Abschnitt wurde die Existenz der sog. Vorsichtsersparnis aufgezeigt. Die Ersparnis steigt mit der Varianz des Einkommens. Sofern die Varianz Rückschlüsse auf das Risiko erlaubt, lässt sich sagen, dass steigendes Einkommensrisiko zu verstärkter Ersparnis führt. Im folgenden Abschnitt will ich jetzt der Frage nachgehen, wie sich ein steigendes Einkommensrisiko auf die Wahrscheinlichkeit der Überschuldung auswirkt. Dies vor allem unter der folgenden Hypothese: Die Existenz der Vorsichtsersparnis könnte dazu führen, dass ein erhöhtes Einkommensrisiko durch Mehrersparnis überkompensiert wird, wodurch die Überschuldungswahrscheinlichkeit sinken könnte. Für die weitere Analyse beschränke ich mich auf zwei Perioden. Ferner wird angenommen, dass Vermögen betrage am Anfang der ersten Periode 0. Gleichung (II.27) kann somit wie folgt geschrieben werden: 2 1 c 1 = y 1 – --- ⋅ γ ⋅ σ . 2 (II.28) Die Ersparnis in der ersten Periode ist schlicht durch die Differenz von Einkommen und Konsum definiert, 2 1 s 1 = y 1 – c 1 = --- ⋅ γ ⋅ σ . 2 (II.29) 60 3 Risiko als Grund für Überschuldung Als nächstes muss die Definition der Überschuldung formalisiert werden. Zur Vereinfachung lege ich die Bedingung fest, der Haushalt könne sich in Periode 2 nicht auf dem Kapitalmarkt verschulden und müsse mindestens ein Konsumnimin veau in Höhe von c 2 min y 2∗ + s 1 – c 2 erreichen. Daraus ergibt sich, dass ≥ 0. (II.30) Die Variable y 2∗ kennzeichnet das realisierte Arbeitseinkommen der zweiten min Periode. Die Variable c 2 steht für den Minimalkonsum welchen der Haushalt zu Überleben braucht. Die Bedingung, dass sich das Individuum in der zweiten Periode nicht verschulden kann erfordert, dass die Differenz aus Einkommen plus Ersparnis der Vorperiode mindestens gleich dem Mindestkonsum ist. Andernfalls soll das Individuum als überschuldet gelten. Dass heisst, die fälligen Rechnungen von mehr oder weniger fixen Ausgaben, wie z.B. Miete oder Krankenversicherung, können nicht mehr bezahlt werden. Mit diesen Vorgaben lässt sich jetzt ein kritischer Wert für das realisierte Einkommen der zweiten Periode berechnen. Liegt das Einkommen unter diesem Wert, so ist der Haushalt überschuldet. Es gelte krit y2 min = c2 min – s1 = c2 2 1 – --- ⋅ γ ⋅ σ . 2 (II.31) Die Frage ist nun, wie gross die Wahrscheinlichkeit ist, dass das Einkommen den kritischen Wert unterschreitet. Die Eintrittswahrscheinlichkeit einer definierten Abweichung vom Erwartungswert einer Zufallsvariablen lässt sich mit Hilfe der Tschebyscheffschen Ungleichung approximieren.1 Auf das vorliegende Problem bezogen ergibt die Tschebyscheffsche Ungleichung: 1) Vgl. Judge et al. (1988), 42. Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 61 Tschebyscheffsche Ungleichung: 2 Ist X eine beliebige Zufallsvariable mit E ( X ) = µ, var ( X ) = σ , so gilt: 2 σ P ( X – µ ≥ c ) ≤ -----2 c für jedes c > 0. 2 krit σ P ( y 2∗ – E ( y 2 ) ≥ E ( y 2 ) – y 2 ) ≤ -------------------------------------- . krit 2 [ E ( y2 ) – y2 ] (II.32) Die Wahrscheinlichkeit, dass der Betrag der Differenz zwischen tatsächlichem Einkommen der zweiten Periode und erwartetem Einkommen grösser/ gleich der Differenz zwischen erwartetem und kritischem Einkommen ist, ist kleiner als der Betrag auf der rechten Seite der Ungleichung (II.32). Diese Ungleichung lässt sich noch etwas vereinfachen, so dass 2 krit σ P ( y 2∗ ≤ y 2 ) ≤ -------------------------------------- . krit 2 [ E ( y2 ) – y2 ] (II.33) Die Wahrscheinlichkeit, dass das realisierte Einkommen der zweiten Periode kleiner ist als der kritische Wert des Einkommens, ist kleiner als 2 krit 2 σ ⁄ [ E ( y2 ) – y2 ] . Die Tschebyscheffsche Ungleichung ist allerdings nicht geeignet eine qualitative Analyse dieser Frage durchzuführen, da sie keine eindeutige Funktion darstellt. Im folgenden Abschnitt werde ich deshalb die Wirkung einer Erhöhung des Risikos auf die Überschuldungswahrscheinlichkeit anhand zweier konkreter Verteilungen messen. 62 3 Risiko als Grund für Überschuldung 3.1.4 Einfluss des Einkommensrisikos auf die Überschuldungswahrscheinlichkeit Die interessante Frage lautet jetzt: Wie verändert sich die Überschuldungswahrscheinlichkeit mit der Standardabweichung? Differenziert man den kritischen 2 Wert des Einkommens [vgl. Gleichung (II.31)] nach der Varianz σ , so ergibt sich bei risikoaversen Individuen ein negativer Wert, krit ∂y 2 1 -------------- = – --- ⋅ γ < 0 bei Risikoaversion . 2 2 ∂σ (II.34) Da man im allgemeinen von risikoaversen Individuen ausgehen kann [vgl. Szpiro (1986)], sinkt der kritische Wert des Einkommens mit steigender Varianz. Dass heisst, steigendes Risiko führt zu mehr Vorsichtsersparnis, dies wiederum senkt den kritischen Wert des Einkommens. Ceteris paribus sinkt daher auch die Überschuldungswahrscheinlichkeit. Auf der anderen Seite heisst eine Erhöhung der Varianz, dass die zu erwartenden Abweichungen vom Erwartungswert grösser werden, dass ceteris paribus die Überschuldungswahrscheinlichkeit steigt. Eine Veränderung der Varianz führt also zu zwei entgegengesetzten Resultaten. Welcher Effekt letztendlich überwiegt, soll im folgenden anhand zweier konkreter Verteilungsfunktionen getestet werden. 3.1.4.1Das Einkommensrisiko sei gleichverteilt Die einfachste Funktion einer Zufallsvariablen ist die stetige Gleichverteilung. Ihre Verteilungsfunktion ist gegeben durch: 0 x–a F ( x ) = ---------- b–a 1 für x < a füra ≤ x ≤ b für x > b. (II.35) Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 63 Der Erwartungswert einer gleichverteilten Zufallsvariablen ist ( a + b ) ⁄ 2 und 2 die Varianz ( a – b ) ⁄ 12 . In Anlehnung an Gleichung (II.35) lässt sich jetzt die Wahrscheinlichkeit krit bestimmen, dass das Einkommen den kritischen Wert y 2 unterschreitet. Sie lautet: krit min y2 – y2 krit ∗ P ( y 2 < y 2 ) = ----------------------------- . max min y2 – y2 (II.36) Eine Erhöhung des Risikos bei gleichbleibendem Erwartungswert lässt sich bei der Gleichverteilung durch eine Verschiebung der beiden Extremwerte nach aussen abbilden (vgl. Abbildung II.7).1 Abbildung II.7 Dichtefunktion des Zukunftseinkommens bei einer Änderung der Varianz - Der Fall der Gleichverteilung f(y2) 1 -----------b–a a‘ a min y2 E (y 2) krit y2 b b‘ y2 max y2 Es kann festgehalten werden, dass 1) Die links-schraffierte Fläche in Abbildung II.7 ist die Wahrscheinlichkeit der Überschuldung vor der Risikoerhöhung, die rechts-schraffierte Fläche ist die Überschuldungswahrscheinlichkeit nach der Erhöhung. 64 3 Risiko als Grund für Überschuldung max ∂y --------------- = – 1 gilt. min ∂y (II.37) min Eine Erhöhung der Varianz lässt sich durch eine Verringerung von y 2 chen. errei- Durch die Veränderung der Extremwerte ändert sich die Varianz unter Verwendung der Gleichung (II.37) wie folgt: min max 2 ∂ ( y 2 – y 2 ) ⁄ 12 ∂σ -------------- = ------------------------------------------------------- = min min ∂y 2 ∂y 2 2 min max max min min max y2 – y2 2 ⋅ ( y 2 – y 2 ) ⋅ ( 1 – ∂y 2 ⁄ ∂y 2 ) ⋅ 12 -------------------------------------------------------------------------------------------------------- = ----------------------------2 3 12 . (II.38) Mit dem notwendigen Rüstzeug versehen, lässt sich jetzt mit Hilfe der Gleimin chungen (II.34) und (II.38) die Gleichung (II.36) nach ∂y 2 differenzieren, wodurch der Einfluss einer Risikoänderung auf die Überschuldungswahrscheinlichkeit analysiert werden kann, krit ∂P ( y 2∗ < y 2 ) ------------------------------------- = min ∂y 2 ∂y krit ∂y max 2 max min krit min ∂σ 2 2 -------------- ⋅ -------------- – 1 ⋅ ( y y 2 ) – ( y 2 – y 2 ) ⋅ --------------- – 1 – 2 min 2 min ∂y 2 ∂σ ∂y 2 ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------. max min 2 ( y2 – y2 ) (II.39) Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung krit 2 2 65 min Durch Einsetzen der Ausdrücke für ( ∂y 2 ) ⁄ ( ∂σ ) , ( ∂σ ) ⁄ ( ∂y 2 max min ( ∂y 2 ) ⁄ ( ∂y 2 ) erhält man: ) sowie krit ∂P ( y 2∗ < y 2 ) ------------------------------------- = min ∂y 2 min max max min krit min 1 – --- ⋅ γ ⋅ ( y 2 – y 2 ) – 1 ⋅ ( y 2 – y 2 ) + 2 ⋅ ( y 2 – y 2 ) 6 -------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- > 0. < max min 2 ( y2 – y2 ) (II.40) Das Vorzeichen der Ableitung ist nicht eindeutig. Eine Erhöhung des Risikos, min ausgedrückt durch eine Verringerung (= Aussenverschiebung von y 2 ) führt dann zu einer Verringerung der Überschuldungswahrscheinlichkeit, wenn das Vorzeichen der Ableitung in Gleichung (II.39) grösser Null ist. Schliesslich lässt krit sich noch die Variable y 2 durch den Ausdruck der Gleichung (II.31) ersetzen. Die Bedingung für eine Verringerung der Überschuldungswahrscheinlichkeit bei einer Erhöhung des Risikos (= Erhöhung der Standardabweichung = Verringemin rung y 2 ) lautet: min max min 12 ⋅ ( y 2 + y 2 – 2 ⋅ c 2 ) γ > --------------------------------------------------------------------min max 2 ( y2 – y2 ) (II.41) Die Vorsichtsersparnis risikoaverser Individuen führt dann zu einer Überkompensation eines gestiegenen Einkommensrisikos und damit zu einer Verringerung der Überschuldungswahrscheinlichkeit, wenn der Grad der Risikoaversion grösser als der Ausdruck auf der rechten Seite der Ungleichung (II.41) ist. 66 3 Risiko als Grund für Überschuldung 3.1.4.2Das Einkommensrisiko sei normalverteilt Im zweiten Fall wird nun angenommen, dass Zukunftseinkommen sei normalverteilt. In Abbildung II.8 ist die Wirkung einer Änderung der Varianz bei einer Normalverteilung grafisch dargestellt. Die links-schraffierte Fläche in Abbildung II.8 Abbildung II.8 Dichtefunktion des Zukunftseinkommens bei einer Änderung der Varianz - Der Fall der Normalverteilung f(y2) krit σ2 y2 E( y2) y2 ist wiederum die Wahrscheinlichkeit der Überschuldung vor der Risikoerhöhung, die rechts-schraffierte Fläche ist die Überschuldungswahrscheinlichkeit nach der Erhöhung. Der Wert des kritischen Einkommens hat sich nach links verschoben (aufgrund der durch die Risikoerhöhung ausgelösten höheren Ersparnis), was einer Verringerung der Überschuldungswahrscheinlichkeit gleichkommt. Der Gegeneffekt besteht jedoch in der Aussenverschiebung der gesamten Funktion durch die Erhöhung des Risikos, was zu einer Erhöhung der Überschuldungswahrscheinlichkeit führt. Die Verteilungsfunktion der Normalverteilung sieht aus wie folgt:1 1) Vgl. Bohley (1989), 399. Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 67 x F(x) = ∫ –∞ 1 1 ξ – µ 2 ----------------------- ⋅ exp – --- ⋅ ------------ dξ . 2 σ σ⋅ 2⋅π (II.42) Aus der Verteilungsfunktion lässt sich die Wahrscheinlichkeit, dass ein bestimmter Wert unterschritten wird, direkt ablesen. Für das vorliegende Problem, dass die Wahrscheinlichkeit zu ermitteln ist ob das Einkommen einen Wert annehmen kann, welcher unterhalb des kritischen Wertes liegt, ergibt sich: krit krit P ( y2 ≤ y2 ) = F ( y2 ) = (II.43) krit y2 2 ∫ –∞ 1 1 y2 – E ( y2 ) ----------------------- ⋅ exp – --- ⋅ ------------------------- dy 2. σ 2 σ⋅ 2⋅π Eine Linksverschiebung des kritischen Einkommens (durch eine Ersparnissteigerung aufgrund einer Erhöhung der Varianz) verringert sich der Wert des bestimmten Integrals in Gleichung (II.43), die Überschuldungswahrscheinlichkrit keit P ( y 2 ≤ y 2 ) sinkt also. Auf der anderen Seite erhöht eine steigende Varianz den Wert der Exponentialfunktion, wodurch der Wert des Integrals und damit die Überschuldungswahrscheinlichkeit vergrössert wird. Um die Grösse des Nettoeffekts herauszufinden, wird Gleichung (II.43) ver2 einfacht nach der Standardabweichung σ und nicht nach der Varianz σ differenziert. Die Ableitung des kritischen Einkommens nach der Standardabweichung lautet: krit ∂y 2 -------------- = – γ ⋅ σ < 0 bei Risikoaversion . ∂σ (II.44) 68 3 Risiko als Grund für Überschuldung Zur Vorbereitung einer einfacheren Rechnung lässt sich Gleichung (II.43) in allgemeinerer Form schreiben: krit y2 krit P ( y2 ≤ y2 ) = –∞ krit y2 ( σ ) ∫ = ∫ 2 1 1 y2 – E ( y2 ) ----------------------- ⋅ exp – --- ⋅ ------------------------- dy 2 σ 2 σ⋅ 2⋅π (II.45) f ( y 2, σ ) dy 2 . –∞ In dieser Form lässt sich Gleichung (II.45) nach σ ableiten. Daraus resultiert: krit ∂P ( y 2 ≤ y 2 ) ---------------------------------- = ∂σ y2 ( σ ) (II.46) krit ∂f ( y 2, σ ) krit ∂( –∞) ---------------------- dy 2 + f [ y 2 , σ ] ⋅ -------------- – f [ – ∞, σ ] ⋅ --------------- = 0. ∂σ ∂σ ∂σ ∫ krit ∂y 2 –∞ krit Die Ausdrücke f [ – ∞, σ ] und f [ y 2 , σ ] stehen für die Entwicklung des Integrals an der unteren bzw. oberen Grenze, also die jeweilige Dichte. Da eine Ableitung an der unteren Grenze nicht existiert, entfällt der letzte Term auf der rechten Seite der Gleichung (II.46). Das explizite Ergebnis des Differentials lautet: Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 69 krit ∂P ( y 2 ≤ y 2 ) ---------------------------------- = ∂σ (II.47) krit y2 2 –∞ krit ∂y 2 krit f [ y 2 , σ ] ⋅ -------------∂σ + [ y2 – E ( y2 ) ] – 2 ⋅ π 1 y2 – E ( y2 ) ------------------------------------------------------ ⋅ exp – --- ⋅ ------------------------- 2 σ 2 σ dy 2 ∫ 2 (-) (+) < > 0. Der erste Term auf der rechten Seite der Gleichung (II.47), das Integral, ist in jedem Fall positiv. Der zweite Term ist negativ, sofern das Individuum risikoakrit vers und somit die Ableitung ∂y 2 ⁄ ∂σ negativ ist [vgl. Gleichung (II.44)]. Das Vorzeichen ist unbestimmt. Eine Erhöhung der Standardabweichung führt nicht in jedem Fall zu einer Erhöhung der Überschuldungswahrscheinlichkeit. Da der Ausdruck der Gleichung (II.47) eher unhandlich und schwer interpretierbar ist, soll zur Verdeutlichung, dass eine Verringerung der Überschuldungswahrscheinlichkeit aufgrund einer Risikosteigerung möglich ist, in Abbildung II.9 eine einfache Simulation präsentiert werden. Es wird angenommen, der Mittelwert einer normalverteilten Einkommensverteilung betrage 300. In Abbildung II.9 ist die Entwicklung der Überschuldungswahrscheinlichkeit in Abhängigkeit von der Standardabweichung bei drei verschiedenen Niveaus der Risikoaversion abgetragen. Bei allen drei Kurven ist deutlich zu sehen, dass bei steigendem Einkommensrisiko, abgebildet durch eine steigende Standardabweichung, anfänglich die Überschuldungswahrscheinlichkeit ebenfalls steigt, später aber dann wieder absinkt. Dass heisst, das Individuen, die einem höheren Einkommensrisiko als andere unterliegen ceteris paribus nicht zwangsläufig auch einer höheren Überschuldungswahrscheinlichkeit unterliegen. 70 3 Risiko als Grund für Überschuldung Abbildung II.9 Simulation der Überschuldungswahrscheinlichkeit in Abhängigkeit von der Standardabweichung bei unterschiedlicher Risikoaversion Überschuldungswahrscheinlichkeit 0.35 γ = 0.01 0.30 0.25 0.20 0.15 γ = 0.05 0.10 0.05 γ = 0.1 0 5 10 15 20 25 30 Standardabweichung Resultat II.5 Ein steigendes Einkommensrisiko kann bei risikoaversen Individuen deren Vorsichtsersparnis soweit erhöhen, dass die Überschuldungswahrscheinlichkeit sinkt. Dies gilt unter den gemachten Annahmen mindestens für eine Gleich- sowie eine Normalverteilung des Einkommens. 3.2 Berücksichtigung des Überschuldungsrisikos Das vorgestellte Modell zur Vorsichtsersparnis von Blanchard und Mankiw und auch die anderen theoretischen Ansätze zu diesem Thema betrachten nur das Einkommensrisiko an sich, dass heisst die Möglichkeit, dass das Einkommen in der Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 71 nächsten Periode möglicherweise geringer (oder höher) als erwartet ausfallen kann. Ein exogener Schock hat „nur“ eine Einkommens- und damit eine Konsumreduktion zur Folge. Ein Überschuldungsrisiko und einen möglichen Bankrott gibt es nicht. Der Bankrott privater Haushalte als Folge von Überschuldung ist durchaus beachtet worden in der ökonomischen Forschung (vor allem auf der empirischen Ebene), wenn auch nicht so ausgiebig wie das Bankrottrisiko von Unternehmen. Zugegebenermassen ist für ein Unternehmen der Bankrott ein weitaus einschneidenderes Ereignis als für einen privaten Haushalt. Das Unternehmen hört eventuell auf zu bestehen, es wird liquidiert. Der Haushalt jedoch lebt und optimiert weiter unter gewissen Restriktionen wie zum Beispiel einer Lohn- oder Vermögenspfändung. Mit dem Bankrott privater Haushalte auf der theoretischen Ebene hat sich vor allem Sethi (1997) beschäftigt. Sein Buch „Optimal consumption and investment with bankruptcy“ enthält eine Reihe von Modellen, welche das Verhalten von Individuen hinsichtlich ihres Konsums bei Existenz eines Bankrottrisikos mit den unterschiedlichsten Annahmen analysieren. Diese Modelle sind allerdings allesamt aufgrund ihrer hohen mathematischen Komplexität nur schwer interpretierbar. Die einfachste Möglichkeit auch das Bankrottrisiko in die Optimierung einzuarbeiten ist sicherlich ein normales Präventionsmodell, wie es auch aus der Versicherungsliteratur bekannt ist. Ein Individuum maximiere seinen Erwartungsnutzen aus Konsum über zwei Perioden hinweg: e EU = U [ c 1, c 2 ] . (II.48) Zeitpräferenzrate und Zinssatz sind gleich und werden bei der Analyse nicht weiter beachtet. Der Konsum der ersten Periode ist gleich dem Einkommen abzüglich/zuzüglich der Ersparnis/Verschuldung dieser Periode, c1 = y1 – s1 . (II.49) 72 3 Risiko als Grund für Überschuldung Der erwartete Konsum der zweiten Periode ist mit einer Wahrscheinlichkeit 1 – π gleich dem erwartetem Einkommen, plus/minus der Ersparnis/Verschuldung der Vorperiode. Mit Wahrscheinlichkeit π ist das Individuum in der zweiten Periode überschuldet. Die Überschuldung ist dadurch definiert, dass das Einkommen einen kritischen Wert unterschreitet, bei dem Einkommen plus Ersparnis nicht ausreichen den lebensnotwendigen Minimalkonsum zu erreichen. Die Folge der Überschuldung ist eine Betreibung in dessen Folge der Konsum des Individuums auf das betreibungsrechtliche Existenzminimum m beschränkt e wird. c 2 ist somit definiert durch: e c 2 = y 2 + s 1 m mit Wahrscheinlichkeit 1 – π (II.50) mit Wahrscheinlichkeit π. Unterschreitet y 2 den kritischen Wert, so tritt der Betreibungsfall ein, andernfalls kann das Individuum sein volles Einkommen y 2 plus/minus der Ersparnis/ Verschuldung der Vorperiode konsumieren (s1). Die Wahrscheinlichkeit, dass das Einkommen den kritischen Wert unterschreitet, wurde in Abschnitt 3.1.4 am Beispiel der Gleich- und der Normalverteilung dargestellt. Je grösser der kritische Wert, desto grösser ist die Überschuldungswahrscheinlichkeit π [vgl. hierzu auch Gleichung (II.43)]. In Verbindung mit der Definition des kritischen Einkommens [vgl. Gleichung (II.31)] lässt sich somit schreiben: ∂π ∂π -------- < 0 bzw. -------- > 0 . ∂c 1 ∂s 1 (II.51) Die zu maximierende Funktion (II.48) mit den beiden Nebenbedingungen (II.49) und (II.50) lautet: Max EU = U ( c ) + ( 1 – π ) ⋅ U ( y + y – c ) + π ⋅ U ( m ) . 1 2 1 1 c1 (II.52) Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 73 Die Bedingung erster Ordnung ergibt: ∂U ∂π ∂U ∂π -------- – -------- ⋅ U ( y 2 + y 1 – c 1 ) – ( 1 – π ) ⋅ -------- + -------- ⋅ U ( m ) = 0 . ∂c 1 ∂c 1 ∂c 1 ∂c 1 (II.53) Schliesslich erhält man durch Umformung: ∂π -------- ⋅ [ U ( y 2 + y 1 – c 1 ) – U ( m ) ] ∂c 1 ∂U -------- = ---------------------------------------------------------------------------- . π ∂c 1 (II.54) Der Term auf der linken Seite der Gleichung (II.54) gibt den Grenznutzen des Konsums der ersten Periode an. Je höher der Grenznutzen, desto geringer der absolute Konsum (unter der üblichen Annahme der konkaven Nutzenfunktion) und damit um so grösser die Ersparnis in der ersten Periode bei gegebenem Einkommen y 1 . Ferner gilt: • Die Ersparnis steigt mit steigender Differenz zwischen „Normalkonsum“ und betreibungsrechtlichem Existenzminimum [Ausdruck in der eckigen Klammer im Zähler des Quotienten auf der rechten Seite der Gleichung (II.54)]. Je geringer also das betreibungsrechtliche Existenzminimum im Vergleich zum „Normalkonsum“, desto mehr Prävention in Form verstärkter Ersparnis wird betrieben. Dies ist ein Ergebnis welches nicht überrascht. Es ist bereits bekannt aus der Versicherungsliteratur. Je geringer in diesem Fall der Dekkungsgrad der Versicherung, desto grösser die Prävention. • Ebenfalls ersparnissteigernd wirkt das Ausmass des Einflusses des Konsums bzw. der Ersparnis der ersten Periode auf die Überschuldungswahrscheinlichkeit [ ∂π ⁄ ∂c 1 im Zähler des Quotienten auf der rechten Seite der Gleichung (II.54)]. Je stärker dieser Einfluss, desto grösser die Ersparnis. • Schliesslich ist auch die Ausgangswahrscheinlichkeit der Überschuldung π von Bedeutung. Je grösser diese Wahrscheinlichkeit, je grösser also die Überschuldungsgefahr in der Ausgangslage, desto weniger wird gespart. Auch dies 74 3 Risiko als Grund für Überschuldung ist nicht weiter erstaunlich. Je wahrscheinlicher es ist, dass eine Person in der nächsten Periode überschuldet sein wird und nur noch das Existenzminimum konsumieren kann, desto eher lohnt es sich, wenigstens noch in der laufenden Periode so viel wie möglich zu konsumieren. Resultat II.6 Wird das Risiko der Überschuldung in die Optimierung mit einbezogen, so ist für das Ausmass der Ersparnis, als Prävention gegen Überschuldung, vor allem der Schaden, der durch eine Überschuldung entsteht von Bedeutung. Dieser Schaden wird in erster Linie durch das Verhältnis betreibungsrechtliches Existenzminimum zu „Normalkonsum“ bestimmt. Ferner wird die Ersparnis durch die Ausgangswahrscheinlichkeit der Überschuldung sowie die Einflussmöglichkeiten auf diese Wahrscheinlichkeit bestimmt. Weitere Möglichkeiten der Modellierung der Optimierung mit Überschuldungsrisiko bietet die Bankenliteratur. Freixas und Rochet (1997) zeigen anhand von drei Modellen die Optimierung einer Bank unter Einbezug eines Liquiditätsrisikos [Freixas und Rochet 1997, 227ff]. Die Ergebnisse sind allerdings letztendlich immer dieselben. Entscheidend für das Ausmass der Prävention gegen Überschuldung sind die Kosten der Prävention in Relation zu den erwarteten Kosten der Überschuldung. 3.3 Die Rolle des Einkommens Ein Schwachpunkt beider Modelle ist die ungenügende Rolle des Einkommens. Im ersten Modell ohne die Berücksichtigung eines Bankrottrisikos (vgl. Abschnitt 3.1), ist das Niveau des Einkommens für den Entscheidungsprozess nicht von Bedeutung. Vorsichtsersparnis wird getätigt, egal wie tief das Einkommen zu Beginn auch sein mag. Wie bereits in Abschnitt 3.1.2 erwähnt kann ein Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 75 unbefriedigendes Ergebnis des Modells von Blanchard und Mankiw der negative Konsum sein. Das zweite betrachtete Modell (vgl. Abschnitt 3.2), berücksichtigt das Einkommensniveau insoweit, als die Differenz zwischen Normaleinkommen und betreibungsrechtlichem Existenzminimum für die Ersparnis eine Rolle spielt. Zusätzlich konnte man feststellen, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit der Überschuldung einen negativen Anreiz auf die Ersparnis hat. Da die Überschuldungswahrscheinlichkeit ceteris paribus bei Bezügern geringer Einkommen höher sein dürfte als bei Bezügern hoher Einkommen, ist an dieser Stelle bereits ein negativer Einfluss geringen Einkommens auf die Ersparnis festzuhalten. Dazu kommt, dass bei einem Einkommen nahe des Existenzminimums eine Vorsichtsersparnis gar nicht mehr möglich ist. Exogene Schocks sind zwar bei einem sehr geringen Einkommen nicht so sehr auf der Einnahmenseite zu erwarten; auf der Ausgabenseite sind sie aber nach wie vor möglich. Das können Kosten einer Krankheit sein, Gerichtsbussen usw. Treten solche unerwarteten Ausgaben auf, so hat ein Individuum mit geringem Einkommen keine Möglichkeit diese Ausgaben in Verbindung mit dem notwendigen Konsum zu decken, die Überschuldung ist die Folge. Resultat II.7 Einkommensschwäche verunmöglicht es einem Individuum Vorsichtsersparnis zu tätigen, da es zuerst einmal den notwendigen Konsum decken muss. Einkommensschwache Haushalte sehen sich somit einer erhöhten Überschuldungswahrscheinlichkeit gegenüber. Auch ist für sie der Anreiz zur Vorsichtsersparnis gering, da die Ausgangswahrscheinlichkeit der Überschuldung unter Umständen ohnehin schon sehr hoch ist. 76 4 Die Rolle der Zeitpräferenzrate 4 Die Rolle der Zeitpräferenzrate Im ersten Abschnitt dieses Kapitels wird nochmals kurz der Effekt diskutiert, den die Abdiskontierung zukünftiger Ereignisse auf die Ersparnis hat. Der zweite Abschnitt ist dem Konzept der hyperbolischen Diskontierung gewidmet. 4.1 Die klassische Zeitpräferenzrate Die Rolle, welche die Zeitpräferenzrate hinsichtlich der Sparentscheidung des Individuums einnimmt, wurde bereits in Abschnitt 2.1 angedeutet. Je höher die Zeitpräferenzrate in Relation zum Marktzinssatz ist, desto eher wird ein Individuum dazu neigen wenig zu sparen bzw. sich zu verschulden. Dieser Effekt kann die sparfördernde Wirkung einer hohen Risikoaversion überkompensieren. Mögliche zukünftige Verluste durch Einkommensausfall oder möglicherweise sogar Überschuldung werden stärker abdiskontiert und verlieren somit an Gewicht bei der Optimierung. Die Vorsichtsersparnis beruhte auf Gleichung (II.20) in Abschnitt 3 dieses Teils, der Gleichheit des Grenznutzens des Konsums der Periode t und des erwarteten Grenznutzens des Konsums der Periode t+i: U' ( c t ) = E [ U' ( c t + i ) ] . (II.55) Damit diese Bedingung auch bei Existenz von Risikoaversion erfüllt ist, muss der Erwartungswert des Konsums in jeder Periode grösser sein als in der vorangegangenen. Wird in dieses Modell eine Zeitpräferenzrate δ eingeführt, so ergibt die Optimalbedingung: E [ U' ( c t + i ) ] U' ( c t ) = ------------------------------- . i (1 + δ) (II.56) Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 77 Durch die Abdiskontierung der Zukunftsperioden wird der Effekt der Risikoaversion, welcher das Individuum „zwang“ den Erwartungswert des Konsums in jeder Periode zu steigern, kompensiert. Die Vorsichtsersparnis sinkt mit der Zeitpräferenzrate. Der Einfluss der Zeitpräferenzrate ist offensichtlich. Personen mit relativ hoher Zeitpräferenzrate werden ceteris paribus einer höheren Überschuldungswahrscheinlichkeit unterliegen, da sie weniger Ersparnis tätigen. Resultat II.8 Je höher die Zeitpräferenzrate eines Individuums, je stärker also zukünftige Perioden abdiskontiert werden, desto geringer fällt die Ersparnis aus. Die Überschuldungswahrscheinlichkeit ist für Menschen mit relativ hoher Zeitpräferenzrate demzufolge höher. 4.2 Hyperbolische Diskontierung und zeitinkonsistentes Verhalten Im folgenden Abschnitt soll nun nicht so sehr die „klassische“ Zeitpräferenzrate im Vordergrund stehen, deren Einfluss wie erwähnt unbestreitbar ist, sondern vielmehr das relativ neue Konzept des zeitinkonsistenten Verhaltens und der hyperbolischen Diskontierung. Wer kennt das nicht? Man steht vor der Erledigung einer unangenehmen Aufgabe, wie zum Beispiel eine Beurteilung für ein paper zu schreiben, wofür einem eine Woche Zeit zur Verfügung steht. Fängt man sofort an, hat man 7 Tage Zeit, kann das paper in Ruhe lesen, eine gute Beurteilung schreiben und am kommenden Wochenende einen Ausflug machen. Am ersten Tag hat man aber nicht recht Lust und lässt die Arbeit liegen. Wenn man am folgenden Tag anfängt, hat man immer noch 6 Tage Zeit, kein Problem. Soweit ist das Verhalten noch voll und ganz kompatibel mit der klassischen Entscheidungstheorie. Aufgrund der Zeitpräferenzrate wird der Nutzen des heutigen, freien Tages höher bewertet als der 78 4 Die Rolle der Zeitpräferenzrate Schaden, der durch die Verzögerung in den folgenden 6 Tagen entsteht. Was passiert denn nun am darauffolgenden Tag? Nichts; denn nach wie vor hat man keine Lust und ausserdem sollten 5 Tage genug sein. Am dritten Tag passiert dasselbe und setzt sich bis zum letzten Tag fort. An diesem wird dann unter grossem Zeitdruck auf die Schnelle dieser Report fabriziert, unter viel Schimpfen über die eigene Inkonsequenz, die einem das eingebrockt hat. Zusätzlich fällt auch noch der geplante Ausflug ins Wasser. Entgegen der klassischen Entscheidungstheorie wird der ursprüngliche Plan, der am ersten Tag erstellt wurde, und die Produktion des Reports für den 2. - 7. Tag vorsah, jeden Tag durch einen neuen Plan ersetzt. Strotz (1956) hat auf das Phänomen hingewiesen, dass viele Menschen es vorziehen ihre zukünftigen Entscheidungen durch gegenwärtiges Handeln einzuschränken, wenn die Zukunftsdiskontierung nicht exponentiell, sondern hyperbolisch ist. Die Existenz von Sparplänen, die nur dann einen Ertrag bringen, wenn sie nicht vor dem vereinbarten Zeitpunkt aufgelöst werden, sind ein Hinweis darauf, dass nicht wenige Individuen ihren zukünftigen Entscheidungen nicht trauen und daher Selbstbindung betreiben. O’Donoghue und Rabin (1996) benutzen bei ihrer Modellierung „zeitinkonsistenten“ Verhaltens eine Unterscheidung zwischen naiven und cleveren Individuen. Die naiven Individuen wissen nicht, dass sich ihre Präferenzen in Zukunft ändern werden. Sie verhalten sich so, wie in dem kleinen Eingangsbeispiel über das Verfassen eines Berichts beschrieben.1 Die cleveren Individuen erwarten, dass sich ihre Präferenzen ändern und sorgen durch Selbstbindung vor. Bei der hyperbolischen Diskontierung werden Ereignisse eines zukünftigen Zeitpunkts unterschiedlich diskontiert, je nachdem wie nahe dieser Zeitpunkt ist. Die Diskontfunktion der hyperbolischen Diskontierung sieht aus wie folgt: f(t ) = (1 + α ⋅ t ) γ – --α mit α, γ > 0 . (II.57) 1) Es sollte sich nach dieser Erkenntnis niemand mehr über einen schlechten Report zu einem eigenen paper ärgern. Die hyperbolische Diskontierung naiver referees ist schuld. Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 79 Um den Effekt unterschiedlicher Diskontraten in Abhängigkeit vom Zeitpunkt darzustellen, wird die Funktion nach der Zeit t differenziert: γ – --- – 1 · α f ( t ) = –γ ⋅ ( 1 + α ⋅ t ) . (II.58) Schliesslich lässt sich der Ausdruck der Gleichung (II.57) einsetzen und nach Umformung erhält man die Veränderungsrate der Diskontierung: · –γ f( t) -------- = ------------------- , 1+α⋅t f( t) (II.59) Wie in Gleichung (II.59) zu sehen ist, fällt die Diskontierungsfunktion mit der Zeit t. Bei der herkömmlichen, exponentiellen Diskontierung spielt es keine Rolle, in welchem Zeitpunkt man sich augenblicklich befindet. Die Veränderungsrate t einer exponentiellen Diskontfunktion f ( t ) = δ ist gegeben durch: · 1 f( t) -------- = ln --- . δ f( t) (II.60) Die Diskontierung ist somit über die Zeit konstant. Die Modellierung der hyperbolischen Diskontierung erfolgt in einem grossen Teil der Literatur über die etwas einfacher zu handhabende sog. quasi-hyperbolische Diskontierung [vgl. u.a. Laibson (1996, 1997 und 1998) oder O’Donoghue/ Rabin (1996)]. Die quasi-hyperbolische Diskontierung wird wie folgt modelliert: Die Optimierung über T Perioden wird als ein Spiel mit T Teilnehmern dargestellt. Der Nutzen des Spielers t ist gegeben durch: 80 4 Die Rolle der Zeitpräferenzrate U t ( c 0, c 1, ..., c T ) = E t u ( c t ) + β ⋅ T–t ∑i = 1 δ i ⋅ u( ct + i ) (II.61) mit 0 < β ≤ 1 und 0 < δ ≤ 1. Die Variable δ repräsentiert die klassische Diskontrate. Die Variable β repräsentiert die „kurzfristige Ungeduld“ (short-term impatience) [vgl. O’Donoghue und Rabin (1996)]. Ist β = 1, so erfolgt die Diskontierung auf die klassische, exponentielle Weise. Ist β < 1, so erhält die Periode t relativ mehr Gewicht in Periode t als in jeder Periode zuvor. In Abbildung II.10 sind Beispiele der exponentiellen und der quasi-hyperbolischen Diskontierung zum Vergleich eingezeichnet. Abbildung II.10 Exponentielle und quasi-hyperbolische Diskontierung 1.20 Diskontrate 1.00 0.80 0.60 Quasi-hyperbolische Diskontierung 0.40 0.20 Exponentielle Diskontierung 48 45 42 39 36 33 30 27 24 21 18 15 12 9 6 3 0 - Perioden Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 81 Die T Spieler stellen ein und dieselbe Person dar aber zu verschiedenen Zeitpunkten. Es sind T verschiedene „Ichs“. Das erste „Ich“ ist eine Art StackelbergFührer, es optimiert seinen Nutzen über den gesamten Zeitraum gemäss der Formel in Gleichung (II.61). Das zweite „Ich“ ist ein Stackelberg-Führer zweiten Grades, die Entscheidung des ersten „Ichs“ bildet für ihn eine Restriktion. Unter dieser Restriktion erfolgt die Optimierung wieder gemäss Gleichung (II.61). Das Spiel geht so weiter bis zum letzten „Ich“. Dieses hat keine grosse Wahl mehr und muss die Handlungen aller T - 1 Spieler vor ihm als Restriktion nehmen. Aufgrund der Tatsache, dass ein Individuum mit hyperbolischer Diskontierung zum Zeitpunkt T seine Aktionen der vorangegangen Perioden bereuen kann, obwohl sich an den sonstigen Gegebenheiten nichts geändert hat und auch keine neuen Informationen vorliegen, hat Deaton (1994) dieses Verhalten als nicht nur zeitinkonsistent, sondern auch als irrational bezeichnet. Auch Strotz (1955) zeigt, dass zeitkonsistentes Verhalten nur möglich ist, wenn die Diskontrate die herkömmliche Form annimmt. In der Tat stimmt die Modellierung des Optimierungsverhaltens einer Person mit Hilfe einer Abfolge von Spielen nicht mit den klassischen Annahmen rationalen Verhaltens überein. Die Interpretation dieses allerdings recht realistischen Verhaltens fällt einfacher, wenn man die Reaktionen als einen Ausdruck sich ändernder Präferenzen bezeichnet. Ein Individuum kann eine vergangene Entscheidung bereuen, wenn sich seine Präferenzen geändert haben und die Möglichkeit dieser Änderung nicht Bestandteil seiner Optimierung war. Es erfolgt strenggenommen also eine Optimierung unter Risiko, in diesem Fall dem Risiko sich ändernder Präferenzen. Wie wirkt nun die quasi-hyperbolische Diskontierung auf das Sparverhalten? Zur Erläuterung simuliere ich zwei Individuen, die in Periode t = 0 über die kommenden 50 Perioden ihren Nutzen maximieren. Ihre Nutzenfunktionen weisen eine logarithmische und intertemporal additive Form auf: ν = 50 50 ∑t = 0 Ut = ∑t = 0 ln ct . (II.62) 82 4 Die Rolle der Zeitpräferenzrate Die simulierten Individuen verdienen in jeder der 50 Perioden 10 Geldeinheiten. Der Preis einer Konsumeinheit ist 1, der Marktzins ist gleich Null. Ein Individuum weist eine “normale”, exponentielle Zeitpräferenz mit einer Diskontrate δ = 0.97 auf. Das andere Individuum hat eine quasi-hyperbolische Zeitpräferenz, mit einem β = 0.6 und einem δ = 0.99 [vgl. Gleichung (II.61)]. Das Individuum mit den “normalen” Präferenzen startet in der Anfangsperiode mit einem Konsum mehr als doppelt so hoch wie das Periodeneinkommen (vgl. Abbildung II.11). Die Verschuldung steigt stetig an bis zur 21. Periode wo sie das 9.5fache des Periodeneinkommens beträgt. Danach baut die Person ihre Verschuldung ab. In der letzten Periode tätigt sie Konsum in Höhe von 4.2. Das Individuum mit der quasi-hyperbolischen Diskontierung stellt in Periode Null den Plan auf, in der ersten Periode etwas mehr als die andere Person zu konsumieren, sich also ebenfalls zu verschulden. Schon für die zweite Periode ist allerdings geplant den Konsum stark zu reduzieren. Die Verschuldung soll ihren Höhepunkt in der 22. Periode mit 33.6 erreichen, also deutlich weniger als der andere Haushalt. Der Konsum in der letzten Periode beträgt laut Plan 7.6. Tatsächlich startet das Individuum mit der quasi-hyperbolischen Diskontierung wie geplant, aber in der zweiten Periode findet nicht die vorgesehene Reduzierung des Konsums statt. Es wird nur marginal weniger konsumiert als in der ersten Periode. Da sich dieses Verhalten fortsetzt, erreicht das Individuum sein Schuldenmaximum in der 23. Periode mit 125.5 statt 33.6 Einheiten. Die Budgetrestriktion zwingt das Individuum jetzt den Konsum in einem immer stärkeren Masse zu reduzieren, der dann in der letzten Periode nur noch 1 beträgt. Das Rechenbeispiel hat deutlich gezeigt, dass ein Individuum mit hyperbolischer Diskontierung unter den gemachten Annahmen sich weitaus stärker verschuldet als es eigentlich geplant hatte. Die Einführung von Risiko und Risikoaversion würde das Ausmass der Verschuldung sicherlich senken, aber das Ergebnis, dass die Ersparnis geringer ausfällt, bleibt erhalten. Der Vergleich mit einer Person die exponentiell diskontiert, kann nur bedingt durchgeführt werden, da es sich um eine andere Art der Diskontierung handelt. Dasselbe Ergebnis wie Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 83 Abbildung II.11 Konsum- und Sparpfade bei unterschiedlicher Diskontierung Konsumpfade bei unterschiedlicher Diskontierung 25.00 Konsum 20.00 15.00 Exponentielle Diskontierung 10.00 Hyperbolische Diskontierung - Plan 5.00 Quasi-hyperbolische Diskontierung - Ist 50 48 46 44 42 40 38 36 34 32 Perioden 30 28 26 24 22 20 18 16 14 12 8 10 6 4 2 0 - Sparpfade bei unterschiedlicher Diskontierung Ersparnis 50 48 46 44 42 40 38 36 34 32 30 28 26 24 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 22 Perioden - 20 20.00 -20.00 -40.00 Quasi-hyperbolische Diskontierung - Plan -60.00 Exponentielle Diskontierung -80.00 -100.00 -120.00 Hyperbolische Diskontierung - Ist -140.00 84 4 Die Rolle der Zeitpräferenzrate es das Individuum mit hyperbolischer Diskontierung aufweist ergibt sich, wenn der ersten Person eine höhere Zeitpräferenzrate zugewiesen wird. Das Interessante ist aber die Abweichung vom Plan. Das Individuum nimmt sich vor relativ wenig Schulden aufzunehmen und steht dann in der 23. Periode vor einem grossen Schuldenberg, welcher es dazu zwingt den Konsum in der letzten Periode bis auf eine Einheit zu reduzieren. Dieses Ergebnis mag erklären, warum manche Menschen geradewegs tief in die Verschuldung laufen und sich somit für zukünftige Perioden immer schärfere Restriktionen auferlegen. Laibson (1998) weist darauf hin, dass US-Haushalte am unteren Quartil der Wohlstandsskala im Augenblick des Übergangs in die Rente eine Reduktion ihres Konsums um 30% hinnehmen (müssen?). Laibson erklärt dies unter anderem mit der hyperbolischen Diskontierung. Führt nun diese Planabweichung an sich zu einer erhöhten Wahrscheinlichkeit der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung? Diese Frage muss wohl mit „Nein“ beantwortet werden. Die Höhe der Diskontrate des Individuums mit exponentieller Diskontierung lässt sich so kalibrieren, dass es dasselbe Ausmass an Verschuldung erreicht. Wenn nicht zusätzlich angenommen wird, dass mit geplanter Verschuldung automatisch mehr Informationen über Einkommensschocks vorhanden sind als bei ungeplanter Verschuldung, ist die Überschuldungswahrscheinlichkeit in beiden Fällen gleich. Resultat II.9 Prinzipiell hat die hyperbolische Diskontierung dasselbe Ergebnis wie eine starke exponentielle Diskontierung. Der Unterschied ist, dass eigentlich alles anders geplant war und nur aufgrund des zeitinkonsistenten Verhaltens die Verschuldung ein höheres Ausmass angenommen hat. Die Planabweichung an sich führt aber nicht zu einer höheren Wahrscheinlichkeit der Überschuldung. Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 85 5 Interdependente Präferenzen als Ursache der Überschuldung Nicht wenige Menschen verschulden sich, weil sie trotz relativ geringen Einkommens versuchen über den Kauf von sog. Statusgütern nach aussen einen wohlhabenden Eindruck zu vermitteln. Das Phänomen der Jagd nach Status und sein Einfluss auf das Sparverhalten steht im Mittelpunkt des folgenden Abschnitts. Ein weiterer interessanter Fall sind die sog. zeitinterdependeten Präferenzen, deren Einfluss auf das Sparverhalten in Abschnitt 5.2 untersucht wird. 5.1 Personell interdependente Präferenzen -- Die Jagd nach Status 5.1.1 Happiness vs. Präferenzordnung In dem Buch „Choosing the right pond“ des amerikanischen Ökonomen Robert Frank findet sich das folgende Gedankenexperiment: Stellen Sie sich vor, Sie wären in der folgenden Situation: Sie sind ein(e) gut verdienender BürgerIn der Schweiz und erhalten das Angebot auf einen sehr reichen Planeten zu reisen. Die Reise ist umsonst, die Möglichkeit zur Rückkehr besteht jedoch nicht. Ihre Situation auf der Erde kann als sehr gut bezeichnet werden Sie verdienen Fr. 300'000 pro Jahr und leben in einem grossen und gut eingerichtetem Haus in einem ruhigen und eleganten Wohnviertel. Ihre Kinder gehen auf die besten Schulen und sind bei ihren Freunden und Freundinnen sehr beliebt. Sie sind eine Person die in ihrem Beruf als hochqualifizierte(r) ExperteIn angesehen wird und die in bester gesundheitlicher Verfassung ist. Sie haben eine grosse Anzahl von FreundenInnen, bei denen sie als eine der charmantesten und cleversten Personen bekannt sind. Auf dem neuen Planeten wäre ihr Einkommen Fr. 3'000'000 pro Jahr. Aber anstatt innerhalb des Topsegmentes der Einkommensskala, befinden sie sich nun eher am unteren Ende. Das Haus, welches sie sich dort leisten könnten wäre grösser und schöner eingerichtet als ihr altes. Das Wohnviertel gehört 86 5 Interdependente Präferenzen als Ursache der Überschuldung jedoch zu der Sorte, vor dem Eltern ihre Kinder warnen, dort bloss nicht hinzugehen. Sie würden demselben Beruf wie auf der Erde nachgehen. Die Bewohner des neuen Planeten sind allerdings so hoch qualifiziert, dass ihre eigene Ausbildung als schlecht angesehen würde. Die Schule, auf die sie ihre Kinder schicken könnten, ist besser ausgerüstet als ihre alte. Im Vergleich mit anderen Schulen des Planeten ist sie allerdings minderwertig. Ihre Kinder könnten ein grösseres Wissen als auf der Erde ansammeln. Anstatt aber wie auf der Erde zu den Klassenbesten zu zählen, hätten sie sehr hart mit den Anforderungen zu kämpfen. Die KlassenkameradenInnen ihrer Kinder werden von ihren Eltern aufgefordert sich doch andere Spielkameraden zu suchen. Sie würden dieselben Geschichten und Witze wie auf der Erde erzählen, aber anstatt als clever und charmant zu gelten, hält man sie für langweilig und einfach. Würden sie gehen? Quelle: Frank (1985, 116f). Übersetzung und Anpassung an die Schweiz und die heutige Zeit vom Autor. Die meisten würden wohl auf diese Frage mit „Nein“ antworten. Abgesehen davon, dass es wohl noch viele andere Gründe gibt nicht mit auf diesen Planeten zu gehen, zeigt diese kleine Geschichte doch recht anschaulich, wie sehr der Nutzen aus Konsum auch von den äusseren Umständen und dem Konsum der Mitmenschen abhängt. Wenn mehr Konsum strikt mehr Nutzen bedeutet, müssten dann nicht die Menschen in der Schweiz und in den anderen hochindustrialisierten Ländern im Durchschnitt um ein vielfaches glücklicher sein, als die Menschen in den sog. “unterentwickelten” Ländern? Ferner müssten sie auch glücklicher sein als ihre Vorfahren, die von dem heute durchschnittlichen Konsumniveau weit entfernt waren. Dieses dürfte wohl nicht der Fall sein. Bei Easterlin (1973) sind Ergebnisse aus einer Studie abgedruckt, in der die Rate der Zufriedenheit (Happiness) mit dem Pro-Kopf-Einkommen in Verbindung gebracht wurde (vgl. Abbildung II.12). Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 87 Abbildung II.12 Durchschnittliche Zufriedenheitsrate und Pro-Kopf BSP Zufriedenheitsrate 7 USA Kuba 6 Ägypten Japan Nigeria Philippinen Panama Jugoslawien Brasilien Polen 4 Indien 5 Israel BRD 3 2 1 100 150 200 300 400 500 600 800 1000 1500 2000 3000 Reales BSP Pro-Kopf (US$) Quelle: Easterlin (1973), S. 106, aus: Frank (1985), S. 31. Auch wenn diese Studie, vor allem in bezug auf die Einkommensdaten, sehr veraltet ist, dürfte sich am Ergebnis nicht viel geändert haben. Selbst in Ländern die ein sehr niedriges Pro-Kopf-Einkommen ausweisen, scheinen die Menschen im Durchschnitt nicht unzufriedener zu sein als in den reichen Ländern. Auf Länder, in denen die Armut existenzbedrohend ist oder die von Krieg heimgesucht werden, trifft dies natürlich nicht zu. Geschulte Ökonomen werden jetzt einwenden, dass interpersonelle oder intertemporäre Nutzenvergleiche nicht möglich sind. Nutzen misst nicht so sehr die Rate der Zufriedenheit, sondern ist schlicht ein Ausdruck der Präferenzen. Wenn der Konsum eines Güterbündels x mehr Nutzen als der Konsum eines Güterbündels y bringt, so wird das Bündel x dem Bündel y vorgezogen. Über das Ausmass des Nutzens wird nichts ausgesagt. Im wesentlichen geht diese verhaltensgestützte Nutzenkonzeption, die ordinale Nutzenfunktion, auf Edgeworth (1881) und Fisher (1892) zurück. Kahneman et al. (1997) bezeichnen letzteres Nutzen- 88 5 Interdependente Präferenzen als Ursache der Überschuldung konzept mit „decision utility“ und das Konzept des gefühlten, erlebten Nutzens mit „experienced utility“. Das Konzept des Entscheidungsnutzen (decision utility) hat sich gegenüber dem Konzept des erfahrenen oder gefühlten Nutzens (experienced utility) durchgesetzt. In mehr oder weniger allen Lehrbüchern der Ökonomie wird das Konzept des Entscheidungsnutzens gelehrt.1 Ökonomen früherer Zeiten dagegen haben sich noch mit experienced utility beschäftigt.2 Der Grund für den „Sieg“ des Verhaltenskonzeptes ist darin zu suchen, dass es sich auf beobachtbare Grössen konzentriert wie Preise und das Verhalten der Konsumenten. Es wird betont, dass sich subjektive, hedonistische Erfahrung nicht messen liesse und man sich daher auf die beobachtbaren Grössen Preise und Konsumentenverhalten stützen müsse.3 Daraus resultierte die Theorie der geoffenbarten Präferenzen (revealed preferences). Für einen grossen Teil der ökonomischen Fragen ist dieses Konzept ausreichend. Bei der Suche nach den Gründen für Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung könnte aber das Prinzip der interdependenten Präferenzen durchaus eine wichtige Rolle spielen. 