Komplettes Heft Onkologische Welt 1/2011

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E 45120
ISSN 1869-0874
Onkologische
Welt
1/2011
ASH 2010
Therapieperspektiven
für Lymphome und Leukämien
SABCS 2010
Neoadjuvante Studien
im Fokus
Neuro-Onkologie
Hirnmetastasen
Maligne Gliome
Supportivtherapie
Lebensqualität, Thromboembolie, Schmerztherapie
Uro-Onkologie
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www.onkologische-welt.de
Onkologische Welt 2011; 2: 1–48
Februar
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Therapiefortschritte
beim Prostatakarzinom
Zu diesem Heft
© Schattauer 2011
Die Stunde der Analysten
Positive oder negative Studienergebnisse interessieren längst nicht mehr nur die wissenschaftliche Gemeinde, sondern lassen auch
die Börsenkurse von Unternehmen schwanken. Hier hat der SABCS 2010 einige unerwartete Überraschungen für die Analysten
aus der Medizin und Betriebswirtschaft gebracht. Nicht nur beim Mammakarzinom
hat nach meinem Eindruck der Anteil negativer Studien in letzter Zeit deutlich zugenommen. So muss beispielsweise der klinische Stellenwert der Bisphosphonate (siehe Seite 15) oder die mit vielen Hoffnungen
und Vorschusslorbeeren bedachten PARPInhibitoren neu überdacht werden.
Die Ursachen sind vielschichtig, und natürlich ist man nachher immer klüger.
Post-hoc-Auswertungen „negativer“ Studien zeigen nicht selten, dass Subgruppen
von Studienteilnehmern sehr wohl von der
Therapie profitiert haben. Aber eben nur
Subgruppen. Die Re-Analyse legt neben
anderen Hypothesen auch den Verdacht
nahe, dass das Studiendesign, das vor einigen Jahren entworfen wurde, inzwischen
von der aktuellen Erkenntnislage überholt
wurde. Das wäre angesichts des rasanten
Wissenszuwachses keine Überraschung,
würde sich aber als ernst zu nehmendes
und potenziell kostspieliges Problem bei
der Konzeption großer (Zulassungs)Studien erweisen. Und manchmal bewahrheitet
sich auch die alte Erkenntnis, dass eine gute supportive Therapie die Erfolge herkömmlicher Chemotherapien, aber auch
die der High-Tech-Medizin mit zielgerichteten Substanzen erst möglich machen.
Aber im Grunde wissen wir noch viel zu
wenig über die Tumorinduktion und -pathogenese. Wann und wie oft ist beispielsweise beim Mammakarzinom eine Re-Typisierung notwendig? Immerhin führt jede
sechste Biopsie zu einer Änderung der Therapie. Diskonkordanzen sind beim tripelnegativen Mammakarzinom relativ selten
(7%), bei nicht-tripel-negativen Tumoren
mit 44% aber sehr häufig. Dabei besteht
kein Einfluss der Zeit zwischen Primärtumor und Metastasen und dem Ausmaß der
Diskonkordanz. In diesem Zusammenhang ist es 11 Jahre nach der Zulassung von
Trastuzumab nicht hinnehmbar, dass etwa
jede fünfte dezentral durchgeführte
HER2-Typisierung falsch ist!
Wir müssen wahrscheinlich kleinteiliger
denken. Der Weg zu besseren Therapieergebnissen führt über eine bessere Definition von Subgruppen. Die Notwendigkeit,
zu wissen, welcher Patient von welcher
Therapie profitiert, gilt insbesondere für
den Einsatz von Kombinationen mehrerer
zielgerichteter Medikamenten. Nur bei einer ausreichenden Evidenz für eine positive
Nutzen-Risiko-Relation für eine definierte
Patientenpopulation werden die Kostenträger in Zukunft – zu Recht – bereit sein,
die Aufwendungen für derartige, sehr teure
Behandlungsregime zu bezahlen.
Dr. Alexander Kretzschmar
Dr. Alexander Kretzschmar, München
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1
Inhalt
Contents
2
Zu diesem Heft
1
A. Kretzschmar
Die Stunde der Analysten
Brennpunkt Gesundheitspolitik
3
AMNOG – steht ein Spardiktat vor der Tür?
5
Kongressnachlese:
52. Jahresversammlung der American Society of Hematology
10
Interview mit Prof. John Goldman, London:
CML – Von Anfang an auf die beste Substanz setzen
13
Interview mit Prof. Clemens Wendtner, Köln
CLL – Berechtigte Hoffnung auf weitere Fortschritte
Hämatoonkologie
Gynäkologische Onkologie
15
Kongressnachlese:
33. San Antonio Breast Cancer Symposium 2010
23
M. Nadji-Ohl
Neuro-Onkologie
Hirnmetastasen – veränderte Therapieeinstellung
27
F. Schmidt-Graf
Therapie maligner Gliome – aktuelle Konzepte
31
Schädelbasis-Tumore – Wölfe im Schafspelz
34
J. Ernst; D. Richter; J. Dorst; R. Schmidt; E. Brähler
Supportivtherapie
Lebensqualität krebskranker Eltern mit minderjährigen Kindern –
Problemaufriss
37
Internationale Literatur:
Inzidentelle Thromboembolien bei Tumorpatienten – erhöhtes Risiko nach
Start der Chemotherapie
39
Medikamentöse Schmerztherapie in der Supportivmedizin – die
Versorgungssituation bessert sich, aber Nachholbedarf bleibt
43
Neue Optionen in der metastasierten Situation – Fortschritte in der Therapie
des Prostatakarzinoms
46
Aus Forschung und Industrie
Serie urologische Onkologie
Spektrum Onkologie
Titelbild
Ferdinand Hodler (1853-1918): Kleider; ©visipics.com
Onkologische Welt 1/2011
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Brennpunkt
Gesundheitspolitik
3
AMNOG – steht ein Spardiktat
vor der Tür?
Das Arzneimittelneuordnungsgesetz (AMNOG) hat auch in der Onkologie für Unruhe gesorgt – besonders wegen der Nutzenbelege für neue Präparate. Die Perspektiven, des aus
Sicht mancher Onkologen zwar vom Ansatz her richtigen, von der Realisierung jedoch
bedenklichen Gesetzes, betonen ein grundsätzliches Problem in der Onkologie: „Wie kann
Versorgungsqualität wirklich nachhaltig verbessert und sichergestellt werden?“, fragte
Dr. Johannes Bruns, Berlin, Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG), bei
einem Treffen des „Gesprächskreis Versorgungsqualität in der Onkologie“ (1).
Dieser Arbeitskreis mit Vertretern aus der Wissenschaft und verschiedenen Verbänden, wie
AkdÄ, DKG, BNHO oder der Patientenselbsthilfe,
stellte im Januar 2011 ein Strategiepapier vor,
das Lösungsansätze für diese Frage vorlegt (2).
Neben den Voraussetzungen für die Zulassung neuer Arzneimittel, die in Europa von der
EMA festgelegt werden, beschäftigen die
Gruppe Fragen, die bisher nicht zufriedenstellend beantwortet werden können:
● Welche Erkenntnisse zu Wirksamkeit, Sicherheit und Nutzen benötigen wir über die
Zulassung von neuen Arzneimitteln hinaus?
● Welche Studien sollten hierzu nach der Zulassung nötig sein und wer finanziert sie?
● Welche Parameter sollten im Rahmen der
Nutzenbewertung evaluiert werden?
Nach intensiven Diskussionen hat der Gesprächskreis ein strategisches Konzept entwickelt, wie die
Versorgungsforschung in Deutschland gestärkt
werden kann, um damit eine qualitativ hochwertige, bedarfsorientierte Versorgung von Krebspatienten zu gewährleisten.
Strategiepapier mahnt
Handlungsbedarf an
Die Expertengruppe fordert in ihrem Konzeptpapier (2), nach Darstellung der immer
wieder kritisierten Probleme in der onkologischen Arzneimitteltherapie, dass zunächst alle
Ergebnisse vorliegen müssen, die von Herstellern im Rahmen der Zulassung eines Arzneimittels gewonnen wurden. Neben der Registrierung aller klinischen Studien müssen die Ergebnisse in einer Datenbank öffentlich zugänglich
sein. Auf der Grundlage dieser Daten sollte
dann eine unabhängige Expertenkommission
kurz nach der Zulassung prüfen, welche versor-
gungsrelevanten Fragen noch durch Studien zu
bearbeiten sind. Besonders gilt es, in unabhängigen Studien den Zusatznutzen für die Patienten im Vergleich zu den bisherigen Therapien
unter Alltagsbedingungen zu bestimmen.
