2.7 HbA1c-Zielwerte bei Typ 2-Diabetes mellitus

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2.7 HbA1c-Zielwerte bei Typ 2-Diabetes mellitus
Literatur
[1] Diabetes Prevention Program Research
Group. Reduction in the incidence of type
diabetes with lifestyle intervention or metformin. N Engl J Med 2002; 346: 393–403
[2] Pan XR, Li GW, Hu YH et al. Effects of diet
and exercise in preventing NIDDM in people
with impaired glucose tolerance: the Da
Qing IGT and Diabetes Study. Diabetes Care
1997; 20: 537–544
[3] Tuomilehto J, Lindstrom J, Eriksson JG et al.
Prevention of type 2 diabetes mellitus by
changes in lifestyle among subjects with impaired glucose tolerance. N Engl J Med 2001;
344: 1343–1350
2 2.7 HbA1c-Zielwerte bei
Typ 2-Diabetes mellitus
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2. Durch zahlreiche Diätformen mit unterschiedlicher Gewichtung von Kohlenhydrat-,
Fett- und Proteinanteil kann eine ähnliche
Gewichtsreduktion erreicht werden. Alle kurzfristigen Diäten bergen aber die Gefahr einer
erneuten Gewichtszunahme nach Beendigung
der Ernährungsintervention. Um eine anhaltende Gewichtsabnahme zu erzielen, ist eine
dauerhafte Umstellung der Ernährungsgewohnheiten sinnvoller. Der Patient sollte dabei
nicht das Gefühl haben, sich einschränken zu
müssen oder sich nicht sattessen zu dürfen.
Dies kann durch Analyse der individuellen
Ernährungsvorlieben und gezielten Ersatz
besonders energiedichter durch ähnlich
schmackhafte, aber weniger energiedichte
Alternativen erreicht werden (z. B. magerer
Schinken statt Salami, Vollkornbrot statt
Weißbrot, Magerquark statt Quark, Salzkartoffeln statt Nudeln). Für eine Gewichtsabnahme sollte eine Reduktion der Energieaufnahme um 500 kcal/d angestrebt werden.
3. Bei Patienten, die keinen Ausdauersport
ausüben können oder wollen, ist Krafttraining
dreimal pro Woche eine wirksame Alternative.
Insulinsensitivität und HbA1c verbessern sich
dadurch ähnlich wie durch ein aerobes Ausdauertraining. Die Kombination von aerobem
Training und Krafttraining hat synergistische
Effekte.
4. Der frühe Einsatz von Metformin bereits zum
Zeitpunkt der Diagnose eines Typ 2-Diabetes
mellitus wird in den Leitlinien der Deutschen
Diabetesgesellschaft empfohlen. Hintergrund
sind die gut belegten positiven Effekte der
Substanz auf das Körpergewicht, die Progression des Diabetes und mögliche kardiovaskuläre Folgeerkrankungen bei günstigem
Nebenwirkungssprofil. Vor allem jüngere und
adipöse Patienten profitieren bezüglich einer
Verlangsamung der Diabetesprogression von
der frühen Metformintherapie. Um gastrointestinale Nebenwirkungen zu vermeiden, sollte die Metformintherapie langsam aufdosiert
werden.
N. Duhr
2.7.1 Fallbeispiel 1:
­HbA1c-Zielwerte
bei jüngeren Patienten
Klinisches Bild
Ein 48-jähriger Lehrer stellt sich mit Husten, gelblichem Auswurf und persistierendem Fieber bis
40 °C in der Notaufnahme vor. Trotz bereits viertägiger antibiotischer Behandlung mit Cefuroxim
(2-mal/d 500 mg p. o.) sei es nicht zu Fieberfreiheit
oder einer Besserung des Allgemeinzustands gekommen. Zusätzlich berichtet er über ein neu aufgetretenes vermehrtes Durstgefühl sowie ausgeprägten Harndrang, woraufhin er sich in der Apotheke den Blutzucker hatte messen lassen. Dieser
betrug nüchtern 260 mg/dl. Vorerkrankungen sind
nicht bekannt. Familienanamnestisch wurde bei
seinem Vater im Alter von 60 Jahren ein Typ 2-Diabetes mellitus diagnostiziert.
Körperliche Untersuchung
Patient in reduziertem Allgemein- und adipösem
Ernährungszustand (Körpergewicht 102 kg, Körpergröße 180 cm, einem BMI von 31,5 kg/m2 entsprechend). Abdominale Adipositas. Hautturgor
vermindert. Lunge: beidseits basal diskrete feinblasige Rasselgeräusche. Untersuchungsbefund für
Herz, Abdomen und periphere Pulse unauffällig.
Neurologischer Status: Hirnnerven intakt, Muskeleigenreflexe seitengleich, Vibrationsempfinden
115
Typ 2-Diabetes mellitus
Diagnostik und Befunde
1. Blutentnahme zur Labordiagnostik (internistisches Routinelabor, Blutkulturen, venöse Blutgase, Mykoplasmen- und Chlamydienserologie, HbA1c): Die wesentlichen Ergebnisse sind
der ▶ Tab. 2.11 zu entnehmen. Kein Wachstum
von Bakterien in den Blutkulturen. Serologisch
kein Hinweis auf eine akute oder zurückliegende Chlamydieninfektion. Alle übrigen Laborwerte liegen im Normbereich.
2. Legionellen- und Pneumokokkenschnelltest
im Urin: negativ.
3. Röntgen-Thoraxaufnahme (▶ Abb. 2.1): im
linken Unterlappen flächig-fleckiges Verdichtungsmuster, vereinbar mit einem Infiltrat.
Rechts basal diskrete homogene Verschattung
im Sinne eines beginnenden Infiltrats. Herzgröße in der Norm. Kein Erguss, keine Stauung.
4. EKG: tachykarder Sinusrhythmus, Herzfrequenz 105/min, Indifferenztyp, keine signifikanten Erregungsausbreitungs- und rückbildungsstörungen.
5. Sauerstoffsättigung (perkutan): 94 % unter
Raumluft.
6. Blutentnahme zur Lipiddifferenzierung im
Verlauf: Ergebnisse siehe ▶ Tab. 2.12.
Tab. 2.11 Wesentliche Laborparameter.
