On Felix Klein`s Geometric Model of Electromagnetism

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arXiv:physics/0604195v1 [physics.gen-ph] 24 Apr 2006
Zum kleinschen Modell des Elektromagnetismus
S. L. Vesely1 , A. A. Vesely
2. Februar 2008
1
I.T.B., C.N.R., via Fratelli Cervi 93, I-20090 Segrate(MI)
Italy
email: [email protected], [email protected]
Keywords: electromagnetic theory, projective geometries
PACS: 02.40.Dr, 03.50.De, 92.40.Cy
Zusammenfassung
Weil das kleinsche Modell des Elektromagnetismus den meisten kein
Begriff sein dürfte, sagen wir sofort aus welchem Anlass wir gerade diesen
Titel gewählt haben. Seit J. Maxwells Zeit hat eine ziemliche Schwierigkeit
bei dem von ihm aufgestellten Gleichungssystem in der Deutung dessen
Lösungen bestanden.
Sie wurden hauptsächlich auf das mechanische Denkmodell gestützt.
1905 hat dann der junge A. Einstein gegen das damalige Establishment die
Meinung vertreten, dass rein formale Gesichtspunkte ausgedient hätten.
Er hat bahnbrecherisch statuiert, dass die Elektrodynamik lauter physikalische
Aussagen über Vermessungen betrifft. Kein Wunder dass er, als er 1917
mit vier freundlichen, und interessanten, und inzwischen wohl verschollenen
Brieflein von F. Klein konfrontiert wurde, es ablehnte die darin erwähnten
Arbeiten mathematischen Inhalts zur Kenntnis zu nehmen, oder gar Hand
an deren physikalischen Interpretation zu legen. Damals war Klein ein
furchterregender Kontrahent.
Er war sich dessen auch bewusst. Heute dürften dagegen all die mit
der Relativitätstheorie verbundenen Prioritätsfragen genug abgeflaut sein,
um gleichfalls einen Blick auf seinen Ansatz zu erlauben. Denn er war
bestimmt ein Vertreter des deutschen Establishments, aber er war zugleich
selber ein origineller Denker. Wir heben hier einige Punkte hervor, die mit
Bezug auf Relativität und Elektromagnetismus heute noch von einigem
Interesse sein könnten.
1
Übersicht
Im ersten Kapitel wird die Anlehnung der Dynamik an die analytische Geometrie
an den Beispielen der elastischen Anziehung und der Gravitation klar gemacht.
Im Anschluss daran wird der mechanische Zeitbegriff diskutiert. Die t-parametrisierte
Bahn wird als stationäre Bewegung gedeutet, und es wird dargetan, dass sich
der Ansatz zur räumlichen Bewegung ausgedehnter Körper aus geometrischen
Gründen nicht eindeutig parametrisieren lässt.
Die Deutung der Ausbreitung auf wahrscheinlichkeitstheoretischer Grundlage
scheint keinen Ersatz für die geometrische Auffassung zu bieten, weil sie sich auf
1
2
EINLEITUNG
2
völlig andere Merkmale stützt. Im zweiten Kapitel wird das Problem angesprochen,
ob überhaupt Felder und Bewegungen zusammenhängend behandelt werden
sollen. Die Schwierigkeit besteht darin, Massenpunkte im Feld aufzulösen. Es
wird nahegelegt, dass elektromagnetische Felder zu ihrer physikalischen Kennzeichnung
allerdings keinerlei Vorstellung von Flugbahnen bedürfen, so dass t-parametrisierte
Ausdrücke vermutlich nur zur Lösung der Gleichungen herangezogen worden
sind. Werden ferner freie elektromagnetische Felder als Signale aufgefasst, was
sich angesichts der Relativitätstheorie Einsteins empfiehlt, dann können stationäre
Wellenfronten phasendifferenztreu in der gaußschen Zahlenebene bzw. auf der
riemannschen Kugel abgebildet werden.
Dabei gestaltet sich die geometrische Modellierung, trotzdem sie ihre veranschaulichende
Funktion beibehält, anders als eine räumliche Versinnbildlichung der äußeren
Welt. Im dritten Kapitel greifen wir zwecks der geometrischen Modellierung die
kleinschen Arbeiten über die geometrischen Grundlagen der Lorentzgruppe und
über die mit dem Nullsystem verbundenen Raumverwandtschaften wieder auf.
Sie enthalten Beiträge aus verschiedenen Gebieten der mathematischen Physik,
und handeln laut dem Erlanger Programm von zwei verschiedenen Transformationsgruppen.
Als 1910 Klein, gelegentlich seiner Beschäftigung mit der speziellen Relativitätstheorie,
die elektromagnetischen Gleichungen im Vakuum an die letztgenannte Gruppe
anlehnte, zog er nur deshalb den lorentzschen Hyperkegel zusätzlich heran, weil
er der Außenwelt eine pseudoeuklidische raumzeitliche Struktur verleihen zu
sollen meinte.
Wenn man aus seiner geometrischen Schilderung der speziellen Relativitätstheorie
die Maßbestimmung wieder abstreift, bleibt also ein selbstständiges geometrisches
Modell des Elektromagnetismus übrig. Weil die geometrische Modellierung relational
aufgefasst werden kann, wirft das nicht nur die Frage nach dem eventuellen
Träger der raumzeitlichen Struktur der Außenwelt, sondern auch diejenige nach
der Interpretation der maxwellschen Gleichungen von neuem auf.
2
Einleitung
Um 1900 ist die weitläufige Frage gestellt worden, ob denn unsere Welt anhand
der elektromagnetischen als der vereinheitlichenden Naturgesetze gefasst werden
könne. Doch suchte man zu jener Zeit zunächst einmal nach einer rationalen
Erklärung für eine Menge rätselhaft anmutender Erscheinungen. Man hoffte
sich ein besseres Verständnis der elektrisch ausgelösten Phänomene dadurch zu
verschaffen, dass man deren Verknüpfung mit der mechanischen Lehre klarstellte.
Gesetzt man könnte die mechanischen Gesetze mit dem Wahrheitswert ,,wahr“
kennzeichnen, trotzdem würde die mechanische Begründung aller Befunde höchstens
einen logischen Zusammenhang aufdecken, und sie vermöchte keinen Einblick in
die zugrundeliegenden Prozesse zu geben. Da sich zudem die gewohnte bildliche
Darstellung nicht zwanglos auf die Elektrodynamik übertragen ließ, diente jene
Formalisierung keineswegs der Anschaulichkeit. Deshalb trat damals neben den
Bedarf an einheitlichem Verständnis noch die Frage nach Rolle und Grundlage
der graphisch-anschaulichen Schilderung hinzu. Aus jener Auffassung heraus hat
sich 1905 Albert Einstein der elektromagnetischen Raum-Zeitmessung bahnbrecherisch
zugewandt und in ihrer Namen sämtliche bisher gewohnte Raumvorstellungen
gestürzt.
Heute, wo man zur Versinnbildlichung der Daten ohnehin zunehmend rein
2
EINLEITUNG
3
elektrische und optische Mittel einsetzt, und man sich kurzum der baren elektrischen
Antwort materieller Sachverhalte annimmt, verlagert sich das um 1900 gestellte
Deutungsproblem um einen Deut von dem Verständnis der elektrischen Erregung
als solcher auf die Interpretation von elektrischen Messergebnissen. Es entspricht
aber die spezielle Relativitätstheorie dieser Wendung auch nicht ganz, denn
das empfangene Signal veranschaulicht raumzeitliche Abmessungen zumindest
nicht unmittelbar. Auch gelten Raum und Zeit nicht von Haus aus als typisch
elektrische Größen. Ihre Maßeinheiten werden heute zwar elektrisch festgelegt.
Aber bis keine fundamentalen Uhren und Maßstäbe in die Relativitätstheorie
aufgenommen werden können, bleibt Kants Deutung der raumzeitlichen Ereignisse,
wie Einstein wusste, trotzdem eine nicht zu verwerfende Alternative. Endlich
scheinen die weiterführenden Theorien gegenüber dem seit 1900 erreichten enormen
Fortschritt in der Nachrichtentechnik nur einen wahrscheinlichkeitstheoretischen
Zugang zur Interpretation des empfangenes Signals hervorgebracht zu haben.
Das kleinsche Modell des Elektromagnetismus bietet insofern eine mögliche
Antwort auf dieses Problem, als es ein Bindeglied zwischen Erscheinungen und
deren Formalisierung darlegt. Historisch hat es F. Klein dazu getrieben, sich
zur Geometrisierung der Physik zu äußern, um die Zeit als H. Minkowski seine
vierdimensionale Geometrie der Welt aufstellte, und D. Hilbert mit Einstein um
eine einheitliche physikalische Theorie der mechanischen und elektromagnetischen
Erscheinungen zu wetteifern begann. Zu dieser Zeit machte Klein keinen Hehl1
daraus, dass er die Aufmerksamkeit der Physiker auf seine über lange Jahre
hinweg geleistete Arbeit über nichteuklidische Geometrien zu lenken hoffte und
womöglich damit eine physikalische Theorie zu verbinden wünschte. Er hat
entsprechend im Artikel: “Über die geometrischen Grundlagen der Lorentzgruppe,,
das bestehende Problem der grundlegendsten physikalischen Gesetze etwa folgendermaßen
eingegrenzt. Man habe anfangs geglaubt, dass es einen absoluten mit Äther
gefüllten Raum gäbe, weil die elektromagnetischen Gesetze auf eine charakteristische
Weise von den Koordinatentransformationen abhängen. Laut seinem Erlanger
Programm hätte man demnach, wenn man gleich die Zeit als Raumveränderliche
dazunimmt, die galileische Gruppe der mechanischen Bewegungen als G10 , diejenige
des Elektromagnetismus aber als G7 bezeichnen sollen. Die Angehörigkeit zur
Lorentzgruppe verleiht dem Elektromagnetismus unter Zugrundelegung einer
nichteuklidischen Maßbestimmung dann wieder die volle Bewegungsfreiheit. Diese
Aussage knüpft die Lorentz-Quadrik an eine vierdimensionale Raumstruktur.
Andererseits knüpfen die geometrischen Betrachtungen über das elektromagnetische
Gleichungssystem bei Klein direkt an die maxwellschen Entwicklungen, und
sind noch vor 1905 angestellt worden. Indem er nun die Lorentzinvarianz als
projektive Maßbestimmung einordnet, und zugleich den maxwellschen Gleichungen
in der hertzschen analytischen Bezeichnung[1], unabhängig von jeder Metrik
auch ein lineares geometrisches Gebilde zuschreibt, kommt er zum Ergebnis, dass
die zwei Transformationsgruppen nicht übereinstimmen. Das veranlasst ihn 1921
zur testamentarischen Frage nach der Interpretation des Elektromagnetismus.
Wir denken, dass man beim Vorhaben, den Sinn graphisch-anschaulicher
Darstellungen zu diskutieren, man gleichfalls klarstellen sollte, ob die Versinnbildlichung
vorzüglich der Beschreibung oder der Modellierung des gemeinten Umstandes
1 Es lohnt sich zu betonen, dass Klein von Anfang an an die restlose Durchführbarkeit des
hilbertsschen Programms nicht glaubte. Vorzüglich aus diesem Grund hätte er es sehr begrüßt,
wenn seine eigenen Entwicklungen auf irgendein Gebiet der Naturwissenschaften Anwendung
gefunden hätten.
2
EINLEITUNG
4
dienen soll.
Was die reine Beschreibung betrifft, gibt die restlose Identifizierung einer
Beobachtung mit der Gestalt des zu beschreibenden Objekts im Nachhinein
keinen Aufschluss mehr über sein Verhalten unter bestimmten Versuchsbedingungen
an die Hand. Man möge deshalb viererlei bedenken.
Zum Ersten. Gesetzt es gäbe eine wirklichere Beschaffenheit als diejenige, die
man durch Sinneswahrnehmung erfährt, beinhalten physikalische Gesetze, sofern
sie sich nach den Befunden richten, schwerlich mehr Wahrheit als Beobachtungen.
Zum Zweiten. Obwohl die Physiker davon ausgehen, dass es eine äußere Welt
gibt, mag das Vorhaben ihre wirkliche Beschaffenheit mit lauter optischen Mitteln
zu erschließen etwas naiv sein.
Zum Dritten hat auch die umgekehrte Ansicht, dass uns beim Auseinandernehmen
eines Mechanismus unmissverständlich seine Funktionen, einschließlich der elektrischen
und optischen Eigenschaften, bekannt werden, etwas verhängnisvolles mit sich.
Viertens können wir voraussetzen, dass ein Informationsgehalt bereits in
den optischen bzw. elektrischen Messungen enthalten sei. Aber die Vorstellung,
wonach jedem Signal eindeutig ein Musterbaustein zukommt, mag sich einem
einheitlichen Naturverständnis sowohl fordernd wie hinderlich zeigen.
Was die Modellierung der Erscheinungen betrifft, wird sie vorzüglich argumentierend
oder vergleichend gebaut.
Im ersten Fall ist das Verlangen, dass die nachträgliche Interpretation einer
mathematischen Formulierung kein allzu befremdendes Bild der Naturereignisse
liefern soll freilich eine Geschmacksfrage. Wichtiger erscheint uns, dass zwei
verschiedene Theorien nicht unbedingt dasselbe leisten, und auch nicht ineinander
aufgehen. Weiter kann eine mathematische Struktur rein logisch-formalen Prinzipien
gehorchen oder, in Anlehnung an F. Klein, zusätzlich an die Plastik appellieren.
Darüber hinaus gibt es üblichere Weisen bestimmte mathematische Aufgaben zu
lösen, an die manchmal neue Erkenntnisse mit Vorteil geknüpft werden können.
Im zweiten Fall zweifeln wir nicht daran, dass sich jedes mal wegweisende
Ähnlichkeiten mit den herkömmlichen Vorstellungen der Physiklehre herausarbeiten
lassen. Es gibt aber sehr viele Kriterien, wonach sich Gegenstände vergleichen
lassen. Eine Analogie könnte, nachdem sie einmal in Erwägung gezogen wurde,
sich auf die Grundlage purer Beobachtung immer wieder aufdrängen, oder sich
erst bei der Beschreibung bieten. Bestimmte modellierende Verhältnisse könnten
die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, oder man könnte die Möglichkeit dazu erst
nach der mathematischen Einkleidung erkennen. Es ist nicht so, dass man sich
unbedingt an ein bestimmtes Kriterium zu halten habe, aber es ist manchmal
von Interesse die Richtlinien deutlich herauszukehren.
Das kleinsche Modell scheint uns interessant, weil F. Klein den Unterschied
zwischen Geometrie, graphischer Beschreibung und versinnlichtem geometrischem
Modell zuletzt scharf erkannt hat. Auch müssen wir hervorheben, dass sich der
Geometer die Frage, woran es bei der physikalischen Deutung einer Geometrie
ankommt, nicht weniger als Einstein überlegt hat. Im Wesentlichen haben beide
angenommen, dass physikalische Aussagen experimentell auf ihren Wahrheitsgehalt
getestet zu werden brauchen. Dazu war aber der Physiker offensichtlich immer
bestrebt den physikalischen Teil seiner Theorie damit zu begründen, dass es
nur eine einzige von der Physiklehre zu fassende Wirklichkeit geben kann. Er
hat sich bemüht zu zeigen, wie sich in erster Annäherung seine allgemeine
Relativitätstheorie auf das newtonsche als ein anerkanntes und gut geprüftes
Beobachtungsgesetz zurückführen lässt. Daher tut es leid, dass sich Newton
3
DREHUNGEN LÄNGS GEOMETRISCHER ÖRTER
5
selber, als er die Gravitationssätze erforschte, mit der transzendentalen Raumanschauung
nicht hat vertraut machen können. Trotzdem wir nämlich auch von der Einheit
der Welt fest überzeugt sind, sehen wir nicht ein, wie wir sie eindeutig und
womöglich anschaulich auf mathematische Lehrsätze reduzieren könnten.
3
3.1
Drehungen längs geometrischer Örter
Lineare physikalische Theorien
Wie weit stellen Theorien die experimentell vorherrschenden Verhältnisse sinnvoll
dar?
Diese Frage vom Grund auf zu beantworten suchen hieße zu vermuten, dass sich
hinter den Erscheinungen eine dem menschlichen Verstand fassbare Logik berge,
die es zu erraten gilt. Weil uns nur unsere Vernunft zwecks der Deutung von
Experimenten zur Verfügung steht, dürfte das Beklopfen der Natur nach ihrer
Funktionsweise außerhalb des von uns erkennbaren Bereiches zu liegen kommen.
Die alten Griechen haben aber eine etwas anders formulierte Frage positiv
beantwortet. Nämlich die, ob man den Naturereignissen auch etwa vernünftig
begegnen könne2 . Im Folgenden versuchen wir, uns rein pragmatisch an diese
Art des Naturverständnisses zu halten.
Die zu linearen Theorien führenden Erklärungen sind in den oben erwähnten
Sinn allgemeiner und am leichtesten durchschaubar zugleich.
3.2
Gesetzliche Bahnen und deren analytische Darstellung
In der klassischen Mechanik nimmt man bekanntlich an, dass die Bewegungsgesetze
der Körper weder vom Aufenthaltsort des Beobachters – z.B. Kos bzw. Luleå -,
noch von dessen konstanten Geschwindigkeit abhängen. Das läuft auf Homogenität
und Isotropie unserer Welt hinaus. Die letzte als Trägheitsprinzip bekannte
Aussage wird am Vergleich der vom Gestade aus beobachteten Vorfälle mit
den sich auf einem einen Fluss hinabgleitenden Schiff abspielenden Ereignissen
illustriert. Obwohl sich an Bord und am Boden (neulich kommt die Eisenbahn als
Betriebsmittel auch in Betracht), keine übereinstimmende Ortung angeben lässt,
nimmt man an, die Lage eines Gegenstandes relativ zum Beschauer, innerhalb
einer gewissen Klasse von Bezugssystemen, immer berechnen zu können. Die
Verknüpfung der Flugbahn zum Gesetz wird sogar ganz wichtig, wenn man den
Meter und die Sekunde als fundamentale Maßeinheiten wählt.
Auch in Betreff der Kraftvorstellung tritt bei Newton eine Neuerung auf. In
der Impetustheorie verband man mit der Kraft die Erfahrung eines tastsinnlichen,
muskelbewegungsempfindlichen Reizes und den entsprechenden Eindruck einer
strikt lokalen, über Berührung vermittelten Wirkung. Newton hat zur Herleitung
der Beobachtungssätze Keplers die Kraft zur rein logischen Notwendigkeit erhoben3 .
Dabei hat er die auf geometrischen Betrachtungen fußenden Gesetze noch in
Worte gekleidet. Weil aber inzwischen alle Geometrie auf die analytische Geometrie
zurückgeführt worden ist, dient heute der mathematische Ausdruck F (r, t) = mb
2 Das Argument von der vernünftigen Begegnung der Fakten hat etwas für sich. Wenn wir
von umstrittenen sowie völlig subjektiven Erfahrungen wie etwa Poltergeistern und Telepathie,
oder Visionen und Träumen absehen, können wir annehmen, dass unser Verständnis der
Erscheinungen zwar nicht die Naturereignisse selber, wohl aber unsere Lage beeinflussen kann.
3 Newton hat das Wesen der Gravitationskraft am Magnet triftig gezeigt.
3
DREHUNGEN LÄNGS GEOMETRISCHER ÖRTER
6
unmittelbar als allgemeine Kraftdefinition. Wenn b die zweite Ableitung b =
d2 r /dt2 eines mit dem Zeitparameter t veränderlichen Standorts r bedeutet,
erhält man für endliche b-Werte den sich unter den gegebenen Bedingungen
einstellenden Zeitablauf einer Körpermarkierung r = r (t) mittels Integration.
Hier misst r nichtqdie von der Anfangsstelle P◦ an zurückgelegte Strecke als
R P′
2
Bogenlänge 4 P ◦ ( dr
dt ) dt auf der Bahnkurve, sondern es stellt ein unbestimmtes
Zeitintegral dar. Wird dieses jedoch mit einer zurückgelegten Strecke s verknüpft,
dann wird das
die Ein-Körper
R wProblem
Ru
Rw
R u Bewegung zu bestimmen linearisiert. Es
ist also s = 0 0 dudv = 0 du 0 dv = 21 w2 laut Descartes ein zur zweiten
Potenz erhobener Ausdruck für das Maß einer Strecke. Das war nicht immer so.
In der klassischen Antike hat man Strecken und Flächen auseinandergehalten
und nicht zahlenmäßig verstanden.
Die Griechen spalteten anscheinend von der Geometrielehre überhaupt alles
ab, was sich nicht in ihre eigene analytische Methode fügte, und gingen geometrische
Aufgaben mit Zirkel und Lineal nur an, um anhand der Konstruktionen zu
beweisen, dass es die entsprechenden Figuren gibt.
Zur Bewältigung der mit Zirkel und Lineal nicht zu lösenden, und also
philosophisch nicht zu begründenden Probleme haben freilich die meisten unter
ihnen besondere Kurven gezeichnet. Schon der Kreis darf in dieser Hinsicht als
besondere Kurve gelten. Zur praktischen Durchführung einer weiteren Klasse
von Rechnungen wurden Kegelschnitte verwertet. Schließlich gab es noch die
Klasse der “linearen Probleme“, zu deren Bearbeitung man komplizierterer
Kurven – z.B. der Quadratrix – bedurfte. Weil die Altgriechen die zur Schätzung
von Flächen und Volumen benötigten Kurven meist nur mit Hilfe mechanischer
Vorrichtungen zeichnen konnten, und dabei vermutlich nicht über mit Fehlern
behaftete Zahlenwerte kamen, nannten sie die entsprechenden Probleme abschätzend
auch ,,mechanisch“. Das waren sie auch 5 .
Die Integralrechnung diente in erster Linie der Bewältigung dieser mechanischen
Probleme, weil sie sie endlich in mathematische Obhut führte. Man gibt in
der klassischen Mechanik an verwickelte in einfachere Bewegungen irgendwie
zerlegen zu können – das lehnt an die descartesschen Entwicklungen -, so dass
sich Kräfte F spalten lassen. Kann man umgekehrt bei Zugrundelegung eines
kartesischen Koordinatensystems mit Einheitsvektorenı̂ und ̂ F in jedem Augenblick
t0 laut F ≡ FD (r, t0 ) ≡ FDx ı̂+FDy ̂ zerlegen, so sollen auch ihre orthogonalen
Komponenten unmittelbar und unabhängig voneinander den Bewegungszustand
in der jeweiligen Richtung bestimmen. Somit nimmt das Grundgesetz die Form
ordentlicher Differentialgleichungen mit einem einzigen gemeinsamen Parameter
t an. Die Ortkurve für eine Masse m kann in der kartesischen (x, y)-Ebene,
sobald die Hilfsvariable t aus dem Zeitablauf eliminiert wird veranschaulicht
werden. Das bedeutet, dass bei festgehaltenem Anfangspunkt der Vektor r = r(t)
analytisch eine Funktion der Koordinaten des Endpunktes beschreibt, die geometrisch
4 Die
heute für die Bogenlänge
einer nach dem
Parameter u zweimal ableitbaren Kurve f
R qP
R q
df 2
df
aκλ fκ′ fλ′ du bzw.