Um klinisch relevante Erkenntnisse gewinnen zu können, sollten die Post-Zulassungsstudien möglichst alle Patienten mit den für die jeweilige Tumorerkrankung typischen Merkmalen einschließen und für die Patienten bedeutsame Endpunkte wie z. B. Überlebenszeit oder
krankheitsbezogene Lebensqualität gewählt
werden. Dies kann nur gelingen, wenn die regulatorischen (Verminderung des administrativen Aufwands) und finanziellen (zusätzliche
Mittel von DFG bzw. BMBF, GKV und den Herstellern) Rahmenbedingungen verbessert werden. Bevor die versorgungsrelevanten Fragen
geklärt sind, sollten die Arzneimittel nur von
entsprechend qualifizierten Leistungserbringern im Rahmen von Post-Zulassungsstudien
verordnet und von der GKV erstattet werden.
Das Konzeptpapier kommt zu dem Schluss,
„dass unabhängige klinische Studien nach der
Zulassung zu noch offenen versorgungsrelevanten Fragestellungen unverzichtbare Voraussetzung für einen bedarfsorientierten Einsatz medikamentöser onkologischer Therapien sind.“ Von
der gezielten Behandlung werden besonders Patienten mit Tumorerkrankungen profitieren. Das
verbesserte Wissen über erwünschte und unerwünschte Wirkungen kann darüber hinaus einen
wichtigen Beitrag zu einem effizienten Mitteleinsatz leisten, da die zum Teil sehr teuren Therapien nur bei denjenigen Patienten eingesetzt
werden, die mit großer Wahrscheinlichkeit auch
von ihnen profitieren. Es ist davon auszugehen,
dass sich die initialen Mehrkosten der Post-Zulassungsstudien durch diese Rationalisierung
der Tumortherapie zumindest teilweise aufheben.“
Leistungseinschränkungen auf der Grundlage von Kostenerwägungen erscheinen laut Expertenstatement hingegen wenig sinnvoll, solange keine einigermaßen verlässlichen Daten
über Nutzen und Risiken der Behandlung vorliegen. Neue Perspektiven ergeben sich auch für
die Kostenerstattung bei innovativen onkologischen Therapien, wenn man die Kostenübernahme durch die GKV an die Teilnahme an einer
Post-Zulassungsstudie koppelt (coverage by evidence development), ggf. nach Preisverhandlungen mit den Arzneimittelherstellern.
Die Onkologie könnte damit eine Vorreiterrolle für einen evidenzbasierten, auf den einzelnen Patienten abgestimmten Einsatz medizinischer Innovationen spielen, der nicht nur die
Versorgungsqualität steigert, sondern auch einen effizienten Einsatz begrenzter Gesundheitsressourcen ermöglicht.
Der Verteilungskampf
ist voll entbrannt
Auf der Pressekonferenz diskutierten einige Mitglieder des Gesprächsreises kontrovers, ob das besondere Hervorheben onkologischer Forderungen
weniger dem Patienteninteresse folgt, sondern
eher Ausdruck eines inhärenten Verteilungskampfs
verschiedener Fachgruppen entspricht. Bereits jetzt
käme es zu „heimlichen Rationierungen“, wie
Bundesärztekammerpräsident
Jörg-Dietrich
Hoppe, Berlin, im vergangenen Jahr beklagte (3).
Prof. Wolf-Dieter Ludwig, Berlin: „Der Verteilungskampf betrifft nicht nur die Onkologie,
sondern auch viele andere Bereiche der Medizin und deren Flut „innovativer“ Medikamente. Ob ein neues, „innovatives“ Arzneimittel
gleichbedeutend mit einen „therapeutischen
Fortschritt“ ist, kann zum Zeitpunkt der Zulassung bei vielen der Wirkstoffe nicht beantwortet werden.“
Durch die gemachten Vorschläge sollen diese Fragen ja beantwortet werden. Den Autoren
des Strategiepapiers geht es darum, für den
Einsatz dieser Medikamente eine rationale Basis zu schaffen und klar zu sagen, wo ein Nutzen oder Zusatznutzen gegenüber der Standardtherapie ist. Ludwig: „Als Skeptiker auf
diesem Gebiet muss ich feststellen: Bei 70%
der 25 bis 35 pro Jahr neu zugelassenen Arzneimittel haben wir keinen wirklichen Fortschritt,
also keinen Nutzen oder Zusatznutzen für die
Patienten, wie viele Studien zeigen. Da wir auf
die wesentlichen regulatorischen Abläufe bei
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Brennpunkt
Gesundheitspolitik
4
der europäischen Arzneimittelbehörde (EMA)
keinen Einfluss haben, schlagen wir eben vor,
uns auf den Zeitpunkt nach der Zulassung zu
konzentrieren. Und mit verschiedenen Konzepten zu versuchen, die Erkenntnisse zu schaffen,
um im Rahmen dieses Verteilungskampfes Arzneimittel gerechter einsetzen, Über-, Fehl-,
oder Unter-Versorgung vermeiden und mittelfristig die vorhandenen Ressourcen optimal
ausnutzen zu können. Ich bin fest davon überzeugt, dass mit dem Geld, das wir für Arzneimittel zur Verfügung haben, eine sehr gute Arzneimitteltherapie möglich ist. Wenn wir dies
nicht schaffen, haben wir unsere Instrumente
nicht richtig eingesetzt.“
Für Prof. Georg Marckmann, München, ist
„das Wichtige, eine Verbindung zwischen den
Verteilungsfragen und der Frage der Nutzenbewertung herzustellen. Bevor man vernünftig
über Verteilung reden kann, muss zunächst sichergestellt sein, welchen Zusatznutzen neue
Medikamente bringen.“
Über- oder Fehlversorgung
abbauen
Das hätte zwei Konsequenzen: Es können Überoder Fehlversorgung reduziert werden (Rationalisierung) – oberstes Gebot, um Ressourcen
für bedürftige Patienten freizusetzen. Wenn
dann verlässliche Nutzen-Bewertungen vorliegen, können laut Marckmann Grenzen gesetzt
werden, beispielsweise Höchstbeträge oder Er-
Das „verschwundene“ Gutachten: Sicherstellung einer
effizienten Arzneimittelversorgung in der Onkologie
Pikant ist es schon, dass das Fachgutachten „Sicherstellung einer effizienten Arzneimittelversorgung in der Onkologie“, das das Bundesministeriums für Gesundheit
(BMG) schon vor Jahren in Auftrag gegeben hatte, erst 2011 das Licht der Öffentlichkeit erblickte (http://bit.ly/gbUKIV).
Besonders interessant ist vor allem das Timing: Fertig gestellt wurde das Gutachten von
Prof. Gerd Glaeske, Bremen, und anderen
hochkarätigen Experten schon im August
2010, die letzte AMNOG-Anhörung im Bundestag folgte im September 2010 und die Verabschiedung des Gesetzes dann im November
des vergangenen Jahres. Offiziell wurde das
Gutachten aber erst am 11. Januar 2011 vom
BMG angenommen – womit die Chance, die
Inhalte bei der AMNOG-Anhörung zu verwenden, längst vertan war. Trotzdem, so hofft Prof.
Wolf-Dieter Ludwig, Berlin, könnte das Gutachten auch jetzt noch im Interesse einer
rationalen und bezahlbaren Krebstherapie
hilfreich sein.
In dem Gutachten wird resümiert: „Der Indikationsbereich Onkologie ist für die pharmazeutische Industrie ein wichtiger Wachstumsmarkt und zeigt weltweit auffällig hohe
Umsatzzuwächse. Wenn sich die Prognosen
bestätigen, dass in den nächsten fünf bis sieben Jahren ca. 30 bis 50 neue onkologische
Wirkstoffe bei gleichbleibend hohen Herstellerpreisen auf den Markt kommen, müssen für
die Zukunft erhebliche Ausgabensteigerungen bei den Ausgaben der Krankenkassen erwartet werden. ... Diese steigenden Therapiekosten (Jahresbehandlungskosten von 30 000
bis 60 000 Euro und höher) stellen für die
Krankenkassen eine finanzielle Herausforderung dar ...“.