Messparameter
Messergebnis
Referenzbereich
Leukozyten
13,0
4,0–9,0/nl
Hb
15,0
14,0–18,0 g/dl
Thrombozyten
203
150–400/nl
Neutrophile
78
50–70 %
CRP
182
< 5 mg/l
Glukose
390
70–100 mg/dl
HbA1c
10,8
4,4–6,1 %
Blut-pH venös
7,42
7,35–7,43
pO2 venös
42
36–44 mmHg
pCO2 venös
37
37–50 mmHg
BE venös
0,1
-3,4 bis
2,3 mmol/l
Mycoplasma
pneumoniae
IgM-Antikörper positiv
(1 : 1280)
Hb: Hämoglobin, CRP: C-reaktives Protein, pO2:
Sauerstoffpartialdruck, pCO2: Kohlendioxidpartialdruck.
BE: Base Excess.
Tab. 2.12 Lipidprofil im Verlauf.
Abb. 2.1 Röntgen-Thorax: Herzgröße in der Norm.
Kein Erguss, keine Stauung. Im linken Unterlappen
flächig-fleckiges Verdichtungsmuster, vereinbar mit
einem Infiltrat. Rechts basal diskrete homogene Verschattung im Sinne eines beginnenden Infiltrats.
116
Messparameter
Messergebnis
Referenzbereich
Triglyzeride
270
50–170 mg/dl
Gesamtcholesterin
198
50–200 mg/dl
LDL-Cholesterin
135
< 100 mg/dl
HDL-Cholesterin
31
> 35 md/dl
LDL: Low Density Lipoprotein, HDL: High Density
Lipoprotein.
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beidseits 7/8. Herzfrequenz 100/min, Blutdruck
120/70 mmHg, Temperatur 39,2 °C.
A
2.7 HbA1c-Zielwerte bei Typ 2-Diabetes mellitus
1. Typ 2-Diabetes mellitus, Erstdiagnose, HbA1c
10,8 %
2. Mykoplasmen-Pneumonie
3. Adipositas Grad 1
4. Dyslipidämie
Therapie
Die Befunde ergeben die Diagnose einer Mykoplasmen-Pneumonie sowie die Erstdiagnose eines
Typ 2-Diabetes mellitus. Nebenbefundlich bestehen eine Adipositas Grad 1 sowie eine Dyslipidämie. Die stationäre Aufnahme des Patienten erfolgt
zur Blutzuckerüberwachung sowie -einstellung im
akuten Infekt und dem Beginn einer antidiabetischen Behandlung.
Als antibiotische Therapie wird die Gabe von Cefuroxim intravenös fortgeführt und ergänzend Clarithromycin 2-mal/d 500 mg p. o. verordnet. Durch
Infusionstherapie (1. und 2. Tag 3 l/d, 3. Tag 1 l/d)
erfolgt der Ausgleich des Flüssigkeitshaushalts.
Zusätzlich sollte der Patient mindestens 2 l/d an
Flüssigkeit oral zu sich nehmen.
▶▶Diabetestherapie. Während des stationären
Aufenthalts erhält der Patient diabetesgerechte
Kost. Zunächst erfolgt die Gabe von Normalinsulin
gemäß eines Korrekturschemas (▶ Tab. 2.13 und
▶ Tab. 2.16) bei entgleister diabetischer Stoffwechsellage im akuten Infekt.
2 Unter
rückläufigen
Entzündungsparametern
(CRP 60 mg/l nach drei Tagen) und Fieberfreiheit
wird die Infusionstherapie beendet. Die Sauerstoffsättigung unter Raumluft beträgt im Verlauf
98 %. Es kann nun mit der Behandlung mittels Metformin 500 mg 1-0-0 begonnen werden (▶ Tab.
2.14). Bei guter Verträglichkeit erfolgt nach drei
Tagen eine Dosissteigerung auf 2-mal/d 500 mg,
unter der sich mittlere prä- und postprandiale
Werte zwischen 125 und 166 mg/dl dokumentieren lassen (▶ Tab. 2.15). Diese Blutzuckerwerte sind noch nicht zufrieden stellend. Der Patient
kann nach einem insgesamt neuntägigen stationären Aufenthalt aus dem Krankenhaus entlassen
werden. Die ambulante Betreuung erfolgt in einer
diabetologischen Schwerpunktpraxis.
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Diagnosen
▶▶Diabetes-Schulung. Während des stationären
Aufenthalts kann nach Besserung des Allgemeinzustands mit einer Diabetes-Schulung begonnen
werden. Über fünf Tage erfolgen Einzelberatungen
sowie Schulungen in der Gruppe. Der Patient wird
über seinen Diabetes mellitus, mikro- und makrovaskuläre Komplikationen, kardiovaskuläre Risi-
Tab. 2.13 Blutzucker-Tagesprofil Tag 1 (Korrektur durch Nachspritzen mit Normalinsulin, ▶ Tab. 2.16).
Uhrzeit
7:00
10:00
12:00
14:00
17:00
19:00
22:00
Blutzucker (mg/dl)
176
300
207
280
196
160
124
Insulin
10 IE s. c.
10 IE s. c.
4 IE s. c.
Tab. 2.14 Blutzucker-Tagesprofil Tag 5 (Therapie mit Metformin 1-mal/d 500 mg, zusätzlich Korrekturschema, ▶ Tab.
2.16).
Uhrzeit
7:00
10:00
12:00
14:00
17:00
19:00
22:00
Blutzucker (mg/dl)
140
224
215
197
128
185
134
Insulin
8 IE s. c.
6 IE s. c.
6 IE s. c.
Tab. 2.15 Blutzucker-Tagesprofil Tag 9 (Therapie mit Metformin 2-mal/d 500 mg).
Uhrzeit
7:00
12:00
14:00
17:00
19:00
Blutzucker (mg/
dl)
125
148
166
139
159
117
Typ 2-Diabetes mellitus
Blutzuckerwert
Insulin
bis 140 mg/dl
0 IE s. c.
bis 180 mg/dl
4 IE s. c.
bis 220 mg/dl
6 IE s. c.
bis 260 mg/dl
8 IE s. c.
bis 300 mg/dl
10 IE s. c.
bis 340 mg/dl
12 IE s. c.
kofaktoren, die Wirkweisen der antidiabetischen
Medikation, Hypo- und Hyperglykämie, Blutzucker-Selbstmessung, Einfluss körperlicher Aktivität auf den Blutzucker und diabetesgerechte Kost
geschult. Ein Schwerpunkt in der Schulung ist die
Gewichtsabnahme und die Reduktion kardiovaskulärer Risikofaktoren (z. B. arterielle Hypertonie,
Hyperlipidämie, Adipositas).
Weiterer Verlauf
Ergänzend erfolgen während des stationären Aufenthaltes eine 24-h-Blutdruckmessung, eine augenärztliche Untersuchung (inkl. Funduskopie) sowie eine Urineiweißdifferenzierung am Ende des
Aufenthalts. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen zeigten keine pathologischen Befunde.