E( du
) + 2F ( du
) + Gdu setzen bereits die
üblichen Ausdrücke
Abwickelbarkeit der Fläche mit den Koordinaten u = Konst., v = f (u) = Konst. auf der Ebene
voraus. Die geodätischen Linien auf der u,v-Fläche ergeben sich aus dem obigen Ausdruck
durch einen Variationsansatz.
5 Die mechanische Art Bögen zu strecken hat später wieder Beachtung erlangt. Besonders
zur Beförderung zu Lande kommen mechanische Getriebe, die der Umsetzung von
Kreisbewegungen in lineare Bewegungen und umgekehrt dienen, häufig vor. Es auch
nichtsdestoweniger mathematisch interessante Gelenke, wie der Inversor von Peaucellier.
3
DREHUNGEN LÄNGS GEOMETRISCHER ÖRTER
7
als Ortkurve gedeutet werden darf.
Elastische Anziehung. - Nehmen wir das Paradebeispiel einer andauernd
von einem federnden Instrument veranlassten hookeschen elastischen Anziehung
auf einen Punkt der Masse m. Das Grundgesetz führt für den relevanten Ortpunkt
(x, y) zu parametrischen Gleichungen md2 x/dt2 = −mk 2 x und md2 y/dt2 =
−mj 2 y, mit den einfach periodischen Integralen x = a sin 2π/T (t−t0 ) = a sin k(t−
t0 ) = a[sin kt cos kt0 − cos kt sin kt0 ], y = b sin 2π/T ′ (t − t′0 ) = b sin j(t − t′0 ) =
b[sin jt cos jt′0 −cos jt sin jt′0 ], wobei T = 2π/k und T ′ = 2π/j als pure Tautologien
hinzunehmen sind.
Bisher waren es lauter mathematische Spekulationen. Tatsächlich lassen sich
aber leicht elektrische, und mit geringfügiger Mühe auch mechanische Geräte
bauen, an die man nahezu periodische, auf die hookeschen Gesetze zurückführbare
Bewegungen feststellen kann. Man kann geradezu bewirken, dass bei der Bewegung
eine Spur, die sogenannte Lissajous-Figur, hinterlassen wird. Gar manche Bahnen
sind auch anhand eines Spirographs, eines Kinderspielzeugs, nachzuahmen. Wir
hypotisieren, dass hier unweigerlich das hookesche Gesetz zur Geltung kommt,
und fragen nach der analytischen Kurve.
Wir überschauen die Methode die Ortkurve analytisch festzulegen am besten,
wenn wir weitere Spezialisierungen einführen. Setzen wir synchrone Bewegung
längs der zwei orthogonalen ı̂ und ̂ Richtungen voraus, ergo j = k, so folgt
mit a = b = R: R2 sin k(t′0 − t0 ) sin kt = R[x sin kt′0 − y sin kt0 ], R2 sin k(t′0 −
t0 ) cos kt = R[x cos kt′0 − y cos kt0 ], woraus man die Zeitverläufe R sin kt =
Ax − By und R cos kt = Cx − Dy als lineare Funktionen von x, y bestimmt6 und
die Ortkurven R2 = (Ax−By)2 +(Cx−Dy)2 = (A2 +C 2 )x2 −2(AB +CD)xy +
(B 2 + D2 )y 2 erhält. Diese geometrischen Örter sind konzentrische Ellipsen mit
gegen ı̂ um 45◦ verdrehter Hauptachse. Ihre Exzentrizität hängt von (t′0 − t0 )
ab, weshalb die spezielle Wahl kt′0 = 0, kt0 = −π/2 zu dem mit gleichmäßiger
Geschwindigkeit vom Betrag |v| = Rk umgelaufenen Kreis R2 = x2 + y 2 führt.
Die mathematisch zum kreisförmigen Locus führende Methode kann umgekehrt
werden. Stellt also ein Kreis oder irgendeine andere endlich lange Kurve eine
mögliche Bahn analytisch dar, dann kann sie in t-abhängige Bewegungszustände
übersetzt werden.
Weil die Masse m dabei aus der Vektor-Differentialgleichung ausfällt, überholt
die Integration die Exhaustionsmethode kinematisch 7 . Bezeichne nämlich 21 rϕ,
mit ϕ im Bogenmaß, den Flächeninhalt eines halben Kreissektors, 12 rvt = 21 r2 (dϕ/dt) =
1 2
2 r ω aber den infinitesimalen Flächeninhalt (die Flächengeschwindigkeit). Wenn
die Tangentialgeschwindigkeit vt anstelle von ϕ tritt, wird der Ausdruck 21 (dϕ/dt)r2
6A
= sin kt′0 /[sin k(t′0 − t0 )] u.s.w.
Bewegungsvorstellung liegt bereits der Konstruktion der Quadratrix zugrunde.
Man stellte sie sich als geometrischer Ort der Schnittpunkte eines mit konstanter
Winkelgeschwindigkeit im Uhrzeigersinn drehenden Strahls mit einer zu sich selbst parallel und
ebenfalls mit konstanter Geschwindigkeit fallenden Linie vor. Weil diese Kurve im Altertum
obendrein zum Quadrieren von Kreisen, d.h. zur Bestimmung der Seite eines mit einem Kreis
inhaltsgleichen Vierecks, diente lohnt es sich zu erwähnen, dass sich damit in erster Linie
Bögen u rektifizieren ließen. Dazu wurde die Quadratrix innerhalb eines Quadrats der Seite ℓ
eingezeichnet. Dann teilte man die Basisseite OL = ℓ in genauso viele kongruente Streifen ein,
wie der Winkel in O gleiche Zonen von 0◦ bis 90◦ hatte. Schließlich ordnete man dem n-ten
Winkel den n-ten Abschnitt zu. Damit wurden Winkel als Abschnitte auf die Ordinatenachse
lesbar. Wenn A der Durchschnitt des Winkels 0◦ mit dem Basisabschnitt OL bezeichnet, also
OA = a < ℓ, ist es nach Pappus u : ℓ = ℓ : a, womit sich der Bogen als u = ℓ2 /a ergibt.
Wegen u = 41 2πℓ (in moderner Schreibweise), muss man zur Bestimmung des mit dem Kreis
inhaltsgleichen Quadrat das Rechteck ℓ × 2u anschließend ,,quadrieren“.
7 Eine
3
DREHUNGEN LÄNGS GEOMETRISCHER ÖRTER
8
im linearen Maß messbar. Lässt man folglich die zu den Fluxionen führende
mathematische Entwicklung zu, so lässt sich im Prinzip jeder gekrümmte Weg
linear messen. Denkt man darüber nach, dass seit Newton ein Längenmaß die
irrationale Zahl π als Faktor enthalten kann, so hat man den Beitrag Newtons
zur Rektifizierung des Kreisumfangs richtig eingeschätzt. Beiläufig kann der
Kreis derart parametrisiert werden, dass unendlich viele rationale Punkte auf
dem Umfang zu liegen kommen. Die parametrische Darstellung x = R2t/(1+t2),
y = R(1 − t2 )/(1 + t2 ) leistet das, wenn man für t ∈ [0, 1] rationale Zahlen wählt.
Die diophantischen Gleichungen stellen lauter ebene Kurven dar, welche solche
Darstellungen nicht gestatten.
Gravitationskraft. - Nun wollen wir die kühne durch Integration erlangte
Lösung des Quadraturproblems mit der dynamischen Vorstellung der gesetzmäßigen
Drehungen um einen festen anziehenden Punkt vergleichen.
Der Gegenüberstellung schicken wir folgende Bemerkung voraus. Wäre man mit
den einem Massenpunkt zugeschriebenen Bewegungszuständen genauso kühn
verfahren, dann hätte es geheißen das Trägheitsgesetz mit dem Grundsatz der
Gravitation zu vereinigen und, sofern sich die Gleichungen integrieren ließen,
die Integrale als Geodäten zu vermerken. Das wurde später Einsteins Ansatz.
Newton wollte jedoch die Meinung durchsetzen, dass sich natürlich ergebende
Flugbahnen gesetzlich fassen ließen, und hat entsprechend einen rational erklärbaren
Unterschied zwischen Kurventypen aufgestellt. Diese Festlegung der krummen
Bahnen als kraftbedingte Drehungen scheint quasi auftischen zu wollen, dass es
für einen Körper eine in jedem Zeitabschnitt eindeutig bestimmte Bahnkurve
gibt, die als Funktion eines in alle Ewigkeit andauernden Zeitflusses t analytisch
bestimmt werden kann.
Der Zeitablauf x = at + b auf unbeschränkter gerader Bahn hebt sich durch
die besondere Hypothese md2 x/dt2 ≡ 0, ∀t vor allen anderen Bewegungen hervor.
Newton hat bekanntlich die drei von Kepler auf experimenteller Grundlage
aufgestellten Gesetze seinem Kraftgesetz nach interpretiert. Der Bewegungsablauf
gehorcht dann folgendem, den eben besprochenen beobachtbaren Lissajous Schwingungen
ähnlich aussehendem Gravitationsgesetz md2 r/dt2 = −mk 2 r. Mit r = xı̂+y̂
2
2
2
dem Fahrstrahl Brennpunkt – Ortlinie
p schreibt man d x/dt = −k x und
2
2
2
2
2
2
3
d y/dt = −k y, wobei k = GM/ [x + y ] , M die Sonnenmasse und G
die Gravitationskonstante bedeuten. Experimentell umläuft nun die Erde auf
einer nach Keplers 1. Gesetz elliptischen Kurve die Sonne einmal jährlich, was
ja einer früher festgelegten Zeitmessung entspricht. Und es ist, wenn a die große
Halbachse der Ellipse, und T
√ die Periode eines vollen Umlaufs bezeichnen, laut
dem 3. keplerschen Gesetz v a3 ÷T 8 . Zum Schluss gilt, laut 2. Gesetz, für jeden
endlichen vom Perihel an erstreckten Ellipsensektor Σ das Doppeltverhältnis τ :
Σ = T : πab. Die seit Newton mögliche alternative infinitesimale Schreibweise
für dieses Doppeltverhältnis heißt: πab : dϕr2 /2 = T : dt. In dieser Form
bezieht sich, weil die Winkelgeschwindigkeit ω = dϕ/dt nicht konstant bleibt,
sondern von der auf der Kurve mit ϕ zu kennzeichnenden Lage abhängt, die
Umlaufsfrequenz vornehmlich auf einen Berührungskreis vom Halbmesser r,
und der Satz besagt, dass die Bewegung auf dieser Kreisbahn gleichförmig
mit ω = 2π/T erfolgt 9 . Da sich der Bewegungszustand auf den Kreis nicht
8 Daraus hat Newton die besondere im Faktor k enthaltene 1/r 2 Abhängigkeit der
Anziehungskraft abgeleitet.
9 Das übertrifft in gewisser Hinsicht die einfache galileische Aussage, da es in diesem
Fall hinsichtlich des Ausdrucks des Gesetzes sicher ein mit der Sonne ruhendes bevorzugtes
3
DREHUNGEN LÄNGS GEOMETRISCHER ÖRTER
9
ändert, wenn man auf die kreisrunde Scheibe aus einem allmählich schieferen
Blickwinkeln hinschaut, obwohl man den Kreismittelpunkt graduell in einen
Ellipsenbrennpunkt rücken sieht, gilt der für Kreise über das endliche Doppeltverhältnis
ausgedrückte Flächensatz auch für Ellipsen, ohne dass man eigens dazu ein
Differentialgesetz aufzustellen braucht.
Hooke hatte nun, wie vorweggenommen, seinerseits die Möglichkeit in Aussicht
gestellt Ellipsenbahnen aus einem etwas anders aussehenden Gesetz zu erhalten.
Die dort für k = j benutzten Gleichungen d2 x/dt2 = −k 2 x und d2 y/dt2 =
−k 2 y führen zum Ausdruck: x(d2 y/dt2 ) − y(d2 x/dt2 ) = 0, woraus sich der
d
[x(dy/dt) − y(dx/dt)] = 0 schreiben lässt. Mit
Flächensatz in der Form: 12 dt
a = b = R lautet das Differentialgesetz x(dy/dt) − y(dx/dt) = r × dr =
R2 k sin k(t′0 − t0 ), wobei die Differenz (t′0 − t0 ) für die Exzentrizität bestimmend
ist, und die Winkelgeschwindigkeit synchroner harmonischer Schwingungen nach
Definition ω = 2π/T ∝ k = j lautet. Für den Kreis schreibt man (t′0 − t0 ) =
1
2 π. Die Unabhängigkeit des Flächeninhalts einer allgemeinen ebenen Figur
vom Innenpunkt in den man den Polarm eines Polarplanimeters (von Jakob
Amsler [2]) einsetzt, um mit dem Fahrarm um die Kurve umzufahren kann
nachgeprüft werden. Sind aber gesetzliche Bewegungen von Belang, so ergeben
elastische Anziehung und Gravitationskraft trotzdem verschiedene periodische
Bewegungen. Wir möchten hier zeigen, dass sich das keplersche Problem nicht
auf den isotropen Oszillator zurückführen lässt, obwohl beides mal die schwer
integrierbaren Ellipsen als Ortkurven in Betracht kommen. Sollte der Flächensatz
beides mal denselben Sinn haben, dann würden harmonische Rundschwingungen
um den Mittelpunkt einer Ellipse und Sonnenumläufe nach dem 1. keplerschen
Gesetz zu derselben Zeitmessung führen. Leider haben wir uns doch das erste
mal auf den Zentriwinkel ψ, das zweite auf die Anomalie ϕ bezogen. Wollte
man auch die Planetenbahnen auf den Zentriwinkel beziehen, so würde dasselbe
Doppeltverhältnis τ : (∆ + Σ) = T : πab wie
p bei den elliptischen LissajousFiguren gelten. Der Dreieck Σ mit Basis ae = [a2 − b2 ], Höhe b sin ψ und dem
Flächeninhalt ae/2b sin ψ dient dazu, den Ellipsensektor auf den Ellipsenmittelpunkt
zu beziehen. Der Flächeninhalt des entsprechenden Kreissektors vom Radius a
gilt Σ′ = a2 ψ/2. Wegen (∆ + Σ) : Σ′ = b : a, hat man Σ + ae/2b sin ψ =
abψ/2, und somit Σ = ab/2(ψ − e sin ψ). Auf den Mittelpunkt bezogen, hätte
der keplersche Satz vom periodischen Umlauf für jeden Zeitabschnitt τ also
τ = T /(2π)[ψ − e sin ψ] geheißen, was sogleich nach Ansetzen der Bewegung eine
zeitmodulierte Winkelabhängigkeit für das Gravitationsgesetz liefert. Zur Zeit
von Hooke und Newton stand die Frage nach der natürlicheren Gesetzmäßigkeit
zur Diskussion. Weil wir immerhin nur geometrische Betrachtungen zu beobachtbaren
Bewegungen angestellt haben, kann die Modulation unmöglich auf einen Messfehler
zurückgeführt werden. Es folgt, dass entweder die Planetenbahnen oder die
Lissajous-Ellipsen nicht mit konstanter Flächengeschwindigkeit umgelaufen werden,
und dass dasselbe geometrische Ort (nach Wahl einer Uhr 10 ) mit zwei verschiedenen
Bezugssystem gibt. Diesen von der relativen Raumlage abhängigen Ausdruck erhält man für
den Flächensatz in Polarkoordinaten. Es ist allerdings möglich die Punktlage als z = reiθ
niederzuschreiben. Auf jeden Fall lautet, mit ω = dφ/dt, die radiale Beschleunigung br =
d2 r/dr 2 −rω 2 , und die tangentiale Beschleunigung bt = rdω/dt+2(dr/dt)ω = (1/r)d(r 2 ω)/dt.
Ist bt = 0, dann r 2 ω = r 2 dφ/dt = konst.
10 Als Uhr meint man eine Pendeluhr. Oberhalb der Erde wirkt auf sie laut Newton eine
1/r 2 proportionale Kraft. Huygens hat bewiesen, dass erst das Zykloidenpendel eine von der
Schwingungsamplitude unabhängige Zeit misst. Ptolemaios hatte aber die Zykloide auf die
Beschreibung der Planetenbewegung angewendet.
3
DREHUNGEN LÄNGS GEOMETRISCHER ÖRTER
10
Kraftgesetzen verbunden werden kann.
3.3
Gesetze zur Drehung der Körper
Die Bewegungen der Himmelskörper sind reversibel und können rechnerisch
bis in vorhistorische Zeitalter zurückverfolgt und mit historischen Angaben
kontrolliert werden. Es trifft sich jedoch, dass die linearen Gleichungen der
Mechanik nicht genügen, um die Endlage von Körperbewegungen unter irdischen
Einflüssen zu berechnen. Es fragt sich dann, ob nicht unsere kausale Vorstellungen
der Gravitation hierzu einer feineren analytischen Anpassung bedarf.
Jedermann weiß, dass ein ehrlicher Spielwürfel, welcher von derselben Anfangsstellung
gezogen wird, praktisch auf jede seiner Flächen enden kann, ohne dass es möglich
wäre, daraus seine Anfangslage eindeutig wieder zu erschließen. Das beruht einer
geläufigen Erklärung nach auf den Umstand, dass obschon sich Anfangs- und
Endstellung jedes Mal experimentell genau beschreiben lassen, das angegebene
Kraftgesetz für sämtliche Punkte in etwa dieselbe gerade oder parabolische Bahn
vorschreibt. Die gravitative Kraft vorbesteht sozusagen, und wirkt augenblicklich
nur aufgrund ihrer Höhe über dem Boden, wogegen sich während des Flugs
weitere Wirkungen entwickeln können. Für den jetzt zur Diskussion gestellten
Fall scheint das Problem darin zu liegen, dass der Spieler dem Würfel ballistisch
auch ein von der Schwungmasse abhängiges Drehmoment erteilt. Der Impetus
kann aber hart wie eine kleine Störung behandelt werden. Der Würfel rotiert
nämlich unbekümmert des stracks ausfallenden Handkontakts augenscheinlich
weiter, so dass der Effekt einer infinitesimal kurzen Störung mit der Zeit anwächst,
bis er beträchtlich wird. Es steht uns frei eine von der Fallbewegung unabhängige
Ursache für die Kreiselbewegung auszumachen. Man könnte beispielsweise behaupten,
dass man nun keine genaue geometrische Flugbahn markierter Punkte angeben
kann, weil elastische Verzerrungen eine wesentliche Rolle auf die Bahnen der
einzelnen Massenpunkte spielen11 . Zieht man aber die Kohäsion heran, so lässt
sich dem Würfel als Ganzes, bis er sich wie ein starrer System von Massenpunkten
verhält, trotzdem kein Drall aus linearen dynamischen Gesetzen zuschreiben.
Nimmt man statt dessen, von vornherein einen Erhaltungssatz an, so lässt sich
freilich das Torkeln nach dem Loslassen qualitativ damit erklären. Das bedeutet
immerhin, dass beim Loslassen des Würfels gleich eine Kreiselbewegung stationär,
also gesetzmäßig, verläuft. Soweit, so gut. Der Knobel kommt tatsächlich jedes
Mal auf einer unberechenbaren Position zu liegen, wenn markierte Punkte auf
ihm eben keine im Voraus abschätzbare Flugbahn zurücklegen. Wozu das Erhaltungsgesetz?
Es ist in dieser Hinsicht genauso stichhaltig zu sagen, dass die Würfelbewegung
infolge des Schusses erst gar keinen stationären Zustand erreicht, und dass
deshalb keine Bahn im Voraus festgelegt werden kann. Wenn man gedenkt,
dass sowohl das Kraftgesetz wie die Bahnangabe mit demselben Gegenstand
– namentlich dem t-parametrisierten Ausdruck der Bewegung - befasst sind,
und dass der Unterschied nur in der Beurteilung seiner Zwangsläufigkeit liegt,
muss man zugeben, dass die Mechanik nicht immer mit der t-Parametrisierung
endlicher Kurvenstrecken auskommt. Durch die Unmöglichkeit eine feste Bahn
mit t zu parametrisieren wird allerdings die Reversibilität der Bewegung im
Sinn ihrer Umkehrung auf demselben Gleis verhindert, ohne die Eindeutigkeit
11 Es bleibe dahingestellt, ob die Vorstellung von Unterschieden zwischen schwerer und träger
Masse in dieses Bild passt.
3
DREHUNGEN LÄNGS GEOMETRISCHER ÖRTER
11
einer bereits durchgelaufenen Flugbahn anzutasten. Newton hat anscheinend
zwischen t-parametrisierbaren und nicht parametrisierbaren Kurven unterschieden,
und hat seine Dynamik auf die Ersteren gegründet. Diese Unterscheidung lässt
keinen Schluss auf das Bestehen zweierlei Arten von Bewegungen in unserer Welt
zu. Vorausgesetzt dem Chaos sei eine physikalische Bedeutung erteilt, kann man
nicht behaupten, die nicht integrierbaren Bahnen entsprächen chaotischeren
Bewegungen.
