Hernia diaphragmatica oder einseitiger

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DEI3TSOHE MEDIZINISCHE WOCRENSORRIFT.
17. April 1913.
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Die Bewegung des
unteren Lungcnrandes (Littensches Phänomen) war weder auf der rechten
keit sämtlicher Rippen in der linken Axillarlinie.
hauses in Braunschweig.
(Oberarzt: Prof. Bingel.)
Hernia diaphragmatica oder einseitiger
Zwerchfeilhochstand?
Von Dr. heuss, ehem. Assistenzarzt, jetzt Sekuiidrarzt
am Sfadtkrankenhaus Chemnitz.
Hildebrand und Hess (1) konnten im Jahre 1905 durch
eingehende röntgenologische, manometrische und sonstige
Untersuchungen den von Hirsch (2) im Jahre 1900 als Hernia
diaphragmatica veröffentlichten Fall als einseitigen Zwerchfellhochstand, sogenannte Eventratio diaphragmatica, erkennen.
Die Autopsie des Falles, die im Jahre 1912 von Prof.
Egg e I ing (3) in Jena ausgeführt worden ist,. hat die Richtigkeit
der Diagnose bestätigt. Es handelte sich in der Tat um jene
außerordentlich seltene Anomalie des einseitigen Zwerchfeilhochstandes. Nach der Hildebrand- Hessschen Arbeit schien
es gelungen, die beiden Krankheitsbilder scharf voneinander
abzugrenzen, und die natürliche Folge war, daß bald in der
Literatur die intra vitam diagnostizierten FiLle von einseitigem
Zwerchfelihochstand, deren Autopsie aber noch aussteht,
sich häuften. Wenn man bedenkt, daß auf dem Sektionstisch
die Hernia diaphragniatica nicht allzu selten (etwa 550 Fälle
bisher) vorkommt, während der einseitige Zwerchfeilhochstand
ein ganz ungewöhnlich seltenes Ereignis (etwa 15 Fälle bisher)
der Stimmfremitus abgeschwächt. - Ab und zu hörte man über der
linken unteren Lungenpartie Plätschergeräusche, besonders wenn man
den Patienten schüttelte, und beim Trinken regelmäßig gurgelnde Geräusche. Die Perkussion in verschiedenen Stellungen und Lagen bei
loerem und vollem Magen ergab keine wesentlichen Unterschiede.
Der übrige somatisehe Befund ergab durchaus normale Verhältnisse.
Der Urin war dauernd frei von Blut, Eiweiß und Zucker.
Die Röntgendurchleuchtung ergab folgenden Befund: Das
Herz war deutlich nach rechts verlagert. Dabei scheint aber auch eine
Achsendrehung stattgefunden zu haben, denn der an und für sich nicht
verbreiterte Aortenbogen springt sehr stark nach links aus dem Mittelschatten vor. Die rechte Zwerchfellkuppe steht in Höhe der sechsten
Rippe und zeigt normale Bewegungsverhältnisse. Die linke Brusthälftè
ist in Höhe der dritten Rippe durch eine nach oben konvexe, etwa 1/z cam
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ist, so muß man schon aus diesem Grunde daran zweifeln,
daß die klinischen Diagnosen des einseitigen Zwerchfellhochstandes alle richtig sind.
Wie wir später noch dartun werden, ist aber auch in der
Wertung der differentialdiagnostischen Momente nach der einen
oder anderen Richtung äußerste Vorsicht am Platze, sodaß
wir häufig besser tun, uns mit einer Wahrscheinlichkeitsdiagnose
zu begnügen.
Bei der relativen Seltenheit der Fälle und der Schwierigkeit
der Differentialdiagnose erscheint es gerechtfertigt, einen Fall
von , ,einseitigem Zwerchfeilhochstand" zu veröffentlichen,
der auch als ,,Gutachtenfall" ein gewisses Interesse beansprucht.