Die erhöhten Triglyzeride werden aktuell toleriert,
da diese Ausdruck der entgleisten diabetischen
Stoffwechsellage sein könnten. Die Werte müssen
jedoch ambulant nach Blutzucker-Einstellung weiter kontrolliert werden.
Unter häuslichen Bedingungen wird im Verlauf die
Dosis von Metformin auf 2-mal/d 1000 mg erhöht.
Der Patient stellt seine Ernährungsgewohnheiten
diabetesgerecht um und versucht zusätzlich, sein
Gewicht durch körperliche Aktivität zu reduzieren.
Nach drei Monaten beträgt der HbA1c 7,2 %, die
Blutzuckerwerte liegen nüchtern im Mittel um
125 mg/dl, postprandial um 200 mg/dl. Die Therapie mit Metformin wird gut vertragen. Das Gewicht beträgt mittlerweile 94 kg. Da die Blutzu-
118
ckerwerte noch nicht zufrieden stellend sind, wird
die Therapie um Sitagliptin ergänzt. Hier empfiehlt
sich aus Compliance- und Kostengründen die Gabe
eines Kombinationspräparats (Sitagliptin/Metformin 50 mg/1000 mg 1-0-1).
Nach weiteren drei Monaten beträgt der HbA1c
6,3 %. Das Gewicht konnte weiter auf 92 kg (einem
BMI von 28,4 kg/m2 entsprechend) reduziert werden. Die Therapie besteht aus 2-mal/d Sitagliptin/
Metformin (50 mg/1000 mg).
Die Triglyzeride haben sich unter adäquaten Blutzuckerwerten nahezu normalisiert. Das LDL-Cholesterin ist normwertig.
Der HbA1c-Zielwert sollte zu Vermeidung von mikro- und makrovaskulären Komplikationen bei
6,5 % liegen. Dies bedeutet für den noch relativ
jungen Patienten, dauerhafte Blutzuckerwerte bis
maximal 140 mg/dl postprandial anzustreben.
Fazit für die Praxis
1. Akute Infektionen (z. B. Atemwegs- oder Urogenitalerkrankungen) können zur Exazerbation eines vorbestehenden, aber bisher unentdeckten Typ 2-Diabetes mellitus beitragen.
2. Im Rahmen der Erstmanifestation des
Typ 2-Diabetes mellitus gilt es, ein exaktes
Risikoprofil des Patienten zu erstellen. Im
Rahmen der Erstschulung sollte der Patient
verstehen, welchen Anteil die jeweiligen
Risikofaktoren an der Entstehung mikro- und
makrovaskulärer Folgekomplikationen haben
und wie er die einzelnen Risikofaktoren beseitigen kann.
3. Eine gute Compliance vorausgesetzt, sollte
bei neu entdecktem Typ 2-Diabetes mellitus
gerade bei jüngeren Patienten ein normnaher
HbA1c-Wert (< 6,5 %) angestrebt werden.
Langfristig wird man nur dann therapeutische Erfolge verzeichnen, wenn der Patient
erkennt, dass Maßnahmen wie Lebensstiländerungen, Gewichtsreduktion, orale Antidiabetika und ggf. auch eine vorübergehende
Insulintherapie zur Verbesserung und nicht
zur Verschlechterung seiner Lebensqualität
beitragen.
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Tab. 2.16 Nachspritzschema mit Normalinsulin zwei
Stunden postprandial und Korrekturfaktor 20 mg/
dl (unter 2-mal/d 500 mg Metformin wird kein
Nachspritzschema mehr angewendet).
A
2.7 HbA1c-Zielwerte bei Typ 2-Diabetes mellitus
Tab. 2.17 Die wichtigsten Laborbefunde.
Messparameter
Messergebnis
Referenzbereich
Klinisches Bild
Glukose
360
70–100 mg/dl
Eine 76-jährige rüstige Rentnerin stellt sich aufgrund erhöhter Blutdruckwerte bei ihrem Hausarzt vor. Schon seit einiger Zeit messe sie mit dem
Blutdruckmessgerät ihres Ehemanns bei sich selbst
Blutdruckwerte um 150/90 mmHg. Nun habe sie
im Fernsehen eine Gesundheitssendung mit dem
Thema „Herzinfarkt“ gesehen und mache sich Sorgen, da bei ihr auch seit ca. 10 Jahren ein Typ 2-Diabetes mellitus bekannt sei. Die Diabetestherapie war seit Erstdiagnose mit Metformin 2-mal/d
1000 mg und ergänzend seit ca. vier Jahren mit
Glimepirid 3 mg erfolgt. Im letzten Jahr war sie
nicht beim Hausarzt, da sie sich wohl gefühlt habe.
Den Blutzucker messe sie nur bei Bedarf, aber in
letzter Zeit nicht mehr, da das Blutzucker-Messgerät defekt sei.
HbA1c
10,3
4,4–6,1 %
Kreatinin
1,6
0,7–1,2 mg/dl
GFR nach
MDRD-Formel
48
60,0–120,0 ml/
min
Triglyzeride
292
50–170 mg/dl
Gesamt­
cholesterin
150
50–200 mg/dl
LDL-Cholesterin
96
< 100 mg/dl
HDL-Cholesterin
32
> 35 mg/dl
Albumin im Urin
194
< 20 mg/g
­Kreatinin
α1 Mikroglobulin
79
< 14 mg/g
­Kreatinin
IgG Urin
26
< 10 mg/g
­Kreatinin
In der Praxis werden ein Nüchtern-Blutzuckerwert von 380 mg/dl und ein Blutdruck von
190/115 mmHg festgestellt. Der Hausarzt empfiehlt den Beginn einer antihypertensiven Therapie sowie eine Diabetesneueinstellung und überweist die Patientin an eine Schwerpunktpraxis.
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2.7.2 Fallbeispiel 2: HbA1cZielwerte bei älteren Patienten
GFR: glomeruläre Filtrationsrate, LDL: Low Density
Lipoprotein, HDL: High Density Lipoprotein,
IgG: Immunglobulin G.
Körperliche Untersuchung
Patientin in gutem Allgemein- und übergewichtigem Ernährungszustand (Körpergewicht 75 kg,
Körpergröße 165 cm, entsprechend einem BMI von
27,5 kg/m2). Die klinische Untersuchung von Herz,
Lunge, Abdomen und peripheren Pulsen ist unauffällig. Vibrationsempfinden mittels Stimmgabel beidseits 5/8. Herzfrequenz 90/min, Blutdruck
200/100 mmHg an beiden Armen.