5.1.2 Der Einfluss von Statuspräferenzen auf das Verhalten 5.1.2.1Das rat-race Wie wird das Verhalten der Individuen durch die Existenz von Statuspräferenz beeinflusst? Die Individuen ziehen Nutzen aus dem Konsum einfacher Güter und aus Status. Der Status wird dabei durch den Konsum sog. Statusgüter (z.B. Luxusauto, Fernreisen, grosses Haus) erreicht. Entscheidend ist dabei jedoch nicht die absolute Höhe des Konsums, sondern das Ausmass des eigenen Konsums in Relation zum durchschnittlichen Konsum der Mitmenschen. Der Konsum von Statusgütern verbessert auf der einen Seite die eigene Situation und auf der anderen Seite verschlechtert er die Situation der anderen Es werden also externe Effekte produziert.4 Wenn ein Individuum mehr Statusgüter kauft, um seinen Status zu erhöhen, werden alle andere Individuen ihm dieses nachtun, um 1) Vgl. Samuelson/Nordhaus (1989), Varian (1985) oder Henderson/Quandt (1983). 2) Vgl. Bentham (1781), Veblen (1899) und Duesenberry (1949). 3) In ihrem Artikel „Back to Bentham? Explorations of Experienced Utility“ wiedersprechen Kahneman et al. (1997) dieser Sichtweise deutlich. Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 89 ihren gesunkenen Status wiederherzustellen. Dieses Verhalten wird auch häufig mit „Keeping up with the Jones“ bezeichnet. Das Ergebnis ist, dass sich auf diese Weise niemand verbessern kann; es ist ein Nullsummenspiel. In der nächsten Periode geht das Spiel wieder von vorne los. Dieses sog. rat-race hält solange an, bis ein Gleichgewicht erreicht ist. Ich will dieses Statuswettrüsten beispielhaft als ein Spiel mit zwei Teilnehmern darstellen, den Individuen Jones und Smith. Es wird angenommen, dass eine Einheit mehr Status fünf Nutzeneinheiten stiftet und eine Einheit Konsum normaler Güter zwei Nutzeneinheiten. Ferner wird angenommen, die Beschaffung einer Einheit Status (mittels dem Kauf von Statusgütern) koste jedes Individuum eine Einheit eines normalen Gutes. Für den Start des rat-race ergibt sich damit folgendes Bild: Jones Kauf Kein Kauf Kauf -2 / - 2 +3/-3 Kein Kauf -3/+3 +2/+2 Smith Erwartet Smith, dass Jones keine Statusgüter kauft, so ist die optimale Strategie selbst welche zu kaufen. Er kann dadurch seine Position verbessern und einen Nutzengewinn von 3 erhalten, gegenüber einem Gewinn von 2, wenn beide keine Statusgüter kaufen. Erwartet er, dass Jones Statusgüter kauft, so muss er selbst auch kaufen, da er sonst eine Nutzeneinbusse von 3 hat. In jedem Fall ist die optimale Strategie für beide Parteien Statusgüter zu kaufen. Das Spiel endet somit im linken, oberen Quadranten. Keine der beiden Parteien konnte ihre Statusposition verbessern. Aber beide Parteien haben auf Konsum normaler Güter verzichten müssen. In Abbildung II.13 werden wiederum die beiden Individuen Smith und Jones betrachtet. Im Ausgangspunkt konsumieren beide normale Güter im Umfang c0 4) Diese externen Effekte sind es, die manche Ökonomen zur Überzeugung gebracht haben, diese Güter zu besteuern [vgl. Konrad (1990) oder Rauscher (1993)]. 90 5 Interdependente Präferenzen als Ursache der Überschuldung Abbildung II.13 Fortsetzung des rat-race durch eine Einkommenssteigerung bei Jones c Smith c2 c0 U0 c4 U2 U4 c Jones z1 z3 z4 z0 z2 c1 c3 c0 U0 z0 z2 z3 z1 U1 U3 Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 91 sowie Statusgüter, deren einziger Nutzen in der Erzeugung von Status liegt. Der Status zu Beginn wird durch z0 beschrieben. (1) Im ersten Schritt erfährt das Individuum Jones eine Einkommenserhöhung, seine Budgetgerade verschiebt sich parallel nach aussen. Aufgrund des höheren Einkommens fragt Jones nicht nur mehr Konsum, sondern auch mehr Status nach und kauft zu diesem Zweck mehr Statusgüter. Sein neuer, optimaler Konsum liegt bei c1 (Konsum) und z1 (Status). Sein Nutzen erhöht sich von U0 auf U1. Dadurch, dass Jones sich mehr Statusgüter gekauft hat, verschlechtert sich der Status von Smith um exakt das Ausmass, wie sich Jones Status verbessert hat. Smith‘s Budgetgerade dreht sich nach innen, Status wird für ihn teurer. Bei der bestehenden Aufteilung zwischen Konsum und Statusgütern wäre Smith Status auf z1 gesunken. (2) Um mit Jones mithalten zu können (Keeping up with the Jones), kauft Smith ebenfalls mehr Statusgüter, obwohl sich sein Einkommen nicht verändert hat. Sein neuer Konsumpunkt liegt bei c2 bzw. z2 und sein Nutzen bei U2. Dadurch, dass nun auch Smith seinen Konsum an Statusgütern erhöht hat verschlechtert sich Jones Status wieder ein wenig auf z2. (3) Jones Reaktion ist eine erneute Steigerung seinen Konsums an Statusgütern zu Lasten der normalen Güter. Sein neuer Konsumpunkt ist c3 und z3 mit dem Nutzen U3. (4) Dies wiederum führt zu einem neuen Zug bei Smith, dessen Budgetgerade sich durch Jones Konsum an Statusgütern erneut nach innen gedreht hat (z3). Smith neues Optimum liegt bei z4 und c4 mit dem Nutzen U4. Das geht nun so lange weiter, bis ein neues Gleichgewicht erreicht ist. Letztendlich haben beide ihren Konsum an normalen Gütern verringert und befinden sich auf einer niedrigeren Indifferenzkurve, als ohne das rat-race. Wenn man sich von der vereinfachten Analyse des 2-Parteien Modells löst und eine Gesellschaft mit vielen Marktteilnehmern anschaut, so ergibt sich folgendes Bild: In jeder Periode erfahren einzelne Individuen Schocks, wie zum Beispiel Einkommenssteigerungen, die zu einer steigenden Nachfrage nach Sta- 92 5 Interdependente Präferenzen als Ursache der Überschuldung tus führen und so ein neues rat-race in Gang setzen. Bei einem solchen ständigen „Rennen“ wirken zwei Effekte. Zum einen besteht ein Anreiz ständig mehr Statusgüter zu konsumieren, da der eigene Status durch den Konsum der anderen ständig negativen Schocks ausgesetzt ist und der Grenznutzen des Status somit sinkt. Auf der anderen Seite steigt der Preis des Status. Um ein gegebenes Statusniveau zu erreichen muss man ständig seinen Konsum an Statusgütern erhöhen, was einer Preissteigerung für Status gleichkommt. Dies führt dazu, dass je nach Verhältnis von Einkommens- und Substitutionseffekt die Nachfrage nach Status sinkt. Das Ergebnis eines Statusrennens innerhalb einer Volkswirtschaft mit vielen Individuen hat Rauscher (1993) per Computer simuliert. Während die Individuen versuchen einander im Konsum zu übertrumpfen, steigt die Nachfrage nach Status anfangs. Ab einem gewissen Punkt steigen die Individuen aus dem Rennen aus, nehmen es jedoch ein paar Perioden später wieder auf. Es ist für dieses Statuswettrüsten auch nicht von Bedeutung, ob wir es mit naiven Individuen, welche die Reaktionen der Mitbürger nicht antizipieren, oder mit cleveren Individuen zu tun haben. Auch ein Individuum das weiss, dass seine Mitmenschen ihren Konsum an Statusgütern erhöhen, sobald es selbst dieses durchführt, wird sich dem Rennen nicht entziehen können, solange es Präferenzen für Status hat. Es ist das Phänomen das fast ein jeder kennt: „Man muss halt mitmachen, wenn man dazugehören will.“ Resultat II.10 Der Wettlauf um Status, das sog. rat-race, hat einen Überkonsum an Statusgütern zur Folge. Alle Marktteilnehmer könnten ohne das Statuswettrüsten ein höheres Nutzenniveau erreichen. Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 93 5.1.2.2Ersparnis und Statuspräferenzen Wie wirkt nun die Existenz von Statuspräferenzen auf das Sparverhalten? Ich nehme zuerst ein naives Individuum an, ein Individuum welches das Verhalten der anderen Marktteilnehmer nicht antizipiert. Ferner wird Status wie ein normales Gut behandelt. Ex ante wird das Individuum bei stabilem und sicherem Zukunftseinkommen sowie bei Vernachlässigung von Zins und Zeitpräferenzrate seinen Konsum an normalen sowie Statusgütern für jede Periode gleichsetzen. Die intratemporale Optimierung erfolgt gemäss dem Preis- und Grenznutzenverhältnis von Güter- zu Statuskonsum. Durch das rat-race sinkt allerdings nun der Status durch den Statuskonsum der anderen Individuen. Um dies auszugleichen, muss der eigene Konsum an Statusgütern erhöht werden. Dies geschieht aber durch eine Umschichtung im intratemporalen Budget, also zwischen Konsum normaler Güter und Konsum von Statusgütern. Ersparnis oder Verschuldung bringen keinen Nutzengwinn. Das Mehr an Status welches durch Verschuldung möglich wäre, würde durch ein Weniger an Status in Zukunft bezahlt. Eine solche Umschichtung ist bei Gleichheit von Zeitpräferenzrate und Zinssatz nicht nutzensteigernd. Der Konsum von Status führt, isoliert von sonstigen Einflüssen, nicht zu einem veränderten Sparverhalten. Reagiert ein cleveres Individuum, eine Person also welche die Reaktion der anderen voraussieht, genauso?1 Prinzipiell sollte auch eine solche Person nicht anders reagieren. Jede aufgenommene Schuld muss später bezahlt werden. Allerdings könnte ein cleveres Individuum den Versuch machen, die anderen mittels einer Art ruinösem Wettbewerb vorzeitig aus dem Rennen zu werfen, indem gleich zu Beginn sehr hohe kreditfinanzierte Ausgaben für Statusgüter getätigt werden, in der Hoffnung, die anderen würden dann vorzeitig das Rennen beenden. Sehr realistisch erscheint dieses Verhalten jedoch nicht. Damit gilt auch für ein cleveres Individuum, dass Statuskonsum das Sparverhalten nicht ändert. Die Existenz von Statuspräferenzen an sich, führt also nicht zu einem anderen Sparverhalten.2 Allerdings wecken Statuspräferenzen die Nachfrage nach Status1) Zugegeben, eine wirklich clevere Person verzichtet auf dieses sinnlose Rennen. Ich sollte vielleicht besser von cleveren Naivlingen sprechen. 94 5 Interdependente Präferenzen als Ursache der Überschuldung gütern, die häufig langlebige Konsumgüter sind. Welche Folgen der Konsum langlebiger Konsumgüter auf das Sparverhalten und die Überschuldungswahrscheinlichkeit hat, wird in Abschnitt 6 dieses Teils untersucht werden. Resultat II.11 Die These, dass die Jagd nach Status, isoliert von sonstigen Einflüssen, die Überschuldungswahrscheinlichkeit erhöht, kann nicht bestätigt werden. Die Jagd nach Status hat keinen Effekt auf das Sparverhalten, weckt aber die Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern. 5.2 Zeit-interdependente Präferenzen als Ursache der Überschuldung Im vorherigen Modell verglichen die Individuen ihr eigenes Konsumniveau mit dem Konsumniveau anderer Menschen. Ein anderes Modell interdependenter Präferenzen geht davon aus, dass die Individuen als Referenzpunkt ihren eigenen, vergangenen Konsum nehmen. Modelle dieser Art wurden unter den Stichwörtern „loss aversion“ oder „endowment effect“ von Ökonomen wie Kahneman und Tversky (1979), Tversky und Kahneman (1991) oder Bowman et al. (1993) vertreten. Die entscheidende Aussage dieser Theorien ist, dass Individuen sich bezüglich ihres Konsums an einem Referenzpunkt orientieren und negative Abweichungen von diesem Punkt stärker bewerten als positive. Die Annahme einer intertemporal additiven Nutzenfunktion (vgl. Abschnitt 2.1) wird somit aufgehoben. Das Phänomen, dass Objekte welche sich bereits im Besitz eines Individuums befinden höher bewertet werden, als wenn dasselbe Objekt zu kaufen ist, wird von Kahneman et al. (1991) anhand verschiedenster Experimente gezeigt. Zahlungsbereitschaft und Akzeptanzbereitschaft fallen auseinander. Dieser Effekt wird häufig als der Besitzeffekt (endowment effect) bezeichnet. Auf diesem 2) Vgl. hierzu auch Grossmann (1998). Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 95 Besitzeffekt baut letztendlich die Idee der Verlustaversion (loss aversion) auf. Ein Referenzniveau, z.B. an Konsum, repräsentiert die Ausstattung. Eine Reduzierung des Konsums, also eine Aufgabe eines Teils der Ausstattung, wird stärker bewertet als ein Gewinn. Kahnemann (1979) nimmt nun an, dass kleine, negative Abweichungen vom Referenzpunkt stärker bewertet werden (= höherer Nutzenverlust), als wenn derselbe Betrag „gewonnen“ würde. Je grösser die Verluste, desto geringer aber der zusätzliche Nutzenverlust. In Abbildung II.14 ist eine Wertefunktion für Verlustaversion schematisch abgebildet. Das Individuum präsentiert sich somit risikoavers bezüglich Gewinnen aber risikofreudig hinsichtlich Verlusten [vgl. Bowman et al. (1993)]. Abbildung II.14 Eine typische Wertefunktion für Verlustaversion Wert Verluste Gewinne Bowman et al. (1993) zeigen anhand eines Zwei-Perioden Modells, dass Individuen bei einem erwarteten zukünftigem Einkommensrückgang unter genügend hoher Unsicherheit ihren aktuellen Konsum nicht verringern. Dieses Ergebnis steht in krassem Gegensatz zu den Ergebnissen der Vorsichtsersparnis (vgl. Abschnitt 3.1.3). Der Erwartungswert des Zukunftseinkommens liegt zwar unter dem aktuellen Wert, aber aufgrund der hohen Varianz hofft das Individuum auf einen positiven Ausschlag und verzichtet auf eine Konsumreduktion. Der Grund hierfür ist der Besitzeffekt, der das Individuum dazu bringt bezüglich eines erwarteten Verlustes risikofreudig zu reagieren. 96 5 Interdependente Präferenzen als Ursache der Überschuldung Die Folge für das Sparen ist in diesem Fall eindeutig. Trotz eines erwarteten Einkommensrückganges wird der Konsum nicht reduziert. Es wird keine Ersparnis für die zukünftige, erwartet schlechtere Periode vorgenommen. Das heisst, dass die Überschuldungswahrscheinlichkeit steigt. Bowman et al. haben nur mit einem Zwei-Perioden Modell gearbeitet und konnten somit den Referenzkonsum exogen vorgeben. In einem Multi-Perioden Modell bildet sich der Referenzkonsum endogen. Als Reaktion auf einen exogenen Einkommensschock passt sich der Referenzpunkt mit einer gewissen Verzögerung an. Wenn man es also mit einer längerfristigen Einkommensreduktion zu tun hat, z.B. durch längere Arbeitslosigkeit, so wird das Individuum seinen Konsum schrittweise dem neuen Einkommen anpassen. Während der Anpassungsphase ist die Überschuldungswahrscheinlichkeit dann dementsprechend höher. Resultat II.12 Die sog. Verlustaversion führt dazu, dass Individuen ihren Konsum unter Umständen nur langsam einem neuen Einkommensniveau anpassen. Die Ersparnis ist während dieser Anpassungsphase geringer als vorher und die Überschuldungswahrscheinlichkeit steigt somit. Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 97 6 Der Konsum langlebiger Konsumgüter als Verschuldungsgrund Eine nicht seltene Schuldnerkarriere, vor allem bei jüngeren Menschen, sieht aus wie folgt: Junger Mann in Ausbildung kauft schnelles Auto auf Kredit dazu teure Kleidung [unter anderem um seinen Status zu erhöhen (vgl. Abschnitt 5.1 dieses Teils)]. Der Schuldendienst beginnt empfindlich auf das monatliche Budget zu drücken. Statt die Schuld zu tilgen, wird der Kredit weiter aufgestockt. Schliesslich bedarf es nur eines geringen Anlass (z.B. eine Reparatur des Autos) und das Budget wird endgültig gesprengt. Der junge Mann kann den Schuldendienst nicht mehr leisten, worauf die Kredite von der Bank gekündigt werden. Was folgt ist die Zahlungsunfähigkeit und schliesslich die Betreibung. Ereignisse dieser Art nähren die Vermutung, dass langlebige Konsumgüter, wie zum Beispiel Autos, einen Einfluss auf die Überschuldungswahrscheinlichkeit haben. Im folgenden Abschnitt will ich versuchen den Einfluss des Konsums langlebiger Konsumgüter auf das Sparen und die Überschuldungswahrscheinlichkeit zu verdeutlichen. Der erste Abschnitt ist einer kurzen Darstellung der Theorie der langlebigen Konsumgüter gewidmet.Im zweiten Abschnitt wird dann untersucht, wie der Konsum langlebiger Güter das Sparverhalten und damit die Überschuldungswahrscheinlichkeit beeinflusst. 6.1 Die Theorie langlebiger Konsumgüter Die Theorie der langlebigen Konsumgüter behandelt Konsumgüter die über mehr als eine Periode ihrem Besitzer Nutzen stiften. Eine ausführlichere Darstellung dieser Theorie geben D eaton und M uellbauer (1980) [Kapitel 13]. Güter wie Nahrungsmittel, Kino- oder Theaterbesuche, Urlaubsreisen und dgl. werden im wahrsten Sinne des Wortes „verkonsumiert“. Durch den Konsum verschwindet das Gut. Im Gegensatz dazu ist der Konsum eines langlebigen Gutes über mehrere Perioden hinweg möglich. Güter dieser Art sind Fernseher, Autos, Möbel usw. Diese Güter unterliegen allenfalls einer physischen Abschreibung über die Nutzungsdauer hinweg. 98 6 Der Konsum langlebiger Konsumgüter als Verschuldungsgrund Als theoretischer Hintergrund wird ein Zwei-Perioden Modell gewählt. Ein Individuum erziele Nutzen aus dem Konsum eines langlebigen und eines normalen Gutes. Seine Nutzenfunktion ist gegeben durch U = U ( c 1, c 2, d 1 ;d 0 ) . (II.63) c 1 und c 2 stellen die konsumierten Gütermengen des normalen Gutes in der ersten bzw. zweiten Periode dar. d 0 ist der Bestand an langlebigen Konsumgütern welche in einer vorangegangenen Periode 0 erworben wurden. Die Höhe dieser Variable ist jedoch nicht mehr Bestandteil der Optimierung für die Perioden 1 und 2, sie ist exogen. d 1 schliesslich ist der Bestand an langlebigen Konsumgütern am Ende der Periode 1. Es wird angenommen, der Bestand an langlebigen Konsumgütern d unterliege einer konstanten Abschreibung in Höhe von κ . Dass heisst, der Bestand langlebiger Konsumgüter in einer Periode ist dt = qt + ( 1 – κ ) ⋅ dt – 1 . (II.64) Die Variable q t steht für die Neu- oder Ersatzanschaffung langlebiger Konsumgüter in Periode t. Die Budgetbeschränkungen für beide Perioden lauten: p 1 ⋅ c 1 + h 1 ⋅ q 1 = y 1 + v 0 ⋅ ( 1 + r 1 ) – v 1 und p2 ⋅ c 2 + h2 ⋅ q2 = y2 + v1 ⋅ ( 1 + r2 ) – v2 , (II.65) wobei die Variablen h 1 und h 2 die Preise der langlebigen Konsumgüter und die Variablen v0 bzw. v1 das Vermögen darstellen. Analog zum Grundmodell der intertemporalen Optimierung (vgl. Abschnitt 2.1) wird auch in diesem Modell angenommen, dass der Bestand an Vermögen und langlebigen Konsumgütern am Ende der zweiten Periode gleich Null ist. Ein Vererbungsmotiv ist also ausgeschlossen. Durch Auflösen der Gleichung (II.64) nach q t und Einsetzen in die Budgetbeschränkungen (II.65), erhält man eine neue Budgetbeschränkung: Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung p2 (1 – κ) p 1 ⋅ c 1 + -------------- ⋅ c 2 + h 1 – h 2 ⋅ ----------------- ⋅ d 1 1 + r2 1 + r 2 99 (II.66) y2 = y 1 + -------------- + v 0 ⋅ ( 1 + r 1 ) + h 1 ⋅ ( 1 – κ ) ⋅ d 0 . 1+r 2 Diese Budgetbeschränkung unterscheidet sich von der eines „normalen“ Zweiperioden-Modells (vgl. Abschnitt 2.1.1) durch die beiden Terme [ h 1 – h 2 ⋅ ( 1 – κ ) ⁄ ( 1 + r 2 ) ] ⋅ d 1 und h 1 ⋅ ( 1 – κ ) ⋅ d 0 . Wie ist nun der Ausdruck in der eckigen Klammer auf der linken Seite der Gleichung (II.66) zu interpretieren? h 2 ⋅ ( 1 – κ ) ⁄ ( 1 + r 2 ) ist der Barwert einer Einheit des langlebigen Konsumgutes in der zweiten Periode. Ist der Barwert kleiner als h 1 , dem Preis des Gutes in der ersten Periode, so liegt eine Wertminderung im Zeitablauf vor, was wohl für die meisten langlebigen Konsumgüter zutrifft. Vor allem bei technischen Geräten ist die Abschreibungsrate recht gross. Ist der Barwert grösser als h 1 , so liegt eine Wertsteigerung im Zeitablauf vor. Dies ist der Fall bei Gütern deren Abschreibungsrate sehr klein ist oder die, wie zum Beispiel Antiquitäten, grossen Preissteigerungen unterliegen. Der Ausdruck in der eckigen Klammer stellt somit die Nutzungskosten eines langlebigen Konsumgutes dar. Der Ausdruck auf der rechten Seite der Gleichung (II.66) ist der um die Abschreibung reduzierte Bestand an langlebigen Konsumgütern am Anfang der ersten Periode. Dieser Bestand liesse sich verkaufen und somit in Konsum nichtlanglebiger Konsumgüter transformieren. Langlebige Konsumgüter sind nichtliquides Vermögen, das im Unterschied zum Geldvermögen durch Konsum Nutzen stiften.1 6.2 Die Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern und das Sparverhalten Wie beeinflusst nun die Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern das Sparverhalten der Individuen? Ich werde zur Analyse das in Abschnitt 6.1 vorgestellte Modell auf T Perioden erweitern. Um den Effekt der langlebigen Konsumgüter 1) Im allgemeinen wird angenommen, dass Geld an sich keinen Nutzen stiftet, sondern nur einen Faktor zum Kauf nutzenstiftender Konsumgüter darstellt. 100 6 Der Konsum langlebiger Konsumgüter als Verschuldungsgrund auf das Sparen zu isolieren, müssen alle anderen, das Sparverhalten beinflussenden Faktoren, ausgeschlossen gehalten werden. Dementsprechend werden die Preise p und h konstant gehalten. Ferner wird angenommen, Zinssatz r sei gleich 0. Es wird ferner eine Abschreibung der langlebigen Konsumgüter ausgeschlossen, indem auch κ gleich 0 gesetzt wird. Schliesslich sei auch das Einkommen y über die Zeit hinweg konstant. Die Budgetbeschränkung (II.66) lautet somit: T T T ∑t = 1 p ⋅ ct + ∑t = 1 h ⋅ ( dt – dt – 1 ) = ∑t = 1 y + d0 . (II.67) Die Variable d 0 steht für den exogenen Bestand langlebiger Konsumgüter zu Beginn des Optimierungszeitraums. Unter Verallgemeinerung der Nutzenfunktion (II.63) auf U t = U ( c t, d t ; d 0 ) , (II.68) lassen sich die folgenden Bedingungen erster Ordnung für ein Maximum herleiten: ∂U ∂U --------------- = ------- ⇒ c t – 1 = c t ∂c t ∂c t – 1 (II.69) und ∂U ∂U --------------- = ------- ⇒ d t – 1 = d t . ∂d t – 1 ∂d t Das Individuum wünscht in jeder Periode gleich viel zu konsumieren. Dies gilt für die normalen als auch für die langlebigen Konsumgüter. Daraus folgt, dass das Individuum in der ersten Periode das gewünschte Ausmass an langlebigen Konsumgütern kauft und diese dann im Laufe der folgenden Perioden konsumiert. Die Ausgaben in der ersten Periode betragen somit p ⋅ c + h ⋅ d . Die Ausgaben in den folgenden Perioden betragen nur noch p ⋅ c , da ja eine Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 101 Abschreibung der langlebigen Konsumgüter ausgeschlossen wurde. Es ist für den Haushalt notwendig sich in der ersten Periode zu verschulden bzw. die Ersparnis zu verringern um den Grundstock an langlebigen Konsumgütern zu erwerben. Die Verschuldung wird im Laufe der folgenden Perioden abgebaut, da die Ausgaben dann geringer sind. Die Ersparnis ist in den ersten Perioden also geringer bzw. sogar negativ. Steigt dadurch auch die Überschuldungswahrscheinlichkeit? Das Vermögen des Haushalts bleibt gleich, der Kauf eines langlebigen Konsumgutes stellt einen Aktivtausch dar. Liquide Finanzmittel werden in illiquide Vermögensbestandteile verwandelt. Das Individuum wechselt dadurch von Verschuldungsgrad I ( Verbindlichkeiten ≤ Liquides Vermögen ) zu Verschuldungsgrad II ( Liquides Vermögen < Verbindlichkeiten ≤ Gesamtvermögen ) . In Abschnitt 1.3 hatte ich definiert, dass Überschuldung eintritt, wenn das Vermögen negativ wird. Das Vermögen aber hat sich durch den Kauf nicht verändert. Die Überschuldungswahrscheinlichkeit ändert sich nicht durch den Kauf langlebiger Konsumgüter, solange keine Abschreibung vorliegt. Tangiert wird vom Kauf langlebiger Konsumgüter allerdings die Wahrscheinlichkeit der Zahlungsunfähigkeit. Zahlungsunfähigkeit kann eintreten, wenn die langlebigen Konsumgüter nur schwer wieder zu veräussern sind. Vor allem der Wohnung angepasste Möbel wie zum Beispiel eine Einbauküche sind kaum innerhalb kurzer Frist zu verkaufen. Sofern langlebige Konsumgüter als illiquide Vermögensbestandteile mit in das Spiel kommen, bezeichnen die Begriffe Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung nicht mehr denselben Sachverhalt. Durch den Kauf langlebiger Konsumgüter steigt die Wahrscheinlichkeit der Zahlungsunfähigkeit. Es gibt allerdings einen Punkt welcher auch das Vermögen und damit die Überschuldungswahrscheinlichkeit betrifft. Es ist dies die Abschreibungsrate der langlebigen Konsumgüter. Gekauft wird beispielsweise ein Auto zum Preis von Fr. X. Wie oben erläutert sinken die liquiden Finanzmittel um X Franken. Auf der anderen Seite steigt das „Anlagevermögen“. Dieser Anstieg fällt allerdings geringer aus als die X Franken. Gerade beim Beispiel Auto ist eine hohe Abschrei- 102 6 Der Konsum langlebiger Konsumgüter als Verschuldungsgrund bungsrate zu beachten. Schon direkt nach dem Kauf ist es kaum möglich das Auto zum Preis von X Franken wieder zu verkaufen. Mit jedem Kilometer der gefahren wird, sinkt der Wiederverkaufswert. Ausser bei langlebigen Konsumgütern die auch gleichzeitig Anlagecharakter besitzen und in ihrem Wert steigen oder zumindest konstant bleiben, führt der Kauf langlebiger Güter auch zu einer Verringerung des Gesamtvermögens und damit zu einer Steigerung der Überschuldungswahrscheinlichkeit. Das Substitut zum Kauf langlebiger Konsumgüter stellt das Leasing dar. Beim Leasing fallen die einmalig hohen Ausgaben weg, stattdessen wird pro Periode eine festgelegte Leasingrate bezahlt. Die starke Reduktion der Ersparnis in den ersten Perioden wie beim Kauf und die daraus folgende erhöhte Wahrscheinlichkeit der Zahlungsunfähigkeit fallen damit nicht an. Stattdessen erfährt das Individuum in jeder Periode eine erhöhte finanzielle Belastung durch die Leasingraten. Resultat II.13 Die Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern, häufig angeheizt durch die Jagd nach Status, verringert die Ersparnis vor allem in jungen Jahren. Die Überschuldungswahrscheinlichkeit im Sinne der Gefahr eines negativen Vermögens erhöht sich deshalb, weil nur die wenigsten langlebigen Konsumgüter in ihrem Wiederverkaufswert steigen oder mindestens konstant bleiben. Es steigt aber vor allem die Wahrscheinlichkeit der Zahlungsunfähigkeit, da langlebige Konsumgüter eine geringe Liquidität besitzen. Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 103 7 Überschuldung aufgrund „unzureichender Optimierung“ In den vorherigen Kapiteln kamen bereits einige Konzepte zur Sprache, welche über die Modelle der klassischen ökonomischen Lehre hinausgehen (vgl. die Abschnitte 4.2 und 5 in diesem Teil). Die beiden Konzepte der hyperbolischen Diskontierung sowie der interdependenten Präferenzen beschreiben Verhaltensweisen, welche durchaus häufig sind, sich aber in der volkswirtschaftlichen Modellierung nur langsam durchsetzen. Die Rationalität der betrachteten Individuen stand in diesen Modellen allerdings nicht ausser Frage. Es gibt aber auch Verhaltensweisen welche an der Rationalität zweifeln lassen, gerade bei dem Thema Überschuldung. Zum einen betrifft dies die Art der Haushaltsführung, in der Form, dass bei manchen Menschen jegliche Übersicht über die Finanzen zu fehlen scheint. Zum anderen betrifft dies Menschen mit Suchtkrankheiten, welche aufgrund ihrer Sucht unter Umständen jegliche Finanzplanung vermissen lassen. 7.1 Mangelnde Fähigkeiten zur Haushaltsführung Der folgende Abschnitt geht der Frage nach, inwieweit unzureichende Fähigkeiten eines Individuums, seine Finanztransaktionen zu kontrollieren, eine Ursache für Überschuldung sein können und wie sich dieses Verhalten unter Umständen modellieren lässt. Ohne Zweifel ist in den meisten Fällen ein Einnahmen- oder Ausgabenschock die Ursache der Überschuldung. Mit mehr Ersparnis hätte manch ein Individuum die Überschuldung vermeiden können, ist also möglicherweise auch ein wenig selbst schuld an seinem Schicksal. Letztendlich war es aber das Risiko, welches „zugeschlagen“ hat. Es gibt aber auch die Fälle, wo Personen Schritt für Schritt tiefer in die Verschuldung rutschen, ohne dass ein exogener Schock daran beteiligt ist. Man könnte dahinter die sog. vorsätzliche Überschuldung vermuten (vgl. Abschnitt 1.2 in diesem Teil). Die Hilflosigkeit, mit der diese Menschen dann aber schliesslich vor ihrem finanziellen Scherbenhaufen stehen, wenn dieser von 104 7 Überschuldung aufgrund „unzureichender Optimierung“ einem Betreibungsbeamten oder einem Mitglied einer Schuldenberatungsstelle aufgedeckt wird, lässt aber an der Existenz eines Vorsatzes zweifeln. Für die meisten Menschen bedeutet der moderne bargeldlose Zahlungsverkehr, bei dem mit Daueraufträgen, elektronischer Überweisung und Kreditkarten Transaktionskosten gespart werden, eine grosse Erleichterung. Manche jedoch haben Schwierigkeiten damit. Dies betrifft mitnichten nur ältere Menschen, welche vielleicht mit der Technik nicht so vertraut sind, sondern Personen aller Altersgruppen. “Die Annahme, der Umgang mit Geld müsse nicht gelernt werden, ist ein Irrtum.” [Papula (1997), 183]. Vor allem das Kreditkartengeschäft, welches einem das Gefühl gibt ständig Geld in der Tasche zu haben, bedeutet eine ständige Verführung, dieses auch auszugeben. Werbebotschaften wie „Bezahlen Sie einfach mit Ihrem guten Namen“ tun ihr übriges dazu, die Verbindung zwischen Kauf und Budgetrestriktion aufzulösen. Zusätzlich werden die Ausgaben dadurch verschleiert, dass die Kreditkartenabrechnung erst einige Wochen später per Einzugsermächtigung vom Konto erfolgt. Dazu kommen dann fixe Zahlungsverpflichtungen wie Wohnungsmiete, Telephon- und Rundfunkgebühren, Versicherungsprämien und dgl., deren Höhe einem durch Einzugsermächtigung und Dauerauftrag unter Umständen gar nicht so geläufig sind. Die Folge ist, dass sich Schritt für Schritt Schulden ansammeln, ohne dass es wirklich bemerkt wird. Häufig werden zukünftige, aber nahezu sichere Zahlungsverpflichtungen, wie z.B. Steuer oder Wohnungsmiete, nicht mit in die Budgetplanung einbezogen. Werden diese Verpflichtungen dann schliesslich fällig, so ist nicht selten die Zahlungsunfähigkeit die Folge. Auch die aggressive Werbepolitik vieler Konsumkreditbanken drängt vor allem labileren Menschen die Annahme eines, mitunter viel zu hohen, Kredits geradezu auf. Der Schuldendienst belastet das knappe Budget äusserst schwer. In dieser Situation wird den Schuldnern dann oft von ihrer Bank eine Aufstockung des Kredits angeboten. Angesichts der ständig knappen Kasse wird dieses Angebot auch nur zu gerne wahrgenommen, mit der Folge, dass die Last des Schuldendienstes noch schwerer wird. Ein grosser Teil des Kredits muss zum Schuldendienst verwendet werden. Der Rest wird im wahrsten Sinne des Wortes Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 105 verkonsumiert. Er wird für die täglichen Bedürfnisse verbraucht, eventuell wird eine Reise damit finanziert. Erleichtert wird der Gang zur Bank durch die zweifelsohne sich ändernde Einstellung der Gesellschaft zur Verschuldung. Während früher allenfalls Kredite zur Finanzierung eines Hauskaufs oder -bau gesellschaftlich akzeptiert waren, führt das „Leben auf Pump“ heute kaum noch zu gesellschaftlicher Kritik. Allerdings kommen offensichtlich nicht alle Menschen mit dieser Freiheit zurecht. Mangelnder Überblick über die eigenen Finanzen als Überschuldungsgrund zieht sich durch eine Reihe von Untersuchungen. In der Datenerhebung von Meier et al. (1999) sagten 10% der Befragten aus, der Grund für ihre Überschuldung sei mangelhafte Haushaltsführung (vgl. Abschnitt 3 in Teil I). Eine Untersuchung bei Schuldnerberatungsstellen in München ergab, dass rund 18% der Befragten als Grund für ihre Probleme Leichtsinn, Naivität und Unwissenheit im Umgang mit dem täglichen Zahlungsverkehr angeben [Rosendorfer (1993)]. Lea et al. (1995) fanden ebenfalls einen signifikanten Einfluss des Geldmanagements privater Haushalte auf die Verschuldungssituation (vgl. später Abschnitt 8.1). Wie lassen sich nun Beobachtungen dieser Art ökonomisch interpretieren? Prinzipiell führt mangelnder Überblick über die Ausgaben dazu, dass Varianz und Erwartungswert des zukünftigen verfügbaren Einkommens systematisch falsch eingeschätzt werden. Sofern die Einschätzung zu optimistisch ist, fällt die Ersparnis dementsprechend geringer aus (vgl. zur Rolle der Erwartungen und ihren Einfluss auf die Ersparnis Abschnitt 3 in diesem Teil). Das ganze Problem lässt sich somit in die Modellierung des Einkommensrisiko integrieren. Der Grund dafür, dass Erwartungswert und Varianz falsch eingeschätzt werden, liesse sich mit Informationskosten begründen. Diese Informationskosten sind für Individuen mit relativ geringer Bildung sicher höher als für andere. Tatsächlich ergibt die Untersuchung von Meier et al. (1999), dass das Bildungsniveau der von Betreibung Betroffenen eher unterdurchschnittlich ist (vgl. Abschnitt 3). Zu demselben Resultat kommen auch eine Reihe von anderen Studien [vgl. den Überblick bei Tokunaga (1993)]. 106 7 Überschuldung aufgrund „unzureichender Optimierung“ Eines neuen ökonomischen Modells zur Erfassung der „unzureichenden Optimierung“ bedarf es also nicht. Die Modellierung über ein herkömmliches Modell mit Erwartungsbildung und Informationskosten würde das Ergebnis erbringen, dass Menschen mit hohen Informationskosten eher Fehler bei der Erwartungsbildung machen und von daher einer höheren Überschuldungswahrscheinlichkeit ausgesetzt sind. Der Fehler der Erwartungsbildung kann natürlich auch in die andere Richtung gehen. Das zukünftige Einkommen bzw. die zukünftigen Ausgaben werden zu pessimistisch eingeschätzt, die Folge ist eine überoptimale Ersparnis. Nur werden diese Fälle selten publik, ausser wenn bei einer verstorbenen, vermeintlich mittellosen Person plötzlich Reichtümer auf einem Konto oder gar in der Matratze entdeckt werden. Resultat II.14 Systematisch falsche Einschätzung des zukünftigen, verfügbaren Einkommens aufgrund nicht genutzter Informationen führt unter Umständen zu ungenügender Ersparnis. Die Gefahr einer Überschuldung steigt. 7.2 Sucht als Grund für Überschuldung Im Rahmen der Datenerhebung auf schweizerischen Betreibungsämtern sagten rund 5% der befragten Personen aus, der Grund für ihre Überschuldung sei eine Suchtkrankheit (vgl. Abschnitt 3 in Teil I, Tabelle I.8). Die meisten Menschen denken bei Suchterkrankungen zuerst an Alkohol- und Drogensucht und vielleicht noch an die Abhängigkeit von Medikamenten. Weniger bekannt ist die Glücksspielsucht oder auch die Konsumsucht. Die Gefahr aufgrund einer Suchterkrankung in eine Überschuldungssituation zu geraten ist zweifelsohne sehr gross. Die Sucht wirkt zuerst einmal direkt auf das Budget durch den Kauf des Suchtgutes. Vor allem bei der Glücksspielsucht ist dies von erheblicher Bedeutung. Hier trifft es Individuen mit hohen Einkom- Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 107 men unter Umständen ebenso hart wie Individuen mit geringen Einkommen, da die Glücksspieleinsätze mit dem Einkommen steigen. Bei der Drogen- und Alkoholsucht ist die Finanzierung bei Vorliegen eines regelmässigen Einkommens häufig noch gewährleistet. Allerdings bergen Drogen- und Alkoholsucht noch zusätzlich die Gefahr, dass durch die Abhängigkeit auch die Arbeitsstelle und somit das zur Finanzierung der Sucht notwendige Einkommen verlorengeht. In diesem Fall droht der finanzielle Kollaps. Anfangs wird die Sucht noch über Kredite finanziert, welche dann aber aufgrund des fehlenden Einkommens nicht mehr bedient werden können. Die Rolle von Suchtkrankheiten im Rahmen ökonomischer Modellierung haben zuerst Becker und Murphy (1988) untersucht. Sucht erfordert eine Beziehung zwischen einer Person und einem Gut. Die Sucht führt dazu, dass ein Suchtkapitalstock aufgebaut wird, welcher eine immer grössere Nachfrage nach dem Suchtgut induziert. Suchtanfällig sind vor allem Personen, welche die Zukunft relativ stark abdiskontieren [vgl. Becker und Murphy (1988)]. Der steigende Konsum des Suchtgutes führt bei gleichbleibendem Einkommen dazu, dass der Konsum anderer Güter zurückgeht. Da es aber einen Punkt gibt, an dem ein Minimalkonsum für die sonstigen Güter erreicht wird, muss die süchtige Person entweder ihre Budgetrestriktion erweitern oder aber auf das Suchtgut verzichten. Der Verzicht auf das Suchtgut fällt bekannterweise sehr schwer. Der erste Schritt ist somit die legale Erweiterung der Budgetrestriktion per Kredit. Auf diese Weise wird die Budgetrestriktion nur temporär erweitert. Da aber die betroffenen Individuen eine sehr hohe Zeitpräferenzrate aufweisen, spielt die Zukunft, in welcher der Kredit zurückbezahlt werden sollte, kaum eine Rolle. Der weitere Verlauf ist somit nahezu vorprogrammiert. Der Kredit ist irgendwann aufgebraucht, die Zinsen und unter Umständen der ganze Kredit sind fällig, und Geld für den Konsum des Suchtmittels bedarf es auch noch. Damit beginnt sich die Spirale in eine immer höhere Verschuldung zu drehen. Schliesslich bricht das Schuldengebäude zusammen, weil eine Rechnung oder ein Kredit nicht mehr fristgerecht bedient werden kann, worauf dann eine Betreibung eingeleitet wird. Der Grund für die Überschuldung ist also der Suchtkapitalstock, der 108 7 Überschuldung aufgrund „unzureichender Optimierung“ einen steigenden Konsum des Suchtgutes verlangt, in Verbindung mit einer starken Abdiskontierung zukünftiger Ereignisse. Bei der Modellierung des Suchtverhaltens wird häufig auf das Konzept der hyperbolischen Diskontierung zurückgegriffen [vgl. z.B. Orphanides und Zervos (1998) sowie Abschnitt 4.2 dieses Teils]. Methodisch lässt sich Sucht als Überschuldungsgrund somit sehr gut über die Art und das Ausmass der Diskontierung modellieren. Resultat II.15 Sucht wirkt als Überschuldungsgrund vor allem dadurch, dass dem Konsum des Suchtgutes alles andere untergeordnet wird und die süchtige Person eine hohe Zeitpräferenzrate aufweist. Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 109 8 Empirische Evidenz Im Verlauf der letzten fünf Kapitel wurde versucht die Gründe der Überschuldung privater Haushalte auf theoretischer Ebene herzuleiten. Das Einkommensrisiko und der daraus möglicherweise resultierenden negative Schocks ist ein Hauptgrund für Überschuldung. Die Wahrscheinlichkeit der Überschuldung kann jedoch mit Hilfe von Ersparnis verringert werden. Die Abschnitte 3 bis 7 gaben verschiedene Gründe an, warum möglicherweise keine ausreichende Ersparnis vorgenommen wird. Da Einkommensrisiko für alle Menschen vorliegt, wenn zweifelsohne auch in unterschiedlichem Ausmass, müsste nun empirisch überprüft werden, inwieweit die genannten Gründe für verringerte Ersparnis einen Einfluss auf das Auftreten von Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit haben. Idealerweise müsste eine Untersuchung auf der Mikroebene stattfinden, mit einer ausreichenden Anzahl überschuldeter als auch nicht überschuldeter Haushalte. Als abhängige Variable müsste das Auftreten von Überschuldung bzw. Zahlungsunfähigkeit gewählt werden. Die Einflussvariablen wären der Grad der Risikoaversion, die Zeitpräferenzrate, das Einkommen, das soziale Umfeld für den Einfluss der Statuspräferenzen, die Menge an langlebigen Konsumgütern, der Bildungsgrad als Approximation für die Fähigkeit der Haushaltsführung sowie Dummyvariablen für allfällig vorhandenen Suchtkrankheiten. Ferner müssten noch diverse demographische Variablen berücksichtigt werden wie z. B. Alter und Geschlecht. Mit einem Probit-Schätzmodell liesse sich dann die Relevanz der Einflussgrössen auf die Überschuldungswahrscheinlichkeit bestimmen. Die von Meier et al. (1999) im Rahmen der Nationalfondsstudie erhobenen Daten sind allerdings nicht geeignet eine Analyse der erwähnten Art durchzuführen, da die Kontrollgruppe der nicht verschuldeten Haushalte fehlt. In den folgenden beiden Abschnitten wird daher als Ersatz zuerst eine Logit-Schätzung von Lea et al. (1995) mit Daten aus England präsentiert. Im Anschluss daran wird eine eigene Schätzung mit Panel-Daten auf der Makroebene vorgestellt. 110 8 Empirische Evidenz 8.1 Die Studie von Lea et al. Bei der Untersuchung von Lea et al. (1995) wurden Personen in England befragt, welche von der lokalen Wasserversorgungsgesellschaft in drei verschiedene Schuldnertypen (keine Schuld, mittlere Schuld, hohe Schuld) eingeteilt worden waren. Mit Hilfe der Daten wurde eine geordnete Logit-Schätzung durchgeführt, mit dem Ziel die Schuldkategorie vorherzusagen. Die unabhängigen Variablen wurden standardisiert und in Gruppen zusammengefasst. Die Variablengruppen (inkl. der dazugehörigen Variablen) lauten im einzelnen: (1) Armut (Geringes Einkommen, Weibliches Geschlecht, Teilzeitarbeit oder pensioniert, viele Kinder im Haushalt) Diese Variable entspricht den theoretischen Überlegungen des Abschnitts 3.3. Es wird ein positives Vorzeichen erwartet. Je höher der Grad der Armut, desto grösser die Wahrscheinlichkeit einer höheren Schuldenkategorie. (2) Einstellung nahestehender Personen gegenüber Verschuldung (Wie denken Verwandte/Freunde über Schulden) Je lockerer die Einstellung der Familie/Freunde gegenüber Schulden, desto grösser die Wahrscheinlichkeit einer hohen Schuldenkategorie. (3) Ökonomisches Umfeld (Finanzielle Situation der Eltern, Situation der Eltern verglichen mit der eigenen, Taschengeldzahlungen wurden früh eingestellt) Die Motivation für diese Variable kamen für Lea et al. aus den Aussagen der Hochverschuldeten (Kategorie 3), welche in vielen Fällen relativ wohlhabende Eltern hatten. Für diese Variable wird ein positives Vorzeichen erwartet. (4) Sozialer Vergleich (Schlechte finanzielle Stellung im Vergleich zu Freunden, Familie, Arbeitskollegen, Personen im Fernsehen) Diese Variable lässt sich mit den Aussagen zur Rolle des Status in Abschnitt 5.1 vergleichen. Je geringer die eigene Stellung im Vergleich zu den anderen, desto höher die erwartete Schuldenkategorie. Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 111 (5) Allgemeines Verhalten (verpasste Verabredungen) Diese Variable soll das annahmegemäss eher unzuverlässige Verhalten der Schuldner abdecken. Je unzuverlässiger eine Person, desto höher die erwartete Schuldnerkategorie. (6) Schlechtes Finanzmanagement (kein Bankkonto, schlechte Einschätzung hinsichtlich des eigenen Finanzmanagements, keine Rücklagen für regelmässige Zahlungen, kein Gebrauch von Daueraufträgen) Die Rolle des ungenügenden Finanzmanagements wurde in Abschnitt 7.1 abgehandelt. Je schlechter das Finanzmanagement, desto grösser die Wahrscheinlichkeit in einer hohen Schuldnergruppe zu landen. Die nächsten drei Variablen lassen sich in die Kategorie „Status“ einordnen (zur Wirkung der Statuspräferenzen auf die Überschuldungswahrscheinlichkeit vgl. Abschnitt 5.1), mit der Aussage, dass mit steigendem Interesse an Status und Luxus die Verschuldung steigt. (7) Nutzung von Krediten mit geringem Status (Kredite von „Kredithaien“, kein Gebrauch von Kreditkarten) (8) Konsumverhalten (Zigarettenkäufer, Weihnachtsgeschenke für die Kinder, kein eigenes Auto oder Telephon) (9) Luxuseinstellung (betrachtet Weihnachtsgeschenke für Kinder als notwendige Güter und Auto oder Telephon als Luxusgüter) Lea et al. erwarten für die drei Variablen allerdings kein positives, sondern ein negatives Vorzeichen. Je geringer ausgeprägt die Einstellung zu Luxus, desto höher die erwartete Schuldnerkategorie. Meines Erachtens wird an dieser Stelle die Kausalität verdreht. Wer längere Zeit unter einer hohen Schuldenlast gelebt hat gibt langsam seine Einstellung zu Luxus auf und wird bescheidener. Diese Variablen repräsentieren damit Symptome, aber keine Ursachen der Verschuldung. (10)Kurzer Zeithorizont (wartet ungern um einen höheren Preis zu erzielen, bedarf eines hohen Rabatts um Rechnungen vor dem Termin zu bezahlen) 112 8 Empirische Evidenz Diese letzte Variable stimmt wieder ganz klar mit den theoretischen Ergebnissen zur Zeitpräferenz überein (vgl. Abschnitt 4). Eine höhere Gegenwartspräferenz führt ceteris paribus zu höherer Verschuldung. Lea et al. haben drei Modelle geschätzt. Modell 1 beinhaltet alle zehn Variablengruppen. In Modell 2 wurde die Variablengruppe „Sozialer Vergleich“ weggelassen, da sie für einen grossen Anteil der fehlenden Beobachtungen verantwortlich ist. In Modell 3 wurde schliesslich nur mit den in Modell 1 signifikanten Variablen geschätzt. Signifikant sind vier Variablengruppen mit den erwarteten Vorzeichen. Es sind dies die Indizes für Armut, Ökonomisches Umfeld, schlechtes Finanzmanagement und „Gebrauch von Krediten mit geringem Status“, letzterer allerdings mit geringerer Signifikanz als die anderen. Absolut dominant ist die Variable Armut mit der allein bereits ein Anteil von 52% korrekt prognostizierter Schuldkategorien erreichbar ist (mit allen Variablen sind es 59%). Interessant ist, dass eine gute finanzielle Stellung der Eltern einen positiven Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit hat, in eine höhere Schuldnerkategorie zu kommen. Begründen lässt sich dies mit dem Umstand, dass die Kinder gutsituierter Eltern zum einen nicht so gut gelernt haben mit knappen Ressourcen umzugehen und zum anderen der Abschreckungseffekt einer hohen Schuldenlast fehlt. Resultat II.16 Lea et al. (1995) finden heraus, dass vor allem Armut einen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit hat, in einer schlechten Schuldnergruppe zu landen. Ferner sind schlechtes Finanzmanagement, ökonomisches Umfeld sowie die geringe Nutzung von sog. Statuskrediten signifikant in ihrem Einfluss. Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 113 8.2 Eigene Schätzungen Im Rahmen der auf den Betreibungsämtern der Schweiz durchgeführten Datenerhebung (vgl. Abschnitt 3), fehlte uns leider eine Kontrollgruppe, so dass eine Schätzung wie sie Lea et al. unternommen haben, nicht möglich war. Stattdessen wird in diesem Abschnitt versucht, das Auftreten von Überschuldung auf der Makroebene mit bestimmten Eigenschaften des Kantons in Verbindung zu bringen. Als Indikator des Auftretens von Überschuldung dient zum einen die Anzahl der Zahlungsbefehle pro Einwohner für die Jahre 1985 bis 1995. Wie bereits in Abschnitt 1.1 dieses Teils erläutert, ist die Anzahl der Zahlungsbefehle nur eine grobe Approximation für das Auftreten von Überschuldung. Wer einen Zahlungsbefehl erhält, ist nicht zwangsläufig überschuldet oder zahlungsunfähig. In einer zweiten Schätzung wird daher als abhängige Variable die relative Anzahl an Konkursen gewählt.1 Die Anzahl Konkurse dürfte die Anzahl überschuldeter oder zahlungsunfähiger Haushalte nun eher unterschätzen, da nicht jede zahlungsunfähige Person Konkurs anmeldet. Dies liegt zum einen an mangelnder Information über die Folgen eines Konkurses. Ausserdem ist der Konkurs unter Umständen doch eher ein unliebsames Mittel sich dem Zugriff der Gläubiger zu entziehen, da er von der Gesellschaft als eher negativ beurteilt wird. Die Reputation eines Konkursiten leidet dementsprechend. 8.2.1 Die Variablen der Schätzung Die unterschiedliche Häufigkeit des Auftretens von Zahlungsbefehlen bzw. Konkursen soll durch eine Regressionsanalyse erklärt werden, wobei neun mögliche Einflussvariablen zur Verfügung stehen: (1) Volkseinkommen pro Kopf (VOEINK) Das Pro-Kopf-Einkommen wird unter der Hypothese verwendet, dass mehr Wohlstand eine geringere Anzahl an Zahlungsbefehlen/Konkurse nach sich zieht (vgl. Abschnitt 3.3). 1) Zu den rechtlichen Voraussetzungen für einen Konkurs vgl. Abschnitt 2, Teil I. 114 8 Empirische Evidenz (2) Personenwagendichte (PW) Personenwagen werden häufig auf Kredit gekauft und stellen ausserdem ein langlebiges Konsumgut mit Statuscharakter dar. Die Vermutung geht dahin, dass gerade ärmere Haushalte durch den Autokauf auf Kredit in finanzielle Schwierigkeiten geraten können (vgl. Abschnitte 6.1 und 5.1). Die zu testende Hypothese lautet in diesem Fall: Eine grössere Anzahl an Personenwagen pro Einwohner führt zu einer grösseren relativen Anzahl an Zahlungsbefehlen/ Konkursen. Das erwartete Vorzeichen des Regressionskoeffizienten ist somit positiv.1 (3) Bevölkerungsdichte (BEVDI) Die zu dieser Variablen gehörende Hypothese lautet: Je höher die Bevölkerungsdichte, desto grösser die relative Anzahl an Zahlungsbefehlen und Konkursen. Der Grund hierfür ist die steigende Anonymität und das Versagen der sozialen Kontrolle in den Ballungsräumen. Vor allem auf die Konkurse sollte dies einen Einfluss haben aufgrund der bereits erwähnten negativen Einstellung gegenüber Konkursen von Seiten der Gesellschaft. Das erwartete Vorzeichen des Koeffizienten ist positiv. (4) Anteil der Stadtbevölkerung an der Gesamtbevölkerung im Kanton (STADT) Diese Variable stellt eine Alternative zu der Variable Bevölkerungsdichte dar. Es gibt grosse Kantone mit relativ geringer Bevölkerungsdichte, in denen aber relativ viele Menschen in einer Stadt und dementsprechend anonymen Raum leben (zum Beispiel der Kanton Bern). Berücksichtigt wurden Städte ab 30’000 Einwohnern. Das erwartete Vorzeichen ist wie bei der Variable Bevölkerungsdichte positiv. (5) Arbeitslosigkeit (AL) 1) Auf der anderen Seite ist die relative Anzahl von Personenwagen möglicherweise auch eine Spiegelung des Volkseinkommens. In diesem Fall wäre die Gefahr von Multikollinearität zwischen diesen beiden Variablen gegeben, eine Möglichkeit, welche später geprüft wird. Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 115 Das Auftreten von Arbeitslosigkeit erhöht die Gefahren von Überschuldung aufgrund des fehlenden Einkommens, es wird also ein positiver Zusammenhang erwartet. (6) Scheidungsrate (SCHEID) Bei der Analyse von Schuldnerdaten ist festzustellen, dass Alimentenansprüche nicht selten ein Grund für Betreibungen sind [vgl. Abschnitt 3, Teil I]. Es liegt somit die Hypothese nahe, dass mit einer erhöhten Scheidungsrate in einem Kanton auch eine höhere relative Anzahl an Zahlungsbefehlen und Konkursen einhergeht. (7) Geburtenrate (GEBURT) Die Geburt eines Kindes stellt ebenfalls einen „negativen Schock“ auf das verfügbare Einkommen dar.1 (8) Ausländeranteil (AUSLAND) Diese demographische Variable entspringt der Tatsache, dass viele ausländische Mitbürger in wirtschaftlich angespannten Verhältnissen leben. Es ist daher naheliegend anzunehmen, dass die Rate der Zahlungsbefehle/Konkurse mit der Ausländerquote steigt. (9) Einkommensverteilung (GINI) Die Einkommensverteilung, gemessen mit dem Gini-Koeffizienten2, sollte einen Einfluss auf die Jagd nach Status und damit eventuell auf die Verschuldung bzw. die Anzahl Zahlungsbefehle/Konkurse haben. Es stellt sich allerdings die Frage, ob eine eher gleiche oder eher ungleiche Verteilung die Jagd nach Status anheizt. Vorstellbar ist, dass bei gleicher Einkommensverteilung die einzelnen Individuen erst recht versuchen, mittels Statuskonsum aus der Masse herauszustechen. Das Vorzeichen ist somit nicht eindeutig. Allerdings kann man wohl erwarten, dass eher eine ungleiche Einkommensverteilung zu 1) In den meisten Fällen dürfte der positive Nutzeneffekt eines Kindes auf die Eltern den Einkommenseffekt überkompensieren. 2) Der Gini-Koeffizient misst die Gleichheit einer Verteilung. Ein Wert von 0 bedeutet eine absolute Gleichverteilung, ein Wert von 1 bedeutet die maximale Ungleichheit. 116 8 Empirische Evidenz mehr Verschuldung führt (positives Vorzeichen), in dem Sinne, dass diejenigen, welche am unteren Ende der Einkommensskala sind, versuchen ihren „Rückstand“ mittels Statuskonsum, zumindest nach aussen hin, aufzuholen. 1 Die exogenen Variablen werden in Tabelle II.1 den in den Abschnitten 3 bis 7 theoretisch untersuchten Überschuldungsgründen zugeteilt. Tabelle II.1 Einteilung der exogenen Variablen zu den theoretisch untersuchten Gründen Theoretisch untersuchter Überschuldungsgrund Einkommensrisiko Zu geringes Einkommen Abschnitt in Teil II 3 3.3 Exogene Variable in den Schätzungen AL, SCHEID, GEBURT VOEINK, AUSLAND Jagd nach Status 5 GINI Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern 6 PW Unzureichende Fähigkeiten/ Soziale Kontrolle 7.1 BEVDI, STADT In Tabelle II.2 ist die deskriptive Statistik zu den in der Regression verwendeten Variablen angegeben. Bei einigen der verwendeten Variablen ist die Gefahr der Multikollinearität vorhanden, so z.B. bei Personenwagen und Arbeitslosigkeit in Bezug auf das Volkseinkommen. Um eine grobe Abschätzung in diese Richtung vorzunehmen, werden in Tabelle II.3 die Korrelationskoeffizienten ausgewiesen. Je höher der Korrelationskoeffizient zweier Variablen, desto grösser ist die Gefahr der Multikollinearität, mit der Folge, dass sich der Einfluss einer bestimmten erklärenden Variable nicht mehr isolieren lässt. Ein Korrelationskoeffizient höher als 0.8 weist auf diese Gefahr hin.2 1) Berechnet wurde der Gini-Koeffizient aufgrund von Daten der Bundessteuer. 2) Vgl. Kennedy (1994), S. 179f. Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung Tabelle II.2 117 Deskriptive Statistik der verwendeten Variablen, Mittelwerte über 26 Kantone, 1985 - 1995 Variable Mittelwert Standardabweichung 20.99 8.74 0.50 0.43 38.10 9.74 Zahlungsbefehle (pro 100 Einwohner)a ZAHL Konkurse (pro 100 Einwohner)b KONKURS Volkseinkommen (pro Einwohner, in 1’000 Fr.)a VOEINK Personenwagendichte (pro 1’000 Einwohner)a PW 425.65 46.29 Bevölkerungsdichte (Einwohner pro km2)a BEVDI 439.67 1’005.77 Anteil Stadtbevölkerung (pro 100 Einwohner)a STADT 14.82 22.10 Arbeitslosigkeit (Arbeitslose pro 1’000 Erwerbstätige)a AL 17.58 18.13 Scheidungsrate (Scheidungen pro 1’000 Einwohner)a SCHEID 1.72 0.55 Geburtenrate (Geburten pro 1’000 Einwohner)a GEBURT 12.65 1.66 Ausländeranteil (Ausländer pro 100 Einwohner)a AUSLAND 15.01 6.68 Ginikoeffizient (* 100)c GINI 30.30 2.47 a. Daten auf Anfrage beim Bundesamt für Statistik. b. Daten vom Schweizerischen Verband Creditreform SVC. c. Eigene Berechnung: Daten auf Anfrage von der Eidgenössischen Steuerverwaltung. Wie aus Tabelle II.3 ersichtlich, ist der Korrelationskoeffizient zwischen Volkseinkommen (VOEINK) und Personenwagen (PW) mit 0.26 niedriger als man hätte erwarten können. Auch der Koeffizient zwischen Arbeitslosigkeit (AL) und Volkseinkommen ist mit 0.33 nicht zu hoch. Anders verhält es sich bei der Ausländerquote (AUSLAND) und Scheidungsrate (SCHEID), wo der Korrelationskoeffizient von 0.77 Multikollinearität befürchten lässt. Dasselbe gilt für die Beziehung der Bevölkerungsdichte (BEVDI) zum Anteil der Stadtbevölkerung (STADT). Die anderen Werte sind zwar nicht als niedrig zu bezeichnen, liegen aber allesamt noch in einem vertretbaren Bereich. 118 8 Empirische Evidenz Tabelle II.3Korrelationsmatrix der exogenen Variablen VOEINK PW BEVDI STADT AL SCHEID GEBURT AUSL VOEINK 1.00 PW 0.26 1.00 BEVDI 0.43 -0.35 1.00 STADT 0.32 -0.24 0.76 1.00 AL 0.37 0.41 0.19 0.24 1.00 SCHEID 0.49 0.37 0.40 0.56 0.53 1.00 GEBURT -0.30 -0.10 -0.45 -0.50 -0.34 -0.57 1.00 AUSL 0.46 0.41 0.38 0.47 0.48 0.77 0.53 1.00 GINI 0.51 0.13 0.22 0.14 -0.09 0.13 -0.1 0.20 GINI 1.00 8.2.2 Die verwendeten Schätzmodelle Der vorliegende Datensatz besteht aus sog. Panel-Daten. Das heisst, es wurden Querschnittsdaten über alle 26 Kantone der Schweiz mit Zeitreihen der Jahre 1985 - 1995 zusammengefasst. Geschätzt wurde mit Hilfe dreier verschiedener Schätzmodelle: Der Kleinstquadrate-Schätzung ohne gruppenspezifische Dummyvariablen (OLS = Ordinary Least Squares), der Kleinstquadrate-Schätzung mit gruppenspezifischen Dummyvariablen (LSDV = Least Square Dummy Variables) sowie dem Fehlerkomponenten-Modell (EC = Error Component).1 Kleinstquadrate-Schätzung ohne gruppenspezifische Dummyvariablen (OLS) Das spezielle eines Panel-Datensatzes ist, dass für die verschiedenen Einheiten (in vorliegenden Fall die Kantone) Beobachtungen aus verschiedenen Jahren vorliegen. Bei der OLS-Schätzung wird dieser Effekt ignoriert, und es wird ein gemeinsamer Achsenabschnitt sowie ein gemeinsamer Steigungskoeffizient für 1) Ausführlichere Darstellungen der Schätzung von Panel-Daten finden sich bei Kmenta (1971), Stimson (1985) sowie Blundell und Matyas (1992). Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 119 alle Einheiten angenommen. Damit wird der folgende Satz von Schätzgleichungen spezifiziert: Zahlungsbefehle (Konkurse) it = α + β ⋅ VOEINK it + γ ⋅ PW it ... + ε it mit i = 1 bis 26 Kantone und t = 1 bis 11 Jahre. (II.70) Unter der Annahme, dass die Konstante α sowie die Koeffizienten konstant sind über die Zeit als auch über die Kantone, lässt sich eine einzige Schätzgleichung mit 286 Beobachtungen (26 Kantone * 11 Jahre) bilden. Die Annahme der konstanten Koeffizienten ist zweifelsohne sehr restriktiv und in vielen Fällen nicht erfüllt. Eine OLS-Schätzung alleine ermöglicht kein volles Ausschöpfen der Informationen eines Panels. Weitere Modelle sind also notwendig. OLS-Schätzung mit gruppenspezifischen Dummyvariablen (LSDV) Wenn grosse Variation zwischen den Beobachtungen der Einheiten (Kantone) und/oder der Jahre vorliegt, können die Ergebnisse einer OLS-Schätzung verzerrt sein. Dies lässt sich vermeiden, indem man jeder Einheit mit Hilfe von Dummyvariablen eine Konstante zuweist: Zahlungsbefehle (Konkurse) it = α i + β ⋅ VOEINK it + γ ⋅ PW it ... + ε it mit i = 1 bis 26 Kantone und t = 1 bis 11 Jahre. (II.71) Der Unterschied zum OLS-Modell ist in der einheitspezifischen Konstante α i zu suchen. Jeder Einheit, im vorliegenden Fall den Kantonen, wird eine spezifische Konstante zugewiesen. Der Nachteil des LSDV-Modells liegt in der reduzierten Anzahl an Freiheitsgraden durch die grosse Zahl an Dummyvariablen. Existiert nur wenig Varianz zwischen den Einheiten oder Jahren, ist eine LSDVSchätzung nicht zu empfehlen. 120 8 Empirische Evidenz Fehlerkomponenten-Schätzung (EC) Hier wird angenommen, dass die individuellen Konstanten der Einheiten Störterme darstellen. Die Unterschiede zwischen den Einheiten sind nicht als Verschiebungen der Parameter der Regressionsfunktion zu betrachten, sondern als normalverteilte Schocks. Die Schätzgleichung hat die Form: Zahlungsbefehle (Konkurse) it = α + β ⋅ VOEINK it + γ ⋅ PW it ... + ε it + ν i mit i = 1 bis 26 Kantone und t = 1 bis 11 Jahre 2 E ( ν i ) = 0, Var ( ν i ) = σ i , Cov ( ε it, ν i ) = 0. (II.72) Die Konstante α ist wiederum als konstant über Einheiten und Jahre angenommen. Der Unterschied zum OLS-Modell liegt in dem zusätzlichen Störterm ν i . Dieser Störterm erfasst die kantonsspezifischen Merkmale. Da somit keine Dummyvariablen mehr nötig sind werden Freiheitsgrade gespart. Andererseits wird im EC-Modell angenommen, dass die Störterme jeder Querschnittseinheit mit den anderen Regressoren unkorreliert sind. Ist dies nicht der Fall, so resultiert eine Verzerrung der Schätzkoeffizienten. Welches der drei gezeigten Schätzverfahren ist zu bevorzugen? Die Kleinstquadrate-Schätzung (OLS) hat das bereits erwähnte Problem, dass die Besonderheit eines Panel-Datensatzes, Beobachtungen über die Zeit und den Raum aufzuweisen, ignoriert wird. Das LSDV-Modell ist durch die Verwendung vieler Dummyvariablen ineffizient. Die Folge des EC-Modells wiederum könnte ein Verzerrung in den Koeffizienten sein, aufgrund vorhandener Korrelation zwischen den einheitsspezifischen Störtermen und den Regressoren. Der sog. Hausman Test testet die Hypothese, dass Korrelation vorliegt gegen die Nullhypothese nicht vorhandener Korrelation. Mit Hilfe des Breusch-Pagan Langrangemultiplikatortest kann schliesslich auch das EC-Modell mit dem OLS-Modell verglichen werden. Die Nullhypothese lautet in diesem Fall, dass die Varianz der Fehler2 komponenten σ i gleich Null ist. In diesem Fall wäre die adäquatere Schätzmethode das OLS-Modell. Hohe Wert des LM-Testes bei gleichzeitig geringen Werten des Hausmann Testes sprechen für das EC-Modell gegenüber den beiden Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 121 anderen.1 Letztendlich sollten allerdings die Ergebnisse aller drei Modelle betrachtet und für die Interpretation genutzt werden. 8.2.3 Die Ergebnisse der Schätzungen Die Ergebnisse der Schätzungen für die Zahlungsbefehle als auch für die Konkurse erscheinen in Tabelle II.4. Die Vorzeichen der signifikanten Regressionskoeffizienten entsprechen den Erwartungen. Die Variable Arbeitslosigkeit ist in jedem Modell hochsignifikant in ihrem Einfluss auf die Anzahl der Zahlungsbefehle als auch der Konkurse. Einen signifikanten Einfluss auf die Zahlungsbefehle, unabhängig vom Schätzmodell, hat auch die Geburtenrate. Bei den Konkursen sind die Scheidungsrate und der Anteil der Stadtbewohner eindeutig signifikant in ihrem Einfluss. Bei den anderen Variablen hängt es davon ab, welches Schätzmodell man wählt. Es ist in beiden Schätzreihen zu sehen, dass die LSDV-Schätzung einen grossen Teil der Streuung erklärt (R2 > 0.9), obwohl gleichzeitig nur wenige Variablen signifikant sind. Dies deutet darauf hin, dass auf der kantonalen Ebene andere, nicht im Modell verwendete Variablen, für die relative Anzahl der Zahlungsbefehle und Konkurse verantwortlich sind, was durch die kantonsspezifischen Dummyvariablen aufgefangen wird. In beiden Schätzungen sprechen die Teststatistiken des LM- und des Hausman-Testes für das EC-Modell. Interessant ist, dass die Bevölkerungsdichte im OLS-Modell einen signifikanten Einfluss auf die Anzahl der Zahlungsbefehle hat und der Anteil der Stadtbewohner in keinem Modell signifikant ist. Bei den Konkursen hingegen ist die Bevölkerungsdichte in keinem Fall signifikant, der Anteil der Stadtbewohner aber in allen drei Modellen. Die demographische Variable Ausländer ist in den OLS und EC-Modellen signifikant in ihrem Einfluss auf die relative Anzahl an Zahlungsbefehlen, als auch auf die relative Anzahl der Konkurse. Die Tatsache, dass in beiden Fällen diese Variable im LSDV-Modell eindeutig nicht signifikant ist, deutet jedoch darauf hin, dass in diesen Fällen die Erklärung eher bei anderen kantonsspezifischen Eigenschaften zu suchen ist. In keinem der Modelle signifikant in ihrem Einfluss ist die Variable für die Einkom- 1) Vgl. zu diesen beiden Tests auch Greene, W. H. (1997), Kap. 14. 122 Tabelle II.4 8 Empirische Evidenz Häufigkeit von Zahlungsbefehlen und Konkursen: Schätzung mit allen Variablen über 26 Kantone, 1985 - 1995a Zahlungsbefehle Konkurse OLS LSDV EC OLS LSDV EC Konstante 2.90 (0.53) - -2.67 (-0.72) -1.83*** (-7.36) - -1.17*** (-4.47) Volkseinkommen -0.38*** (-9.26) 0.02 (0.69) -0.01** (-3.16) 0.002 (1.22) 0.01*** (4.32) -0.009*** (-3.89) Personenwagendichte 0.07*** (7.52) 0.002 (0.33) 0.02** (2.63) -0.0005 (-1.12) 0.0002 (0.51) 0.0003 (0.79) Bevölkerungsdichte 0.002*** (3.39) -0.01 (-1.74) -0.0006 (-0.75) -0.00002 (-0.99) -0.00 (-0.23) -0.00 (-0.68) Stadtbewohner -0.02 (-0.75) 0.12 (0.37) 0.07 (1.90) 0.004*** (3.54) 0.05* (-2.09) 0.005* (2.08) Arbeitslosigkeit 0.2*** (8.73) 0.1*** (12.81) 0.1*** (13.00) 0.006*** (6.91) 0.007*** (8.78) 0.003*** (10.18) Scheidungsrate 1.46 (1.53) -0.16 (-0.25) 0.55 (0.89) 0.31*** (7.17) 0.13** (2.76) 0.15*** (3.44) Geburtenrate -0.50* (-2.39) 1.00*** (5.96) 0.61*** (3.97) 0.09*** (9.10) 0.02 (1.83) 0.03** (2.94) Ausländerquote 0.47*** (6.82) 0.07 (0.99) 0.34*** (5.24) 0.03*** (9.03) 0.004 (0.73) 0.01** (3.07) Ginikoeffizient -0.15 (-1.10) 0.16 (1.85) 0.12 (1.52) 0.008 (1.22) 0.005 (0.90) 0.004 (0.78) R2 0.74 0.96 0.51 0.78 0.93 0.71 korr. R2 0.73 0.96 - 0.77 0.92 - LM-Test - - 524.14*** - - 383.69*** Hausman-Test - - 124.92 - - 21.69 *** signifikant auf dem 99.9% Signifikanzniveau ** signifikant auf dem 99% Signifikanzniveau * signifikant auf dem 95% Signifikanzniveau a. t-Werte in Klammern. Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 123 mensungleichheit, der Ginikoeffizient. Weitere Schätzungen ohne die Variablen Bevölkerungsdichte und/oder Scheidung (Gefahr der Multikollinearität) brachten keine wesentlich geänderten Ergebnisse. Ein grosses Problem bei dieser Schätzung könnte unter Umständen ein vorhandener Strukturbruch sein. Mit Blick auf Abbildung II.15 ist zu erkennen, dass ab 1990 vor allem die Arbeitslosigkeit sprunghaft angestiegen ist. Es könnte somit ratsam sein zwei Schätzungen vorzunehmen, mit der Annahme, dass für die Periode 1985 - 1989 signifikant andere Koeffizienten gelten als für die Periode 1990 - 1995. Mit dem sogenannten Chow-Test1 lässt sich auf einen Strukturbruch testen. Die Ergebnisse des Chow-Test bestätigen im 99% Signifikanzniveau die These eines Strukturbruchs. Die Aufteilung des Panels in zwei Zeitabschnitte (1985 - 1989 und 1990 - 1995) scheint daher sinnvoll. Abbildung II.15 Darstellung des Strukturbruchs im Jahr 1990 anhand der Entwicklung der Arbeitslosenquote in den Kantonen 1985 - 1995 ZH 8 BE LU 7 UR SZ 6 OW NW GL 5 ZG FR 4 SO BS 3 BL SH 2 AR AI 1 SG GR 0 1995 1994 1993 1992 1991 1990 1989 1988 1987 1986 1985 AG TG TI 1) Vgl. Pindyck und Rubinfeld (1991) oder Kennedy (1994). 124 8 Empirische Evidenz Tabelle II.5 Deskriptive Statistik, Mittelwerte über 26 Kantone, 1985 - 1989 und 1990 -1995 Variable Mittelwerte 1985 - 1989 Mittelwerte 1990 - 1995 19.11 22.56 0.33 0.65 33.31 42.10 Personenwagendichte (pro 1’000 Einwohner)a 406.40 441.70 Bevölkerungsdichte (Einwohner pro km2)a 428.50 449.00 14.97 14.70 Arbeitslosigkeit (Arbeitslose pro 1’000 Erwerbstätige)a 7.44 26.04 Scheidungsrate (Scheidungen pro 1’000 Einwohner)a 1.57 1.86 Geburtenrate (Geburten pro 1’000 Einwohner)a 12.58 12.71 Ausländerquote (Ausländer pro 100 Einwohner)a 13.59 16.20 Ginikoeffizient (* 100)c 30.27 30.32 Zahlungsbefehle (pro 100 Einwohner)a Konkurse (pro 100 Einwohner)b Volkseinkommen (pro Einwohner, in 1’000 Fr.)a Anteil Stadtbevölkerung (pro 100 Einwohner)a a. Daten auf Anfrage beim Bundesamt für Statistik. b. Daten vom Schweizerischen Verband Creditreform SVC. c. Eigene Berechnung: Daten auf Anfrage von der Eidgenössischen Steuerverwaltung. In Tabelle II.5 sind die Mittelwerte der Beobachtungen der verwendeten Variablen beider Zeitperioden eingetragen. Mit Ausnahme des Stadtbewohneranteils liegen die Werte der Jahre 1990 - 1995 über denen der Jahre 1985 - 1990. Die Ergebnisse der Schätzung für die beiden Perioden sind in Tabelle II.6 und Tabelle II.7 wiedergegeben. Es sind eindeutig Unterschiede zwischen beiden Zeitabschnitten zu erkennen. Das Volkseinkommen hat in beiden Perioden im OLS und im EC-Modell einen signifikanten Einfluss auf die Anzahl der Zahlungsbefehle. Bei den Konkursen dagegen ist der Effekt in der zweiten Periode (1990 - 1995) deutlich abgeschwächt. Die Anzahl der Personenwagen stellt nur im OLS-Modell eine Varia- Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung Tabelle II.6 125 Häufigkeit von Zahlungsbefehlen: Schätzung mit allen Variablen über 26 Kantone, Zwei Zeitintervallea 1985 - 1989 1990 - 1995 OLS LSDV EC OLS LSDV EC Konstante 3.74 (0.53) - 15.49** (2.95) -11.65 (-1.41) - 4.53 (0.81) Volkseinkommen -0.17** (-2.95) -0.07 (-1.49) -0.12** (-2.92) -0.40*** (-6.39) 0.12 (1.36) -0.16** (-2.66) Personenwagen 0.06*** (4.69) -0.01 (-1.11) 0.009 (0.91) 0.07*** (5.24) -0.01 (-1.45) 0.006 (0.99) Bevölkerungsdichte 0.0005 (0.80) -0.006 (-0.99) -0.0006 (-0.54) 0.002* (2.19) -0.01 (-1.92) -0.001 (-1.30) Stadtbewohner -0.03 (-1.36) -0.17 (-0.23) 0.02 (0.33) -0.01 (-0.44) 0.83 (1.51) 0.09* (2.21) Arbeitslosigkeit 0.6*** (6.83) 0.03 (0.41) 0.1* (2.50) 0.2*** (6.37) 0.1*** (9.43) 0.1*** (10.23) Scheidung 1.13 (1.03) -0.70 (-0.82) 0.06 (0.07) 3.02* (2.11) -0.33 (-0.43) 1.27 (1.75) Geburt -0.25 (-0.77) 0.15 (0.49) -0.31 (-1.19) 0.16 (0.47) 0.45 (1.87) 0.42* (1.96) Ausländer 0.37*** (4.80) 0.28 (1.37) 0.57*** (4.90) 0.49*** (4.58) -0.05 (-0.60) 0.26*** (3.97) Ginikoeffizient -0.32 (-1.94) -0.16 (-0.16) -0.03 (-0.36) -0.01 (-1.41) 0.22* (2.19) 0.21* (2.09) R2 0.80 0.98 0.60 0.74 0.98 0.48 korr. R2 0.79 0.97 0.73 0.98 LM-Test - - 128.59*** - - 118.86*** Hausman-Test - - 39.60 - - 157.20* *** signifikant bei 99.9% Signifikanzniveau ** signifikant bei 99% Signifikanzniveau * signifikant bei 95% Signifikanzniveau a. t-Werte in Klammern 126 Tabelle II.7 8 Empirische Evidenz Häufigkeit von Konkursen: Schätzung mit allen Variablen über 26 Kantone, Zwei Zeitintervallea 1985 - 1989 1990 - 1995 OLS LSDV EC OLS LSDV EC Konstante -1.07** (-2.97) - -0.44 (-1.39) -2.08*** (-5.44) - -0.89 (-1.90) Volkseinkommen -0.002 (-0.60) 0.007* (2.28) 0.007** (2.74) 0.002 (0.66) -0.02* (-2.10) -0.005 (-0.96) Personenwagen -0.0002 (-0.32) 0.00 (0.04) -0.0004 (-0.68) -0.0007 (-1.07) -0.0002 (-0.32) 0.00 (0.08) Bevölkerungsdichte 0.00 (0.36) -0.001*** (-3.50) -0.00 (-1.15) -0.00 (-0.87) -0.00 (-0.13) -0.00 (-0.16) Stadtbewohner 0.004*** (3.50) 0.05* (2.09) 0.008** (3.01) 0.003* (2.07) -0.06 (-1.37) 0.005 (1.61) Arbeitslosigkeit -0.003 (-0.77) -0.005 (-1.24) -0.007* (-2.01) 0.006*** (5.13) 0.008*** (7.00) 0.007*** (7.86) Scheidung 0.23*** (4.13) -0.02 (-0.37) 0.03 (0.55) 0.36*** (5.49) 0.20** (2.84) 0.23*** (3.60) Geburt 0.05** (3.31) 0.02 (1.20) 0.03 (1.88) 0.10*** (6.34) 0.004 (0.17) 0.03 (1.45) Ausländer 0.03*** (8.48) 0.02 (1.72) 0.04*** (5.79) 0.03*** (5.20) 0.0002 (0.03) 0.01* (2.07) Ginikoeffizient -0.0003 (-0.03) -0.009 (-1.46) -0.008 (-1.44) 0.01 (1.51) 0.02 (1.74) 0.02 (1.95) R2 0.78 0.97 0.73 0.75 0.93 0.66 korr. R2 0.76 0.95 0.73 0.91 LM-Test - - 129.50*** - - 107.95*** Hausman-Test - - 19.90 - - 23.49 *** signifikant bei 99.9% Signifikanzniveau ** signifikant bei 99% Signifikanzniveau * signifikant bei 95% Signifikanzniveau a. t-Werte in Klammern Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung ble mit signifikantem Einfluss auf die Zahlungsbefehle 127 dar. Die Bevölkerungsdichte sowie der Anteil der Stadtbewohner hat auf die Anzahl der Zahlungsbefehle anscheinend nur geringfügig Einfluss. Auf die Anzahl der Konkurse dagegen hat der Anteil der Stadtbewohner in der ersten Periode (1985 1989) signifikanten Einfluss. Die These, dass die Anonymität der Stadt den Schritt in den Konkurs fördert scheint bestätigt. In der Periode 1990 - 1995 ist dieser Einfluss allerdings geringer geworden. In den 80er Jahren scheint die relative Anzahl der Zahlungsbefehle als auch der Konkurse kaum durch die Arbeitslosigkeit beeinflusst worden zu sein, welche zu dieser Zeit nahe Null war. Dieses hat sich in der ersten Hälfte der 90er Jahre dramatisch verändert. Die Scheidungsrate hat auf die Anzahl der Zahlungsbefehle keinen signifikanten Effekt, wohl aber auf die Konkurse. Dies gilt vor allem in der zweiten Periode. Die Geburtenrate als Einkommensschock ist in ihrer Wirkung auch nicht sehr stark. Die Zahl der in der Schweiz lebenden Ausländer hat, wie im Gesamtmodell, nur dann einen signifikanten Effekt, wenn keine kantonsspezifischen Dummyvariablen (LSDV-Modell) berücksichtigt werden. Der Ginikoeffizient als Mass für die Einkommensgleichheit hat im zweiten Zeitabschnitt im LSDV und im ECModell einen schwach signifikanten Einfluss auf die Anzahl der Zahlungsbefehle. Demnach führt steigende Einkommensungleichheit zu einer steigenden Anzahl von Zahlungsbefehlen pro Einwohner. Schliesslich wurde auf Basis der letzten beiden Schätzungen noch eine Elastizitätenberechnung durchgeführt. Eine Elastizität sagt aus, um wieviel Prozent die Häufigkeit von Zahlungsbefehlen steigt/fällt, wenn eine der erklärenden Variablen um 1 Prozent steigt. Es stehe di/i für die prozentuale Veränderung der Zahlungsbefehle und dx/x für die prozentuale Veränderung einer bestimmten erklärenden Variablen. Es gilt: ∂i x di ⁄ i e i, x = ------------ = ----- ⋅ -- . ∂x i dx ⁄ x (II.73) 128 8 Empirische Evidenz Die Ergebnisse der Elastizitätenberechnung sind in Tabelle II.8 wiedergegeben. Es wurden nur die signifikanten Werte eingetragen. Der Einfluss auf die relative Anzahl der Zahlungsbefehle hat sich wie folgt entwickelt: Tabelle II.8 Elastizitäten der Häufigkeit von Zahlungsbefehlen und Konkursena Zahlungsbefehle OLS LSDV Konkurse EC OLS LSDV EC 0.69 Volkseinkommen 1985 - 1989 -0.30 -0.21 0.67 1990 - 1995 -0.74 -0.29 -1.09 Personenwagendichte 1985 - 1989 1.20 1990 - 1995 1.37 Bevölkerungsdichte 1985 - 1989 0.13 -1.66 1990 - 1995 1985 - 1989 0.20 0.35 Stadtbewohner 1990 - 1995 0.06 0.07 Arbeitslosigkeit 1985 - 1989 0.22 0.03 1990 - 1995 0.19 Scheidungsrate 1985 - 1989 1.10 1990 - 1995 1.04 1985 - 1989 2.09 0.13 0.12 -0.16 0.25 0.31 0.28 0.57 0.66 Geburtenrate 1990 - 1995 0.24 1.91 Ausländerquote 1985 - 1989 0.26 0.41 1.37 1.54 1990 - 1995 0.35 0.34 0.64 0.28 Ginikoeffizient 1985 - 1989 1990 - 1995 0.31 0.28 a. Die Elastizitäten sind anhand der Mittelwerte (vgl. Tabelle II.2) berechnet. Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 129 • Das Volkseinkommen pro Kopf ist in der Periode 1990 - 1995 gegenüber 1985 - 1989 in seinem Einfluss gestiegen. • Dasselbe gilt auch für den Einfluss der Personenwagen pro Kopf. • Die Variable Bevölkerungsdichte hat keine signifikanten Koeffizienten aufzuweisen. Deren Alternative, die Variable Stadtbewohner, weist einzig in der Periode 1990 - 1995 im EC-Modell einen signifikanten, aber eher geringen Einfluss auf. • Die Arbeitslosigkeit war in der Periode 1985 - 1989 in der Schweiz nahe Null, dementsprechend ist auch ihr Einfluss auf die relative Anzahl an Zahlungsbefehlen in dieser Zeit vernachlässigbar gewesen, Seit 1990 hat sich dies eindeutig geändert. Die Arbeitslosenquote ist die einzige exogene Variable, welche für die Periode 1990 - 1995, in allen Schätzmodellen sowohl bei der relativen Anzahl an Zahlungsbefehlen, als auch bei den Konkursen signifikante Koeffizienten aufweist. • Die Scheidungsrate hat keinen signifikanten Einfluss auf die relative Anzahl an Zahlungsbefehlen. • Die Geburtenrate hat, ebenso wie die Bevölkerungsdichte nur in der Periode 1990 - 1995 im EC Modell einen signifikanten Koeffizienten. • Die Ausländerquote hat in der Zeit 1990 -1995 weniger Einfluss auf die relative Anzahl der Zahlungsbefehle gehabt als 1985 - 1989. • Der Ginikoeffizient, die Einkommensverteilung also, hat erst seit 1990 einen signifikanten, positiven Einfluss auf die relative Anzahl der Zahlungsbefehle. Die Einflüsse auf die relative Anzahl der Konkurse sind wie folgt: • Das Volkseinkommen pro Kopf hat in der Periode 1985 - 1989, etwas unerwartet, einen positiven Einfluss gehabt. Tatsächlich ist in dieser Periode die Zahl der Konkurse in den einkommensstarken Kantonen mit dem Volkseinkommen gestiegen, während sie in den einkommensschwächeren Kantonen eher gesunken oder gleich geblieben ist. 130 8 Empirische Evidenz • Die Personenwagendichte hat keinen signifikanten Einfluss auf die relative Anzahl der Konkurse. • Der Koeffizient der Variable Bevölkerungsdichte hat einzig in der Periode 1985 - 1989 einen signifikant, negatives Vorzeichen, während der Anteil der Bewohner in Städten mit mehr als 30‘000 Einwohnern im selben Zeitraum einen signifikant positiv Einfluss auf die relative Anzahl der Konkurse hat. • Die Variable Bevölkerungsdichte hat im LSDV-Modell während der Periode 1085 - 1989 ein negatives, signifikantes Vorzeichen. Die Variable für den Anteil der Stadtbewohner dagegen weist in drei Fällen das erwartete positive Vorzeichen auf. Allerdings ist der Einfluss während der Periode 1990 - 1995 deutlich geringer als in den Jahren zuvor. • Der Einfluss der Scheidungsrate ist laut dem OLS-Modell in der Periode 1990 - 1995 zwar geringer als 1985 - 1989, aber bei Verwendung des LSDV- und des EC-Modells ist diese Variable erst in der Periode 1990 - 1995 signifikant in ihrem Einfluss. • Die Geburtenrate ist nur bei Verwendung des OLS-Modells signifikant in ihrem Einfluss. • Wie auch bei der relativen Anzahl Zahlungsbefehlen, hat auch bei den Konkursen der positive Einfluss der Ausländerquote nach 1990 stark abgenommen. • Der Ginikoeffizient hat keinen signifikanten Einfluss auf die relative Anzahl der Konkurse. Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung Resultat II.17 Mit Hilfe der empirischen Analyse auf der Makroebene kann vor allem der Einfluss von Einkommensschocks, vor allem Arbeitslosigkeit, auf die Überschuldungswahrscheinlichkeit bestätigt werden. Die Variablen, welche den Einfluss der Jagd nach Status und der langlebigen Konsumgüter approximieren sollten, sind nur bedingt signifikant in ihrem Einfluss. 131 132 9 Schlussfolgerungen zu Teil II 9 Schlussfolgerungen zu Teil II Im zweiten Teil der Arbeit wurde nach den Gründen für Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung gesucht. Der Ausdruck Überschuldung steht nach allgemeiner Definition nicht für einen bestimmten Schuldenstand, sondern schlicht für das Ereignis Zahlungsunfähigkeit. In dieser Arbeit wird jedoch unterschieden zwischen der Zahlungsunfähigkeit (Unfähigkeit fällige Verbindlichkeiten zu begleichen) und der Überschuldung (Vermögen kleiner Null). Ein Problem stellt in erster Linie die Zahlungsunfähigkeit dar, auf die häufig eine Betreibung und möglicherweise eine Pfändung folgt. Überschuldung stellt kein Problem dar, solange das Individuum zahlungsfähig bleibt. Je höher die Überschuldung und je länger sie andauert, desto wahrscheinlicher wird jedoch die Zahlungsunfähigkeit. Im allgemeinen wird in dieser Arbeit angenommen, dass bei Eintreten der Überschuldung auch die Zahlungsunfähigkeit folgt. Zahlungsunfähigkeit als auch Überschuldung können mit Vorsatz herbeigeführt werden, sofern ihre Kosten, wie zum Beispiel die Kosten einer Betreibung und des Reputationsverlustes, geringer sind als der Nutzen. Der Nutzen kann bestehen aus dem erhöhten Konsum vor der Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung. Sofern kein Risiko existiert, sind Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung grundsätzlich vorsätzlich. Sobald Risiko ins Spiel kommt, besteht die Möglichkeit, dass Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ungewollt eintreten. Ein notwendiger Grund für unbeabsichtigte Zahlungsunfähigkeit ist das Vorhandensein von Kreditrestriktionen. Ist es einem Individuum möglich unbegrenzt Mittel auf dem Kapitalmarkt aufzunehmen, so wird es niemals zahlungsunfähig sein. Der Schuldenstand und damit die Gefahr der Überschuldung nehmen natürlich zu. Realistischerweise muss man allerdings mit Kreditrestriktionen rechnen. Ist Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung prinzipiell die Folge des vorhandenen Risikos? Dass heisst, es haben alle Überschuldeten schlicht Pech gehabt, sind also sog. Krisenschuldner? Diese Aussage ist nur teilweise richtig, denn es bestehen Möglichkeiten die Wahrscheinlichkeit der Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung zu beeinflussen. Das Resultat des Abschnitts 3 war, dass die Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 133 Wahrscheinlichkeit einer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung durch Ersparnis reduziert werden kann. Verantwortlich für das Ausmass dieser Vorsichtsersparnis ist die Risikoaversion eines Individuums sowie das Ausmass des Risikos selbst, gemessen anhand der Varianz bzw. der Standardabweichung. Somit drängt sich die nächste Frage auf. Was ausser der Risikoaversion und dem Risiko selbst führt dazu, dass manche Individuen weniger sparen als andere? Zum einen spielt Einkommensschwäche eine grosse Rolle (vgl. Abschnitt 3.3). Ein Individuum welches ein Einkommen bezieht, dass ihm nur mit Mühe den täglichen Bedarf deckt, kann keine Ersparnis tätigen um unerwarteten Ausgaben zu begegnen. Dies ist der Fall des sog. Armutsschuldners. Es langt bereits ein relativ milder negativer Schock um die Zahlungsunfähigkeit oder gar Überschuldung herbei zu führen. Unabhängig vom Einkommen muss zweifelsohne die Höhe der Zeitpräferenzrate als entscheidend für das Ausmass der Ersparnis genannt werden (vgl. Abschnitt 4). Je grösser die Präferenz eines Individuums für Gegenwartskonsum im Vergleich zu Zukunftskonsum, desto weniger wird es sparen und um so höher ist ceteris paribus die Wahrscheinlichkeit einer finanziellen Krise (der „Ungeduldsschuldner“). Die Jagd nach Status führt, für sich alleine genommen, nicht zu erhöhter Überschuldungswahrscheinlichkeit (vgl. Abschnitt 5.1). Allerdings heizt Statusdenken die Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern an, mit den in Abschnitt 6 erwähnten Folgen. Ein liebgewonnenes Konsumniveau, welches mit aller Kraft auch nach einem Einkommensrückgang zu erhalten versucht wird, ist ein weiterer möglicher Grund für Überschuldung (vgl. Abschnitt 5.2). Erklärt wird dieses Verhalten mit der sog. Verlustaversion. Dazu kommt, dass eine Reduktion des Konsumniveaus auf ein, dem reduzierten Einkommen angemessenes Niveau, unter Umständen nur unter Inkaufnahme hoher Transaktionskosten möglich ist. Die Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern führt zu verringerter Ersparnis (vgl. Abschnitt 6). Das Vermögen sinkt in diesem Fall durch die relativ hohe Abschreibungsrate welche die meisten langlebigen Konsumgüter besitzen. Die Überschuldungswahrscheinlichkeit steigt also. Ferner steigt vor allem die Wahr- 134 9 Schlussfolgerungen zu Teil II scheinlichkeit der Zahlungsunfähigkeit, da langlebige Konsumgüter in der Regel illiquide Vermögensbestandteile darstellen. Diese Schuldner lassen sich in die Kategorie der Anspruchsschuldner einordnen. Vor allem bei jungen Menschen wird die Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern durch die Jagd nach Status ausgelöst. Der Kauf von Autos, Stereoanlagen, Reisen usw. ist nicht selten der Grund für steigende Verschuldung. Diese kann dann schliesslich in Verbindung mit einem Einkommensrückgang oder unerwarteten Ausgaben zur Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung führen. Als ein weiterer Grund für Überschuldung wird nicht selten von den Betroffenen selbst, die mangelnde Fähigkeit mit Geld umzugehen genannt (vgl. Abschnitt 7.1). Die Überschuldung aufgrund „mangelhafter Haushaltsführung“ ist methodisch die Folge eines Optimierungsprozesses unter Risiko, mit systematischen Fehlern bei der Einschätzung des verfügbaren Einkommens sowie dessen Varianz. Überschuldung dieser Art kann eigentlich nur durch Aufklärung und Information verhindert oder zumindest eingeschränkt werden. Man könnte diese Schuldnergruppe Informationsschuldner nennen. Der letzte Abschnitt der sich mit den Gründen für Zahlungsunfähigkeit beschäftigt hat befasst sich mit dem Thema Suchtkrankheiten (vgl. Abschnitt 7.2). Zweifelsohne stellt Sucht einen Grund für Überschuldung dar, als dort vor allem die bereits erwähnten Verhaltensweisen der Zeitinkonsistenz zum Tragen kommen. Sucht als Verschuldungsgrund lässt sich in die Kategorie „Zwanghafter Konsument“ einordnen. In Tabelle II.9 sind die fünf „klassischen“ Schuldnergruppen [vgl. Hagen (1997)] sowie eine neue Kategorie, zusammen mit den Gründen für das Auftreten von Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung und ihre Fundstelle im Text wiedergegeben. Abschnitt 8 schliesslich war der empirischen Evidenz gewidmet. Eine Untersuchung in England von Lea et al. (1995) mit Mikrodaten hatte zum Ergebnis, dass vor allem Einkommensschwäche als ein Grund für Überschuldung angesehen werden muss. Eigene Untersuchungen mit Daten auf der Makroebene führten zu dem Ergebnis, dass es neben dem Niveau des Einkommens, vor allem auch die Varianz desselben ist, welche die Überschuldung beeinflusst. Der exo- Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung Tabelle II.9 135 Schuldnerkategorie und die Gründe für Zahlungsunfähigkeit/Überschuldung Fundstelle in Teil II der Arbeit Schuldnerkategorie Grund für Zahlungsunfähigkeit Krisenschuldner Ein exogener Einnahmen- oder Ausgabenschock kann zur Zahlungsunfähigkeit/Überschuldung führen Abschnitt 3 Armutsschuldner Zu geringes Einkommen um Ersparnis zu tätigen führt zu einer höheren Wahrscheinlichkeit der Zahlungsunfähigkeit/ Überschuldung Abschnitt 3.3 Ungeduldsschuldner Eine hohe Zeitpräferenzrate führt zu Verschuldung und damit erhöhter Gefahr von Zahlungsunfähigkeit/ Überschuldung Abschnitt 4 Anspruchsschuldner Die Nachfrage nach langlebigen Gütern, Statusgütern führt oft zu Verschuldung und damit zu erhöhter Wahrscheinlichkeit der Zahlungsunfähigkeit Abschnitte 5 und 6 Informationsschuldner Mangelnde Übersicht über das Haushaltsbudget führt unter Umständen zur Zahlungsunfähigkeit/Überschuldung Abschnitt 7.1 Zwanghafter Konsument Suchkrankheiten erfordern finanzielle Mittel zur Befriedigung der Sucht, daraus folgt unter Umständen Zahlungsunfähigkeit/Überschuldung Abschnitt 7.2 Grund für Überschuldung Der Kauf langlebiger Konsumgüter führt dann zu erhöhter Wahrscheinlichkeit der Überschuldung, wenn diese Güter einer hohen Abschreibungsrate unterliegen gene negative Schocks Arbeitslosigkeit hat zumindest in den 90er Jahren einen eindeutig signifikanten positiven Einfluss auf die relative Anzahl der Zahlungsbefehle als auch der Konkurse. Andere Variablen welche Einkommensschocks abbilden, wie die Scheidungsrate oder die Geburtenrate eines Kindes, sind in ihrem Einfluss nicht eindeutig signifikant, ebenso wie die Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern, wie z.B. Autos. 136 9 Schlussfolgerungen zu Teil II Resultat II.18 Die Gründe für Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung sind negative externe Schocks auf der Einnahmen- oder Ausgabenseite, häufig verbunden mit ungenügender Prävention in Form von nicht ausreichender Ersparnis. Die Gründe für die mangelnde Prävention sind vor allem eine hohe Zeitpräferenzrate und geringe Risikoaversion. Ferner spielt die Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern eine Rolle, häufig auch angeheizt durch Statusdenken. Mangelnde Fähigkeiten mit Geld umzugehen sowie Suchtkrankheiten führen ebenfalls zu finanziellen Problemen und nicht selten zu Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung. Lassen sich aus der Analyse wirtschaftspolitische Konsequenzen für eine bessere Prävention gegen Überschuldung ziehen? Ist ein Bedarf für staatliche Präventionsmassnahmen vorhanden? In erster Linie wäre die Prävention eine Aufgabe der Marktteilnehmer selbst. Das betrifft natürlich zuerst einmal den Schuldner. Die Aufnahme eines Kredits oder die Verringerung der Ersparnis erhöht die Überschuldungswahrscheinlichkeit. Dessen muss sich ein jeder bewusst sein. Andererseits liegt es auch an den Gläubigern Prävention zu betreiben. Der Vorteil eines staatlichen Betreibungsverfahren für die Gläubiger ist, dass sie die Eintreibung ihrer Aussenstände einer hoheitlichen Stelle übergeben können, die mit Hilfe der Staatsgewalt auf Begleichung der Schulden drängen kann. Damit wird die Notwendigkeit für den Gläubiger die Kreditwürdigkeit eines Kunden zu prüfen geringer. Massnahmen wie die zur Zeit diskutierte Verschärfung der Verfügbarkeit von Konsumkrediten sind auf keinen Fall geeignet die Schuldenproblematik zu lösen. Wie bereits erwähnt, kann ein funktionierender Kreditmarkt den Individuen helfen die Zahlungsunfähigkeit mit all ihren Folgen zu vermeiden. Ein Individuum Teil II Von der Verschuldung in die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 137 welches zahlungsfähig bleibt und somit nicht einem Betreibungsverfahren unterworfen wird, hat noch ehesten die Motivation und die Möglichkeiten aus einer hohen Verschuldung wieder herauszufinden. Zweifelsohne erfordert dies aber auch mehr Disziplin, als wenn exogen die Möglichkeit einer weiteren Neuverschuldung eingeschränkt wird. Die unbeschränkte Verfügbarkeit von Krediten verführt natürlich dazu diese auch auszunutzen. Es ist aber immer zu bedenken, dass die Einschränkung des Kreditmarktes alle dort handelnden Individuen betrifft, von denen der grösste Teil keine Probleme mit Überschuldung hat. Die Möglichkeiten des Staats einzugreifen, sofern dies gewünscht wird, liegen eher im ex post Bereich. Der Staat kann und sollte auch nicht die Präferenzen der Menschen beeinflussen. Durch Regulierung des Betreibungsverfahrens kann aber das Verhalten der Schuldner als auch der Gläubiger bis zu einem gewissen Grad beeinflusst werden.1 Diese Massnahme erweckt zwar den Eindruck des „am Brunnen Stehens und Zuguckens wie das Kind hineinfällt“ - aber es erscheint mir sinnvoller als den Kreditmarkt, in welcher Form auch immer, einzuschränken (vgl. dazu auch die Schlussbemerkungen in Abschnitt 2, Teil IV dieser Arbeit). Resultat II.19 Geeignete Massnahmen zur Prävention sind vor allem von Seiten der Schuldner und Gläubiger zu fordern. Staatliche Einschränkungen des Kreditmarktes sind nicht zu befürworten. Stattdessen sollte versucht werden durch die Art des Betreibungsverfahrens auf die handelnden Parteien einzuwirken. 1) Das ex post Verhalten des Schuldners wird im nächsten Teil der Arbeit behandelt. 138 10 Literatur zu Teil II 10 Literatur zu Teil II Ando, A. und Modigliani, F. (1963), The „life cycle“ hypothesis of saving: Aggregate implications and tests, American Economic Review. Arrow, K. J. (1965), Aspects of the theory of risk bearing, Yrjo Jahnsson Foundation, Helsinki. Bamberg, G. und Baur, F. (1980), Statistik, Oldenbourg Verlag, München. Becker, G. S. und Murphy, K. M. (1988), A theory of rational addiction, Journal of Political Economy 96 (4), 675 - 700. Bentham, J. (1781), Principles of Moral and Legislation. Bohley, P. (1989), Statistik: Einführendes Lehrbuch für Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler, Oldenbourg, München. Blanchard, O.J. und Mankiw, N.G. 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Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 143 Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung In den vorherigen Abschnitten wurden die Gründe für das Auftreten von Überschuldung untersucht. In Teil III geht es nun um die Folgen der Überschuldung. Was geschieht, wenn ein Individuum überschuldet ist und wie reagiert es darauf? Vereinfachend wird angenommen, dass auf Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit grundsätzlich eine Betreibung folgt. 1 Der erste Abschnitt dieses Teils enthält einen kurzen Überblick über den Stand der ökonomischen Forschung zum Thema Betreibung und Lohnpfändung sowie eine Erläuterung meiner Vorgehensweise. Im zweiten Abschnitt wird kurz die Theorie der optimalen Kontrolle vorgestellt, welche als Grundlage für die späteren Modelle dient. Der dritte Abschnitt enthält die Formulierung einiger Modelle auf Basis der mikroökonomischen Konsumtheorie, welche das Verhalten eines Schuldners in der Lohnpfändung erklären sollen. Diese Modelle werden im vierten Abschnitt mit Hilfe von Computersimulationen durchgerechnet. Der fünfte Abschnitt ist der Formulierung einiger Reformvorschläge für das Betreibungsrecht gewidmet. Die Vorschläge sind einmal die Einführung eines variablen, einkommensabhängigen betreibungsrechtlichen Existenzminimums sowie einer Restschuldbefreiung. Im sechsten Abschnitt wird dann versucht, die theoretisch hergeleiteten Ergebnisse empirisch zu untermauern. Schliesslich werden im siebten Abschnitt die Schlussfolgerungen gezogen. 