O. F., 4G Jahre alter Arbeiter, erlitt nia O. März1912 dadurch einen
Unfall, daß er beini Ausladen von Naphthalin ausglitt und etwa 1 1/2 m
hoch herunterfiel. Er schlug dab j mit der linken Körperseite auf einen
doppelarmdicken Pfosten auf. Trotzdem er sofort heftige Schmerzen
verspürte, arbeitete er weiter, al]erdings an diesem Tag nur noch mit
leichter Arbeit beschäftigt. Der am anderen Tag zugezogene Arzt diagnostizierte eine Rippenquetsehung. Auf eine Medizin hin sei, nach Angaben des Patienten, reichlich Stuhlgang erfolgt und blutig gefärbter
Urin abgegangen. Die Blutbeimischung im Urin sei aber bald völlig
verschwunden. Verschiedene Versuche in der Folgezeit, die Arbeit wieder
aufzunehmen, mißglückten wegen heftiger Schmerzen in der linken
Oberbauchgegend am Rippenbogen.
Wegen Herzbeschwerden wurde
er Anfang Mai 1912 der Medizinischen Abteilung des Herzoglichen
Krankenhauses zu Braunschweig überwiesen.
Seine Klagen waren: Er verspüre manchmal Herzklopfen und
Atemnot und bemerke Blaufärbung der Lippen bei angestrengter Arbeit,
dagegen habe er keine Beschwerden von seiten des Magens. Vor dem
Unfall sei er stets gesund und zu jeder schweren Arbeit fähig gewesen.
Vor zwei Jahren habe er wegen rheumatischer Beschwerden einige Wochen
im Krankenhause gelegen. Nach Ausweis der Krankengeschichte wurde
damals ein pathologischer Befund nicht erhoben.
Befund: 160 cm großer, kräftig gebauter Mann in mittlerem
Ernährungszustande. Muskulatur mittelkräftig, Fcttpolster mäßig entwickelt. Gewicht; 56,8 kg. Temperatur (im Mittel): 36,6°. Keine Drüsenschwellungen, geringe Zyanose der Lippen, geringe Dyspnoe beim Gehen.
Maximale Enge und Lichtstarre der Pupillen, sonst kein pathologischer
Befund an den Augen. Auch sonst ergibt die Untersuchung des Nervensystems (Sinnesorgane, Reflexe, Sensibilität etc.) nichts Pathologisches.
Wa.R. negativ.
Brustkorb symmetrisch, die linke Hälfte bleibt bei der Atmung
nur kaum merklich zurück. Ein Befund an den angeblich gequetschten
Rippen ist nicht vorhanden, nur besteht eine mäßige Druckempfindlich-
breite Linie in zwei Abschnitte geteilt. Während man darilber normale
Lungenzeichnung nachweisen kann, befindet sich darunter ein großer,
mit Luft gefüllter Hohlraum, der als Magen anzusprechen war. Daneben.
ebenfalls unter der nach oben konvexen Linie wird der laterale Teil durch
zarte Streifen in einzelne kleine, wie große Luftblasen erscheinende
Felder geteilt. Nach unten verlieren sich diese Gebilde ohne Uebergang
und Grenze in die nicht näher zu differenzierenden SChatten der Bauchhöhle.
Bei der Atniung findet eine der rechten Zwerchfellkuppe synchron
und gleichsinnig gerichtete Atemnbewegung der besprochenen Grenzlinie
statt, wodurch die darunter liegenden Gebilde nach abwärts treten,
um bei der Exspiration wieder an die alte Stelle zu rücken.
Bei der Reizung des Phrenicus am Hals sieht man sowohl auf der
rechten wie auf der linken Seite eine blitzartige Zuckung der jeweiligen
Zwerchfellhälfte, bzw der beschriebenen Linie; doch ist der Ausschlag
links erheblich schwächer als rechts.
Die Röntgenbilder lassen deutlich erkennen, daß der Hohlraum der
Magen, die kleineren, luftgefüllten Gebilde Darmschlingen, und zwar
speziell die Flexura coli sinistra, sind.
Bläht man den Magen mit Luft auf, so füllt er die ganze linke
untere Thoraxpartie aus, während die Darmschiingen völlig zurücktreten;
nach Entleerung des Magens steigen sie wieder hoch. Es erscheint dkn
der Magen als ein sichelförmiges Gebilde. Die Einnähme von Baryumsulfatbrei vervollständigte den Beweis, daß der fragliche Hohlraum nur
der Magen sein konnte.
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Aus der Medizinischen Abteilung des Herzoglichen Kranken-
noch auf der linken Seite zu sehen.
Herz; Dämpfung nach rechts zwei Querfinger nebemi dem rechten
Sternairand, links zwei Querfinger innerhalb der Mamillarlinie, keine
Dämpfung über der aufsteigenden Aurta. Die Ecrztöne sind rein, die
Herzaktion unregelmäßig und ungleichmäßig, häufige Extrasystolen.