Diagnostik und Befunde
1. Blutentnahme zur Labordiagnostik (internistisches Routinelabor, HbA1c, Urineiweißdifferenzierung, Lipiddifferenzierung): Ergebnisse
siehe ▶ Tab. 2.17.
2. EKG: normofrequenter Sinusrhythmus, Herzfrequenz 70/min, überdrehter Linkstyp, Herzzeiten in der Norm, keine signifikanten Erregungsrückbildungsstörungen.
3. 24-h-Blutdruckmessung:
Tagesmitteldruck
175/95 mmHg, keine adäquate Nachtabsenkung.
Erweiterte Diagnostik:
4. Echokardiografie: normale globale und regionale Pumpfunktion; linksventrikuläre Hypertrophie und Septumhypertrophie, diastolische
Dysfunktion, linker Ventrikel deutlich vergrößert; Klappen regelrecht.
5. Augenärztliches Konsil: keine diabetische Retinopathie, Fundus hypertonicus Grad 2.
6. Abdomensonografie: unauffällige Befunde der
abdominellen Organe inkl. Nieren, Pankreas,
Leber.
119
Typ 2-Diabetes mellitus
Tab. 2.18 Blutzucker-Tagesprofil nach Neueinstellung.
Uhrzeit
8:00
10:00
12:00
14:00
17:00
19:00
21:00
Blutzucker (mg/dl)
112
210
160
150
130
116
130
Repaglinide
3 mg
2 mg
2 mg
12 IE s. c.
NPH-Insulin
Diagnosen
1. Entgleister Typ 2-Diabetes mellitus, HbA1c
10,3 %
2. Arterielle Hypertonie mit hypertensiver Herzerkrankung, Fundus hypertonicus Grad 2
3. Dyslipidämie
4. Übergewicht
5. Niereninsuffizienz Stadium 3, am ehesten
Mischbild hypertensive/diabetische Nephropathie mit Mischform zwischen glomerulärer
und tubulärer Proteinurie
Therapie
▶▶Antihypertensive Therapie. Es wird mit einer
antihypertensiven Therapie mit 2-mal/d 2,5 mg
Ramipril begonnen. Bei unzureichender Blutdrucksenkung wird die Dosis auf 2-mal/d 5 mg Ramipril erhöht und im weiteren Verlauf die Therapie um Amlodipin 1-mal/d 5 mg morgens ergänzt.
Nach vier Wochen können Blutdruckwerte um
140/80 mmHg dokumentiert werden.
▶▶Diabetestherapie. Bei einem HbA1c-Wert von
10,3 % ist die Umstellung der Diabetestherapie indiziert.
Aufgrund der Niereninsuffizienz (GFR 48 ml/min)
und der unzureichenden Blutzuckersenkung wird
die vorbestehende Therapie mit Metformin und
Glimepirid beendet. Da der limitierende Faktor die
Niere ist, sind die Therapieoptionen eingeschränkt.
Eine Therapie mit Pioglitazon ist nicht mehr erstattungsfähig. Eine Therapie mit Gliquidon wäre
zulässig. Die Gabe von Gliptinen ist prinzipiell
möglich, allerdings in Monotherapie vermutlich
nicht ausreichend. Glinide kämen als Therapie in
Frage. Eine Insulintherapie sollte diskutiert werden. Die Patientin berichtet, dass sie große Angst
vor Hypoglykämien und dem Spritzen von Insulin
habe. Nach einem ausführlichen Gespräch über
die eingeschränkten Therapiemöglichkeiten ent-
120
scheidet man sich gemeinsam mit der Patientin
für eine basal unterstützte orale Therapie (BOT).
Diese besteht aus Repaglinide zu den Mahlzeiten
sowie einem Verzögerungsinsulin (NPH-Insulin).
Die Blutzuckerwerte liegen unter dieser Therapie im Mittel nüchtern um 110 mg/dl, maximale
post­prandiale Werte liegen bei < 220 mg/dl (▶ Tab.
2.18). Ein HbA1c-Zielwert zwischen 7,5–8,0 % mit
mittleren postprandialen Blutzuckerwerten um
175 mg/dl wird angestrebt.
▶▶Diabetes-Schulung. Die Schulung hat einen
Schwerpunkt in der neuen oralen Therapie mit
Repaglinide. Das Medikament wird vor den Hauptmahlzeiten eingenommen. Fällt eine Mahlzeit aus,
erfolgt auch keine Einnahme von Repaglinid, um
Unterzuckerungen zu vermeiden. Bezüglich der
abendlichen Insulingabe werden insbesondere
Spritztechniken erläutert. Die Schulung erfolgt gemeinsam mit dem Ehemann der Patientin. Blutzuckereigenmessungen werden geübt. Ein Ziel ist es,
die Angst vor Insulin zu nehmen, da das nächste
Stadium der Behandlung eine reine Insulintherapie wäre (weitere Schulungsinhalte s. Toolbox
▶ Kap. 8).
Weiterer Verlauf
Die Patientin stellt sich nun alle drei Monate bei
ihrem Hausarzt zur Kontrolle von HbA1c-Wert
und Blutdruck vor. Die Triglyzeridwerte haben
sich nach abgeschlossener Diabeteseinstellung
normalisiert. Nach einem halben Jahr beträgt der
HbA1c-Wert 7,8 %, durchschnittlichen Blutzuckerwerten von 177 mg/dl entsprechend. Die von
der Patientin dokumentierten Blutdruckwerte im
Rahmen der Blutdruck-Selbstkontrolle liegen im
Bereich des angestrebten Tagesmitteldrucks um
135/85 mmHg. Die Patientin fühlt sich mit der Insulintherapie nach anfänglicher Skepsis nun sicher und kann diese gut in ihren Alltag integrieren.
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A
2.7 HbA1c-Zielwerte bei Typ 2-Diabetes mellitus
Fazit für die Praxis
1. Die antidiabetische Therapie älterer Patienten
unterscheidet sich prinzipiell nicht von der
jüngerer. Voraussetzung ist allerdings, dass
keine nennenswerten funktionellen und organbezogenen Einschränkungen bestehen. So
sind bei betagten Menschen mit Typ 2-Diabetes mellitus, die einen guten körperlichen und
intellektuellen Allgemeinzustand aufweisen,
auch komplexe Therapieformen wie eine intensivierte Insulintherapie denkbar.
2. Anders verhält es sich bei älteren Patienten,
die z. B. Probleme mit der Handhabung von
Tabletten oder Insulinpens haben. Diese
bestehen insbesondere bei Einschränkungen
des Visus, intellektuellen Einschränkungen bei
bestehender Demenz, Einschränkungen der
manuellen Geschicklichkeit (z. B. ausgeprägter Tremor, Z. n. apoplektischem Insult mit
residualer Hemiparese, etc.). In diesen Fällen
muss die Therapie den aktuellen Lebensumständen angepasst werden.