In dem Gutachten wird der „Lebenszyklus“ eines Krebsmedikaments von der Entwicklung, Zulassung bis hin zur Versorgung
dargestellt und unter medizinischen, arzneimittelrechtlichen, sozialrechtlichen und ökonomischen Aspekten beleuchtet. Auf dieser
Grundlage werden Maßnahmen zur Sicherstellung einer effizienten und evidenzbasierten Arzneimittelversorgung in der Onkologie
vorgeschlagen, insbesondere zur Finanzierung von hochpreisigen onkologischen Arzneimitteln, zur Erforschung des Nutzens im
Versorgungsalltag und zur Sicherstellung einer neutralen Informationsvermittlung.
Die Empfehlungen des Gutachtens richten
sich an unterschiedliche Akteure auf nationaler und europäischer Ebene.
Rainer H. Bubenzer, Berlin
stattungsausschluss, wenn eine Innovation für
Patienten nur ein ganz geringen oder gar keinen Zusatznutzen hat.
Prof. Michael Hallek, Köln, sieht noch weitere Konsequenzen: „Die gestellte Frage hat
noch ganz andere Dimensionen. Ganz wesentlich ist, dass wir bei bestimmten großen gesundheitlichen Problemen falsch fokussieren.
Beispielsweise steht bei wesentlichen chronischen Erkrankungen wie dem ErwachsenenDiabetes nicht die eigentlich relevante Aufgabe
– die Prävention – im Fokus. Auch die aus meiner Sicht gigantische und krasse Verschwendung im Gesundheitswesen wird viel zu wenig
diskutiert. Ich denke, dass die vorhandenen
Ressourcen bei weitem ausreichen! Auch wenn
diese Aussage die Gegenthese zu den Untergangsszenarien vieler Gesundheitspolitiker ist,
die Priorisierung anmahnen, weil sonst Geld
fehlen würde. Unser Gesprächskreis fordert
deshalb ja, dass wir erst einmal unser Geld richtig einsetzen sollen.“
Priv.-Doz. Dr. Stephan Schmitz, Köln, widersprach. Das sei ein Totschlag-Argument
nach dem Motto, „wir müssen uns eigentlich
gar nicht anstrengen, sondern nur ein bisschen
dirigistisch diese Fehlallokation korrigieren“
und dann ist alles gut. Schmitz: „So ist es aber
nicht! Zum einen, und das haben entsprechende endlose Diskussionen vor knapp 10 Jahren
gezeigt (in Folge des Sachverständigen-Gutachtens „Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit“), kann der Aufwand zur Behebung von
Fehlallokationen gigantisch sein, teilweise sogar größer als die zu erwartenden Einsparungen. Und: Es führt kein Weg daran vorbei, dass
wir uns anstrengen müssen, die Versorgungsqualität im Interesse unserer Patientinnen und
Patienten nachhaltig zu verbessern und zu sichern.“
Rainer H. Bubenzer, Berlin
Quellen:
Das AMNOG und eine mögliche Stärke der deutschen
Onkologie – Versorgungsforschung vergessen? 6 Thesen zur Zukunftssicherung. Berlin, 19. Januar 2011.
Veranstalter: Gesprächskreis Versorgungsqualität in
der Onkologie.
Versorgungsqualität in der Onkologie – Herausforderungen und Lösungsansätze am Beispiel der Arzneimitteltherapie. Verfasser: Gesprächskreis Versorgungsqualität in der Onkologie. Berlin, 2010 (noch unveröffentlicht)
Nienhaus L: Ärzte beklagen Rationierung. Frankfurter
Allgemeine Zeitung. 17.1.2010 (http://bit.ly/gclEih).
Onkologische Welt 1/2011
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ASH-KongressNachlese
5
Highlights von der ASH-Jahrestagung
Neue Therapieperspektiven
für Lymphome und Leukämien
Für Hämatologen und Onkologen bot die wie jedes Jahr Anfang Dezember abgehaltene
Tagung der American Society of Hematology (ASH) erneut spannende Ergebnisse aus
der Grundlagen- und klinischen Forschung. Einige der in Orlando vorgestellten Studiendaten werden das Vorgehen im Praxisalltag verändern und neue Standards setzen.
Zwischen 50% und 60% aller Patienten, die
mittels allogener Stammzelltransplantation
(ASZT) behandelt wurden, erleiden in der Folge
eine chronische Graft-versus-Host-Disease
(GvHD). Die GVHD ist die häufigste Todesursache bei Patienten, die zwei Jahre nach der
Transplantation noch am Leben sind. „Prophylaktische Maßnahmen gegen eine akute GVHD
haben keinen Einfluss auf das spätere Auftreten einer chronischen GVHD“, erklärte Prof.
Corey Cutler, Boston/USA. Da eine Dysregulation von B-Zellen für die Entwicklung dieser
chronischen Abstoßungsreaktion mitverantwortlich gemacht wird, erprobte ihre Arbeitsgruppe in einer Phase-II-Studie den Einsatz von
Rituximab, das durch die Blockade des
CD20-Moleküls auf der Zelloberfläche zur
B-Zell-Depletion führt (1).
rapie absetzen. 71,1% der Teilnehmer waren
nach zwölf Monaten noch rezidivfrei am Leben.
Die Gesamt-Überlebensrate beträgt 88,6%. Rituximab wurde insgesamt recht gut vertragen.
Registriert wurden elf schwere Nebenwirkungen, in erster Linie Infektionen.
Diese „proof-of-principle“-Studie wurde
somit erfolgreich abgeschlossen, resümierte
Cutler. Rituximab scheine eine vielversprechende Option für die Prävention einer GVHD nach
ASZT zu sein, da die Steroidbedürftigkeit um
rund 50% gesenkt werden könne. Diese Ergebnisse sollten jetzt in einer größeren randomisierten Studie verifiziert werden.
Wie risikoreich ist die
Stammzellspende?
„Die Sicherheit von Fremdspendern hämatopoetischer Stammzellen ist wichtig, da es sich
um eine freiwillige Spende handelt“, betonte
Dr. Alexander Schmidt, Tübingen. Es gibt je-
Mit Rituximab gegen die
chronische GVHD
An der Studie beteiligten sich 64 Patienten, überwiegend mit Leukämien sowie mit Morbus
Hodgkin und Non-Hodgkin-Lymphom, die nach
ASZT in Remission waren. Sie erhielten ein Jahr
lang Rituximab in üblicher Dosierung von 375
mg/m² in dreimonatigem Intervall. Primärer Studienendpunkt war die Häufigkeit einer schweren, steroidbedürftigen GVHD nach einem Jahr.
Innerhalb von zwölf Monaten entwickelten
40,4% der Patienten eine GVHD. „Diese Rate ist
niedriger als bei historischen Kontrollen“, so
Cutler. 28,1% der Patienten benötigten Steroide
zur Kontrolle der Abstoßungsreaktionen. Damit
konnte die Häufigkeit der Steroidbedürftigkeit
im Vergleich zu historischen Daten etwa halbiert
werden. Nach einem Jahr erhielt nur noch knapp
ein Viertel der Patienten (22,4%) Kortikoide, etwa die Hälfte konnte die immunsuppressive The-
doch Befürchtungen, dass die Vorbehandlung
der Spender mit Filgrastim zur Mobilisierung
peripherer Blutstammzellen (PBSC) das Leukämierisiko erhöhen könnte. Um diesen Zusammenhang zu klären, startete die Deutsche
Knochenmarkspenderdatei (DKMS), das mit
mehr als 2,3 Mio. Spendern weltweit größte
Knochenmarkspenderzentrum, eine retrospektive Studie bei den Fremdspendern des DKMS
(2): Fast 15 500 Personen wurde ein einfacher
Fragebogen mit 4 Fragen zu allgemeinem Gesundheitszustand, Klinikeinweisungen und
Einnahme verschreibungspflichtiger Arzneimittel nach der Spende sowie der Bereitschaft zu
einer erneuten Stammzellspende zugeschickt.