Dynamische Kräfte als Vektoren. – Um diesen Übelstand zu beheben,
kann man für eine gegebene Massenverteilung ein einziges Drehmoment aus der
Statik übernehmen. Unter den Bedingungen,
• dass dynamische Kräfte mittels des Dynamometers, also im Zweikörpersystem
Körper + Messgerät, messbar sind - wozu das 3. Kraftgesetz seinen Dienst
erweist -, dass also FD ∼ FS dyn gilt,
• dass man die graphische Statik zur Erklärung einer Körperdrehung heranziehen
kann,
• und dass die Folge der Ruhelagen eine stetige Bewegung bildet,
lässt sich das auf einen Würfel wirkende Kräftesystem in eine am Schwerpunkt
angreifende Resultante und ein Paar bezüglich eines beliebigen weiteren Referenzpunktes
zerlegen. Fasst man innerhalb der Dynamik die Kraft also als Vektor12 der Statik
auf, dann sollte das am torkelnden Würfel angreifende Kräftesystem momentan
durch eine Resultante und ein Paar zu ersetzen sein. Um zur dynamischen
Auffassung zu übergehen, gibt man jeweils die Unterlage an, worauf liegend der
Schwerpunkt zur Ruhe käme. So ist in jedem Augenblick der statische Druck
der Beschleunigung, welche der haltlose Körper erfahren würde, äquivalent. Man
bestimmt ferner das Kräftepaar in jedem Augenblick, indem man äquivalente
Gegenkräfte so ansetzt, dass der bewegte Würfel in die Gleichgewichtslage versetzt
wird. Damit ist das Problem auf die Statik zurückgeführt. Hier ist es geometrisch
für den Raum nicht lösbar. Während es ein Leichtes ist Kräfte graphisch nach
der Parallelogrammregel in der Ebene zu addieren, weil man Polygonkanten aus
einem Zug schließen kann, bestimmt man mit Polyederkanten die Gleichgewichtslage
nicht. Deshalb definieren dynamische Kräfte, sofern sie nicht von Anfang an zum
Zweck der Addition von Vektoren nach einem Dreibein gespaltet worden sind,
der graphischen Statik völlig fremde Größen. Da keine vektorielle Resultante
aus der Statik heraufbeschwört wird, hilft unserer Meinung nach auch keine
Kraftmixtur: Gravitation + Luftreibung + von der Erdkugelumdrehung verursachten
Flieh- und zusammengesetzter Kraft.
Statistische Überlegungen zu den Endlagen. - Da jede wissenschaftliche
Theorie, als Mittel zum Austausch von Erfahrungen, auf Abmachungen seitens
der Beteiligten beruht, kann man wohl die oben angeführte beschreibende Behandlung
durch die nicht auf naturbedingten Zufall, sondern auf logischen Schlüssen fußende
(lineare) Wahrscheinlichkeitstheorie ersetzen13 . Mit diesem Abkommen verfügt
man sicher über ein neues Mittel zur Verständigung. Inwieweit das auch zu
einem bestimmten Ziel über die Mechanik hinaus weiterführt wüssten wir nicht
zu sagen. Indessen erzielt die Statistik keine Linearisierung der beobachteten
12 Bis jetzt haben wir angenommen, dass dynamische Kräfte am mitgeführten Massenpunkt
angreifen. Statische Kräfte sind dagegen linienflüchtige Vektoren, und können deshalb addiert
werden.
13 Wir Menschen sind eigentlich auch Naturerscheinungen, doch wollen wir, weil wir zugleich
Objekt und Subjekt der angestellten Untersuchung wären, hier die Erforschung unserer
geistigen Fähigkeiten unterlassen.
3
DREHUNGEN LÄNGS GEOMETRISCHER ÖRTER
12
Würfe, sondern sie kennzeichnet denselben Gegenstand durch ein anders geartetes
Merkmal, die Augenzahl. Wir versuchen den neuen Aufschluss besser zu schildern.
Was das Informationsgehalt angeht, lehrt uns im Rahmen dieser Darstellung
ein einzelner Zug nichts Neues über die äußeren Umstände die es bedingt haben,
da das Spielresultat nicht vom gesamten Verlauf der Bewegung, sondern nur
von der schließlich nach oben zu gewandten Würfelfläche abhängt, was laut
newtonscher Dynamik mit der Versetzung der beliebig zu wählenden Anfangsbedingungen
in die stationäre Endlage gleichkommt. Die für einen Spielwürfel charakteristische
Endlage wird zum Aufbau der Statistik mit einer von 6 (4, 8, 12 oder 20)
Augenzahlen im Voraus identifiziert. Die Statistik über eine genügende Anzahl
von Zügen lehrt uns über die Bewegung des achteckigen ehrlichen Würfels nichts.
Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass er eine Augenzahl von 1 bis 6 zeigt haben
wir nämlich aus Symmetriegründen durch logisches Schluss14 auf jeweils 1/6
festgelegt. Also gehört einerseits die a priori Wahrscheinlichkeit eine Anzahl
Augen zu ziehen nicht zu den Würfeleigenschaften. Andererseits kann ein Glücksspieler
durch geschicktes Mogeln15 jedes willkürliche Resultat erreichen, was nachträglich
(a posteriori) daran hindert eine statistisch festgestellte mittlere Augenzahl
ausschließlich mit den dem Würfel zugeordneten Eigenschaften zu erklären.
Dessen unbeachtet setzt man meistens beim Ersetzen der Dynamik mit einer
statistischen Theorie voraus, dass das wahrscheinlichkeitstheoretisch als Einzelfall
betrachtete Ereignis sich mit einer aus der Dynamik resultierenden (stationären)
Endlage deckt. Über die wahrscheinlichkeitstheoretische Deutung des einzelnen
Zuges ist viel diskutiert worden. Wie oben verdeutlicht, kann man nämlich einen
(bereits gezogenen) Zug eines bestimmten Würfels beliebig genau beschreiben.
Aber alle möglichen Würfe kann man weder aufzählen, noch prinzipiell im
Voraus bestimmen. Deshalb kann kein Einzelzug als mittlerer Zug in die Wahrscheinlichkeitstheorie
eingehen. Und umgekehrt kommt kein statistisch berechneter Mittelwert als
mögliche Augenzahl bei einem Wurf vor. Man kann höchstens ein Kompromiss
zwischen Beschreibung des einzelnen Falls (logisches es gibt ) und Wiedergabe
des allgemeinen Verhaltens (logisches für alle) suchen. Das gelingt zum Zweck
des Würfelns, wenn man die auf der nach oben zu gewandten Fläche erscheinenden
Punktezahl als Einzellfall zu betrachten vereinbart. Aus dem Merkmal ,,Punktezahl
auf der oberen Fläche“ lässt sich jedoch nicht erschließen, wie sich ein ,,Las
Vegas“ Würfel als Kreisel verhalten mag, weil es beim Drehen gar nicht auf
die von einem Würfel schließlich gezeigten Punktezahl ankommt. Dazu merkt
man, sobald es darum geht aus dem Spielmodell durch logische Schlüsse auf
kinematische Befunde näherungsweise zu schließen, dass der 0.16̄-Würfel weder
experimentell existiert noch logisch verwertbar ist.
Rechnerische Hilfsmittel zur Näherung der Lösungen. - Wie bereits
erwähnt, ist die Beschreibung der Drehungen von ausgedehnten Körpern um
endliche Winkel kaum linear zu bewältigen. Vorausgesetzt dem Einzelfall sei
irgendwie durch Optimierung oder numerische Simulation beizukommen[3], könnte
man auf die Idee kommen, die bei einem Wurf vorherrschenden Verhältnisse
rein numerisch mit beliebiger Genauigkeit zu ermitteln. Heutzutage erlauben
in der Tat die rechnerischen Hilfsmittel numerische Lösungen von komplizierten
Gleichungen umgehend zu bestimmen. Eine mathematische Beziehung zwischen
physikalischen Größen ließe sich aber nur bestätigen, wenn sich das Gerät,
14 Das
Laplacesche Prinzip des unzureichenden Grundes.
dass er sich in eine bestimmte Weise zu ziehen einübt, und sich die dazugehörige
Tabelle merkt.
15 Dadurch,
4
ALGEBRAISCHE VEKTORFELDER UND BAHNEN
13
das wir von der angewendeten Software verschieden annehmen wollen, einem
Algorithmus entsprechend verhielte.
Die reine Übereinstimmung von berechnetem und gemessenem Wert ist kein
Beweis hierfür, sondern sie ist die notwendige Bedingung zur Durchführung
der numerischen Kontrolle. Sie unbedingt voraussetzen zu wollen hieße, dass
Naturgesetze vor ihrer ,,Entdeckung“ schon als mathematische Formeln parat
daliegen. Indessen stößt die Vorstellung, dass z.B. der Teilchenimpuls in Wirklichkeit
einen bestimmten Wert hat, auch gegen ein Prinzip der Quantenmechanik.
Der Frage, ob sich irgendwelche Zahlensysteme auf Erscheinungen zurückführen
lassen, so dass die Naturerscheinungen unmittelbar mit numerischen Gleichungen
zu belegen sind, wollen wir nicht nachgehen. Vorgreifend wollen wir aber schreiben,
dass sobald der Zahlenbereich nicht mit in die Formulierung des Gesetzes eingehen
muss, die Wahl des Zahlenbereichs frei zur Verfügung steht, wenn man zur
mathematischen Modellierung übergeht. Hinsichtlich dieser Wahl kann man es
dann versuchen, lineare physikalische Theorien aufzustellen.
4
Algebraische Vektorfelder und Bahnen
Weil man heute mit nunmehr algebraischen Vektorfeldern vielfach sehr abstrakte
Wirklichkeiten in Verbindung bringt, wollen wir von den moderneren Fragestellungen
absehen, und uns zu den Betrachtungen aus der Zeit wenden, wo man noch die
Wirklichkeit wie sie nun einmal ist physikalisch durchdringen zu können glaubte.
Insbesondere möchten wir zeigen, dass sich die Frage nach der wirklichen Raumstruktur
nicht beantworten lässt. Dazu versuchen wir ein paar ältere Feldbegriffe ganz
knapp zurückzuverfolgen. Während unserer Analyse des Kraftbegriffs, haben
wir beiläufig hinzugefügt, dass graphische Darstellungen unter Umständen von
den geometrischen Ausführungen abweichen können. Dieses Problem taucht
schon bei Euklid auf, weil er graphische Existenzbeweise (logisches ∃) neben
formelleren Begründungen bringt, die Graphik aber, im Gegenteil zur Logik,
keinen Anspruch auf Allgemeinheit (logisches ∀) hat. Infolgedessen stößt man, je
nachdem ob man von der Statik oder von der Dynamik ausgeht, auf verschiedene
Ausführungen.
4.1
Wanderungseigenschaften der Punktmassen in statischen
Kraftfeldern
Die klassische Statiklehre ist nicht nur graphisch begründet, sondern immerhin
älter als die Differentialrechnung selber. Sie liefert nach Varignon eine spezielle
zeichnerische Abbildung der Kraftverhältnisse an gewählten Punkten eines starren
im Gleichgewicht befindlichen Körpers. Darum geht es innerhalb dieser Lehre
nur um die Wahl der Angriffspunkte endlicher Kräfte auf bereits vorliegenden
Körpern, und hauptsächlich noch nicht um die Auskundschaftung einer Anregungsdichte,
vorausgesetzt der Aufpunkt sei mit einer Einheitsmasse belegt. Man sucht innerhalb
dieser Lehre Konzepte für volumenverteilte Massendichten und Vakuumfelder
umsonst.
Die Kräfte werden jeweils als kalibrierte Vektoren auf ein Zeichenblatt eingetragen,
wobei sich des Gleichgewichts halber Wirkung und Gegenwirkung im Angriffspunkt
unabwendbar aufheben sollen.
4
ALGEBRAISCHE VEKTORFELDER UND BAHNEN
14
Zur Erweiterung der Statik auf den Raum. - Zur Schätzung des
mechanischen Vorteils bei der Anwendung einfacher Maschinen, z.B. eines Hebels,
berechnet man das Gleichgewicht der ausgeübten Kraft K1 mit der Last K2
als umgekehrtes Verhältnis zu den Hebelarmen, ℓ2 : ℓ1 . Ein Kräftepaar wird
anschließend als Verhältnis entgegengesetzt gleicher durch denselben Hebelarm ℓ
verbundener Kräfte K1 und K2 = −K1 dargestellt. Es ist dann L1 +L2 = ℓK1 +
ℓK2 = ℓ(K1 + K2 ) = 0. Nennt man alsdann Ki ℓi = Li Moment der Kraft Ki , so
gilt für den Hebel L2 = −L1 . Die Summe Σi Li aller mit den richtigen Vorzeichen
genommenen Momente ist im Gleichgewicht immer gleich Null, wenn man der
Zwangskräfte Rechnung trägt. Im allgemeinen definiert man aber noch in der
Statik das von Null verschiedene Moment der an einem Punkt P angreifenden
äußeren Kräfte Ki bezüglich einem willkürlichen doch festen Punkt O als L =
Σi Li = Σi ℓi Ki = ℓK, wobei K die Summe i eingeprägter Kräfte ist. In dem
eben geschriebenen Ausdruck wird ℓK als Plangröße verstanden, und man zeigt,
dass Plangrößen als orientierte Flächen Kraft mal Hebelarm summierbar sind.
Dasselbe statuiert man für deren Ergänzungen, d.h. die freien (axialen) Vektoren
Mi = ℓi × Ki . Folglich unterscheiden sich Kräfte und Momente auch wenn
beide graphisch als Vektoren dargestellt sind. Sollten Kräfte[4] einerlei sein,
dann hinge das Problem der Polyederkanten innerhalb der graphischen Statik
mit der Summierbarkeit von axialen und polaren Vektoren zusammen. Daran
anknüpfend diskutierte A. Möbius graphische Konstruktionen in Verbindung
mit der Dualität[5]. Es gelang ihm die statische Kraftdarstellung über die Liniengeometrie
auf den Raum zu erweitern, was wir auf später aufschieben. Die Vektoranalyse
nimmt Notiz davon, zumal diese Wendung direkt zum stokesschen Theorem
führt.
Die Entwicklung der Verpflanzung aus der Statik. – Euklid hat
niemals kongruente Bewegungen in die Geometrie eingeführt. In der Statik sind
virtuelle infinitesimale Verschiebungen bloß zur Behandlung der Gleichgewichtslage
von Ketten, d.h. von teilbaren Systemen, eingeführt worden. Der Stetigkeitsbegriff,
wie er zwecks der Infinitesimalrechnung benötigt wird, hat Newton erdacht.
Die Vorstellung laut dem Prinzip der virtuellen Geschwindigkeiten lässt sich
aus dem Begriff von stabiler Gleichgewichtslage herausarbeiten, und dient der
mathematischen Charakterisierung eines Feldes zur linearen Ordnung in der δUmgebung eines Punktes. Virtuelle infinitesimale Verschiebungen aus der Gleichgewichtslage
sind, weil die Reaktionskräfte unbekannt bleiben, zur Kennzeichnung der stabilen
Gleichgewichtszustände eingeführt worden. Gelegentlich bezieht man die newtonsche
zur lebendigen Kraft folgenderweise:
F(ℓ)δℓ = md2 ℓ/dt2 ∂ℓ
∂t δt = Kδt, wobei K die lebendige Kraft, F(ℓ)δℓ die vom
linienflüchtigen Kraftvektors F(ℓ) virtuell zu leistende Arbeit16 , δℓ überdies eine
beliebige von jedem Bahnbegriff gelöste und ausschließlich mit den Bindungen
verträgliche kleine Verrückung meint. Noch Möbius und Plücker waren der
Meinung, dass sich die für die Statik geltende Beziehung zwischen Lage eines
Punktes und daran angreifende Resultierende ohne Weiteres an die sogenannte
materielle Bewegungsvorstellung anschließen ließe. Sie glaubten, dass die Kennzeichnung
eines Punktes P durch seine Lage x(t), y(t), z(t)∀t = t0 eine duale, d.h. zweifache
Deutung in demselben Bezugssystem zuließe: einmal galten die Koordinaten den
auf ihn wirkenden Kraft und Moment, das andere mal dienten dieselben dessen
16 Die Arbeit ist für die Zwecke der Thermodynamik mit einer angeblich experimentell
begründeter Erhaltung der Energie, wie z.B. die Unmöglichkeit des Perpetuum Mobile, in
Zusammenhang gebracht worden.
4
ALGEBRAISCHE VEKTORFELDER UND BAHNEN
15
infinitesimalen Drehung und Verschiebung respektive. Soll aber etwa FD ≡
F(ℓ) gesetzt werden? Bei Newton führt die Bedingung, dass das Kraftgesetz
einer gewöhnlichen Differentialgleichung FD dt = mdv, mit v = dr/dt genügen
soll, zu folgenden Ansätzen. Es ist FD = FD (r) für eine aus einem Potential
abgeleitete rein lageabhängige Kraft, oder FD = FD (t) für eine Kraft deren
Zeitabhängigkeit nach Art der Maschinendynamik vorgeschrieben ist17 . Weil
FD = FD (v) für eine sich gegen das Beharrungsvermögen auswirkende Reibungskraft
gälte, ist es um die Verträglichkeit dieses Ausdrucks mit der Galilei-Invarianz
nicht gut bestellt.
Zum dynamischen Fundament der Ausdehnung. - Da die Differentialrechnung
mathematisch begründet ist, und die Mathematik ihrerseits allgemein gehalten
wird, kann man fragen, inwiefern die dynamischen Kraftgesetze nach Integration
die Raumform aus der Bewegung zu bestimmen erlauben. Die Frage passt zu
dem Gedanke, dass es hauptsächlich auf die Abstrahierung aus unserer Welt
einer logisch-mathematischen Struktur der Wirklichkeit ankomme, welche im
Nachhinein direkt bestätigt oder wiederlegt werden könne. In diesem Sinn entspricht
ein algebraisches Feldgebilde als ausgedehnte Mannigfaltigkeit der Punkte P =
(x, y, z) einer Isomorphie zu gemessenen Größen.
Transport. – Unter Transport verstehen wir eine gerichtete Beförderung
von Massenpunkten. Der Lokalisierbarkeit eines bestimmten Massenpunktes,
sagen wir mal auf einer Kettenlinie, liegt freilich die Voraussetzung zugrunde,
dass sich die Kette in einer Gleichgewichtslage befindet. Man könnte nun geneigt
sein zu glauben, dass ein von festsitzenden anziehenden Massen bestimmtes
algebraisches Vektorkraftfeld die Bewegung eines jeglichen in ihm befindlichen
Massenpunktes auf ähnliche Weise zu bestimmen erlaube. Obschon die Bewegung
kausal erfolgt, unterscheidet sich die newtonsche Vorstellung der gesetzmäßigen
Bahn dennoch von einer Kette, weil die genaue Ortkurve erst mit den Anfangsbedingungen,
und eigentlich nur mit ihnen festgelegt wird.
Sollte sich das Problem auf die anschauliche Ermittlung einer mit der Beziehung
F = md2 r/dt2 in einem Feld erklärten Ortkurve allein belaufen, dann würde das
Potentialfeld die Aufgabe lösen. Es führt der Ausdruck: f (x, y)dx + g(x, y)dy =
dV zwar zu einem von der partikulären Bahn zwischen a und b unabhängigen
Wert des bestimmten Integrals Vab . Aber Felder dürfen, wenn für sie etwa
Fvdt = Fdr, v = dr/dt gilt, durch eine Potentialfunktion ersetzt werden. Es
wird dabei vorausgesetzt, dass die Änderung des Potentials V beim Fortschreiten
der Probe von einem zum benachbarten Aufpunkt um dV = dr∇V , mit dr =
±vdt, zu- oder abnimmt. Möbius hat diese Gleichungen im Paragraph ,,Analogie
zwischen dem Gleichgewichte an einem Faden und der Bewegung eines Punktes“
erstellt.
Dazu soll man noch den Punkt auf der Kurve fortlaufend orten. Weil Potentiale
immerhin Punktfunktionen räumlicher Argumente sind, sieht es so aus, als ob
man das könnte.
4.2
Ergründung des Weltraumes aus der Bewegung
Wir haben im vorigen Kapitel zu schildern versucht, wie Newton den Bewegungen
zur prinzipiellen Messung von Strecken auf Kreisumfängen, begegnet ist. Man
könnte zugespitzt sagen, dass er, nachdem der altgriechische Begriff der Bewegung
17 Von
einer beliebigen Zeitabhängigkeit kann man nicht annehmen, dass sie gesetzlich sei
4
ALGEBRAISCHE VEKTORFELDER UND BAHNEN
16
als einer eventuell unendlich fein zerlegbaren Folge von zählbaren gegenwärtigen
Stellungen an dem berühmten Paradox von Achilles und der Schildkröte gescheitert
war, für Massenpunkte einen stetigen Zeitverlauf aus der Differentialrechnung
heraus neu interpretiert hat. Aber das neue Verfahren löst nur zum Schein das
alte Paradoxon über Raum und Bewegung. Eine Ortkurve kann erst dann als
Flugbahn angesehen werden, wenn sie als partikuläre Lösung vorliegt. Sofern
mit Lösung eine einmal iterierte Quadratur des Fundamentalsatzes gemeint
ist18 , stellt sie immerhin ein Kürzel für den Inbegriff aller zweiparametrigen
Kurven r(t) dar, wovon nur eine der beobachteten Flugbahn entspricht. Die
Anfangsbedingungen dienen dazu, diese einzige Bahn aus der Klasse der Lösungen
auszusondern. Ansonsten sind sie nur deshalb für einen bestimmten Massenpunkt
charakteristisch, weil sie beliebig wählbare Zahlen sind. Als solche gehören sie
aber dem Gesetz nicht an 19 . Sind sie etwa experimentell festzulegen?
Die Beziehung algebraischer Felder zum Kosmos. - Fassen wir das
Problem der Bahnbestimmung gravitierender Massenpunkte wieder ins Auge
und lassen wir die für praktische Berechnungen unumgängliche Störungsrechnung
beiseite. In den Kraftausdrücken meinen die Ableitungen, d.h. die Grenzwerte
der Differentialquotienten exakte endliche Werte. So sind die Differentiale selber
in diesem Limes genau gleich Null, und man kann das Längenmaß einer Strecke
nicht mit dem Stetigkeitsaxiom beglaubigen. Werden aber die Differentialgleichungen
für Massendichten aufgeschrieben, dann werden trotzdem infinitesimale Ausdrücke
bis zur ersten Ordnung keine archimedeischen Größen. Mithin wird die von
Newton zur Lösung des Paradoxes von Achilles und der Schildkröte erfundene
Monotonie der Bewegung, sobald sie mit der Raumausdehnung verbunden wird,
gestürzt.
Die Erkundung eines algebraischen Feldes über eine mitgeführte Sonde lässt
sich auch aus einem anderen Grund nicht mit den newtonschen Vorstellungen
identifizieren. Gesetzt die Sonde vertrete jeden beliebigen Körper, mindestens
was dessen Bewegungsmerkmale betrifft, kann man das Potential dahin verstehen,
dass sein Vorhandensein den ,,physikalischen Raum“ verzerrt. Auf die Verzerrung
kann man, wenn man laut Riemann eine lineare, lokal dem Raum isomorphe
Mannigfaltigkeit definiert, dank der Differentialgeometrie Rücksicht nehmen20 .
