THEMA Abtauchen zum Auftanken TEXT Martin Grünewald FOTOS Katharina Ebel Schnell eine Pille schlucken und wieder fit sein: Reicht das bei jeder Krankheit aus? Oder geht es auch um Ursachen von Erkrankungen, um Fragen der Lebensführung wie Bewegungs­ armut, Fehl­ernährung und innere Balance? In der Kuroase in Bad Wörishofen aktivieren Patienten ihre Selbstheilungskräfte. E Wassertreten im Storchenschritt und Gesichtsdusche entfalten unterschiedliche Wirkungen. Wasser wirkt anregend oder entspannend. Um vier Uhr morgens legt Schwes­ter Johanna bei Brigitte­ Rößle Waden­wickel an. s ist vier Uhr morgens, als Schwe­ ster Johanna das Zimmer von Brigitte­Rößle betritt. Die Bewoh­ nerin der Kuroase in Bad Wöris­ hofen liegt natürlich noch im Bett, und dort soll sie auch bleiben. Denn sie erhält jetzt Wadenwickel. Schwester Johan­ na schlägt das Betttuch zurück und legt die vorbereiteten Wickel ab: ein dünnes Vlies, das mit Ton­erde getränkt und mit einem Baumwoll- und einem Wolltuch um jedes Bein gewickelt wird. Dann schlägt Brigitte Rößle die Augen zu und genießt die Ruhe. Auch heute, etwa 150 Jahre nach dem Wir­ ken Sebastian Kneipps, werden die von ihm entwickelten Anwendungen in Bad Wöris­ hofen unverfälscht angeboten. Die Kur­oase im Kloster pflegt die Methoden, mit denen Kneipp zu seiner Zeit sogar Monarchen und den Papst behandeln durfte, in besonderer Verantwortung. Denn das Kloster der Domini­­ kanerinnen, in dem Kneipp im Jahr 1855 als Seelsorger begann, ent­ wickelte sich zum Aus­ gangspunkt einer großen Volks- und Gesund­heits­ bewegung, die sich in Deutschland, Europa und darüber hinaus aus­ breitete und bis heute aktuell geblieben ist. Das, was der Priester einst in Selbstversuchen entwickelte, wird heute wissenschaftlich in allen fünf „Säu­ len“ bestätigt und unterstützt: die Wasser­- oder – besser gesagt – Reiztherapie, die Ernährungslehre, die Pflanzenheilkunde, der Bewe­gungstherapie und die Ordnungs­ lehre. Der Pfarrer und Naturheilkundler schuf ein visionäres Lebenskon­zept, das den Menschen, seine Le­bensgewohnhei­ten­ und seine natür­­liche Umwelt als ausgewo­ gene Einheit betrach­ tet. Dabei stellte er die Elemente Wasser, Pflanzen, Bewegung, Ernährung und Ba­ lance in einen engen Zusammenhang. Sebastian Kneipp hat im 19. Jahrhundert die Heilkunde revolutio­ niert. Nachdem er seine schwere – damals noch als unheilbar geltende – Tuberkulose durch kurze Bäder in der kalten Donau selbst kurierte, begann er, sich intensiv mit der ge­ sundheitsfördernden Kraft des Wassers und der heilenden Wirkung von Pflanzen zu be­ schäftigen. Heilgymnasitik mit Übungen für jedermann stehen in der Kuroase morgens auf dem Programm. Kuren am Ursprungsort der ­bekannten Kneipp-Therapie Im Innenhof des Klosters der Dominika­ nerinnen, der heutigen Kuroase, errichte­ te Kneipp das Badehaus, in dem er seine zahlreichen Patienten behandelte. Seine verblüffenden Erfolge sorgten dafür, dass jährlich Tausende, später Zehntausende zu ihm kamen. Kolpingmagazin 9/2010 23 THEMA GLAUBE UND LEBEN Einen Dämpfer erfuhr die Kneipp-Be­ wegung in einer ihrer Blütezeiten: Die Kur wurde massenweise verordnet, die Patien­ten mussten sich kaum an den Kosten beteili­ gen und betrachteten nicht selten die vier­ wöchige Auszeit als Urlaubsverlängerung. Das ist längst vorbei: Wer heute eine Kneipp­ kur macht, übernimmt nicht nur erhebliche Kos­ten, sondern beteiligt sich aktiv an den Anwendungen. Vor fünf Jahren übernahm Kolping Augsburg den Betrieb der Kuroase in Bad Wörishofen von den Dominika­nerinnen. Schwester Johanna ist Priorin des Konvents