1 Einleitung zu Teil III 1.1 Stand der Forschung hinsichtlich des individuellen Verhaltens bei einer Betreibung Obwohl die Verschuldung privater Haushalte und der nicht selten daraus resultierende Privatkonkurs ein häufiges Thema in sozialwissenschaftlichen Studien darstellt, tauchen mikroökonomisch fundierte Überlegungen hierzu in der 1) Die rechtlichen Folgen einer Betreibung wie zum Beispiel die Vermögens- und die Lohnpfändung wurden in Abschnitt 2 von Teil I abgehandelt. 144 1 Einleitung zu Teil III wirtschaftswissenschaftlichen Literatur eher selten auf. Dies ist erstaunlich, da die Erparnisbildung privater Haushalte wohl eine der am besten untersuchten Fragestellungen in der Volkswirtschaftslehre ist. Untersuchungen über das ex post Verhalten eines Individuums, welches also bereits überschuldet ist, sind dagegen selten. Mit der Pfändung von Vermögen beschäftigen sich Dubey und Shubik (1988), die eine „optimale“ Pfändungsregel herleiten. Die zumindest in der Schweiz viel häufigere Lohnpfändung, die Einbehaltung zukünftigen Einkommens also, wird nicht betrachtet, obwohl doch gerade sie aufgrund ihrer Anreizwirkungen ein interessantes Gebiet der Forschung sein müsste. Einzig ein Aufsatz von Dye (1986) beschäftigt sich mit Thema der Lohnpfändung. Allerdings verzichtet Dye auf die formale Endogenisierung des Arbeitsangebotes und leitet die Ergebnisse für diesen Fall nur verbal her. Sein Ergebnis ist, dass verschuldete Personen unter einem harten Pfändungsregime weniger arbeiten als unter einem etwas grosszügigerem. Allerdings wird als ein hartes Regime eines bezeichnet, welches dem Schuldner nichts mehr belässt. Die starken Vereinfachungen haben das Modell von Dye relativ einfach und überschaubar gemacht. Allerdings gehen gleichzeitig die Möglichkeiten verloren, die Situation, wie sie sich unter den gegebenen Rechtsbestimmungen darstellt, und mögliche Reformen vor einem realistischen Hintergrund zu analysieren. Im Bereich der empirischen Studien haben Sullivan et al. (1989, 1994) eine erste tiefgreifende Analyse der Verschuldungs- und Konkursproblematik privater Haushalte in den USA geliefert.1 Für Deutschland sind ähnliche Studien von Rosendorfer (1993) und den Landesarbeitsämtern Nordrhein-Westfalens und Baden-Württembergs (1996) unternommen worden. In der Schweiz stellt die von Meier et al. (1999) im Jahre 1997 durchgeführte Datenerhebung eine erste Untersuchung dieser Art dar.2 1) Vgl. auch Abschnitt 6.1 dieses Teils. 2) Für einen Überblick über die Ergebnisse der Datenerhebung vgl. Abschnitt 3 in Teil I dieser Arbeit. Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 145 1.2 Modellierung und Vorgehensweise Ziel meiner Modelle ist es, das Verhalten eines Individuums abzubilden, welches einer Pfändung unterliegt. Da die Vermögenspfändung in der Schweiz nur noch eine geringe Bedeutung besitzt, konzentriere ich mich auf die Lohnpfändung. Von besonderem Interesse ist die Frage, unter welchen Bedingungen die Pfändung zu einer Tilgung der Schuld führt und wann nicht. Zu diesem Zweck erweitere ich ein Einperioden-Modell erst auf zwei und dann auf n Perioden. Die Gründe, welche das Individuum in die Verschuldung führten, sowie die Anreizeffekte verschiedener Pfändungsregime auf das Präventionsverhalten, sollen an diese Stelle nicht interessieren. Es wird angenommen, das Individuum sei zu Beginn des Optimierungszeitraums bereits überschuldet und eine Lohnpfändung sei eingeleitet. Da ein derartiges Modell mit exogenem Arbeitsangebot kaum interessante Ergebnisse liefern kann, muss das Arbeitsangebot endogenisiert werden. Der Preis für diese realistischere Modellierung ist, dass ein Modell mit endogenem Konsum und Arbeitsangebot über n Perioden hinweg mathematisch recht anspruchsvoll wird. Mit Hilfe der Theorie der optimalen Kontrolle können mögliche Optimierungspfade isoliert und interpretiert werden. Eine qualitative Analyse der Bedingungen, unter welchen Schuldentilgung erfolgt und wann nicht, ist allerdings schon nicht mehr durchführbar. Auch die Ergebnisse der Datenerhebung (vgl. Meier et al. (1999) sowie Abschnitt 3 in Teil I dieser Arbeit), sind nur sehr eingeschränkt zu Überprüfung des Schuldnerverhaltens während einer Lohnpfändung verwendbar. Der Grund liegt darin, dass diese Datenerhebung zum einen eine Querschnittsanalyse darstellt, während für eine Analyse des Verhaltens eher Zeitreihendaten notwendig wären, und zum anderen schlicht die Anzahl derer, die einer Lohnpfändung unterliegen, für eine empirische Analyse zu gering ist. Zu diesem Zweck habe ich schliesslich Computersimulationen durchgeführt, mit deren Hilfe das dynamische Modell getestet werden soll. Es können damit verschiedene exogene Parameter bestimmt und ihre Wirkung auf das Verhalten getestet werden. Schliesslich werden mit Hilfe der Simulationen auch zwei Reformvorschläge analysiert. 146 2 Intertemporale Optimierung mit Hilfe der Theorie der optimalen Kontrolle 2 Intertemporale Optimierung mit Hilfe der Theorie der optimalen Kontrolle Dynamische Modelle lassen sich unter bestimmten Voraussetzungen mit der Theorie der Optimalen Kontrolle lösen. Mit ihrer Hilfe lassen sich dann die Optimierungspfade über die Zeit errechnen. Bei den klassischen Modellen werden dagegen nur einzelne Gleichgewichtspunkte beschrieben. Bevor ich das Modell eines verschuldeten Haushalts angehe, werde ich die Grundzüge der Theorie der optimalen Kontrolle anhand eines Konsum-Freizeit-Modells vorstellen. Einen guten Überblick über die Theorie der optimalen Kontrolle geben Feichtinger und Hartl (1986), Fryer und Greenman (1987) oder auch Chiang (1992). 2.1 Das dynamische Konsum-Modell mit endogenem Arbeitsangebot Ausgegangen wird von einer gewöhnlichen Zielfunktion der Art, T V = ∫e – δt ⋅ U ( c t, l t ) dt . (III.1) 1 Ein Individuum maximiere seinen Nutzen aus Konsum (ct) und Freizeit (lt) innerhalb eines Zeitraums von T Perioden. Die Variable T steht für das Ende des bekannten Optimierungshorizontes. Der Konsum zukünftiger Perioden wird mit der Zeitpräferenzrate δ abdiskontiert. Die beiden Variablen ct und lt sind die sog. Kontrollvariablen. Das Individuum steuert seinen Optimierungspfad zu jedem Zeitpunkt t durch Veränderungen von ct bzw. lt. Durch den Konsum bzw. die Freizeit ändert sich der Bestand des Vermögens · vt. Die Veränderung der Zustandsvariablen vt in der Zeit ( v t = ∂v t ⁄ ∂t ) ist gege- ben durch die Differenz aus Zinsertrag r t ⋅ v t plus Arbeitseinkommen w t ⋅ ( 1 – l t ) , abzüglich dem Wert des Konsums p t ⋅ c t . Es wird angenommen, dass die zukünftigen Werte von r t, w t und p t für jede Periode bekannt sind. Die sog. Bewegungsgleichung lautet: Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung · vt = vt ⋅ rt + wt ⋅ ( 1 – lt ) – pt ⋅ ct . 147 (III.2) Schliesslich bedarf es noch einer Endbedingung. Im allgemeinen wird für Konsum-Modelle mit Vermögensverzehr angenommen, der Wert des Vermögens müsse am Ende der Optimierung gleich Null sein (vgl. dazu auch Abschnitt 2.1, Teil II). Dadurch ergibt sich: vT = 0 . (III.3) Nach Formulierung der Zielfunktion (III.1) und der Bewegungsgleichung (III.2) lässt sich die sog. Hamiltonfunktion wie folgt schreiben: T H(t) = ∫ e – δt ⋅ U ( c t, l t ) + λ t ⋅ [ v t ⋅ r t + w t ⋅ ( 1 – l t ) – p t ⋅ c t ]dt . (III.4) 0 Die Hamiltonfunktion ist vergleichbar mit der herkömmlichen Lagrangefunktion. Als zulässige Kontrolltrajektorien, werden alle im Zeitintervall [0, T] stückweise stetigen Funktionen von ct und lt betrachtet [vgl. Feichtinger und Hartl (1986), Kap. 2]. Der Parameter λ t ist wie bei der Lagrangefunktion als Lagrangemultiplikator zu interpretieren. Der Unterschied zum statischen Modell (vgl. Abschnitt 2.1 in Teil II) ist, dass λ t nicht konstant ist. Er ist als Schattenpreis der restringierenden Variablen (in diesem Fall des Vermögens vt) zu interpretieren. Eine marginale Einheit Vermögensverzehr zum Zeitpunkt t, verringert den maximalen Wert des zukünftigen Vermögens und damit der Zielfunktion (III.4) um λ t . Die Variable λ t wird auch Kozustandsvariable genannt. Die Maximierung der Hamiltonfunktion erfolgt analog zur Maximierung einer Lagrangefunktion. Die Differenzierung der Hamiltonfunktion nach den Kontrollvariablen ct und lt (mit t < T) ergibt die Bedingungen erster Ordnung für ein Maximum: 148 2 Intertemporale Optimierung mit Hilfe der Theorie der optimalen Kontrolle ∂H ∂U – δ t ------- = 0 ⇒ ------- ⋅ e = λt ⋅ pt ∂c t ∂c t (III.5) und ∂U – δ t ∂H ------- = 0 ⇒ ------- ⋅ e = λt ⋅ wt . ∂l t ∂l t (III.6) Die Ableitung der Hamiltonfunktion nach der Kozustandsvariablen λ t ergibt die Bewegungsgleichung: ∂H · · -------- = v t ⇒ v t ⋅ r t + w t ⋅ ( 1 – l t ) – p t ⋅ c t = v t . ∂λ t (III.7) Die Hamiltonfunktion wird zusätzlich noch nach der Zustandsvariablen vt differenziert. Die sog. Kozustandsgleichung · · ∂H ------- = – λ t ⇒ – λ t = λ t ⋅ r , ∂v t (III.8) gibt an wie sich der Schattenpreis des Vermögens ändert. Da die Zustandsvariable λ t und der Zins r annahmegemäss positiv sind, fällt der Schattenpreis im Zeitablauf. Die Opportunitätskosten des Vermögensverzehrs werden mit der Zeit geringer. Wie auch im statischen Modell konsumiert das Individuum Freizeit und Güter in jeder Periode in einer Relation, dass das Grenznutzenverhältnis von Konsum und Freizeit dem Preis/Lohnverhältnis entspricht, ∂U ⁄ ∂c t pt ------------------- = ----- . ∂U ⁄ ∂l t wt (III.9) Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 149 2.2 Analyse im Phasenportrait Eine Analyse im Phasenportrait bietet die Möglichkeit die Konsumpfade des Haushalts grafisch zu analysieren. Um die Konsumpfade analysieren zu können, muss eine funktionale Form für die Nutzenfunktion angenommen werden. Bei dieser ersten Analyse eines Standardmodells wähle ich die mathematisch einfachste Form: Eine logarithmische Nutzenfunktion, abgeleitet von der CobbDouglas-Nutzenfunktion. Ferner wird angenommen, dass die Zins-, Lohn- und Preisniveaus sich im Zeitablauf nicht verändern und bekannt sind. Die Zeitindizes können somit bei der Darstellung von r, w und p vernachlässigt werden. Die verwendete Nutzenfunktion hat die Form: U = α ⋅ ln c t + ( 1 – α ) ⋅ ln l t . (III.10) 2.2.1 Der Gleichgewichtspfad für das Vermögen Den ersten Schritt einer Analyse im Phasenportrait bildet die Berechnung der Gleichgewichtsgeraden für die Zustandsvariable vt. Auf dieser Gleichgewichtsgeraden findet keine Veränderung des Vermögensbestandes statt, dass heisst · vt = 0 . Die Differenzierung der funktionalen Form der Nutzenfunktion nach den Kontrollvariablen c t und l t [vgl. Gleichung (III.10)] ergibt: ∂U α ∂U 1–α ------- = ---- bzw. ------- = ------------ . ∂l t ct ∂c t lt (III.11) Nach Ersetzen der Ableitungen der Nutzenfunktion in den Gleichungen (III.5) und (III.6) durch die expliziten Ableitungen der Gleichung (III.10), ergeben sich die Bedingungen erster Ordnung wie folgt: 150 2 Intertemporale Optimierung mit Hilfe der Theorie der optimalen Kontrolle –δ t α⋅e ------------------ = λ t ⋅ p ct (III.12) und –δ t (1 – α) ⋅ e -------------------------------- = λ t ⋅ w . lt (III.13) Die Gleichung (III.12) wird nach λ t aufgelöst und in Gleichung (III.13) eingesetzt. Diese Gleichung lässt sich dann schliesslich nach der Variable ct auflösen und man erhält α ⋅ w ⋅ lt c t = ------------------------- . p ⋅ (1 – α) (III.14) Der erhaltene Ausdruck (III.14) wird in die Bewegungsgleichung (III.7) eingesetzt und somit gilt · α⋅w v t = v t ⋅ r + w – l ⋅ w – ----------------- . (1 – α) (III.15) · Die Vermögensveränderung v t ist jetzt nur noch von den beiden endogenen Variablen vt und lt abhängig. Aus dieser Gleichung lässt sich ein Gleichgewichtspfad für die Vermögensveränderung ermitteln. Der Gleichgewichtspfad für das Vermögen ist dadurch gekennzeichnet, dass die Vermögensveränderung gleich · Null ist ( v t = 0 ). Es gilt · v t = 0, wenn r ⋅ (1 – α) l t = v t ⋅ ------------------------ + ( 1 – α ). w (III.16) Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 151 Eine Abweichung des Freizeitkonsums von diesem Gleichgewichtswert führt zu einer Veränderung des Vermögens. Eine Unterschreitung des Wertes führt zu einer Steigerung des Vermögens, das Individuum spart also: · v t > 0, wenn (III.17) r ⋅ (1 – α) l t < v t ⋅ ------------------------ + ( 1 – α ). w Eine Überschreitung führt zu einer Verringerung des Vermögensbestandes, das Individuum entspart: · v t < 0, wenn (III.18) r ⋅ (1 – α) l t > v t ⋅ ------------------------ + ( 1 – α ). w Die Gleichgewichtsgerade ist in Abbildung III.1 dargestellt. 2.2.2 Der Gleichgewichtspfad für die Freizeit Als nächstes wird die Veränderung des Freizeitkonsums in der Zeit untersucht. Die Ableitung der Nutzenfunktion (III.11) in Gleichung (III.6) eingesetzt und nach lt aufgelöst ergibt: – δt e ⋅ (1 – α) l t = -------------------------------- . λt ⋅ w (III.19) Gleichung (III.19) lässt sich nach der Zeit ableiten, · – δt – δt ( –δ ⋅ e ⋅ λt ⋅ w – e ⋅ w ⋅ λt ) ⋅ ( 1 – α ) · l t = --------------------------------------------------------------------------------------------------- . 2 ( λt ⋅ w ) (III.20) 152 2 Intertemporale Optimierung mit Hilfe der Theorie der optimalen Kontrolle · λ t in Gleichung (III.20) wird durch Gleichung (III.8) ersetzt und nach einigen weiteren Umformungen erhält man den Ausdruck für die Veränderung des Freizeitkonsums in der Zeit: · l = lt ⋅ ( r – δ ) . (III.21) Die Veränderung der Freizeit ist gleich Null, sofern die konsumierte Freizeit Null ist oder der Zins exakt der Zeitpräferenzrate entspricht. Ist der Zins grösser als die Zeitpräferenzrate, so steigert das Individuum seine Freizeit im Zeitablauf. Der Grund hierfür ist, dass zukünftiger Konsum bzw. Freizeit, als eine besondere Form des Konsums, mit einem geringeren Wert abdiskontiert werden, als Ersparnis verzinst wird. Es ist somit optimal Konsum und Freizeit von der Gegenwart in die Zukunft zu verlegen. Ist der Zins kleiner als die Zeitpräferenzrate so verringert das Individuum seinen Konsum und die Freizeit im Zeitablauf. In diesem Fall wird zukünftiger Konsum stärker abdiskontiert als die Ersparnis verzinst wird. Es ist optimal mehr in der Gegenwart zu konsumieren als in der Zukunft. In Abbildung III.1 sind die Bewegungen im Freizeit-Vermögensraum zweier unterschiedlicher Individuen abgetragen. Ein Individuum mit einer relativ niedrigen Zeitpräferenzrate ( δ < r ) startet mit relativ niedrigem Freizeitkonsum (Punkt A) und häuft in den folgenden Perioden Vermögen an. Dieses wird gegen Ende seines Optimierungshorizontes dann verbraucht. Sein Freizeitkonsum steigt über die gesamte Zeit hinweg. Ein Individuum mit einer relativ hohen Zeitpräferenzrate ( δ > r ) startet mit einem relativ hohen Freizeitkonsum (Startpunkt B) den er dann über die Zeit hinweg senkt. Dieses Individuum entspart vom ersten Augenblick an. In beiden Fällen enden die Individuen bei der Endbedingung v T = 0 . In einem letzten Schritt sollen nun die Konsumpfade von lt und ct berechnet werden. Die Auflösung der Differentialgleichung (III.8) ergibt: λt = K ⋅ e – rt . (III.22) Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 153 Abbildung III.1 Phasenportrait l < < < <B < < r>δ < < < < .v = 0 r<δ > 1 A > r>δ r<δ v0 vT = 0 v Die Variable K stellt die Konstante aus der Integration dar. Gleichung (III.22) in die Gleichungen (III.14) und (III.19) eingesetzt ergibt: t( r – δ) α⋅e c t = -------------------------p⋅K (III.23) und t( r – δ ) (1 – α) ⋅ e l t = ---------------------------------------- . w⋅K (III.24) Die Gleichungen (III.23) und (III.24) geben die Konsumpfade für Güter- und Freizeitkonsum in der Zeit an. Je nachdem ob der Zins grösser oder kleiner als die Zeitpräferenzrate ist, erscheint die Exponentialfunktion im Zähler oder im Nenner des Bruches und vergrössert bzw. verkleinert dessen Wert mit steigendem t. Der Startwert in t = 0 ist gegeben durch 1 ⁄ ( w ⋅ K ) . Durch Berechnung der Konstanten liesse sich das Niveau des Konsums bzw. der Freizeit ermitteln. 154 2 Intertemporale Optimierung mit Hilfe der Theorie der optimalen Kontrolle Allerdings wird dies bei zwei Kontrollvariablen mathematisch bereits sehr anspruchsvoll, weshalb das Modell eines verschuldeten Individuums später auch mit Hilfe von Computersimulationen durchgerechnet wird. Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 155 3 Die Modellierung des Verhalten eines Haushalts in der Lohnpfändung Nach der Erläuterung der Theorie der optimalen Kontrolle zur Lösung dynamischer Modelle im vorherigen Kapitel, werde ich jetzt vorläufig wieder zur statischen Betrachtung zurückkehren. Im ersten Abschnitt dieses Kapitels werde ich die Wirkung einer Lohnpfändung in einem statischen Modell vorstellen. Vor allem das Zweiperioden-Modell ist dazu geeignet den Trade-off in der Entscheidung des Individuums darzustellen. Im zweiten Abschnitt wird schliesslich dieses Modell dynamisiert und bildet somit die Grundlage für die Simulationsrechnungen. 3.1 Das statische Modell 3.1.1 Die Reaktion eines Individuums in einem Einperioden-Modell Es wird in diesem und in den folgenden Modellen angenommen, dass betrachtete Individuum sei überschuldet und eine Betreibung sei bereits eingeleitet worden. Da aufgrund fehlenden Vermögens eine Vermögenspfändung erfolglos wäre, wird der betroffenen Person nun der Lohn gepfändet bis die zu zahlende Schuld beglichen ist. Die Lohnpfändung hat zur Folge, dass das verfügbare Einkommen sich auf das betreibungsrechtliche Existenzminimum beschränkt. Alles was darüber hinaus erwirtschaftet wird unterliegt der Pfändung.1 Es wird ferner davon ausgegangen, dass das Individuum mindestens ein Konsumniveau in Höhe des Existenzminimums erreichen möchte. Der Arbeitseinsatz wird also bei Absenz von Sozialtransfers mindestens zur Finanzierung des Existenzminimums ausreichen. In Abbildung III.2 ist das Nutzenoptimum eines Individuums im Rahmen eines einperiodigen Modells grafisch wiedergegeben. Das Individuum kann mit Hilfe seines Einkommens, welches durch seinen Arbeitseinsatz und den Lohnsatz bestimmt wird, Konsumgüter kaufen. Seine Budgetrestriktion lautet somit 1) Vgl. hierzu auch Abschnitt 2 in Teil I. 156 3 Die Modellierung des Verhalten eines Haushalts in der Lohnpfändung Abbildung III.2 Das Individuum in der Lohnpfändung Einperioden-Modell c w/p c1 U2 U1 A c2= m B l1 l2 1 l p ⋅ c = w ⋅ (1 – l) . (III.25) Die Variable p steht für den Preisvektor der Konsumgüter, c ist das Konsumgüterbündel und w repräsentiert den Lohnsatz. Die Zahl 1 steht für die maximal zur Verfügung stehende Zeit und l ist der Freizeitkonsum. Das Individuum maximiert eine Nutzenfunktion mit den Argumenten Konsum und Freizeit, U = U ( c, l ) . (III.26) Ohne Lohnpfändung wähle das Individuum zum Beispiel den Punkt A (vgl. Abbildung III.2), mit dem dazugehörigen Güterkonsum c1 und dem Freizeitkonsum l1. Erfolgt eine Lohnpfändung und das Einkommen wird bis auf das betreibungsrechtliche Existenzminimum m gepfändet, so wählt das Individuum B als neuen Konsumpunkt. Sein Güterkonsum c2 ist auf das Existenzminimum m beschränkt und es steigert seinen Freizeitkonsum soweit, dass es mit seinem Arbeitseinkommen nur noch das betreibungsrechtliche Existenzminimum verdient [ w ⋅ ( 1 – l 2 ) = m ]. Der Pfändungserfolg ist damit gleich Null, es erfolgt Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 157 keine Verringerung der Schuld.1 Ein Freizeitkonsum geringer als l2 ist nicht mehr optimal. Punkt B stellt einen Kumulationspunkt dar, an dem sich alle Optimalpunkte der Indifferenzkurven „sammeln“, deren Tangentialpunkte mit der ursprünglichen Budgetgerade (vor der Pfändung) oberhalb von Punkt B liegt. Resultat III.1 Im Rahmen eines Einperioden-Modells führt die vollständige Pfändung des Einkommens oberhalb des betreibungsrechtlichen Existenzminimums zu einer Reduzierung des Arbeitsangebotes auf das zur Erreichung des Existenzminimums notwendige Mass und somit zu einem Pfändungserfolg von Null. 3.1.2 Das Zweiperioden-Modell Das soeben beschriebene Modell ist allerdings vor allem in einer Hinsicht ungenügend, nämlich der Beschränkung auf eine einzige Periode. Wird eine zweite Periode eingeführt, so vergrössert sich der Entscheidungsraum für das Individuum. Wiederum könnte es sich bei einer Lohnpfändung zur Reduktion seines Arbeitsangebotes auf das zur Erwirtschaftung des Existenzminimums notwendige Mass beschränken. Die andere Möglichkeit ist jedoch einen Arbeitseinsatz zu leisten, bei dem ein Einkommen erreicht wird, welches höher als das Existenzminimum ist. In diesem Fall ist irgendwann einmal die Schuld vollständig abgetragen und die Konsumrestriktion verschwindet. Das Individuum steht also vor der Entscheidung Freizeit heute gegen Konsum morgen einzutauschen. Die Frage lautet: Unter welchen Bedingungen wird das Individuum sich entscheiden über das Existenzminimum hinaus zu arbeiten um seine Schuld abzutragen und unter welchen Bedingungen wird es sich „gehen lassen“? 1) Von der Möglichkeit, dass die Schuldtilgung an sich Nutzen bringt, also ein Argument in der Nutzenfunktion darstellt, wird abgesehen. 158 3 Die Modellierung des Verhalten eines Haushalts in der Lohnpfändung Die Entscheidungssituation des von der Lohnpfändung betroffenen Individuums lässt sich im Zweiperioden-Modell mit Hilfe der Abbildung III.3 sehr gut verdeutlichen. Das betrachtete Individuum maximiert wiederum seinen Nutzen aus Konsum (c) und Freizeit (l) in jeder der beiden Perioden. Da ich an dieser Stelle das Modell so einfach wie möglich konzipieren will, werden Lohnsatz, Güterpreise, Zins und Zeitpräferenzrate konstant gehalten und auf 1 normiert. Die Grafiken auf der linken Seite der Abbildung III.3 zeigen jeweils den Freizeit/Konsum-Entscheid ( c 1, l 1 ) in der ersten Periode, die auf der rechten Seite den Freizeit/Konsum-Entscheid ( c 2, l 2 ) in der zweiten Periode. Im obersten Teil A sei das Existenzminimum in beiden Perioden auf mA festgelegt. Der Konsumpunkt in einem Zustand ohne Pfändung wäre durch die Tangentialpunkte (Q 1 **, Q 2 **) der Indifferenzkurven U1 ** bzw. U2** mit der jeweiligen Budgetgeraden gegeben. Befindet sich das Individuum in einer Lohnpfändung, so reduziert sich sein maximaler Konsum auf das betreibungsrechtliche Existenzminimum m A. In Absenz einer zweiten Periode wäre das Optimum am Eckpunkt Q1 (vgl. das Ergebnis des Einperioden-Modell in Abschnitt 3.1.1). Das Individuum würde relativ viel Freizeit l1 wählen, also nur noch soviel arbeiten, dass es sich das Existenzminimum leisten kann (Indifferenzkurve U 1 ).1 Damit baut es jedoch seine Schuld nicht ab, mit der Folge, dass der Konsum der zweiten Periode durch die fortgesetzte Lohnpfändung ebenfalls auf m A beschränkt wird (erreichte Indifferenzkurve U 2 ). Alternativ könnte das Individuum die Schuld in der ersten Periode tilgen. Der Betrag dieser Schuld sei exogen gegeben. Um diese Schuld zu tilgen, müsste das krit Individuum ein Arbeitsangebot leisten welches grösser als 1 - l A ist. In der Folge wäre es am Ende der ersten Periode schuldenfrei. In diesem Fall hätte es in der ersten Periode eine Nutzeneinbusse in Höhe der Strecke AB aufgrund der geringeren Freizeit. In der zweiten Periode jedoch hätte die Lohnpfändung ein Ende, und das Individuum käme gegenüber dem Pfändungsfall in den Genuss eines Nutzenzuwachses in Höhe der Strecke CD. Im Teil A der Abbildung III.3 1) Diese Aussage gilt nicht nur für das in Abbildung III.3 gezeigte Präferenzfeld, sondern für alle jene Felder, deren Grenzrate der Substitution von Freizeit für Arbeitseinkommen bzw. Konsum bei Q1 hinter dem erzielbaren Lohnsatz zurückbleibt. Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 159 Abbildung III.3 Wirkung einer Existenzminimumserhöhung auf das Arbeitsangebot c1 A. Ausgangssituation: Existenzminimum bei mc2 A Q1 ** Q2 ** D U1 ** U*1 mA c1 B mA c1 C U1 Q2 A l1 1 lkrit A R1 A lkrit lkrit B A U1 l2 1 R2 U2 ** U2 U*1 l1 1 l2 c2 B S1 U*1 A lkrit lkrit B C 1 Q2 ** D C C. Existenzminimum bei mC mC mB U2 c2 B. Existenzminimum bei mB B mB Q1 U2 ** Q2 ** D C S2 U2 U** 2 U1 1 l1 1 l2 160 3 Die Modellierung des Verhalten eines Haushalts in der Lohnpfändung ist die Strecke CD grösser als AB. Damit übersteigt der Nutzengewinn infolge Beendigung der Pfändung den Nutzenverlust infolge weniger Freizeit, und das Individuum entscheidet sich zu einer Tilgung der Schuld. Im Teil B der Abbildung III.3 wurde das Existenzminimum von mA auf mB erhöht. Bei der eingezeichneten Präferenzstruktur wird das Individuum seinen Konsum entsprechend erhöhen und auf den Eckpunkt R1 übergehen. Damit bleibt aber vom Lohneinkommen für die Rückzahlung der Schuld nichts übrig. Will das Individuum an der Rückzahlung festhalten, muss es auf Freizeit verzichten. krit krit Deren kritischer Wert sinkt von l A beispielsweise auf l B aufgrund des höheren Existenzminimums und ceteris paribus dementsprechend geringeren Pfändungserfolgs. Das dazugehörige Nutzenniveau ist durch die Indifferenzkurve ∗ U 1 gegeben, so dass die Strecke AB wiederum den Nutzenentgang anzeigt, der in der ersten Periode durch die Schuldenrückzahlung verursacht wird. In der zweiten Periode ermöglicht die Befreiung von der Pfändung einen Nutzengewinn im Betrage von CD. Im Vergleich zur Ausgangssituation (Teil A der Abbildung III.3) fällt dieser Gewinn allerdings geringer aus, weil ja das Existenzminimum mit mB grosszügiger festgelegt wurde. Es wirkt deshalb als Restriktion weniger bindend. Dennoch wird sich das Individuum nach wie vor zur Tilgung der Schuld entscheiden, denn die Differenz zwischen Nutzengewinn CD und Nutzenverlust AB ist immer noch positiv. Der Teil C der Abbildung III.3 zeigt eine nochmalige Erhöhung des Existenzminimums auf mC. Gegeben, dass das Individuum einmal mehr den Eckpunkt S1 wählt, also die erweiterte Konsummöglichkeit ausschöpft, müsste es nochmals auf Freizeit verzichten, um die Schuld zurückzahlen zu können. Dies wird durch krit krit den Übergang von l B auf l C angezeigt. Die Begleichung der Schuld in der ersten Periode ist demnach mit dem Nutzenniveau U 1 verbunden und führt zu einer Nutzeneinbusse im Betrag von AB. Der Nutzengewinn durch Beendigung der Betreibung in der zweiten Periode reicht nicht mehr aus, um das Individuum für die zur Schuldentilgung notwendige Freizeitverringerung in der ersten Periode zu entschädigen (Strecke CD kleiner als Strecke AB). Das Individuum zieht Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 161 es vor, sein Arbeitsangebot auf das für das Existenzminimum notwendige Ausmass zu reduzieren und die Schuld nicht zu tilgen. Einen weiteren exogenen Schock stellt die Erhöhung der abzutragenden Schuld dar. Dieser Fall ist in Abbildung III.4 dargestellt. Die Abbildung ist nach demselben Prinzip wie Abbildung III.3 aufgebaut. Die Grafiken auf der linken Seite zeigen den Entscheid des Individuums in der ersten, die Grafiken auf der rechten Seite den Entscheid in der zweiten Periode. In der Ausgangsituation besteht eine Startschuld in einer Höhe, dass ein Arbeitsangebot in Höhe von krit 1 – l A notwendig ist um die Schuld innerhalb der ersten Periode zu tilgen. Die Alternative der Tilgung wäre wiederum das Stehenlassen der Schuld und ein Konsum am Eckpunkt Q1. Da der Nutzenverlust durch die geringere Freizeit bei einem Abbau der Schuld (Strecke AB) geringer ist als der Nutzengewinn in der Folgeperiode durch unbeschränkten Konsum (Strecke CD), entschliesst sich das ∗ Individuum zu einer Schuldtilgung (Indifferenzkurve U 1 ). Eine Erhöhung des Ausgangswertes der Schuld hat eine Reduktion der Freizeit zur Folge sofern die Schuld getilgt werden soll (= Linksverschiebung von krit krit l A nach l B in Abbildung III.4). Die Budgetgerade aber bleibt unverändert. Um die Schuld zu tilgen, muss mehr Freizeit geopfert werden, der Nutzenverlust in der ersten Periode wird grösser. Im Beispiel der Abbildung III.4 entscheidet sich das Individuum nach der ersten Erhöhung der Startschuld, trotz des erhöhten Freizeitverlustes, nach wie vor dazu die Schuld zu tilgen (Strecke AB kleiner als krit die Strecke CD). Nach der zweiten Erhöhung (Linksverschiebung von l B nach krit l C ) wird der Freizeitverlust bei Schuldtilgung jedoch so gross, dass der Nutzenentgang während der Tilgungsphase (Strecke AB) grösser ist als der Nutzengewinn durch die beendigte Betreibung (Strecke CD). Das Individuum verzichtet auf die Tilgung seiner Schulden. 162 3 Die Modellierung des Verhalten eines Haushalts in der Lohnpfändung Abbildung III.4 Wirkung einer Erhöhung der Startschuld auf das Arbeitsangebot c1 c2 A. Ausgangssituation U2 Q1** Q2** B Q1 m A c1 U2 ** lAkrit B: 1. Erhöhung der Startschuld U1 ** U1 m Q1 C * U1 1 D l1 A c1 l1 l2 c2 U2 U2 ** Q2 ** B R1 1 C * U1 C: 2. Erhöhung der Startschuld m l2 D Q1 U1 m 1 lBrit lAkrit 1 U2 ** Q2 ** B S1 l2 c2 U2 m 1 U*1 m D Q1 C U1 A lCkrit lBkrit lAkrit ki 1 l1 Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 163 Resultat III.2 Im Rahmen eines Zweiperioden-Modells lässt sich festhalten, dass eine Erhöhung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums zu einer Verstärkung der Arbeitsanstrengungen führen kann. Dies gilt so lange, wie der Nutzengewinn aus einem Abbau der Verschuldung und der daraus resultierenden Beendigung der Lohnpfändung, grösser als der Nutzenverlust durch den verringerten Freizeitkonsum in der ersten Periode ist. Dasselbe gilt für eine exogene Erhöhung der Startschuld. 3.2 Ein dynamisches Multiperioden-Modell Im soeben vorgestellten Zweiperioden-Modell hatte das Individuum nur die Wahl zwischen Bezahlen der Schuld und Nichtbezahlen. Tatsächlich kann eine Person mit längerem Zeithorizont auch noch die Dauer der Rückzahlung bestimmen. Da die Schuld in der Schweiz während der Lohnpfändung nicht verzinst wird (vgl. Abschnitt 2 in Teil I), ist dieser Punkt natürlich auch für den oder die Gläubiger von grosser Bedeutung. Um diesen Freiheitsgrad mit in das Modell einzubauen, muss es dynamisiert werden. Für die Lösung eines solches dynamischen Modells bietet sich die in Abschnitt 2 erläuterte Theorie der optimalen Kontrolle an. 3.2.1 Das Modell Die Zielfunktion sowie die Bewegungsgleichung sind dieselben wie im vorgestellten Standardmodell des Abschnitts 2 (die jeweiligen Lagrangemultiplikatoren erscheinen in Klammern): 164 3 Die Modellierung des Verhalten eines Haushalts in der Lohnpfändung T V = ∫ e – δt ⋅ U ( c t, l t ) dt (III.27) 1 und · v t = v t ⋅ r t + w t ⋅ ( 1 – l t ) – p t ⋅ c t . ( 1λ t ) (III.28) Die Zukunftswerte des Zinssatzes rt, des Lohnsatzes wt sowie des Preisniveaus pt sind wiederum bekannt. Durch die Lohnpfändung (das Einkommen oberhalb des Existenzminimums wird gepfändet) müssen dem Modell noch einige Restriktionen auferlegt werden. Als Vereinfachung nehme ich an, dass ein negatives Vermögen (vt < 0) den Sachverhalt der Überschuldung kennzeichnet (vgl. auch Abschnitt 1 in Teil II). Dass heisst, in dem Augenblick in dem das Vermögen des Individuums negativ wird, kommt es zu einer Betreibung und einer Lohnpfändung. Von dem Augenblick an, in dem die Schulden abgebaut sind ( v t ≥ 0 ), ist die Lohnpfändung beendet und das Individuum kann über sein Einkommen wieder frei entscheiden. Mathematisch lässt sich diese Pfändungsbedingung durch eine Art Kuhn-Tucker Bedingung ausdrücken:1 ( p t ⋅ c – m ) ⋅ v t ≥ 0. t ( 2λt ) (III.29) Solange wie vt < 0 und dem Individuum der Teil des Einkommens gepfändet wird welcher das Existenzminimum m übersteigt, muss p t ⋅ c – m ≤ 0 gelten, t dass heisst p t ⋅ c , der Wert des Konsums also, kann nicht grösser als das betreit bungsrechtliche Existenzminimum m sein. p t ⋅ c > m ist erst möglich, wenn t v t ≥ 0 , also keine Schuld mehr besteht und die Lohnpfändung beendet ist. Konsum und Freizeit unterliegen beide einer Nichtnegativitätsbedingung, so dass 1) Den Hinweis zur mathematischen Formulierung dieses Problems verdanke ich Prof. Dr. Stefan Felder (Universität Magdeburg). Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung ct ≥ 0 165 ( 3λt ) (III.30) ( 4λt ) (III.31) und lt ≥ 0 . Das betreibungsrechtliche Existenzminimum stellt keinen staatlichen Transfer dar, sondern ist der Betrag, der dem Individuum von seinem eigenen Einkommen nach der Lohnpfändung belassen wird. Es ist also noch zu gewährleisten, dass das Individuum mindestens das betreibungsrechtliche Existenzminimum erarbeitet. Damit eine weitere Verschuldung nicht möglich ist gilt: wt ⋅ ( 1 – lt ) ≥ m . ( 5λt ) (III.32) Schliesslich ist noch das Problem der Endbedingung zu lösen. Im Normalfall wird die Restriktion auferlegt, dass Vermögen solle in Absenz eines Erbschaftsmotivs am Ende der letzten Periode gleich Null sein (vgl. Abschnitt 2.1 in Teil II sowie 2.1 in Teil III). Wird diese Bedingung in das vorliegende Modell eingeführt, so wird das Individuum allerdings dazu „gezwungen“ die Schuld bis zum Ende der letzten Periode zu tilgen. Da aber gerade die Frage wann eine Schuld getilgt wird und wann nicht von Interesse ist, wird die Endbedingung etwas gelockert indem gefordert wird, das Vermögen dürfe am Ende der letzten Periode nicht positiv sein: v T ≤ 0. 1λ t (III.33) Da sich die Endbedingung auf das Vermögen vt bezieht, ist der dazugehörige Lagrangemultiplikator 1λt , der Multiplikator der Bewegungsgleichung (III.28). Die Lösung eines Kuhn-Tucker Problems im dynamischen Kontext erfolgt ähnlich wie beim statischen Modell [vgl. Chiang (1992), Kap. 10]. Die ursprüngli- 166 3 Die Modellierung des Verhalten eines Haushalts in der Lohnpfändung che Hamiltonfunktion mit der Zielfunktion (III.27) und der Bewegungsgleichung (III.28), T H(t) = ∫e –δ ⋅ t ⋅ U ( c t, l t ) + 1λt ⋅ [ v t ⋅ r t + w t ⋅ ( 1 – l t ) – p t ⋅ c t ]dt , (III.34) 0 wird zusammen mit den Kuhn-Tucker Bedingungen in eine Lagrangefunktion überführt. Es ergibt sich somit: L = H ( t ) + 2λt ⋅ ( p t ⋅ c t – m ) ⋅ v t + 3λt ⋅ c t + 4λt ⋅ l t + 5λt ⋅ [ w t ⋅ ( 1 – l t ) – m ]. (III.35) Die Lagrangemultiplikatoren 2λt bis 5λt stellen eine Art von Schattenpreisen dar. Ihre Interpretation wird im folgenden Exkurs gegeben. Exkurs: Interpretation der Lagrangemultiplikatoren der Kuhn-TuckerBedingungen Die Lagrangemultiplikatoren der Kuhn-Tucker-Bedingungen geben an, wie stark sich der Funktionswert der Gleichung (III.35) bei optimalem Pfad ändert, wenn die jeweilige Restriktion um eine marginale Einheit gelockert wird.1 Liegt das Optimum innerhalb der gesetzten Grenzen, so hat eine marginale Änderung der Restriktion keinen Einfluss auf den Funktionswert. Der dazugehörige Lagrangeparameter ist in diesem Fall gleich Null. Liegt der optimale Pfad auf der gesetzten Grenze, so hat man es mit einem Randoptimum zu tun. Wird die Grenze nun verschoben, so ändert sich der Funktionswert von L. In Abbildung III.5 ist die Wirkung einer Lockerung einer Restriktion bezüglich x grafisch dargestellt. Ist die Restriktion auf x = x 1 festgelegt, so bildet 1) Zu einer detaillierten Darstellung der Maximierung mit Ungleichungen und zur Interpretation der Lagrangemultiplikatoren vgl. Chiang (1984), Kap. 21.2. Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 167 Punkt A das Randoptimum, der dazugehörige maximale Funktionswert ist y1. Eine Lockerung der Restriktion auf x = x 2 führt zu einem neuen Randoptimum bei Punkt B. Der Funktionswert erhöht sich von y1 auf y2. Diese Veränderung wird durch einen positiven Wert des Lagrangemultiplikators abgebildet. Liegt die Restriktion bei x 3 , bringt eine neuerliche Lockerung keine Änderung des Funktionswertes mit sich, da das Optimum bei Punkt C eine innere Lösung darstellt. In diesem Fall ist der Lagrangemultiplikator der Restriktion gleich Null. Abbildung III.5 Wirkung der Lockerung einer Restriktion - Ein Beispiel y C y2 y1 B A y = y (x ) _ _ x1 x2 _ x3 x Gleichung (III.35) wird nun nach den beiden Kontrollvariablen sowie den Lagrangemultiplikatoren differenziert und man erhält die Bedingungen erster Ordnung für ein Maximum. Die Gleichungen (III.36) und (III.37) sind das Ergebnis der Differenzierung von (III.35) nach den Kontrollvariablen ct und lt: ∂U –δt ∂L ------- = 0 ⇒ ------- ⋅ e – 1λt ⋅ p t + 2λt ⋅ p t ⋅ v t + 3λt = 0 ∂c t ∂c t (III.36) und ∂U –δt ∂L ------ = 0 ⇒ ------- ⋅ e – 1λt ⋅ w t + 4λt – 5λt ⋅ w t = 0 . ∂l t ∂l t (III.37) 168 3 Die Modellierung des Verhalten eines Haushalts in der Lohnpfändung Die Ableitung nach der Kozustandsvariablen 1λt ergibt die Bewegungsgleichung: · ∂L ---------- = v· t ⇒ v t = v t ⋅ r t + w t ⋅ ( 1 – l t ) – p t ⋅ c t . ∂ 1λt (III.38) Differenzierung der Lagrangefunktion nach der Zustandsvariablen vt ergibt die Kozustandsgleichung: · · ∂L ------- = – 1λt ⇒ – 1λt = 1λt ⋅ r t + 2λt ⋅ ( p t ⋅ c t – m ) . ∂v t (III.39) Die folgenden vier Gleichungen sind die Ableitungen der Lagrangefunktion nach den vier Lagrangemultiplikatoren der Kuhn-Tucker Bedingungen: ∂H ∂L ---------- ≥ 0 ⇒ ( p t ⋅ c – m ) ⋅ v t ≥ 0 t ∂ 2λt 2λt ≥ 0 ---------- = 0 , 2λt ⋅ ∂ 2λt ∂L ---------- ≥ 0 ⇒ c t ≥ 0 ∂ 3λt 3λ t ≥ 0 ∂H --------λ ⋅ 3 t ∂ λ- = 0 , (III.41) 3 t ∂L ---------- ≥ 0 ⇒ l t ≥ 0 ∂ 4λt 4λ t ≥ 0 ---------- = 0 , 4λt ⋅ ∂ 4λt ∂L ---------- ≥ 0 ⇒ w t ⋅ ( 1 – l t ) – m ≥ 0 ∂ 5λt 5λ t ≥ 0 ∂H --------λ ⋅ 5 t ∂ λ- = 0 . (III.43) 5 t ∂H (III.40) (III.42) Schliesslich ist noch die Transversalitätsbedingung festzulegen. Im Gegensatz zu dem in Abschnitt 2.1 vorgestellten Standardmodell kann das Vermögen am Ende des Planungshorizontes nicht auf Null fixiert werden. Die Transversalitätsbedingung für die Endbedingung (III.33) lautet: Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 1λT ≥ 0 –vT ≥ 0 169 – v T ⋅ 1λT = 0 . (III.44) Ist das Vermögen am Ende des Planungshorizontes in Periode T gleich Null, so ist die Kozustandsvariable 1λT frei in ihrem Wert. Ist das Vermögen kleiner Null, so muss 1λT gleich Null sein.1 Wie in Abschnitt 2 des Teil I erwähnt, wird die Schuld während der Pfändungsphase nicht verzinst. In den weiteren theoretischen Analysen wird diese Besonderheit berücksichtigt werden. 3.2.2 Allgemeine Gleichgewichtsanalyse im Zustands-/ Kozustandsphasenportrait Die möglichen Lösungspfade des oben beschriebenen Modells können im allgemeinen Rahmen anhand eines Phasenportraits der Zustandsvariablen vt und der Kozustandsvariablen 1λt analysiert werden.2 Auf diese Weise wird festgestellt, ob ein eindeutiges Gleichgewicht zustande kommt. Hierzu werden zuerst von den vier endogenen Variablen ct, lt, 1λt und vt die beiden Variablen ct und lt als implizite Funktionen der beiden anderen dargestellt. Aus den Bedingungen erster Ordnung (III.36) und (III.37), ergibt sich nach dem Satz über implizite Funktionen [vgl. hierzu Chiang (1984), Kap. 8]: M⋅ ∂c t ------∂v t ∂l t ------∂v t ∂c t ---------- L L ∂ 1λt vc c 1λt = – ∂l t L vl L l 1λt ---------- ∂ 1λt mit M = L cc L cl . L L cl ll (III.45) Die Variablen Lij stellt die gemischten oder zweiten Ableitungen der Lagrangefunktion (III.35) nach den Parametern i bzw. j dar. Es wird angenommen, dass die Lagrangefunktion streng konkav in c und l ist. Damit gelten die folgenden Bedingungen zweiter Ordnung: 1) Vgl. Chiang (1992), Kap. 7. 2) Vgl. dazu auch Feichtinger und Hartl (1986), Kap. 4.3. 170 3 Die Modellierung des Verhalten eines Haushalts in der Lohnpfändung 2 L cc < 0, L ll < 0, M = L cc ⋅ L ll > L cl . (III.46) Es wird ferner angenommen, dass L cl > 0 ist. Die Auflösung der Gleichung (III.45) nach der Cramerschen Regel und Einsetzen der jeweiligen Ableitungen ergibt die folgenden vier Gleichungen: 2 ∂c t 1 ------- = – --------- ⋅ M ∂v t – δt ∂ U λ t ⋅ p t -------------- ⋅ e 2 ∂l t ∂c t 2 0 ∂ U – δt ---------- ⋅ e 2 ∂l t 2 ∂ U – δt – 2λt ⋅ p t ⋅ ---------- ⋅ e 2 ∂l t = ------------------------------------------------M (III.47) > 0, wenn vt < 0 = 0, wenn vt > 0 (da 2λt = 0). Das Vorzeichen von ∂c t ⁄ ∂v t ist positiv, wenn das Vermögen vt negativ ist, dass Individuum also betrieben wird. Ist das Vermögen vt positiv und die Betreibung beendet, ist die Pfändungsbedingung nicht mehr bindend, und der Lagrangemultiplikator 2λt = 0 [vgl. Gleichung (III.40)]. Damit ergibt sich für den Bereich positiven Vermögens, dass ∂c t ⁄ ∂v t = 0 ist. Diese Bedingung besagt, dass es im Optimum nicht möglich ist, durch intertemporale Verschiebung von Vermögen eine Konsumsteigerung zu erreichen. Die Ableitungen ∂c t ⁄ ∂ 1λt und ∂l t ⁄ ∂v t ergeben: Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 2 ∂c t 1 ---------- = – ------- ⋅ M ∂ 1λt – δt ∂ U – p t -------------- ⋅ e ∂l t ∂c t 2 ∂ U – δt – w t ---------- ⋅ e 2 ∂l t 2 171 2 – δt ∂ U – δt ∂ U p t ⋅ ---------- ⋅ e – w t ⋅ -------------- ⋅ e 2 ∂l t ∂c t ∂l t = ------------------------------------------------------------------------------- < 0 M (III.48) 2 ∂ U unter der Annahme, dass -------------- > 0 ∂l t ∂c t und 2 ∂l t 1 ------- = – ------- ⋅ M ∂v t ∂ U – δt ---------- ⋅ e λ ⋅ pt 2 2 t ∂c t 2 – δt ∂ U -------------- ⋅ e ∂l t ∂c t 0 > 0, wenn vt < 0 = 0, wenn vt > 0 (da 2λt = 0). Die letzte Ableitung ∂l t ⁄ ∂ 1λt lautet: 2 – δt ∂ U -------------- ⋅ e 2λt ⋅ p t ⋅ ∂l t ∂c t = -------------------------------------------------M (III.49) 172 3 Die Modellierung des Verhalten eines Haushalts in der Lohnpfändung 2 1 ∂l ---------- = – ------- ⋅ M ∂ 1λt 2 ∂ U – δt ---------- ⋅ e –pt 2 ∂c t = (III.50) 2 – δt ∂ U -------------- ⋅ e –wt ∂c t ∂l t 2 – δt ∂ U –δt ∂ U w t ⋅ ---------- ⋅ e – p t ⋅ -------------- ⋅ e 2 ∂l t ∂c t ∂l t ------------------------------------------------------------------------------- < 0. M Aus den Gleichungen (III.28) sowie (III.47) bis (III.50) wird das folgende Differentialgleichungssystem gebildet: · ∂l t ∂l t ∂v t ∂c t ∂c t ------- = L λ v + L c λ ⋅ ------- + L l λ ⋅ ------- = r t – p t ⋅ ------- – w t ⋅ ------1 t 1 t ∂v 1 t ∂v ∂v t ∂v t ∂v t t t (+/0) (+/0) (III.51) < 0, wenn vt < 0 (rt = 0) > 0, wenn vt > 0 (2λt = 0) unbestimmt, wenn vt = 0 (rt, 2λt > 0). Sofern das Vermögen negativ ist, wird das Individuum annahmegemäss betrieben und dem schweizerischen Pfändungssystem folgend, kein Zins berech· net (vgl. Abschnitt 2 in Teil I). Es gilt somit r = 0 und damit ∂v t ⁄ ∂v t < 0 . Auf der anderen Seite gilt bei positivem Vermögen, dass 2λt = 0 ist und somit gilt ∂c t ⁄ ∂v t = ∂l t ⁄ ∂v t = 0 [vgl. die Gleichungen (III.47) und (III.49)]. Bei einem Vermögen von Null gilt keine von beiden Bedingungen. Gleichung (III.51) gibt zusätzlich die Dynamik der Vermögensveränderung an. Ein negatives Vorzeichen · heisst, dass links der [ v t = 0 ] -Geraden (vt kleiner als auf der Geraden) das Ver· mögen im Zeitablauf steigt, also v t > 0 ist. Oberhalb der Geraden gilt dann · v t < 0 . Bei positivem Vorzeichen ist diese Beziehung umgekehrt. Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 173 · ∂l t ∂c t ∂l t ∂v t ∂c t ---------- = L c λ ⋅ ---------- + L l λ ⋅ ---------- = – p t ⋅ ---------- – w t ⋅ ---------- > 0 1 t ∂ λ 1 t ∂ λ ∂ 1λt ∂ 1λt ∂ 1λt 1 t 1 t (-) (-) (III.52) · ∂l t ∂c t ∂ 1λ t ∂c t ---------- = – L vv – L vc ⋅ ------- – L vl ⋅ ------- = – λ t ⋅ p t ⋅ ------2 ∂v t ∂v t ∂v t ∂v t (+/0) (III.53) < 0, wenn vt <− 0 = 0, wenn vt > 0 (2λt = 0) · ∂l t ∂c t ∂ 1λ t ∂c t ---------- = – L v λ – L vc ⋅ ---------- – L vl ⋅ ---------- = – r t – λ t ⋅ p t ⋅ ---------2 1 ∂ 1λt ∂ 1λt ∂ 1λt ∂ 1λt (-) > 0, wenn vt < 0 (rt = 0) < 0, wenn vt > 0 (2λt = 0) unbestimmt, wenn vt = 0 (rt, 2λt > 0). (III.54) Gleichung (III.54) zeigt die partielle Bewegung der Kozustandsvariablen. Bei · · positivem Vorzeichen gilt oberhalb der [ 1λt = 0 ] -Geraden 1λt > 0 und unterhalb · der Geraden 1λt < 0 . Ist das Vorzeichen der Gleichung (III.54) negativ, gilt wieder die umgekehrte Bedingung (zur partiellen Dynamik vgl. auch Abbildung III.6 und Abbildung III.7 später im Text). Die Kuhn-Tucker-Bedingungen (III.30) bis (III.32) sind in dieses Gleichungssystem aus Vereinfachungsgründen nicht inte· · griert. Nach dieser Vorarbeit können die Steigungen der [ v t bzw. 1λt = 0 ] -Geraden ermittelt werden: (+/0) d 1λ t ---------dv t (+/0) ∂l t ∂c t r t – p t ⋅ ------- – w t ⋅ ------· ∂v t ∂v t ∂v t ⁄ ∂v t = – ------------------= – --------------------------------------------------- > 0, wenn v t < 0 · ∂l t ∂c t ·v = 0 ∂v t ⁄ ∂λ t – p t ⋅ ---------- – w t ⋅ ---------- < 0, wenn vt > 0 ∂ λ ∂ λ 1 t (-) 1 t (-) (III.55) 174 3 Die Modellierung des Verhalten eines Haushalts in der Lohnpfändung und (+/0) d 1λt ---------dv t ∂c t – 2λt ⋅ p t ⋅ ------· ∂v t ∂λ t ⁄ ∂v t > 0 wenn v t < 0 = – ------------------= – ------------------------------------------· ∂c · ∂λ t ⁄ ∂λ t t = 0, wenn vt > 0 λ=0 – r t – 2λt ⋅ p t ⋅ -------. ∂λt (III.56) (-) Mit dieser Analyse steht fest, dass die Steigung beider Geraden bei negativem Vermögen positiv ist. Welche der beiden Geraden die grössere Steigung aufweist · ist nicht feststellbar. Bei positivem Vermögen ist die Steigung der [ v t = 0 ] -Gera· den negativ, während die [ 1λt = 0 ] -Gerade eine Horizontale ist. Für den Bereich negativen und den Bereich positiven Vermögens ergeben sich die folgenden Ergebnisse: (a) Bereich negativen Vermögens (vt < 0) - Lohnpfändung findet statt · (a1) [ 1λt = 0 ] -Gerade · Die Steigung der [ 1λt = 0 ] -Geraden ist bei einer Lohnpfändung positiv und gleich 2λt [vgl. Gleichung (III.56)]. Die partielle Dynamik ober- und unter· halb der Geraden ergibt sich aus Gleichung (III.54). Oberhalb der [ 1λt = 0 ] · · Geraden ist 1λt > 0 . Unterhalb der Geraden ist 1λ t < 0 (vgl. Abbildung III.6 und Abbildung III.7). Zusätzlich müssen allerdings noch die Kuhn-TuckerRestriktionen beachtet werden. Da bei einer Lohnpfändung die Schuld nicht verzinst wird, ist rt = 0. Die Kozustandsgleichung aus Gleichung (III.39) erg· ibt somit 1λt = – 2λt ⋅ ( p t ⋅ c t – m ) . Der Wert des Konsums p t ⋅ c t kann das betreibungsrechtliche Existenzminimum m nicht übersteigen. Da 2λt positiv · ist, kann 1λt nicht negativ sein, sondern ist gleich Null, wenn das Individuum genau das Existenzminimum konsumiert ( p t ⋅ c t = m ) und ist positiv, wenn das Individuum freiwillig weniger als das Existenzminimum konsumiert · ( p t ⋅ c t < m ) . Damit ist der Bereich unterhalb der [ 1λt = 0 ] -Geraden nicht erreichbar. Ein Schnittpunkt mit der Achse existiert nicht, da die Achse nicht Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 175 mehr zum Bereich vt < 0 gehört. Der „imaginäre“ Achsenabschnitt der · [ 1λt = 0 ] -Geraden ist im Rahmen der allgemeinen Analyse nicht feststellbar. · (a2) [ v t = 0 ] -Gerade · Wie oben bereits hergeleitet hat die [ v t = 0 ] -Gerade im Bereich negativen Vermögens eine positive Steigung [vgl. Gleichung (III.55)]. Oberhalb der Geraden findet nach Gleichung (III.51) eine partielle Dynamik von der · Geraden weg statt ( v t > 0 ) . Unterhalb der Geraden ist dem entsprechend · v t < 0 . Letztere Bewegung wird allerdings durch die Restriktion, dass das Einkommen w t ⋅ ( 1 – l t ) mindestens dem Existenzminimum m entsprechen muss und der Konsum p t ⋅ c t wiederum nicht höher als das Existenzminimum m sein kann, verhindert [vgl. Gleichung (III.43) sowie Abbildung III.6 und · Abbildung III.7]. Somit kann v t nicht negativ sein. Der Bereich unterhalb der · [ v t = 0 ] -Geraden ist nicht erreichbar. Auch in diesem Fall besteht kein Schnittpunkt mit der Achse. (b) Vermögen ist gleich Null (vt = 0) - Keine Lohnpfändung Der Bereich des „Nullvermögens ist deshalb interessant, weil an dieser Stelle keine Lohnpfändung mehr stattfindet und gleichzeitig die Bedingung v t ⋅ ( p t ⋅ c t – m ) ≥ 0 durch vt = 0 erfüllt ist, wodurch der Lagrangemultiplika- tor 2λt ≠ 0 . · (b1) [ 1λt = 0 ] -Punkt Über die Lage auf der Achse lässt sich nichts aussagen. Die partielle Dynamik auf der Achse ist wie folgt: Alle Elemente auf der rechten Seite der Kozu· standsgleichung 1λt = – 1λt ⋅ r t – 2λt ⋅ ( p t ⋅ c t – m ) sind nicht negativ. Daraus · folgt, dass 1λt ≤ 0 ist (vgl. Abbildung III.6 und Abbildung III.7). · (b2) [ v t = 0 ] -Punkt Auch in diesem Fall ist eine Aussage über die Lage nicht möglich, Die partielle Dynamik ist ebenfalls unbestimmt [vgl. Gleichung (III.51)]. (c) Bereich positiven Vermögens (vt > 0) - Keine Lohnpfändung 176 3 Die Modellierung des Verhalten eines Haushalts in der Lohnpfändung · (c1) [ 1λt = 0 ] -Gerade · Die Kozustandsgleichung lautet 1λt = – 1λt ⋅ r t – 2λt ⋅ ( p t ⋅ c t – m ) [vgl. Gleichung (III.39)]. Im Bereich positiven Vermögens ist 2λt = 0 , somit · · bleibt 1λt = – 1λt ⋅ r t . Es gilt also 1λt = 0, wenn 1λt = 0 ist. Die · [ 1λt = 0 ] -Gerade ist deckungsgleich mit der horizontalen Achse. Ist 1λt > 0 , · so findet eine partielle Bewegung in Richtung der [ 1λt = 0 ] -Geraden statt · ( 1λt < 0 ) . · (c2) [ v t = 0 ] -Gerade: Die Steigung der Geraden ist negativ. Über die Lage dieser Geraden kann keine genaue Aussage gemacht werden ohne eine Nutzenfunktion zu bestimmen. Mit Hilfe von Gleichung (III.51) lässt sich aber immerhin die partielle Dynamik ober- und unterhalb der Geraden bestimmen. Oberhalb der · · · [ v t = 0 ] -Geraden ist v t > 0 . Unterhalb der Gleichgewichtsgeraden ist v t < 0 (vgl. Abbildung III.6 und Abbildung III.7). Ein eindeutiges Gleichgewicht gibt es in diesem Modell nicht. Ein eindeutiges · · Gleichgewicht wäre ein Schnittpunkt zwischen der [ v t = 0 ] - und der [ 1λt = 0 ] Geraden, auf den sich das System im unendlichen Zeitraum zubewegt. Im vorliegenden Modell gibt es einen Schnittpunkt im Bereich positiven Vermögens · (Schnittpunkt der [ v t = 0 ] -Geraden mit der horizontalen Achse) und unter Umständen einen weiteren im Bereich negativen Vermögens.1 Das Modell ist dennoch lösbar aufgrund seiner Restriktionen. In Abbildung III.6 ist ein mögliches Szenario eines Schuldenabbaus dargestellt. Die schraffierten Flächen in Abbildung III.6 bezeichnen die Bereiche, welche durch die Restriktionen nicht erreichbar sind. Das Individuum startet beispielsweise bei einem Vermögen in Höhe von v0, die Schuld wird im Laufe der Zeit abgebaut und es wird sogar ein positiver Vermögensbetrag angespart. Schliesslich verlangt die Transversalitätsbedingung [vgl. Gleichung (III.44)], dass in der letzten Periode das Vermögen nicht positiv sein darf. 1) Da die Lage der Geraden nicht sicher ist, könnte sich der Schnittpunkt auch im Bereich eines negativen 1λt befinden und wäre somit nicht erreichbar. Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 177 Das mögliche Szenario eines Nichtabbaus der Schuld ist in Abbildung III.7 · · abgebildet. Die [ v t = 0 ] -Gerade liegt vollständig unterhalb der [ 1λt = 0 ] -Geraden. Die schraffierten Flächen sind wiederum nicht erreichbar. Punkt A ist ein Gleichgewicht, bei dem das Individuum in diesem Punkt verharrt. Die Transversalitätsbedingung für einen Nichtabbau der Schuld ( v T < 0 ) lautet 1λT = 0 . Da bei der Pfändung die Schuld nicht verzinst wird, also r = 0 ist, und bei einem Nichtabbau der Schuld der Wert des Konsums sicher nicht unterhalb des Existenzminimums liegt, ergibt sich für die Kozustandsgleichung · 1λt = – 1λt ⋅ r – 2λt ⋅ ( p t ⋅ c t – m ) = 0 . Die Kozustandsvariable ändert sich also nicht im Zeitablauf. Somit ergibt sich bei 1λT = 0 , dass 1λt = 0 ist. Der einzige Punkt bei dem erfüllt ist, dass einerseits die Kozustandsvariable gleich Null · ist und gleichzeitig das Vermögen sich nicht ändert ( v t = 0 ) , ist Punkt A in Abbildung III.7. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse gibt Tabelle III.1: Tabelle III.1 Ergebnisse der allgemeinen Gleichgewichtsanalyse Vermögensbereich vt < 0 · Schuldabbau 1λ t ≥ 0 · vt > 0 vt ≥ 0 · λ 1 t<0 · v t > 0 in der Anfangsphase · v t ≤ 0 gegen Ende des Zeithorizonts · Kein Schuldabbau 1λ t = 0 · vt = 0 - Nach dieser ersten und allgemeinen Analyse der möglichen Gleichgewichtspfade, die kein allgemeines Gleichgewicht ergab, sollen im folgenden Abschnitt die Bewegungen des Vermögens und der Freizeit anhand einer konkreten Nutzenfunktion nachgezeichnet werden. 178 3 Die Modellierung des Verhalten eines Haushalts in der Lohnpfändung Abbildung III.6 Phasenportrait der Zustands- und Kozustandsvariablen - Szenario Abbau der Schuld λ 1 t > > > > > . λ=0 1 t > . -v v0 . . v =0 λ=0 v=0 Abbildung III.7 > > > > vT +v Phasenportrait der Zustands- und Kozustandsvariablen - Szenario Nichtabbau der Schuld λ 1 t . λ=0 1 t . v =0 . . v =0 -v v =0 . λ=0 A = v0 = vT +v Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 179 3.2.3 Analyse der Gleichgewichtspfade für Vermögen und Freizeit Wie auch schon beim Standardmodell wird an dieser Stelle eine Analyse der Gleichgewichtspfade für das Vermögen und die Freizeit durchgeführt. Zu diesem Zweck verwende ich wieder die logarithmische Nutzenfunktion. Der Zinssatz, das Preisniveau sowie der Lohnsatz werden wiederum als konstant angenommen, ihre Zeitindizes im folgenden somit weggelassen. Es gelte U = α ⋅ ln c t + ( 1 – α ) ⋅ ln l t . (III.57) 3.2.3.1 Der Gleichgewichtspfad für das Vermögen Der erste Schritt stellt wieder die Suche nach der Gleichgewichtsgeraden für die Vermögensveränderung dar. Die Vorgehensweise ist dieselbe wie beim Standardmodell in Abschnitt 2.2. Unter Ausnutzung der angenommenen funktionalen Form für die Nutzenfunktion (III.57) und Isolierung von ct bzw. lt ergeben sich die Bedingungen erster Ordnung (III.36) und (III.37) wie folgt: – δt α⋅e c t = --------------------------------------------------------1λt ⋅ p – 2λt ⋅ p ⋅ v t – 3λt (III.58) und – δt (1 – α) ⋅ e l t = ---------------------------------------1λt ⋅ w – 4λt + 5λt (III.59) Die Ausdrücke der Gleichungen (III.58) und (III.59) lassen sich nun in die Bewegungsgleichung (III.28) einsetzen. Nach Umformung erhält man: 180 3 Die Modellierung des Verhalten eines Haushalts in der Lohnpfändung · vt = vt ⋅ r + w ⋅ ( 1 – lt ) – (III.60) –1 v t ⋅ 2λt 1 – α 1 4λ t 5λt 3λ t p ⋅ p ⋅ ------------ ⋅ ----------- – -------------------------- + ------------------ + ------------------ – -----------------w ⋅ l t w ⋅ α ⋅ e –δt α ⋅ e – δt α ⋅ e – δt α ⋅ e –δt α Es sind drei Fälle zu unterscheiden: a) Das Vermögen ist negativ ( v t < 0 ) , dem Individuum wird der Lohn gepfändet (der linke Quadrant in Abbildung III.6 bzw. Abbildung III.7), b) das Vermögen ist gleich Null ( v t = 0 ) (die vertikale Achse in Abbildung III.6 bzw. Abbildung III.7), es findet keine Lohnpfändung statt und c) das Vermögen ist positiv ( v t > 0 ) und es findet keine Lohnpfändung statt (der rechte Quadrant in Abbildung III.6 bzw. Abbildung III.7). a) Das Vermögen ist negativ Wenn das Vermögen negativ ist, gilt das Individuum als überschuldet und zahlungsunfähig. In der Folge wird somit der Lohn des Individuums bis auf das betreibungsrechtliche Existenzminimum gepfändet. Ich nehme an dieser Stelle vereinfachend an, das Individuum wolle nicht weniger als das Existenzminimum konsumieren. Somit ist p ⋅ c t = m .1 Der Wert des Konsums p ⋅ c t wird in der Bewegungsgleichung (III.38) durch das betreibungsrechtliche Existenzminimum m ersetzt. Dies ergibt: · vt = vt ⋅ r + w ⋅ ( 1 – lt ) – m . (III.61) Für die Gleichgewichtsgerade erhält man somit 1) Sofern das betreibungsrechtliche Existenzminimum m tief genug liegt, ist diese Annahme recht realistisch. Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung r w–m · v t = 0, wenn l t = v t ⋅ ---- + -------------w w r w–m v· t > 0, wenn l t < v t ⋅ ---- + -------------w w w –m r · v t < 0, wenn l t > v t ⋅ ---- + -------------- . w w 181 (III.62) Die Steigung der Gleichgewichtsgeraden ist im Bereich negativen Vermögens grösser als im Bereich positiven Vermögens (vgl. das „Normalmodell in Abschnitt 2 dieses Teils und den nachfolgenden Abschnitt über den Bereich positiven Vermögens). Die Lage des Achsenabschnitts (ohne den Punkt auf der Achse) hängt vom betreibungsrechtlichen Existenzminimum ab. Ist dieses gleich Null, so ist der Achsenabschnitt gleich 1. Im schweizerischen Betreibungsrecht wird während einer laufenden Lohnpfändung die Schuld nicht mehr verzinst. Wird diese Überlegung einbezogen, so ergibt sich für Gleichung (III.62): · w–m v t = 0, wennl t = -------------w · w–m v t > 0, wennl t < -------------w · w–m v t < 0, wennl t > -------------- . w (III.63) Die Steigung der Gleichgewichtsgeraden ist somit im Bereich negativen Vermögens gleich Null (vgl. den linken Quadranten in Abbildung III.8). Oberhalb · dieser Geraden wäre v t < 0 . Der Fall, dass weniger Arbeit geleistet wird als zur Finanzierung des Existenzminimums notwendig ist [ w ⋅ ( 1 – l t ) < m ] , wurde allerdings durch Bedingung (III.32) ausgeschlossen. b) Das Vermögen ist gleich Null Ist das Vermögen gleich Null findet ebenfalls keine Lohnpfändung statt. Der Gleichgewichtspunkt ergibt 182 3 Die Modellierung des Verhalten eines Haushalts in der Lohnpfändung · v t = 0, wennl t = 1 – α · v t > 0, wennl t < 1 – α · v t < 0, wennl t > 1 – α. (III.64) Der Gleichgewichtspunkt ergibt den Achsenabschnitt der Gleichgewichtsgeraden im Bereich nicht-negativen Vermögens. c) Das Vermögen ist positiv Das Vermögen ist positiv, dass Individuum ist nicht überschuldet und der Lohn wird somit nicht gepfändet. Dieser Fall ist derselbe wie im Standardmodell. Der Konsum ct ist nicht auf das betreibungsrechtliche Existenzminimum m beschränkt. Der Lagrangemultiplikator 2λt gleich Null, wodurch Bedingung (III.40) erfüllt ist. Zusätzlich nehme ich zur Vereinfachung eine innere Lösung an, womit die Multiplikatoren 3λt und 4λt ebenfalls gleich Null werden. Schliesslich wird noch angenommen das Individuum arbeite mehr als zur Finanzierung des Existenzminimums notwendig ist, wodurch auch der letzte Lagrangemultiplikator 5λt Null wird. Für die Bewegungsgleichung ergibt sich dadurch · w⋅α v t = v t ⋅ r + w – l t ⋅ w + ------------ . 1–α (III.65) Die Gleichgewichtsgerade ist dieselbe wie im Standardmodell des Abschnitts 2: · r ⋅ (1 – α) v t = 0, wennl t = v t ⋅ ------------------------ + ( 1 – α ) w · r ⋅ (1 – α) v t > 0, wennl t < v t ⋅ ------------------------ + ( 1 – α ) w · r ⋅ (1 – α) v t < 0, wennl t > v t ⋅ ------------------------ + ( 1 – α ). w (III.66) Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 183 In Abbildung III.8 sind die Gleichgewichtsgeraden im Bereich negativen und nicht-negativen Vermögens sowie die partielle Dynamik des Vermögens eingezeichnet. Abbildung III.8 Phasenportrait mit der partiellen Dynamik des Vermögens l 1 . v=0 w–m -------------w . v=0 1–α 0 -v +v 3.2.3.2 Der Gleichgewichtspfad für die Freizeit Der nächste Schritt ist die Analyse des Freizeitkonsums im Zeitablauf. Die Ableitung der Nutzenfunktion (III.57) nach lt, in Gleichung (III.37) eingesetzt und nach lt aufgelöst ergibt: – δt (1 – α) ⋅ e l t = --------------------------------------------------- . 1λ t ⋅ w – 4λ t + 5 λ t ⋅ w Durch Differenzierung der Gleichung (III.67) nach der Zeit erhält man (III.67) 184 3 Die Modellierung des Verhalten eines Haushalts in der Lohnpfändung – δt – δt · l t = ( – δ ⋅ ( 1 – α ) ⋅ e ⋅ ( 1λt ⋅ w – 4λt ⋅ w + 5λt ) – ( 1 – α ) ⋅ e ⋅ · · · 2 ( 1λt ⋅ w – 4λt + 5λt ⋅ w ) ⁄ ( 1λt ⋅ w – 4λt + 5λt ⋅ w ) ). (III.68) Durch Einsetzen der Gleichung (III.67) lässt sich der Ausdruck vereinfachen, · · · · 1λt ⋅ w – 4λt + 5λt ⋅ w l t = l t ⋅ – δ – --------------------------------------------------- . 1λt ⋅ w – 4λt + 5λt ⋅ w (III.69) Die Variable 1λt kann durch die Kozustandsgleichung (III.39) ersetzt werden. Dass Resultat lautet schliesslich wie folgt: · · λ λ ⋅ ⋅ λ ⋅ ( ⋅ ) ⋅ λ + – + – r w p c m w 4 t 5 t⋅w 1 t · t 2 t ⋅ = --------------------------------------------------------------------------------------------------------------– δ . lt lt 1λt ⋅ w – 4λt + 5λt ⋅ w (III.70) Für die Analyse der Gleichung (III.70) ist wiederum eine genauere Bereichsunterscheidung notwendig (vgl. die drei Bereiche in Abbildung III.9). a) Das Vermögen ist negativ Der für das vorliegende Problem interessanteste Fall ist derjenige des negativen Vermögens. Das Individuum ist überschuldet und sein Lohn wird gepfändet. Wie bereits erwähnt, findet eine Verzinsung der Schuld während der Lohnpfändung nicht statt. Der Zinssatz ist somit r = 0. Zusätzlich wird von vornherein angenomc t > 0 und l t > 0 , men, dass Individuum konsumiere so dass · · 1 3λt = 4λt = 3λt = 4λt = 0 . Ferner ist bei einer Lohnpfändung p ⋅ c t = m , so dass Gleichung (III.70) sich ändert zu 1) Wiederum unter der vereinfachenden Annahme, das Individuum wolle auf keinen Fall weniger als das Existenzminimum konsumieren. Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung · – 5λt · l t = l t ⋅ -------------------- – δ . 1λt + 5λt 185 (III.71) Die Frage ist, wie das Individuum auf diese Situation reagiert. Eine mögliche Reaktion ist die Aufgabe, also der Verzicht auf eine Schuldtilgung. Fall 1) Keine Schuldtilgung Das Individuum verzichtet darauf die Schuld zu tilgen, so dass am Ende des betrachteten Zeitraums v T < 0 ist. In diesem Fall muss die Kozustandsvariable sein, damit die Transversalitätsbedingung (III.44) 1λT· = 0 [ – 1λt = 0, – v T ≥ 0, – v T ⋅ 1λT = 0 ] erfüllt ist. Die Kozustandsgleichung ergibt unter der Annahme r = 0 und p ⋅ c t = m , · – 1λt = 0. (III.72) Die Veränderung des Parameters 1λt über die Zeit ist gleich Null. Da auch 1λT = 0 , ist zwangsläufig 1λt = 0 . Die Veränderung der Freizeit im Zeitablauf ist gegeben durch · 5λt · l t = l t ⋅ – ------- – δ . 5λt (III.73) Der Lagrangeparameter 5λt ist der Parameter der Bedingung, dass mindestens soviel Arbeit geleistet werden muss, dass das Existenzminimum finanziert wird [ w ⋅ ( 1 – l t ) – m ≥ 0 ]. Konsumiert das Individuum weniger Freizeit, ist also · w ⋅ ( 1 – l t ) – m > 0 , so ist 5λt = 5λt = 0 . In diesem Fall wäre die Bedingung erster Ordnung für ein Optimum [vgl. – δt ( ∂U ) ⁄ ( ∂l t ) ⋅ e – 1λt ⋅ w t + 4λt – 5λt ⋅ w t = 0 ]: Gleichung (III.37), 186 3 Die Modellierung des Verhalten eines Haushalts in der Lohnpfändung ∂U – δt ------- ⋅ e = 0. ∂l t (III.74) Diese Bedingung ist allerdings nicht erfüllbar. Mehr Freizeit ist natürlich auch nicht möglich. Damit konsumiert das Individuum also genau so viel Freizeit, dass w ⋅ ( 1 – l t ) – m = 0 gilt und somit ist 5λt grösser Null ist. Damit gilt dann · aber auch, dass sich die Freizeit im Zeitablauf nicht mehr ändert also l t = 0 . Die Kosten der Restriktion w ⋅ ( 1 – l t ) – m ≥ 0 sinken im Zeitablauf, da sie immer weniger Perioden betreffen je näher es auf das Ende des Zeithorizontes zugeht. · Aufgrund der Gleichung (III.73) gilt 5λt = – 5λt ⋅ δ . Entschliesst sich das Individuum seine Schuld nicht zu tilgen, so wird es über den gesamten Optimierungszeitraum hinweg seine Freizeit auf einem Wert konstant halten, der es ihm ermöglicht genau das Existenzminimum zu konsumieren. Fall 2) Schuldtilgung Statt auf der Schuld sitzenzubleiben, könnte sich das Individuum auch dazu entschliessen diese zu tilgen. Für die Transversalitätsbedingung gilt somit v T = 0 und 1λT frei . Das Individuum startet mit Verschuldung ( v t < 0 ) , baut diese ab bis v t = 0 und spart möglicherweise kurzfristig sogar Vermögen an ( v t > 0 ) , bis in der letzten Periode dann gilt v T = 0 . Während der Lohnpfändung in der ersten Phase gilt 2λt > 0 aber p ⋅ c – m = 0 . Es wird wiederum · angenommen, Freizeit sei grösser Null und somit 4λt = 4λt = 0 . Früher oder später muss in mindestens einer Periode w ⋅ ( 1 – l t ) > m sein, da ein Schuldenabbau und somit v T = 0 ansonsten nicht möglich ist. In diesem Fall wird · λ λ = 5 t = 0 . Ferner gilt nach wie vor, dass während der Lohnpfändung r = 0. 5 t Für die Gleichgewichtsgerade ergibt sich somit · 1 l t = l t ⋅ --------------- – δ . λ ⋅w 1 t (III.75) Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 187 Welche Möglichkeiten existieren nun? Zum einen könnte die Freizeit konstant · bleiben, also l t = 0 sein. Das würde bei l t > 0 bedeuten, dass 1 -. 1λt = ---------δ⋅w (III.76) Dies Ergebnis in die Optimalbedingung (III.39) unter Ausnutzung der Nutzenfunktion (III.57) eingesetzt ergibt lt = e – δt ⋅ δ. (III.77) Dieses Resultat führt allerdings zu sehr geringen Werten von Freizeit (in der ersten Periode t = 0 gleich der Diskontrate). Es erscheint von daher als nicht sehr realistisch, dass 1λt ≥ 1 ⁄ ( δ ⋅ w ) . In der Regel kann somit davon ausgegangen · werden, dass l t < 0 . Die Freizeit also im Zeitablauf sinkt. Dieser Prozess läuft solange ab bis v t = 0 , dann gilt die Bedingung für ein Vermögen von Null. b) Das Vermögen ist gleich Null Ist das Vermögen gleich Null ( v t = 0 ) , findet keine Betreibung und damit auch · · keine Lohnpfändung mehr statt. Eine innere Lösung ( 4λt, 5λt, 4λt und 4λt = 0 ) führt zu · 2λ t l t = l t ⋅ r + ------- ⋅ ( p ⋅ c t – m ) – δ . λ (III.78) 1 t Da durch v t = 0 die Bedingung (III.40) [ ( p ⋅ c t – m ) ⋅ v t ≥ 0 ] erfüllt ist, ist der Lagrangemultiplikator 2λt frei. Die Variable 2λt gibt an, um welchen Betrag der Wert der Zielfunktion (III.35) steigt, wenn die dazugehörige Restriktion [in diesem Fall die Pfändungsbedingung ( p ⋅ c t – m ) ⋅ v t ≥ 0 ] um eine marginale Einheit gelockert wird. Es wurde angenommen, dass Individuum wolle in der Regel mehr als das Existenzminimum konsumieren. Der optimale Konsum liegt 188 3 Die Modellierung des Verhalten eines Haushalts in der Lohnpfändung in diesem Fall oberhalb von m, ist also durch die Restriktion nicht betroffen. Die Einschränkung betrifft das Vermögen. Das Vermögen kann nicht negativ werden, bzw. nur um den Preis einer Betreibung. Ob also an dieser Stelle die Freizeit fällt oder steigt, hängt von dem Term innerhalb der Klammer in Gleichung (III.78) ab. Wenn r + ( 2λt ⁄ 1λt ) ⋅ ( p ⋅ c t – m ) > δ , dann sinkt die Freizeit. Im umgekehrten Fall steigt sie. Fall 1) r > δ · Ist der Zinssatz grösser als die Zeitpräferenzrate, so steigt die Freizeit ( l t > 0 ) . Es ist damit auch klar, dass das Niveau der Freizeit kleiner als der Achsenabschnitt der Gleichgewichtsgeraden 1 – α für das Vermögen im positiven Bereich sein muss. Andernfalls würde das Individuum gleich wieder in die Verschuldung geraten, da der Konsum das Einkommen überstiege. Dadurch würde das Vermögen wieder kleiner Null werden und eine Betreibung mit Lohnpfändung eingeleitet. Somit würde dann wieder gelten r = 0 und ferner durch die Lohnpfändung p ⋅ ct – m = 0 . Ist r > δ, verläuft der Optimierungspfad unterhalb des Achsenabschnitts der · positiven [ v t = 0 ] -Geraden. Dass Individuum konsumiert weniger als es erarbei· tet und somit ist v t > 0 . Das Individuum tritt in den Bereich positiven Vermögens ein. Fall 2) r < δ, aber r + ( 2λt ⁄ 1λt ) ⋅ ( p ⋅ c t – m ) > δ · Ist der Zinssatz kleiner als die Zeitpräferenzrate, aber l t > 0 aufgrund des Terms ( 2λt ⁄ 1λt ) ⋅ ( p ⋅ c t – m ) [vgl. Gleichung (III.78)], so gilt für ein Freizeitniveau oberhalb der steady-state Geraden des Vermögens dasselbe wie im vorherigen Fall - er ist nicht möglich. Ist der Freizeitkonsum geringer als der Achsenabschnitt 1 - α, so steigt der Freizeitkonsum und gleichzeitig wird gespart. Durch · die Ersparnis und damit v t > 0 aber kommt Bedingung (III.79) wieder zum Tra· gen [ l t = l t ⋅ ( r – δ ) ]. Da r < δ sinkt die Freizeit wieder und die Ersparnis verstärkt sich. Dieser Prozess würde zu einer ewigen Ersparnis führen und ist somit nicht mit der Transversalitätsbedingung vereinbar. Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 189 Der Fall r + ( 2λt ⁄ 1λt ) ⋅ ( p ⋅ c t – m ) > δ ist nicht möglich. Fall 3) r + ( 2λt ⁄ 1λt ) ⋅ ( p ⋅ c t – m ) < δ Schliesslich besteht noch die Möglichkeit, dass die Zeitpräferenzrate grösser als · r + ( 2λt ⁄ 1λt ) ⋅ ( p ⋅ c t – m ) ist. Damit gilt l t < 0 . Unterhalb von 1 - α kann dieser Pfad nicht verlaufen, da wie bereits erwähnt die Endbedingung verletzt würde. Oberhalb der Gleichgewichtsgeraden ist auch kein Gleichgewicht möglich, da eine Verschuldung nicht mehr möglich ist. Das Gleichgewicht ergibt sich schliesslich auf der Gleichgewichtsgeraden im Achsenabschnitt 1 - α, wobei · · v t = l t = 0 sinkt. Der Fall r + ( 2λt ⁄ 1λt ) ⋅ ( p ⋅ c t – m ) < δ führt dazu, dass das · jeder Periode genau sein Einkommen konsumiert und somit v t = Individuum in · l t = 0 sind. c) Das Vermögen ist positiv Für das nicht verschuldete Individuum v t > 0 ergibt sich dasselbe Bild wie im Standardmodell (vgl. Abschnitt 2.2). Die Lagrangemultiplikatoren 2λt, 3λt, 4λt und 5λt sind bei Annahme einer inneren Lösung gleich Null und es ergibt sich · lt = lt ⋅ ( r – δ ) (III.79) Da die Möglichkeit positiven Vermögens bei einem ursprünglich verschuldeten Individuum nur dann eintreten kann, wenn r > δ (Fall 1 bei einem Vermögen · von Null), ist also l t > 0 . Das Individuum spart anfangs, bis die Freizeit so gross wird, dass der Konsum das Einkommen überschreitet und wieder entspart wird, so dass in der letzten Periode die Endbedingung v T = 0 erfüllt ist. Punkt A in Abbildung III.9 bietet als Beispiel ein Individuum welches seine Startverschuldung in Höhe von v0 abbaut und aufgrund seiner relativ geringen Zeitpräferenzrate nach der erfolgreichen Schuldtilgung Vermögen anspart. Gegen Ende des Optimierungszeitraums wird das Vermögen wieder abgebaut 190 3 Die Modellierung des Verhalten eines Haushalts in der Lohnpfändung und ist am Ende der letzten Periode gleich Null. Die Freizeit sinkt während der Schuldtilgung kontinuierlich um dann später wieder anzusteigen. Abbildung III.9 Mögliche Gleichgewichtspfade bei der Lohnpfändung l 1 . v=0 C < > 1–α > > r>δ < v0 > > > < > A> < w–m -------------w B > r<δ -v .v = 0 < > > > +v Punkt B zeigt das Beispiel eines Individuums mit relativ hoher Zeitpräferenzrate, welches sich aber auch zu einem Schuldenabbau entschlossen hat. Dieses Individuum startet mit relativ viel Freizeit, welche im Laufe der Schuldtilgungsphase reduziert wird. Nach erfolgter Schuldtilgung verbleibt das Individuum auf · der [ v = 0 ] -Geraden im Schnittpunkt mit der vertikalen Achse. Punkt C schliesslich wird von einem Individuum gehalten welches auf Schuldtilgung verzichtet. Weder Freizeit noch Vermögen ändern sich im Zeitablauf. Eine exogene Erhöhung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums m · senkt die [ v t = 0 ] -Gerade im Bereich negativen Vermögens. Ist das Existenzminimum m so hoch, dass die Gleichgewichtsgerade des negativen Vermögens unterhalb derjenigen des positiven Vermögens liegt ( m > α ⋅ w ) , so geschieht ein Schuldenabbau nur noch dann, wenn der Zinssatz grösser als die Zeitpräferenzrate ist. Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 191 Tabelle III.2 Ergebnisse der Analyse des Vermögens- und des Freizeitpfades Vermögensbereich Schuldabbau Kein Schuldabbau vt < 0 · lt < 0 · vt > 0 · lt = 0 · vt = 0 vt = 0 vt > 0 · l t = 0 und · v t = 0 , wenn r < (nur wenn r > δ) · lt > 0 · v t > 0 zu Anfang δ · · l t > 0 und v t > 0 , wenn r > δ - · v t < 0 gegen Ende des Optimierungshorizon tes - Im Rahmen der Simulationen wird aus Vereinfachungsgründen auch der Zins für den Bereich positiven Vermögens gleich Null gesetzt. Das Individuum wird · · somit, wenn es die Schulden abbaut, immer im steady-state Punkt ( v t = l t = 0 ) enden. Sind die Schulden getilgt wird ab diesem Zeitpunkt in jeder Periode das konstante Arbeitseinkommen konsumiert. Die Aufteilung zwischen Konsum und Freizeit erfolgt dann gemäss der Optimalbedingung. Der relevante Pfad für die weitere Analyse ist somit der Pfad B. Je höher das Existenzminimum m, je näher also der Wert des Ausdrucks ( w – m ) ⁄ w an dem Wert der optimalen Aufteilung zwischen Konsum und Freizeit 1 – α bei einem Vermögen von Null, desto geringer ist die Chance, dass das Individuum seine Schulden tilgt (vgl. Abbildung III.9). 192 3 Die Modellierung des Verhalten eines Haushalts in der Lohnpfändung Resultat III.3 Wie auch im Zweiperioden-Modell, so gibt es auch im Mehrperioden-Modell nur zwei effiziente Entscheidungen für die Individuen: Entweder wird die Schuld innerhalb des gesetzten Zeithorizontes getilgt oder die Schuld bleibt bestehen und das Individuum erarbeitet nur das betreibungsrechtliche Existenzminimum. Je grösser das betreibungsrechtliche Existenzminimum, desto eher werden die Individuen ihre Schulden nicht tilgen. Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 193 4 Analyse eines betriebenen Individuums mittels Computersimulationen Das in Abschnitt 3.2 vorgestellte Modell kann mit den zur Verfügung stehenden Daten leider nicht empirisch ausreichend überprüft werden, da die Datenerhebung auf schweizerischen Betreibungsämtern (vgl. Abschnitt 3, Teil I) eine Querschnittsanalyse mit relativ wenigen Beobachtungen hinsichtlich Lohnpfändungen darstellt; nötig wären aber Zeitreihen.1 Eine interessante Alternative bilden Computersimulationen. Bei einer solchen Simulation wird das Modell anhand realer Werte „durchgespielt“. Unterschiedliche Annahmen können so auf ihre Wirkung hin getestet werden. Zusätzlich lassen sich mit Hilfe der Computersimulationen Veränderungen der exogenen Variablen sowie die Wirkung von Reformvorschlägen analysieren. Die Simulationen wurden mit Hilfe des von der Weltbank entwickelten General Algebraic Modeling System (GAMS) getätigt. Der Algorithmus ist im Anhang abgedruckt. 4.1 Die Wahl der Nutzenfunktion Der Nachteil der Computersimulationen besteht vor allem darin, dass nicht mit einem allgemeinen Ausdruck für die Nutzenfunktion gearbeitet werden kann. Für die Berechnung ist es notwendig sich eine Nutzenfunktion auszusuchen. Aufgrund dieses Verlustes an Allgemeingültigkeit spielt die Wahl der funktionalen Form eine grosse Rolle für die berechneten Ergebnisse. Stern (1986) hat folgende Anforderungen an eine Nutzenfunktion mit den Argumenten Konsum und Freizeit formuliert: (1) Konsistent mit der Nutzenmaximierung, insbesondere hinsichtlich der Slutzky-Aufteilung (2) Schätzbarkeit: a) Linear in den Koeffizienten b) Haushaltscharakteristika können eingefügt werden c) Stochastische Variation der beobachteten Grössen 1) Einige Versuche mittels der vorhandenen Daten die theoretischen Aussagen empirisch zu überprüfen, sind in Abschnitt 6 dieses Teils zu finden. 194 4 Analyse eines betriebenen Individuums mittels Computersimulationen (angesichts standardisierter Arbeitszeiten könnte diese Anforderung ein Problem darstellen) (3) Einfache Kalkulation der direkten und indirekten Nutzenfunktion, der Ausgabenfunktion und der inversen Angebotsfunktion (4) Einfachheit bezüglich der Anwendung auf Politikprobleme: Kriterien 2 und 3 zusammen mit der Transparenz der wichtigen Parameter (5) Möglichkeiten des Einbaus in Computermodelle für die optimale Einkommensbesteuerung (6) Verhalten des Individuums bei einem niedrigen Niveau des Arbeitsangebots: a) Die Möglichkeit negativen Grenzleids für die Arbeit 2) Möglichkeit, dass Freizeit inferior ist (7) Aggregation (8) Flexibilität der möglichen Reaktionen des Arbeitsangebotes auf Lohnsatzänderungen Nicht alle diese Bedingungen sind für das vorliegende Problem von Bedeutung. Von grosser Wichtigkeit sind ohne Zweifel das erste Kriterium und auch das zweite, insoweit in Zukunft möglicherweise die Simulationsergebnisse empirisch überprüft werden sollen. Das Kriterium 5, die Möglichkeit die Nutzenfunktion in Computermodellen zu benutzen, ist natürlich zentral für die Simulationen. Bei den Simulationen wurde schliesslich mit drei verschiedenen funktionalen Formen gearbeitet: Einer logarithmischen Cobb-Douglas-Funktion, einer CESFunktion sowie einer quadratischen Nutzenfunktion. Alle drei Funktionen werden in den folgenden drei Abschnitten kurz vorgestellt. Für eine detaillierte Beschreibung dieser drei Funktionen sowie anderer funktionaler Formen für eine Nutzenfunktion mit den Argumenten Konsum und Freizeit bzw. Arbeit vgl. Stern (1986). Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 195 4.1.1 Logarithmische Cobb-Douglas-Nutzenfunktion Die funktionale Form der logarithmischen Cobb-Douglas-Funktion lautet wie folgt: U ( c, l ) = α ⋅ ln c + ( 1 – α ) ⋅ ln l . (III.80) Die logarithmische Cobb-Douglas-Funktion ist additiv separabel zwischen Konsum und Freizeit, es existiert keine Kreuzableitung. Die Anforderungen an die 1. und 2. Ableitung werden erfüllt indem ∂U ⁄ ∂c, ∂U ⁄ ∂l > 0 und 2 2 2 2 ∂ U ⁄ ∂c , ∂ U ⁄ ∂l < 0 sind unter der Bedingung, dass 0 < α < 1 . Die SlutzkyBedingung ist erfüllt. Die resultierende Arbeitsangebotsfunktion lautet 1 – l = α. (III.81) Das Arbeitsangebot hängt einzig von dem Parameter α ab und ist somit unabhängig vom Lohnsatz. Diese Tatsache macht die Cobb-Douglas-Funktion sehr einfach in ihrer Verwendung. Allerdings bedeutet die Unabhängigkeit vom Lohnsatz auch einen Verlust an Realität. Stern (1986) verwendet in seinem Überblick statt der logarithmischen CobbDouglas-Funktion das sog. Lineare Ausgabensystem (LES). Der Unterschied liegt in der Einführung eines Minimalkonsums, so dass U ( c, l ) = α ⋅ ln ( c – c ) + ( 1 – α ) ⋅ ln l . (III.82) Es entsteht somit erst Nutzen, wenn der Konsum den Minimalwert c überschreitet. Der Vorteil liegt darin, dass auf diese Weise ein Minimalkonsum in die Nutzenfunktion integriert wird und nicht mehr per Restriktion auferlegt werden muss. Obgleich dieses Vorgehen für die folgende Untersuchung über die Wirkung eines Existenzminimums auf den ersten Blick sehr vorteilhaft erscheint, habe ich mich dennoch entschlossen auf die Verwendung des LES zu verzichten. Die Verwendung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums als Minimalkon- 196 4 Analyse eines betriebenen Individuums mittels Computersimulationen sum c ist nicht sinnvoll, da das betreibungsrechtliche Existenzminimum im Rahmen der Analysen verändert wird. Eine Veränderung eines Parameters in der Nutzenfunktion würde aber eine „neue“ Person kreieren und einen Vergleich unmöglich machen. Es müsste somit der Minimalkonsum als eine Art „absolutes Minimum“ definiert werden, welches das Individuum auf keinen Fall unterschreiten möchte. Dieses Minimum müsste natürlich geringer als das kleinste verwendete betreibungsrechtliche Existenzminimum sein. Dieses Minimum lässt sich auch ohne Probleme auf Null skalieren, so dass die Verwendung eines Minimalkonsums nicht mehr notwendig erscheint. Verwendet wird also eine funktionale Form der Art: U ( c, l ) = α ⋅ ln c + ( 1 – α ) ⋅ ln l . (III.83) Für die Simulationen wird der Parameter α auf 0.5 gesetzt. 4.1.2 CES-Nutzenfunktion Die CES-Nutzenfunktion (CES = Constant Elasticity of Substitution) lautet: U ( c, l ) = ( α ⋅ c –β + (1 – α) ⋅ l 1 – --–β β ) . (III.84) Auch bei der CES-Nutzenfunktion lässt sich ein Minimalkonsum einbauen [vgl. Stern (1986)]. Aus den genannten Gründen wird aber auch hier darauf verzichtet. Die CES-Funktion erfüllt die Slutzky Bedingung, sofern 1 ⁄ ( 1 + β ) > 0 . Die Arbeitsangebotsfunktion lautet: w 1 – l = -----------------------ζ w+k⋅w 1–α ζ 1 mit k = ------------ und ζ = ----------- α 1+β . (III.85) Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 197 Auch die CES-Funktion ist hinsichtlich Lohnsatzänderungen nicht sehr flexibel. Das Arbeitsangebot bleibt zwar nicht konstant wie bei der Cobb-DouglasFunktion, aber es fällt monoton. Für die Simulationen wurden die Parameter auf α = 0.6 und β = 0.4 gesetzt. 4.1.3 Quadratische Nutzenfunktion Die dritte verwendete Nutzenfunktion ist die quadratische Nutzenfunktion: 2 2 U ( c, l ) = α ⋅ c + β ⋅ l + γ ⋅ c ⋅ l + ϑ ⋅ l + ε ⋅ c . (III.86) Bei der quadratischen Nutzenfunktion ist es von grosser Bedeutung wie die fünf Parameter festgelegt werden, da bei gewissen Parameterwerten die Kriterien von Stern nicht erfüllt sind. Für die Erfüllung des ersten Kriteriums von Stern 2 müssen α, β < 0 und 4 ⋅ α ⋅ β – γ > 0 sein. Die Arbeitsangebotsfunktion lautet w ⋅ (2 ⋅ α ⋅ w – γ + ε) – ϑ 1 – l = ------------------------------------------------------------ . 2 2 ⋅ (α ⋅ w + β – γ ⋅ w) (III.87) Bezüglich der Reaktion auf Lohnsatzänderungen weist die quadratische Nutzenfunktion die interessantesten Eigenschaften von den drei verwendeten Funktionen auf. Das Arbeitsangebot steigt anfangs mit steigendem Lohnsatz fällt später aber wieder ab, der Einkommenseffekt überwiegt dann also. Die in den α = – 0.1, β = – 2.4, Simulationen verwendeten Parameter sind γ = 0.1, ϑ = 4.6, ε = 1.25 . Damit erfüllt die Funktion die Anforderungen von Stern im relevanten Bereich. Einen Überblick über die drei verwendeten Funktionen und ihre Parameter gibt Tabelle III.3. Die Verläufe aller drei Arbeitsangebotsfunktionen in Abhängigkeit vom Lohnsatz sind in Abbildung III.10 wiedergegeben. 198 4 Analyse eines betriebenen Individuums mittels Computersimulationen Abbildung III.10 Arbeitsangebotsfunktionen in Abhängigkeit vom Lohnsatz 1.20 1.00 Arbeitsangebot 0.80 LES CES 0.60 Quadratisch 0.40 0.20 .0 .0 16 .0 15 .0 14 .0 13 .0 12 0 7. 11 0 6. 0 0 5. .0 0 4. 10 0 3. 0 0 2. 9. 0 1. 8. 0 0. - Lohnsatz Tabelle III.3 Überblick über die in den Simulationen verwendeten Nutzenfunktionen Cobb-Douglas U = 0.5 ⋅ ln c + 0.5 ⋅ ln l CES Quadratisch U = ( 0.6 ⋅ c – 0.4 2 + 0.4 ⋅ l 1 – ------– 0.4 0.4 ) 2 U = – 0.1 ⋅ c – 2.4 ⋅ l + 0.1 ⋅ c ⋅ l + 4.6 ⋅ l + 1.25 ⋅ c 4.2 Festlegung der sonstigen Parameterwerte für die Simulationen Die Computersimulationen werden mit sechs verschiedenen Schuldnergruppen durchgeführt. Es wird unterschieden zwischen drei Einkommensgruppen die jeweils eine niedrige und eine hohe Schuld aufweisen. Die Einteilung dieser Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 199 Gruppen orientiert sich an den Ergebnissen der Interviews auf den schweizerischen Betreibungsämtern (vgl. Abschnitt 3, Teil I). Als Einkommensbasis werden die Einkommen des 0.25er Quartils, des 0.5er Quartils und des 0.75er Quartils genommen. Es werden damit drei Gruppen gebildet: Gruppe 1 mit einem Einkommen von Fr. 2’100 pro Monat, Gruppe 2 mit einem Einkommen von Fr. 3’200 und Gruppe 3 mit einem Einkommen von Fr. 4’330 pro Monat. In jeder der Gruppen werden dann die Quartilswerte für die Verschuldung berechnet, in diesen Fällen das 0.25er und das 0.75er Quartil. Das Existenzminimum wird für alle drei Gruppen mit dem allgemeinen Mittelwert von ca. Fr. 2’000 angesetzt. Abbildung III.11 Schema zur Skalierung der Parameter der Simulation mittels der Datenerhebung 0.25 Q uartil 25‘680 Jah reseink o m m en Q uartil 0.25 S ch uld enh ö he 5‘000 G rup pe Ia 0.75 38‘400 51‘960 0.25 0.75 56‘500 0.5 5‘450 Ib 0.75 28‘500 IIa IIb 0.25 8‘300 IIIa 0.75 50‘000 IIIb Die Lohnsätze w für die Simulationen können auf zwei Arten skaliert werden. Einmal so, dass ihre Verhältnisse den Einkommen der Datenerhebung entsprechen. Die andere Möglichkeit wäre sie so zu skalieren, dass die resultierenden Einkommen, also w ⋅ ( 1 – l t ) , den Einkommensverhältnissen der Datenerhebung entsprechen (wobei das Einkommen zugrundegelegt wird, welches bei Nichtbetreibung zustande kommt1). Für die Cobb-Douglas-Funktion spielt diese Frage keine Rolle, da das Arbeitsangebot nicht vom Lohnsatz abhängt. Bei einem Parameterwert von α = 0.5 ist das resultierende Einkommen gleich dem halben 1) Da sich das Einkommen im Zeitablauf ändert, müsste als Referenzwert das Durchschnitteinkommen der betrachteten Perioden genommen werden. Das durchschnittliche Arbeitsangebot ist definiert durch ∅l = T ∑i = 1 li ⁄ T . 200 4 Analyse eines betriebenen Individuums mittels Computersimulationen Lohnsatz. Auf die anderen beiden Nutzenfunktionen trifft dies aber nicht zu. Ich habe mich schliesslich dazu entschlossen die Lohnsätze für alle drei Nutzenfunktionen konstant zu halten um dadurch eine bessere Vergleichbarkeit zu ermöglichen. Die Parameter der CES und der quadratischen Nutzenfunktion habe ich dann so kalibriert, dass für die niedrigste Lohngruppe bei allen drei Nutzenfunktionen im Nichtbetreibungsfall dasselbe durchschnittliche Einkommen resultiert. Der Zinssatz für die Gläubiger ist auf Null gesetzt, da während der Lohnpfändung keine Verzinsung der Schuld erfolgt. Die Einführung eines Extrazinssatzes für den Fall, dass das Vermögen nicht negativ ist, würde das Modell erheblich komplizierter machen, ohne dass die Ergebnisse prinzipiell verändert werden. Um die Verluste für die Gläubiger, welche bei Änderungen von Parametern entstehen könnten, abzuschätzen, wird für die Gläubiger mit einem Zinssatz von 0.05 gerechnet. Die Zeitpräferenzrate der Schuldner wird auf 0.03 festgelegt. Die Anzahl der Perioden beträgt 20. Auch dieser Wert hat seinen Ursprung in den Ergebnissen der Interviews. Rund 83% der interviewten Personen erwarten innerhalb von 20 Jahren wieder schuldenfrei zu sein. Nur 1% der Befragten geben einen endlichen Wert grösser als 20 Jahre an, während die restlichen 16% erwarten nie wieder schuldenfrei zu sein (vgl. Abschnitt 3, Teil I). Ferner sind 20 Jahre der Zeitraum, innerhalb dessen ein Verlustschein verjährt (vgl. Abschnitt 2, Teil I). Die Parameterwerte für die Simulationen sowie die Vergleichswerte der Datenerhebung sind in Tabelle III.4 eingetragen. 4.3 Simulationsergebnisse und komparative Dynamik 4.3.1 Der Optimierungspfad Bei Simulation der 6 Gruppen mit den in Tabelle III.4 angegebenen Parameterwerten ergibt sich das folgende Bild: • In der Lohngruppe I (w = 2.14) erfolgt weder bei den Schuldnern mit der geringen Schuld (v 0 = -0.21) noch bei denjenigen mit der hohen Schuld (v 0 = - 2.35) eine Tilgung. Alle verharren auf einem Arbeitsangebot von 0.47, welches gerade ausreicht das betreibungsrechtliche Existenzminimum in Höhe Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 201 Tabelle III.4 Festlegung der Parameter für die Simulation und Vergleich mit der Datenerhebung Datenerhebung Gruppe Ia Einkommen in den Interviews in Franken Ib IIa 25’680 IIIb 51’960 24’000 5’000 Verhältnis Einkommen zu Existenzminimum Verhältnis Verschuldung zu Einkommen IIIa 38’400 Existenzminimum in Franken (pro Jahr) Schuldenhöhe in Franken IIb 56’500 5’450 1.07 0.2 28’500 8’300 1.60 2.2 0.14 50’000 2.17 0.74 0.16 0.96 In der Simulation verwendete Werte Lohnsatz (w) 2.14 3.20 Existenzminimum (m) (Grundszenario) Vermögen zu Anfang Periode 1 (v0) 4.33 1 - 0.21 - 2.35 - 0.23 - 1.19 - 0.35 - 2.08 Normaleinkommena der Cobb-Douglas-Funktion 1.07 1.60 2.17 Normaleinkommena der CES-Funktion 1.07 1.51 1.93 Normaleinkommena der quadratischen Funktion 1.07 1.93 2.78 Zinssatz für Schuldner 0 Zinssatz für Gläubiger 0.05 Zeitpräferenzrate 0.03 Anzahl Perioden 20 a. Das Normaleinkommen ist das Einkommen, welches erzielt würde, wenn keine Lohnpfändung erfolgen würde. 202 4 Analyse eines betriebenen Individuums mittels Computersimulationen von 1 zu finanzieren. Dieses Ergebnis gilt für alle drei Nutzenfunktionen. Es ist allerdings nicht weiter erstaunlich, dass die beiden Individuen ihre Schuld nicht tilgen. Das betreibungsrechtliche Existenzminimum liegt mit dem Wert 1 nur knapp unter dem „Normaleinkommen“ dieser Individuen von 1.07. Das Verhalten entspricht somit dem in Abschnitt 3.2.2 vorgestellten theoretischen Szenario des Nichtabbaus der Schuld (vgl. Fall C in Abbildung III.9, S. 190). • Die Individuen der Lohngruppe II (w = 3.2) bauen beide ihre Schuld ab. Die Individuen mit der niedrigen Schuld (v 0 = - 0.23) benötigen nur eine Periode zum Schuldenabbau. Nach erfolgter Tilgung erarbeitet dieses Individuum sein „Normaleinkommen“. Auch dieses Ergebnis gilt für alle drei Nutzenfunktionen. Die Individuen mit der hohen Schuld (v 0 = - 1.19) benötigen zwei Perioden im Falle der Cobb-Douglas-Funktion und der quadratischen Nutzenfunktion. Das Individuum mit der CES-Nutzenfunktion benötigt drei Perioden zur Schuldtilgung. In Abbildung III.12 ist der Optimierungspfad eines Individuums der Gruppe IIb am Beispiel der CES-Nutzenfunktion abgebildet. In allen Fällen sinkt die Freizeit während der Phase der Lohnpfändung, wie im theoretischen Modell hergeleitet (vgl. Abschnitt 3.2). Abbildung III.12 Konsum- und Freizeitpfad eines Haushalts in der Lohnpfändung - Lohngruppe IIb mit CES-Nutzenfunktion 2.5 2 1.5 Freizeit Konsum 1 0.5 0 0 5 10 15 20 Perioden • Auch die Individuen der Lohngruppe III (w = 4.33) bauen ihre Schuld ab. Die niedrige Schuld (v 0 = - 0.35) wird innerhalb einer Periode getilgt, die hohe Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 203 Schuld (v 0 = - 2.08) innerhalb von zwei Perioden. Danach erarbeiten die Individuen wieder ihr „Normaleinkommen“. Die Ergebnisse gelten für alle drei Nutzenfunktionen. Auch hier sinkt die Freizeit während der Lohnpfändung. 4.3.2 Wirkung einer Änderung der Startschuld Ich will zuerst die Wirkung einer Änderung der Startschuld auf das Arbeitsangebot untersuchen. Das Existenzminimum beträgt für alle drei Lohngruppen nach wie vor 1. Eine Erhöhung der Startschuld führt dazu, dass ceteris paribus das Individuum eine längere Zeit braucht um diese Schuld zu tilgen. Verändert es sein Arbeitsangebot nicht, so verringert sich der Gegenwartswert seines Konsums über den gesamten Optimierungszeitraum. Erhöht es sein Arbeitsangebot so verringert sich der Freizeitkonsum. In Abbildung III.13 ist die Reaktion dreier Individuen mit Cobb-Douglas-Nutzenfunktion und unterschiedlichen Lohnsätzen eingezeichnet. Das Individuum mit dem geringsten Lohnsatz (w = 2.14) reagiert nicht auf die Erhöhung der Schuld. Sein Arbeitsangebot bleibt konstant bis zu dem Punkt, wo es sich entscheidet die Schuld nicht mehr zu tilgen. Die beiden Individuen mit den höheren Lohnsätzen (w = 3.2 bzw. w = 4.33) steigern ihr Arbeitsangebot mit steigender Startverschuldung, bis zu dem Punkt, an dem auch sie aufgeben die Schuld zu tilgen. Die maximal akzeptierte Schuld, welche die Individuen bereit sind zurückzuzahlen, anstatt nur noch das Existenzminimum zu erarbeiten, ist in Tabelle III.5 eingetragen. Die Ergebnisse der Simulationen bestätigen die Aussagen des Zweiperioden-Modells, hinsichtlich einer exogenen Erhöhung der Startschuld (vgl. Abschnitt 3.1.2, Abbildung III.4 auf Seite 162). Eine zu hohe Schuld würde das Individuum zu lange dazu zwingen einerseits nur das Existenzminimum konsumieren zu können und gleichzeitig auch noch relativ viel arbeiten zu müssen. Aufgrund der Gegenwartspräferenz werden die in der Zukunft liegenden Perioden, in denen nach Tilgung der Schuld wieder volle Wahlfreiheit herrschen würde, geringer bewertet als die Gegenwart mit relativ wenig Freizeit. 