Rund 12 500 Befragte antworteten, sodass
Schmidt die Rücklaufquote mit mehr als 80%
als ausgesprochen hoch wertete. Mit mehr als
55 229 Beobachtungsjahren ist die DKMS-Studie damit weltweit die bislang größte Untersuchung zu diesem Aspekt.
Sie liefert zudem beruhigende Ergebnisse:
Mehr als 95% der Fremdspender bezeichneten
ihren Gesundheitszustand als gut oder sehr
gut. Stationäre Aufenthalte, chronische Therapien oder verschreibungspflichtige Medikamente wurden von mehr als 80% der PBSCSpender und rund 75% der Knochenmarkspender nicht benötigt. Rund 95% der Befragten
würden erneut PBSZ spenden.
Kein erhöhtes Leukämierisiko
Auch in puncto Krebsrisiko kann die DKMS-Studie Entwarnung geben: Dokumentiert wurden
Fachdiskussionen im
Dezember unter
sommerlicher Sonne:
Kongressgebäude
in Orlando/Florida
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ASH-KongressNachlese
6
85 Malignome, darunter nur 6 hämatologische
Neoplasien. Die Leukämie- und Lymphom-Inzidenz der Fremdspender war gegenüber der Allgemeinbevölkerung nicht erhöht. Häufiger als
erwartet waren bei Knochenmarkspendern allerdings maligne Melanome. Schmidt wertete
dieses Ergebnis jedoch als statistisches Artefakt, da eine Korrelation zwischen Knochenmarkspende und Melanomentwicklung nicht
plausibel sei. Seltener als in der Allgemeinbevölkerung waren Lungenkarzinome, was
Schmidt mit dem hohen Gesundheitsbewusstsein von Stammzellspendern erklärte, die weniger rauchen als Vergleichspersonen. Auf Basis
der neuen Daten bezeichnete Schmidt die
PBSC- und Knochenmarkspende als sicher; eine
Erhöhung des Leukämierisikos könne ausgeschlossen werden. Es gebe daher keinen
Grund, das Vorgehen bei der Stammzellsammlung zu ändern.
lichkeit gab es kaum Unterschiede zwischen
den Studiengruppen: Die Raten hämatologischer und nicht hämatologischer Toxizitäten
waren in beiden Armen vergleichbar.
Eine Subanalyse weist darüber hinaus auf
den Wert der Rituximab-Erhaltungstherapie
hin, die das Gesamt-Überleben signifikant verlängerte: Das Mortalitätsrisiko war bei den 40
Patienten, die Rituximab zur Erhaltung bekommen hatten, um fast 80% niedriger als bei Patienten ohne Erhaltungstherapie (HR 0,21; p =
0,0008). „Unsere Studiendaten bestätigen die
Effektivität des BR-Regimes bei indolenten
Lymphomen und untermauern die günstige
Rolle der Rituximab-Erhaltungstherapie“, resümierte Studienleiter Prof. Mathias Rummel,
Gießen.
Bendamustin –
guter Partner für Rituximab
Dank der Entwicklung des Tyrosinkinase-Inhibitors (TKI) Imatinib konnte das Überleben von
Patienten mit chronisch-myeloischer Leukämie
(CML) dramatisch verbessert werden, erinnerte
Prof. Jorge Cortes, Houston/USA. In der Folge
wurden TKIs der zweiten Generation entwickelt, sodass auch Patienten mit ImatinibResistenz oder Unverträglichkeit eine effektive
Zweitlinientherapie angeboten werden kann.
Allerdings haben CML-Patienten, bei denen
zwei oder mehr TKIs versagen, und Patienten
mit der Mutation T315I in der bcr-abl-Kinase
weiterhin eine schlechte Prognose, da für diese
beiden Gruppen bislang keine effektive Therapieoption zur Verfügung steht.
Mittlerweile wurde mit Ponatinib ein Drittgenerations-TKI entwickelt, der in vitro mehrere Imatinib-resistente bcr-abl-Varianten und
weitere Kinasen von PDGF- und VEGF-Rezeptor
sowie FLT3 und c-Kit sehr potent inhibiert. Das
Besondere an Ponatinib: Als erster TKI ist die
Substanz auch bei der Mutation T315I aktiv, betonte Cortes. Zudem verhindert der Wirkstoff
im Tiermodell die Entwicklung resistenter Leukämiezellen.
Jetzt liegen auch positive klinische Daten zu
Ponatinib aus einer Phase-I-Studie vor (4). Sie
umfasste 74 Patienten, meist mit CML, aber
auch mit Philadelphia-positiver akuter lymphatischer Leukämie und akuter myeloischer Leu-
Die deutsche Studiengruppe indolente Lymphome (StiL) hat in einer Phase-III-Studie einen
neuen effektiven Kombinationspartner für Rituximab bei Patienten mit rezidiviertem follikulärem Lymphom, indolentem Lymphom oder
Mantelzell-Lymphom identifiziert. Die randomisierte Multizenterstudie umfasste 219 Patienten und verglich das etablierte Regime Fludarabin/Rituximab (FR) mit der Kombination
Bendamustin/Rituximab (BR) (3). Ab 2006 erhielten Patienten beider Arme zusätzlich eine
2-jährige Erhaltungstherapie mit Rituximab,
das zu diesem Zeitpunkt in dieser Indikation
zugelassen wurde. Primärer Studienendpunkt
war das progressionsfreie Überleben.
Nach 33-monatigem Follow-up erwies sich
das BR-Regime dem Standard FR als signifikant
überlegen: Patienten im FR-Arm überlebten
median elf Monate ohne Progress, Patienten im
experimentellen Arm mit 30 Monaten fast dreimal so lang (p<0,0001). Auch in puncto Ansprechen war das BR-Regime eindeutig effektiver: Die Gesamtresponserate betrug 83,5% –
gegenüber nur 52,5% im Kontrollarm. 38,5%
der mit Bendamustin, aber lediglich 16,2% der
mit Fludarabin behandelten Teilnehmer kamen
in eine komplette Remission. Bei der Verträg-
Neuer Drittgenerations-TKI
bei der CML
kämie. Die Mehrzahl der Patienten war schon
mit anderen TKIs vorbehandelt: 96% hatten
schon Imatinib, 89% Dasatinib und 55% Nilotinib erhalten. Bei 95% der Teilnehmer hatten
bereits mehr als zwei, bei 64% sogar mehr als
drei Vortherapien versagt. Knapp zwei Drittel
der Patienten besaßen mindestens eine Mutation, 8% sogar zwei und mehr Mutationen in der
bcr-abl-Kinase. Die Mutation T315I lag bei 28%
der Teilnehmer vor.
Ponatinib – effektiv nach
intensiver Vortherapie
Ponatinib wurde in diesem therapeutisch problematischen Kollektiv in eskalierender Dosis
von 2 bis 60 mg geprüft. 95% der CML-Patienten in chronischer Phase sprachen mit einer
kompletten hämatologischen Remission
(CHR), 66% mit einer major zytogenetischen
Remission (MCyr) und 53% mit einer kompletten zytogenetischen Remission (CCyR) an. Als
hoch aktiv erwies sich der neue TKI bei CML-Patienten mit der Mutation T315I: Alle neun Patienten sprachen mit einer CHR, acht von ihnen
auch mit einer CCyR an. Remissionen wurden
sowohl bei intensiv vorbehandelten Patienten
ohne Mutationen als auch bei Patienten mit Resistenzen gegenüber bisherigen TKIs erreicht.
Zudem bezeichnete Cortes das Verträglichkeitsprofil von Ponatinib bei therapeutischer
Dosierung als akzeptabel. Der Onkologe wertete die Ergebnisse als sehr vielversprechend, da
die Induktion von Remissionen bei stark vortherapierten und multirefraktären Patienten
bislang ausgesprochen schwierig ist. Im September wurde bereits die zulassungsrelevante
Phase-II-Studie PACE mit Ponatibib initiiert.