Heu ist ein Therapiemittel nach Kneipp. und weiter mit Leib und Seele für die Pati­ enten da. Schwester Martina hält Kontakt zu den Besuchern und lädt sie ein, zum Chor­ gebet in die Kapelle zu kommen. Den Gästen stehen – außer dem Wohn­bereich der Schwe­ stern mit der Klausur – alle Bereiche mit ih­ rer besonderen klös­ terlichen Atmosphäre offen: der Kreuzgang, vier Kloster­­gärten und die Klosterkirche. Brigitte Rößle genießt inzwischen ihr ab­ wechslungsreiches Tagespro­ gramm: Nach Lasst das Natürliche so natürlich wie möglich. Die Zubereitung der Speisen soll einfach und un­ gekünstelt sein. Ergebnisse des religiösen Trendmonitors 2010 Die Zeichen der Zeit Sebastian Kneipp legte Wert auf naturbelassene Zutaten – die Kuroase im Kloster ebenso. Das Engagement der Kirche für Caritas, Friede, Menschenrechte und Gerechtigkeit kommt gut bei der Mehrzahl der Katholiken an, nicht aber Vorschriften zur persönlichen Lebensführung. der frühmorgendlichen Waden­ wickel, die schadet“, betont er. Die Anwendungen nach den Biorhythmus des Organismus besonders­ Kneipp sind nicht nur wichtig für Menschen, nutzt, beteiligt sie sich an der Heilgymnastik, die häufig erkranken und eine Verbesserung regt ihren Stoffwechsel beim Tautreten mit des Immunsystems benötigen. bloßen Füßen auf der Wiese an, nimmt ein Kneipp-Therapie gilt als Antwort auf kühles, belebendes Armbad, ernährt sich alle modernen „Zivilisationskrankheiten“ beim Mittagessen mit vollwertigen, frisch und die Folgen von Bewegungsmangel und und schonend zubereiteten Speisen und Fehlernährung. Herz-Kreislauf-Probleme zieht sich dann zur Entspannung in den und viele Stoffwechsel- oder Regulations­ Ruhe­ raum zurück. Nachmittags unter­ störungen wie Rheuma gelten als typische nimmt sie einen Spaziergang, wobei sie auch Risiken. Aber auch Opfer von Stresserkran­ die 23 Wassertretstellen des Kurortes nutzen kungen wie Burnout finden in Bad Wöris­ kann. In der Badeabteilung, in der mehr als hofen wirksame Hilfe. Anne Fahrbach aus hundert Arten von Wassergüssen prakti­ München, die als Französischlehrerin arbei­ ziert werden, klärt sie Bademeisterin Birgit tet, kommt seit sechs Jahren regelmäßig in Machel­darüber auf, dass der Gesichtsguss, die Kur­oase. „Ich bin ein sensibler Mensch den sie jetzt erhält, auch „Schönheitsguss“ mit einer schwachen Konstitution. Für mich genannt wird. Durch die Temperaturschwan­ ist dieser Ort eine wirkliche Oase, weil er kungen des Wassers würden unzählige Ner­ den Körper und die Seele anspricht“, be­ ven unter der Hautoberfläche gereizt. Dies schreibt die 60-Jährige ihre Erfahrungen. bewirke eine stärke Durchblutung, was den „Mal komme ich zu einer richtigen Kur, Kreislauf reguliere, und mobilisiere zugleich mal für ein paar Tage, um Kraft zu spei­ das Immunsystem, erklärt die Bademeisterin. chern.“ Gertrud Lochbrunner, Leiterin der Kräuterbeigaben aus Fichtennadeln, Melisse, Massageabteilung und zugleich Gesund­ Thymian, Rosmarin oder Zinnkraut verstär­ heitsberaterin: „Man erkennt im Gesicht der ken die therapeutische Wirkung. Gäste, ob sie Neuankömmlinge sind oder Pfarrer Kneipp bleibt ausgewogen: „Untä­ ob die Phase der Erholung bereits bei ihnen tigkeit schwächt, Übung stärkt, Überlastung eingesetzt hat.