204 4 Analyse eines betriebenen Individuums mittels Computersimulationen Abbildung III.13 Reaktion des Arbeitsangebotes auf eine Erhöhung der Startschuld - Cobb-Douglas-Funktion Arbeitsangebot 0.600 0.500 0.400 w = 2.14 w = 3.2 0.300 w = 4.33 0.200 Es wird nur noch das Existenzminimum erarbeitet 0.100 Startschuld – v 0 0.01 0.1 1 10 In Tabelle III.5 ist für alle drei Lohngruppen sowie für alle drei Nutzenfunktionen angegeben, wie hoch die maximal akzeptierte Schuld ist. Ferner wird ausgewiesen welches das maximal akzeptierte Verhältnis von Schulden zu Einkommen ist sowie der kritische Wert der sog. standardisierte Tilgungsdauer Ds. Die standardisierte Tilgungsdauer gibt an, wieviele Perioden ein Individuum benötigen würde seine Schuld zu tilgen, wenn es genau so viel Arbeit anbietet, als wenn keine Lohnpfändung erfolgen würde. Der kritische Wert ist dann der Wert, bis zu dem das Individuum bereit ist die Schuld zu tilgen. Resultat III.4 Eine steigende Anfangsschuld führt dazu, dass zumindest die Individuen mit den höheren Lohnsätzen anfangs ihr Arbeitsangebot steigern. Aber auch für diese Individuen gibt es eine maximal akzeptierte Schuld über die hinaus sie nur noch das Existenzminimum erarbeiten. Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 205 Tabelle III.5 Maximal akzeptierte Schuld Lohngruppe I II III Nutzenfunktion Maximal akzeptierte Schuld v 0 krit. Wert Schuld/Einkommen a –v0 --------------------------( 1 – lN ) ⋅ w krit. Wert standardisierte Tilgungsdauer Ds a –v 0 ----------------------------------1 – lN ) ⋅ w – m Cobb-Douglas - 0.06 0.06 0.86 CES - 0.14 0.13 2.00 Quadratisch - 0.19 0.18 2.71 Cobb-Douglas - 3.1 1.94 5.17 -4 2.65 7.84 Quadratisch - 5.2 2.69 5.59 Cobb-Douglas - 8.7 4.01 7.44 CES - 11.2 5.80 12.04 - 15 5.40 8.43 CES Quadratisch a. lN steht für das „Normaleinkommen“, also das Einkommen, welches erzielt wird wenn keine Lohnpfändung erfolgt. 4.3.3 Änderung des Existenzminimums Vor allem für die Politik ist wichtig, wie sich Veränderungen des Existenzminimums auf das Verhalten der Verschuldeten auswirken. Im Zweiperioden-Modell wurde bereits beschrieben, dass eine Existenzminimumserhöhung zu einer Erhöhung des Arbeitsangebotes führen kann. Dies gilt zumindest so lange, wie der Nutzengewinn in der zweiten Periode durch den unbeschränkten Konsum grösser ist, als der Nutzenverlust durch die Mehrarbeit in der ersten Periode. Im Mehrperioden-Modell besteht für das Individuum natürlich die Möglichkeit, auf eine Erhöhung des Arbeitsangebotes zu verzichten und stattdessen die Rückzahlungsdauer zu verlängern. Die Gläubiger interessieren sich zweifelsohne nicht primär dafür, ob die Schuldner mehr arbeiten, sondern ob sie ihre Schulden möglichst schnell zurück- 206 4 Analyse eines betriebenen Individuums mittels Computersimulationen bezahlen. Da die Schuld während der Pfändungsphase nicht mehr verzinst wird, hat ein Gläubiger ein Interesse seine Forderungen innerhalb kürzester Zeit zurückzuerhalten. Von dem eventuellen gesellschaftlichen Interesse an einem steigenden Arbeitsangebot von Seiten der Schuldner will ich an dieser Stelle absehen. Wird also mit ξ der Pfändungserfolg pro Periode bezeichnet, so ergibt sich: ξt = w ⋅ ( 1 – lt ) – m . (III.88) Die Gleichung (III.88) nach m differenziert, gleich Null gesetzt und nach ∂ ( 1 – l t ) ⁄ ∂m aufgelöst ergibt: ∂ ( 1 – lt ) 1 -------------------- = ---- . ∂m w (III.89) Die folgende Gleichung gibt an um wieviel Prozent das Arbeitsangebot steigen muss, damit bei einer einprozentigen Erhöhung des Existenzminimums der Pfändungserfolg gleich bleibt: ∂ ( 1 – lt ) m m e ( 1 – l ), m = -------------------- ⋅ ----------------- = ------------------------- . ( 1 – lt ) ∂m ( 1 – lt ) ⋅ w (III.90) Die notwendigen Elastizitäten zum Konstanthalten der Gläubigerverluste sind für alle drei Lohngruppen in Tabelle III.6 dargestellt. Die Elastizitätenberechnung erfolgte aufgrund des durchschnittlichen Arbeitsangebots. Da die Individuen der Lohngruppe I schon bei dem Ausgangswert des Existenzminimums in Höhe von 1 keinen Schuldabbau betreiben, entfallen für sie logischerweise auch die Berechnung der notwendigen Elastizitäten. Das Existenzminimum wird in den Simulationen um 1, 10, 20, 30 40 und 50% gesteigert, also bis auf den Wert 1.5. Eine Erhöhung des Arbeitsangebotes ist in einigen Fällen festzustellen, allerdings um einen marginalen Wert. In vielen Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 207 Tabelle III.6 Notwendige Elastizitäten des Arbeitsangebots bei einer Erhöhung des Existenzminimums CobbDouglas CES Quadratisch - - - IIa 0.62 0.66 0.52 IIb 0.62 0.65 0.51 IIIa 0.46 0.52 0.36 IIIb 0.45 0.50 0.35 Lohngruppe Ia/Ib Fällen wird das Arbeitsangebot sogar gesenkt. Die notwendige Arbeitsangebotselastizität wird in keinem Fall erreicht. Das Individuum der Lohngruppe IIb mit Cobb-Douglas-Nutzenfunktion hört auf mit der Schuldtilgung, wenn das betreibungsrechtliche Existenzminimum um 50% gesteigert wird. Bei Verwendung der CES-Nutzenfunktion erfolgt die Aufgabe schon bei einer Steigerung des Minimums um 40%. Resultat III.5 Auch im Mehrperioden-Modell kann eine Erhöhung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums gemäss den Simulationsrechnungen in Einzelfällen zu einer Steigerung des Arbeitsangebotes führen. Diese Steigerung reicht jedoch nicht aus, den verringerten Pfändungserfolg pro Periode zu kompensieren. Häufiger ist sogar ein Absinken des Arbeitsangebotes. Wird das betreibungsrechtliche Existenzminimum um mehr als 50% gesteigert verzichten sogar einige der simulierten Individuen auf eine Schuldtilgung, im Gegensatz zur Ausgangssituation. 208 4 Analyse eines betriebenen Individuums mittels Computersimulationen Die Erhöhung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums bringt also Mehrkosten für die Gläubiger mit sich, da die Schuld während der Lohnpfändung nicht verzinst wird. Je mehr Perioden notwendig sind um die Schuld zu tilgen, desto höher wird der Zinsverlust für die Gläubiger. 4.3.4 Die Rolle der Sozialhilfe Bisher wurde angenommen, dass keine staatlichen Transfers existieren. Es galt die Bedingung, dass jedes Individuum mindestens das betreibungsrechtliche Existenzminimum erreichen will und daher dementsprechend genug Arbeit anbietet und auch dazu in der Lage ist. Diese Annahmen entsprechen zweifelsohne nicht der Realität. Es existiert als letztes soziales Netz die Sozialhilfe, welche Menschen die nicht durch eigene Anstrengung ein definiertes Minimum erreichen können, unterstützt. Die Existenz einer staatlichen Fürsorge kann die Arbeitsanreize beeinflussen, da das Existenzminimum jetzt auch ohne Eigenleistung erreichbar ist. Zur Wirkungsweise einer Sozialhilfe gebe ich ein einfaches Beispiel. In Abbildung III.14 ist die Entscheidungssituation eines Individuums dargestellt, welches die Wahl hat zwischen Freizeit l und Konsum c (finanziert durch Arbeit = 1 - l). Ohne Sozialhilfe würde das Individuum mit der Indifferenzkurve Ui Punkt A mit c1 Einheiten Konsum und l1 Einheiten Freizeit wählen. Wird Sozialhilfe in Höhe von c eingeführt, bedeutet dies, dass das Individuum ein Konsumniveau c erreichen kann, ohne dafür zu arbeiten also gleichzeitig Freizeit in voller Höhe (l = 1) konsumieren könnte (Punkt B). Das Individuum mit der in Abbildung III.14 gezeigten Präferenzstruktur ist bei Einführung einer Sozialhilfe indifferent zwischen der Option Arbeiten und der Option „Sozialhilfe kassieren“. Staatliche Sozialhilfe kann also die Arbeitsanreize senken und könnte somit dazu führen, dass manche Individuen, die eine relativ hohe Präferenz für Freizeit aufweisen, sich überlegen mit der Arbeit aufzuhören.1 1) Ein ausführlicheres Modell welches die Anreizwirkungen der Sozialhilfe auf das Arbeitsangebot untersucht stammt von Siebert und Stähler (1995). Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 209 Abbildung III.14 Wirkung der Sozialhilfe c w c1 A B c- Ui l1 l=1 l Zur Zeit ist das betreibungsrechtliche Existenzminimum in der Schweiz in den meisten Fällen tiefer als das Existenzminimum der Sozialhilfe. Man könnte dies damit begründen, dass im Falle einer Betreibung die Rechte des Gläubigers geschützt werden müssen und von daher ein möglichst grosser Teil des Lohnes gepfändet werden muss um die Schulden zu tilgen. Auf der anderen Seite erscheint es ungerecht, wenn eine Person die arbeitet und einer Lohnpfändung unterliegt, mit weniger Geld auskommen muss als eine Person die nicht arbeitet und Sozialhilfe bekommt. Verschärft wird das Problem dadurch, dass die Sozialhilfe nicht pfändbar ist. Es kann also unter Umständen nutzenmaximierend sein im Falle einer Lohnpfändung die Arbeit aufzugeben und Sozialhilfe zu beziehen, da hierdurch ein höheres Konsumniveau erreicht werden kann. Als Beispiel vergleiche ich zwei identische Individuen. Beide Personen sind verschuldet. Die erste arbeitet und unterliegt einer Lohnpfändung bis die Schuld abbezahlt ist. Das zweite Individuum arbeitet nicht und bekommt Sozialhilfe welche über dem betreibungsrechtlichen Existenzminimum liegt. In den Perioden, in denen das erste Individuum seine Schuld abbezahlt und einer Pfändung unterliegt, ist sein Nutzenniveau niedriger als das des zweiten Individuums, welches zum einen mehr Freizeit und zum anderen mehr Güterkonsum hat. Das erste Individuum ist jedoch irgendwann schuldenfrei und kann wieder voll über sein 210 4 Analyse eines betriebenen Individuums mittels Computersimulationen Einkommen verfügen, während die zweite Person auf dem Niveau der Sozialhilfe bleibt. Je höher die Zeitpräferenzrate eines Individuums und je länger der Zeitraum der Lohnpfändung, desto eher wird es sich dazu entscheiden nicht zu arbeiten, um stattdessen Sozialhilfe zu bekommen. Die Sozialhilfe konnte im bestehenden Simulationsmodell leider nur mit beschränktem Erfolg eingebaut werden.1 Der Grund liegt in der Unstetigkeit der Sozialhilfefunktion [vgl hierzu auch Sieber und Stähler (1995)]. Die bei den Simulationen verwendete Funktion hat die folgende Form: Ψ t = Max [ 0, c – w ⋅ ( 1 – l t ) ] . (III.91) Der staatliche Transfer ψ t ist 0, wenn das Einkommen w ⋅ ( 1 – l t ) einer betroffenen Person das Sozialhilfeminimum bzw. die Armutsgrenze c übersteigt, andernfalls wird das Einkommen bis zum Minimum c per Transferleistung aufgestockt. Dementsprechend ändert sich die Bewegungsgleichung zu: · vt = vt ⋅ r + w ⋅ ( 1 – lt ) – p ⋅ ct + ψt . (III.92) In Absenz jeglicher Aversionen gegen staatliche Transferleistungen ist die Wahl eines Einkommens zwischen Null und c nicht optimal. Das Individuum wird sich entweder entscheiden selbst zu arbeiten und mehr als die Sozialhilfe verdienen oder es wird überhaupt nicht arbeiten und die volle Sozialhilfe in Höhe von Ψ t = c bekommen. Die Folge einer Einführung staatlicher Sozialhilfe in das Modell liegt auf der Hand. Angenommen, das Sozialhilfeminimum liegt auf derselben Höhe wie das betreibungsrechtliche Minimum. Dann werden die Individuen mit dem geringen Lohnsatz (Gruppe I), welche auch ohne Sozialhilfe es vorziehen die Schuld nicht zu tilgen, bei Einführung einer Sozialhilfe ganz aufhören zu arbeiten und statt dessen Sozialhilfe beziehen. Für sie ist keinerlei Arbeitsanreiz mehr vorhanden. 1) Bei einigen Simulationen konnte das Programm bei Verwendung der Sozialhilfefunktion kein Ergebnis errechnen. Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 211 Auch Individuen welche bisher die Schuld tilgten, haben nun verstärkt Anreize dies zu unterlassen, da die Option „Nichttilgung der Schuld“ attraktiver geworden ist. Resultat III.6 Die Einführung einer staatlichen Sozialhilfe senkt die Arbeitsanreize für die Schuldner. Diejenigen, welche bisher darauf verzichteten die Schuld zu tilgen, aber immerhin das Existenzminimum selbst erarbeiteten, werden nun ganz auf Eigenarbeit verzichten. Dadurch, dass es attraktiver wird die Schuld nicht zu tilgen und statt dessen volle Freizeit und Sozialhilfe zu kassieren, sinken die Anreize zum Schuldenabbau. Natürlich ist die Sachlage in der Realität nicht ganz so einfach. Für viele Menschen bedeutet der Gang zum Sozialamt eine Erniedrigung und sie ziehen es vor selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Leu et al. (1997) berechnen für die Schweiz eine Nichtbezugsquote bei der staatlichen Sozialhilfe von 45%. Dass heisst, dass nur jeder zweite an sich Sozialhilfeberechtiger diese auch tatsächlich in Anspruch nimmt. Als Hauptgrund für den Nichtbezug wird von den Betroffenen der Wille wirtschaftlich selbständig zu sein angegeben [vgl. Leu et al. (1997), 186f]. Die prinzipielle Überlegung, dass Sozialhilfe zweifelsohne sinnvoll ist, aber auch Arbeitsanreize beeinträchtigt, kann jedoch nicht von der Hand gewiesen werden. Im Zusammenhang mit einer Lohnpfändung gewinnt dies an Bedeutung. 212 5 Reformvorschläge - Chancen für eine Pareto-Verbesserung? 5 Reformvorschläge - Chancen für eine Pareto-Verbesserung? In den folgenden Abschnitten werden mögliche Reformen der Lohnpfändung vorgestellt. Der erste Vorschlag beinhaltet eine Änderung des Pfändungsverfahrens. Es geht darum nicht wie bisher den Lohn jenseits des Existenzminimums zu 100% zu pfänden, sondern den Individuen einen Prozentsatz ihres zusätzlichen Einkommens zu belassen. Dies läuft auf ein variables Existenzminimum hinaus. Der zweite Vorschlag sieht nach einer festzulegenden Anzahl von Jahren eine Entschuldung vor. Dass heisst, ein hoffnungslos überschuldetes Individuum hätte die Möglichkeit wieder von vorne anzufangen. Es soll getestet werden, ob diese Vorschläge Raum für eine Pareto-Verbesserung bieten, sei es in dem Sinne einer absoluten Verbesserung oder zumindest im Sinne einer potentiellen Verbesserung. Eine potentielle Pareto-Verbesserung erfordert, dass die Gewinner einer Reform die Verlierer entschädigen könnten (es ist nicht notwendig, dass sie dies auch tun). Die vier betroffenen Parteien sowie ihre Interessen sind in Tabelle III.7 eingetragen. Tabelle III.7 Die von der Lohnpfändung betroffenen Parteien und ihre Interessen Schuldner Möglichst unbeschränkte Verfügung über das eigene Einkommen Gläubiger Raschest mögliche Rückzahlung der Schulden von Seiten der Schuldner Steuerzahler Erhaltung des Arbeitsangebotes der Schuldner (bei Existenz staatlicher Sozialhilfe) Sonstige, nichtverschuldete Nachfrager auf dem Kreditmarkt Keine negativen externen Effekte auf den Kreditmarkt Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 213 5.1 Variables Existenzminimum Eine mögliche Reform hinsichtlich des betreibungsrechtlichen Existenzminimums könnte darin bestehen, dass derzeitige fixe Existenzminimum in ein variables, einkommensabhängiges umzuwandeln. Zur Zeit wird einem Individuum der Teil des Einkommens, welcher das Existenzminimum übersteigt zu 100% gepfändet, was sicherlich Arbeitsanreize zerstört. Es ist somit zu überlegen, ob es nicht von Vorteil wäre dem Individuum einen Teil des Einkommens zu belassen, welcher über das Existenzminimum hinaus erwirtschaftet wird. In diesem Fall ist ein Pfändungssatz einzuführen welcher kleiner als 100% ist. 5.1.1 Das variable Existenzminimum im theoretischen Modell Das betreibungsrechtliche Existenzminimum m ändert sich durch Einführung eines variablen Existenzminimums wie folgt: mt = [ w ⋅ ( 1 – lt ) – f ] ⋅ ( 1 – τ ) + f . (III.93) Das bisher exogen gegebene und fixe Existenzminimum wird endogenisiert und ist abhängig vom Einkommen w ⋅ ( 1 – l t ) , vom Pfändungssatz τ und von einem Freibetrag f der von der Pfändung ausgenommen ist. Zur Erinnerung werden an dieser Stelle noch einmal die Hamilton- sowie die Lagrangefunktion des Abschnitts 3.2.1 [Gleichung (III.34) und (III.35)] präsentiert: T H(t) = ∫e –δ ⋅ t ⋅ U ( c t, l t ) + 1λt ⋅ [ v t ⋅ r t + w t ⋅ ( 1 – l t ) – p t ⋅ c t ]dt , (III.94) 0 und L = H ( t ) + 2λ t ⋅ ( p t ⋅ c t – m ) ⋅ v t + 3λt ⋅ c t + 4λt ⋅ l t + 5λt ⋅ [ w t ⋅ ( 1 – l t ) – m ] . (III.95) 214 5 Reformvorschläge - Chancen für eine Pareto-Verbesserung? Mit Einführung des variablen Existenzminimums [vgl. Gleichung (III.93)], ändert sich die Lagrangefunktion (III.95) zu L = H ( t ) + 2λt ⋅ { p t ⋅ c t – [ [ w ⋅ ( 1 – l t ) – f ] ⋅ ( 1 – τ ) + f ] } ⋅ v t + 3λt ⋅ c t + 4λt ⋅ l t + 5λt ⋅ [ w t ⋅ ( 1 – l t ) – f ]. (III.96) Die Bedingungen erster Ordnung für ein Maximum ergeben nach dieser Umformung: ∂U – δt ∂L ------- = 0 ⇒ ------- ⋅ e – 1λt ⋅ p t + 2λt ⋅ p t ⋅ v t + 3λt = 0 ∂c t ∂c t (III.97) und ∂U – δt ∂L ------ = 0 ⇒ ------- ⋅ e – 1λt ⋅ w t + ∂l t ∂l t (III.98) 2λt ⋅ ( 1 – τ ) ⋅ w ⋅ v t + 4λt – 5λt ⋅ w t = 0. Die Ableitung nach der Kozustandsvariablen 1λt ergibt wiederum die Bewegungsgleichung: · · ∂L -------- = v t ⇒ v t = v t ⋅ r + w t ⋅ ( 1 – l t ) – p t ⋅ c t . ∂λ t (III.99) Differenzierung der Lagrangefunktion nach der Zustandsvariablen vt ergibt die geänderte Kozustandsgleichung: · · ∂L ------- = – 1λt ⇒ – 1λt = 1λt ⋅ r + ∂v t 2λt ⋅ { p t ⋅ c t – [ [ w ⋅ ( 1 – l t ) – f ] ⋅ ( 1 – τ ) + f ] } . (III.100) Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 215 Die folgenden vier Gleichungen sind die Ableitungen der Lagrangefunktion nach den vier Lagrangemultiplikatoren der Kuhn-Tucker Bedingungen: ∂L ---------- ≥ 0 ⇒ { p t ⋅ c – ( [ w ⋅ ( 1 – l t ) – f ] ⋅ t ∂ 2λt (III.101) ∂L --------λ ⋅ 2 t ∂ λ- = 0, 2 t ( 1 – τ ) + f ) } ⋅ vt ≥ 0 2λt ≥ 0 ∂L ---------- ≥ 0 ⇒ c t ≥ 0 ∂ 3λt 3λt ≥ 0 ∂L --------λ ⋅ 3 t ∂ λ- = 0 , (III.102) 3 t ∂L ---------- ≥ 0 ⇒ l t ≥ 0 ∂ 4λt 4λt ≥ 0 ---------- = 0 , (III.103) 4λt ⋅ ∂ 4λ t ∂L ---------- ≥ 0 ⇒ w t ⋅ ( 1 – l t ) – f ≥ 0 ∂ 5λt 5λt ≥ 0 ∂L --------λ ⋅ 5 t ∂ λ- = 0 . (III.104) 5 t ∂L Die Transversalitätsbedingung schliesslich bleibt unverändert: 1λT ≥ 0 –vT ≥ 0 – v T ⋅ 1λT = 0 . (III.105) Für eine explizite Analyse der Gleichgewichtsgeraden wird wieder die logarithmische Nutzenfunktion angenommen. Die Gleichgewichtsgerade für das Vermögen im positiven Bereich erfährt gegenüber dem Modell des Abschnitts 3.2.2 keine Änderung. Im Bereich des negativen Vermögens ergibt sie (mit Zinssatz r = 0):1 1) Vgl. hierzu Gleichung (III.60) in Abschnitt 3.2.3, Seite 180. 216 5 Reformvorschläge - Chancen für eine Pareto-Verbesserung? w–f · v t = 0, wenn l t = ----------w w–f · v t > 0, wenn l t < ----------w w–f · v t < 0, wenn l t > -----------. w (III.106) Zur Erinnerung: Die Gleichgewichtsgerade für ein fixes Existenzminimum lautet l t = ( w – m ) ⁄ w . Je nachdem ob der Freibetrag grösser oder kleiner als das fixe Existenzminimum ist, liegt die Gerade des variablen Existenzminimums über oder unter derjenigen des fixen betreibungsrechtlichen Existenzminimums. Die Analyse des Gleichgewichtspfades für die Freizeit gestaltet sich etwas aufwendiger. Das Vorgehen ist dasselbe wie in den vorangegangenen Abschnitten.1 Die Gleichgewichtsgerade ist gekennzeichnet durch:2 · · · ( τ ) λ ⋅ ⋅ ⋅ λ λ ⋅ λ 1 – – + – w v a 2 4 5 t t t⋅w · t 2 t l t = l t ⋅ ----------------------------------------------------------------------------------------------------- – δ 1λt ⋅ w – 2λt ⋅ ( 1 – τ ) ⋅ w ⋅ v t – 4λt + 5λt ⋅ w (III.107) · mit a = p ⋅ ct – { f + ( 1 – τ ) ⋅ [ f – w ⋅ ( 1 – l t – v t ) ] }. Für den Fall des positiven Vermögens ergibt sich keine Änderung. Der interessante Fall ist der des negativen Vermögens unter der Annahme, die Schuld werde bis zur Periode T nicht getilgt, also v T < 0 . Daraus folgt wieder laut der Transversalitätsbedingung (III.105), dass 1λT = 0 ist. Da der Konsum bei einer Pfändung das betreibungsrechtliche Existenzminimum nicht übersteigen kann, · gilt auch wieder 1λt = 0 und somit 1λt = 0 . Aus der Annahme einer nicht getilgten Schuld ( v T < 0 ) sowie der Bedingung, dass Freizeit grösser Null ist ( lt > 0 ) (r = 0) und der Zinssatz gleich Null folgt: 1) Vgl. Gleichung (III.69) in Abschnitt 3.2.3, Seite 184. 2) Aufgrund der Nichtverzinsung der Schuld während der Pfändung wird wie gehabt r = 0 gesetzt. Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 217 · v T < 0 ⇒ 1λT = 0 ⇒ 1λt = 0 und 4λt = 4λt = r = 0 . Damit ergibt sich für die Gleichgewichtsgerade: · · · ⋅ ( τ ) ⋅ ⋅ ( τ ) ⋅ ⋅ λ ( ⋅ ) λ λ 1 – + 1 – – – f w v w v 2 5 t t t · t 2 t l t = l t ⋅ --------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- – δ . 5λt – 2λt ⋅ ( 1 – τ ) ⋅ w ⋅ v t (III.108) Unter der Annahme, dass das Arbeitsangebot so gross ist, dass das Einkommen den Freibetrag des betreibungsrechtlichen Existenzminimums übersteigt, ist · λ λ = 5 t = 0 . Damit ergibt die Bewegungsgleichung für die Freizeit 5 t · · v λ · f t 2 t l t = l t ⋅ – ------------ + ---- – ------- – δ . w ⋅ v t v t 2λt (III.109) Ist ein Arbeitsangebot über das betreibungsrechtliche Existenzminimum hinaus möglich, auch wenn die Schuld nicht innerhalb der T Perioden getilgt wird? Wenn das Arbeitsangebot das betreibungsrechtliche Existenzminimum übersteigt · gilt 2λt = 2λt = 0 . Aus Gleichung (III.109) ergeben sich drei mögliche Lösungen: · vt · f Fall 1) δ > ---- – ------------ und damit l t < 0 vt w ⋅ vt · Die Zeitpräferenzrate ist grösser als v t ⁄ v t – f ⁄ ( w ⋅ v t ) . Der zweite f ⁄ ( w ⋅ v t ) ist auf jeden Fall positiv. Die Wachstumsrate des Vermögens Term · vt ⁄ vt kann nicht negativ sein, da eine weitere Verschuldung ja ausgeschlossen ist. Ist sie gleich Null, hiesse dies, dass das Arbeitsangebot nicht grösser ist, als zur Erarbeitung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums notwendig. Dies wiederum ist aber nicht vereinbar mit der sinkenden Freizeit, welche zwangsläufig zu einer positiven Wachstumsrate des Vermögens führen würde. Fall 1 bedeutet also, dass ein Pfad mit steigendem Vermögen und sinkender Freizeit möglich ist. Dies auch, wenn wie angenommen die Schuld nicht innerhalb der T Perioden getilgt wird. 218 5 Reformvorschläge - Chancen für eine Pareto-Verbesserung? · vt · f Fall 2) δ = ---- – ------------ und damit l t = 0 vt w ⋅ vt Dieser zweite Fall erfordert eine positive Wachstumsrate des Vermögens, also einen teilweisen Abbau der Schuld innerhalb des Zeithorizontes von T Perioden. · Eine negative Wachstumsrate v t ⁄ v t ist nicht möglich. Eine Wachstumsrate von Null würde heissen, dass die Zeitpräferenzrate negativ wäre. Diese Möglichkeit · ist aber ausgeschlossen. Damit ist in diesem Fall v t ⁄ v t > 0 zwingend. · vt · f Fall 3) δ < ---- – ------------ und damit l t > 0 vt w ⋅ vt Auch dieser Fall erfordert eine positive Wachstumsrate des Vermögens, da die Zeitpräferenzrate nicht negativ sein kann. Bei der Analyse des fixen Existenzminimums musste die Möglichkeit eines Arbeitsangebotes, welches grösser ist als das zur Finanzierung des Minimums notwendige, eindeutig verworfen werden (vgl. Abschnitt 3.2.2). Bei Einführung eines variablen Existenzminimums lohnt es sich mehr zu arbeiten, selbst dann, wenn das nicht zu einer Beendigung der Pfändung und somit freiem Konsum führt. Die drei vorgestellten Fälle zeigen, dass es durch Einführung eines variablen Existenzminimums möglich ist, dass ein Individuum innerhalb des gegebenen Zeitraums nur einen Teil der Schuld tilgt, anstatt wie bisher entweder die Schuld ganz zu tilgen oder sie vollständig stehen zu lassen. Der Grund hierfür ist, dass das Individuum einen Teil des Mehreinkommens behalten kann. Gegenüber der Abbildung III.9 in Abschnitt 3.2 (der Fall des fixen Existenzminimums), ist in Abbildung III.15, welche die Gleichgewichtspfade bei einem variablen Existenzminimum darstellt, ein weiterer Pfad hinzugekommen: Das Individuum, welches in Punkt C startet, baut seine Schuld teilweise ab, ohne sie aber innerhalb der T Perioden vollständig zu tilgen. Die Ergebnisse der Analyse sind nochmals in Tabelle III.8 zusammengefasst. Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 219 Abbildung III.15 Mögliche Gleichgewichtspfade bei der Lohnpfändung Der Fall eines variablen Existenzminimums l 1 . v=0 D > < 1–α > > > -v v=0 < A = vT > . < < C> > B > < w–m -------------w > > > > > v0 +v Resultat III.7 Das theoretisch hergeleitete Ergebnis lässt den Schluss zu, dass ein variables Existenzminimum unter Umständen dazu führt, dass ein Individuum Mehrarbeit leistet. Dies gilt auch dann, wenn die Schuld nicht innerhalb des Optimierungszeitraums getilgt wird. Der Grund liegt in den zusätzlichen Konsummöglichkeiten durch das einkommensabhängige Existenzminimum. 5.1.2 Die Ergebnisse der Simulationen zum variablen Existenzminimum Im vorherigen Abschnitt habe ich hergeleitet, dass die Mehrarbeit bei einem flexiblen Existenzminimum für das Individuum durchaus eine nutzenmaximierende Strategie ist. Der Vorteil für die Schuldner liegt auf der Hand. Eine Einheit weniger Freizeit in der Gegenwart bringt nicht nur eine beschleunigte Beendigung der 220 5 Reformvorschläge - Chancen für eine Pareto-Verbesserung? Tabelle III.8 Ergebnisse der Analyse des Vermögens- und des Freizeitpfades - Variables Existenzminimum Vermögensbereich Schuldabbau Keine vollständige Schuldtilgung innerhalb T Kein Schuldabbau vt < 0 · lt < 0 · vt > 0 · lt < 0 · vt > 0 vt = 0 vt > 0 · l t = 0 und · v t = 0 , wenn r < (nur wenn r > δ) · lt > 0 · v t > 0 zu Anfang δ · · l t > 0 und v t > 0 , wenn r > δ · v t < 0 gegen Ende des Optimierungshorizontes - - - - aber vT < 0 · lt = 0 · vt = 0 Pfändung und damit der Konsumbeschränkung in der Zukunft mit sich, zusätzlich gewinnt der Haushalt auch Konsum in der Gegenwart, da ihm nicht mehr 100% des zusätzlichen Lohns gepfändet werden. Der Preis dieses Reformvorschlags ist allerdings, dass bei gleichbleibendem Arbeitsangebot der Pfändungserfolg pro Periode sinkt. Die Rückzahlung der Schuld nimmt einen längeren Zeitraum in Anspruch, was aufgrund der fehlenden Verzinsung zu Verlusten für die Gläubiger führt. Entscheidend ist dabei natürlich, ob der Freibetrag f [vgl. Gleichung (III.93)] gleich dem bestehenden fixen Existenzminimum ist (in den Simulationen hiesse dies m = f =1) oder ob dieser Freibetrag gegenüber m gesenkt wird. Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 221 5.1.2.1 Freibetrag f = m Die Frage, die sich, wie schon in Abschnitt 4.3.3, jetzt stellt, lautet: Welche Arbeitsangebotselastizität müssen die Individuen aufweisen, damit bei einer Absenkung des Pfändungssatzes und gegebenem Freibetrag, der Pfändungserfolg gleich bleibt? Die notwendige Elastizität ergibt ∂(1 – l) τ f – (1 – l) e 1 – l, τ = ------------------ ⋅ ---------- = ----------------------- . ∂τ 1–l 1–l (III.110) Die notwendigen Elastizitäten für konstante Gläubigerverluste bei Absenkung des Pfändungssatzes sind in Tabelle III.9 angegeben. Tabelle III.9 Notwendige Elastizitäten des Arbeitsangebots bei einer Verringerung des Pfändungssatzes CobbDouglas CES Quadratisch - - - IIa 0.99 1.11 0.65 IIb 0.98 1.08 0.64 IIIa 0.99 1.23 0.55 IIIb 0.95 1.18 0.53 Lohngruppe Ia/Ib Wie schon bei der Erhöhung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums, bleibt auch hier die erhoffte Reaktion der Individuen bei den Simulationsrechungen aus. Das Arbeitsangebot bleibt im wesentlichen konstant oder sinkt sogar. Die Individuen mit dem geringen Lohnsatz reagieren nicht auf eine Reduzierung des Pfändungssatzes (solange dieser grösser als 0.1 ist). Die Grenzrate der Substitution zwischen Konsum und Freizeit ( ∂U ⁄ ∂l ) ⁄ ( ∂U ⁄ ∂c ) ist bei diesen Individuum (im Fall der Cobb-Douglas-Nutzenfunktion unter Vernachlässigung der Zeitpräferenzrate) für einen Pfändungssatz von 1 gleich 1.88. Dass heisst, dem Individuum müssten für die Aufgabe einer Einheit Freizeit 1.88 Einheiten Kon- 222 5 Reformvorschläge - Chancen für eine Pareto-Verbesserung? sum geboten werden. Einen Mehrkonsum von 1.88 Einheiten pro 1 Einheit weniger Freizeit erreicht dieses Individuum jedoch erst bei einem Pfändungssatz von 0.1. Durch die Einführung eines variablen Existenzminimums ändert sich bei einigen Individuen aber die maximal akzeptierte Schuld. Die Vermutung, dass bei genügend kleinem Pfändungssatz die Individuen bereit sein könnten Mehrarbeit zu leisten, obwohl die Schuld nicht innerhalb des gesetzten Zeithorizontes abgebaut wird, wurde bereits im theoretischen Abschnitt 5.1.1 geäussert. In Tabelle III.10, Tabelle III.11 und Tabelle III.12 ist die maximal akzeptierte Schuld jeder Schuldnergruppe und den drei verschiedenen Nutzenfunktionen in Abhängigkeit vom Pfändungssatz eingetragen. Ferner sind das maximal akzeptierte Schuld/ krit Einkommensverhältnis und die maximal akzeptierte Tilgungsdauer D s ausgewiesen. Die Individuen der Gruppe mit dem geringsten Lohnsatz (Gruppe I) reagieren bei einer Absenkung des Pfändungssatzes auf 0.2 nicht. Wird der Pfändungssatz auf 0.1 abgesenkt, so sind die Individuen mit einer Cobb-Douglasoder CES-Nutzenfunktion bereit, bei jeder Schuldhöhe Mehrarbeit zu leisten und reduzieren zumindest ihre Schulden dadurch. Die Individuen der anderen beiden Lohngruppe reagieren stärker auf eine Absenkung des Pfändungssatzes. Die Gruppe mit dem höchsten Lohnsatz (Gruppe III) ist schon bei einer Absenkung auf 0.7 bereit bei jeder Schuld Mehrarbeit zu leisten. Welches sind nun die Verluste, die bei einer Reduzierung des Pfändungssatzes entstehen? Bezeichnet man die Gläubigerverluste mit ϑ , so ergibt sich ϑ = T ∑t = 1 v t ⋅ r . (III.111) Die Gläubigerverluste ergeben sich aus der Summe der Zinsverluste, welche in jeder Periode anfallen in der die Schuld noch nicht getilgt ist. Aus Vereinfachungsgründen werden Zinseszinsen nicht berücksichtigt. Den Simulationsrechungen zufolge steigen die Gläubigerverluste mit der Absenkung des Pfändungssatzes. Eine absolute Pareto-Verbesserung ist durch eine einfache Pfändungssatz Nutzenfunktion 1 0.9 0.8 0.7 0.6 0.5 0.4 0.3 v0 v/y Ds 0.06 0.06 0.86 0.06 0.06 0.95 0.06 0.06 1.07 0.06 0.06 1.22 0.06 0.06 1.43 0.06 0.06 1.71 0.06 0.06 2.14 - - 0.06 0.06 0.06 0.06 4.29 2.86 –∞ ∞ ∞ CES v0 v/y Ds 0.14 0.13 2.00 0.14 0.13 2.22 0.14 0.13 2.5 0.14 0.13 2.86 0.14 0.13 3.33 0.14 0.13 4 0.14 0.13 5 - - 0.15 0.14 0.14 0.13 10.71 6.67 –∞ ∞ ∞ Quadratisch v0 v/y Ds 0.19 0.18 2.71 0.19 0.18 3.02 0.19 0.18 3.39 0.19 0.18 3.88 0.19 0.18 4.52 0.19 0.18 5.43 0.19 0.18 6.79 - - 0.19 - 0.19 0.19 0.18 0.18 0.18 13.57 27.14 9.05 CobbDouglas –v 1 – lN ) ⋅ w –v0 Ds =------------------------------. 1 – lN ) ⋅ w – m 0 v/y = ----------------------- 0.2 0.1 Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung Tabelle III.10 Maximal akzeptierte Schuld bei variablem Existenzminimum -- Lohngruppe I 223 224 Tabelle III.11 Maximal akzeptierte Schuld bei variablem Existenzminimum -- Lohngruppe II Pfändungssatz Nutzenfunktion CES Quadratisch 0.9 0.8 0.7 0.6 0.5 0.4 v0 v/y Ds - 3.1 1.94 5.17 - 3.3 2.06 6.11 - 3.4 2.13 7.08 - 3.6 2.25 8.57 - 3.8 2.38 10.5 6 - 4.1 2.56 13.6 7 - 4.5 2.81 18.7 5 –∞ ∞ ∞ –∞ ∞ ∞ –∞ ∞ ∞ v0 v/y Ds -4 2.65 7.84 - 4.1 2.72 8.93 - 4.2 2.78 10.2 9 - 4.3 2.85 12.0 4 –∞ ∞ ∞ –∞ ∞ ∞ –∞ ∞ ∞ –∞ ∞ ∞ –∞ ∞ ∞ –∞ ∞ ∞ v0 v/y Ds - 5.2 2.69 5.59 - 5.4 2.8 6.45 - 5.4 2.8 7.26 - 5.7 2.95 8.76 –∞ ∞ ∞ –∞ ∞ ∞ –∞ ∞ ∞ –∞ ∞ ∞ –∞ ∞ ∞ –∞ ∞ ∞ –v 1 – lN ) ⋅ w –v 0 Ds =------------------------------. 1 – lN ) ⋅ w – m 0 v/y = ----------------------- 0.3 0.2 0.1 5 Reformvorschläge - Chancen für eine Pareto-Verbesserung? CobbDouglas 1 Pfändungssatz Nutzenfunktion 1 0.9 0.8 0.7 0.6 CobbDouglas v0 v/ y Ds - 8.7 4.01 7.44 - 9.6 4.42 9.12 10.3 4.75 11 -11 5.07 13.4 3 -12 -13.3 5.53 6.13 17.0 22.7 4 9 CES v0 v/ y Ds 11.2 5.80 12.0 4 11.4 5.91 13.6 2 11.8 6.11 15.8 6 –∞ ∞ ∞ –∞ ∞ ∞ Quadratisc h v0 v/ y Ds - 15 5.40 8.43 15.5 5.58 9.68 - 20 7.19 14.0 4 –∞ ∞ ∞ –∞ ∞ ∞ –v 1 – lN ) ⋅ w –v0 Ds =------------------------------. 1 – lN ) ⋅ w – m 0 v/y = ----------------------- 0.5 0.4 0.3 0.2 0.1 –∞ ∞ ∞ –∞ ∞ ∞ –∞ ∞ ∞ –∞ ∞ ∞ –∞ ∞ ∞ –∞ ∞ ∞ –∞ ∞ ∞ –∞ ∞ ∞ –∞ ∞ ∞ –∞ ∞ ∞ –∞ ∞ ∞ –∞ ∞ ∞ –∞ ∞ ∞ –∞ ∞ ∞ Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung Tabelle III.12 Maximal akzeptierte Schuld bei variablem Existenzminimum -- Lohngruppe III 225 226 5 Reformvorschläge - Chancen für eine Pareto-Verbesserung? Absenkung des Pfändungssatzes nicht erreichbar. Um die Frage zu klären, ob eine potentielle Pareto-Verbesserung möglich ist, bedürfte es einer Wohlfahrtsanalyse. Der Nutzengewinn der Schuldner müsste mit den Verlusten der Gläubiger verglichen werden. Um einen solchen Vergleich durchzuführen, müsste man eine soziale Wohlfahrtsfunktion entwickeln, ein Vorhaben welches ohne Werturteile nicht möglich ist. Eine Vereinfachung wäre es nur die Gläubiger untereinander zu vergleichen. Unter der Annahme, dass alle die gleiche Nutzen- oder Gewinnfunktion haben, könnten die Verluste einzelner Gläubiger mit den möglichen Gewinnen anderer verglichen werden.1 Betrachtet man die sechs in den Simulationen verwendeten Schuldner sowie ihre Gläubiger, so gibt es eigentlich nur zwei Gruppen von Gläubigern welche sich durch eine Absenkung des Pfändungssatzes verbessern können. Es sind dies die Gläubiger der Schuldnergruppen Ia und Ib. Wird der Pfändungssatz bis auf 0.1 abgesenkt, so zahlen auch die beiden gering verdienenden Schuldner zumindest einen Teil ihrer Schuld zurück (vgl. Tabelle III.10), im Gegensatz zur Situation mit einem Pfändungssatz von 1. Die Gläubiger der anderen beiden Schuldnergruppen IIa bis IIIb müssten allerdings hohe Verluste hinnehmen (ein Vergleich der Verluste findet sich in Tabelle III.13). Die Zinsverluste, welche durch eine Absenkung des Pfändungssatzes auf 0.1 den Gläubigern entstehen, sind in Tabelle III.13 eingetragen. In dieser Tabelle sind die Gläubigerverluste des Grundszenarios (Pfändungssatz = 1) sowie die Veränderung der Kosten (in Relation zum Grundszenario) bei einer Absenkung des Pfändungssatzes bis auf 0.1 eingetragen. Wird der Pfändungssatz bis auf diesen Wert abgesenkt, so sinken die Verluste der Gläubiger der beiden Schuldnergruppen Ia und Ib (mit Ausnahme der Individuen mit einer quadratischen Nutzenfunktion). Die Verluste der Gläubiger der Schuldnergruppen II und III steigen jedoch. Allerdings sind die Gewinne der Gläubiger der „armen“ Individuen (Gruppe I) in der Summe grösser als die aufsummierten Verluste der anderen Gläubiger. Betrachtet man nur die sechs verwendeten Gläubigergruppen, so 1) Solange von der Existenz einer staatlichen Sozialhilfe abgesehen wird, sind die Steuerzahler von den Reformvorschlägen nicht betroffen. Die anderen, nicht verschuldeten Marktteilnehmer werden für den Augenblick noch vernachlässigt. Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 227 ist eine potentielle Pareto-Verbesserung durch die Absenkung des Pfändungssatzes auf 0.1 erreichbar. Es dürfte allerdings schwierig, bzw. eher unmöglich sein, im politischen Prozess einen Pfändungssatz von 0.1 durchzudrücken. Tabelle III.13 Entwicklung der Gläubigerverluste ϑ bei unterschiedlichen Pfändungssätzen Lohngruppe I II III Pfändungssatz Gläubigerkosten ϑ und deren Veränderung Cobb-Douglas CES Quadratisch Ia Ib Ia Ib Ia Ib 1a 0.56b 6.24b 0.56b 6.24b 0.56b 6.24b 0.1c -0.37 -3.91 -0.4 -5.52 0 0 IIa IIb IIa IIb IIa IIb 1a 0 0.021 0 0.009 0 0 0.1c +0.02 +0.54 +0.02 +0.68 +0.01 +0.35 IIIa IIIb IIIa IIIb IIIa IIIb 1a 0 0 0 0 0 0 0.1c +0.02 +0.86 +0.02 +1.13 +0.01 +0.54 a. Diese Reihe gibt die absolute Höhe der Kosten im Grundszenario (Pfändungssatz = 1) wieder. b. In diesen Fällen wird die Schuld nicht getilgt. Der ausgewiesene Wert ergibt sich durch die Höhe der Schuld, inkl. der in den 20 Perioden aufgelaufenen Zinsen. c. Diese Reihe gibt die Veränderung der Kosten in Relation zum Grundszenario wieder. 228 5 Reformvorschläge - Chancen für eine Pareto-Verbesserung? Resultat III.8 Wird der Freibetrag f auf einen Wert gleich dem bestehendem fixen Existenzminimum festgelegt, so ist gemäss den Simulationsrechnungen eine potentielle Pareto-Verbesserung erst dann möglich, wenn der Pfändungssatz von derzeit 1 auf 0.1 abgesenkt wird. Dies wiederum dürfte im politischen Prozess in der Realität kaum eine Chance haben durchgesetzt zu werden. 5.1.2.2 Absenkung des Freibetrags f Es stellt sich also die Frage, ob es nicht möglich ist die Verluste für alle Gläubiger zu senken. Eine Möglichkeit die Gläubigerverluste auszugleichen, könnte die Verringerung des Freibetrags sein. Durch die Absenkung des Pfändungssatzes erfahren die Schuldner einen Nutzenzuwachs, es besteht also ein gewisser Spielraum diesen Nutzenzuwachs durch Absenkung des Freibetrags abzuschöpfen und somit die Gläubigerverluste zu senken. In Tabelle III.14 sind die kritischen Werte der Freibeträge eingetragen, über die hinaus eine weitere Absenkung des Pfändungssatzes die Gläubigerkosten steigern würde. Die Schuldnergruppe I ist in dieser Tabelle nicht aufgeführt, da bei dieser Gruppe die Gläubigerkosten schon maximal sind. Die Schuldnergruppen IIa und IIIa sind nicht aufgeführt, da bei diesen Gruppen durch eine Absenkung des Pfändungssatzes keine nennenswerten Zusatzverluste für die Gläubiger entstehen. Die Schuld wird immer in der ersten Periode abgebaut. Wie in Tabelle III.14 zu sehen ist, müsste der Freibetrag schon bei einer geringen Absenkung des Pfändungssatzes empfindlich verringert werden um die Gläubigerkosten konstant zu halten. Eine Absenkung des Pfändungssatzes auf 0.7 erfordert im Extremfall (Gruppe IIIb, CES-Nutzenfunktion) eine Verringerung des Freibetrags auf 0.15 (von ursprünglich 1). Wird der Pfändungssatz auf Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 229 Tabelle III.14 Kritischer Wert des Freibetrags um Gläubigerverluste konstant zu halten Pfändungssatz Nutzenfunktion 0.8 0.7 0.6 0.85 CES 0.9 0.73 Quadratisch 0.8 0.7 Cobb-Douglas 0.9 0.55 CES 0.77 0.45 Quadratisch 0.75 0.55 Cobb-Douglas 0.79 0.2 CES 0.58 0.15 Quadratisch 0.45 0.35 Cobb-Douglas 0.63 -b CES 0.35 -b Quadratisch 0.15 0 0.4 -b CES 0 -b Quadratisch -b -b Cobb-Douglas 0.5 Notwendiger Freibetrag f bei Lohngruppe IIIba 0.95 Cobb-Douglas 0.9 Kritischer Wert des Freibetrags f bei Lohngruppe IIba a. In der Ausgangssituation ist der Freibetrag f = 1 und damit gleich dem fixen Existenzminimum. b. Es existiert kein Freibetrag, bei dem die Gläubigerverluste nicht steigen würden. 0.6 gesenkt, so ist in zwei Fällen (Gruppe IIIb, CES und Quadratische Nutzenfunktion) ein Konstanthalten der Gläubigerkosten nicht mehr möglich. Ein solch starkes Absenken des Freibetrags hat natürlich Auswirkungen auf den Nutzen der Schuldnergruppe I, welche bei Bestehen eines fixen Existenzmi- 230 5 Reformvorschläge - Chancen für eine Pareto-Verbesserung? nimums keine Mehrarbeit leisteten und somit ceteris paribus bei Einführung eines variablen Existenzminimums alleine von dem Freibetrag leben müsste. Wird der Freibetrag gesenkt, so entscheiden sich gegenüber der Ausgangssituation einige Schuldner jetzt dafür die Schuld zu tilgen. In Tabelle III.15 ist der Nutzenverlust für die Schuldner eingetragen, welcher entsteht, wenn für eine Absenkung des Pfändungssatzes auf 0.9, 0.8 und 0.7 der jeweils pessimistischste Fall angenommen wird, also die jeweils stärkste Verringerung des Freibetrags berücksichtigt wird (vgl. die jeweiligen Werte in Tabelle III.14). Tabelle III.15 Nutzenverlust und Schuldenabbau der Schuldnergruppe I bei einer Absenkung des Freibetrags Pfändungssatz Nutzenverlust/Schuldabbau Freibetrag Nutzenfunktion Ia - 7% A - 7% A 0% A - 6% A - 0.4% A - 3% - - 7% A - 67% A 0% A - 6% A Quadratisch - 4% A - 9% - Cobb-Douglas - 7% A - 70% A 0% A - 6% A - 4% A - 5% A Cobb-Douglas 0.9 0.7 CES Quadratisch Cobb-Douglas 0.8 0.7 0.45 0.15 Ib CES CES Quadratisch A heisst Abbau der Schuld im Gegensatz zu einer Situation mit fixem Existenzminimum in Höhe von 1. Wird der Freibetrag gesenkt, so werden auch die Individuen der Schuldnergruppe I ab einem gewissen Punkt Schuldenabbau tätigen (Gekennzeichnet durch ein A in Tabelle III.15). Der Nutzenverlust ist allerdings für diese Gruppe bei Annahme der Cobb-Douglas-Nutzenfunktion, gewaltig. Auf die Realität bezogen stellt sich zusätzlich das Problem, dass aufgrund nicht perfekt funktionierender Arbeitsmärkte unfreiwillige Arbeitslosigkeit existiert. In der vorliegenden Simu- Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 231 lation arbeiten die Schuldner und erreichen somit noch ein gewisses Konsumniveau. Findet aber eine Person keine Arbeit, so kann sie mit einem verringerten Existenzminimum kaum überleben. Das derzeitige Existenzminimum stellt bereits einen äusserst knapp bemessenen Grundbedarf dar, der auch bei Einführung eines verringerten Pfändungssatzes aus sozialen Gründen nicht in einem nennenswerten Umfang abgesenkt werden kann. Resultat III.9 Eine absolute Pareto-Verbesserung ist durch Einführung eines einkommensabhängigen Existenzminimums nicht möglich. Es gibt Gläubiger, die hohe Verluste erleiden. Durch eine gleichzeitige Absenkung des Freibetrags könnten diese Verluste vermieden werden, dies würde allerdings die Schuldner beeinträchtigen. Eine grössere Absenkung des Freibetrags ist schliesslich auch aus sozialen Gründen nicht durchführbar. 5.1.2.3 Die Rolle der staatlichen Sozialhilfe und der Steuerzahler Wie bereits in Abschnitt 4.3.4 erwähnt, so muss auch an dieser Stelle beachtet werden, dass in der Realität eine staatliche und steuerfinanzierte Sozialhilfe existiert. Neben der Tatsache, dass dies einige Ergebnisse verändert, kommt eine dritte Partei mit ins Spiel, welche bei der Überprüfung einer potentiellen ParetoVerbesserung beachtet werden muss. Das Interesse der Steuerzahler als Finanziers der Sozialhilfe liegt darin, dass ein Schuldner selbst das Existenzminimum (oder mehr) verdient, anstatt Sozialhilfe zu beziehen.1 In den Fällen, in denen ein Schuldner es vorzieht die Schuld nicht zu tilgen und somit höchstwahrscheinlich auch das Existenzminimum nicht mehr selbst erarbeiten wird, erleiden die Steu- 1) Die Tatsache, dass die Steuerzahler häufig auch gleichzeitig Gläubiger sind soll an dieser Stelle ausser Acht gelassen werden. 232 5 Reformvorschläge - Chancen für eine Pareto-Verbesserung? erzahler einen Verlust. Sie müssen in jeder Periode das Existenzminimum finanzieren. Eine Absenkung des Pfändungsbetrags führt dazu, dass die maximal akzeptierte Schuld steigt (vgl. Tabelle III.10). Es entscheiden sich also weniger Individuen dazu auf eine Schuldtilgung zu verzichten, was dann dazu führt, dass auch dementsprechend weniger Individuen sozialhilfeabhängig sind.1 Nimmt man allerdings die drei Schuldnergruppen der Simulationen als Referenz, so muss gesagt werden, dass dort eine Reaktion erst bei einer Absenkung des Pfändungssatzes auf 0.1 eintritt. Die Steuerzahler profitieren von der Einführung eines einkommensabhängigen Existenzminimums also nur bedingt. Resultat III.10 Werden die Steuerzahler als Finanziers der Sozialhilfe in die Überlegungen einbezogen, so lässt sich mit Hilfe der Simulationsrechnungen sagen, dass diese von einer Reduzierung des Pfändungssatzes profitieren, allerdings nur wenn dieser sehr stark abgesenkt wird. 5.2 Vorzeitige Entschuldung Am 1. Januar 1999 ist in Deutschland eine neue Insolvenzordnung in Kraft getreten. Es jetzt möglich für hochverschuldete Privathaushalte eine Restschuldbefreiung durchzuführen; eine Praxis welche in den angelsächsischen Ländern schon seit langem an der Tagesordnung ist.2 In den USA sind dies z.B. die Entschuldungsverfahren nach chapter 7 oder chapter 13. Ein Entschuldungsverfahren nach chapter 7 heisst, dass das vorhandene Vermögen des Schuldners verwertet 1) Es wurde angenommen, dass bei Existenz einer staatlichen Sozialhilfe diejenigen Individuen, welche auf eine Schuldtilgung verzichten auch gleichzeitig auf Eigenarbeit verzichten, da sie auf diese Weise ein höheres Nutzenniveau erreichen (vgl. Abschnitt 4.3.4). 2) In England z.B. schon seit dem 18. Jhd. und in den USA seit dem 19. Jhd. [vgl. Forsblad (1997)]. Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 233 wird. Das zukünftige Einkommen wird nicht angetastet. Nach der Verwertung des Vermögens werden die Restschulden erlassen und der Schuldner kann wieder einen schuldenfreien Neustart wagen („fresh start“). Eine Schuldbefreiung nach chapter 13 beinhaltet einen Vergleich des Schuldners mit seinen Gläubigern. Das Vermögen wird nicht angetastet. Der Schuldner verpflichtet sich innerhalb von 3 - 5 Jahren einen bestimmten Anteil der Schulden zu tilgen. Im Anschluss daran wird dann die Restschuld erlassen.1 In der Schweiz ist eine Restschuldbefreiung bisher nicht möglich. Zwar ist es auch Privaten möglich den Konkurs durchzuführen, aber dies führt nicht zu einer Befreiung von den Schulden, sondern stoppt „nur“ die laufenden Betreibungen und Pfändungsverfahren. Kommt der Schuldner wieder zu Vermögen, können die Gläubiger von neuem eine Betreibung einleiten. Zwar muss dieses neue Vermögen sehr hoch sein damit die Pfändungen wieder eingeleitet werden können, dennoch ist es dem Schuldner unmöglich wirklich neu anzufangen um sich selbst wieder Wohlstand aufzubauen. Dies gilt zumindest solange, wie die Konkursverlustscheine nicht verjährt sind, also mindestens 20 Jahre.2 Der Vorteil einer Restschuldbefreiung liegt in der Möglichkeit, dass das verschuldete Individuum frei von der Schuldenlast wieder “neu anfangen kann“. Vor allem die Individuen, welche sehr hoch verschuldet sind und keine Hoffnung mehr sehen ihre Last abzubauen, profitieren von einer Restschuldbefreiung. Es stellt sich jetzt die Frage, ob denn auch die Gläubiger unter Umständen davon profitieren könnten oder ob sie vor allem Verluste durch die Einführung einer solchen Regelung erfahren würden. Für die Modellierung wird als neue Variable die Entschuldungsvariable Γ t eingeführt. Entschuldung heisst, dass in der Periode in welcher die Entschuldung stattfindet, die Schulden exogen getilgt werden. Dass heisst: Γt = –v t . 