3. Eine vorbekannte Niereninsuffizienz, die sowohl unter oraler antidiabetischer Therapie als
auch unter der Gabe von Insulin zu schweren
Hypoglykämien führen kann, sollte besonders
beachtet werden. In diesen Fällen sollte die
Blutzuckersenkung nicht zu aggressiv sein,
da schwere Hypoglykämien für die Patienten
potenziell lebensbedrohlich sein können (z. B.
Sturz mit konsekutiver Schenkelhalsfraktur
und Lungenembolie).
4. In Abhängigkeit von vorhandenen Spätschäden und der Vermeidung von Hypoglykämien
sollte bei älteren Menschen ein HbA1c-Ziel­
wert zwischen 7,5 und 8,0 % angestrebt
werden.
2.7.3 Fallbeispiel 3: HbA1cZielwerte in Abhängigkeit
von der Lebenserwartung
Klinisches Bild
Eine 91-jährige Seniorin berichtet ihrem neuen
Hausarzt, der das Seniorenheim betreut, über re-
zidivierende Stürze im Rahmen von Hypoglykämien (Blutzucker 40 mg/dl). Zusätzlich hätte ihre Gedächtnisleistung in den letzten Monaten stark abgenommen und sie habe immer weniger Appetit.
Mit ihrer verminderten Sehschärfe aufgrund einer
trockenen Makuladegeneration habe sie sich mittlerweile arrangiert. Momentan lebe sie im betreuten Wohnbereich, habe aber Angst davor, sich bei
einem Sturz eine Fraktur zuzuziehen und in den
Pflegebereich wechseln zu müssen.
2 Ein Typ 2-Diabetes mellitus ist seit ca. neun Jahren
bekannt. Seit acht Jahren besteht eine konventionelle Insulintherapie mit 30/70 Mischinsulin. Tabletten zur Diabeteseinstellung habe ihr der damalige Hausarzt nie verschrieben.
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Nach Lebensstilmodifikation liegt der BMI kaum
verbessert bei 27 kg/m2.
Sie bittet den Arzt, ihre Therapie so umzustellen,
dass Unterzuckerungen nicht mehr auftreten. Einen Krankenhausaufenthalt möchte sie unbedingt
vermeiden.
Körperliche Untersuchung
Patientin in mäßigem Allgemein- und reduziertem Ernährungszustand (Körpergewicht 48 kg,
Körpergröße 158 cm entsprechend einem BMI von
19,2 kg/m2). Die klinische Untersuchung von Herz,
Lunge, Abdomen ist unauffällig. Lipohypertrophien am Unterbauch beidseits. Die peripheren Pulse
sind beidseits nicht tastbar, die Füße sind jedoch
warm. Inspektion der Füße: keine Wunden oder
Ulzera, Tinea pedis interdigitalis beidseits und
Onychomykose D I und II links. Vibrationsempfinden links 3/8, rechts 2/8. Herzfrequenz 70/min,
Blutdruck 160/90 mmHg an beiden Armen.
Diagnostik und Befunde
1. Blutentnahme zur Labordiagnostik (internistisches Routinelabor, HbA1c): Ergebnisse siehe
▶ Tab. 2.19.
2. Blutzucker-Tagesprofil unter vorbestehender
Therapie beim Pflegepersonal beauftragen: Ergebnisse siehe ▶ Tab. 2.20.
3. Überweisung zu einem Augenarzt zur Kontrolle des verminderten Sehvermögens: fortgeschrittene trockene Makuladegeneration beidseits, keine Therapieoptionen; keine diabetische Retinopathie.
121
Typ 2-Diabetes mellitus
Tab. 2.19 Die wichtigsten Laborbefunde.
A
Messparameter
Messergebnis
Referenzbereich
Kreatinin
1,4
0,7–1,2 mg/dl
GFR nach MDRD-Formel
35,8
60,0–120,0 ml/min
HbA1c
5,7
4,4–6,1 %
GFR: glomeruläre Filtrationsrate.
Uhrzeit
7:00
10:00
12:00
17:00
19:00
Blutzucker (mg/dl)
85
147
54
110
119
Mischinsulin 30/70
20 IE s. c.
Diagnosen
1. Rezidivierende Hypoglykämien bei Typ 2-Diabetes mellitus, HbA1c 5,7 %
2. Rezidivierende Stürze bei 1. und 3.
3. Bekannte trockene Makuladegeneration beidseits mit verminderter Sehschärfe, Abnahme
des Kontrastempfindens und des Farbsehens
4. Tinea pedis interdigitalis, Onychomykose der
Fußnägel, diabetische Polyneuropathie
Therapie
Aufgrund der Hypoglykämien wird die Insulintherapie modifiziert. Da die Patientin in ihrer Sehschärfe aufgrund der Makuladegeneration eingeschränkt ist, wird das Pflegepersonal gebeten,
Blutzuckermessung und Insulinspritzen zu übernehmen. Die Lipohypertrophien werden markiert,
so dass das Pflegepersonal weiß, welche Spritzstellen gemieden werden müssen. Unkontrollierte Insulinresorption aus den Lipohypertrophien könnte
ein Grund für das plötzliche Auftreten von Hypoglykämien sein. Das Pflegepersonal wird gebeten,
Blutzucker-Tagesprofile zu erstellen (▶ Tab. 2.21).
Eine Blutzuckermessung sollte vor jeder Hauptmahlzeit sowie vor dem Zubettgehen zur Therapieanpassung erfolgen.
Zudem wird die Interdigitalmykose mit Ciclopiroxolamin-Creme behandelt.
▶▶Diabetestherapie. Das Ziel der Diabetestherapie ist die Vermeidung von Hypoglykämien und
122
10 IE s. c.
das Erreichen eines Blutzuckerlevels, mit dem sich
die Patientin wohl fühlt. Neben den Lipohypertrophien könnte auch die Kumulation von Insulin bei
Niereninsuffizienz ein Grund für die Hypoglykämien sein. Die Insulintherapie mit dem Mischverhältnis 30/70 wird beibehalten, jedoch besonders
morgens in der Menge deutlich reduziert. Höhere
morgendliche postprandiale Werte werden bewusst in Kauf genommen. Das Pflegepersonal wird
darüber ausführlich informiert. Ein HbA1c-Wert
von 8,5–9,0 % wird angestrebt.