“ @ I KLOSTER INFO Wer kann sich in der Kuroase erholen? Jeder! Das Haus wird als Hotel geführt, Kur und Anwendungen können ent­ weder vom Arzt verordnet oder privat gebucht­werden. Auf der Homepage (www.kuroase-im-kloster.de) wird über das Haus und seine besonderen Ange­ bote informiert. Telefon (08247) 96230. Tipp: Frischkostwochen mit Gesundheits­ beraterin Gertrud Lochbrunner. @ 24 Kolpingmagazin 9/2010 An dieser Stelle – im Kloster­ innenhof – behandelte Pfarrer Kneipp seine Patienten. Foto: istockphoto © Talaj Sebastian Kneipp war erster Kolping-Präses in Bad Wörishofen. Eine Grafik­im Salon der Kur­ oase symbolisiert dies. Kirche m Juni wurde mit dem Sachen Frieden, 68 Prozent Trendmonitor „religiöse­ die Befassung mit dem Kommunikation“ zum Thema Menschenrechte sieb­ten Mal eine Studie des Allens­ und 68 Prozent den Ein­ bacher Instituts für Demoskopie satz zum Bereich Arbeits­ vorgestellt, die in diesem Jahr eine welt. Diese Prozentzahlen Bertelsmann-Untersuchung aus dem Jahr sind nicht nur stabil, sondern 2008 bestätigt und uns das schöne Ergebnis in ihrer Zustimmung durchweg gestiegen. präsentiert, dass trotz aller Probleme, die Hierzu führt insbesondere die hohe Wert­ die Diskussion um die Missbrauchs- und schätzung des Engagements der Kirchen in Misshandlungsfälle sowie die Struktur- und der Kranken- und Altenpflege sowie in den Finanzdebatten in den Diözesen und Orden Kindergärten. nach sich gezogen haben, der Prozentsatz Diese wenigen Beispiele zeigen mir, dass der Menschen, die sich in Deutschland als die Kirche und mithin auch wir als Kol­ „religiös“ bezeichnen, nicht gesunken ist. pingwerk die Aufgabe haben die Situation Das mag uns im ersten Moment aufat­ in Kirche und Verband ehrlich und ohne men lassen, Grund zur nachhaltigen Beru­ „Schere im Kopf“ zu beleuchten und mit higung bietet dieses Ergebnis nicht, denn: adäquaten Entscheidungen mutige Schritte „Sich als religiösen Menschen zu bezeichnen, in die Zukunft zu gehen haben. Dabei geht ist etwas ganz anderes, als sich als kirchlich es nicht darum, alles Bestehende unbese­ zu erklären“, erklärt das Allensbach-Institut. hen über Bord zu werfen, vielmehr ist ein Schauen wir mit den Augen des generations­ Handeln gefragt gemäß des alten Spruches: übergreifenden Sozialverbandes auf einige „Lasst uns an dem Alten, / so es gut ist, hal­ Ergebnisse, müssen sogar alle Alarmglocken ten / und auf diesem guten Grund / Neues läuten, weil bei den 16- bis 29-Jährigen die bauen Stund um Stund.“ Verankerung von Kirche und Glaube nur Diese Herausforderung ist keineswegs noch mit fünf Prozent belegt ist. In der Mit­ neu. Durch alle Jahrhunderte hindurch hat­ te der Gesellschaft, in der Unterschicht und te die Kirche die Aufgabe, Gegenwart und am postmodernen Rand drohen zukünftig Zukunft im Blick zu haben. Entfremdung und Abkehr von der Kirche. Dazu haben wir mit dem Evangelium eine Einige Zahlen beleuchten den Hintergrund: Grundlage, deren Botschaft klar und deut­ 85 Prozent der Befragten lehnen die Positi­ lich ist, keineswegs immer brav oder trend­ on der Kirche zur Empfängnisverhütung ab, konform, sondern kritisch, herausfordernd 81 Prozent den Zölibat und 79 Prozent die und nach dem Vorbild Jesu Christi immer kirchliche Sexualmoral. Das Allensbach-In­ den Menschen im Mittelpunkt. stitut stellt fest, dass kirchliche Vorschriften, Als Christen des 21. Jahrhunderts kön­ die die persönliche Lebensführung betref­ nen wir alle Möglichkeiten der Kommuni­ fen, nicht erwünscht sind. kation nutzen, miteinander ins Gespräch Ganz anders und sehr positiv sieht das zu kommen. Das Kolpingwerk Stimmungsbild immer dann aus, wenn sich Deutschland ist dazu bereit. Kirche mit gesellschaftlichen Problemen befasst: 86 Prozent der Befragten sind mit Ottmar Dillenburg, dem caritativen Engagement einverstanden, Bundespräses 77 Prozent loben die Stellungnahmen in Kolping Deutschland Kolpingmagazin 9/2010 25