Die Verzerrung zu beweisen kann unmöglich das Anliegen Newtons gewesen sein,
denn er hielt den euklidischen geometrischen Raum just für das mathematische
Abbild unserer Welt.
Wäre die Verknüpfung zwischen Raumvorstellung und Bewegung leicht überschaubar,
dann ließe sich letzten Endes der Grund nicht entwirren, aus welchem die
Altgriechen, von derselben Raumvorstellung ausgehend, – Euklid war schließlich
Grieche – zu einer aus ihrer eigenen Sicht irrigen Auffassung der Bewegung
gekommen wären.
18 Die Eindeutigkeit der Bestimmung hängt mit dem Ausschluss singulärer Integrale
zusammen.
19 Deshalb sind Punktmassen Fremdlinge in jeder Feldtheorie.
20 Fraglich bleibt freilich dabei, ob sich die Raumstruktur auch im Großen ausmachen
lässt. Allerdings haben Helmholtz und S. Lie bewiesen, dass kongruente Bewegungen im
mechanischen Sinn nur in Räumen von konstanter Krümmung stattfinden können.
4
4.3
ALGEBRAISCHE VEKTORFELDER UND BAHNEN
17
Mathematische Physik
Unter dem Stichwort ,,mathematische Physik“ verstand Newton die Behandlung
mathematischer Systeme von Einzelkörpern, die den jeweils in Natur anzutreffenden
Systemen ähnlich sind. Dazu meinte er, dass sich der mathematisch definierte
Raum mit der beobachteten Außenwelt decken soll. Wie er wusste, lässt sich
trotzdem die Existenz der von ihm vorausgesetzten zentripetalen Kraft nicht
pragmatisch über die geometrische Konstruktion der Bahnen beweisen. Nun
hat Maxwell, im Gegenteil zu ihm, der zur Deutung der beobachteten Bewegung d.h. der partikulären Integrale - das Kraftgesetz aus heiterem Himmel vorgeschrieben
hat, seine allgemeinen elektromagnetischen Gesetze aus den Beobachtungen
Faradays zusammengestellt, während seine Interpretation sämtlicher Lösungen
in der Luft hängen geblieben ist. Welches Wirklichkeitsgehalt will man den
Lösungen seiner Gleichungen zuschreiben? Inwiefern gibt es in Natur Einzelsignale?
Soll man für sie denselben Raum wie in der Mechanik zugrundelegen? Das lässt
sich in diesem File nicht erschöpfen. Allerdings beschäftigen wir uns mit diesen
Problemen, weil wir hoffen, dass eine allgemeine lineare Theorie partikulärer
Signale aufgestellt werden kann. Erweist sich etwas in dieser Richtung als möglich,
so beruht es darauf, dass man den Signalen zum Gegenteil von Körpern keine
volle Individualität zumutet. Es folgen vorerst einige uns bekannte Deutungsansätze.
Zu einigen üblichen Deutungen der elektromagnetischen Felder. Wird der stilisierte Körper, d.h. der Massenpunkt der Mechanik einfach durch
die Ladung in demselben Raum ersetzt, dann redet man von klassischer Elektrodynamik,
einer für ± elektrisch geladene Punkte geltenden rationalen Dynamik. Sobald
man aber den elektrischen Strom der Bewegung von mehreren elektrischen
Stromträgern gleichsetzt, werden sowohl das galileische als auch das newtonsche
Prinzip verletzt. Das kommt weil die maxwellschen Gleichungen, wenn sie nach
Analogie mit denjenigen der Dynamik interpretiert werden, zeitabhängige Kräftedichten
aufweisen und, speziell was die Induktion betrifft, von der Geschwindigkeit der
Ladungsträger im Leiter abhängen. Man kann nur sagen, dass sie sich entkoppeln
lassen, wenn die Zeitveränderung des Systems gegen Null strebt, d.h. wenn man
der Induktion mittels der Störungsrechnung gerecht werden kann.
Für die elektrodynamischen Integrale weist man nach Helmholtz nach, dass
sich die allgemeinsten Felder aus der Summe eines skalaren Potentials (Fv) und
eines Vektorpotentials (v×F) berechnen lassen. Die Feldgleichungen bestimmen
somit, wenn v klein ist, die elektrodynamische Bewegung als geschwindigkeitsabhängige
Verallgemeinerung der dynamischen Bewegungsgleichungen. Von einem allgemeinen
Feldintegral kann indes schon deshalb nicht die Rede sein, weil nach Voraussetzung
die vorgegebenen Ladungen und Ströme das Feld bestimmen. Zu ihm gesellen
sich die von den Ladungen unabhängigen sich fortpflanzenden elektromagnetischen
Schwingungen. Sie scheinen das allgemeine Integral zu ergeben. Werden nun die
Schwingungen mechanisch gedeutet, dann muss man aber notdürftig annehmen,
dass die Felder auch auf pauschal neutrale Materie wirken. Die dann von physikalischer
Sicht notwendig erscheinende Erweiterung des E-H-Feldes um ein rein gravitatives
Feld erschwert sowohl die Störungsrechnung als ihre dynamische Deutung erheblich.
Rein mathematisch bleibt ungeklärt, ob die Summe von quellenbedingtem und
freiem Feld das allgemeine Integral bildet.
Die Deutung des freien elektromagnetischen Feldes ist kein einfaches Unterfangen.
Lagrange, dem wir die energetische Felddeutung verdanken, war sich bewusst,
dass die räumliche Konfiguration eines physikalischen Systems nur mühsam
4
ALGEBRAISCHE VEKTORFELDER UND BAHNEN
18
aus den verallgemeinerten Bewegungsgleichungen zu entflechten ist, so hat er
sich ursprünglich ausschließlich mit solchen Potentialfunktionen befasst, die
Punkt für Punkt eine Kinetik abzuleiten gestatteten. Wenn man dieses Bild
verallgemeinert, und zum äthererfüllten Raum voranschreitet, erteilt man den
einzelnen Raumpunkten sowohl elastische Energie, als auch Geschwindigkeitskoordinaten
und man tut, als ob man ohne weiteres so viele Gleichungen zwischen den
Kräften niederschreiben könnte, wie es Verbindungslinien zwischen je zwei elastisch
gekoppelten Punkten gibt. Obwohl das Feld anschließend energetisch als Oszillatorfeld
gedeutet wird, besteht neben dem Kollektivum die Idee weiter, dass die einzelnen
Punkte kleine Schwingungen um Gleichgewichtslagen durchführen. Sollte jedenfalls
ein mit elektromagnetischer Energie erfülltes Gebiet wirklich ins Schwingen
geraten, würde es trotzdem laut jeder mechanischen Auffassung eine unheimliche
Energiemenge speichern. Ob den normalen Schwingungsmoden, wie sie aus der
Fourierentwicklung hervorgehen, immer ein mechanisches Gegenstück nach demselben
Kriterium zukommt, ist schon deshalb angeblich hart zu entscheiden.
Neben der Formulierung über freie Koordinaten mit energetischer Interpretation
verdanken wir Lagrange ein weiteres, noch abstrakteres Lösungsverfahren, das
darin besteht als formelle Lösung einer Gleichung je Freiheitsgrad
eine Potenzreihe
H
f (z) = Σk ck z k , ck ∈ C anzusetzen21 . Es ist ck = 1/(2πi) R f (ζ)/ζ n+1 dζ, wobei
R etwa ein ringförmiges Bereich im Innern eines Kreisringes sein mag. Auf diese
Weise erhält man, sofern die Konvergenz gesichert ist, partikuläre Lösungen
f (z) mit dem Vorteil gegenüber Helmholtz, dass Feld- und Wellenanteil nicht
weiter unterschieden zu werden brauchen. Man beruft sich bei der sich hieran
anschließenden Interpretation der Terme der formalen Potenzreihenentwicklung
meistens stracks auf Intuition. D.h. man setzt k ∈ N ∪ {0}, und man deutet
die Entwicklung kurzum als Summe aller möglichen Schwingungsfrequenzen des
dargestellten Systems, multipliziert mit ihren jeweiligen Amplituden. Wie es in
der Fourieranalyse Brauch ist, schreibt man folglich: f (z) = Σk=0 ck z k = u+iv =
c0 + c1 r(cos ϑ + i sin ϑ) + c2 r2 (cos 2ϑ + i sin 2ϑ) + ... = 12 a0 + Σk=1 rk (ak cos kϑ +
bk sin kϑ)− 12 ib0 +i{Σk=1 rk (ak sin kϑ−bk cos kϑ) → 22 u(ϑ)r=1 = a0 +Σk=1 ak cos kϑ+
Σk=1 bk sin kϑ → Σk=0 ak cos kϑ. Das ist offensichtlich kein partikuläres Integral
nach dem allgemeinen Verfahren, wovon die Tatsache, dass der ursprüngliche
lineare Zeitverlauf aus dem sogenannten Frequenzspektrum nicht mehr erlangt
wird, Zeugnis ablegt. Wiewohl also die eingeführte Einschränkung des k-Zeigers
physikalisch gerechtfertigt erscheint, so lässt sich trotzdem fragen, welche Menge
man für die Gesamtheit aller möglichen Systeme der Zahlenwerte {ck } in der
Reihenentwicklung zulassen will. Das bernouillische Prinzip sagt nämlich aus,
dass wenn man über eine vollständige Gruppe von Fundamentallösungen verfügt,
man jede partikuläre Lösung erhalten kann. Da jeder mit einer Frequenz zu
kennzeichnende partikuläre Zustand stationär heißt, weil er erst nach einem
Anlauf eintreten muss und davon abhängt, müssen wir allerdings feststellen,
dass das Energiespektrum i.allg. mit keiner partikulären Lösung der gegebenen
Differentialgleichung übereinstimmt. Ob und inwiefern die analytische Lösung,
wenn wir das betrachtete ,,Frequenzintervall“ von - ∞ bis + ∞ erstrecken, einer
partikulären Transiente gerecht wird, lassen wir vorerst noch offen.
Fazit. Die Schreibweise der sogenannten allgemeinen Lösung der laplaceschen
oder poissonschen Gleichung als Überlagerung trigonometrischer Funktionen
21 Dieses Verfahren findet auf die ,,Wellengleichungen“ Anwendung. Es könnte sich genauso
gut für die maxwellschen Gleichungen eignen.
22 r = 1 soll innerhalb des Konvergenzkreises fallen.
4
ALGEBRAISCHE VEKTORFELDER UND BAHNEN
19
setzt - bis man jedes Reihenglied als physikalisch begründet hält – voraus,
dass beobachtete flüchtige Prozesse überhaupt nicht mit elementaren materiellen
Zerfallsprozessen, falls es diese gibt, verbunden sind. Also erfolgt jede beobachtete
Signalabklingung eventuell trotz der Stabilität der Materiebauteile, oder aber
das Signal ist von sich aus periodisch, nur wiederholt es sich nach einem unmessbar
langen Zeitabschnitt.
Wir erwähnen noch, dass man mit einer hydrodynamischen Umdeutung der
von Maxwell aufgestellten Gleichungen unter der Einwendung, dass sich die
Elektrizität wie eine stetige Strömung verhalte zum Ergebnis kommt, dass die
beiden die stofflich gedachten Ladungen und Ströme enthaltenden Gleichungen
die Felder bestimmen, während die beiden anderen, darunter die elektromagnetische
Induktion, zur mathematischen Festlegung der Potentiale dienen. Wozu ist das
gut? Maxwell hat letzten Endes unumwunden elektrische Versuchsergebnisse
interpretiert. Die Hydrodynamik bezieht zwar ihre Vorstellungen reichlich aus
dem Verhalten strömender Flüssigkeiten, aber sie hat sich weitgehend selbstständig
als rationale energetisch geprägte Verallgemeinerung der Lehre der substantiellen
Bewegung entwickelt. Auch die sich an diese Entwicklung anschließende hydrodynamische
Interpretation der elektrischen Erscheinungen gründet nicht sowohl auf Einblicke
aus der Hydrologie, als vielmehr auf den Umstand, dass der Satz von Gleichungen
ein und derselbe ist, wobei die Gauß- und Stokes-Theoreme es verhindern,
dass mit den Integrationsflächen Randbedingungen für die elektromagnetischen
Lösungen im Vakuum geknüpft werden23 . Sollte sich eines Tages herausstellen,
dass es mit lauter Antennen als Quellen des elektromagnetischen Feldes[6] schon
klappt, würde man vermutlich versuchen die Grenzflächen auf lineare nichtisotrope Strahler zu beziehen.
Als nach H. Hertz die Existenz sich fortpflanzender und abklingender elektromagnetischer
Wellen weitgehend akzeptiert wurde, wurde man einer zusätzlichen Möglichkeit
gewahr. Man nahm wieder seine Zuflucht zur Potentialgleichung[7]. Aber die
partikuläre Lösung wurde in einer gewissen Hinsicht verallgemeinert, da man sie
nunmehr als durchschnittliches Verhalten vieler Systeme deutete. Wie trügerisch
diese Annahme sein kann, zeigt schon die einfache Überlegung, dass Mittelwerte
von Schwingungsfrequenzen das Verhalten keines partikulären Oszillators mehr
beschreiben.
Mathematisches zu den Integralen des elektromagnetischen Gleichungssystems.
- Bei dem von Maxwell aufgestellten gekoppelten Gleichungssystem, das in
Vektorrechnungsschreibweise: ∇×E = −1/c∂B/∂t, ∇×H = (4π/c)J+1/c∂D/∂t,
∇D = 4πρ, ∇B = 0 lautet, treten vom mechanischen Standpunkt aus, der
expliziten Zeitabhängigkeit wegen, allgemeinere Bahnen auf, darunter Schraubungen
und nicht als Störungen zu verdrängende abklingende Raum-Zeitverlaufe. Das
Gleichungssystem lässt sich dennoch im Vakuum auf zwei einfache Weisen entkoppeln:
• im zeitunabhängigen Fall erhält man: ∇ × E = 0, ∇E = 4πρ, ∇ × B =
(4π/c)J, ∇B = 0 24 .
• für quell- und wirbelfreie Bereiche erhält man, wenn ρ = J = 0 sind:
∆E − 1/c2 ∂ 2 E/∂t2 = 0, ∆B − 1/c2 ∂ 2 B/∂t2 = 0.
23 Bisweilen
werden anschließend die Randbedingungen des nicht entkoppelten
elektromagnetischen Systems mit den fresnelschen Beziehungen für statische Felder in
Zusammengang gebracht.
24 Es ist dabei zu beachten, dass Richtungsdifferentialquotienten keine Differentiale sind.
Nablasymbole sind in dieser Hinsicht keine Kurzformen, sondern drücken bereits das
Vorhandensein einer Potentialfunktion aus.
4
ALGEBRAISCHE VEKTORFELDER UND BAHNEN
20
Wenn das System mathematisch entkoppelt wird, verfügt die Physiklehre im
ersten Fall über (inhomogene) poissonsche und zugehörige (homogene) laplacesche25
skalare Gleichungen. Legt man komponentenweise laplacesche bzw. poissonsche
Gleichungen auch für vektorielle Potentiale bzw. für Felder zugrunde, dann kann
die Lösung mühelos um ein der Zeit proportionales Argument erweitert werden.
Trifft man die richtige Wahl für den Proportionalitätsfaktor, dann kann man die
beiden Fälle gleich vereinigen, indem man mit dem d’alembertschen Operator
= ∂ µ ∂µ (µ = 1, 2, 3, 4) für die homogenen Feldgleichungen respektive E = 0
und B = 0 setzt. Da die mathematische Klassifizierung der Integrale als
stehende bzw. fortlaufende Wellen nur von dem Vorzeichen der Diskriminante
abhängt, folgert man aus dieser Schreibweise, dass auch fortlaufende Wellen
stationär zu sein haben. Ob man folglich zwischen komponentenweise Potentialübertragung
und Fortpflanzung von Wellenfronten unterscheiden will oder nicht, ergeben
sich, wie Maxwell selber gezeigt hat, in ladungs- und stromlosen Bereiche formell
in etwa dieselbe Gleichungen.
Unterschiede zwischen den beiden Fällen können nur dann eintreten, wenn
sich zeitabhängige, gedämpfte bzw. einschwingende Verhalten entwickeln. Mit
deren dynamischer Interpretation hat es aber seine eigene Bewandtnis: Es scheint
uns indessen ungeklärt, ob vorauseilende und verzögerte Wirkungen begrifflich
noch mit direkten kausalen Kraftvorstellungen in Einklang zu bringen sind.
1. Fall der Entkopplung von E und B. – Wir verabreden jetzt diesen
Fall einfach durch Tilgung der t-Variable zu erhalten. Die elektromagnetischen
Feldgleichungen sehen dann, abgesehen davon dass sie vektoriell sind, ungefähr
wie die Potentialgleichung der Gravitationstheorie aus. Mathematisch enthalten
aber die allgemeinen unbestimmten Integrale partieller Differentialgleichungen
erster Ordnung, im Gegensatz zu den gewöhnlichen Differentialgleichungen, eine
unbestimmte Funktion φ. Grob gesprochen steigt man von einem partikulären
Feld ϕ(x, y, z) zum allgemeinen Integral Φ einer homogenen partiellen Differentialgleichung,
indem man Φ = φ[ϕ] setzt, wobei man mit φ eine beliebige stetig abbildende
Funktion meint. Da man ϕ meistens keine Bildkurve zuordnet, stellt Φ tatsächlich
eine unendliche Klasse von Lösungen dar. Mit den inhomogenen partiellen Differentialgleichungen
verfährt man im Prinzip auf ähnliche Weise, nur dass die Anzahl der voneinander
unabhängigen partikulären Lösungen zunimmt.
Die Schwierigkeit besteht allemal darin, das mehrfache partikuläre Integral
ϕ niederzuschreiben. Für begrenzte Bereiche stehen dazu Iterationsverfahren zur
Verfügung. Weil die Integrationsgrenzen Funktionen sind, d.h.:
R x R y(u) R z(u,v)
ϕ(x, y, z) = x0 y0 (u) z0 (u,v) χ(u, v, w)dudvdw versucht man sich im Raum, wie
angedeutet, auf Normalbereiche zurückzuführen.
Dem einfacheren Parametrisierungsverfahren stehen, da man sich auf gewöhnliche
Differentialgleichungen erster Ordnung zurückführt, bereits stationäre Kurven
zugrunde. Ein Feld aus Bahnen kann nun irgendwie geschichtet werden, wogegen
es räumliche Geometrien gibt, wie das kleinsche geometrische Modell der maxwellschen
Gleichungen, die sich nicht in Scheiben schneiden lassen. Aber wir befassen uns
vorerst mit Aufschneiden. Liegt für t ∈ [a, b] ein ebenes Feld, dessen Argumente
x und y sind, als Lösung einer linearen Differentialgleichung erster Ordnung
vor, dann lautet das allgemeine Integral: F{x(t), y(t)} = C. Zieht man durch
25 Wenn man kein vom Leiter berandetes magnetisches Blatt zuzieht, um gleichsam auch
bildhaft die Umwicklung des Integrationsweges um den Leiter zu verhindern, existiert das
magnetische Potential im üblichen Sinn zunächst nicht.
4
ALGEBRAISCHE VEKTORFELDER UND BAHNEN
21
ein beliebiges Punktepaar x0 = x(t0 ), y0 = y(t0 ) eine Kurve, dann wird C auf
C0 spezialisiert. Wählt man eine Folge ti , ( ti ∈ [a, b], i = 0, 1, ..., N ) von Werten
des Parameters auf einer der Feldebene (x, y) senkrechten t-Hilfsachse, so erhält
man auf der jeweils entsprechenden Höhe Ci je eine ebene Kurve durch die
(xi , yi )-Werte als partikuläres Integral. Wegen der eindeutigen Bestimmung der
Gleichungen für t ∈ [a, b], darf man den Inbegriff der Kurven, d.h. das allgemeine
Integral, orthogonal auf eine einzige (x, y)-Ebene projizieren, was Höhenkurven
ergibt. Diese orthogonale Projektion wollen wir als algebraisch geometrische
Felddarstellung verstehen. Der Fall einer stetigen Änderung des Parameters
t wird dabei zeichnerisch mittels unterschiedlich schattierter Flächenscharen
wiedergegeben.
Dieselbe Untersuchung lässt sich unter Ausfall der Graphik für gewöhnliche
Differentialgleichungen der voneinander unabhängigen räumlichen Argumente
x, y, z, u, v, w, ... wiederholen. Allerdings gilt diese Darstellung für freie Massenpunkte,
oder wenn holonome Differentialbedingungen vorgeschrieben sind.
2. Fall der Entkopplung von E und B. – Aus den elektromagnetischen
Gleichungen im Vakuum leitet man unmittelbar zwei homogene ungedämpfte
Schwingungsgleichungen für die Vektorfelder ab. Die Lösungen der in kartesischen
Koordinaten ausgedrückten Gleichungen stellen ebene Wellenfronten mit zur
Front transversaler Ausbreitungsrichtung dar. Aber die Wellenform hängt mit
der reduzierten Schwingungsgleichung, und also mit der Trennung der Argumente
zusammen. Nach Trennung der räumlichen Variablen ergibt sich nichtsdestoweniger
in einer Mannigfaltigkeit von drei Dimensionen für ebene transversale Wellen
einen analytisch auf der kartesischen Ebene darzustellenden Zeitverlauf.
Die allgemeinste analytisch auf der Ebene darzustellende reduzierte Schwingungsgleichung
elektromagnetischer Systeme ist immerhin die lineare Telegraphengleichung,
weshalb wir gleich davon ausgehen. Das allgemeine Integral, nennen wir es 1,
besteht aus der allgemeinen Lösung, 2, der dazugehörigen homogenen Differentialgleichung
plus ein partikuläres Integral, 3, der inhomogenen Gleichung. Unter allgemeines
Integral der homogenen Gleichung verstehen wir dabei eine beliebige lineare
Kombination zweier unabhängiger partikulärer Lösungen, 2a + 2b. Das partikuläre
Integral 3 stellt diejenige Lösung von der inhomogenen Gleichung dar, die stationär
ist und sich nach der Störfunktion richtet. Das mathematische Verhalten eines
bestimmten Systems wird aus 1 = 2a + 2b + 3 durch Spezialisierung der
Integrationskonstanten erhalten. Da nun 3 stationär ist, liefert 2 die benötigte
Anpassung des Anfangszustands zum stationären Schwingungszustand. 2 liefert
also sämtliche mögliche vorübergehende Verhalten, weshalb wir es das allgemeine
transiente Verhalten nennen. Abgesehen von dessen Interpretation enthält ein
Integral des Typs 2 natürlich, wenn die dazugehörigen Randbedingungen vorliegen,
jede Spezialisierung der homogenen Gleichung von drei Argumenten, also auch
fortschreitende ebene Wellenfronten26 .