1) Zu einer kurzen Erläuterung beider Verfahren vgl. Forsblad (1997), 131ff. 2) Vgl. hierzu auch Abschnitt 2 in Teil I. (III.112) 234 5 Reformvorschläge - Chancen für eine Pareto-Verbesserung? Diese Variable wird in die Bewegungsgleichung eingesetzt, mit der Folge, dass die Schulden der Periode t = i exogen getilgt werden, · vt = vt ⋅ r + w ⋅ ( 1 – lt ) – p ⋅ ct + Γt ⋅ φt mit φ t = 1, wenn t = i (III.113) i = Zeitpunkt der Entschuldung. Die Variable φ t ist eine Dummyvariable welche nur in der Periode in der die Entschuldung stattfindet den Wert 1 hat, sonst gilt φ t = 0 für t ≠ i . Simuliert wurde die Entschuldung in der 10., 7. und 5. Periode ohne Rückzahlungskonditionen. Die Restschuldbefreiung wirkt in diesem Fall wie ein verringerter Zeithorizont. Am Verhalten der Individuen ändert sich prinzipiell nichts, allerdings sind die Werte der Startschuld, bei denen die Schuldner davon absehen noch Anstrengungen zum Abbau ihrer Schulden zu tätigen, weitaus geringer als ohne Restschuldbefreiung. Bei allen drei verwendeten Nutzenfunktionen und einheitlich über die drei Schuldnergruppen hinweg verringert sich die maximal akzeptierte Schuld.1 Findet die Entschuldung in der 10. Periode statt, so verringert sich die maximal akzeptierte Schuld um 50%. Bei einer Entschuldung in der 7. Periode um 65% und bei Entschuldung in der 5. Periode um 75%. Dass heisst, die Individuen tendieren aufgrund der Restschuldbefreiung eher dazu ihre Schuld stehen zu lassen und auf den Zeitpunkt der Entschuldung zu warten, anstatt sie selbst zu tilgen. Allerdings führt die Restschuldbefreiung dazu, dass die Individuen der Lohngruppe I, welche im bestehenden System ihre Schuld nicht tilgten und über den gesamten Zeitraum von T = 20 Perioden nur das Existenzminimum konsumierten, nach der Restschuldbefreiung wieder mehr Arbeit anbieten ( 1 – l t = 0.50 bei allen drei Nutzenfunktionen für Lohngruppe I nach der Restschuldbefreiung, gegenüber 1 – l t = 0.47 vor der Restschuldbefreiung).2 1) Die maximal akzeptierte Schuld ist der Betrag der exogen gegeben Startschuld, bis zu dem ein Individuum eine Tilgung der Schuld betreibt. Übersteigt die Startschuld diesen Betrag, so wird auf eine Tilgung verzichtet. 2) Bei Existenz einer Sozialhilfe heisst das, dass die Individuen ganz auf Eigenarbeit verzichten und statt dessen Sozialhilfe beziehen (vgl. dazu auch den Abschnitt 4.3.4 in diesem Teil über die Wirkung der Sozialhilfe). Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 235 Eine vorzeitige Entschuldung hat also nicht nur Auswirkungen auf die Schuldner die ohne Schuldenerlass ihren Arbeitseinsatz auf das Existenzminimum reduziert hätten, sondern auch auf diejenigen welche ihre Schulden getilgt hätten. Für einige dieser Individuen lohnt es sich nun die Schuld nicht mehr zu tilgen und statt dessen auf den Zeitpunkt der Entschuldung zu warten. Dies ist der Fall des „cheating“, welcher auch bei sicher zu erwartenden Steueramnestien in der einschlägigen Literatur bemerkt wird [vgl. z.B. Das-Gupta (1996) oder Andreoni (1991)]. Für die sechs verwendeten Schuldnergruppen heisst die Einführung einer Restschuldbefreiung, dass die Schuldner der Gruppe IIb (w = 3.2, v0 = -1.19) es bei einer Restschuldbefreiung in der 5. Periode vorziehen die Schuld nicht mehr zu tilgen und statt dessen auf die Schuldbefreiung warten. Findet die Restschuldbefreiung in der 7. Periode statt, so gilt dies nur für Individuen der Gruppe IIb mit einer Cobb-Douglas-Nutzenfunktion. Findet die Restschuldbefreiung in der 10. Periode statt, ändert sich nichts gegenüber dem Referenzszenario ohne Schuldbefreiung. Auf der „Gewinnerseite“ einer solchen Reform sind eindeutig die verschuldeten Haushalte. Die Chance wieder neu anzufangen hilft viele psychische Probleme, welche oft mit grossen finanziellen Problemen einhergehen, zu mindern [vgl. dazu auch Huls (1997)]. In der amerikanischen Law&Economics Literatur wird in diesem Zusammenhang oft erwähnt, dass die Restschuldbefreiung einen Versicherungscharakter hat. „Discharge provides some protection from the „regret“ we expierence when impulsive behavior or the flawed decision-making „heuristics“ that most of us naturally employ cause us to act unwisely with respect to credit“ [Jackson (1985), 1]. Der Preis für diese Versicherung sind z.B. höhere Zinsen oder erschwerte Verfügbarkeit von Krediten [vgl. Baird (1993), Kap. 2].1 Die Versicherungsleistung besteht in diesem Fall aus der Möglichkeit, dass einem nach erfolgtem Schaden (= Eintreten der Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung) mit Hilfe einer Restschuldbefreiung die Schulden erlassen werden. 1) Mehr zum Versicherungscharakter der Restschuldbefreiung folgt in Abschnitt 5.3. 236 5 Reformvorschläge - Chancen für eine Pareto-Verbesserung? Die Verlierer sind die Gläubiger, welche unter dem alten Regime noch ihre Schuld zurückbekommen hätten. Im Falle der Existenz einer Sozialhilfe werden die Steuerzahler zum einen entlastet, da alle Individuen, auch die sehr hoch verschuldeten, nach der Amnestie neu anfangen können und die Gefahr, dass sie zu Fürsorgeempfängern werden bzw. bleiben, geringer wird.1 Dieser positive Effekt, den eine Restschuldbefreiung auf die Arbeitsanreize vor allem sehr hoch verschuldeter Individuen hat, bildet die Basis für die positive Beurteilung dieses Prinzips in der wissenschaftlichen Literatur [vgl. z.B. Jackson (1985)]. Auf der anderen Seite ist für die verschuldeten Haushalte allerdings auch ein verstärkter Anreiz vorhanden die Zeit bis zur Entschuldung als Fürsorgeempfänger „durchzustehen“, statt selbst an der Entschuldung zu arbeiten. Offensichtlich ist eine unbedingte Schuldbefreiung mit problematischen Wirkungen für die Gläubiger behaftet. Im neuen deutschen Insolvenzverfahren ist denn auch die Restschuldbefreiung an einige Bedingungen geknüpft. Zusammen mit dem Schuldner und den Gläubigern erstellt das Insolvenzgericht einen Schuldenbereinigungsplan. Der Schuldner muss sich verpflichten bis zu 7 Jahre lang den pfändbaren Teil seines Einkommens an einen Treuhänder abzutreten.2 Auf diese Weise soll versucht werden genau die Verhaltensmuster zu verhindern, welche das Ergebnis der vorgestellten Simulationsstudien waren. Auch in den USA hat man einschlägige Erfahrungen gemacht. Seit Inkrafttreten des Bankruptcy Code 1978, welcher die vereinfachten Schuldbefreiungen nach chapter 7 oder chapter 13 möglich machte, hatte sich die Zahl der Konsumentenkonkurse innerhalb von sechs Jahren verdoppelt. Aus diesem Anlass wurden 1984 einige Änderungen vorgenommen welche vor allem den Gläubigerschutz verbessern sollten. Die Schätzungen über den Anteil derjenigen Schuldner welche das System ausnutzen, in der Art, dass sie eine Schuldbefreiung nach chapter 7 in Anspruch nehmen, obwohl sie eigentlich die Schulden zurückbezahlen könnten, gehen weit auseinander. Sullivan et al. (1989) widersprechen Angaben in Höhe von 20 oder 1) Auf diesen Vorteil, den die Gesellschaft durch eine Restschuldbefreiung hat, weist auch Huls (1997) hin. 2) Vgl. Forsblad (1997), S. 201ff. Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 237 gar 70% und nennen nach eigenen Schätzungen einen Anteil von 3 bis 9% [Sullivan et al. (1989), S. 220]. Unbestreitbar scheinen flankierende Massnahmen notwendig zu sein, um Missbrauch und hohe Gläubigerverluste zu verhindern. Dies sind zum Beispiel die bereits erwähnten Verpflichtungen des Schuldners zu einer Teilrückzahlung, ohne die ihm eventuell der Schuldbefreiung verwehrt wird. Es bleiben natürlich noch gewisse Bedenken, ob die Chance auf eine Restschuldbefreiung nicht zu einem fahrlässigeren Umgang mit Verschuldung von Seiten der Schuldner führen könnte. Das Problem des ex ante moral hazard ist sicher nicht zu unterschätzen. Die Anreizwirkungen unterschiedlicher Kosten einer Überschuldung auf die Schuldner wurden bereits ansatzweise in Abschnitt 1.2 von Teil II besprochen. Die Regeln für eine Pfändung bestimmen letztendlich den Preis einer Verlängerung eines Kredits über die vereinbarte Frist hinaus. Je lockerer die Bestimmungen, desto billiger ist es eine Schuld nicht fristgerecht zurückzubezahlen. Dies hat selbstverständlich eine Wirkung auf die freiwillige Überschuldung wie sie bereits besprochen wurde. Aber auch die unfreiwillige Überschuldung wird dadurch berührt. Es sinkt der Erwartungsschaden einer Überschuldung und damit dann auch die Prävention. Auf der anderen Seite sind eine mehrjährige Pfändungsphase, der Verlust des Vermögens und des Rufs als kreditwürdiger Kunde ein relativ hohes Abschrekkungspotential. Für Kanada meint Ziegel (1997), dass die gestiegene Anzahl an Privatkonkursen und Restschuldbefreiungen nicht auf die erleichterten Möglichkeiten diese durchzuführen, zurückzuführen ist. Wie bereits erwähnt verneinen auch Sullivan et al. (1989) einen hohen Grad an Missbrauch. Eine Restschuldbefreiung hat vor allem zwei Ziele. Zum einen soll versucht werden die Arbeitsanreize hoffnungslos Überschuldeter wieder zu erhöhen, um somit letztendlich auch Kosten in Form von Sozialhilfe für die Gesellschaft zu vermeiden. Ausserdem ist eine Restschuldbefreiung Bestandteil staatlicher Sozialpolitik. Sie soll Menschen, welche in Not geraten sind, ermöglichen wieder neu anzufangen.1 Wie jeder Bestandteil des sozialen Netzes, ist auch dieser natürlich nicht vor Missbrauch gefeit. 238 5 Reformvorschläge - Chancen für eine Pareto-Verbesserung? Resultat III.11 Eine vorzeitige Entschuldung ohne flankierende Massnahmen hat eher negative Anreizeffekte, zumindest für die Perioden vor der Entschuldung. Die Versuchung, vor allem für hoch verschuldete Haushalte, sich vor der Entschuldung aus dem Erwerbsleben mindestens teilweise zurückzuziehen ist relativ gross. Durch die Auferlegung von Rückzahlungsbedingungen könnten diese negativen Effekte jedoch gemildert werden. 5.3 Wirkung der Reformvorschläge auf den Kreditmarkt Rea (1984) bezeichnet die „Strafen“ (= Kosten der Betreibung für den Schuldner), welche den Preis einer Nichtrückzahlung einer Schuld erhöhen, als „arm breaking“, in Anlehnung an die drakonischen Mittel, welche in früheren Jahren zur Eintreibung einer Schuld genutzt wurden. Tatsächlich kann aber die Erschwerung einer Betreibung und eines Pfändungsverfahrens für den Gläubiger (z.B. durch ein variables Existenzminimum oder eine Restschuldbefreiung) Auswirkungen haben, welche in Richtung des „Arm breaking“ zurückführen. Je schwerer es für einen Gläubiger wird über das offizielle Verfahren seine Aussenstände wieder zu bekommen, desto eher wird er dazu neigen, dieses Verfahren zu umgehen. Wenn der erwartete Ertrag des offiziellen Betreibungsverfahrens relativ zu den Kosten sinkt, so lohnt es sich unter Umständen eigene Anstrengungen zu unternehmen, die Forderungen einzutreiben. Als Beispiel dienen Methoden, die auf den Effekt der Reputation setzen, wie beispielhaft der Text der Werbebroschüre einer amerikanischen Geldeintreibungsfirma beweist, die säumigen Schuldnern damit droht, ihren Namen im Internet zu publizieren und ferner die lokale Presse, Nachbarn, Arbeitgeber, Vermieter, Bank usw. zu informieren.1 1) Vgl. hierzu auch Graver (1997). 1) Internet Seite der Firma A.S.M.A.E (http://www.enforce.to). Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 239 Ein weitere (und viel häufigere) Reaktion von Seiten der Gläubiger ist der Versuch die Verfügbarkeit von Krediten einzuschränken. Dies betrifft somit nicht nur die säumigen Schuldner, sondern alle Marktteilnehmer. Gropp et al. (1997) haben mit Daten des U.S. 1983 Survey of Consumer Finances gezeigt, dass in Staaten mit relativ lockeren Regeln für eine Entschuldung, die Verfügbarkeit von Krediten hinsichtlich der Häufigkeit wie auch der Höhe für Haushalte mit geringem Vermögen geringer war als in anderen Staaten. Dieselben Haushalte sahen sich auch höheren Zinsen beim Autokauf auf Kredit gegenüber. Wenn für die Kreditgeber das Risiko der Kreditvergabe steigt, so werden diese das Angebot der Kredite verringern (zum Beispiel durch die Einführung von Zutrittsbeschränkungen). Baird (1993) bezeichnet diese Kosten der Restschuldbefreiung für die Kreditnachfrager, als den Preis für die Versicherung bei persönlichem Bankrott nicht den vollen Schaden tragen zu müssen. In der Tat lässt sich das Ganze mit einer Versicherung vergleichen. Es können sogar Parallelen zu einer Sozialversicherung gezogen werden. Es ist eine Zwangsversicherung, niemand kann freiwillig ex ante auf eine Restschuldbefreiung im Ernstfall verzichten um dafür geringere Zinsen zu zahlen. Das Grundangebot der Versicherung ist für alle vorgegeben. Ferner ist die Restschuldbefreiung an gewisse Auflagen gebunden (wie zum Beispiel Teilrückzahlung), was sich mit dem Selbstbehalt in der Krankenversicherung vergleichen lässt. Schliesslich werden die Prämien zwischen den Risiken kaum differenziert. Dies allerdings nicht aufgrund staatlicher Vorgaben, sondern weil die guten Risiken (Schuldner die zurückzahlen werden) und die schlechten Risiken (Schuldner welche nicht zahlen werden) ex ante kaum zu identifizieren sind. Ist diese Zwangsversicherung Pareto-optimal? Die Alternative wären freiwillige Vereinbarungen zwischen den Schuldnern und den Gläubigern vor Abschluss des Kreditvertrags. Wird vereinbart, dass im Falle eines finanziellen Bankrotts des Schuldners eine Restschuldbefreiung zum Tragen kommt, so wird der Schuldner dies mit einem höheren Kreditzins zu bezahlen haben. Andernfalls könnte er auf den Abschluss dieser Versicherung verzichten und einen geringeren Zins zahlen. in diesem Fall muss er dann aber damit rechnen im Schadensfalle so 240 5 Reformvorschläge - Chancen für eine Pareto-Verbesserung? lange betrieben zu werden, bis er seine Schuld wieder beglichen hat. Ein Grund für ein System mit „erzwungener Restschuldbefreiung“ könnte die Überzeugung sein, dass die Menschen auf Abschluss einer freiwilligen Versicherung verzichten, da sie die Gefahren eines finanziellen Bankrotts systematisch falsch einschätzen. Eine derartige paternalistische Einstellung ist allerdings bei den meisten Ökonomen eher verpönt. Der Übergang zur Bevormundung ist ohne Zweifel fliessend. Man muss sich vor allem immer bewusst sein, dass vereinfachte Betreibungsverfahren (für den Schuldner) und die Einführung einer Restschuldbefreiung nicht nur die in einem Verfahren direkt betroffenen Parteien (Schuldner und Gläubiger), sondern alle auf dem Markt tätigen Akteure betreffen. Dennoch, die Erhöhung des Kreditrisikos für die Gläubiger (z.B. durch die Einführung einer Restschuldbefreiung) ist nicht von vorneherein ineffizient. Der status quo zeichnet sich heute zum Teil dadurch aus, dass vor allem Banken ein eher geringes Kreditausfallrisiko haben und somit ohne allzu tiefgehende Überprüfung der finanziellen Verhältnisse eines Kunden manchmal leichtfertig Kredite vergeben. Der Grund hierfür liegt in den Sanktionsmöglichkeiten welche eine Bank besitzt. Wird eine Kreditrate nicht fristgerecht bezahlt, so wird dem Schuldner damit gedroht den gesamten Kredit zu kündigen, was in der Regel dazu führt, dass dieser vor allem seinen Kredit bedient und statt dessen andere Verbindlichkeiten zurückstellt. Das Kreditausfallrisiko wird vor allem auf die sog. unfreiwilligen Gläubiger übertragen, welche keine Sanktionsmöglichkeiten besitzen wie zum Beispiel die Steuerämter (vgl. dazu auch die Ergebnisse der Datenerhebung in Abschnitt 3.5 von Teil I). Die Kosten der Prävention sind für diese Gläubiger höher als für die „freiwilligen“ Gläubiger. Eine Bevorzugung der unfreiwilligen Gläubiger1, würde zu einer Rückverlagerung des Kreditrisikos an die freiwilligen Gläubiger führen, welche darauf mit erhöhter Screeningtätigkeit reagieren müssten. Da diese geringere Präventionskosten als die „unfreiwilligen Gläubiger“ haben, wäre diese Rückverlagerung des Risikos durchaus effizient. Der positive Präventionseffekt wäre dann, dass so mancher Kredit an Kunden, 1) Zum Beispiel durch Einberechnung der Steuerzahlungen in das Existenzminimum wie das bereits mit den Beiträgen für die Krankenkasse geschieht. Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 241 welche Schwierigkeiten im Umgang mit ihren Finanzmitteln haben, nicht mehr genehmigt würde. Resultat III.12 Die Reform des Betreibungsverfahrens hätte nicht nur auf das Verhalten der Schuldner während der Betreibung einen Effekt, sondern auch auf das Verhalten hinsichtlich der Prävention gegen Überschuldung. Je geringer die Kosten einer Betreibung, desto eher wird ein Individuum bereit sein das Eintreten der Zahlungsunfähigkeit und/oder der Überschuldung zu riskieren. Auch das Verhalten der Kreditgeber wird beeinflusst. Eine Erhöhung des Risikos einen Teil des Kredits nicht zurückzubekommen, führt zu einer Verteuerung der Kredite oder zu einer erschwerten Verfügbarkeit. Auf der anderen Seite kann die positive Folge ein verbessertes Screening seitens der Kreditgeber sein, so dass vor allem die Individuen, welche Schwierigkeiten im Umgang mit Geld haben, möglicherweise vor der Überschuldung bewahrt werden. Abschliessend sind die Gewinner und Verlierer der vorgestellten Reformen schematisch in Tabelle III.16 eingetragen. Als teilnehmende Parteien werden nur die Schuldner der sechs verwendeten Schuldnergruppen, ihre Gläubiger sowie die „sonstigen Kreditnachfrager“ verwendet.1 Die Gewinner der beiden Reformideen sind eindeutig die Schuldner, während die Gläubiger und die sonstigen Kreditnachfrager Nutzeneinbussen in Kauf nehmen müssen. Die Steuerzahler sind im Rahmen der simulierten Schuldnergruppen nicht von den Reformen 1) Die sechs verwendeten Schuldnergruppen bilden nur einen Ausschnitt aus der Grundgesamtheit der Schuldner. Einige Vorteile der Reformvorschläge, z.B. des variablen Existenzminimums, treten erst bei sehr hoch verschuldeten und gleichzeitig relativ gut verdienenden Personen zu Tage (vgl. z.B. die maximal akzeptierte Schuld in Abschnitt 5.1.2, Tabelle III.10). Diese Personen existieren, wurden aber bei den Simulationen nicht berücksichtigt, da ihre Zahl eher gering ist. 242 5 Reformvorschläge - Chancen für eine Pareto-Verbesserung? betroffen. Die verwendeten Schuldergruppen repräsentieren die Schuldner im 0.25er, 05er und 0.75 Quartil der Einkommensverteilung der von Meier et al. (1999) durchgeführten Datenerhebung. Werden auch Schuldner mit höheren Einkommen und vor allem Schuldhöhe mit in die Analyse einbezogen, so ergeben sich auch für deren Gläubiger und auch die Steuerzahler die bereits erwähnten Vorteile. Tabelle III.16 Verlierer und Gewinner der Reformvorschläge im Rahmen der Simulationen Einführung eines variables Existenzminimums (Pfändungssatz 0.7) Einführung einer Restschuldbefreiung (Schuldbefreiung in der 7. Periode) Gewinner Verlierer Schuldner Gläubiger Sonstige, nicht verschuldete Kreditnachfrager Schuldner Gläubiger der Schuldnergruppe IIb (nur Cobb-Douglasfunktion) Sonstige, nicht verschuldete Kreditnachfrager Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 243 6 Empirische Evidenz Ein Ziel der vorliegenden Untersuchung war es herauszufinden, unter welchen Bedingungen ein Individuum seine Schulden abbaut oder nicht. Mit Hilfe von Simulationen liessen sich in den vorangegangenen Abschnitten einige Ergebnisse herleiten, welche nun empirisch überprüft werden müssten. Leider ist die ökonomische Forschung in diesem Bereich noch nicht sehr weit gekommen. Die Rechtswissenschaftler sind zwar sehr interessiert an diesem Gebiet, allerdings fehlt ihnen oft das ökonometrische Rüstzeug für fundierte Untersuchungen. Zu erwähnen ist eine Studie aus den USA von Sullivan et al. (1989, 1991), welche im folgenden Abschnitt vorgestellt wird. Im Anschluss daran werden im zweiten Abschnitt die Versuche präsentiert, welche ich unternommen habe mit den zu Verfügung stehenden Daten die theoretischen Aussagen zu belegen (oder zu widerlegen). 6.1 Die Studie von Sullivan et al. (1989, 1994) Empirische Studien bezüglich individuellen Verhaltens bei Lohnpfändungen konnte ich keine ausfindig machen. Dies ist allerdings nicht allzu erstaunlich, da es offensichtlich auch an der theoretischen Fundierung fehlt (vgl. Abschnitt 1.1 in diesem Teil). Etwas besser sieht die Situation hinsichtlich des Reformvorschlags „Restschuldbefreiung“ aus. Bei der Restschuldbefreiung stehen zwei Problempunkte im Vordergrund. Zum einen die Frage, ob eine Restschuldbefreiung dazu führt, dass Schuldner, die ohne diese Restschuldbefreiung ihre Schulden getilgt hätten, dieses nun unterlassen, in der Hoffnung sie durch die „Amnestie“ los zu werden. Im Rahmen der Computersimulationen musste diese Frage mit „Ja“ beantwortet werden (vgl. Abschnitt 5.2). Die zweite Frage beschäftigt sich mit dem Problem des ex ante moral hazard. Führt eine Restschuldbefreiung zu einem fahrlässigeren Umgang mit Verschuldung? Die Gründe die zur Überschuldung führen wurden bereits in Teil II dieser Arbeit abgehandelt. Ohne Zweifel sind die Kosten einer Überschuldung von Bedeutung für die Prävention. In den USA hatte sich nach Inkrafttreten des Bankruptcy Code 1978 die 244 6 Empirische Evidenz Zahl der Konsumentenkonkurse innerhalb weniger Jahre verdoppelt, was 1984 schliesslich zur Einführung einiger Änderungen zu Gunsten der Gläubiger führte [vgl. Forsblad (1997), 130]. Sullivan et al (1989, 1994) gehen der Frage des Missbrauchs der Restschuldbefreiung nach. Mit Missbrauch ist in diesem Fall gemeint, dass Schuldner sich für Bankrott erklären und in den Genuss der Restschuldbefreiung kommen, obwohl sie eigentlich ihre Schulden hätten tilgen könnten. Sullivan et al haben in den 80er Jahren Daten von 2’400 Schuldner gesammelt, welche Konkurs nach chapter 7 oder chapter 13 angemeldet hatten (Sullivan et al. 1989). Anfang der 90er Jahre wurden dann diese Daten aktualisiert und mit den 10 Jahre älteren verglichen (Sullivan et al., 1994). Die Frage des Missbrauchs gehen Sullivan et al. wie folgt an: Die Annahme ist, dass Schuldner welche eigentlich ihre Schuld per Verkauf ihrer Vermögensbestandteile hätten tilgen können, aber statt dessen Bankrott nach chapter 13 (Nichtpfändung des Vermögens, sondern Teilrückzahlungsplan) anmelden, das System missbrauchen. Es wird getestet, ob das Schulden/Einkommensverhältnis zwischen Bankrotteuren nach chapter 7 bzw. chapter 13 signifikant unterschiedlich ist. Wird das System missbraucht, so ist das Schulden/Einkommensverhältnis unter den chapter 13 Schuldnern kleiner als unter den chapter 7 Schuldnern. In einem zweiten Test werden die Schulden/Einkommensverhältnisse von Bankrotteuren in Staaten verglichen, welche unterschiedlich strenge Regeln für den Bankrott haben. Die These lautet, dass in den Staaten mit eher legeren Regeln mehr Schuldner zu finden sind, die ihre Schulden eigentlich tilgen könnten, das Schulden/Einkommensverhältnis also geringer ist. Sullivan et al. können keine dieser Thesen bestätigen. Es gibt keinen signifikanten Unterschied im Schulden/Einkommensverhältnis zwischen den chapter 7 und chapter 13 Schuldnern. Auch zwischen den Staaten mit legeren und denen mit strengen Regeln für eine Bankrotterklärung, gibt es keinen signifikanten Unterschied in den Schulden/Einkommensverhältnissen. Ob ein Schuldner Bankrott nach chapter 7 oder chapter 13 erklärt, hat laut Sullivan et al. keine ökonomischen Gründe. Sullivan et al. sprechen den ökonomischen Modellen Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 245 Erklärungsgehalt ab, da diese von rational optimierenden Individuen ausgehen, was die Schuldner in der Mehrzahl eben nicht seien. Die Studie von Sullivan et al. enthält allerdings einige Schwächen, welche von Shuchman (1990) aufgedeckt werden. Zum einen haben Sullivan et al. bei ihrem Vergleich zwischen den Staaten nur auf die Unterschiede in den Bedingungen für Vermögenspfändungen geachtet. Einige wichtige Unterschiede, wie zum Beispiel die Existenz oder Nichtexistenz von Lohnpfändungen, wurden nicht beachtet. Schwerwiegender ist allerdings das Fehlen einer detaillierteren Analyse unter welchen Bedingungen ein Individuum überhaupt einen Antrag auf Restschuldbefreiung, also Bankrott nach chapter 7 oder chapter 13 anmeldet. Aber genau dies ist natürlich die Frage des ex post moral hazard. Zahlt ein Individuum seine Schulden zurück oder versucht es per Bankrotterklärung einen Teil der Schulden los zu werden? Diese Frage konnte bisher leider nicht beantwortet werden. Resultat III.13 Empirische Untersuchungen bezüglich des Verhaltens von Schuldnern welche von einem Betreibungsverfahren betroffen sind, gibt es nur wenige. In den USA haben Sullivan et al. (1989, 1994) überprüft, ob die dortigen Regeln der Restschuldbefreiung dazu führen, dass das System ausgenutzt wird. Sullivan et al. konnten dies nicht bestätigen. 6.2 Eigene empirische Untersuchungen Im Rahmen der Datenerhebung auf den schweizerischen Betreibungs- und Konkursämtern konnte nur eine Querschnittsanalyse durchgeführt werden. Um das Verhalten der Schuldner in einer Lohnpfändung empirisch zu überprüfen hätte es 246 6 Empirische Evidenz eine Zeitreihenanalyse gebraucht.1 Letztere konnte in dem kurzen Zeitrahmen leider nicht durchgeführt werden. Was bleibt ist der Versuch mit den vorhandenen Daten die Theorie der Abschnitte 3 bis 5 zu überprüfen. Wie bereits erwähnt, sagten 16% der Befragten aus, sie hätten die Erwartung nie wieder schuldenfrei zu sein (vgl. Abschnitt 3, Teil I). Es ist verständlich, dass eine solche Erwartung dazu führen kann, dass ein Schuldner keinen grossen Anreiz mehr hat zu arbeiten um seine Schulden abzubauen. Die Gefahr ist, dass er „sich hängen lässt“ und noch weiter in die Verschuldung abrutscht. Es ist an dieser Stelle eine klare Unterscheidung zu machen zwischen einem Individuum, dass sich z.B. ein Haus baut und nun vor der Erwartung steht dieses Haus für 10 - 20 Jahre abzubezahlen und einem Individuum, dass sich Stück für Stück immer weiter verschuldet hat, aber dennoch keinen Besitz aufweist und vor der Erwartung steht die nächsten Jahrzehnte möglicherweise bis an sein Lebensende verschuldet zu sein. Die interviewten Schuldner gehören eher zu der letzteren Gruppe. Vermögensgegenstände sind nicht in wesentlichem Umfang vorhanden (vgl. Abschnitt 3). Die interessante Frage ist nun, welche Variablen ein Individuum zu der Aussage bringen, es würde nie wieder schuldenfrei sein. Unter der Annahme, aus einer solchen Aussage folge eine Nichttilgung der Schuld, könnten eventuell einige Aussagen der Simulationsrechnungen überprüft werden. Es stehen zwei mögliche Wege zur Verfügung dieses Problem empirisch zu überprüfen. • Probit-Modell in Verbindung mit einer OLS-Schätzung Die erste Möglichkeit beinhaltet zwei getrennte Schätzungen. Der Ansatzpunkt ist die Frage, unter welchen Bedingungen ein Individuum aussagt es werde nie wieder schuldenfrei bzw. es werde in endlicher Zeit schuldenfrei. In diesem Fall hat die abhängige Variable zwei Ausprägungen. Die Variable PROB ist gleich 1, wenn die Individuen aussagen sie werden nie wieder schuldenfrei sein und 0, wenn sie einen endlichen Zeitraum angeben. Das 1) Vgl. zur Datenerhebung Abschnitt 3 in Teil I dieser Arbeit sowie Meier et al. (1999). Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 247 adäquate Schätzmodell ist damit ein sog. Probit-Modell. Es wird die Wahrscheinlichkeit geschätzt, dass ein Individuum aussagt es werde nie wieder schuldenfrei sein. In einem zweiten Schritt wird dann klassisches OLSModell benutzt um für die Individuen, welche aussagten sie werden in endlicher Zeit schuldenfrei sein, die Einflüsse auf den angegebenen Zeitraum zu schätzen. Die abhängige Variable ist in diesem Fall die ausgesagte Dauer der Verschuldung (DAUER). • Tobit-Modell Die zweite Möglichkeit der empirischen Überprüfung ist die Verwendung eines sog. Tobit-Modells [vgl. hierzu auch Kennedy (1994), 238ff und Pindyck und Rubinfeld (1991), 275ff]. Das Tobit-Modell (auch censored regression model genannt) wird definiert durch die folgende Gleichung: y i∗ = α + β ⋅ x i∗ + ε i∗ mit (III.114) y = y i∗ wenn y i∗ > 0 y = 0 wenn y ∗ ≤ 0. i Die abhängige Variable y wird gleich Null gesetzt, wenn ihre Ausprägung einen gesetzten Grenzwert unter- oder überschreitet [im Beispiel der Gleichung (III.114) ist die Variable nach unten durch den Wert 0 beschränkt]. Andernfalls entspricht der Wert der Variablen der tatsächlichen Ausprägung. Im vorliegenden Fall muss dazu die abhängige Variable DAUER so transformiert werden, dass ihr Wert mit der Länge der ausgesagten Tilgungszeit sinkt und bei der Aussage, dass man nie wieder schuldenfrei sein würde, schliesslich Null ist. Dazu wird der Kehrbruch von DAUER gebildet (= Variable DAUERK). Der Zahlencode für die Aussage „Nie wieder schuldenfrei“ ist 99. Unterschreitet DAUERK den Wert 0.0102 (= Kehrbruch von 98), so nimmt sie den Wert 0 an. 248 6 Empirische Evidenz Die bei den Schätzungen verwendeten, erklärenden Variablen sind die folgenden: • Schuldenhöhe (SCHULD) Für diese Variable kann ein positives Vorzeichen erwartet werden. Je höher die Verschuldung, desto eher wird ein Haushalt dazu neigen sich aufzugeben bzw. braucht eine längere Zeit die Schulden zu tilgen, so lautete das Ergebnis der Simulationsrechnungen (vgl. Abschnitt 4.3.2, Teil III). • Haushaltseinkommen (EINKOM) Ein stabiles und hohes Einkommen verbessert die Möglichkeiten die Schulden zu tilgen. Es kann ein negatives Vorzeichen erwartet werden (vgl. die Unterschiede im Tilgungsverhalten der drei simulierten Lohngruppen in Abschnitt 4, Teil III). • Existenzminimum (M) Im Rahmen der Simulationen hatte die Erhöhung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums einen verringerten Schuldenabbau zur Folge (vgl. Abschnitt 4.3.3, Teil III). Es wäre somit ein positives Vorzeichen zu erwarten. • Zu erwartende Tilgungsdauer (Ds) Diese Variable kann anstatt der drei Variablen Schulden, Einkommen und Existenzminimum eingesetzt werden. Sie entspricht in diesem Fall dem Ds, welches in den Simulationen verwendet wurde.1 Eine hohe zu erwartende Tilgungsdauer sollte zu einer höheren Wahrscheinlichkeit der Aussage „Nie mehr schuldenfrei“ führen bzw. zu einer längeren erwarteten Tilgungsphase. • Verhältnis Schulden zu Einkommen (SCH/EINK) Auch diese Variable wurde in den Simulationen verwendet (vgl. Abschnitt 4, Teil III.). Sie ersetzt ebenfalls die drei Variablen Schulden, Einkommen und Existenzminimum. Je höher das Verhältnis Schulden zu Einkommen, desto eher wird ein Individuum die Erwartung äussern nie wieder schuldenfrei zu sein. –v 0 1) D s = ------------- , vgl. hierzu auch Abschnitt 4, Teil III. y–m Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 249 • Geschlecht (SEX) Diese Variable ist eine Dummyvariable mit der Ausprägung 0 für Frauen und 1 für Männer. Das Vorzeichen ist ungewiss. • Nationalität (AUSL) Auch diese Variable ist eine Dummyvariable mit der Ausprägung 1 für Ausländer und 0 für Schweizer. Das Vorzeichen ist ebenfalls ungewiss. • Alter (ALTER) Ein Vorzeichen kann nicht prognostiziert werden. • Einschätzung der persönlichen Situation (EINSCHÄTZ) Die Variable gibt an, wie eine interviewte Person ihre eigene Situation einschätzt. Die Ausprägungen der Variable reichen von 1 für „Hervorragend“ bis 7 für „Sehr schlecht“. Auch hier ist die Erwartung ambivalent. Zum einen kann eine positive Einschätzung der eigenen Situation zu der erwähnten Bequemlichkeit führen, zum anderen könnte sie ein Zeichen dafür sein, dass das Individuum bereit ist sich weiter anstrengt die Schulden loszuwerden. • Wunscheinkommen (GENUG) Die interviewten Personen konnten angeben, welches Einkommen es bedürfe damit sie sich „Hervorragend“, „Sehr gut“ usw. fühlen. Als Variable wurden die Einkommen genommen, welche es für „Genügend“ gehalten werden. Ein hoher Wert heisst in diesem Fall, dass das Individuum relativ anspruchsvoll ist und somit auch relativ viel finanzielle Mittel benötigt, um sich „Genügend“ zu fühlen. Eine Erwartung für das Vorzeichen zu formulieren gestaltet sich auch hier schwierig. Hohe Ansprüche können dazu führen, dass eine Person versucht einen Lebensstandard zu erreichen, den sie sich eigentlich nicht leisten kann. Die Folge wäre unter Umständen eine steigende Verschuldung und somit natürlich auch die Erwartung einer längeren Rückzahlungsdauer. Andererseits bietet ein hohes Anspruchsdenken auch ein Ziel welches den Betroffenen dazu anhält die aktuelle Situation zu verändern, die Schulden also zu beseitigen. 250 6 Empirische Evidenz • Anzahl Kinder (KINDER) Auch bei dieser Variable fällt eine Vorhersage schwer. Auf der einen Seite bedeuten Kinder eine erhöhte finanzielle Belastung und senken somit den Spielraum für eine Schuldtilgung. Auf der anderen Seite bedeuten Kinder eine höhere Verantwortung für die verschuldete Person, was dazu führen könnte, dass diese sich selbst nicht so schnell aufgibt. • Zivilstand (ZIVIL) Für die Variable Zivilstand, mit den Ausprägungen 1 für Verheiratet und 0 für alles andere, ergibt sich dieselbe Interpretation wie für die Kinder. • Arbeitslosigkeit (AL) Diese Variable nimmt den Wert 1 an, sofern eine Person arbeitslos ist und den Wert 0, wenn dieses nicht zutrifft. Ein Arbeitsloser wird höchstwahrscheinlich von vornherein weniger Hoffnungen haben seine Schulden beseitigen zu können als andere. Es wäre somit ein positives Vorzeichen zu erwarten. Die Ergebnisse der Probit-Schätzung sind eher ernüchternd. Keine der erklärenden Variablen hat einen signifikanten Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit ob eine Person aussagt sie würde in endlicher Zeit schuldenfrei oder nicht. Es spielt hierbei keine Rolle ob die geschätzte Tilgungszeit, das Verhältnis Schulden zu Einkommen oder die getrennten Variablen Schulden, Einkommen und Existenzminimum benutzt werden. In der zweiten Schätzreihe, welche auf einem normalen OLS-Modell basiert, sind die Ergebnisse etwas besser. Die abhängige Variable ist in diesem Fall die Anzahl an Jahren, welche die Schuldner als die Zeit angeben, die es voraussichtlich dauern wird, bis sie wieder schuldenfrei sind. Die Aussagen der Personen welche glauben nie wieder schuldenfrei zu sein, werden bei dieser Schätzung nicht berücksichtigt. Geschätzt wurden vier Modelle. Eines mit der Variable Ds für die geschätzte Tilgungsdauer. Ein zweites mit der Variable Schulden zu Einkommen SCH/EINK. Ein drittes mit den drei getrennten Variablen Schulden (SCHULD), Einkommen (EINKOM) und Existenzminimum (M). In einem vierten Modell wurden schliesslich die drei Variablen SCHULD, EINKOM und M Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 251 verwendet, gleichzeitig wurde die Variable KINDER gegen ZIVIL ausgetauscht. Die Ergebnisse der Schätzungen sind in Tabelle III.17 wiedergegeben. Die Variable Ds ist nicht signifikant. Die Variable SCH/EINK ist allerdings hoch signifikant, was wohl vor allem auf den Einfluss der Schuldenhöhe (SCHULD) zurückzuführen ist (vgl. Modell 3). Je höher die Schulden, desto grösser ist die Zeitspanne, innerhalb derer die interviewten Personen erwarten wieder schuldenfrei zu werden. Schliesslich sind die Variablen KINDER als auch ZIVIL signifikant in ihrem Einfluss. Allerdings ergibt sich bei Verwendung der Variablen KINDER anstatt ZIVIL das bessere R2. Die Personen, welche Kinder zu versorgen haben oder/und verheiratet sind, geben also eine geringere Zeitspanne an, innerhalb derer sie ihre Schulden tilgen werden. Schliesslich wurde noch das Tobit-Modell geschätzt. Bei der Tobit-Schätzung ergaben sich allerdings ebenfalls keine signifikanten Werte. Resultat III.14 Die Ergebnisse der theoretischen Modelle und der Computersimulationen können mit den zur Verfügung stehenden Daten kaum bestätigt werden. Nötig wäre eine Zeitreihenanalyse. 252 6 Empirische Evidenz Tabelle III.17 OLS-Schätzung für die ausgesagte Tilgungszeit Variable 1. Modell 2. Modell 0.97 (0.61) 0.78 (0.71) - 0.07 (- 0.06) - 1.72 (- 1.56) ALTER - 0.075 (- 1.49) - 0.03 (- 0.82) - 0.04 (- 1.09) AUSL - 1.25 (- 0.99) 0.14 (0.15) - 0.52 (- 0.55) - 0.09* (- 2.3) - 0.19 (- 0.19) 2.41** (3.08) - 1.73** (3.08) - 2.11** (3.33) - AL 0.76 (0.43) 0.53 (0.42) 0.74 (0.56) - 2.91** (- 2.52) 1.44 (1.05) EINSCHÄTZ 0.95 (1.86) 0.55 (1.48) 0.56 (1.47) 0.45 (1.12) - 0.0004 (- 0.67) - 0.0002 (- 0.48) - 0.18 (- 0.4) 0.00009 (0.18) 0.03 (1.78) - - - - - - - 0.33*** (6.77) - - - 0.00008*** (6.67) - 0.0006 (- 1.95) 0.0001*** (7.38) - 0.0006 (- 1.96) - - 0.0005 (0.75) R2 0.39 0.69 0.71 0.002** (3.19) 0.68 korr. R2 0.29 0.63 0.64 0.61 SEX KINDER ZIVIL GENUG Ds SCH/EINK SCHULD EINKOM M * Signifikant auf dem 95% Signifikanzniveau ** Signifikant auf dem 99% Signifikanzniveau *** Signifikant auf dem 99.9% Signifikanzniveau 3. Modell 4. Modell - Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 253 7 Schlussfolgerungen zu Teil III Teil III dieser Arbeit ist überschrieben mit dem Titel „Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung“. Nachdem in Teil II der Weg in die Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung genauer untersucht wurde, war das Ziel der Analyse nun das Verhalten nachdem die Überschuldung eingetreten ist. Die Folge ist, vereinfachend angenommen, eine Betreibung. Bei der Betreibung versucht der Gläubiger mit Hilfe hoheitlicher Unterstützung seine Aussenstände einzutreiben. Bei Schuldnern welche „nur“ zahlungsunfähig sind kann dies mit Hilfe einer Vermögenspfändung geschehen. In der Schweiz ist die Vermögenspfändung allerdings kaum noch von Bedeutung. Die meisten Schuldner sind nicht nur zahlungsunfähig, sie sind auch überschuldet; es ist also kein Vermögen mehr vorhanden. In diesen Fällen besteht die Chance des Gläubigers seine Forderung erfüllt zu bekommen in der Lohnpfändung. Bei der Lohnpfändung wird der Teil des Einkommens des Schuldners gepfändet, welcher das sog. betreibungsrechtliche Existenzminimum übersteigt.1 Die theoretische Analyse in diesem Teil der Arbeit war dem Verhalten der Schuldner während der Lohnpfändung gewidmet. Die Vermögenspfändung ist in diesem Teil der Arbeit nicht beachtet worden. Die theoretische Analyse erfolgte in drei Schritten. In einem ersten Schritt wurde mittels eines einfachen Einperioden-Modells mit den Argumenten Konsum und Freizeit, die grundsätzliche Wirkung einer Lohnpfändung gezeigt. Die herrschende Praxis alles Einkommen jenseits des betreibungsrechtlichen Existenzminimums zu pfänden, hat dieselbe Wirkung wie eine Steuer mit Freibetrag und einem Grenzsteuersatz von 100%. Das Individuum wird in der Regel darauf verzichten mehr als das Existenzminimum zu erarbeiten. Der Pfändungserfolg ist gleich Null. Dieses extreme Ergebnis relativiert sich natürlich, sobald eine zweite Periode eingeführt wird. Gelingt es dem Individuum innerhalb der ersten Periode die Schuld zu tilgen, so ist es in der zweiten Periode schuldenfrei und unterliegt auch keiner Lohnpfändung mehr. Es kann wieder voll über sein Einkommen verfügen. 1) Vgl. auch Abschnitt 2 von Teil I. 254 7 Schlussfolgerungen zu Teil III Der Trade-off ist also die Aufgabe von Freizeit heute gegen Konsum morgen. Wird das betreibungsrechtliche Existenzminimum erhöht, so sinkt der Nutzen einer Schuldtilgung, da der Schaden durch die Lohnpfändung und den dadurch eingeschränkten Konsum kleiner wird. Bis zu einem gewissen Grad wird das Individuum sein Arbeitsangebot mit steigendem Existenzminimum steigern um nach wie vor die Schuld innerhalb der ersten Periode tilgen zu können. Irgendwann aber ist das betreibungsrechtliche Existenzminimum so gross, dass sich die Mehrarbeit nicht mehr lohnt. Das Individuum wird die Schuldtilgung aufgeben und nur noch das Existenzminimum erarbeiten. In einem dritten Schritt wird das Zweiperioden-Modell auf eine beliebige Anzahl von Perioden erweitert und dynamisiert. Mit Hilfe der Theorie der optimalen Kontrolle lassen sich die Optimierungspfade analysieren. Über die Bedingungen, wann eine Schuld getilgt wird und wann nicht, lassen sich aber keine detaillierten Aussagen machen. Liegt das betreibungsrechtliche Existenzminimum so hoch, dass es das Einkommen welches ein Individuum in Absenz einer Betreibung zu erzielen wünscht übersteigt, so wird in der Regel ein Schuldenabbau nicht erfolgen. Ein Individuum, welches es vorzieht die Schuld nicht zu tilgen, wird über den gesamten Zeitraum hinweg nie mehr als das betreibungsrechtliche Existenzminimum erarbeiten. Durch Computersimulationen lassen sich die theoretischen Ergebnisse deutlicher aufzeigen. Es wurden sechs verschiedene Schuldnergruppen simuliert, deren Schuld/Einkommensverhältnisse den Ergebnissen der Datenerhebung angepasst wurden.1 Je geringer der Lohnsatz eines Individuums, desto eher wird es dazu neigen seine Schulden nicht abzubauen, sondern statt dessen nur noch das Existenzminimum zu erarbeiten. Der mögliche Konsumgewinn, den es durch Tilgung der Schuld und die Beendigung der Lohnpfändung erreichen könnte, ist zu gering um das Individuum für den Verlust an Freizeit zu entschädigen. Wird das Existenzminimum gesteigert, so ist eine Erhöhung des Arbeitsangebotes nur in wenigen Fällen zu beobachten. Wie auch im Zweiperioden-Modell gibt es einen 1) Zur Datenerhebung vgl. Meier et al. (1999) sowie Abschnitt 3 in Teil I dieser Arbeit. Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 255 Punkt, an dem das Individuum schliesslich mit Schuldtilgung aufhört und sich statt dessen mit dem Existenzminimum zufrieden gibt. Alle Modelle basieren auf der Annahme, die Individuen würden sich das Existenzminimum selbst erarbeiten. In der Realität sieht dies anders aus. Es existiert eine staatliche Sozialhilfe, welche zur Zeit in der Schweiz sogar geringfügig höher ist als das betreibungsrechtliche Existenzminimum. Mit Existenz einer staatlichen Sozialhilfe werden natürlich die Individuen, welche auf eine Schuldtilgung verzichten und mit dem Existenzminimum „zufrieden“ sind, dieses nicht mehr selbst erarbeiten, sondern die Arbeit ganz sein lassen und von der staatlichen Fürsorge leben. Auch für diejenigen, welche bei Absenz einer staatlichen Sozialhilfe noch bereit waren die Schulden abzubauen, wird die Option „Nichttilgung“ attraktiver. In Abschnitt 5 wurden schliesslich zwei Reformvorschläge für das schweizerische Betreibungsrecht vorgestellt. Der erste sieht eine Flexibilisierung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums vor. Statt wie bisher 100% des Einkommens jenseits des Existenzminimums zu pfänden, sollte jenseits eines Freibetrags ein Pfändungssatz von weniger als 1 angewandt werden. Die theoretischen Ergebnisse erlauben den Schluss, dass ein variables Existenzminimum dazu führen könnte, dass manche Individuen Mehrarbeit leisten, obwohl die Schuld nicht innerhalb des Optimierungszeitraums getilgt wird. In diesem Fall erhält zum einen der Gläubiger immerhin einen Teil seiner Forderung zurück und die Staatskasse bzw. die Steuerzahler werden durch die gesparte Sozialhilfe entlastet. Die Ergebnisse der Computersimulationen bestätigen diese Ergebnisse jedoch nicht. Nimmt man die sechs in den Simulationen verwendeten Schuldnergruppen als Referenz, so muss gesagt werden, dass die Gläubiger durch die Einführung eines variablen Existenzminimums in erster Linie Verluste zu erleiden hätten. Erst bei einer Absenkung des Pfändungssatzes auf 0.1 hätten die Gläubiger der „ärmsten“ Schuldner einen Vorteil, da diese dann immerhin einen Teil ihrer Schuld abtragen, im Gegensatz zu einem System mit einem Pfändungssatz in Höhe von 1. Auch die Steuerzahler hätten nur dann einen Vorteil, wenn der Pfändungssatz bis auf 0.1 abgesenkt würde. Erst bei diesem Wert fangen die bei- 256 7 Schlussfolgerungen zu Teil III den „ärmsten“ Schuldner an zu arbeiten, statt wie bisher nur das Existenzminimum zu erwirtschaften. Eine Absenkung des Pfändungssatzes bis auf 0.1 erscheint aber kaum durchsetzbar. Eine Absenkung des Freibetrags als Kompensation für den verringerten Pfändungssatz ist aus sozialen Gründen nicht in nennenswertem Umfang möglich. Tatsächlich besteht die Gruppe der Schuldner aber nicht nur aus den sechs in den Simulationen verwendeten Gruppen. Vor allem im Bereich der sehr hoch Verschuldeten kann ein variables Existenzminimum dazu führen, dass Individuen, für die es sich bisher nicht gelohnt hat zu arbeiten, nun anfangen wieder einen Job zu suchen, da sie immerhin einen Teil des Mehreinkommens behalten können. Zaborowski und Zweifel (1998) haben ein Modell mit Individuen simuliert welche höhere Lohnsätze und höhere Schulden besitzen als diejenigen des in dieser Arbeit vorgestellten Modells. Bei diesen Simulationen war das Ergebnis hinsichtlich einer Absenkung des Pfändungsbetrages auch optimistischer als das hier vorliegende. Eine absolute Paretoverbesserung ist durch Einführung eines variablen Existenzminimums nicht möglich. Ob eine potentielle Paretoverbesserung erfolgen kann, müsste noch mittels einer Wohlfahrtsanalyse genauer überprüft werden. Der zweite Reformvorschlag beinhaltet eine Restschuldbefreiung wie sie bereits in vielen Ländern, allen voran den USA, üblich ist. Eine bedingungslose Restschuldbefreiung führt dazu, dass Individuen, welche bisher ihre Schulden tilgten, unter Umständen nun darauf verzichten um statt dessen auf die Schuldbefreiung zu warten. Je früher diese Schuldbefreiung durchgeführt wird, desto grösser sind die Anreize die Schulden nicht mehr aus eigener Kraft abzubauen. Eine Schuldbefreiung, die an Bedingungen, wie zum Beispiel Teilrückzahlung, gebunden ist, hat aber durchaus Vorteile. Diese Vorteile sind vor allem auf der Seite der Steuerzahler zu finden. Individuen, denen durch die Restschuldbefreiung ein „fresh start“ ermöglicht wird, haben grosse Anreize ihr Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen, anstatt von der Sozialhilfe abhängig zu sein. Ohne Zweifel existiert aber auch das Problem des ex ante moral hazard, in der Form, dass eine Schuldbefreiung die Kosten der Überschuldung für den Schuldner senkt und Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 257 somit möglicherweise die Prävention gar nicht erst in die Überschuldung zu kommen, vernachlässigt wird. Es ist schliesslich noch zu bedenken, dass Reformen des Betreibungsrechts nicht nur das ex post, sondern auch das ex ante Verhalten der Schuldner und auch das Gläubigerverhalten beeinflussen. Je grösser das Risiko für Kreditgeber unter Umständen nichts oder nur einen Teil der Forderungen zu erhalten, desto höher werden sie den Preis für einen Kredit ansetzen oder die Verfügbarkeit einschränken. Diese Massnahmen treffen aber dann alle Marktteilnehmer, da die „schlechten“ Kreditnehmer von den „guten“ ex ante nur schwer zu trennen sind. Abschnitt 6 war der empirischen Evidenz gewidmet. Zum Verhalten von Individuen in einer Lohnpfändung gibt es leider keine empirischen Beobachtungen. Die Wirkungen einer Restschuldbefreiung wurden in den USA von Sullivan et al. (1989, 1994) untersucht. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass Missbrauch nicht in nennenswertem Umfang existiert. Mit Daten aus der Datenerhebung auf den schweizerischen Betreibungsämtern wurde schliesslich noch versucht die Einflüsse zu identifizieren, welche Individuen dazu bringen auszusagen, sie würden nie wieder schuldenfrei. Dies unter der Annahme, dass eine solche Aussage darauf hindeutet, dass die betroffene Person keine grossen Anreize mehr hat sich noch gross für eine Schuldtilgung einzusetzen. Die Koeffizienten wie Schuldenhöhe, Einkommen, standardisierte Rückzahlungsdauer sowie einige demographische Variablen sind im wesentlichen aber nicht signifikant. 258 7 Schlussfolgerungen zu Teil III Resultat III.15 Ein Individuum welchem aufgrund einer nicht getilgten Schuld der Lohn gepfändet wird, steht vor zwei Möglichkeiten. Zum einen könnte es Mehrarbeit in der Gegenwart leisten um die Schuld zu tilgen und in Zukunft wieder unbeschränkten Konsum geniessen zu können. Statt dessen könnte die verschuldete Person auch auf eine Schuldtilgung verzichten und so mehr Freizeit konsumieren, um den Preis des auf das betreibungsrechtliche Existenzminimum beschränkten Konsums. Die Einführung eines variablen Existenzminimums erhöht die Arbeitsanreize für die Schuldner, führt aber zu Verlusten bei den Gläubigern. Dasselbe gilt für eine Restschuldbefreiung, bei der zusätzlich noch die Gefahr des ex ante moral hazard besteht. Vor allem die Steuerzahler als Finanziers der öffentlichen Sozialhilfe dürften neben den Schuldnern von den aufgezeigten Reformen profitieren, während die Gläubiger und die sonstigen, nicht verschuldeten Marktteilnehmer verlieren. Teil III Folgen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung - Die Betreibung 259 8 Literatur zu Teil III Andreoni, J. (1991), The desirability of a permanent tax amnesty, Journal of Public Economics 45, 143 - 159. Baird, D. G. (1993), The elements of bankruptcy, The Foundation Press, New York. Chiang, A. C. (1984), Fundamental methods of mathematical economics, 3. Auflage, McGraw Hill, Singapur. Chiang, A. C. (1992), Elements of dynamic optimization, McGraw-Hill, New York. Das-Gupta, A. (1996), Tax amnesties as asset-laundering devices, The Journal of Law, Economics and Organisation 12 (2), 408 - 431. Dye, R. A. (1986), An economic analysis of bankruptcy statutes, Economic Inquiry 24, 417 - 428. Dutta, P.K. 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Die Anreize, welche das Verhalten der Betreibungsbeamten beeinflussen, werden im zweiten Abschnitt untersucht. 1.1 Die Vermögenspfändung Voraussetzung für eine (erfolgreiche) Vermögenspfändung ist, dass der Schuldner „nur“ zahlungsunfähig, nicht aber überschuldet ist. Letzteres heisst bekanntlich, dass kein Vermögen mehr vorhanden ist (vgl. Abschnitt 1.1, Teil II). In der Schweiz hat die Vermögenspfändung kaum noch Bedeutung, da die meisten Schuldner überschuldet und nicht nur zahlungsunfähig sind. In den seltensten Fällen sind Vermögensbestandteile vorhanden, die gepfändet werden könnten. Die Vermögensbestandteile die vorhanden sind, können in der Regel kaum erfolgreich verkauft bzw. versteigert werden, da sie meist zu alt sind. Aufgrund der geringen Bedeutung der Vermögenspfändung liegt das Schwergewicht dieser Arbeit auf der Lohnpfändung. Der Vollständigkeit halber soll die Vermögenspfändung in diesem Abschnitt jedoch auch kurz zur Sprache kommen. Wie auch bei der Lohnpfändung ist die ökonomische Literatur bezüglich einer Vermögenspfändung eher spärlich. Dubey und Shubik (1988) haben ein Modell für das ex ante Verhalten eines Schuldners entwickelt. Sie untersuchen die 262 1 Mögliche Erweiterungen der Modelle Anreizwirkungen der Lohnpfändung auf die Entscheidung, eine Schuld nicht zurückzubezahlen. Wie sehen aber die Anreizwirkungen ex post aus? Interessant sind natürlich vor allem die Anreize auf das Arbeitsangebot. Zum pfändbaren Vermögen gehören liquide finanzielle Mittel (wie zum Beispiel Sparbücher), als auch langlebige Konsumgüter, welche nicht als Kompetenzstücke anerkannt werden und somit pfändbar sind (vgl. Abschnitt 2 in Teil I). In Abbildung IV.1 ist das Beispiel einer Vermögenspfändung grafisch widergegeben. Das Individuum maximiert in der Ausgangssituation ohne Pfändung seinen Nutzen U1 durch Güterkonsum c und Freizeit l. Ohne Pfändung ist der maximal mögliche Konsum gleich dem maximal möglichen Arbeitseinkommen w ⋅ ( 1 – l ) (mit l = 0) plus dem vorhandenen Vermögen v. Auf der anderen Seite beträgt die maximal mögliche Freizeit l = 1 (bei einem Arbeitseinkommen von 0 und damit einem maximal möglichen Konsum in Höhe von v). Eine Pfändung des Vermögens (wie in Abbildung IV.1), führt zu einer Parallelverschiebung der Budgetgeraden nach innen. Die Reaktion des Individuums auf diesen Einkommenseffekt ist eindeutig. In Zukunft wird weniger konsumiert. In welchem Ausmass sich die Verringerung auf Konsum und Freizeit aufteilt, hängt von der Grenzrate der Substitution zwischen Konsum und Freizeit ab. Die Freizeit wird zumindest nicht erhöht, das Arbeitsangebot bleibt also mindestens konstant und wird wahrscheinlich sogar steigen. In der Folgeperiode wird die getroffene Entscheidung hinsichtlich Konsum und Freizeit nach dem einmaligen exogenen Schock der Pfändung ceteris paribus beibehalten. Wie stellt sich die Sachlage dar, wenn nicht liquides Vermögen, sondern langlebige Konsumgüter gepfändet werden?1 Das Individuum zieht in der laufenden Periode Nutzen aus Konsum, Freizeit und dem Bestand langlebiger Konsumgüter der letzten Periode, zuzüglich den langlebigen Konsumgütern, welche in der laufenden Periode erworben werden. Das Individuum hat die Wahl zwischen Freizeit und der Erzielung von Einkommen, welches zu Konsumzwecken oder zum Kauf neuer langlebiger Konsumgüter genutzt werden kann. Die Budgetrestriktion für eine Periode t ergibt 1) Zur Theorie der langlebigen Konsumgüter vgl. Abschnitt 6 von Teil II. Teil IV Erweiterungen und Schlussfolgerungen Abbildung IV.1 263 Wirkung der Pfändung des liquiden Vermögens c w+v P fänd un g v on v w U1 U2 v 1 p ⋅ ct + h ⋅ [ dt – dt – 1 ⋅ ( 1 – κ ) ] = w ⋅ ( 1 – lt ) . l (IV.1) Die Variable h steht für den Preisvektor der langlebigen Konsumgüter (vgl. Abschnitt 6 von Teil II). Die Differenz in der eckigen Klammer auf der linken Seite der Gleichung (IV.1) gibt an, wieviele langlebige Konsumgüter in der laufenden Periode gekauft werden. Der Bestand an langlebigen Konsumgütern der letzten Periode d t – 1 wird mit der Rate κ abgeschrieben. Unter der Annahme, dass der Bestand langlebiger Konsumgüter nicht zu Konsumzwecken kurzfristig verkauft werden kann, lässt sich die Budgetrestriktion in einer dreidimensionalen Grafik darstellen (vgl. Abbildung IV.2). Die Budgetrestriktion stellt sich als die Fläche zwischen den drei Achsenabschnitten dar. Die maximal zu konsumierende Freizeit wird wiederum auf 1 normiert. Der maximale Konsum c ist erreicht, wenn keine neuen langlebigen Konsumgüter gekauft werden und keinerlei Freizeit getätigt wird, und ist somit gegeben durch w/p. Der maximale Konsum an langlebigen Konsumgütern ist erreicht, wenn weder Verbrauchskonsum noch Freizeit getätigt werden. In diesem Fall kann das gesamte Einkommen w zum Neukauf von langlebigen Kon- 264 1 Mögliche Erweiterungen der Modelle Abbildung IV.2 Verschiebung der Budgetrestriktion bei Pfändung langlebiger Konsumgüter l1 1 w ---p c1 w ---h Pfändung von d 0 ⋅ ( 1 – κ ) w d 0 ⋅ ( 1 – κ ) + ---h d1 sumgütern benutzt werden. Der in der laufenden Periode t zur Verfügung stehende Bestand an langlebigen Konsumgütern betrüge dann d 0 ⋅ ( 1 – κ ) + w ⁄ h . Die minimale Ausstattung an langlebigen Konsumgütern ist schlicht der Bestand der Vorperiode d 0 ⋅ ( 1 – κ ) , der zur Verfügung steht, egal wieviel Freizeit oder Konsum getätigt werden. Werden dem Individuum die langlebigen Konsumgüter am Anfang der Periode gepfändet, um eine vorhandene Schuld zu tilgen [Annahme: – v = d 0 ⋅ ( 1 – κ ) ], verschiebt sich die Budgetfläche nach innen. Das Ganze ist nichts anderes als bei der Pfändung liquiden Vermögens, nur das hier eine dritte Dimension hinzugekommen ist. Das Arbeitsangebot wird dementsprechend wiederum mindestens konstant bleiben. Die Vermögenspfändung ist einer Lohnpfändung vorzuziehen, da die negativen Anreizeffekte auf das Arbeitsangebot aufgrund des fehlenden Substitutionseffektes nicht vorhanden sind. Auch von den Schuldnern scheint die Vermögenspfändung bevorzugt zu werden, wie Daten aus den USA zu belegen scheinen. Im Rahmen der Restschuldbefreiung wird in den USA die Alternative Teil IV Erweiterungen und Schlussfolgerungen 265 einer Liquidation des Vermögens (Restschuldbefreiung nach chapter 7), gegenüber der monatlichen Rückzahlung vom laufenden Einkommen (Restschuldbefreiung nach chapter 13) von der Mehrheit der betroffenen Personen vorgezogen [vgl. Forsblad (1997)].1 Das Problem der Vermögenspfändung ist jedoch, dass meistens nicht mehr genug Vermögen vorhanden ist, um die Schuld zu tilgen. Selbst wenn pfändbare Gegenstände vorhanden sind, sind sie häufig nicht mehr viel wert. Nicht selten können mit dem Erlös der gepfändeten Gegenstände auf einer öffentlichen Versteigerung nicht einmal die Kosten des Transports und der Versteigerung gedeckt werden. Resultat IV.1 Die Vermögenspfändung hat, unabhängig davon ob liquides Vermögen oder langlebige Konsumgüter gepfändet werden, keine negativen Anreizeffekte auf das Arbeitsangebot. Sie ist von daher der Lohnpfändung vorzuziehen. Das Problem der Vermögenspfändung ist jedoch, das in den meisten Fällen unzureichende Vermögen der verschuldeten Personen. 1.2 Die Rolle des Betreibungsamtes Die Intention meiner Arbeit liegt auf einer Analyse des Verhaltens überschuldeter Personen und deren Reaktionen auf Reformen im Betreibungsrecht. Nicht zuletzt hängt der Erfolg einer Betreibung aber auch von der durchführenden Instanz, dem Betreibungsamt bzw. seinen Beamten ab. Aus diesem Grunde soll im folgenden Abschnitt die Rolle des Betreibungsamtes kurz dargestellt werden. Bei der Eintreibung der Schulden per Zahlungsbefehl und wenn nötig per Lohn- oder Vermögenspfändung ist das Betreibungsamt bzw. der einzelne Betreibungsbeamte die handelnde Instanz vor Ort. Er ist gewissermassen ein Agent des 1) Zu einer kurzen Erläuterung der Verfahren nach chapter 7 bzw. chapter 13 vgl. Teil III, Abschnitt 5.2, Seite 232. 266 1 Mögliche Erweiterungen der Modelle Gläubigers. Die Aufgabe des Betreibungsbeamten ist es, im Auftrag des Gläubigers dessen Forderungen einzutreiben, wenn es sein muss mit Hilfe einer Pfändung. Dabei hat der Betreibungsbeamte einen diskretionären Spielraum. Der diskretionäre Spielraum fängt damit an, dass der Betreibungsbeamte durch häufige Präsenz beim Schuldner vor Ort diesen verstärkt unter Druck setzen kann, die Schuld zu bezahlen. Bei der Vermögenspfändung ist es der Betreibungsbeamte, der innerhalb der gesetzlichen Regelungen die Vermögensgegenstände heraussucht, die seiner Meinung nach bei einer Versteigerung ausreichend Erlös erzielen könnten. Auch bei der Lohnpfändung hat der Betreibungsbeamte einen Spielraum bei der Berechnung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums. Je höher der psychische Druck, der durch die Pfändung des Einkommens eines Schuldners ensteht, je höher das Mitleid mit einem Schuldner, desto weniger wird der Betreibungsbeamte alleine als Sachwalter des Gläubigers agieren und das Existenzminimum eher grosszügig berechnen. Welches sind nun die Anreize für die Beamten? Die Amtsleiter eines jeden Amtes, werden von der Gemeinde oder dem Kreis für den sie zuständig sind, gewählt. Die Besoldung kann auf zwei verschiedene Arten erfolgen. In den grösseren Ämtern werden die Amtsleiter sowie ihre untergeordneten Beamten per Periodenfixum entlohnt. Auf kleineren Ämtern werden die Amtsleiter oft pro Betreibungsfall vergütet (die sog. Sportler).1 Entlohnung per Periodenfixum Die Betriebskosten des Amtes werden von der Gemeinde übernommen. Die Gemeinde bekommt dafür die Gebühren, welche die Betreibungsbeamten für jeden Betreibungsfall in Abhängigkeit von der Forderungshöhe einziehen. Aufgrund des Periodenfixums besteht für die Beamten kein direkter monetärer Anreiz für einen effizienten Output (= Betreibungserfolg) zu sorgen. Gleichzeitig haben die Gläubiger kaum Sanktionsmöglichkeiten, wenn sie nicht zufrieden sind mit der Arbeit des Amtes. Nur wenn ein Beamter eindeutig seine Kompeten- 1) Vgl. Bünzli (1994). Teil IV Erweiterungen und Schlussfolgerungen 267 zen überschreitet, besteht eine Möglichkeit erfolgreich Rekurs gegen einen Betreibungsvorgang bzw. das Ergebnis einzulegen.1 Die Alternative, vor allem für Gläubiger, welche relativ geringe Forderungen aufweisen, ist auf eine Eintreibung zu verzichten. Für die Betreibungsämter wäre dies sogar von Vorteil, da die „Grossgläubiger“ unter der Annahme gleichen Arbeitsaufwandes einen höheren Deckungsbeitrag erwirtschaften, aufgrund der von der Forderungshöhe abhängigen Gebühren. Es besteht für die Beamten also ein Anreiz zur Diskriminierung von Gläubigern mit geringen Forderungen gegenüber den „Grossgläubigern“, da so das Budget entlastet werden kann. Eine ausgeglichene Rechnung oder gar ein Überschuss erhöhen schliesslich die Wiederwahlchancen der Beamten. Entlohnung pro Betreibungsfall (Sportler) Die sog. Sportler werden pro Betreibungsfall von der Gemeinde/Kreis entlohnt. Die Gemeinde wiederum kassiert von den Gläubigern die von der Forderungshöhe abhängigen Gebühren. Die Betriebskosten des Amtes werden von den Amtsleitern getragen. Unter diesem Regime besteht für die Beamten zum einen ein Anreiz, die Betriebskosten niedrig zu halten und zum anderen nicht zu viele Gläubiger zu verlieren. Eine Verlockung zur Diskriminierung von „kleinen“ Gläubigern besteht aber auch bei den Sportlern, da auf diese Weise wiederum eher ein Überschuss erzielt werden kann, wodurch die Wiederwahlchancen gesteigert werden. Den theoretischen Überlegungen folgend, müssten die Ämter mit dem sog. Sportlersystem einen höheren Selbstfinanzierungsgrad aufweisen und auch die höhere Erfolgsquote (zumindest die höheren Anstrengungen, eine solche zu erreichen). Empirisch gibt es jedoch bisher keine Beobachtungen welche diese These bestätigen oder widerlegen könnten. 1) Dasselbe gilt natürlich auch für die Schuldner. 268 1 Mögliche Erweiterungen der Modelle Resultat IV.2 Der Theorie folgend sollten Ämter, welche dem sog. Sportlersystem unterliegen, ceteris paribus einen höheren Selbstfinanzierungsgrad und gleichzeitig eine höhere Erfolgsquote aufweisen. Diese These ist empirisch bisher jedoch nicht überprüft worden. Teil IV Erweiterungen und Schlussfolgerungen 269 2 Schlussfolgerungen zur gesamten Arbeit „Wir wissen nicht, sondern wir raten.“ Karl Popper, Logik der Forschung, S. 223 Ziel meiner Dissertation war es, die Gründe für Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung sowie ihre Folgen in Form einer Lohnpfändung mit Hilfe der ökonomischen Theorie zu analysieren. Ich bin diese beiden Fragen aus Gründen der Vereinfachung getrennt angegangen. Teil II der Arbeit war den Gründen der Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung gewidmet, während ich mich in Teil III mit den Anreizwirkungen einer Lohnpfändung beschäftigt habe. Der entscheidende Grund für unfreiwillige Überschuldung ist die Existenz von Risiko. Ein exogener Schock in Form eines Einkommensausfalls oder unerwarteter Ausgaben kann ein Individuum in die Zahlungsunfähigkeit/Überschuldung stürzen. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person aufgrund eines exogenen Schocks in eine finanzielle Krise gerät, lässt sich jedoch beeinflussen. Je höher die Ersparnis bzw. das Vermögen eines Individuums, desto geringer ist die Überschuldungswahrscheinlichkeit. Damit kommt die Frage nach den Motiven der Ersparnis auf. Ein Motiv ist die sog. Vorsichtsersparnis. Je risikoaverser ein Individuum, desto mehr Vorsichtsersparnis tätigt es und desto geringer ist demzufolge die Überschuldungswahrscheinlichkeit. Personen, die ein geringes Einkommen aufweisen, haben allerdings nicht die Möglichkeit Vorsichtsersparnis zu tätigen. Es ist von daher nicht sehr erstaunlich, dass unter den verschuldeten Personen überdurchschnittlich viele mit geringem Einkommen zu finden sind. Ebenfalls drückend auf die Ersparnis wirkt die Zeitpräferenzrate. Individuen mit einer hohen Präferenz für Gegenwartskonsum neigen eher dazu zu entsparen, sich also zu verschulden, als zu sparen. Sie unterliegen somit auch einer erhöhten Überschuldungswahrscheinlichkeit. Zusätzlich werden die erwarteten Kosten einer Überschuldung relativ stark abdiskontiert, was den sparfördernden Effekt der Risikoaversion kompensiert. 270 2 Schlussfolgerungen zur gesamten Arbeit Die meisten ökonomischen Modelle gehen davon aus, dass die Individuen Nutzen nur aus dem absoluten Niveau ihres Konsums ziehen. Tatsächlich sind die Menschen auch an ihrem relativen Status innerhalb der Gesellschaft interessiert. In Abschnitt 5 von Teil II habe ich überprüft, wie sich die sog. Jagd nach Status auf die Überschuldungswahrscheinlichkeit auswirkt. Das Ergebnis dabei ist, dass die Jagd nach Status die Ersparnis nicht direkt tangiert. Stattdessen wird die Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern angeheizt, da Status sehr häufig an den Besitz langlebiger Konsumgüter geknüpft ist. Die Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern aber erhöht zum einen die Gefahr zahlungsunfähig zu werden und andererseits auch die Überschuldungswahrscheinlichkeit. Die Gefahr der Zahlungsunfähigkeit wird durch den Kauf des Gutes ausgelöst, der die liquiden Finanzmittel verringert. Die Überschuldungswahrscheinlichkeit erhöht sich unter Umständen aufgrund der relativ hohen Abschreibungsrate, welche die meisten langlebigen Konsumgüter aufweisen. Neben dem erwähnten Konzept der interpersonellen Präferenzen existiert auch noch das Konzept der intertemporalen Präferenzen. Die Individuen orientieren sich hinsichtlich ihres Konsumniveaus an vergangenen Perioden. Dies hat zur Folge, dass nach einem Einkommensschock das Konsumniveau nur schrittweise abgesenkt wird wodurch die Ersparnis sinkt und die Überschuldungswahrscheinlichkeit steigt. Schliesslich wurde noch untersucht, inwieweit „irrationales“ Verhalten für Überschuldung verantwortlich gemacht werden kann. Umfragen bei überschuldeten Personen haben ergeben, dass rund 10 - 20% der überschuldeten Personen angeben, sie wären aufgrund unzureichender Kenntnisse im Umgang mit Geld in die Verschuldung geraten [vgl. Meier et al. (1999) und Rosendorfer (1993)]. Dennoch sind diese Verhaltensweisen nicht so sehr ein Ausfluss irrationalen Verhaltens sondern vielmehr Informationsdefizite bzw. mangelhafte Informationsverarbeitung. Schliesslich stellen auch Suchtkrankheiten nicht selten einen Überschuldungsgrund dar. Empirische Untersuchungen, die mit Hilfe eines Panel-Datensatzes auf der kantonalen Ebene durchgeführt wurden, bestätigen vor allem die Rolle des unge- Teil IV Erweiterungen und Schlussfolgerungen 271 nügenden Finanzmanagements sowie exogener Schocks (insbesondere Arbeitslosigkeit) auf die Überschuldungswahrscheinlichkeit. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch die empirische Studie von Lea et al. (1995) für England. Ist ein Individuum erst einmal überschuldet, droht nicht selten die Betreibung und ihrer Folge dann unter Umständen auch eine Pfändung. Da Überschuldung bereits impliziert, dass kein Vermögen mehr vorhanden ist, bleibt nur die Lohnpfändung. In Teil III bin ich der Frage nachgegangen, welche Anreizwirkungen eine Lohnpfändung auf das Arbeitsangebot eines Individuums hat. Bei der Lohnpfändung wird dem Schuldner der Teil des Einkommens gepfändet und zur Schuldtilgung verwendet, der das sog. betreibungsrechtliche Existenzminimum übersteigt. Das Individuum steht vor der Entscheidung in der Gegenwart auf Freizeit zu verzichten, also Mehrarbeit zu leisten, um auf diese Weise die Schuld zurückzubezahlen und in Zukunft wieder frei konsumieren zu können. Oder es verzichtet auf eine Schuldtilgung und arbeitet nur noch so viel, dass es genau das betreibungsrechtliche Existenzminimum erreicht, dies natürlich aufgrund der nicht getilgten Schuld bis zum Ende des betrachteten Zeithorizontes. Nach der Vorbereitung mittels eines Ein- und eines Zweiperioden-Modells erfolgt die Modellierung des überschuldeten Individuums in der Lohnpfändung mit Hilfe eines dynamischen Multiperioden-Modells. Anhand von Computersimulationen lässt sich feststellen, bei welchen Werten des betreibungsrechtlichen Existenzminimums Individuen mit unterschiedlichen Lohnsätzen es vorziehen, ihre Schulden nicht mehr zu tilgen. Je geringer der Lohnsatz in Relation zum betreibungsrechtlichen Existenzminimum, desto eher wird das Individuum darauf verzichten, die Schuld zu tilgen und statt dessen nur noch das Existenzminimum konsumieren. Im weiteren Verlauf von Teil III habe ich dann zwei Reformvorschläge für das Betreibungsrecht auf ihre Wirkung hin getestet. Die Einführung eines variablen (= einkommensabhängigen) Existenzminimums erhöht die Arbeitsanreize für die Schuldner. Da aber ceteris paribus den Simulationsrechnungen zufolge der Pfändungserfolg pro Periode geringer wird und das erhöhte Arbeitsangebot nicht ausreicht diesen Effekt zu kompensieren, resultiert aus der Einführung eines 272 2 Schlussfolgerungen zur gesamten Arbeit variablen Existenzminimums eine Verschlechterung der Situation der Gläubiger. Dasselbe gilt für die Einführung einer Restschuldbefreiung. Letztere hat aber vor allem für die Steuerzahler noch eine positive Komponente. Personen, welche bisher aufgrund der andauernden Lohnpfändung es vorzogen nicht zu arbeiten und statt dessen Sozialhilfe zu beziehen, erhalten nach Inkrafttreten der Restschuldbefreiung neue Arbeitsanreize. Diese positiven Effekte gelten vor allem für Individuen, die sehr hoch verschuldet sind. An dieser Stelle muss sich der Autor natürlich fragen, ob das verwendete theoretische Modell eines Individuums in der Lohnpfändung der Problemstellung überhaupt gerecht wurde. Angesichts der Nichterreichbarkeit allgemeiner Aussagen darüber unter welchen Umständen ein Individuum seine Schulden tilgt oder nicht, müsste man eigentlich antworten „Nein“. Auf der anderen Seite sind die mit Hilfe der Computersimulationen erhaltenen Ergebnisse über alle drei verwendetet Nutzenfunktionen stabil und es besteht somit die Hoffnung nicht nur Spezialfälle getestet zu haben. Empirische Bestätigung für die in diesem Teil gemachten Aussagen konnte leider nicht gefunden werden. Dies liegt vor allem daran, dass die im Rahmen des Nationalfondsprojekts erhobenen Daten [vgl. Meier et al. (1999)] nur eine Querschnittsanalyse darstellen, nötig wäre in diesem Zusammenhang aber eine Zeitreihenanalyse. Schliesslich wurden noch im letztem Teil der Arbeit einige mögliche Erweiterungen vorgestellt. Dies ist zum einen eine Analyse der Effekte einer Vermögenspfändung. Auch die Pfändung des Vermögens hat einen Einfluss auf das Arbeitsangebot der betroffenen Individuen. Sie stellt einen Einkommenseffekt dar, der in der Regel zu einer Steigerung des Arbeitsangebots führt. Die Lohnpfändung dagegen führt bei Individuen mit niedrigem Lohnsatz zu einer Reduzierung des Arbeitsangebotes auf das zur Finanzierung des Existenzminimums notwendige Ausmass. Die Vermögenspfändung ist von daher prinzipiell der Lohnpfändung vorzuziehen. Der zweite Abschnitt war dem Verhalten des Betreibungsamtes gewidmet. In der Schweiz wird unterschieden zwischen Betreibungsämtern in welchen die Beamten per Periodenfixum entlohnt werden und Teil IV Erweiterungen und Schlussfolgerungen 273 solchen in denen die Entlohnung von der Anzahl der Betreibungsfälle abhängt (sog. Sportler). Theoretisch sollten die Sportler einen höheren Selbstfinanzierungsgrad als die anderen Betreibungsämter aufweisen. Empirisch wurde dies bisher jedoch noch nicht überprüft. Welches wirtschaftspolitische Fazit lässt sich nun aus meiner Arbeit ziehen? Zur Prävention habe ich bereits in den Schlussbemerkungen zu Teil II angemerkt, dass der Staat sich an dieser Stelle eher passiv verhalten sollte. Einschränkungen des Kreditmarktes sind nicht geeignet das Problem der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung zu beseitigen. Den Menschen kann nicht jedes Risiko abgenommen werden. Die Möglichkeiten des Staates liegen in der Ausgestaltung der Folgen der Überschuldung. Es ist aber zweifelsohne vernünftig, dass ein staatlich geregeltes und kontrolliertes Betreibungsverfahren existiert, da ansonsten durchaus die Gefahr eines „Wild-West“-Verhaltens von seiten privater Geldeintreiber drohen würde. Der Staat stellt mit dem Betreibungsverfahren Rechtssicherheit zur Verfügung. Das Verfahren selbst muss zum einen in seinen Folgen eine Abschreckung für Schuldner bieten, da ansonsten die Kosten des Nichtbezahlens einer Rechnung zu gering werden. Ein zu legeres Verfahren würde vor allem auch für die Gläubiger ein Verlust an Rechtssicherheit bedeuten, was den Kreditmarkt als Ganzes beeinträchtigen könnte. Auf die Lohnpfändung bezogen erscheint es von daher durchaus sinnvoll, ein knappes Existenzminimum (auf der Höhe des bestehenden Existenzminimums) mit einem Anreiz für Wohlverhalten zu koppeln. Die Einführung eines variablen Existenzminimums als einen derartigen Anreiz erscheint jedoch nicht sinnvoll. Seine Einführung würde zwar prinzipiell eine Verstärkung der Arbeitsanreize für Personen in der Lohnpfändung bedeuten, die effektive Wirkung aber dürfte nicht ausreichen, die Gläubigerverluste zu kompensieren. Einen sinnvolleren Anreiz dagegen bietet eine Restschuldbefreiung unter Auflagen. Möglicherweise liesse sich hier eine Mischung zwischen dem sehr legeren amerikanischen und dem strengen deutschen Weg finden. Dem Schuldner ist aufzuerlegen, dass er innerhalb einer gesetzten Frist einen Teil der Schuld zu tilgen hat, andernfalls wird ihm die Restschuldbefreiung nicht gewährt.1 274 2 Schlussfolgerungen zur gesamten Arbeit Inwieweit einer dieser Vorschläge tatsächlich in das schweizerische Betreibungsrecht Eingang findet, hängt nicht zuletzt von der Bereitschaft der Gläubiger ab, Verluste in Kauf zu nehmen. Nicht zuletzt sollte nach wie vor versucht werden, den Schuldenstand vor allem durch eine Vermögenspfändung zu reduzieren, da diese geringere negative Effekte aufweist. Durch modernes Marketing und vereinfachte Zahlungsbedingungen könnten die im Augenblick nicht so erfolgreichen Versteigerungen von gepfändeten Vermögensbestandteilen effizienter gemacht werden. Ich hoffe, ich habe mit meiner Dissertation ein wenig dazu beigetragen, zum einen die Diskussion um die Überschuldungsproblematik zu versachlichen und zum anderen einen Anstoss für die Ökonomen zu liefern, auch vermehrt auf diesem Gebiet tätig zu werden, ganz im Sinne von „... economics as an expansive imperialist discipline.“ [Hirshleifer (1985), S. 53]. 1) Genauere Ausführungen zu der möglichen Ausgestaltung einer Restschuldbefreiung sind bei Meier et al. (1999) zu finden. Teil IV Erweiterungen und Schlussfolgerungen 275 3 Literatur zu Teil IV Bernholz, P. und Breyer, F. (1994), Grundlagen der Politischen Ökonomie, Band 2: Ökonomische Theorie der Politik, J. C. B. Mohr, Tübingen. Bünzli, K. (1994), Leitfaden zum SchKG: Schuldbetreibung - Konkurs - Nachlass, Schulthess Polygraphischer Verlag, Zürich. Dubey, A. und Shubik, M. (1988), A note on an optimal garnishing rule, Economics Letters 27, 5 - 6. Forsblad, K. 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Jugoslawien Türkei übriges Europa ausserhalb Europas (1) (2) (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) 286 Anhang zu Teil I Tabelle A.1 Kanton Liste der Ämter welche an der Datenerhebung teilgenommen haben Untersuchte Akten Interviews Bern 108 11 Biel 103 10 Basel Basel 94 16 Zug Zug 116 11 Schaffhausen Schaffhausen 114 11 St. Gallen St. Gallen 112 4 Glarus Glarus 111 7 Davos 110 1 Samedan 103 5 Aargau Reinach 93 10 Nidwalden Stans 136 1 Appenzell I. Appenzell 101 7 Yverdon 72 5 Lausanne 132 2 Freiburg Tafers 132 2 Tessin Lugano 147 3 Wallis Visp 112 11 Zürich 5 87 20 Zürich 7 73 14 Zürich 12 125 9 Dübendorf 101 2 Egg 97 1 Pfäffikon 103 9 Winterthur 106 15 Zollikon 117 0 2’705 187 Bern Graubünden Waadt Zürich Insgesamt Stadt/Amt Anhang 7) 287 Zivilstand jetzt (7a) vor 5 Jahren (7b) Ledig Verheiratet Verwitwet Getrennt/geschieden 8) (1) (2) (3) (4) Wieviele Personen sind zu versorgen (inkl. Alimentenempfänger)? jetzt Erwachsene Kinder 9) vor 5 Jahren (8a) (8c) (8b) (8d) Wohnung: jetzt (9a) vor 5 Jahren (9b) In einer Mietwohnung? In einer Eigentumswohnung? In einem gemieteten Haus? In einem Eigenheim? Bei Angehörigen oder Bekannten? Zur Untermiete? Im Hotel? Anzahl Zimmer 10) Wohnsitz im Ausland innerhalb der letzten 5 Jahre? Ja (1) Nein (2) 11) Wechsel des Wohnsitzkantons innerhalb der letzten 5 Jahre? Ja (1) Nein (2) (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (9c) 288 Anhang zu Teil I 12) Berufliche Stellung: jetzt (12a) Pensioniert oder Bezüger/in einer vollen IV-Rente Student/in, Schüler/in oder Lehrling Hausfrau/-mann Un- oder angelernte/r Arbeiter/in oder Bürogehilfe/in Arbeiter/in (mit Lehrabschluss) oder Vorarbeiter/in Landwirt/in Selbst. Kleingewerbetreibende/r oder Handwerker/in Lehrer/in Beamter/Beamtin oder Angestellte/r Beamter/Beamtin oder Angestellte/r in leitender Stellung Freier Beruf (z.B. Arzt/Ärztin oder Anwalt/Anwältin) Direktor/in, Unternehmensleiter/in oder Chefbeamter/-beamtin Arbeitslos Gelegenheitsjobs vor 5 Jahren (12b) (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9) (10) (11) (12) (13) (14) 13) Berufliche Stellung des/der Ehegatte/gattin bzw Partner/Partnerin: jetzt (13a) Pensioniert oder Bezüger/in einer vollen IV-Rente Student/in, Schüler/in oder Lehrling Hausfrau/-mann Un- oder angelernte/r Arbeiter/in oder Bürogehilfe/in Arbeiter/in (mit Lehrabschluss) oder Vorarbeiter/in Landwirt/in Selbst. Kleingewerbetreibende/r oder Handwerker/in Lehrer/in Beamter/Beamtin oder Angestellte/r Beamter/Beamtin oder Angestellte/r in leitender Stellung Freier Beruf (z.B. Arzt/Ärztin oder Anwalt/Anwältin) Direktor/in, Unternehmensleiter/in oder Chefbeamter/-beamtin Arbeitslos vor 5 Jahren (13b) (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9) (10) (11) (12) (13) 14) Bildung: Sie selbst (14a) Primarschule Oberschule / Realschule / Sekundarschule / Bezirksschule KV, Gewerbeschule, landwirtschaftliche Schule Handelsschule, Verkehrsschule, Kunstgewerbeschule u.ä. Mittelschule mit Maturität Höhere Fach-, und Berufsausbildung, höhere Fachprüfung Ihr/e Gatte/in (14b) (1) (2) (3) (4) (5) (6) Anhang 289 Höhere Fachschule, Technikum, Lehrerseminar Hochschule, Universität mit Diplom Keine Bildung 15) Höhe des Monatseinkommens? - nach Abzug aller Beiträge (AHV, IV, EO, Kinder- und Familienzulagen etc.) zuzüglich Alimente zuzüglich Rente bei Teilzeitbeschäftigung bitte nicht auf 100% aufrechnen auch Einkommen aus Spareinlagen, Obligationen, Aktien, Immobilien etc. 16) Und wie war das früher?. 16 a) vor 2 Jahren (1994) 16b) vor 3 Jahren (1993) 16c) vor 4 Jahren (1992) 16d) vor 5 Jahren (1991) 17) Einkommenserwartungen für 1997? (7) (8) (9) 290 Anhang zu Teil I 18) Einkommenserwartungen für 1998? 19) Monatsbezug des/der PartnersIn: Keine Angabe bzw. kein Partner 20) Und wie war das vor fünf Jahren (1991)? Keine Angabe bzw. kein Partner 21) Bezug von Sozialleistungen (AHV, EL, IV, SUVA, ALV, Fürsorge)? Nein 21a) Art AHV EL (1) (2) IV (3) SUVA (4) Fürsorge (5) ALV (6) 21b) Höhe Anhang 291 22) Sozialleistungen vor 5 Jahren Nein 22a) Art AHV EL (1) (2) IV (3) SUVA (4) Fürsorge (5) ALV (6) 22b) Höhe 23) Beschreibung der derzeitigen wirtschaftlichen Situation: jetzt (23a) Hervorragend Sehr gut Gut Genügend Ungenügend Schlecht Sehr schlecht vor 5 Jahren (23b) (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) 24) Wenn Sie ihre derzeitige Situation in bezug auf Familie und Arbeit überdenken, wie würden Sie Ihr Bruttohaushaltseinkommen (Bruttoeinkommen aller Haushaltsmitglieder inkl. Sozialleistungen) beschreiben? Hervorragend, wenn es höher als Fr. wäre (24a) Sehr gut, wenn es bei rund Fr. läge (24b) Gut wenn es bei rund Fr. läge (24c) Genügend wenn es bei rund Fr. läge (24d) Ungenügend wenn es bei rund Fr. läge (24e) Schlecht wenn es bei rund Fr. läge (24e) Sehr schlecht wenn es unter Fr. wäre (24f) 292 Anhang zu Teil I 25) Wie kam es zur derzeitigen finanziellen Situation (Mehrfachnennungen möglich)? Missglückte Geschäftsgründung (1) Scheidung, Trennung (2) Krankheit, Erwerbsunfähigkeit, Unfall (3) Arbeitslosigkeit (4) Tod des Ehegatten, Eltern (5) Gesamtschuldnerische Haftung, Bürgschaft (6) Opfer von Diebstahl, Betrug (7) Unerfahrenheit im Umgang mit Ratenzahlungen und Krediten (8) Suchtproblem (Alkohol, Drogen, Spiel u.ä.) (9) Sonstige Gründe (10) 26) Der oder die Gläubiger kommen aus den folgenden Branchen: Bei mehreren Gläubigern bitte die drei mit den höchsten Anteilen angeben. Bankgewerbe Versicherungsgewerbe Versandhäuser und Handel Vermieter Sozialversicherungen/Krankenkassen Alimentenempfänger Medizinische Versorgung Telecom Steuerbehörde Gerichtskosten und Bussen Sonstige öffentl. Stellen Treuhandbüro Sonstige 27) Die Höhe der in Betreibung gesetzten Forderungen beträgt Fr. (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9) (10) (11) (12) (13) Anhang 293 28) Höhe der Schuldenlast insgesamt : Keine Angabe 29) Belassene Aktiva gemäss den Richtlinien zur Berechnung des betreibungsrechtlichen Notbedarfs (Existenzminimum) Franken Monatlicher Grundbetrag (29a) Wohnungskosten (29b) Sozialbeiträge (soweit nicht bereits vom Lohn abgezogen) (29c) Besondere Berufskosten (29d) Unterstützungs- und Unterhaltsbeiträge (29e) Auslagen für die Schulung der Kinder (29f) Abzahlung oder Miete von Kompetenzstücken (29g) Weitere notwendige Auslagen (29h) Strom/Energie (29i) Summe (29j) 30) Sonstige belassene Aktiva (Kompetenzstücke) Geschätzter Wert (in Franken) Auto (eigenes) (30a) Auto (geleast) (30b) Fernseher (eigener) (30c) Fernseher (geleast) (30d) Personalcomputer (30e) HiFi-Anlage (eigene) (30f) HiFi-Anlage (geleast) (30g) 294 Anhang zu Teil I Mobiltelephon (30h) Möbel (30i) Sonstige (30j) Geschätzter Gesamtwert der belassenen Aktiva (30k) 31) Gepfändete Aktiva Geschätzter Wert (in Franken) Auto (31a) Fernseher (31b) Personalcomputer (31c) HiFi-Anlage (31d) Mobiltelephon (31e) Möbel (31f) Sonstige (31g) Geschätzter Gesamtwert der gepfändeten Aktiva (31h) 32) Früher abgegebene Insolvenzerklärungen Anzahl 33) Früher ausgestellte Konkursverlustscheine Anzahl (33a) Wert (33b) Anhang 295 34) Früher vorgenommene Betreibungen und ausgestellte Pfändungsverlustscheine Anzahl Betreibungen (34a) Gesamtwert (34b) Anzahl Verlustscheine (34c) Gesamtwert (34d) 35) Wie lange wird es etwa dauern bis Schuldenfreiheit erreicht ist: Jahre Keine Aussage 36) Zinsfrage Angenommen, Sie hätten bei einem Wettbewerb Fr. 10'000 gewonnen. Sie hätten dann die Wahl, das Geld sofort zu beziehen oder in einer Bank für ein Jahr verzinsen zu lassen. Welchen Zinssatz müsste Ihnen die Bank zahlen, damit Sie bereit wären, das Geld bei der Bank zu lassen oder möchten Sie es sofort beziehen? % Ich möchte das Geld lieber sofort 37) Bemerkungen und Kritik des Befragten 38) Eindruck von der Wohnung bzw. Zimmer: Überdurchschnittlich gut eingerichtet (1) Durchschnittliche Einrichtung (2) Spärliche Einrichtung (3) Verwahrlost (4) 39) Sonstige Eindrücke und Besonderheiten 296 Anhang zu Teil I 1.2 Fragebogen für die Aktenanalyse 1) Datum 2) Amt Kanton (2a) Stadt (2b) Amt (2c) 3) „Kunden“nummer (NICHT ERHOBEN) 4) Geschlecht Weiblich Männlich 5) Geburtsjahr 6) Nationalität Schweiz Deutschland Frankreich Italien ehem. Jugoslawien Türkei übriges Europa ausserhalb Europas (1) (2) (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) Anhang 7) 297 Der oder die Gläubiger kommen aus den folgenden Branchen: Bei mehreren Gläubigern bitte die drei mit den höchsten Forderungen angeben. Bankgewerbe Versicherungsgewerbe Versandhäuser und Handel Vermieter Sozialversicherungen/Krankenkassen Alimentenempfänger Medizinische Versorgung Telecom Steuerbehörde Gerichtskosten und Bussen Sonstige öffentl. Stellen Treuhandbüro Sonstige (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9) (10) (11) (12) (13) 298 8) Anhang zu Teil I Erledigte Betreibungen seit dem 01.01.1994 Betrag Anzahl Verlustscheine insgesamt (X) (8a) (8b) Abbestellte Forderungen insgesamt (A) (8c) (8d) Konkurse insgesamt (K) (8e) (8f) Zwangsverwertung gedeckt insgesamt (DB) (8g) (8h) Zwangsverwertung mit Verlust insgesamt (DV) (8i) (8j) Unzustellbar/Fortgezogen insgesamt (U/F) (8k) (8l) Erloschen insgesamt (E) (8m) (8n) Bezahlt (Z) (8o) (8p) Forderungen insgesamt (8q) (8r) Anhang 9) 299 Laufende Betreibungen Betrag Anzahl Lohnpfändungen insgesamt (L) (9a) (9b) Vermögenspfändungen insgesamt(V) (9c) (9d) Vermögens- und Lohnpfändungen insgesamt (VuL) (9e) (9f) Zahlungsbefehle insgesamt (9g) (9h) Fortsetzungsbegehren insgesamt(FB) (9i) (9j) Rechtsvorschläge insgesamt(RV) (9k) (9l) Nichtzugestellten Zahlungsbefehle insgesamt (ZB) (9m) (9n) Laufenden Betreibungen insgesamt (9o) (9p) 300 Anhang zu Teil I 10) Belassene Aktiva gemäss den Richtlinien zur Berechnung des betreibungsrechtlichen Notbedarfs (Existenzminimum) Franken Monatlicher Grundbetrag (10a) Wohnungskosten (10b) Sozialbeiträge (soweit nicht bereits vom Lohn abgezogen) (10c) Besondere Berufskosten (10d) Unterstützungs- und Unterhaltsbeiträge (10e) Auslagen für die Schulung der Kinder (10f) Abzahlung oder Miete von Kompetenzstücken (10g) Weitere notwendige Auslagen (10h) Strom/Energie (10i) Summe (10j) 11) Anzahl Personen im Haushalt (WG = 99) 12) Lohnhöhe (bei unbestimmtem Lohn freilassen) Anhang 301 2 Anhang zu Teil III 2.1 Das Simulationsprogramm GAMS Die vorgestellten Simulationen wurden mit der Simulationssoftware GAMS (General Algebraic Modelling System) durchgeführt. GAMS stellt für die Lösung unterschiedlichster Probleme verschiedene sog. Solver zur Verfügung. Das vorliegende Optimierungsproblem stellt aufgrund der Restriktionen ein nichtlineares Problem dar. Die zur Lösung nichtlinearer Programmierung zu verwendenden Solver sind MINOS, CONOPT und CONOPT2. Alle drei Solver basieren auf unterschiedlichen mathematischen Algorithmen und es können somit auch unterschiedliche Lösungen resultieren. Da die einzelnen Gleichgewichte relativ nahe beieinander liegen und die Programme iterativ vorgehen, sind solche unterschiedlichen Ergebnisse möglich. Bei den durchgeführten Simulationen wurde durchgehend CONOPT2 benutzt. Bei der Verwendung von MINOS ergaben sich bei einigen Simulationen Fehlermeldungen, ferner ist CONOPT2 auch dazu geeignet mit nicht-differenzierbaren Funktionen zu arbeiten. Bei dem Versuch auch die Sozialhilfe zu simulieren waren solche Funktionen notwendig. 2.2 GAMS-Algorithmus für das Lohnpfändungsmodell Im folgenden wird der verwendete GAMS-Algorithmus dargestellt. Das vorliegende Modell simuliert die Entscheidung eines Individuums unter der Annahme eines fixen Existenzminimums und einer vorzeitigen Entschuldung nach 10 Perioden. Es wird das Beispiel der Cobb-Douglasfunktion wiedergegeben. $Title Schuldnermodell $Offupper $Ontext Schuldnermodell mit fixem Existenzminimum und vorzeitiger Entschuldung in der 10. PeriodeCobb-Douglas-Nutzenfunktion $Offtext 302 Anhang zu Teil III *Zeitindex fuer das Vermoegen und fuer die Optimierung Sets tl Vermoegenshorizont /0*20/ t(tl) Optimierungshorizont /1*20/ tt(t) Endperiode /20/ *Exogene Variablen Scalars b Zeitpraeferenzrate /0.03 / r Zinssatz für Schuldner /0.0 / q Glaeubigerzins /0.05 / w Lohnsatz pro Zeiteinheit /2.14 / v0 Startwert Vermoegen /-0.21 / alpha Funktionsparameter /0.5 / mc Freibetrag /1 / preis Preisvektor /1 / f Pfaendungssatz /1 /; Parameters beta(t) Diskontfaktor; *Berechnung des Diskontfaktors beta(t) = (1+b)**(1-ord(t)); Display beta; *Endogene Variablen Variables i(t) Entschuldung g(t) Dummy j(t) Verluste m(t) Minimum e(t) Einnahmen s(t) Ersparnis v(tl) Vermoegen c(t) Konsum l(t) Freizeit Anhang 303 z(tl) Hilfsvariable verlust arbeit utility; positive variable c,l; *Definition der Gleichungen Equations ii(t) Entschuldung jj(t) Verlustgleichung mm(t) Minimumsgleichung mk(t) Konsumrestriktion ml(t) Mindestarbeit ss(t) Sparfunktion vv(tl) Vermoegensgleichung aa(t) Endbedingung ll(t) Freizeitbeschraenkung zz(tl) Hilfsgleichung ff(t) Pfaendungsbedingung verl Glaeubigerkosten arb Durchschnittliches Arbeitsangebot util Konsumfunktion: objective function; ii(t).. i(t) =e= - v(t-1); jj(t).. j(t) =e= v(t)*q; mm(t).. m(t) =e= mc + (1 - f)*{w*[1 - l(t)] - mc}; mk(t).. c(t) =g= 0.001; ff(t).. (c(t)-m(t))*v(t) =g= 0; ml(t).. w*(1-l(t)) =g= m(t); ss(t).. s(t) =e= w * (1 - l(t)) - c(t)*preis; 304 Anhang zu Teil III zz(tl).. z(tl) =e= v(tl-1); vv(t).. v(t) =e= z(t)*(1+r) + s(t) + i(t)*g(t); aa(tt).. v(tt) =l= 0; ll(t).. l(t) =l= 1; verl.. verlust =e= sum{t, j(t)}; arb.. arbeit =e= (sum{t, 1-l(t)})/20; util.. utility =e= sum{t, beta(t)*[p2*log[c(t)] + (1-p2)*log[l(t)]]}; Model Schuldner1 /all/; *Beschraenkungen der Variablen c.lo(t) = 0.001; l.lo(t) = 0.001; v.fx("0") = v0; *Entschuldungsdummy g = 1 wenn Entschuldung stattfindet g.fx("1") = 0; g.fx("2") = 0; g.fx("3") = 0; g.fx("4") = 0; g.fx("5") = 0; g.fx("6") = 0; g.fx("7") = 0; g.fx("8") = 0; g.fx("9") = 0; g.fx("10") = 1; g.fx("11") = 0; g.fx("12") = 0; g.fx("13") = 0; g.fx("14") = 0; g.fx("15") = 0; Anhang g.fx("16") = 0; g.fx("17") = 0; g.fx("18") = 0; g.fx("19") = 0; g.fx("20") = 0; *Ausfuehrungsoptionen option nlp=conopt2; Solve Schuldnermodell maximizing utility using nlp; 305 Lebenslauf Christoph Zaborowski, geboren 1968, besuchte die Schulen in Deutschland und schloss sein Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität Konstanz 1994 mit dem Diplom ab. Von 1994 bis 1998 war er am Institut für Empirische Wirtschaftsforschung und später am Sozialökonomischen Seminar der Universität Zürich am Lehrstuhl von Prof. Dr. Peter Zweifel als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig. Seit 1996 hat er sich schwerpunktmässig im Rahmen eines vom Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung unterstützten Law and Economics Projektes mit der Überschuldung privater Haushalte beschäftigt.