Katharina Arnheim, Freiburg
Literatur
1. Cutler C et al. Blood 2010; 116 (21): Abstract 214
2. Schmidt AH et al. Blood 2010; 116 (21): Abstract
365
3. Rummel M et al. Blood 2010; 116 (21): Abstract 856
4. Cortes J et al. Blood 2010; 116 (21): Abstract 210
Quelle: 52. Jahresversammlung der American Society
of Hematology (ASH) vom 4. – 7 Dezember 2010, Orlando/USA.
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ASH-KongressNachlese
8
Akute myeloische Leukämie
HDC verlängert das leukämiefreie
Überleben
Eine auf dem ASH 2010 vorgestellte Metaanalyse zeigt, dass die klinisch relevante
Verlängerung des leukämiefreien Überlebens unter der Kombinationstherapie Histamindihydrochlorid (HDC) plus Interleukin-2 (IL-2) (Ceplene® Injektionslösung) –
+5,65 Monate nach 5 Jahren im Vergleich zu dem Standardregime vor allem durch das
HDC vermittelt wird. IL-2 allein reicht nicht.
Mit HDC steht seit Mai 2010 ein neues Orphan
Drug zur Erhaltungstherapie bei erwachsenen
AML-Patienten zur Verfügung. Mit der Kombination HDC/ IL-2 soll eine immunvermittelte Zerstörung der überlebenden myeloischen Leukämiezellen nach der Remission induziert und
damit ein Rezidiv verhindert oder zumindest verzögert werden. Dabei schützt HDC die Lymphozyten, vor allem NK-Zellen und T-Zellen, als Träger der immunvermittelten Zerstörung restlicher
Leukämiezellen. IL-2 aktiviert die antileukämischen Eigenschaften dieser Zellen und induziert
eine Vermehrung dieser Zellpopulationen.
Die Dauer des leukämiefreien Überlebens
unter einer Monotherapie mit IL-2 wurde in 5
randomisierten, kontrollierten klinischen Studien mit insgesamt 905 Patienten in erster Remission (CR1) mit dem Standardregime (keine weitere Pharmakotherapie) verglichen. Für die Kombination HDC/IL-2 liegt eine Phase-III-Studie mit
261 CR1-Patienten vor. Hier stieg die mediane
Dauer des leukämiefreien Überlebens von 291
Tagen auf 450 Tage unter der Kombination.
In einer auf dem ASH 2010 vorgestellten
Metaanalyse dieser 6 klinischen Studien wurde
mittels des Bayes-Statistik-Modells (proportional
Rituximab-Erhaltungstherapie statt „wait and see“
Heilung beim follikulären Lymphom?
Die Strategie des „wait and see“ nach der Remission von Patienten mit follikulärem
Lymphom (FL) könnte bald passé sein. Denn Studien belegen, dass eine Erhaltungstherapie mit Rituximab das progressionsfreie Überleben signifikant verlängert und
das Rezidivrisiko praktisch halbiert.
Schon die 2-Jahresergebnisse der PRIMA-Studie
(Primary RItuximab and Maintenance) waren so
überzeugend, dass Rituximab sehr rasch zur
Erstlinien-Erhaltungstherapie bei FL-Patienten
zugelassen wurde, wenn diese auf die Induktionsbehandlung mit einer Remission reagieren.
Die 3-Jahresdaten der bislang größten multizentrischen Phase III-Studie zur Erstlinienbehandlung des FL bestätigen die klaren Vorteile und
lassen inzwischen sogar die Heilung der Patienten zu einem realistischen Therapieziel werden,
berichtete Prof. Martin Dreyling, München, bei
einer Post-ASH-Pressekonferenz.
In der PRIMA-Studie wurden nach seinen Worten 1018 Patienten, die mit einer kompletten oder
partiellen Remission auf die Induktionstherapie
mit Rituximab plus Chemotherapie reagiert hat-
ten, nach der Randomisierung nur nachbeobachtet (n = 513) oder alle zwei Monate mit Rituximab
375 mg/m2 behandelt.
Alle Subgruppen profitieren
Nach einer medianen Beobachtungszeit von zwei
Jahren waren 82% der Patienten im RituximabArm progressionsfrei gegenüber 66% im Beobachtungsarm. Das Rezidivrisiko wurde durch die
Erhaltungstherapie halbiert. Nach drei Jahren
sind laut den jetzt aktualisierten Daten 78,6% in
der Rituximab-Gruppe progressionsfrei gegenüber 60,3% unter der „wait and see“-Strategie.
Wie bereits bei den 2-Jahresdaten profitierten
laut Dreyling alle Subgruppen: „Die Therapievor-
und nicht-proportional) untersucht, welchen Nutzen die zusätzliche Gabe von HDC auf das leukämiefreie Überleben bringt: Verglichen wurden
HCD/IL-2 vs. IL-2 vs. Standardregime. Mit der Bayes-Statistik lässt sich im Gegensatz zur traditionellen Statistik die Wahrscheinlichkeit von wissenschaftlichen Aussagen, in diesem Fall zur Länge des Leukämie-freien Überlebens, berechnen.
Die Studiendaten zeigen für alle 3 Vergleichsarme einen Rückgang der Hazard Ratio für ein Rezidiv oder Versterben. In beiden Auswertungen
führte hier die Kombination HDC/IL-2 zu einer klinisch relevanten Verlängerung des leukämiefreien Überlebens nach 5 Jahren sowohl gegenüber
dem Standardregime (+5,65 Monate) wie auch
gegenüber IL-2 allein (+4,23 Monate). Dagegen
war das leukämiefreie Überleben unter IL-2 im
Vergleich zum Standardregime nicht entscheidend länger (1,42 Monate nach 5 Jahren).
Dr. Alexander Kretzschmar
Literatur
1. Berry SM et al. Blood 2010 116: Abstract 2182.
Quelle: 52. Jahresversammlung der American Society of
Hematology (ASH), 4.-7. Dezember 2010, Orlando/USA.
teile ergaben sich unabhängig vom Alter, vom Geschlecht und auch von der Art des Ansprechens“.
Die Erstlinien-Erhaltungstherapie hat sich vor
dem Hintergrund dieser Daten rasch als Standardbehandlung des FL etabliert. Sie ist inzwischen
auch in die Leitlinien der European Society of Medical Oncology (ESMO) wie auch des amerikanischen National Comprehensive Cancer Network
(NCCN) aufgenommen worden und wird auch
von der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie
und Onkologie (DGHO) empfohlen.
Die rasche Aufnahme in die nationalen und internationalen Leitlinien gründet sich auch auf die
vergleichsweise geringe Toxizität. So wurden keine unerwarteten Nebenwirkungen beobachtet,
die Verträglichkeit entsprach den allgemeinen Erfahrungen mit dem Antikörper. Bei den Nebenwirkungen standen wie erwartet Infektionen und
Neutropenien im Vordergrund, das jedoch laut
Dreyling auf vertretbar niedrigem Niveau.
Christine Vetter, Köln
Quelle: Post-ASH-Pressekonferenz „Perspektive Heilung? Aktuelle Fortschritte in der Therapie des follikulären Lymphoms und der chronisch lymphatischen
Leukämie“ am 13. Januar 2011 in Frankfurt. Veranstalter: Roche Pharma AG, Grenzach-Whylen
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ASH-Kongress
Nachlese
9
Endauswertung der Ofatumumab-Zulassungsstudie
Hohe Aktivität als Monotherapie
bei doppelt-refraktärer CLL
Die auf dem ASH 2010 präsentierte finale Auswertung der Zulassungsstudie unterstreicht die Wirksamkeit einer Monotherapie mit Ofatumumab (Arzerra®) bei Patienten
mit Fludarabin-und Alemtuzumab-refraktärer chronischer lymphatischer Leukämie (CLL).
Der neue CD20-Antikörper Ofatumumab bindet
wie Rituximab an den „large loop“ des
CD20-Moleküls auf B-Zellen, zusätzlich aber
auch an den nahe an der Zellmembran lokalisierten „small loop“. Darauf wird die in präklinischen Studien beobachtete stärkere Komple-
Anhaltende Wirksamkeit und Sicherheit
von Eltrombopag bestätigt
Ein auf dem ASH-Kongress in Orlando vorgestelltes Update der Langzeitstudie
EXTEND belegt die langfristige Wirksamkeit und Sicherheit von Eltrombopag
(Revolade®) bei der Therapie der chronischen Immunthrombozytopenie (ITP).
