Weisung 4.4 Strafbefehl

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Oberstaatsanwaltschaft
Weisung Nr. 4.4
Strafbefehl
(Art. 9, 324 f., 352 ff. StPO)
1. Grundsatz
Sind die Voraussetzungen für den Erlass eines Strafbefehls gegeben, hat
zwingend ein Strafbefehl zu ergehen. Weder der STA noch einer Partei steht
ein Wahlrecht zwischen Strafbefehl und Anklage zu.
2. Strafbefehlsverfahren ohne Einvernahme und / oder ohne Geständnis
2.1.
Regel
Eine Einvernahme der beschuldigten Person ist vor Erlass des
Strafbefehls nicht zwingend notwendig. Er kann auch erlassen werden,
wenn sich aus den Akten ergibt, dass die beschuldigte Person die
Straftat begangen hat. Das Geständnis ist für den Erlass keine
unabdingbare Voraussetzung. Ob der Sachverhalt erstellt ist, ist nach
objektiven Kriterien, wie Radarfotos, Blutalkoholanalyse, Urkunden etc.
zu beurteilen. Ein allfälliges Geständnis ist auf dessen Glaubhaftigkeit
zu prüfen (Art. 160 StPO).
Auf die Einvernahme durch die STA darf verzichtet werden, wenn die
beschuldigte Person nach protokollarischer oder mündlicher Befragung
durch die Polizei, was im Rapport festzuhalten ist, den gesamten vom
gesetzlichen Tatbestand umfassten Sachverhalt anerkannt hat oder
aber die Aussagen der beschuldigten Person zusammen mit den
übrigen Akten die Tatschuld ohne vernünftige Zweifel begründen. Bei
begründeten Zweifeln sind entsprechende Beweismassnahmen zu
treffen.
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2.2.
Ausnahme
Vor Erlass eines Strafbefehls ist die beschuldigte Person vom StA
einzuvernehmen, wenn
- eine Strafe von > 90 Tagessätzen Geldstrafe, > 360 Stunden
gemeinnützige Arbeit oder eine Freiheitsstrafe als angemessen
erscheint;
- sich der Widerruf eines bedingt gewährten Strafvollzugs einer
Freiheitsstrafe abzeichnet;
- oder die Einvernahmepflicht anderweitig vorgeschrieben ist.
3. Inhalt des Strafbefehls
3.1.
Übertretungen
Der Strafbefehl in Übertretungsstrafsachen führt insbesondere die
folgenden Elemente auf:
3.1.1.
Verletzte Strafbestimmung:
-
Gesetzesartikel
Kurzbezeichnung des gesetzlichen Tatbestandes
Beispiel:
des Diebstahls eines geringfügigen Vermögenswertes im
Sinne von Art. 139 Ziff. 1 i.V.m. Art. 172ter StGB);
3.1.2.
Kurzer Beschrieb des inkriminierten Sachverhaltes:
-
Ort, Datum und Zeit
Geschädigter/Opfer
vorwerfbares Verhalten
Beispiele:
- Tätlichkeiten: Einwirkungsart (Fusstritt, Schlag etc.)
- Diebstahl u.dgl./Sachbeschädigung:
Gegenstand/Vermögenswert und Deliktsbetrag
- sexuelle Belästigung: Art der sexuellen Handlung
- Ungehorsam gegen amtliche Verfügung: Behörde und
verlangtes Verhalten
- Geschwindigkeitsüberschreitung: Bezifferung der Differenz
- Fiaz: Blutalkoholkonzentration in Promillen
- Übergewicht bei Fahrzeugen: Bezifferung der Differenz
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3.2.
Arbeits- und Ruhezeit für Berufschauffeure: Bezifferung der
Differenz
Betriebssicherheit des Fahrzeuges: Art des Mangels
Betäubungsmittelgesetz: Art und Menge
Waffengesetz: Handlung und Bezeichnung der Waffe
Vergehen und Verbrechen
Der Strafbefehl für Vergehen und Verbrechen führt insbesondere die
folgenden Elemente auf:
3.2.1.
Verletzte Strafbestimmung:
-
Gesetzesartikel
Kurzbezeichnung des gesetzlichen Tatbestandes
Wiedergabe des Gesetzestextes
Beispiel:
der vorsätzlich groben Verkehrsregelverletzung durch
Missachtung der signalisierten Geschwindigkeit im Sinne von
Art. 90 Ziff. 2 SVG i.V.m. Art. 32 Abs. 2 SVG und Art. 4a VRV,
begangen dadurch, dass er
vorsätzlich durch grobe Verletzung der
Geschwindigkeitsvorschriften auf Autobahnen eine ernstliche
Gefahr für die Sicherheit anderer hervorrief oder in Kauf nahm,
3.2.2.