Puls klein, unregelmäßig, ungleichmäßig. Puiszahl SO. Blutdruck
130 mm. Hg nach Riva-Rocci. Arterienwand weich.
Lungen; Grenze rechts vcrn unten sechste Rippe, rechts hinten
unten zehnter Brustwirbeldorn, darüber voller Perkussionsschall, reines
Vesikuläratnien. Links hinten bekommt in der Höhe des vierten Brustwirbels, seitlich in Höhe der vierten Rippe der sonore Lungenschall
einen tympanitischen Beikiang. Während man links über den oberen
Lungenpartien normales Vcsikuläratmen hört, ist es unten ebenso wie
DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOOHENSOERIFT.
Die Magensonde, bei deren Einführung man an der Cardia auf
einen deutlichen, aber bald iiberwindbaren Widerstand stieß, machte
an der Cardia, deren Lage der normalen entspricht, einen ziemlich scharfen
Knick nach oben. War es so nicht gerade schwer, die einzelnen Organe
in ihrer Lage zueinander festzustellen, so ist es mir dagegen nicht gelungen,
etwa noch unterhalb des Magens einen queren Schatten aufzufinden,
der als Zwerchfell, durch das der Magen durchgetreten sein könnte,
anzusprechen wäre.
Während der rierwöchigen Beobachtungszeit gingen die Erscheinungen von seiten des Herzens, die wir als Reaktion auf seine Lageveränderung anzusehen hatten, allmählich zurück, sodaß bei seiner
Entlassung die Herztätigkeit auch während leichter Arbeiten durchaus geregelt war. Blut im Urin oder Symptome von seiten des Magendarmtraktus wurden nicht beobachtet.
Der Kranke war uns von der Berufsgenossenschaft zur
Begutachtung geschickt, vor allem zur Entscheidung der Frage,
ob seine Beschwerden begründet sind und ob eine ursächliche
Beziehung zu dem erlittenen Unfall bestehe. Wir glaubten
beide Fragen bejahen zu müssen, wobei uns die Differentialdiagnose zwischen Hernie oder einseitigem Zwerchfeithochstand
praktisch zunächst als nicht wesent1icherschien.
Die Beschwerden kamen uns nach dem objektiven Befund
durchaus glaubhaft vor, und einen ursächlichen Zusammenhang
mit dem Unfall glaubten wir aus folgenden Gründen bejahen
zu müssen:
Der Kranke hat vor deni Unfall notorisch schwere
und schwerste körperliche Arbeit geleistet ; dazu wäre er wohl
kaum imstande gewesen, wenn er Träger der Anomalie in ihrer
jetzigen Ausdehnung schon vor dem Unfall gewesen wäre.
Der Unfall war ziemlich schwer und hat eine starke
Kompression der Bauchhöhle bedingt.
Daß der Druck auf die Baucheingeweide heftig gewesen sein muß, beweist die - allerdings nur von dem Patienten beobachtete - blutige Verfärbung des Urins.
Das Auftreten von eigentümlichen Aktionsstörungen
des Herzens kann man sich am besten durch eine plötzlich
stattgefundene Lageveränderung des Organs erklären. Ihr allmähliches Verschwinden erklärt sich leicht durch allmähliche
Anpassung an die vèränderte Lage.
Daß eine Hérnia diaphragmatica durch einen Unfall wie
der vorliegende entstehen kann, Ist ohne weiteres einleuchtend.
Aber man kann sich auch vorstellen, daß auch ein einseitiger
Zwerchfeilhochstand auf dieselbe Weise zustande kommen
könnte, vorausgesetzt, daß die betreffende Zwerchfellhälfte
durch eine angeborene oder erworbene Erkrankung ihrer Mus-
kulatur weniger widerstandsfähig ist, sodaß infolge starken
Druckes auf die Bauchhöhle eine .lJeberdehnung stattfinden
konnte.
Wir halten also einen ursächlichen Zusammenhang
zwischen Trauma und der bestehenden Anomalie
für gegeben und haben die durch sie bedingte Erwerbs-
beschränkung auf 50 % geschätzt.