Bei dieser seltenen Autoimmunerkrankung
kommt es zur Zerstörung und unzureichenden
Bildung von Thrombozyten. Auf dem ASH 2010
wurde eine aktuelle Zwischenanalyse der
Langzeitstudie EXTEND zur Effektivität und Sicherheit von Eltrombopag bei der Dauertherapie der chronischen ITP vorgestellt.
In EXTEND wurden rund 300 ITP-Patienten
eingeschlossen, von denen fast 2/3 nicht splenektomiert waren. Die Patienten wurden median
über knapp zwei Jahre mit Eltrombopag behandelt; 24 Patienten erhielten den TPO-Rezeptoragonisten bereits drei Jahre und länger, berichtete Dr. Mansoor Saleh, Atlanta/USA (4).
Insgesamt 88% der Patienten sprachen auf
die Therapie an und erreichten eine Thrombozytenzahl von ≥50.000/μl . Die Responserate war
bei splenektomierten und nicht-splenektomierten Patienten (85% vs. 89%) vergleichbar. Parallel zum Anstieg der Thrombozytenzahl ging
die Blutungsrate deutlich zurück.
Bei keinem der 159 Patienten mit Knochenmarkbiopsie fanden sich Hinweise auf klinisch
relevante Knochenmarkanomalien oder Anzeichen einer Myelofibrose. Bei etwa 10% der mit
Eltrombopag behandelten Patienten kam es zu
Erhöhungen der Leberwerte, die jedoch meist
leicht und reversibel und nicht von klinischen
Symptomen begleitet waren, die auf eine
Leberfunktionsstörung hinweisen.
Eine ebenfalls auf dem ASH gezeigte Analyse
der Phase-III-Studie RAISE zeigt, dass die Res-
ponderrate (Anstieg der Thrombozytenzahl auf
≥50.000/μl) unter Eltrombopag sowohl bei Patienten mit (Odds Ratio 9,41; p<0,001) als auch
bei Patienten ohne Milz (OR = 6,02; p=0,002)
signifikant höher war als unter Placebo (3).Auch
die Blutungsrate wurde unter Eltrombopag sowohl bei splenektomierten als auch bei nichtsplenektomierten Patienten im Vergleich zu Placebo ähnlich stark reduziert.
In einer kumulativen Auswertung von 446 Patienten, die Eltrombopag im Rahmen mehrerer
Phase II- und Phase III-Studien erhielten, wurde
die Inzidenz von thromboembolischen Ereignissen (TEEs) untersucht (1): Die Inzidenz von TEEs
pro 100 Patientenjahre betrug 3,14 und war damit – trotz inzwischen längerer Therapiedauer –
sogar niedriger als die ein Jahr zuvor (2009) berichtete Inzidenz von 4,04/100 Patientenjahre, so
Prof. James B. Bussel, New York/USA. Insgesamt
traten bei 4,5% der mit Eltrombopag behandelten Patienten TEEs auf. Es gab keine Korrelation
zwischen der Höhe der Thrombozytenzahl und
TEEs. Alle Patienten mit TEE besaßen mindestens
einen Risikofaktor für ein solches Ereignis.
Eltrombopag wurde im März 2010 von der
European Medicines Agency für die Behandlung erwachsener splenektomierter ITP-Patienten zugelassen, die auf andere Medikamente
nicht ansprechen. Ist eine Splenektomie kontraindiziert, kann Eltrombopag auch als Zweitlinientherapie eingesetzt werden.
Dr. Alexander Kretzschmar, München
ment-abhängige Zytotoxizität (CDC) von Ofatumumab und dessen hohe In-vitro-Aktivität auch
bei geringer CD20-Dichte zurückgeführt (2).
An der nun auf dem ASH vorgestellten randomisierten, kontrollierten Multicenter-Zulassungsstudie nahmen 206 intensiv vorbehandelte CLL-Patienten teil, davon 95 doppelt-refraktäre Patienten, die weder auf Fludarabin noch auf
Alemtuzumab angesprochen hatten (FA-refraktär), und 111 Fludarabin-refraktäre Patienten
mit bulky disease (Lymphknoten >5 cm; BF-refraktär) (6). Die finale Auswertung zeigt für das
zulassungsrelevante Kollektiv der doppelt (FA-)
refraktären Patienten eine Ansprechrate (ORR)
als primärem Endpunkt von 51%, bei den BF-refraktären Patienten von 44%, so Prof. William
Wierda, Houston/USA. Auch doppelt refraktäre
Patienten mit ungünstiger Zytogenetik –
17p-Deletion: ORR 37%; 11q-Deletion: ORR
50%; Patienten mit Rituximab-Vortherapie: ORR
45% und FCR (Fludarabin, Cyclophosphamid,
Rituximab)-refraktäre Patienten: ORR 44% –
profitierten von der Monotherapie.
Ofatumumab wurde laut den Studienärzten
gut vertragen; es traten keine unerwarteten Nebenwirkungen auf. Infusionsreaktionen traten
überwiegend nur bei den ersten zwei Applikationen auf und waren meist leicht ausgeprägt.
Das progressionsfreie Überleben lag in beiden Gruppen (FA- und BF-refraktär) bei 5,5 Monaten; das Gesamtüberleben betrug bei doppelt refraktärer CLL 14,2 Monate (BF-refraktär:
17,4 Monate). Diese Ergebnisse übertreffen
historische Daten einer retrospektiven Analyse
von 95 Patienten des MD Anderson Cancer
Centers. Es überlebten dort doppelt refraktäre
Patienten median über alle Therapien hinweg
nur 8 Monate, BF-refraktäre Patienten median
14 Monate (5).
Dr. Alexander Kretzschmar, München
Quelle: 52. Jahresversammlung der American Society
of Hematology (ASH) vom 4. – 7. Dezember 2010,
Orlando/USA.
Literatur
1. Bussel JB et al. Blood 2010;116 (21): Abstract Nr.70.
2. Cheson BD J Clin Oncol 2010;28:3525–3530.
3. Olney H et al. Blood 2010;116 (21): Abstract Nr.
2512.
4. Saleh M et al. Blood 2010;116 (21): Abstract Nr .67.
5. Tam CS et al. Leuk Lymphoma 2007; 48:1931–1939.
6. Wierda WG et al. Blood 2010;116 (21): Abstract Nr.
921.
Hinweis: Mit freundl. Unterstützung
GlaxoSmithKline Deutschland, München.
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ASH
Interview
10
Von Anfang an auf die beste
Substanz setzen
Zur Jahrestagung der American Society of Hematology (ASH) in Orlando wurden neue
Studienergebnisse zu dem TKI der zweiten Generation Dasatinib bei Chronisch Myeloischer Leukämie (CML) vorgestellt. Diese bestätigen, dass Dasatinib im Vergleich zu
Imatinib zu einem schnelleren und tieferen Ansprechen führt. Was dies für die zukünftige Therapie für CML-Patienten bedeutet, erläutert der Hämatologe Prof. John
Goldman vom Hammersmith Hospital in London im Gespräch.
?
Welches sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Erkenntnisse aus den präsentierten
18-Monats-Daten der DASISION-Studie?
Prof. Goldman: Bei neu diagnostizierten
CML-Patienten bewirkt Dasatinib 100 mg/Tag
ein schnelleres und tieferes Ansprechen als einmal täglich 400 mg Imatinib. Dies zeigten bereits die 12-Monatsdaten und nach 18 Monaten konnten die Ergebnisse sogar noch einmal
verbessert werden. Den Surrogat-Marker
komplette zytogenetische Remission erreichten nun schon 78% der Patienten unter Dasatinib und nur 70% unter Imatinib. Das ist ein
signifikanter Unterschied. Auch hinsichtlich
des hauptsächlichen molekularen Ansprechens (MMR) erwies sich Dasatinib als überlegen: 57% der Patienten aus der DasatinibGruppe und 41% der mit Imatinib behandelten Patienten wiesen ein MMR auf (p =
0.0002). Einen Fortschritt der Erkrankung in
die akzelerierte Phase oder Blastenkrise erlitten
2,3% der mit Dasatinib und 3,5% der mit Imatinib behandelten Patienten. Kein Patient, der
eine gute molekulare Remission erreichte
(PCR<0,1%), erlitt eine Progression. Zudem
erwies sich Dasatinib als gut verträglich. Ich bin
der Meinung, dass die Patienten auf Grund
dieser Ergebnisse mit Dasatinib starten sollten.