Umschreibung des inkriminierten Sachverhaltes:
Es ist das historische Ereignis, der konkrete Lebensvorgang
detailliert zu umschreiben. Die Darstellung des tatsächlichen
Vorganges ist auf den gesetzlichen Tatbestand auszurichten;
sämtliche objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale
sind zu erwähnen; namentlich:
-
-
Ort, Zeit und Datum
Handlung / Unterlassung
Erfolg oder bei Ausbleiben der Versuch dazu:
Ausmass der Verletzung, Delikts- bzw. Schadensbetrag
etc.
Geschädigter/Opfer
Schuldform: Vorsatz/Fahrlässigkeit
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3.2.3.
Weitere zwingende Bestandteile:
Der Strafbefehl enthält keine Begründung; insbesondere ist auf
Ausführungen zur Strafzumessung zu verzichten.
Begründungspflichtig sind ausschliesslich:
-
3.2.4.
der Widerruf einer bedingt ausgesprochenen Strafe (Art. 46
StGB) oder einer bedingten Entlassung (Art. 62a StGB);
die Anordnung von Bewährungshilfe (Art. 93 StGB; Art. 95
Abs. 2 StGB);
die Anordnung von Weisungen (Art. 94 StGB; Art. 95 Abs. 2
StGB).
Behandlung von Zivilforderungen:
Von der beschuldigten Person anerkannte Zivilforderungen
sind im Strafbefehl als solche zu vermerken. Nicht anerkannte
Zivilforderungen sind auf den Zivilweg zu verweisen.
3.2.5.
Anrechnung von Haft:
Vorläufige Festnahme, Untersuchungshaft,
Beobachtungsaufenthalt, Auslieferungshaft und
Ausschaffungshaft sind im Dispositiv aufzuführen und an die
Strafe anzurechnen, soweit diese mehr als 4 Stunden gedauert
hat. Die erstandene Haft ist auf die Hauptstrafe anzurechnen,
unabhängig davon, ob diese bedingt oder unbedingt ausfällt.
Somit wird die Untersuchungshaft in erster Linie auf die
Freiheitsstrafe, hernach auf die Geldstrafe oder gemeinnützige
Arbeit und erst zuletzt auf die Busse angerechnet (BGE 135 IV
126, 133 IV 150).
4. Belehrung über den bedingten Strafvollzug (Art. 44 Abs. 3, 46 Abs. 1 StGB)
Erlässt der StA einen Strafbefehl mit bedingtem Strafvollzug, hat er der
beschuldigten Person das Wesen des bedingten bzw. teilbedingten Strafe zu
erläutern und sie besonders auf die Gründe aufmerksam zu machen, die zur
Vollstreckung der Strafe führen können. Die Belehrung ist im Protokoll zu
vermerken.
Wird der Strafbefehl ohne vorgängige Einvernahme mit Belehrung erlassen,
hat diese schriftlich zu erfolgen.
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5. Mitteilung
Die Zustellung hat an die beschuldigte Person, weitere Betroffene und die
OSTA zu erfolgen (Art. 354 StPO). Zusätzlich ist der Strafbefehl dem
Privatkläger zuzustellen. Er ist darauf aufmerksam zu machen, dass ihm sofern er nicht direkt persönlich betroffen ist - grundsätzlich kein
Einspracherecht zusteht (6B 79_2012; 6B 310_2012).
Es ist - soweit möglich - sicherzustellen, dass der Strafbefehl betreffend
Vergehen/Verbrechen der beschuldigten Person zur Kenntnis gebracht wird
und diese ihn auch verstanden hat, um allfälligen Problemen bei einem
Widerrufverfahren vorzubeugen. Bei einer fremdsprachigen beschuldigten
Person ist es ratsam, ihr den Strafbefehl im Rahmen einer Einvernahme unter
Beizug eines Dolmetschers verständlich zu machen.
Einer in Haft befindlichen beschuldigten Person ohne festen Wohnsitz in der
Schweiz ist vor Haftentlassung der Strafbefehl vom StA mündlich zu eröffnen
und gegen Empfangsbescheinigung auszuhändigen. Sind die
Deutschkenntnisse ungenügend, ist ein Dolmetscher beizuziehen, was in der
Empfangsbescheinigung zu vermerken ist.
6. rektifizierter Strafbefehl1
Wird nach Einspracheerhebung festgestellt, dass der Sachverhalt im
Strafbefehl ungenügend umschrieben wurde, ist ein neuer rektifizierter
Strafbefehl, der den Anforderungen an eine Anklageschrift erfüllt, zu erlassen.
7. Rückzug einer Einsprache
Wird eine Einsprache noch vor der Überweisung der Akten an das
erstinstanzliche Gericht zurückgezogen, ist die entsprechende Erklärung zu
den Akten zu nehmen oder zu protokollieren. Bleibt der Einsprecher trotz
Vorladung einer Einvernahme unentschuldigt fern, so gilt die Einsprache als
zurückgezogen (Art. 355 Abs. 2 StPO).
Inkraftsetzung: 1. Januar 2011
revidiert: 1. Januar 2013
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revidiert: Oktober 2014
lic. iur. Benno Annen, Oberstaatsanwalt
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