▶▶Diabetes-Schulung. Die Patientin wird über die
geänderte Insulintherapie aufgeklärt. Das Pflegepersonal wird gebeten, die regelmäßige Inspektion der Füße, das Messen des Blutzuckers und
das Insulinspritzen zu übernehmen. Es erfolgt ein
Gespräch mit dem Pflegepersonal über geeignete
Spritzstellen und das Therapieziel, Hypoglykämien zu vermeiden. Höhere Blutzuckerwerte müssen
dabei toleriert werden.
Weiterer Verlauf
Unter der neuen Diabeteseinstellung kommt es im
Verlauf zu keinen weiteren Hypoglykämien. Die
Therapie wird durch das Pflegepersonal, welches
auch eine regelmäßige Fußinspektion durchführt,
überwacht. Die Patientin fühlt sich deutlich wohler und sicherer. Sie nehme wieder regelmäßig an
den wöchentlichen Treffen zum Rätselraten teil.
Nach drei Monaten wird der HbA1c-Wert kontrolliert. Dieser beträgt nun 7,6 %.
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Tab. 2.20 Blutzucker-Tagesprofil unter konventioneller Insulintherapie.
2.7 HbA1c-Zielwerte bei Typ 2-Diabetes mellitus
Uhrzeit
7:00
12:30
17:00
21:00
Blutzucker
(mg/dl)
138
181
145
102
Mischinsulin
30/70
14 IE
s. c.
8 IE
s. c.
Die Interdigitalmykose hat sich unter der genannten Therapie zurückgebildet.
Fazit für die Praxis
1. Bei eingeschränkter Lebenswartung aufgrund
fortgeschrittenen Lebensalters oder konsumierender Erkrankung bei jüngeren Menschen
gelten hinsichtlich der Diabetestherapie
vergleichbare Diabetestherapieziele. In Anbetracht der verbleibenden Lebensrestzeit sollte
die Lebensqualität im Vordergrund stehen.
Konkret bedeutet dies die Vermeidung von
Hypoglykämien sowie die Vermeidung zu
hoher Blutzuckerwerte, die beispielsweise
den Heilungsverlauf bei Superinfektionen
stark beeinträchtigen könnten oder zu einer
osmotischen Diurese führen. Im Vordergrund
stehen alltagsrelevante Behandlungsziele
wie der Erhalt der Selbstständigkeit und der
Lebensqualität des Patienten.
2. Bei älteren Patienten mit beginnender kognitiver Einschränkung, vorbekannter Demenz,
Visusminderung oder Verlust der manuellen
Fähigkeiten sollte die Überwachung einer antidiabetischen Therapie durch andere Personen übernommen werden (z. B. Angehörige,
Pflegepersonal). Diese „Hilfspersonen“ sollten
bzgl. der Prinzipen der antidiabetischen Therapie unterrichtet und in der Lage sein, evtl.
auftretende therapiebezogene Komplikationen zu meistern.
▼
3. Bei bestehender Multimorbidität, eingeschränkter Lebenswartung oder hohem
biologischen Alter ohne diabetische Folgeschäden ist der HbA1c-Wert als sekundär zu
betrachten. Das körperliches Wohlbefinden
mit der Vermeidung von Hypo- und Hyperglykämie steht im Vordergrund, wobei höhere
Blutzuckerwerte bewusst in Kauf genommen
werden. In diesen Fällen können HbA1c-Werte
zwischen 7,5 und 8,5 % vorliegen, aus denen
sich keine therapeutischen Konsequenzen
ergeben.
2 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
Tab. 2.21 Blutzucker-Tagesprofil unter der neuen
Therapie.
2.7.4 Fallbeispiel 4: Prognose
bei Begleiterkrankungen
Klinisches Bild
Ein 73-jähriger Mann stellt sich bei seiner Hausärztin wegen einer nicht heilenden Wunde an der
linken Ferse vor. Vor ca. vier Wochen habe er sich
durch seine neuen Sportschuhe an dieser Stelle
eine Blase zugezogen. Diese schnitt er aufgrund
starker Schmerzen und einer Einblutung auf. Daraus wäre die Wunde entstanden, die sich, statt zu
heilen, immer mehr entzündet und an Größe zugenommen hätte. Er habe auf Empfehlung eines
Bekannten eine honighaltige Paste zur Desinfektion und besseren Heilung aufgetragen, die aber leider nicht den gewünschten Erfolg erbracht hätte.
Er bedaure sehr, nun nicht mehr mit seinem Hund
spazieren gehen zu können. Schmerzen im linken
Bein wären allerdings bereits vor der Verletzung
nach einer kürzeren Wegstrecke (< 200 m) und zügigem Gehen gelegentlich im Wadenbereich aufgetreten. Zudem seien seine Blutzuckerwerte bei
bekanntem Typ 2-Diabetes mellitus in letzter Zeit
deutlich erhöht gewesen. Sie lägen im Mittel präund postprandial zwischen 280 und 400 mg/dl,
obwohl er aufgrund von Appetitlosigkeit fast gar
nichts mehr esse.
Die Hausärztin veranlasst aufgrund der Schilderung des Patienten und des lokalen Wundbefunds
die stationäre Einweisung.
Vorerkrankungen: Typ 2-Diabetes mellitus (Erstdiagnose vor 11 Jahren), arterielle Hypertonie,
Hypercholesterinämie, koronare Herzerkrankung
123
Typ 2-Diabetes mellitus
Aktuelle
Medikation:
Sitagliptin/Metformin
50 mg/1000 mg 1-0-1; Glimepirid 3 mg 1-0-0; ASS
100 mg 0-1-0; Ramipril 5 mg 1-0-1; Bisoprolol
2,5 mg 1-0-0; Simvastatin 40 mg 0-0-1.
Körperliche Untersuchung
Patient in reduziertem Allgemein- und leicht
übergewichtigem Ernährungszustand (Körpergewicht 90 kg, Körpergröße 184 cm, einem BMI von
26,6 kg/m2 entsprechend). Untersuchungsbefund
für Lunge, Herz und Abdomen unauffällig. Strömungsgeräusch über den supraaortalen Arterien rechts. Wunde am Hals nach Karotis-TEA links
reizlos. Linke Ferse: ca. 2 × 3 cm großes eitriges, an
den Rändern gerötetes Ulkus. Linker Fuß bis Mitte
der Wade überwärmt und gerötet. Periphere Pulse
links nicht tastbar, rechts schwach tastbar. Neurologischer Status: bekannte diskrete Hemischwäche
rechts, armbetont. Achillessehnenreflex beidseits
abgeschwächt. Vibrationsempfinden rechts 3/8,
links 2/8. Fußhaut warm und trocken/rissig, Temperaturempfinden beidseits herabgesetzt. Herzfrequenz 110/min, Blutdruck 160/90 mmHg, Temperatur 37,2 °C.