Sie erreichen damit wesentlich schneller und
häufiger ein MMR und eine CCyR. Ihr Risiko
einer Progression ist nahezu um 28% niedriger
als unter Imatinib.
?
Inwieweit ist ein frühes Ansprechen
bedeutend?
Prof. Goldman: Ein unter Dasatinib beobachtetes schnelleres und tieferes Ansprechen
scheint für den ganzen Therapieverlauf entscheidend zu sein. Aus anderen Studien haben wir Hinweise, dass beim Fehlen eines
frühzeitigen Ansprechens die Gefahr von
Behandlungsfehlern und Krankheitsprogression wächst. Erst in letzter Zeit haben
wir erfahren, welche wesentliche Bedeutung
die prognostischen Marker haben. Dabei
zeigt sich, dass insbesondere auch ein frühes
Erreichen einer MMR entscheidend für den
Therapieerfolg ist. Gerade zeigte eine zum
ASH vorgestellte Studie aus der German
CML-Study IV, dass das Erreichen einer
MMR nach 12 Monaten mit einem verlängerten progressionsfreien Überleben und einem längeren Gesamtüberleben assoziiert.
?
Sollte zum jetzigen Zeitpunkt mit Dasatinib in der Erstlinie begonnen werden?
Prof. Goldman: Momentan teilt sich das Lager
der Hämatologen in zwei Hälften. Die eine
Hälfte plädiert dafür, mit Imatinib zu beginnen, da dies die Substanz sei, mit der es die
meisten Erfahrungen gäbe. Und bei Versagen
der Therapie könne dann auf ein Zweitgenerationstherapeutika gewechselt werden. Diese
Auffassung teilen ich und viele andere Kollegen
nicht. Wieso sollen wir nicht mit dem besten
starten, was für die CML-Patienten momentan
verfügbar ist? Dasatinib ist zugelassen für die
Erstlinientherapie, also sollten wir es in dieser
Indikation auch einsetzen. Das geringere Risiko, unter Dasatinib eine Resistenz oder einen
Krankheitsfortschritt der CML zu erleiden,
spricht klar für einen Einsatz gleich zu Beginn.
Dies würde dem Ziel folgen, die CML so
schnell wie möglich auf ein Minimum zurückzudrängen und auch mutierte Zellen, die vielleicht gegen Imatinib, nicht aber gegen Dasatinib resistent sind, früh zu beseitigen. Es konnte in einer weiteren Studie vom MD Anderson
Cancer Center belegt werden (Eghtedar A et al.,
ASH 2010, Abstract 3442), dass Behandlungsfehler unter den Substanzen der zweiten Generation sehr selten sind. Zudem kann bei Versagen der Therapie problemlos auf ein anderes
TKI gewechselt werden. Der Response ist dann
gegenüber früheren Annahmen nicht gemindert.
Prof. John Goldman,
Imperial College London
?
Welche Bedeutung hat eine komplette
molekulare Remission (CMR) für den
weiteren Therapieverlauf?
Prof. Goldman: Es gibt erste Hinweise, dass
beim Erreichen einer CMR unter Umständen die Medikation abgesetzt werden kann,
ohne dass die Erkrankung weiter voran
schreitet. Momentan ist es meiner Meinung
nach noch zu früh für solche Überlegungen.
Wir haben nur die Daten aus der französischen STIM-Studie und diese umfasst zu
wenig Patienten, um wirklich Schlussfolgerungen zu ziehen. Diese Frage muss in weiterführenden Studien geklärt werden. Ich
würde zum jetzigen Zeitpunkt immer noch
die Dauertherapie als Standard empfehlen.
?
Gibt es Unterschiede zwischen Nilotinib und Dasatinib, die im klinischen
Gebrauch beachtet werden sollten?
Prof. Goldman: Unter Nilotinib sind erhöhte
Leber-, Bilirubin-, Blutzucker- und Lipasewerte zu beobachten. Unter Dastinib dagegen
müssen die Pleuraergüsse mehr beachtet werden, die allerdings klinisch beherrschbar und
bei Absetzen der Substanz reversibel sind. Meiner Erfahrung nach sind beide Substanzen gut
verträglich. Allerdings muss Nilotinib zweimal
täglich auf leeren Magen eingenommen werden, d.h. innerhalb von 3 Stunden darf nichts
gegessen werden. Dies ist bestimmt nicht von
medizinischem Belang, aber es könnte dadurch das Risiko einer Non-Compliance deutlich gesteigert werden. Dasatinib muss nur einmal täglich eingenommen werden und trägt so
zu einer besseren Adhärenz bei.
Das Interview führte Bettina Reich, Hamburg
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ASH-Kongress
Nachlese
11
Multiples Myelom
Lenalidomid in der Erstlinientherapie beim älteren Patienten
Mit Lenalidomid (Revlimid®) wurden in den vergangenen Jahren wesentliche Fortschritte in der Therapie des Multiplen Myelom (MM) erreicht. Bisher ist es in der
Zweitlinienbehandlung zugelassen. Eine auf dem ASH 2010 vorgestellte Studie weist
darauf hin, dass auch ältere Patienten mit neu diagnostiziertem MM davon profitieren, die nicht für eine Transplantation infrage kommen.
Randomisierte Studien zeigten, dass eine autologe Stammzelltransplantation, ASCT, bei Patienten über 65 Jahre keinen Überlebensvorteil
mehr bewirkt. Zudem ist ein großer Teil nicht
für eine ASCT geeignet, so Prof. Antonio Palumbo, Turin/Italien. Für diese Gruppe ist die
Kombination Melphalan/Prednison/Lenalidomid (MPR) eine gut geeignete Therapieoption,
wie die Studie MM-015 zeigt (3).
Progressionsrisiko
verringert, PFS verlängert
In der Phase-III-Studie wurde Lenalidomid als
kontinuierliche Therapie bei 459 neu diagnostizierten MM-Patienten ≥65 Jahren untersucht.
Sie erhielten entweder jeweils neun Zyklen einer Kombination aus Melphalan, Prednison
und Lenalidomid (10 mg/d, d1–21), an die sich
eine Behandlung mit Placebo (MPR, n = 153)
oder eine kontinuierliche Therapie mit 10 mg
Lenalidomid (d1–21) anschloss (MPR-R, n =
152). Die dritte Gruppe wurde mit neun Zyklen
MP und anschließender Placebogabe behandelt. Die Therapie dauerte bis zur Erkrankungsprogression.
Nachdem 70% der Patienten (median 21
Monate) einen Progress erfahren hatten, wurde diese geplante Zwischenanalyse durchgeführt. Unter MPR-R zeigte sich ein besseres
Gesamtansprechen (77% vs. 50%, p<0,001),
mehr Komplettremissionen (16% vs. 4%,
p<0,001) als auch sehr gutes partielles Ansprechen (32% vs. 12%, p<0,001). Zudem kam es
zu einem schnelleren Ansprechen (2 vs. 3 Monate, p<0,001). Das Progressionsrisiko wurde
durch Lenalidomid im Vergleich zur MR-Gruppe
um 58% vermindert (HR 0,423, p<0,001). Der
Vorteil zeigte sich auch im progressionsfreien
Überleben (PFS) nach 2 Jahren mit 55% versus
16%. Wurde die Lenalidomid-Therapie um weitere 10 Zyklen fortgesetzt, sank das Progressionsrisiko im Vergleich zu Placebo sogar um
69% (HR = 0,314, p<0,001. Das Gesamtüberleben ist auf Grund des kurzen Follow-Up noch
nicht aussagekräftig.
Die Patienten vertrugen die Therapie gut –
bei der Erhaltungstherapie mit Lenalidomid lagen die unerwünschten Wirkungen auf Placeboniveau. Daher empfahl Palumbo die kontinuierliche Lenalidomidtherapie für ältere nicht
transplantationsgeeignete Patienten mit neu
diagnostiziertem multiplen Myelom.
