70 BZB Mai 11 Wissenschaft und Fortbildung Vollkeramik von A bis Z Zahnfarbene Restaurationsmaterialien im Fokus E i n K u r s b e r i c h t v o n D r. S e n k a G r ü n w a l d , M ü n c h e n Eine erstklassige Ästhetik, Funktion und höchste Langlebigkeit entstehen nur im Zusammenspiel von natürlich aussehenden Zähnen und einem gesunden Zahnfleisch. Um optimale ästhetische Lösungen erreichen zu können, bietet sich die Keramik als Mittel der Wahl an. Durchschimmernde Kronenränder, verfärbtes Zahnfleisch, unzufriedenstellende Ästhetik, Allergien und Unverträglichkeiten auf Metalle und Kunststoffverblendungen, wie sie bei verblendeten Metallkronen auftreten können, bleiben bei Vollkeramik aus. Der größte Teil des einfallenden Lichts wird in der Keramik durchgeleitet – es tritt ein Chamäleoneffekt ein, durch den sich die Restauration an die Umgebung anpasst. Was alles mit modernen Vollkeramiken, aber auch mit Hochleistungspolymeren erreicht werden kann, stellte Prof. Dr. Daniel Edelhoff in einem Kurs an der Europäischen Akademie für zahnärztliche Fort- und Weiterbildung der BLZK GmbH (eazf) in München vor. Im ersten Teil seines Vortrags gab der Referent einen umfassenden und grundlegenden Überblick über die Werkstoffkunde der dentalen Keramiken, welche in Silikatkeramiken und Oxidkeramiken eingeteilt werden können. Aus industriell vorproduzierten Keramikkörpern, welche keinem Schrumpfungsprozess bei der Weiterverarbeitung unterliegen, können äußerst präzise Restaurationen hergestellt werden. Silikatkeramiken Keramiken wie zum Beispiel Optec, VitaVM 7, IPS Empress oder IPS e.max Press erlangen ihre Festigkeit durch fein verteilte Kristalle aus Leuzit und Feldspat. Sie besitzen ein identisches Reflexionsvermögen wie der natürliche Zahn. Ihre Biegefestigkeit ist allerdings bei 100 MPa limitiert. Durch Zusätze wie Lithium können die physikalischen Eigenschaften optimiert und Biegefestigkeitswerte von bis zu 450 MPa erzielt werden, allerdings auf Kosten einer eingeschränkten Opazität. Lithiumdisilikatkeramik findet in der Regel als Gerüstmaterial Verwendung, für die gewünschte Ästhetik werden die Gerüste mit einer Verblendkeramik individualisiert. Um einen kraftschlüssigen Verbund zum Zahn ga- rantieren zu können, ist bei Restaurationen aus Silikatkeramik eine adhäsive Befestigung unbedingt erforderlich (Empfehlung des Referenten: Variolink II). Voraussetzung ist hierbei die ausreichende Konditionierung der Zahnhartsubstanz (Empfehlung des Referenten: Syntac Classic). Als Indikation für Silikatkeramiken gelten Inlays, Onlays, Teilkronen, Veneers und Einzelkronen sowie die Verblendung oxidkeramischer Gerüste. Oxidkeramiken Oxidkeramiken dienen als Gerüstmaterialien für Kronen und Brücken, auch sie werden mit entsprechenden Verblendkeramiken individualisiert. Oxidkeramiken auf der Basis von Aluminiumoxid werden zur Festigkeitssteigerung mit Glas infiltriert (z.B. In-Ceram Alumina und Zirconia oder Wolceram). Polykristalline Oxidkeramiken auf der Basis von Zirkoniumdioxid, die auch als Hochleistungskeramiken bezeichnet werden (z.B. In-Ceram AL), erhalten beispielsweise durch den Zusatz von 0,21 Prozent Aluminiumoxid eine verbesserte Korrosions- und Alterungsbeständigkeit. Zusätze von Yttriumoxid stabilisieren das Zirkoniumdioxid. Bei der Bildung von Mikrorissen, wie sie herstellungsbedingt oder durch zyklische Kaudruckbelastung auftreten können, entsteht an der Spitze des Risses durch Umwandlung der Kristalle aus der tetragonalen in die monokline Phase ein Volumenzuwachs, welcher durch Druckspannung weiterem Risswachstum entgegenwirkt (Airbag-Effekt nach Pospiech). Dies garantiert den Restaurationen Langzeitstabilität und Bruchfestigkeit. Prüfkörper aus Zirkoniumdioxid widerstanden im Laborversuch selbst Kräften von 9000 N (entspricht etwa 900 kg) ohne zu brechen. Kräfte dieser Höhe treten in der Mundhöhle bei Kaubelastung gar nicht erst auf. Hochleistungskeramik wird mit computergesteuerten Fräsautomaten subtraktiv bearbeitet und ermöglicht aufgrund ihrer herausragenden Materialeigenschaften auch sehr grazile Gerüste. Sie können sowohl adhäsiv als auch konventionell befestigt werden (Empfehlung des Referenten: Panavia F2.0 oder Rely X Unicem). Bei kurzen, konischen Stümpfen ist eine adhäsive Befestigung Pflicht. Wissenschaft und Fortbildung Hochleistungspolymere Ein hohes Zukunftspotenzial besitzen laut Professor Edelhoff Hochleistungspolymere wie etwa