Diagnostik und Befunde
in der Klinik
1. Blutentnahme zur Labordiagnostik (internistisches Routinelabor bestehend aus Differenzialblutbild, Nierenwerten, Transaminasen, Elektrolyten, CRP, Glukose, HbA1c, Lipiddifferenzierung): Ergebnisse siehe ▶ Tab. 2.22.
2. Tiefe Abstriche der Wunde zur mikrobiologischen Untersuchung: massives Wachstum von
Staphylococcus aureus.
3. Ruhe-EKG: tachykarder Sinusrhythmus, Herzfrequenz 110/min, Linkstyp, keine signifikanten Erregungsausbreitungs- und Rückbildungsstörungen.
4. Doppler/Duplexsonografie der Beinarterien:
○○ Dopplersonografie der Beinarterien: Doppler-Index: 1,41 rechts, 0,81 links; Drücke bei
Mediasklerose nicht eindeutig verwertbar;
124
Tab. 2.22 Die wichtigsten Laborbefunde.
Messparameter
Messergebnis
Referenzbereich
Kreatinin
1,6
0,7–1,2 mg/dl
GFR nach
MDRD-Formel
30,2
60,0–120,0 ml/
min
Glukose
302
70–100 mg/dl
HbA1c
11,3
4,4–6,1 %
Triglyzeride
300
50–170 mg/dl
LDL-Cholesterin
180
< 100 mg/dl
HDL-Cholesterin
25
> 35 mg/dl
Gesamtcholesterin
250
50–200 mg/dl
CRP
83
< 5 mg/l
Hämoglobin
12,8
14,0–18,0 g/dl
Leukozyten
12,0
4,0–9,0/nl
Neutrophile
78
50–70 %
Thrombozyten
240
150–400 /nl
Natrium
137
135–145 mmol/l
Kalium
4,8
3,4–5,0 mmol/l
GFR: glomeruläre Filtrationsrate, LDL: Low Density
Lipoprotein, HDL: High Density Lipoprotein,
CRP: C-reaktives Protein.
Hämotachygramm links ab A. poplitea monophasisch. Rechts A. poplitea biphasisch,
A. tibialis posterior und A. tibialis anterior
monophasisch.
○○ Duplexsonografie der Beinarterien links:
freier Zufluss aus der Beckenetage. Deutlich
Plaques. Keine Abgangsstenose der A. femoralis profunda. Die A. femoralis superficialis
im Verlauf ohne relevante Stenose. Verschluss der schwer verkalkten A. poplitea ab
Segment PII.
○○ Duplexsonografie der Beinarterien rechts:
freier Zufluss aus der Beckenetage. Keine
Abgangsstenose der A. femoralis profunda.
Die A. femoralis superficialis mit proximal
deutlich arteriosklerotischen Wandveränderungen, nicht stenosierend. Ab Mitte des
Oberschenkels multisegmentale mittelgradige Stenosen. A. poplitea frei durchgängig.
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(Z. n. Stent und PTCA der rechten Koronararterie
[RCA] vor fünf Jahren, gute Pumpfunktion), Stenose der A. carotis interna 50 % rechts, Z. n. KarotisTEA links, Z. n. apoplektischem Insult links mit
residualer diskreter Hemischwäche rechts armbetont.
A
2.7 HbA1c-Zielwerte bei Typ 2-Diabetes mellitus
Diagnosen
1. Infiziertes Druckulkus der linken Ferse mit
Erysipel des Fußes und des distalen Unterschenkels
2. Entgleister Typ 2-Diabetes mellitus, HbA1c
11,3 %, diabetische Neuropathie (neu), diabetische Nephropathie
3. pAVK vom Unterschenkeltyp beidseits, links
kompliziert, vermutet im Stadium IIb nach
Fontaine
4. Arterielle Hypertonie
5. Hypercholesterinämie
6. Koronare Herzkrankheit
7. Stenose der A. carotis interna rechts 50 %, Z. n.
Karotis-TEA links
8. Z. n. apoplektischem Insult links mit residualer
diskreter Hemischwäche rechts armbetont
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2 Therapie
Die Befunde ergeben ein infiziertes Druckulkus
mit begleitendem Erysipel bei schlecht eingestelltem Diabetes mellitus mit diabetischer Neuropathie und Nephropathie, das unter lokaler Honigtherapie weiter exazerbiert ist. Nach konsequenter
Säuberung, scharfem Débridement und Anfrischen
der Wundränder unter Schmerztherapie wird eine
feuchte Wundbehandlung mittels eines antiseptischen Gels (Polyhexanid Gel) durchgeführt. Systemisch erfolgt die Therapie des Erysipels durch eine
intravenöse antibiotische Behandlung mit Cefuroxim. Darunter bessert sich der Lokalbefund der Rötung und die Infektparameter sind zögerlich rückläufig. Das Ulkus granuliert jedoch nur sehr langsam. Während des stationären Aufenthalts erfolgt
eine konsequente Druckentlastung, für zu Hause
wird ein Verbandsschuh verordnet.
Ein wichtiger Aspekt hinsichtlich des Heilungserfolgs ist eine gut eingestellte diabetische Stoffwechsellage. Als zusätzlich störender Faktor im
Heilungsprozess besteht eine pAVK beidseits. Da
aufgrund der glaubhaften Schilderung des Patienten links ein kompliziertes Stadium IIb nach Fontaine vermutet wird (eine Laufbanduntersuchung
wurde nicht durchgeführt) und ein Verschluss der
A. poplitea links besteht, wird parallel zur Diabeteseinstellung nach Besserung der Nierenfunktion
durch i. v. Flüssigkeitsgabe noch während des stationären Aufenthaltes eine Gefäßdarstellung der Becken-/Beinarterien mittels digitaler Subtrak­tions­
Abb. 2.2 DSA-Angiografie linkes Bein: Verschluss der
A. poplitea.
angiografie (DSA) unter PTA-Bereitschaft (PTA:
perkutane transluminale Angioplastie) durchgeführt (▶ Abb. 2.2, ▶ Abb. 2.3, ▶ Abb. 2.4). Durch
eine verbesserte Durchblutungssituation kann zur
Wundheilung weiter beigetragen werden.