Zur partikulären zeitabhängigen Transiente. - Im Zusammenhang mit
den eben besprochenen linearen mathematischen Transienten möchten wir erörtern, warum raumzeitabhängige Integrale rein theoretisch an keine Raumvorstellung
mehr knüpfen können. Da wir uns jetzt ihrer Interpretation für elektrische
Erscheinungen enthalten möchten, kehren wir zum Würfeln zurück. Nur bemerken
wir im Vorbeigehen, dass mechanische Transienten im Allgemeinen ein sehr
kompliziertes Aussehen haben, während es eine Menge vorübergehender elektrischer
26 Ebene
Wellen sind durch flache Wellenfronten kennzeichnet.
4
ALGEBRAISCHE VEKTORFELDER UND BAHNEN
22
Erscheinungen gibt, die sich mathematisch linear darstellen lassen. Das Vergängliche
tut sich unserer Meinung nach schon in der Existenz nicht stationärer Würfelflugbahnen
kund, ohne deshalb auf Zerfall schließen zu lassen. Wir haben gesehen, dass
sich das nichtstationäre Verhalten mathematisch auf die Unmöglichkeit einer
t-Parametrisierung der räumlichen Argumente beläuft. Gibt es keine eindeutig
bestimmbare Bahn, dann lässt sich der Raum aus diesem Grund nicht abmessen.
Das lässt sich, weil die Bestimmungsstücke völlig willkürlich sind, mit keiner
Anzahl von überschüssigen Parametern beseitigen.
Üblich werden nun elektrische Schwingungen nach Trennung der räumlichen
Argumente dahin gedeutet dass ein reibungsbedingtes Abklingen längs der Ausbreitungsrichtung
stattfindet. Aber die in Rede stehende ein bestimmtes System betreffende ,,Reibung“
muss sich mathematisch unabweisbar durch Spezialisierung des Integrals 2,
will sagen der vollständigen homogenen Gleichung, ermitteln lassen. Es folgt,
dass keine explizite t-Abhängigkeit des allgemeinen Feldes F = F(x, y, z, t)
Bahnen liefern kann, es bleibe nun dahingestellt, ob elektrisch die Niveaukurven
stationäre Laufbahnen – d.h. mit Massenpunkten besetzte - oder lauter Flusslinien
– d.h. Geleise – zu bedeuten hätten.
Das ganze Problem mit den elektromagnetischen Feldgleichungen rührt daher,
dass bei der allgemeinen Integration linearer partieller Differentialgleichungen
die genaue Funktionalabhängigkeit notwendig aus bleibt, und dass man leider
je nach dem gewählten durchführbaren Integrationsverfahren irgendeinen festen
Funktionstyp zugrundelegt. Bis man umgekehrt, unter dem Vorwand, dass partikuläre
Integrale prinzipiell stabil sind, das allgemeine Integral aus ihnen bildet, stößt
man nachträglich niemals auf partikuläre Transienten. Der unumgängliche mathematische
Grund dafür beruht darauf, dass stationär Transienten nach Definition abgeklungen
sind.
Eine Handvoll Lösungen. – Kehren wir zum formellen Lösungsverfahren
der Wellengleichung als unendliche Summe von Termen zurück. Noch bevor wir
mit unserem Vorhaben anfangen, ist es unbedingt wichtig die witzig anmutende
Feststellung zu machen, dass weiterhin unwiederholbare flüchtige Beobachtungen
aus der linearen Theorie abgestreift werden. Neu ist nur die Auffassung der
gesetzmäßigen Erscheinungen.
Wenn man eine stationäre Wellenfront förmlich nach Taylor entwickelt, meint
man im Kleinen zu quadrieren. Die somit in einem infinitesimalen Bereich
der reellen Achse genäherte Lösung, stimmt aber im Limes entweder mit der
gesuchten Funktion vollkommen überein oder, wenn die gesuchte Funktion eben
keine analytische Funktion ist, weicht von ihr wesentlich ab. Auf die C-Ebene
übertragen, stimmt nämlich die kleinste Umgebung mit dem offenen Konvergenzkreis
um den gegebenen Punkt überein. Deshalb lassen sich partikuläre Lösungen
praktisch als Potenzreihenentwicklungen nach einem Parameter niederschreiben
[8]. Die Bestimmung der Koeffizienten in der Reihe hängt offensichtlich von
den Ableitungen im gewählten Punkt ab. Der topologische Zusammenhang
der geometrischen Gebilde bestimmt aber diejenigen Integrale, die ineinander
übergehen, und es geht darum, jeweils einen einfach zu darstellenden Repräsentanten
der Reihe zu ermitteln. Im Raum können konform abbildende Funktionen als
legendresche Polynome entwickelt werden. In C ist aber auch dieser Unterschied
von geringer Bedeutung, da komplexe Zahlen genauso auf der argand-gaußschen
Zahlenebene wie auf der riemannschen Zahlenkugel eingetragen werden können.
Es erweist sich aus diesem Grund gleichgültig für die Lösungen, ob man (x, y, z)
oder (r, θ, ϕ) als Raumkoordinaten braucht.
4
ALGEBRAISCHE VEKTORFELDER UND BAHNEN
23
Das Integral der homogenen Differentialgleichung heißt in C ganze Funktion,
weil es keine Singularitätsstellen im Endlichen besitzen darf. Zur mathematischen
Existenz der als Lösung der inhomogenen Differentialgleichung gedachten Feldfunktion
verlangt die Potentialtheorie, dass die im Endlichen gelegenen Pole mit endlichen
Werten belegt werden. Ist nun im Fall von transversalen stationären Wellen
eine allgemeine Lösung nebst Pole und Nullstellen gegeben, dann kann man
das vollständige Integral, indem man die partikuläre Lösung als Summe von
Partialbrüchen eindeutig27 nach Mittag-Leffler auswertet, erhalten. Dieser ist
der Teil, welcher nach Abklingen der allgemeinen Lösung als stationärer Teil
erhalten bleibt, und das nicht notwendig abbrechende gebrochene Polynom
setzt sich also aus einem räumlich abklingenden (dem hyperbolischen) und
einem stationären Teil zusammen. Die Darstellung der Lösung fällt mit einer
Laurent-Reihe mit einer endlichen Anzahl Summanden im Hauptteil, und mit
Nebenteil zusammen. Wie jedes gebrochene Polynom kann diese Funktion, laut
dem weierstraßschen Produktsatz als Produkt irreduzibler Faktoren zerlegt werden,
wobei die Pol- und Nullstellen hervorgehoben werden. Wir haben damit bereits
Bekanntes auf die komplexe Zahlenebene übertragen.
Wellenlösungen als Abbildungen. - Jetzt kommen wir zu einer notwendig
erscheinenden Umdeutung der elektromagnetischen Felder im Vakuum, wenn als
Definitionsbereich und Wertevorrat C gewählt wird.
Die maxwellschen Differentialgleichungen sind erster Ordnung. Um sie zu lösen
führt man sich aber meistens auf Gleichungen zweiter Ordnung zurück. Anschließend
überträgt man die Gleichungen von differential auf algebraisch. Wenn man
diese Weise Differentialgleichungen zu lösen unabhängig von ihrer Deutung
betrachtet, sieht man, dass mit den Bewegungsgleichungen algebraische Gleichungen
zweiten Grades verknüpft sind. Die dynamischen Gesetze sind von Haus aus so
gebaut, wogegen man im elektromagnetischen Fall eigentlich Gleichungen erster
Ordnung zu genügen sind.
Dasselbe gilt für die Lösungen. Ob irreduzible Polynome abgesehen von ihrer
Vielfachheit nur lineare oder auch quadratische Faktoren enthalten, hängt vom
zugrundegelegenen Zahlenbereich ab. Ist der Zahlenbereich R, wie man zur
Lösung des newtonschen Grundgesetzes verlangt, so kann man den Begriff der
Bahnkrümmung dazu benutzen, um die Lösungen mit quadratischen von denen
mit rein linearen Faktoren zu unterscheiden. Weil aber dank des fundamentalen
Theorems der Algebra in C lauter Linearfaktoren eingehen, trifft dieselbe Unterscheidung
zwischen freien und kraftbedingten Zuständen nicht mehr zu.
Angesichts der heute geltenden mathematischen Auffassung der fundamentalen
Lösungen des freien elektromagnetischen Feldes als harmonischer Wellen, scheint
uns allerdings die Überlegung, dass es in C gleichwertig ist, ob man eine meromorphe
Funktion auf der θ = 0 Achse in eine Potenzreihe oder nach elementaren
Winkelfunktionen als Basisfunktionen entwickelt angebracht. Auf die einzelnen
Glieder ihrer Reihenentwicklung kommt es schließlich bei der Deutung einer
Lösung nicht an. Freilich werden mithin diejenige stationären elektromagnetischen
Felder verstanden, die gleichsam auf Flächen abbilden. Wir nennen sie empfangenes
Signal.
Wie ist die Deutung in C geometrisch zu vertreten? Wir greifen ein bisschen
vor: die übliche differentialgeometrische Deutung der passiven optischen Distanzmessung
27 Zwei Funktionen mit denselben Polen unterscheiden sich höchstens durch eine ganze
Funktion.
4
ALGEBRAISCHE VEKTORFELDER UND BAHNEN
24
setzt in Übereinkunft mit der geometrischen Optik voraus, dass Lichtstrahlen
wie Stacheln eines Seeigels auf der Körperoberfläche des anvisierten Objekts
sitzen. Wenn man einen Lichtbündel als Stachel fasst, beträgt sein optischer Weg
vom Stachelansatz zum Auge eine ganz bestimmte Länge, wobei die Anforderung
nicht mit der materiellen Beschaffenheit des zur Messung gebrauchten Lineals,
sondern mit der Wahl einer Geometrie zusammenhängt [9]. Danach sehen zwei
kugelförmige Sender wie zwei unterschiedliche Seeigel aus und es hat einen Sinn
deren Lagen sowie die Krümmungsradien ihrer Skelette zur ersten Näherung aus
der Lichtaussendung bemessen zu wollen. Laut der differentialgeometrischen
Vorstellungen gilt ja die Krümmung als angeborene lokale Eigenschaft einer
Fläche. Deshalb sollte sie weder beeinträchtigt werden, wenn man kleinere Gebiete
in Betracht zieht, noch mit der Entfernung vom Beobachter abnehmen. Auf
krumme ausstrahlende Flächen, die sich selber nicht überlagern lassen, sollte
aber das für ebene Wellen gültige Superpositionsprinzip keine Anwendung finden28 .
Die Abbildung sämtlicher Flächen in derselben Brennebene des Fernrohrobjektivs
kommt, falls sie nicht gerade auf die Ebene abwickelbar sind, laut Differentialgeometrie
einer Streckung der auf ihnen gezeichneten geradesten Linien gleich. Jede optische
Anpeilung beruht jedoch im Prinzip darauf, dass man das Ziel scharf stellen
kann, mit welchem Bedürfnis ein Mal zu erblicken man sich im Endeffekt jeden
weiteren Anspruch auf Messung im klassischen Sinn verdirbt29 .
4.4
Geometrie und Modelle
Wir haben bis jetzt zu betonen versucht, dass die Bewegungen keine Raumstruktur,
geschweige denn einen Punktraum, untermauern. Diese Erkenntnis hatte bereits
J. Maxwell dazu geführt, Experimente unter Anwendung gezielter Analogien
direkt an die Mathematik anzuschließen. Historisch war dann F. Klein in seiner
berühmt gewordenen Erlanger Antrittsrede ein Vertreter der hier zur Diskussion
stehenden ,,anschaulichen“ Rolle der Geometrie. Seine Überzeugung zur Geometrie
bestand aus zwei Teilen.
• Die im Erlanger Programm30 ausgedrückte relationale Auffassung der Geometrie.
• Der ständig auf praktische Durchführung geometrischer Aussagen angelegte
Nachdruck. Nach unserem besten Wissen wurde dieses Verlangen auf keinen
festen Namen getauft.
Das aus beiden Punkten bestehende Programm schiebt in das Wechselspiel
des induktiv-deduktiven Verfahrens ein geometrisches Modell ein. Wir versuchen
nun die von ihm andeutungsweise aufgestellte Beziehung: maxwellsche Gleichungen
⇒ Geometrie ⇐ optische Erscheinungen zu erläutern.
Transformationen als Bewegungen. - Klein stellte Bewegungsgruppen
oder Umformungen als Axiome an die Spitze des Aufbaus jeder Geometrie
und kam zum Ergebnis, dass die Geometrie des Raumes, nach Angabe der
Grundbegriffe und Axiome, nichts mehr als logisches Verständnis bietet. Das
entspricht genau der um 1860 von den Mathematikern erlangten Auffassung,
28 Jener Behandlung nach treten Beugungseffekte zur zweiten Näherung, wegen der
unterschiedlichen Krümmung der geometrisch gemeinten Wellenfronten ein. Sie werden
auf einer kleinen Umgebung des Einfallstrahles erzeugt, und entstehen nicht infolge der
Abblendung des ganzen empfangenen Signals als Modulation.
29 Soweit sich Interferenzmessungen aus der Überlagerung interferierender ebener ,,Wellen“
ergeben, gehören sie mit zu derselben Gruppe.
30 ,,Vergleichende Betrachtungen über neuere geometrische Forschungen“.
4
ALGEBRAISCHE VEKTORFELDER UND BAHNEN
25
dass sich Beweise nicht auf Zeichnungen stützen dürfen.
Im Gegensatz dazu fußten noch sämtliche physikalische Untersuchungen des
Raumes, es sei hier nur an das großartige helmholtzsche Unterfangen erinnert,
auf dem Glauben von der beweisbaren Übereinstimmung einer Geometrie mit
der ausmessbaren Struktur der Außenwelt. Die Doktrin, dass die Geometrie ein
Forschungsgebiet der angewandten Physik sei, geht auf Galilei zurück. Nicht
dass letzterer gleichsam darauf bestanden hätte. Weil er doch bekanntlich mit
seinen hartnäckigen Hinweisen darauf, dass die Naturereignisse für jedermann,
der unbefangen daraus lernen will, zugänglich seien, die Gewalt der Kirche
eindämmen wollte, wurde er dahin verstanden, dass er ihr ein verifizierbareres
Dogma entgegenhielt. Hätte er überhaupt nur für geometrische Anschaulichkeit
der kirchlich gestatteten Naturerklärungen plädiert, so hätte er ohne Bann das
Zeitliche gesegnet.
Nach Newton schätzte man seine vermeintliche Doktrin, d.h. die galileische
Methode, so hoch, um den geometrischen Raum induktiv nach den Maßergebnissen
im Laborzimmer zu gestalten. Dabei übersah man was Einstein erkannte, nämlich
dass bis man keine fundamentalen Maßstäbe und Uhren aufstöbert, Messverfahren
auf lauter Vereinbarungen beruhen. Folglich wurde auch das elektromagnetische
Feld aufgezeichnet, indem man für allerlei Stellungen im Labor das Gleichgewicht
auf Probekörpern prüfte31 , und die gefundenen rohen Werte direkt auf Papier
brachte. Auf diese Weise wurden die Sätze von Coulomb und Biot-Savart formuliert,
obwohl die elektromagnetischen Felder die vorhandene Raumstruktur eigentlich
hätten verzerren sollen.
Im Anschluss daran hat sich dann Gauß auf das methodische Vorgehen
Galilei berufen, um die optischen mit den herkömmlichen Messmethoden zu
vergleichen, und hat sie eventuell gleichwertig gefunden. Der Anspruch Messungen
numerisch auf ihre Richtigkeit hin zu prüfen gründet auf das Dogma, dass
man Zahlen dingfest machen kann. Seitens der Mathematiker wird gerade das
von Russell an bestritten. Sobald man die naive Übereinstimmung der Natur
mit der aufzustellenden Mathematik prinzipiell ablehnt, rückt die Frage, was
aus einer möglichst gut logisch begründeten mathematischen Abhandlung eine
naturwissenschaftliche Erkenntnis macht, recht in den Vordergrund. Vermutlich
ist man mit dieser Frage immer vorsichtig umgegangen.
Nun nehmen wir den ersten Punkt der kleinschen Auffassung der Geometrie
in Angriff. Zum deduktiven Verfahren meinte er etwa, dass auch ein physikalisch
begabter Mathematiker den neuesten Stand des physikalischen Verständnisses
nicht urteilen könne, was den Vertretern der axiomatischen Methode mitunter
schlicht falsch erschien. Minkowski und Hilbert sind dafür ausschlaggebend.
Kleins Meinung wurde nämlich zu einem Zeitpunkt vertreten, wo seine genannte
Kollegen wohl behaupten konnten die Methoden der theoretischen Physik besser
als die experimentell veranlagten Physiker zu meistern.
Der Standpunkt Kleins, dass sowohl induktive als auch deduktive Schlüsse
nur innerhalb der Mathematik einen Sinn haben, war allerdings kein angeborener.
Er war nach jahrzehntelanger Forschung geometrischer Modelle zum Ergebnis
gekommen, dass sich vermutlich Naturerscheinungen jeder linearen Darstellung
und angeblich auch jeder Logik[10] entziehen, so dass man kaum von der Geodäsie
annehmen kann, dass sie die Welt als solche darstelle. Er hat sich demzufolge
31 Der Nachweis des magnetischen Feldes anhand von Eisenfeilspänen beruht eben darauf,
dass die Schnipsel auf dem Papier haften bleiben können.
4
ALGEBRAISCHE VEKTORFELDER UND BAHNEN
26
in der Erwägung, dass rein mathematische, aber ,,anschauliche“ Entwicklungen
aus einem frisch erkorenen physikalischen Verständnis brauchbarer sein würden
gezwungen, nicht Hand an die damals im Bau befindlichen physikalischen Theorien
zu legen. Er hat auch auf jegliche Anwendung der Mathematik auf die experimentellen
Entdeckungen seiner Zeit verzichtet. Und doch hat er sein Modell für die bereits
vorliegenden maxwellschen Gleichungen geliefert. Denn er selbst hatte den Gehalt
der von A. Moebius zur Mathematisierung der Statik herangezogenen rein geometrischen
Modellierung, von stofflich auf relational verlagert. Dabei hatte er die Beziehung
oder Relation mit der geometrischen Auffassung der Bewegung gleichgesetzt.
Es leuchtet ein, dass das gegenüber der bislang gewohnten kinematischen oder
dynamischen Beschreibung der Kurven völlig neu ist. Und gerade weil Klein
die Geometrie sozusagen programmatisch als bildhaft zu darstellende Beziehung
erdacht hatte, konnte er es nicht unterlassen seine eigene Fassung der räumlichen
Transformationen mit der ebenfalls bereits formulierten speziellen Relativitätstheorie
zu vergleichen. Wir schieben die Besprechung seines Modells auf einen dazu
gewidmeten Absatz.
Prüfbank der Geometrie. – Nun kommen wir zum zweiten Punkt im
kleinschen Programm32. Es betraf in erster Linie die bis vor Kurzem als schlicht
unnatürlich erachteten, und deswegen als nicht-existent liquidierten nicht-euklidischen Geometrien. Sie waren rein theoretisch erschlossen worden, jedoch fragte
man sich urplötzlich, ob es überhaupt möglich wäre, einen euklidisch von einem
nicht-euklidisch strukturierten Raum zu unterscheiden. Gauß hatte, wie erwähnt
zu diesem Zweck Messungen angestellt. Klein bestand dagegen bekanntlich auf
praktische Ausführungen der geometrischen Aussagen. Unnatürlich hin, unnatürlich
her, immerhin hatte man die Mittel an die Hand, um sich jene Postulate bildlich
zu vergegenwärtigen, dachte er vielleicht. Der Bildhaftigkeit halber ließ er allerdings
allerhand gipserne Flächen anfertigen. Auf diese Weise merkte er recht bald, dass
die Plastik, ganz unabhängig von der gemeinten Geometrie, deren Einbettung
in die gewohnten metrischen Verhältnisse wiedergibt. Danach hielt er Ausschau
auf neue Darstellungsmittel, und stieß auf die Perspektive. Nebenbei verwies
er auf die räumlich ausgedehnte Theaterdekoration, und beteuerte, dass sie
denselben Postulaten wie die Geometrie der Lage genügt. Er meinte die erste
als eine mögliche Verwirklichung der letzteren, die letzte aber als mathematische
Behandlung a posteriori (nach Einbezug möglichst vieler Umstände) der Bühnendekoration.
Kehren wir aber zu den nicht-euklidischen Geometrien zurück. An deren ModellVeranschaulichung knüpft auch die Frage, ob diejenigen Flächen, für die die
euklidische Metrik nicht gilt, unbedingt krumm auszusehen haben. Klein hat
diese Frage schließlich mit ,,nein“ beantwortet. Um seine Aussage zu beweisen,
hat er nichteuklidische Ebenen projektiv konstruiert und geometrisch begründet.
Projektive Maßbestimmung. – Weil Klein später die Invarianz der Lichtgeschwindigkeit
genau nach derselben Vorschrift gedeutet hat, wollen wir hier auf seine Methode
ausführlicher eingehen. Nachdem Riemann das Krümmungsmaß einer Mannigfaltigkeit
von n Dimensionen differentialgeometrisch auf das Bogenelement gegründet
hatte, und gezeigt hatte, dass sich damit nichteuklidische Beziehungen in die
Geometrie eingliedern ließen, wurde das Problem Flächen, auf welchen die euklidische
Geometrie nicht gilt, zu versinnbildlichen auf die Aufstellung zweier Hauptformen
zurückgebracht (wenn man vom topologischen Zusammenhang absieht). Die von
32 Elementarmathematik
II S. 201 – 202.
5
DER BEITRAG FELIX KLEINS ZUM ELEKTROMAGNETISMUS.
27
Riemann selber entdeckte elliptische Geometrie, für welche die Gerade nicht
unendlich fortgesetzt werden kann, wurde auf die Kugel abgebildet. Was Gauß
etwa als Krümmung verstand fiel hier positiv aus. Eine Fläche mit konstanter
negativer Krümmung33 , auf der das Parallelenaxiom hinfällig wird, ist schwieriger
zu veranschaulichen, weil man beim Aufbau immer auf Singularitäten stößt.
Beltrami hat allerdings zeigen können, dass man sie stückweise darstellt, wenn
man eine Traktrix um ihre Achse drehen lässt. Dieses zur anschaulichen Wiedergabe
der hyperbolischen Geometrie gültige Flächengebilde wurde Pseudosphäre genannt.