Telio CAD oder VITA CAD Temp multicolor. Sie bestehen aus reinem PMMA und werden für die Herstellung von Langzeitprovisorien mittels der CAD/CAM-Technik verarbeitet. Durch die hohe Qualität des industriellen Polymerisationsprozesses sind sie bezüglich ihrer Homogenität, Formstabilität und Abrasionsbeständigkeit den herkömmlichen Kunststoffen für chairside gefertigte Provisorien weit überlegen. Sie sind biokompatibel, da sie kein Restmonomer enthalten. Die jederzeitige, einfache und schnelle Reproduzierbarkeit von Provisorien wird durch die CAD/CAMHerstellung entweder direkt in der Praxis (z.B. CEREC) oder im zahntechnischen Labor (z.B. InLab) gewährleistet. Mittels der CAD/CAM-Technik lassen sich auch sogenannte „table tops“ (Repositionsonlays) herstellen. Sie werden zum Beispiel zur Bisshebung auf den Kauflächen der Zähne adhäsiv befestigt und schonen so, im Vergleich zu konventionellen Onlays, die Zahnhartsubstanz. Mittels zusätzlicher Schichtmassen und Malfarben können ästhetische Optimierungen vorgenommen werden. Ihre Indikationen haben die Hochleistungspolymere für temporäre Kronen und Brücken im Frontund Seitenzahngebiet, für die provisorische Versorgung von Implantaten, aber auch für die oben erwähnten „table tops“. Diese dienen zur therapeutischen Korrektur der Okklusion bei Kiefergelenksproblemen beziehungsweise zur Rekonstruktion der Vertikaldimension. Patienten mit stark abradiertem Gebiss können so optimal bis zu zwölf Monaten versorgt werden. Damit kann die Phase der Vorbehandlung zur Erarbeitung funktioneller und ästhetischer Gesichtspunkte erheblich ausgedehnt werden. Die definitive Rehabilitation ist dadurch gut vorhersagbar und angesichts der hohen Langzeitstabilität der Materialien gegebenenfalls auch in einzelne Behandlungssegmente unterteilbar. Komplexe Restaurationen, wie eine Full-MouthVersorgung eines abradierten Gebisses, welche stets eine besondere Herausforderung darstellt, werden so vorhersagbar, wie Professor Edelhoff anhand eigener beeindruckender Patientenbeispiele mit abrasiv-erosiven Kombinationsdefekten demonstrierte. Hier konnte er durch die temporäre Versorgung mit Hochleistungspolymeren, infolge deren Möglichkeit zur Modifikation und Feinadjustierung, das definitive Restaurationsziel gezielt erarbeiten. Der BZB Mai 11 einzige Nachteil der Hochleistungspolymere besteht laut dem Referenten darin, dass PMMA einen relativ hohen Wärmeausdehnungskoeffizienten besitzt und die Versorgungen daher im Mund „arbeiten“, was für manche Patienten mit ausgedehnten Restaurationen unangenehm sein kann. Im Team ist Erfolg planbar Anspruchsvolle Full-Mouth-Rehabilitationen können nur dann zu einem optimalen und vorhersehbaren Behandlungserfolg führen, wenn eine enge Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen Zahnarzt, Patient und Labor gegeben ist. Eine detaillierte und effiziente Planung sowie eine ausführliche Fotodokumentation im Vorfeld garantieren eine enge und synchronisierte Abstimmung zwischen Zahnarzt und Labor. Das Schlüsselelement für die Planung komplexer Fälle ist die Modellanalyse, betonte Professor Edelhoff. Mit einem analytischen Wax-up kann eine „diagnostische Schablone“ (transparente Tiefziehschiene) hergestellt werden, anhand welcher sich ein entsprechendes Provisorium gestalten lässt. Dieses soll der späteren Versorgung in Form und Dimension weitestgehend entsprechen. Der Patient bekommt so bereits vor der Präparation einen ersten Eindruck über das Behandlungsziel und kann eine ästhetische und funktionelle „Probefahrt“ unternehmen. Der Zahnarzt und das Labor gewinnen anhand des dreimonatigen Probetragens des Provisoriums eine funktionelle und ästhetische Evaluation des geplanten Ersatzes und können anhand der Abrasionen am Provisorium die geeignete Materialselektion treffen. So können Behandlungsziele früh determiniert und unangenehme Überraschungen vermieden werden. Fazit Ein beeindruckender und empfehlenswerter Vortrag eines Referenten, welcher als Zahnarzt und Zahntechniker durch seine jahrelange klinische und praktische Erfahrung mit Vollkeramik zu überzeugen wusste. Die zahlreichen, hervorragend dokumentierten Patientenfälle boten einen fundierten Einblick in die Thematik und die Möglichkeiten mit Versorgungen aus Vollkeramik beziehungsweise Hochleistungspolymeren. Den nächsten Kurs zu dieser Thematik bietet die eazf am 16. November 2011 in München an. Weitere Informationen unter www.eazf.de 71