▶▶Diabetestherapie. Bei einem HbA1c von 11,3 %,
einer diabetesassoziierten Komplikation und gefäßschädigenden Begleiterkrankungen ist eine
Umstellung der Diabetestherapie dringend indiziert. Die zusätzlich schlechte Nierenfunktion
macht bei dem Patienten eine Insulintherapie
notwendig. Da keine kognitiven Einschränkungen
bestehen, wird eine intensivierte Insulintherapie
vorgeschlagen. Der Patient ist damit einverstanden. Diese Therapieform ermöglicht ihm, seine
Flexibilität und Aktivität im Alltag wie bisher beizubehalten. Schwierigkeiten beim Insulinspritzen
durch seine diskrete Hemischwäche rechtsseitig
befürchtet der Patient nicht. Ein lang und ein kurz
wirksames Insulinanalogon werden gewählt. Un-
125
Typ 2-Diabetes mellitus
Abb. 2.3 DSA-Angiografie linkes Bein: Verschluss der
A. poplitea. Kurzstreckiger abgangsnaher Verschluss
der A. tibialis anterior. Verschluss des Truncus tibiofibularis. Kollateralenbildung.
Abb. 2.4 DSA-Angiografie linkes Bein: A. tibialis anterior über Kollateralen aufgefüllt. Flaue Kontrastierung
der distalen A. fibularis über Kollateralen.
Tab. 2.23 Blutzuckerkurve kurz vor Entlassung. Blutzucker-Zielwert: 140 mg/dl; Korrekturfaktor: ± 30 mg/dl.
Uhrzeit
8:00
10:00
12:00
KE-Faktor
3 IE/KE
Blutzucker
175
Kohlenhydrat-Einheiten
5
6
5
Analoginsulin (IE)
15+1
6+2
5+1
1 IE/KE
210
198
Verzögerungsinsulin (IE)
ter dieser Therapie (▶ Tab. 2.23) zeigen sich im
Stationsalltag mittlere prä- und postprandiale
Blutzuckerwerte zwischen 180 und 220 mg/dl.
▶▶Diabetes-Schulung. Der Patient wird ausführlich über seine neue Therapieform mit Insulin aufgeklärt und erhält strukturierte Einzelberatungen.
126
14:00
17:00
19:00
21:00
3:00
183
154
171
1 IE/KE
200
167
18
Diese beinhalten folgende Themen: Wirkweise,
Handhabung, Verwahrung von Insulin, Injektionsstellen, Verhalten bei körperlicher Aktivität
(Dosisanpassung, Hypoglykämieprophylaxe) und
Erkennung sowie Behandlung von Hyper- und
Hypoglykämien. Die Ehefrau wird mitgeschult.
Besonders wird das diabetische Fußsyndrom in
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A
2.7 HbA1c-Zielwerte bei Typ 2-Diabetes mellitus
Weiterer Verlauf
Noch während des stationären Aufenthalts normalisieren sich unter der antibiotischen Therapie die Entzündungswerte. Das Erysipel heilt ab,
die dadurch bedingte Rötung am Ulcusrandes ist
ebenfalls nicht mehr vorhanden. Die Wunde wird
täglich frisch verbunden und angeschaut, bei Bedarf wird sie gesäubert. Die nach Besserung der
Nierenwerte (GFR 42 ml/min) in der ersten Woche
nach stationärer Aufnahme durchgeführte DSA
der Becken-/Beinarterien zeigt am linken Bein einen Verschluss der A. poplitea ab dem Übergang
PI/II-Segment mit ausgeprägter Kollateralenbildung, einen Verschluss der abgangsnahen A. tibialis anterior sowie des Truncus tibiofibularis, eine
verschlossene A. fibularis im proximalen und mittleren Unterschenkeldrittel sowie einen Verschluss
der A. tibialis posterior bis zum mittleren Unterschenkeldrittel, ab hier Auffüllung über Kollateralen (▶ Abb. 2.2, ▶ Abb. 2.3, ▶ Abb. 2.4). Eine sinnvolle Intervention (PTA, Stent) im Rahmen der DSA
ist nicht möglich. Der Patient wird den Gefäßchirurgen vorgestellt. Diese empfehlen einen femoroanterioren Venenbypass links. Nach sechs Monaten beträgt der HbA1c 7,2 %. Die Bypass-Operation
zeigte ein gutes Ergebnis, die Operationswunden
sind reizlos und das Ulkus ist abgeheilt. Die gewohnten Alltagsaktivitäten können wieder ohne
Behinderung durchgeführt werden. Mit der intensivierten Insulintherapie kommt der Patient gut
zurecht. Das Körpergewicht ist konstant geblieben.
Fazit für die Praxis
1. Wie beim Typ 1-Diabetes mellitus ist auch
beim Typ 2 die Langzeitprognose der Erkrankung im Wesentlichen vom Fortschreiten
mikro-und makrovaskulärer Komplikationen
abhängig. Bei den makrovaskulären Komplikationen ist der Verlauf einer kardialen oder zerebralen Beteiligung prognostisch bedeutsam.
Bei den mikrovaskulären Folgekomplikationen
kommt prognostisch der Nephropathie und
der Retinopathie die größte Bedeutung zu. Bei
vorbekannter makro-/mikrovaskulärer Schädigung können eine konsequente Optimierung
der diabetischen Stoffwechsellage, eine korrekte Blutdruckeinstellung, die Beseitigung
einer Mikroalbuminurie sowie die Beseitigung
einer LDL-Cholesterinerhöhung prognoseverbessernd sein. Einer adäquaten Schulung, die
dem Patienten die synergistischen und additiven Effekte im Zusammenspiel verschiedener
Risikofaktoren verdeutlicht, kommt daher
große Bedeutung zu.
2. Gerade bei Patienten mit höhergradiger pAVK
und infizierten Wunden ist ein optimiertes Diabetesmanagement prognoseentscheidend.
Durch konsequente Blutzucker-Einstellung,
Optimierung der Begleitfaktoren wie z. B.
arterielle Hypertonie oder Hypercholesterinämie und adäquates Wundmanagement/
Revaskularisierung können mehrheitlich
Extremitäten erhalten und Majoramputationen vermieden werden. Da bereits kleinste
Fußläsionen schwerwiegende Folgen bei
Typ 2-Diabetes mellitus haben können, sollte
der Patient zur Prognoseoptimierung auf tägliche Fußkontrolle, angepasstes Schuhwerk,
adäquate Fußpflege und im Bedarfsfall Druckentlastung hingewiesen werden.
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Anbetracht seiner Polyneuropathie, der pAVK und
der Fußläsion hervorgehoben. Folgende Themen
werden besprochen: Fußpflege, Fußinspektion,
Druckstellenvermeidung, Schuhwerk, Umgang
mit Wunden und idealerweise Anbindung an eine
podologische Praxis. Auf zucker-/honighaltige Produkte an offenen Wunden sollte unbedingt verzichtet werden.
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