Klein hat nun Flächen der beiden Arten auf der Halbkugel gedeutet34 , und
zwar die hyperbolische Fläche auf der Kugelinnenseite. Alsdann hat er beide
Flächentypen in zwei Schritten konform auf die Blattebene projiziert. Die Abbildung
des Äquators hat er als projektive Maßbestimmung im Sinne von Cayley erklärt.
Wir heben hervor, dass sich auf der Blattebene Geraden von Kreisbögen projektiv
nicht unterscheiden. Weiter kürzt eine Projektion die Kugel um eine Ausdehnung,
denn sie wird dann als Kugeloberfläche verstanden. Zum Schluss werden sämtliche
euklidische bzw. nichteuklidische Strukturen auf dieselbe projektive Geometrie
plus eine für jede Metrik charakteristische quadratische Form reduziert. Es ist
hinterher spekuliert worden, dass sich auf Flächen von konstanter Krümmung
kongruente Bewegungen durch die Wörtchen elliptische, euklidische oder hyperbolische
kennzeichnen lassen. Das gilt ja nur bis sich die Bewegung aus der Struktur
erschließen lässt.
Was nun die Vermessung betrifft, verkürzen sich die Maßstäbe längs der
Geraden dieser Ebenen genau wie es Lorentz verlangte. Um längentreue Abbildungen
handelt es sich also nicht. Was Klein hat beweisen können ist, dass projektive
Abbildungen konforme Transformationen sind, und dass aus dem Bogenelement
im Sinne Riemanns stereographisch eine quadratische Form wird [11]. Zu diesem
Zweck hat Klein aber die von Von Staudt gar abstrakt gefasste Geometrie
herangezogen und sie pragmatisch ohne jede Metrik weiterentwickelt. Gelegentlich
dieser Entwicklung hat er nicht nur die nichteuklidischen Geometrien, sondern
auch die Geometrie der Lage sozusagen projektiv gedeutet.
5
Der Beitrag Felix Kleins zum Elektromagnetismus.
Klein selber hat sich sowohl zu den ballschen Schrauben (als Bewegungen),
als auch zur nicht-euklidischen Geometrie (als Raumstruktur) geäußert. Er hat
beide Male eine Quadrik in dieselbe synthetische projektive Geometrie, als die
allgemeinste Geometrie, einführt. In der speziellen Relativitätstheorie ist er
nun so verfahren, dass er Lorentzgruppe und elektromagnetische Gleichungen
zugleich eingetragen hat. Wie leicht einzusehen liegt, wenn beide Quadriken
identisch sind, nur eine Redundanz vor, weil dann die spezielle Relativitätstheorie
nach dem kleinschen Verfahren auf zweimalige Anwendung derselben Zutaten
beruht. Wenn die Quadriken obendrein nicht einmal mathematisch übereinstimmen,
fragt es sich, ob es gemeint ist, dass sie sich ineinander überführen lassen, oder
ob es irgendwelche naturwissenschaftlichen Gründe gibt, um die eine davon zu
33 Gemeint ist, dass die Wölbung zwei Hauptnormalenschnitten mit in entgegengesetzten
Richtungen weisenden Lotrechten besitzt.
34 Das Äquator stellt nur dann einen Rand dar, wenn die Halbkugel im euklidischen Raum
gedacht wird. Projektiv bildet aber die einseitige innere Halbfläche die ganze hyperbolische
Ebene ab. Deshalb wird das Äquator als Maßbestimmung gedeutet.
5
DER BEITRAG FELIX KLEINS ZUM ELEKTROMAGNETISMUS.
28
bevorzugen. Das ist angeblich der Sinn der im letzten Brief von 1917 an Einstein
gerichteten Frage. Aus dem Nachtrag von 1921 zur Arbeit von 1910 erhellt, dass
Klein, trotzdem er keine eigene Theorie zu bieten hatte, mit dessen Antwort
noch nicht einverstanden war. Ginge es nur darum, für die einsteinsche Theorie
irgendeine feste Anzahl von Raumdimensionen zu statuieren, dann wäre nach
so vielen Jahren und so vielen weiterführenden Entwicklungen Klein auf diesem
Gebiet nicht einmal mehr des historischen Erwähnens würdig. Er scheint aber
eine etwas kernhaltigere Fragestellung hinterlassen zu haben. Nämlich in etwa so:
wenn die maxwellschen Gleichungen zur Beschreibung der elektrisch wichtigen
Tatsachen reichen, kommen wir diesmal zwar nicht mit den uns jetzt gewohnten
räumlichen Vorstellungen aus, doch können wir hoffen, uns davon mit den uns
zur Verfügung stehenden Mitteln ein Modell zu verschaffen. Wenn aber die
einsteinschen Erwägungen notwendig dazu gehören, wird uns ein Hauptaspekt
unserer Welt unzugänglich bleiben. Ein frühes Beispiel zum angeführten Ideenkreis
sind die Versuche die Möglichkeit in ein vollständig abgesperrtes Zimmer hineinzudringen
und es wieder zu verlassen zu verdeutlichen. Diese Gabe scheint, trotzdem sie
den elektrischen Erscheinungen anhaftet, uns nicht gegönnt zu sein. Ferner ist
es, wegen der Vertauschung von links und rechts, in unserer Welt unmöglich
eine Spiegelung aus mechanischen Drehungen zusammenzubasteln. Trotzdem
können Spiegel rechts und links, und obendrein oben und unten vertauschen.
5.1
Zu den geometrischen Grundlagen der Lorentzgruppe
Die anfängliche Aussage Einsteins zur Kinematik bewegter Körper ging nicht
von einer vierdimensionalen Welt aus, sondern behandelte die Zeit als Messgröße
auf derselben Grundlage wie die Raumlagen. Das bedeutet freilich, dass auch
die Zeit zur dynamisch relevanten Veränderlichen wird, meint aber nicht, dass
sie geometrisch den Raumvariablen gleichzusetzen sei. In diesem Sinn ist die
vierdimensionale Welt erst von Minkowski aufgestellt worden.
Das Verhältnis der Theorie zum Experiment. – Laut Einstein sind
theoretische Ansätze letzten Endes auf Messvorschriften zu stützen, weil Vermessungen
die ganze Verknüpfung zur Wirklichkeit ausmachen. Somit erwartet man, dass
die Relativitätstheorie genau mit getroffenen Messvorschriften übereinstimmen
soll. Aus welchem Grund auch immer, unterscheidet sich aber das Simultaneitätsprinzip
nicht nur von der absoluten Zeit Newtons, sondern auch von den zur Festlegung
der Zeitzonen tatsächlich gefassten Bestimmungen.
Das 1. Prinzip. - Einstein hat zwei Prinzipien, denen alle physikalischen
Gesetze unterstellt sein sollen aufgestellt.
Das 1. Prinzip verlangt, dass die physikalischen Gesetze für eine bestimmte
Klasse von Beobachter analytisch unverändert lauten. Das hat Minkowski auf
vier gleichberechtigte Argumente x, y, z, it(c = 1) übersetzt. Trotzdem Klein
bestimmt nicht glaubte, dass ict in der pseudo-euklidischen Geometrie eine
wirkliche, unversehens der Außenwelt anzuhängende Ausdehnung bedeuten sollte,
enthält das von ihm für die Lorentzgruppe vorgeschlagene Modell 5 homogene
projektive Punktkoordinaten xk , k = 1, 2, 3, 4, 5, wie dasjenige von Kaluza und
O. Klein. Nur stimmt bei F. Klein die ,,physikalische Dimension“ mit der Anzahl
der Argumente der zugehörigen affinen Mannigfaltigkeit, d.h. x = x1 /x5 , y =
x2 /x5 , z = x3 /x5 und ict = x4 /x5 , überein. Was gibt es aber physikalisches
an einer Dimension? Wenn es ohnehin um Doppelverhältnisse geht, lassen sich
Geometrien von 4 auf 3 oder 2 Ausdehnungen projizieren. Besteht man unbedingt
5
DER BEITRAG FELIX KLEINS ZUM ELEKTROMAGNETISMUS.
29
auf 4 physikalisch relevante Größen, so gibt es bereits im projektiven Raum von
3 Dimensionen vierdimensionale Gebilde. Im synthetisch-geometrischen Raum
gibt es ∞4 reelle Linien, so dass der uns gewohnte geometrische Raum bezüglich
der Linien 4-dimensional ist. Dementsprechend hat Plücker eine beliebige Gerade
im kartesischen Punktraum (ξ, η, ζ) durch die zwei Gleichungen: ξ = xζ + y,
η = zζ + t analytisch ausgedrückt, weshalb dem Linienraum die rechtwinkligen
inhomogenen Punktkoordinaten x, y, z, t einer vierfach ausgedehnten Mannigfaltigkeit
zugeschrieben werden können.
Da sich die elektromagnetischen Sätze im Vakuum, wie wir demn. zeigen,
synthetisch-geometrisch als Nullsystem darstellen lassen, drücken E und H
Koordinaten von Liniengebilden aus, und die Invarianz des maxwellschen Gleichungssystem
besagt, dass Schraubungen35 ein Linienkomplex in sich überführen.
Das 2. Prinzip. - Das 2. Prinzip schildert aufgrund eines Gedankenexperiments
die Bedingung von der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit beim Signal analytisch
als Invarianz von x2 + y 2 + z 2 − c2 t2 . Nach der Weise, wie es Einstein eingeführt
hat, liegt es nahe darunter die infinitesimale metrische36 Bedingung für das
Bogenelement nach Riemann zu verstehen.
Die lorentzsche Maßbestimmung ist auf die kanonische Form37 . Lägen ihr
reelle homogene projektive Koordinaten zugrunde, entspräche sie einer ovalen
Fläche in einer 3-dimensionalen Mannigfaltigkeit. Wenn man aber zur Aufrechterhaltung
von metrischen Größen verlangt, dass das unendlichferne Gebiet in sich selbst
übergeführt werden muss, handelt es sich eines in affinen Koordinaten ausgedrückten
nullteiligen Hyperkegels, d.h. eines einmal ausgearteten Gebildes in einer vierdimensionalen
Mannigfaltigkeit.
Maßbestimmung und Raum. – Nehmen wir an, der Raum lasse sich
mittels der drei Punktkoordinaten x, y und z darstellen. Dann werden Flächen
im allgemeinen durch ebendiese Koordinaten ausgedrückt. Klein verbindet die
Geometrie auf einer in diesem Raum eingebetteten Fläche mit der auf ihm
geltenden Messvorschrift, indem er die ihr entsprechende Metrik an eine quadratische
Gleichung knüpft. Er setzt zwei reelle Wurzeln mit der Existenz zweier Parallelen,
und also mit der Geometrie von Gauß, Bolyai, Lobatschefsky in Verbindung.
Zwei imaginäre Wurzeln bezieht er auf eine riemannsche Geometrie (Metrik auf
der Kugel), und er denkt sich den Übergangsfall einer doppeltzählenden reellen
Wurzel mit unserer Raumanschauung übereinstimmend.
Seit Gauß ist es bekannt, dass sich Flächeneigenschaften, darunter die metrischen
Verhältnisse, auch mittels Flächenkoordinaten u, v, angeben lassen. Es lassen
sich nun über die sogenannten intrinsischen Koordinaten alle gewölbten, und
trotzdem auf den euklidischen Raum abwickelbaren Räume, durch eine Transformation
des Quadrats des Bogenelements auf allgemeine inhomogene Koordinaten wie
folgt bestimmen: dx2 + dy 2 + dz 2 = Q1 dq12 + Q2 dq22 + Q3 dq32 + 2Q2 3dq2 dq3 +
2Q3 1dq3 dq1 + 2Q1 2dq1 dq2 , wobei Qi = (∂x/∂qi )2 + (∂y/∂qi )2 + (∂z/∂qi )2 , und
35 Es
handelt sich hier der projektiven Bewegungsgruppe.
führt diese Auffassung der Maßgrößen auf Cayley zurück. Der Geometer M.
Pasch war fest überzeugt, dass Metrik und Infinitesimalrechnung, wegen der Definition von
Häufungspunkt, unvereinbar seien. Davon angeregt, hatte daraufhin Klein seine invariante
Quadrik zur Festlegung der Metrik eingeführt. Doch kann man die maßbestimmende Quadrik
selber, ganz entgegen dem Laut des 2. Prinzips der Relativität, nicht metrisieren.
37 Nur nicht ausgeartete quadratische Gebilde ergeben dieselbe Figur wenn sie als Punkte
(Gebilde zweiter Ordnung), oder als Tangentialebenen (Gebilde zweiter Klasse) erhalten
werden. In diesem Fall benutzt Klein den Namen ,, Gebilde zweiten Grades“ für beide (Nichteuklidische S. 85).
36 Klein
5
DER BEITRAG FELIX KLEINS ZUM ELEKTROMAGNETISMUS.
30
Qi j = (∂x/∂qi )(∂x/∂qj )+(∂y/∂qi )(∂y/∂qj )+(∂z/∂qi )(∂z/∂qj ). Die Ausdrücke
der Bogenelemente für nichteuklidische Räume38 leisten genau dasselbe, bis
diese Räume ohne Dehnung übereinander abgerollt werden können. Aber jene
Räume sind der Theorie nach auf eine Weise gewölbt, die es verhindert, die
oben angeschriebene Gleichung für die Transformation eines Bogen auf einen
,,flachen“ Raum metrisch anzuwenden. Intrinsische Koordinaten lassen nur zur
ersten Näherung nichteuklidische Ausdrücke auf den euklidischen Raum beziehen,
wobei diese Näherung nicht mit Differentialausdrücken zu verwechseln ist.
Klein hat nun zwecks der Bestimmung von Bewegungsgruppen und dergleichen
den Ausdruck des Bogenelements schon für die spezielle Relativität mathematisch
als projektive Maßbestimmung gedeutet39 . Da die projektive Geometrie auf
lineare Gebilde gründet, wird das Bogenelement auf ihr nicht infinitesimal ausgedrückt.
Statt dessen übertragen sich die Eigenschaften des zur Einführung einer Metrik
nötigen Bogenelements, da sich in unausdehnbaren Mannigfaltigkeiten von konstanter
Krümmung Umgebungen unermesslich entfernter Stellen durch nichts von der
Umgebung des Ursprungs unterscheiden, vom unendlichkleinen Bereich gleich
auf den ganzen Raum. Das projektive quadratische Gebilde Cayleys liegt folglich,
auch wenn es im Endlichen erscheint, in unermesslicher Entfernung. Es gibt
einen weiteren Unterschied zwischen differentialer und projektiver Geometrie.
Weil sich aus derselben Halbkugel sowohl eine elliptische als auch eine hyperbolische
Maßbestimmung auf dieselbe Ebene konform projizieren lassen, sind die drei
Flächentypen, abgesehen von ihrer Maßbeziehung, projektiv ununterscheidbar.
Das lässt sich wohl aus dem Umstand erklären, dass die projektive Gerade in
sich geschlossen ist, und parallele Geraden projektiv zusammenlaufen. Wenn wir
diese Überlegung auf den Raum erweitern, dann lassen sich aber projektiv die
drei Geometriearten konform aufeinender projizieren.40 .
Zum projektiven Raum von vier Dimensionen. - Ist der (synthetische)
Raum vierfach ausgedehnt, dann gilt die projektive duale Entsprechung der
Gebilde: Punkt ⇔ Ebene, Gerade ⇔ Gerade nicht mehr, und es tritt an seine
Stelle: Punkt ⇔ Raum, Ebene ⇔ Gerade in Kraft. Bekanntlich führen auch
die Koordinatensubstitutionen zu etwas unterschiedliche Bewegungen. In vier
Dimensionen kommen nämlich zentro-affin lauter Drehungen, darunter auch
Drehungen um Ebenen, in Frage. In drei affinen Dimensionen sind dagegen
Spiegelungen davon abzuscheiden. Das kommt freilich projektiv auf dasselbe
hinaus, wenn man bedenkt, dass ein ,,Kubus“ in einer vierfach ausgedehnten
Welt auch Drehungen durchführt, die, wenn sie auf den uns gewohnten Raum
projiziert werden, Spiegelungen bewirken. Aber diese Überlegung erfordert eine
projektive Auffassung der Bewegungen, welche die Mechaniker bisweilen noch
nicht in Betracht gezogen zu haben scheinen. Um jenen Standpunkt mit einem
Ausdruck aus Klein 1910 wiederzugeben, scheinen immerhin alte und neue 41
Mechanik auf zwei experimentell voneinander unterscheidbare raumzeitliche
Strukturen zu führen.
Wir möchten diese Einsicht ergänzen. Falls unsere Welt, aus welchem Anlass
auch immer, eine überschüssige Ausdehnung besitzen sollte, wären in ihr Drehungen
38 Parallelen
sind von Haus aus eigentlich nur auf ebene Flächen definiert.
besagt, dass er eigentlich die pseudoeuklidische Geometrie der speziellen
Relativitätstheorie noch vor der Diskussion zwischen Einstein und De Sitter über die
massenbedingte Raumkrümmung als Maßbestimmung behandelt hat.
40 Die projektive Geometrie unterscheidet Längenmessungen nicht von Winkelmessungen.
41 D.h. die Elektrodynamik.
39 Das
5
DER BEITRAG FELIX KLEINS ZUM ELEKTROMAGNETISMUS.
31
um Ebenen tatsächlich durchführbar. Diese Drehungen können wir mit den uns
zur Verfügung stehenden Mitteln experimentell nicht nachweisen. Wird aber
die einsteinsche Forderung, was Maßstäbe und Uhren betrifft, gestrichen, dann
ist das kleinsche Modell nicht mehr metrisch, sondern projektiv eingebettet.
Wegen des hier erfüllten Dualitätsprinzip werden aus unserer Sicht Punkte mit
Ebenen vertauschbar, und somit werden Drehungen um Ebenen dualisiert. Sie
werden mit unseren Mitteln eben als Spiegelung – Projektion der überzähligen
Ausdehnung in unsere Welt - nachgewiesen. Es erhellt zugleich, warum man
mehr Aussichten die optischen Erscheinungen zu verstehen hat, wenn man beispielsweise
Spiegelungen nicht unbedingt als mechanische Drehungen begreifen will42 .
Aus den eben angegebenen Gründen gehören die von Einstein verlangte
Signalinvariante (2. Gesetz) sowie die Kovarianz der elektromagnetischen Gleichungen
(1. Gesetz) in der kleinschen Deutung in demselben projektiven synthetischen
Raum.
Entweder lassen sich die elektromagnetischen Gesetze43 auf dasselbe Fundamentalgebilde
bringen, oder ihre Quadriken können nicht durch reelle Kollineationen ineinander
übergeführt werden, und bestimmen eventuell unterschiedliche Bewegungsgruppen.
Die strenge Einteilung der quadratischen Formen nach dem Trägheitsindex gilt
aber nur, bis man keine imaginären Substitutionen zulässt, was wir wegen ict
und des Ausdrucks der Wellengleichung besonders hervorheben.
5.2
Zu den maxwellschen Gleichungen in der hertzschen
Bezeichnung
[12]
Unter elektromagnetisches Gleichungssystem wird vielfach Verschiedenes gemeint44 .
Obwohl es also Maxwell anfangs aus den Versuchen Faradays abgeleitet hat,
scheint die genaue Form, in der es den Beobachtungen entsprechen soll, nicht
ganz fest zu sein. Die heute fasst universell als fundamentale Lehrsätze des
klassischen elektromagnetischen Feldes anerkannte Gleichungen sind immerhin
Differentialgleichungen. Sie stellen Beziehungen zwischen 4 Feldveränderlichen
E, D, H und B dar, und den Gleichungen geht meistens ein Kapitel über
Vektorrechnung voran. Der Deutlichkeit halber stellen wir sie deshalb für das
Vakuum, unter Benutzung der Ausdrücke E und B für die elektrische Feldgröße
und die magnetische Induktion respektive, im gaußschen Maßsystem wieder
zusammen. Daneben tragen wir gleich deren Bezeichnung nach Hertz, wie wir
sie aus Kleins Arbeit von 1910 entnommen haben, und wie sie übrigens auch in
der grundlegenden einsteinschen Arbeit von 1905 stehen. Wir meinen natürlich
nicht, dass die hertzschen Ausdrücke (rechts), wie wir sie aus der kleinschen
Arbeit abgeschrieben haben, die elektromagnetischen Gleichungen (links) in
kartesischen Komponenten ausdrücken.
42 Schließlich dürfen optische Messungen wohl nicht ohne irgendeine Eichung als ,,metrisch“
bezeichnet werden.
43 Beim Nullsystem sind die Quadriken einschalige Hyperboloide.
44 Maxwell
selber könnte Integralgleichungen über topologisch nicht einfach
zusammenhängende Gebiete gemeint haben. Er hatte, da er die faradaysche Induktion
zu erklären trachtete, zeitabhängige Erscheinungen im Sinn. Das kommt hier nicht mehr zur
Diskussion. Allerdings hat er die vektorielle Potentialfunktion A eingeführt.
5
DER BEITRAG FELIX KLEINS ZUM ELEKTROMAGNETISMUS.
32
Coulombscher
Satz.