Wir kommen nunmehr zur Besprechung der Differentialdiagnose: Hernia diapliragmatica oder einseitiger Zwerchfellhochstand und führen zunächst einige Momente an, die für
Zwerchfelihochstand sprechen.
Auf dem Schirm und bei der Durchleuchtung sehen wir
die Bauchhöhle von der Brusthöble durch einen etwa % cm
breiten Bogen getrennt. Es ist unwahrscheinlich, daß die
Magenwand allein einen so breiten Schatten abgibt. Magenwand und Zwerchfell dagegen wären dazu viel eher imstande. Daß der breite Bogen sich etwa aus zwei schmalen,
parallel laufenden zusammensetzte, war nicht sicher zu erkennen, ist aber bei dem einseitigen Zwerchfellhochstand nicht
immer zu verlangen, wenn man sich erinnert, daß anatomisch
in solchen Fällen das Zwerchfell häufig nur aus einem ganz
dünnen, bindegewebigen Sack besteht. Auch auf einem Bilde,
auf dem außer dem Magen noch Darmteile in der Brusthöhle
liegen, ist dieselbe breite, bogenförmige Linie zu sehen.
Wenn wir annehmen wollten, sie sei von der Magenwand
gebildet, so müßten wir voraussetzen, daß die Darmschlingen
vor oder hinter dem Magen, aber nicht seitlich neben ihm liegen;
das wäre gezwungen.
Bei der Einatmung rückte die bogenförmige Linie nach abwärts, um hei der Ausatmung wieder nach aufwärts zu steigen;
Nr. 16
sie bewegte sich aiso durchaus im Sinne einer Zwerchfellbewegung, weiln auch die Exkursionen nur gering waren. Sie
war aber nie paradox", also inspiratorisch nach aufwärts und
exspiratorisch nach abwärts, wie das Herz (4) als differentialdiagriostisch für Hernia diaphragmatica sprechend, angesehen hat.
Die elektrische Reizung des N. phrenicus löste eine blitzartige Bewegung der Linie nach abwärts aus, die allerdings
nicht so markant war wie bei der Reizung des rechtseitigen
Phrenicus.
Während die genannten Symptome für einen einseitigen
Zwerchfelthochstand sprechen, . fehlen Zeichen, die man bei
einer Hernia diaphragmatica erwarten müßte.
Wir vermissen eine quere Linie, die durch dcii oberen Teil
der Magenkuppel zieht und die man als Zwerchfell, durch das
durch einen Spalt der Magen durchgetreten sein könnte, ansprechen könnte. Wir finden ferner den durch Bauchhöhleninhalt ausgefüllten Teil der Brusthöhle immer gleich groß,
unabhängig von dem Füllungszustand der Baucheingeweide
und unabhängig davon, ob Magen allein oder Magen und Darmteile in der Höhlung lagern. Bei einer Hernia könnten die Baucheingeweide einmal hoch, das andere Mal weniger hoch in die
Brusthöhle steigen.
Es sprechen somit die vorhandenen undYdie fehlenden
Symptome für das Bestehen eines einseitigen Zwerchfe]lhochstandes und gegen die Annahme eines Zwerchfellbruches.
Nur ein Umstand spricht für Zwerchfelibruch, das ist die
traurnatische Entstehung, die König er (5) als differential-
diagnostisohes Kriterium so hoch einschätzt, daß er geneigt
ist, fast alle Fälle traumatischer Genese als Zwerchfellbrüche
aufzufassen. Ich glaube aber nicht, daß die Tatsache der traumatischen Entstehung des Leidens, die uns in unserem Falle,
wie oben ausgeführt, sicherzustehen scheint, allein imstande
sein kann, die Beweise, die wir für das Vorhandensein eines
einseitigen Zwerchfellhochstandes zu haben glauben, zu cntkräften
Wir diagnostizieren also im vorliegenden Falle einen ,,einseitigen Zwerchfellhochstand", der, vielleicht in geringem Maße
schon früher latent bestehend, durch einen Zufall so verschlimmert worden Ist, daß er krankhafte Erscheinungen
machte.
Literatur: 1. Hildebrandt und Hess, Münchener medizinische Wochen-
schrIft 1905, Nr. 16. - 2. Hirsch, ebenda 1900, Nr. 29. - 3. Egg eling, ebenda 1912,
Nr. 42. - 4. Herz, ebenda 1905, S. 1925. - 6. Königer, ebenda 1909, Nr. 9.
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