Keine
freien elektrischen
Ladungen
∇×E=0
∂X/∂x + ∂Y /∂y + ∂Z/∂z = 0
Maxwellampèrescher
Satz
1/c∂E/∂t = ∇ × B
1/c∂X/∂t = ∂M/∂z − ∂N/∂y
1/c∂Y /∂t = ∂N/∂x − ∂L/∂z
1/c∂Z/∂t = ∂L/∂y − ∂M/∂x
Faradayscher Satz
1/c∂B/∂t = −∇ × E
1/c∂L/∂t = −[∂Y /∂z − ∂Z/∂y]
1/c∂M/∂t = −[∂Z/∂x − ∂X/∂z]
1/c∂N/∂t = −[∂X/∂y − ∂Y /∂x]
Keine
freien
magnetischen
Pole
∇·B=0
∂L/∂x + ∂M/∂y + ∂N/∂z = 0
Deutung der in den Grundgleichungen gemeinten Größen. – Die
elektromagnetischen Veränderlichen von heute und damals entsprechen auch
ihrer Deutung nach einander kaum, obwohl die meisten Autoren nach wie vor
zu einer energetischen Interpretation kommen. Heute schreibt man den E- und
B- Felder dualistisch etwa eine Teilchennatur zu. Damals hat H. Hertz das
,,mechanische Äquivalent“ der Elektrizität vor Augen geschwebt. Der Einheitlichkeit
der äquivalenten mechanischen Wirkung wegen, hat er ohne weiteres unter
E immer die elektrostatische Kraft zwischen Ladungen verstanden. Aber er
hat die Wesensgleichheit, was das mechanische Äquivalent betrifft, durchaus
allgemeiner gefasst, da er auch H mit E für wesensgleich hielt, und insbesondere
annahm, dass sich der lineare Magnetismus vollständig durch die elektrische
Kraft aufheben lasse. Deshalb hat er 1884 elektrische und magnetische Kräfte
aus derselben Potentialfunktion A abgeleitet. Das sieht unter Zugrundelegung
der maxwellschen Eichung divA = 0 für das Strahlungsfeld ungefähr folgendermaßen
aus. Die Ausdrucksweise des coulombschen Satzes (rechts) lautet: divE = −(1/c)div(dA/dt) =
−(1/c)d(divA)/dt = 0, sofern die räumlichen Koordinaten nicht von der Zeit
abhängen. Gibt es weiter nur geschlossene Ströme und keine magnetischen Ladungen,
dann heißt es in vektorieller Schreibweise divJ = 0 und (wegen B = µ0 H,
µ0 = 1)divH = 0, was wiederum H = rotA bedeutet. Der faradaysche Lehrsatz
(rechts) folgt nun aus dH/dt = d(rotA)/dt = rot(dA/dt) = −crotE. Das
ampère-maxwellsche Gesetz (1/c)J = (1/c)∂E/∂t = rotH, wobei J = dE/dt 45 ,
hängt dann direkt mit der Wellengleichung: ∆A−1/c2d2 A/dt2 = 0 zusammen46 .
Diese Vereinbarung durchschaut man nicht mehr, wenn man nachträglich E in
V /m und B in W b/m2 misst.
Nullsystem und Spannungsflächen. – Nachdem A. Möbius begriffen
hatte, dass die graphische Statik nicht ohne Weiteres auf den Raum zu erweitern
ist, und außerdem auf Zeichenkunst47 fußt, hat er das Nullsystem in Betracht
gezogen. Somit hat er die Statiklehre, ob sie mit den Naturwissenschaften irgend
45 Erst
beim Ringintegrieren tritt die Konstante 4πN c hinzu.
könnte mit Bezug zur Wellengleichung faradayschen und ampère-maxwellschen
Lehrsatz als Existenzbedingungen für A halten.
47 Man könnte, trotzdem es aus Eschers Zeichnungen wohl hervorzugehen scheint, manche
seiner Gebäude tatsächlich nicht zum ,,stehen“ veranlassen.
46 Man
5
DER BEITRAG FELIX KLEINS ZUM ELEKTROMAGNETISMUS.
33
zu tun hat oder nicht, mathematisch begründet, und bildlich als geometrisches
Modell untermauert. ,,Nullsystem“ ist deswegen der in Bezug auf die Anwendungen
der Statik geprägte Beiname des linearen Komplexes, einer Geometrie, welche
keinen Anspruch auf Ähnlichkeit mit der von uns bewohnten Welt hat. Von Haus
aus ist das Nullsystem eine besondere projektive Raumverwandtschaft, die sich
rein synthetisch behandeln lässt. Laut Möbius ist der projektive geometrische
Raum starr, weshalb ein gegebenes Kräftesystem im Prinzip für jeden Raumpunkt
berechnet werden kann, sobald es für eine genügende Anzahl von Punktlagen
bekannt ist. Als projektive Verwandtschaft genügt das Nullsystem, weil Längenund Winkelmaß übereinstimmen, dem Dualitätsprinzip Punkt ⇔ Ebene (wobei
dual die Gerade sich selbst entspricht), und dem Invarianzprinzip des Doppelverhältnisses
zwischen je 4 mit einer Geraden inzidierenden Punkten/Ebenen.
Es werden beim Nullsystem Quadriken mit der Eigenschaft ausgezeichnet,
dass jede ihrer Berührungsebenen den ihr durch die Verwandtschaft entsprechenden
Punkt enthält, und umgekehrt. In der Statiklehre wird diese Besonderheit, ohne
weiter auf die dualen Beziehungen Rücksicht zu nehmen, sowohl zur Befriedigung
der Fundamentalgleichungen als auch zur Ermittlung der Belastung von Fachwerken
benutzt.
Als Klein 1904 über reziproke Diagramme in den maxwellschen Fachwerken zu
sprechen kommt, notiert er, dass der Statik zuliebe die Achsen des reziproken
Diagramms in dem cremonaschen Kräfteplan um einen rechten Winkel im Uhrzeigersinn
gegenüber denen des maxwellschen Diagramms gedreht sind. Infolge der Drehung
sieht die Raumverwandtschaft zwischen direkter und reziproker Figur anders,
und insbesondere sind die Fundamentalgebilde mit der Besonderheit, dass ihre
Punkte auf der jeweiligen dualen Ebene liegen auch unterschiedlich. Die räumlichen
Gebilde, für welche diese Beziehung in der Statik gilt, sind nun die ausgezeichneten
Quadriken des Nullsystems. Sie sehen, infolge einer Drehung, anders als die
maxwellschen Spannungen aus.
Weil durch Angabe einer invarianten Quadrik duale und reziproke Zuordnung
vollkommen bestimmt werden, kann die Verwandtschaft stets auf den ganzen
Raum erstreckt werden. Deshalb ersetzt die Auszeichnung auch eines einzigen
Grundgebildes, unter Ausfall des Punkt-Ebene-Inzidenz Merkmales für die dann
nicht auf dem Gebilde liegenden Punkte, geometrisch das statische Feld. Der
Unterschied zwischen metrischer und projektiver Auffassung besteht darin, dass
das metrische, jedoch nicht das projektive Gebilde normalisiert werden kann.
Projektiv hat man immer mit unendlich vielen Grundgebilden zu rechnen.
Synthetisch-geometrische Gestalt des Nullsystems. – Das Nullsystem
ist hauptsächlich eine räumliche lineare Gruppierung von dreifach unendlich
vielen Geraden, die aus Kreisregelschargebilden besteht. Weil es sich nicht auf
die Blattebene einer Zeichnung [13]48 abbilden lässt, stellt es sozusagen eine
Erweiterung der statischen Graphik auf räumliche Verhältnisse dar, wobei die
Graphik gleichsam ausfällt. Obwohl es keine Figur im euklidischen Sinn darstellt,
haben wir es teilweise49 auf ein Stück Papier gezeichnet. Wir meinen die in Abb.
1 (s. auch Abb. 2) dargestellte Projektion eines als Regelschar abgebildeten
einschaligen Hyperboloids.
Die Leitlinien sind lauter paarweise einander zugeordnete Polaren in Bezug
48 R. Descartes nennt auf S. 302 seines Buches die ebene Geometrie ,,gewöhnliche
Geometrie“.
49 Das volle Gebilde ist ein projektives Torus. Geometrisch als riemannsches Gebilde
aufgefasst, hieße es elliptisches Gebilde.
5
DER BEITRAG FELIX KLEINS ZUM ELEKTROMAGNETISMUS.
34
Abbildung 1: Einschaliges Hyperboloid. Die Tetraederkanten, welche Leitlinien
bilden, gehören verschiedenen Gewinden an.
Abbildung 2: Kreiszylinder. Eine der Achse koaxiale Hüllfläche. Sind die
Punkte auf den Kreisumfängen Nullpunkte, dann ist das Tetraeder aus 4
Nullebenen herausgeschnitten. Die Nullebenen schneiden einander zu je 2 längs
der Kreisdurchschnitte. Die Tetraederkanten, welche keine Kreisdurchschnitte
sind, gehören 2 verschiedenen Regelschargewinden an.
5
DER BEITRAG FELIX KLEINS ZUM ELEKTROMAGNETISMUS.
35
Abbildung 3: Einschaliges Hyperboloid. Einander zugeordnete Polaren.
auf die Zentralachse, die wir in Abb. 2 hervorgehoben haben. Wir haben, auf sie
stützend, auch ein Bezugstetraeder, gebildet. Diejenige Ebene, in der sich die
zwei fett durchgezogenen Tetraederkanten kreuzen, ist eine Tangentialebene. Ist
sie eine Nullebene, so kommt der mit ihr vereinigte duale Punkt, der Nullpunkt,
auf ihr zu liegen. Er ist Mittelpunkt sämtlicher Nullachsen auf seiner Nullebene,
also insbesondere ist er Nullpunkt einer der durch ihn hindurchgezeichneten
Regelscharlinien. Wenn man Schraubentransformationen zulässt, kommen auf
dieser Hüllfläche sämtliche Nullpunkte auf die Regelschar mit derselben Neigung
zu liegen. Das Tetraeder scheint hier, wie das Hyperboloid, ein festes Volumen zu
besitzen, aber es sieht halt bei dieser Projektion so aus. Es ist darüber hinaus gar
nicht gemeint, dass eine projektive Schraubung, d.h. eine lineare Übertragung
des ganzen Raumes in sich, gerade dieses Tetraeder in sich überführt. Aus Abb.
3 erhellt, warum Tetraeder projektiv reine Illusionen oder, um uns mit Möbius
Worten auszudrücken, reine außergewöhnliche Polyeder sind. Wäre nicht das
Dualitätsprinzip, wobei dann jeder Punkt sozusagen auf die ihm entsprechende
Ebene projiziert wird, so könnten die beiden Regelscharen derart gestellt werden,
dass das einschalige Hyperboloid ausartet und mithin den projektiven Raum
stürzt.
Ungeachtet der Schwierigkeit, das Nullsystem auf einem Blatt Papier darzustellen,
kann es analytisch charakterisiert werden. Führt man homogene Punktkoordinaten
x, y, z, t für eine dreidimensionale Mannigfaltigkeit ein, dann lässt es sich auf
das fundamentale Tetraeder analytisch beziehen. Es seien dazu zwei beliebig
auf einer gegebenen Gerade des Systems liegende Punkte P → (x, y, z, t) und
P ′ → (x′ , y ′ , z ′ , t′ ) angenommen. Dann lassen sich die ebenfalls homogenen
Linienkoordinaten bezüglich dem Tetraeder folgendermaßen ausdrücken: X =
xt′ − tx′ , Y = ty ′ − yt′ , Z = zt′ − tz ′ , L = yz ′ − zy ′ , M = xz ′ − zx′ und N =
xy ′ − yx′ . Wir haben unten in Abb. 4 die Koordinaten eines weiteren Tetraeders
projiziert. Die Koordinaten X : Y : Z : L : M : N befriedigen in diesem Fall die
spezielle Gleichung XL + Y M + ZN = 0 identisch, und bestimmen somit eine
beliebige Linie des Nullsystems durch 4 Linienkoordinaten nach Graßmann. Wir
haben aber die Linienkoordinaten aus derselben Gerade P P ′ berechnet. Wenn
wir statt dessen verlangen, dass eine bestimmte Linie X0′ : Y0′ : Z0′ : L′0 : M0′ : N0′
5
DER BEITRAG FELIX KLEINS ZUM ELEKTROMAGNETISMUS.
36
Abbildung 4: X:Y:Z:L:M:N als Linienkoordinaten im speziellen Fall.
geschnitten werde, lautet die Gleichung X0′ L+Y0′ M +Z0′ N +L′0X+M0′ Y +N0′ Z =
0. Die allgemeine bilineare Gleichung XL′ +Y M ′ +ZN ′ +LX ′ +M Y ′ +N Z ′ = 0
bestimmt schließlich sämtliche konjugierte Leitlinien.
Ableitung des maxwellschen Satzes von Gleichungen aus dem Nullsystem.
– Wenn man die eingangs gegebenen formellen Ansätze des Elektromagnetismus
und der Statik miteinander vergleicht, so scheint die erste Theorie nicht sowohl
auf dynamische als auf kinetische Grundsätze gegründet. Das bedeutet, dass
man bezüglich der Gleichungen die Vereinbarung E ⇔ (X, Y, Z) und H ⇔
(L, M, N ) trifft (wir bemerken dabei gleich, dass mitunter auch die andere
Zuordnung getroffen worden ist). Ferner lauten die Linienkoordinaten: Ex :
Ey : Ez : Hx : Hy : Hz , und man kann die für das Nullsystem typische
bilineare Gleichung auf elektromagnetische Koordinaten laut: Ex Hx′ + Ey Hy′ +
Ez Hz′ + Hx Ex′ + Hy Ey′ + Hz Ez′ = 0 ausdrücken. Deswegen dürfte die Einführung
infinitesimaler Transformationen, etwa Ex ds = −dV usw., und V = T dx/ds
usw., wobei T die nach den Koordinatenachsen zerlegte Spannung bedeutet,
insbesondere wenn man die Gültigkeit des Doppeltverhältnisses dE/E = dH/H
im Betrag voraussetzt, kaum von Belang sein. E und H modellieren gleichwohl
nach statischem Ermessen keine sich ausbreitenden Lösungen, sondern bestenfalls
Momentbilder von sehr langsam veränderlichen mechanisch wirkenden Größen
dar. Hingegen beruht die Deutung, im markanten Unterschied zur Dynamik, wo
beliebige, jedoch für einen partikulären Massenpunkt kennzeichnende Anfangsbedingungen
aufgelistet zu werden brauchen, auf das Entsprechen der 6 Koordinaten mit
sechs für die Unbeweglichkeit notwendigen Bindungen. Das sind bestimmt keine
physikalischen Bedingungen für das Einhalten des Gleichgewichts, wie es Ausdehnung
und Undurchdringlichkeit der (starren) Körper es sind. Deshalb sind diese Bindungen
stets mit Schraubungen, will sagen, Raumtransformationen verträglich.
Zumal wir keine Deutung der Gleichungen nach statischen Ansichten erstreben,
sondern uns ausschließlich für die Zulässigkeit des kleinschen Gedankengangs
interessieren, geht es uns vorzüglich darum den Gleichungen einen geometrischen
Gehalt innerhalb des Nullsystems zu verleihen. Sollte der Satz von Gleichungen
relational im Sinne F. Kleins erstellt werden, dann wäre dass Nullsystem sowieso
als rein geometrische Raumverwandtschaft aufzufassen50 . Dazu wählen wir ohne
50 Je nach der gewählten Invariante mögen die Linien irgendeine andere quadratische
Regelschar bezeichnen. Während nun das maxwellsche Modell auf Schraubensymmetrie
5
DER BEITRAG FELIX KLEINS ZUM ELEKTROMAGNETISMUS.
37
irgendwelche Begründung die am Anfang dieses Kapitels ausgestellte Differentialform.
Die Gleichungen lesen wir folglich als:
Coulombscher
Satz, keine freien
Ladungen
λE1 + µE2 + νE3 = 0
∂X/∂x + ∂Y /∂y + ∂Z/∂z = 0
Maxwellampèrescher
Satz
ρE1 = µ′ H2 − ν ′ H3
σE2 = ν ′ H3 − λ′ H1
τ E3 = λ′ H1 − µ′ H2
1/c∂X/∂t = ∂M/∂z − ∂N/∂y
1/c∂Y /∂t = ∂N/∂x − ∂L/∂z
1/c∂Z/∂t = ∂L/∂y − ∂M/∂x
Faradayscher Satz
ρ′ H1 = −[µE2 − νE3 ]
σ ′ H2 = −[νE3 − λE1 ]
τ ′ H3 = −[λE1 − µE2 ] 51
1/c∂L/∂t = −[∂Y /∂z − ∂Z/∂y]
1/c∂M/∂t = −[∂Z/∂x − ∂X/∂z]
1/c∂N/∂t = −[∂X/∂y − ∂Y /∂x]
Keine
freien
magnetischen
Monopole
λ′ H1 + µ′ H2 + ν ′ H3 = 0
∂L/∂x + ∂M/∂y + ∂N/∂z = 0
Nach diesen Glossen seien Pi = (xi , yi , zi ), i = 0, 1, 2, 3 vier Punkte mit den
inhomogenen Koordinaten x, y, z. Es werden die Bedingungen niedergeschrieben,
unter welchen eine durch sie hindurchgehende Gerade mit ρEi = (xi − x0 , yi −
y0 , zi − z0 ) = (Ei x, Ei y, Ei z) gleichgerichtet ist. Durch P1 geht die durch das
Verhältnis (x − x1 )/E1 x = (y − y1 )/E1 y = (z − z1 )/E1 z bestimmte Gerade
g1 , was die drei folgenden Gleichungen ergibt: E1 x(y − y1 ) = E1 y(x − x1 ),
E1 x(z − z1 ) = E1 z(x − x1 ), E1 y(z − z1 ) = E1 z(y − y1 ). Ganz auf dieselbe
Weise lassen sich zu ρE2 und ρE3 gleichgerichtete Geraden g2 und g3 durch die
Punkte P2 und P3 respektive anlegen. Da wir die ρEi sämtlich durch P0 gewählt
haben, kann man natürlich einen Bündel durch P0 definieren. Drückt man den
Bündel als λE1 + µE2 + νE3 = 0 aus, so bestimmt P0 + λE1 = 0 außer P1 noch
weitere Punkte P1′ , P1′′ , u.s.w., so dass, wenn wir P3 − P2 = H1 , P1 − P3 = H2 ,
P2 − P1 = H3 nennen, sich die Strahlen µ′ H2 − ν ′ H3 = 0 (längs der ρE1
Geraden), ν ′ H3 − λ′ H1 = 0 und λ′ H1 − µ′ H2 = 0 (längs der beiden anderen
Geraden) weiterhin in P0 treffen. Wir haben das in Abb. 5 zu wiedergeben
versucht. In Abbildung 5 ist Ei als Geradenbündel durch einen Punkt, Hi aber
als ebenes Dreiseit zu verstehen. Wenn diese Ausdrücke nicht verschwinden,
werden P1′ P2′ P3′ , P1′′ P2′′ P3′′ usw. keine Dreiecke. Nach demselben Theorem von
Desargues bestimmt man dual, dass sich die gleichnamigen Schenkel zweier
Dreiseiten H1 H2 H3 , und H′1 H′2 H′3 auf einer Achse kreuzen. Diese Punkte sind
die Büschelmittelpunkte von νE3 −µE2 = 0, λE1 −νE3 = 0 und µE2 −λE1 = 0.
Eine Drehung um eine Achse findet aber im Nullsystem im Allgemeinen nicht
statt.
Da der Satz von Desargues nach den oben geschriebenen Gleichungen für alleinstehende
Tripel Ei und Hi nicht zur Geltung kommt, zeigt die am Anfang stehende
gründet, ist Kleins Einführung der Imaginären Geraden für die Darstellung der Bewegungen
wichtig, weil sie die Mittel an die Hand gibt, die Quadriken ineinander zu überführen.
51 Das Minuszeichen deutet an, dass das Dreieck im Vergleich zum vorangehenden Fall
mit umgekehrten Sinn um die Achse dreht. In der Abbildung scheint das Dreieck dabei
umzuklappen. Aber der Satz von Desargues ist projektiv.
5
DER BEITRAG FELIX KLEINS ZUM ELEKTROMAGNETISMUS.
38
Abbildung 5: Zum Theorem von Desargues.
Abbildung 6: Kräfteparallelogramm nach Möbius.
Übersicht einen Satz Gleichungen, deren Verwandtschaft weder Fluchtpunkt
noch -Achse zulässt. Das Nullsystem besitzt diese Eigenschaft.
Fundamentalgleichungen der Statik. – Möbius hat das Nullsystem auf
den Fall angewendet, dass zwei zueinander windschiefe Kräfte auf einen (geometrischen)
Körper wirken, und die Gleichgewichtsstellungen untersucht. Um dabei polare
und axiale Vektoren nicht miteinander addieren zu müssen, hat er bereits in der
Ebene aus dem Kräfteparallelogramm herausgelesen, dass sich im Gleichgewicht
zwei einander entgegengerichtete Paare bilden, die sich nach Abb. 6 stets das
Gleichgewicht halten. Mit dieser Festsetzung schließen in der Ebene Kraftvektoren
immer orientierte Flächen ein. Dieser Begriff lässt sich nun auf das allgemeinste
System von zueinander windschiefen Kräften im Raum erweitern. Wenn man die
Darstellung auf den Raum überträgt, können zwar Flächen ein Volumen fassen,
dem eine relative Zahl als Inhalt zukommt. Jedoch wird dann dieselbe Kante
aus zwei angrenzenden Flächen jeweils in umgekehrter Richtung durchgelaufen.
Möbius hat obendrein gelegentlich darauf aufmerksam gemacht, dass man Flächen
mit sich kreuzenden Kanten sogar keinen festen Wert des Flächeninhalts mehr
verleihen kann. Dieses Problem tritt für Körper mit einseitigen Flächen ein, da
sie lauter außerordentliche Polyeder sind. Beiläufig wollen wir noch erwähnen,
dass man darum historisch das projektive Linienelement als Raumelement angenommen
hat, weil es selbstdual ist.
Die Fundamentalgleichungen der Statik lauten, wenn sie weder sämtlich von
einem Punkt ausgehen (Resultante), noch sich auf eine einzige Ebene reduzieren
(Paar): R = 0 und M = 0. Möbius hat darauf hingewiesen, dass es möglich ist
zwei windschiefe Kräfte auf eine einzige Weise auf eine Resultante R und ein
gleichgerichtetes Kräftepaar M zu reduzieren. Das entspricht etwa der Transformation
5
DER BEITRAG FELIX KLEINS ZUM ELEKTROMAGNETISMUS.
39
von Abbildung 1 zu Abbildung 3 auf der Walze. War die Nullachse anfangs für
das statische Gleichgewicht kennzeichnend, so werden durch die Verwandtschaft
sämtliche Leitlinien auf der gezeichneten Hüllfläche Nullachsen.
Geometrische Symmetrien und Prinzipien der Dynamik. – Möbius
selber hat sich, obwohl er auch den Bewegungen eine geometrische Grundlegung
zu verleihen gedachte, nicht besonders damit befasst. Einen Ansatz hat er trotzdem
hinterlassen: seine Lehrsätze zum Gleichgewicht von an elastischen Körpern
angreifenden Kräftesystemen stehen, da er eine zur ersten Ordnung kleine Beweglichkeit
gegenüber der nullten Ordnung heranzieht, der Potentialtheorie bemerkenswert
nahe.
Wie schon angedeutet war auch Plücker der Meinung, dass sich die Geometrie
auf die Bewegung anwenden ließe. Plückers Vorstellung über die Zuordnung von
Kraft und Kinetik beruhte doch offensichtlich nicht auf Ursache und Wirkung,
wie bei Newton, sondern eher auf geometrische Symmetrieeigenschaften der
Figuren. So wurden, weil beides mal eine Gerade in sich überführt wurde, Kräfte
mit elementaren52 Rotationen koordiniert. Dabei drückte die Gerade einmal die
Wirkungslinie der Kraft, das andere Mal die Rotationsachse aus. Die Aussage,
dass es diese invariante Gerade auch für Kräftepaar und Verschiebung gibt, kann
allerdings nicht strikt innerhalb der euklidischen Geometrie bewiesen werden53 .
Der Inbegriff aller Kräfte und Paare, bzw. aller Verschiebungen und Drehungen,
wurde trotzdem Dyname genannt und zur Gesamtheit der Raumlinien bezogen.
Der grundlegende Ansatz zum geometrischen Begriff der Bewegung hat erst
Klein geliefert. Er beruht völlig auf den Erlanger Programm.
Die übliche, metrisch verstandene Statiklehre, aus der die Bewegungslehre
abgeleitet wird, geht jedenfalls weiter als das Nullsystem, und deutet R als
Kraftresultante längs der Schraubenachse und M als ihr zugeordnetes Paar in
einer der Achse senkrechten Ebene54 .
Der springende Punkt ist, dass sich dieser Unterschied nicht aufrechterhalten
lässt, sobald es einen Anlass dazu gäbe, also im Fall stationärer Bewegungen.
Geometrisch fußt nämlich die Bewegung auf Symmetrieeigenschaften der Figuren.
Nun werden sämtliche Nullgeraden auf den Hüllflächen des Nullsystems als
geodätische Linien erklärt. Sie bilden auf doppelkegelartigen Regelscharen und
geraden Kreiszylindern Geraden. Schiefwinklige Mantelgeraden werden mitunter
auch berücksichtigt, und werden, obwohl sie geometrisch lauter gerade Strecken
auf rektifizierbaren Flächen sind, als Windungen gedeutet. Die Hülle bleibt bei
Schraubenbewegungen55 der schiefwinkligen Mantelgeraden aus Symmetriegründen
invariant, wobei es je nach der Schraubung eine auf die andere als fest gedachte
Regelschar sich als ganzes verschiebt. Geometrisch gelten auch reine Drehungen
noch als Symmetrietransformationen. Die Statiklehre deutet im Nachhinein
52 Das Wort ,,elementar“ bezieht sich auf die Möglichkeit jede beobachtete Bewegung
aus einfachen Urtypen zusammenzustellen. Klein hat elementar mit infinitesimal ersetzt.
Das mag aber nicht stimmen, weil die hier in Betracht gezogenen Symmetrien mit der
Infinitesimalrechnung nichts zu tun haben. Es ist auch so, dass infinitesimale Drehungen hart
von Verschiebungen zu unterscheiden sind.
53 Das geht nur durch adjungieren des Unendliches.
54 Man dachte zeitweilig, dass sich die Schraubung als allgemeinste Bewegung aus
den Elementarbewegungen Verschiebung und Drehung zusammensetze. Später wurde
aber die Verschiebung als Resultierende zweier entgegengesetzten Drehungen erklärt.
Räumliche Drehungen sind jedoch keine einfachen Drehungen, weshalb man endlich
Elementarbewegungen auf infinitesimale Bewegungen zurückführte.
55 Weil hier ein System von Regelscharen in betracht kommt, ist es angebracht daran zu
erinnern, dass projektiv die Linien von einer Regelschar zur anderen überspringen können.
5
DER BEITRAG FELIX KLEINS ZUM ELEKTROMAGNETISMUS.
40
diese Art der Raumübertragungen als Erhaltungssätze. Sie könnte genauso gut
auf diese Interpretation verzichten.
Zum absoluten Raum. – Schraubentransformationen sind, wie wir bis
jetzt gezeigt haben, die ,,Symmetrietransformationen der Statik“. Maxwells
elastomechanische Spannungen des Äthers weisen freilich eine andere Invariante
auf. Einstein hat schließlich den Satz der Invarianz der Lichtgeschwindigkeit
aufgestellt. Man könnte nun behaupten, dass Koordinatentransformationen zur
Wiedergabe der Relativität des Bewegungszustandes begrifflich anschaulicher
seien. Stabile statische Spannungsverteilungen sind tatsächlich, ohne einen ziemlichen
Aufwand Mühe an Körpern kaum56 , und im Äther schon gar nicht messbar.
Was aber die synthetisch-geometrischen Modelle betrifft, weisen sie sämtlich
eine Invariante Quadrik auf. Die Stärke des geometrischen Modells besteht eben
darin, dass die entsprechenden Theorien, ohne Besonderheiten der mathematischen
Hilfsmittel oder tückische Erscheinungen bei der Deutung beachten zu müssen,
untereinander vergleichbar werden.
Zur Ausschaltung der Fernwirkung. - Nun versuchen wir zu erörtern,
was mit der Erklärung verbunden sein könnte, es gäbe keine von fern wirkenden
Kräfte.
Auf der Ebene darf man das Moment immer durch eine äquivalente Kraft im
Unendlichen ersetzen, was damit gleichkommt, dass man geometrisch entweder
H auf E oder umgekehrt reduziert. Das will man im Elektromagnetismus von
Haus aus nicht haben, weil man damit nicht über die elektro- und magnetostatischen
Aussagen ginge, während doch Induktion und Maxwell- Ampèresche Gleichung
E und H auf nicht-triviale Weise zueinander beziehen57 . Für das Nullsystem als
räumliche Geometrie soll also das gegenseitige Reduzieren irgendwie nicht mehr
zutreffen.
Der klaffende Widerspruch entsteht, weil die Kräfte zur Reduktion eines
Kräftesystems der Parallelogrammregel nach längs ihrer Richtung bis zu einem
gemeinsamen, eventuell unendlich weit entfernten Angriffspunkt verschoben werden
müssen. Will man nun keine unendlichferne unendlichkleine Kraft zulassen,
dann stürzt man im Raum beiläufig den Parallelismusbegriff. Gibt es nämlich
keinen Punkt im Unendlichen aus dem sich untereinander parallele Ebenen
projizieren lassen, dann liegen die parallelen Kräfte entweder bereits auf einer
gemeinsamen Ebene des Raumes, oder sie sind auf Regelscharen verteilt, gelten
als zueinander windschief und lassen sich nimmer auf eine Resultante reduzieren.
Das nichtentartete Nullsystem stellt den zweiten Fall dar.
Schließt man umgekehrt nach Maxwell im Voraus jede Fernwirkung aus,
dann ist man dazu berechtigt den Unterschied zwischen den im Endlichen und
Unendlichen gelegenen Punkten fallen zu lassen.
Zur Ausschaltung der Laufbahnen. – Die lineare geometrische Bewegungsbeziehung,
die aus dem Nullsystem hervorgeht weist keine Punktbahnen auf. Sollte man
unter Beibehaltung des Modells Punkte als Elemente einbeziehen, wären unbedingt
56 Ob und inwiefern Aushöhlungen die elektromagnetische Wirkung auf die Materie
an Ort und Stelle zu messen gestatten, möchten wir jetzt nicht besprechen. Jedenfalls
werden heute zunehmend solche Signalmessungen vorgezogen, die gleich einen ganzen von
Außen bestrahlten Körper durch ihre Verteilung kennzeichnen. Auch typisch mechanische,
z.B photoelastische Messungen werden an besonders dazu hergestellten durchsichtigen
Probekörpern vorgenommen.
57 Wegen
des projektiven Ausfalls des Unterschiedes zwischen Drehungen und
Verschiebungen, bedeutet das nicht, dass sich die eine Größe als Drehgröße, die andere
aber als Verschiebung deuten ließe.
5
DER BEITRAG FELIX KLEINS ZUM ELEKTROMAGNETISMUS.
41
Ebenen als Elemente mitzunehmen. Aus diesem Grund passt keine projektive
Geometrie, wie sie gewöhnlich verstanden wird, zur Darstellung von Ladungen
und konvektiven Strömen.
Trotz dass die Raumverwandtschaften wie ,,Drehungen um Hauptachsen“
behandelt werden (Eigenwerteprobleme), wobei keine oder zwei Strahlen projektiv
unbewegt bleiben können58 , kommt ihnen ferner keine Drehfrequenz zu. Die
Linienelemente selber bedeuten unteilbare Strahlen/Achsen, was an die ältere
und links liegen gelassene alternative zur Infinitesimalrechnung anknüpft (J.
Bell), und nicht mit derjenigen Bahnparametrisierung zu verwechseln ist, deren
zweite Ableitung nach t zum Kraftgesetz führt.
Es bleibt zu zeigen, dass die projektive Geometrie überhaupt keine Bestimmung
einer punktierten Bahn erlaubt. Wir erinnern daran, dass auf Linienkoordinaten
keine Raumpunkte bezeichnet werden, obwohl die Transformationen des Nullsystems
Punkte in Punkte oder Ebenen (da sie nicht selbstdual sind) überführen. Projektiv
kann ein Punkt nur als Bündelmittelpunkt erklärt werden. Im Fall, dass der
Punkt unermesslich fern zu liegen kommt, kann er dann mit einer einzigen
Richtung verbunden werden, aber, wegen des Dualitätsprinzips, trotzdem mit
keinem einzelnen Strahl.
Geometrisch zu fassende Unterschiede zwischen Mechanik und
Elektromagnetismus. – Klein meinte wohl, jenseits aller physikalischen Vorstellungen,
der Welt eine einzige beobachtbare Struktur beimessen zu sollen, weil er also
schließt: ,,Infolgedessen können wir bei den meisten Beobachtungen der Physik
und im besonderen der Astronomie die Gültigkeit der klassischen Mechanik
voraussetzen, ohne merkliche Fehler zu begehen.“59 Wir glauben dagegen nicht
im Geringsten die Einheitlichkeit der Welt auf unsere Erfahrung stützen zu
können.
Selbstredend sind projektive Darstellungen keineswegs zur Auffassung der elektrischen
Erscheinungen erfunden worden. Es ist ferner nicht anzunehmen, dass die dargestellten
Größen je nach der gewählten Mathematik automatisch irgendwie zu einer
bestimmten Gruppe von Erscheinungen passten. So sind E, H nicht darum
physikalisch Felder, weil sie sich einem Nullsystem oder gar einer Wellengleichung
fügen. Darum mochte die Frage, inwiefern Maxwell als lineare elektromagnetische
Erscheinungen andere Erscheinungen als Newton meinte, eine interessante sein.
Der gewählten mathematischen Ausdrucksform wegen, möchten wir immerhin
dreierlei unterschiedlich beurteilen.
• Erfahrungsgemäß können Körper niemals überlagert werden. Newton ging
davon aus, dass sich Körper nicht ohne ein schreckliches Zusammenprallen
durchdringen. Die Anfangsbedingungen in der Bahndarstellung dienen dazu,
dieser Möglichkeit in den gesetzlich erlaubten Bahnen vorzubeugen. Die mathematischen
Punkte untergehen nämlich selber keine Stoßprozesse. Im Gegenteil können wir
so viele Punkte überlagern, wie wir wollen. Auch betreffs der Beobachtung ist
Newtons Auffassung nicht unbedingt selbstverständlich, denn wir sehen ja wie
sich Mond und Sonne während einer Sonnenfinsternis überlagern. Der fortschreitenden
Wellenlösungen kann man wie der Punkte so viele überlagern, wie man Lust dazu
hat, und der Unterschied zur mechanischen Vorstellung liegt nur darin, dass
Rundfunksendungen im Modulierungs- Entmodulierungsprozess gerade davon
Anwendung machen.
58 In
entarteten Fällen kommt auch ein einziger Strahl als Invariante vor.
Zeile in den Vorlesungen über nicht-Euklidische Geometrie, für den Druck neu
bearbeitet von W. Rosemann, im 1928.
59 Letzte
5
DER BEITRAG FELIX KLEINS ZUM ELEKTROMAGNETISMUS.
42
• Erfahrungsgemäß ist die Lage von Körpern (bzw. von Kraftfeldern) immer
messend festzustellen, was man üblich auf den Begriff der Lokalisierbarkeit
zurückführt. Die ebenen Wellen oder Wellenpakete sind in der raumzeitlichen
Darstellung nicht lokalisierbar. Aber darum handelt es sich eben nicht. Indem
Newton die Massenpunkte mittels Anfangsbedingungen charakterisiert, nimmt
er diese als Körpereigenschaften an. Mathematisch ist es allerdings nicht leichter,
einen Punkt auf einer Gerade als eine Wellenlösung im Raum zu lokalisieren. Der
Gesichtssinnerfahrung nach lässt dazu die optische Lokalisierung all derjenigen
Körper, die selber oder abgebildet dicht am Brennpunkt eines optischen Apparates
zu liegen kommen zu wünschen übrig.
• Als er die Ableitungen einführte, hat sich Newton von der Vorstellung der
Bewegung als von einer stetigen Überführung der Punkte leiten lassen. Es sieht
so aus, als ob die Erscheinungen diese Ansicht bestätigten. Auch die Ansicht,
dass sich die unmittelbare Nachbarschaft eines Punktes während der Bewegung
im Sinn des lokalen Zusammenhangs beliebig wenig vom Punkte entfernt, schein
bestätigt. Beide fallen bei Beobachtungen am Spiegel aus. Kein Bild passiert die
Brennebene einer Linse oder eines Spiegels stetig, oder bleibt sich dabei ähnlich,
obwohl es als Ganzes abgebildet wird. Trotzdem lassen sich die eben genannten
Beobachtungen mathematisch durch stetige Funktionen darstellen.
Zum kleinschen Modell. - Die von Klein betrachtete Geometrie kann
nun, wenn man den räumlichen Sehsinn ausnutzt60 , auch rein visuell angeschaut
werden. Es handelt sich natürlich nur von einer anderen plastischen Deutung.
Mit optischen Mitteln bildet man aber räumliche Beziehungen, ohne auf Flächeneinbettungen
im Euklidischen Raum angewiesen zu werden, direkt projektiv ab. Anschaulich
sind die Bilder freilich nicht, weil man einer ziemlichen Einübung bedarf, um sie
überhaupt als räumlich zu entschlüsseln. Die Loslösung von den mechanischen
Vorstellungen in der Modellierung von elektromagnetischen Signaltheorien setzt
allerdings die Erfassung solcher Beziehungen voraus.
Wird die beim ersten Blick nicht ganz anschauliche, doch recht bildhafte
optische Ausführung der Geometrie der Lage nach Klein gedeutet, dann muss
man beispielsweise gewahr sein, dass sich optisch keine Raumstruktur, sondern
bestenfalls das empfangene Signal abbildet. Die die Abbildung erzeugende Transformation
soll versuchsweise als Bewegung im Mittelpunkt der Modellierung verlegt werden,
und das Wort ,,Abbildung“ nur dazu benutzt werden, um die Plastik der geometrischen
Darstellung hervorzuheben. Mit optischen Bildern beliebiger Körper dürfen also
die mathematischen Beziehungen des Elektromagnetismus wie gesagt modelliert,
jedoch nicht identifiziert werden, weil sie im Modell Transformationen sind.
Zudem sollen einfache geometrische Gebilde wie Punkte, Ebenen und Strahlen
ausgemacht und physikalisch gedeutet werden.
Wenn man mittels physikalischer Vorstellungen zur Konstruktion des räumlichen
Modells gelangt, mögen unterschiedliche Merkmale die Wahl bestimmen. So
würden wir jetzt rein optisch, und unbeachtet der mathematischen Schwierigkeiten
das Element mit dem ,,Bild des sehr weit entfernten Fremdstrahlers“ gleichsetzen,
und dementsprechend eher die Punkt/Richtung und die ihr duale Ebene in
betracht nehmen. Sollte die Theorie unseren jetzigen Ansichten über optische
Signale entsprechen, dann lägen ihr darüber hinaus, wie bereits von Klein verlangt,
allgemeinere Transformationen der invarianten Quadrik zugrunde.
60 Weil sich die räumlichen Gegenstände auf der zwar gekrümmten, doch flachen Netzhaut
abbilden, und wir sie obendrein unwillkürlich scharf stellen, entspricht die räumliche
Ausdehnung der optischen Bilder einer verwickelten Erfahrung.
5
DER BEITRAG FELIX KLEINS ZUM ELEKTROMAGNETISMUS.
43
Zum Schluss möchten wir einige Umstände erwähnen, die zur Tilgung des
kleinschen Modells beigetragen haben könnten.
1. Eben hatte man noch geglaubt, Raum und Ausdehnung wären identisch.
Man kann nicht erwarten, dass Klein selber die Metrik in der plötzlich relational
verstandenen Geometrie etwa klar und deutlich als reiner Ballast empfinden
sollte.
2. Die (flache) Perspektive war in der Malerei kanonisiert, so dass oft einzig die
mit der optischen Projektion verbundene Graphik als projektive Geometrie galt.
Umgekehrt wurden Parallaxeeffekte aus den optischen Erscheinungen standardmäßig
abgestreift.
3. Bis fasst zu Kleins Zeiten war der geometrische Raum mit dem analytischen
Punktraum von drei Dimensionen gleichgeschaltet worden.
4. Um die Jahrhundertwende zum 1900 wurden viele verschiedene Systeme
zur Darstellung der Drehungen vorgeschlagen. Bestimmend für die Anwendungen
wurde dann der bequeme Anschluss an die Analysis. Deshalb wurde die Vektoralgebra
populär.
5. Die auf den Linienelement gebaute Geometrie ist angeboren räumlich, was
leicht zu erkennen ist: sind keine Punkte als Elemente gegeben, dann besteht
auch nicht die Möglichkeit sich durch Projizieren aus einem Punkt auf die
Geometrie in der Ebene zu reduzieren.
6. Die sogenannte geometrische Optik benutzt Lichtstrahlen zur graphischen
Auswertung der flachen Abbildungen. Entsprechend wurde die Gerade als Raumelement
anschaulich sofort mit einem Lichtbündel identifiziert. Das hatte keinen Anhaltspunkt.
Das hat dem Bestehen des kleinschen Modells nichts geholfen.
5.3
Schlussbemerkungen
Wir fassen diese Auseinandersetzung mit dem kleinschen Modell des Elektromagnetismus
noch auf eine andere Weise zusammen.
Geometrisierung.
Modellierung.
Sie gilt nur zur übersichtlichen
Überprüfung der
Widerspruchslosigkeit der
Gleichungen. Dazu braucht man
mathematische Ausdrücke eindeutig
durch Gebilde darzustellen.
Relativitätstheorie und statistische
Mechanik nehmen aber hin, dass
sich die geometrische Nachprüfung
der logischen Kohärenz nicht auf
beobachtbare Raumeigenschaften
stützen kann.
Sie knüpft auf eine zugleich
synthetisch geometrisch und
mathematisch geltende Relation. Die
Liniengebilde im Linienraum können
so verteilt werden, dass ihre
Bewegung ein System von Quadriken
in sich überführt. Dann bilden die
Linien Regelscharen, und die
Bewegungen sind (hyperbolische)
Schraubungen. Diese werden
proiektiv auf lineare Substitutionen
in der komplexen Zahlenebene und
somit auf die Funktionentheorie
bezogen61 .
61 Zur hyperbolischen Bewegung muss bemerkt werden, dass die projektive Ebene einseitig,
die zweischalige Hyperboloiden und die euklidische Ebene dagegen zweiseitig sind.
44
LITERATUR
Die Relevanz einer einschlägig
gestalteten Mathematik für das
Verständnis der unvermittelt
beobachteten Tatsachen wird
unterschätzt. Denn man sagt, dass
die Wirklichkeit durchaus nicht den
Beobachtungen zu entsprechen
braucht.
Die projektiven Raumbeziehungen
können optisch veranschaulicht
werden. Wenn man die Spiegelung
nach der Strahlenoptik rein graphisch
fasst, kommt man zu hyperbolischen
Bewegungen.
Wenn man dem logischen Ausbau der Geometrie Verwandtschaften zugrundelegt,
kommen im Nullsystem dieselbe hyperbolischen Bewegungen vor, wie in der
Theorie der automorphen Funktionen. Ein verallgemeinerter Zusammenhang,
mit Einbeziehung imaginärer Transformationen, zwischen synthetischer Geometrie
und Funktionentheorie hat F. Klein ausgebaut. Das Einbeziehen imaginärer
Transformationen ist auch notwendig, wenn man unbesorgt von den maxwellschen
Gleichungen zur Wellengleichung überzuwechseln wünscht. Das entspricht einer
Erweiterung im Sinne Reye der von Möbius für die Statik aufgestellten Geometrie.
Diesen Vorschlag hat wiederum schon Klein an Einstein aus denselben Grund
heraus gemacht. Das würde das geometrische Modell zu einer elektromagnetischen
Theorie des empfangenes Signals liefern. Natürlich begründet eine Versinnbildlichung
der Geometrie für sich noch nicht die elektromagnetische Theorie als Signaltheorie.
Hier waren wir aber vorerst an einen Vorschlag zum Vordringen interessiert.
Später, wenn man so viele Arten von empfangenen Signalen wie möglich unterzubringen
trachtet, werden mutmaßlich weitere Erwägungen mehr in den Vordergrund
treten.
Literatur
[1] F.Klein, Gesammelte mathematische Abhandlungen, 1. Band Reprint,
Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, New York (1973). Von S.516, 2. Absatz
bis Ende.
[2] F.Klein, Elementarmathematik vom höheren Standpunkte aus, II S.11 - 16.
[3] L S Yao, http://arxiv.org/abs/nlin.CD/0506045.
[4] H. Hertz, Wied. Ann der Phys. U. Chem. 23:84 (1884).
[5] A. Möbius, Gesammelte Werke, III Herausgegeben von F. Klein. Dr. Martin
Sändig oHG Wiesbaden 1886 (1967).
[6] J. D. Jackson http://arxiv.org/abs/physics/0506053.
[7] B. Riemann, Ann. Phys. Chem 131:237 (1867).
[8] F. Klein, Gesammelte mathematische Abhandlungen, 2. Band, Arbeiten über
lineare Differentialgleichungen, LXV.
[9] H. Helmholtz, http://philosophiebuch.de/helmhgeo.htm.
[10] E. Rosinger, http://arxiv.org/abs/physics/0512203
LITERATUR
45
[11] F. Klein, Vorlesungen über nicht-euklidische Geometrie, Berlin J. Springer
Verlag (1928). Nachdruck 1968.
[12] F.Klein, Elementarmathematik vom höheren Standpunkte aus, II S. 22 –
42.
[13] D.E. Smith & M. L. Latham, The Geometry of René Descartes, Dover
Publications, Inc. New York (1954)
Zugehörige Unterlagen
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