Erhaltungstherapie nach
ASCT
Zwei weitere präsentierte Updates großer Studien belegen, dass das Risiko für Progression
oder Tod durch eine Erhaltungstherapie mit Lenalidomid auch nach ASCT erreicht wird. In der
randomisierten Phase-III-Studie der CALGB
100104 erhielten 568 Myelom-Patienten unter
70 Jahren nach der ASCT als Erhaltungstherapie entweder Placebo oder Lenalidomid
(10–15 mg/d) (2). Nach 18 Monaten ließ sich
eine 61%ige Reduktion des Progressions- oder
Todesfallrisikos durch Lenalidomid feststellen
(p<0,0001). Die Zeit bis zur Progression betrug
unter dem Imid median 42 Monate vs. 22 Monate unter Placebo.
In der IFM 2005–02-Studie erhielten die Patienten im Unterschied zur vorhergehenden
Studie zunächst innerhalb von 6 Monaten post
ASCT eine zweimonatige Konsolidierungstherapie und danach eine Erhaltungstherapie. Das
4-Jahres-PFS betrug für Lenalidomid 60% vs.
33% unter Placebo. Die Überlegenheit war unabhängig von der zuvor eingesetzten Induktionstherapie, der Qualität des Therapieansprechens vor der Konsolidierung, einer Deletion 13
oder der Höhe des β2-Mikroglobulins.
Birgit Reich, Hamburg
Literatur
1. Attal M et al. Maintenance treatment with lenalidomide after transplantation for MYELOMA: final
analysis of the IFM 2005–02. Blood 2010; 116: 141.
Abstract 310.
2. McCarthy PL et al. Phase III intergroup study of lenalidomide versus placebo maintenance therapy
following single autologous hematopoietic stem
cell transplantation (AHSCT) for multiple myeloma: CALGB 100104. Blood 2010; 116: 21. Abstract
37.
3. Palumbo A et al. A phase 3 study evaluating the efficacy and safety of lenalidomide combined with
melphalan and prednisone in patients ≥65 years
with newly diagnosed multiple myeloma
(NDMM): Continuous use of lenalidomide vs. fixed-duration regimens. ASH 2010; Abstract #622.
Quelle: 52. Jahresversammlung der American Society
of Hematology (ASH) vom 4.-7. Dezember 2010, Orlando/USA
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ASH-KongressNachlese
12
ASH 2010
Follikuläres Lymphom
Pluspunkte für die Kombination
Beim follikulären Lymphom (FL) profitieren besonders Hochrisikopatienten mit
größerer Tumormasse und höherem FLIPI-Score von einer Kombinationstherapie mit
Rituximab plus Bortezomib (Velcade®) im Vergleich zu einer Monotherapie mit
Rituximab.
In Orlando wurden mehrere Studien zum Einsatz von Bortezomib beim FL vorgestellt. Rituximab ist hier zur Therapie der CD20-positiven
FL zugelassen. Eine Monotherapie mit Bortezo-
mib hat sich als wirksam bei schwer vorbehandelten FL-Patienten erwiesen. In 2 Phase-II-Studien war darüber hinaus die Kombination Rituximab/Bortezomib wirksamer als Rituximab al-
Tab. 1 Bortezomib plus Rituximab vs. Rituximab allein bei Patienten mit follikulärem Lymphom mit
Vortherapie, im Progress oder mit Rezidiv (Medianes Follow-up 33,9 Monate; medianes Überleben:
noch nicht erreicht)
lein. Eine randomisierte, offene, multizentrische Phase-III-Studie bestätigte jetzt die Überlegenheit der Kombination (1). Teilnehmer waren 676 FL-Patienten mit Vortherapie, im Progress oder mit Rezidiv. Rund ein Drittel des Studienkollektivs waren mit Rituximab vorhandelt. Der Zeitraum seit der letzten Therapie betrug in über 50% der Fälle >12 Monate.
Die Patienten erhielten entweder Rituximab
375 mg/m² d1, 8, 15, 22 im 1. Zyklus bzw. nur
d1 in den Zyklen 2–5 oder Rituximab (gleiches
Schema) plus Bortezomib 1,6 mg/m² d1, 8, 15,
22 in Zyklus 1–5. Die Zyklusdauer betrug 5 Wochen. Die Kombination Rituximab/Bortezomib
verbesserte gegenüber Rituximab allein signifikant das progressionsfreie Überleben als primärem Endpunkt, die Ansprechrate sowie die
Zeit bis zur nächsten Therapie (씰Tab. 1). Die
Zeit bis zu einer neuen Anti-Lyphomtherapie
betrug unter der Kombination 700 Tage vs. 537
Tage unter Rituximab.
Insbesondere Hochrisikopatienten hatten
ein deutlich längeres progressionsfreies Überleben mit der Kombination als unter einer Monotherapie mit Rituximab.
Die meist peripher auftretende Neurotoxizität war unter der Kombination erwartungsgemäß höher (Insgesamt: Rituximab 1%; Rituximab/Bortezomib 17%; Grad 3/4: Rituximab
0%; Rituximab/Bortezomib: 3%). Hinsichtlich
der Lebensqualität bestand kein signifikanter
Unterschied zwischen den Gruppen.
Ansprechen n (%)
Rituximab
(n = 324)
Bortezomib-R
(n = 315)
Odds-Ratio
p-Wert
ORR
160 (49)
199 (63)
0,569
<0,001
CR
59 (18)
79 (25)
0,665
0,035
PR
101 (31)
120 (38)
SD
20 (37)
78 (25)
PD
44 (14)
38 (12)
Anhalt. Ansprechen
>6 Monate insges.
24 (38)
159 (50)
0,608
0,002
Anhalt. Vollremission
54 (17)
76 (24)
Medianes PFS
(Monate)
11,0
12,8
HR:
0,88
0,039
Literatur
2-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit
23,5%
31,2%
HR:
0,707
0,013
1. Coiffier B et al. A phase 3 trial comparing bortezomib plus rituximab with rituximab alone in patients with relapsed, rituximab-naive or -sensitive,
follicular lymphoma. Blood 2010; 116: Abstract
857.
Medianes PFS bei hohem FLIPI 7,9
≥3 Monate
(n = 140)
11,4
(n = 139)
ORR: Overall Response; CR: Komplette Response; PR: Partielle Response; SD: Stabile Erkrankung; PD:
Progrediente Erkrankung; PFS: Progressionsfreies Überleben
Dr. Alexander Kretzschmar
Quelle: 52. Jahresversammlung der American Society
of Hematology (ASH) vom 4.–7. Dezember 2010, Orlando/USA.
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Interview
aktuell
© Schattauer 2011
Chronische lymphatische Leukämie
Berechtigte Hoffnung auf weitere
Fortschritte
Bei der Behandlung der chronischen lymphatischen Leukämie (CLL) ist einiges im Fluss
und es gibt berechtigte Hoffnungen, dass sich auch künftig weitere Fortschritte
werden etablieren lassen. Dies ist maßgeblich der engagierten Arbeit der Deutschen
CLL-Studiengruppe zu verdanken. Warum Studien wichtig sind, erläutert Prof. Clemens
Wendtner von der Klinik I für Innere Medizin des Universitätsklinikums Köln in einem
Interview.
?
Herr Professor Wendtner, wie steht es
in Deutschland mit der Versorgung
von Patienten mit chronischer lymphatischer Leukämie?
Wendtner: Die Versorgung der CLL-Patienten erfolgt hierzulande in drei Sektoren. Etwa 30 bis 40 Prozent der Patienten
werden durch niedergelassene Onkologen
und Hämatologen betreut, weitere 30 Prozent in akademischen Lehrkrankenhäusern
und das letzte Drittel schließlich in Universitätskliniken. Es gibt in Deutschland vergleichsweise viele Zentren, die Patienten
mit einer CLL behandeln und die Versorgung der Betroffenen ist im internationalen
Vergleich betrachtet durchaus gut.
?
Wie viele Patienten werden im Rahmen von Studien betreut?
Wendtner: Seit der Gründung der Deutschen CLL-Studiengruppe im Jahre 1996
haben wir rund 5000 Patienten mit CLL im
Rahmen von Studien behandelt. Die Inzidenz und Prävalenz der Erkrankung liegt
deutlich höher, sodass man bislang noch
nicht davon ausgehen kann, dass die Mehrzahl der CLL-Patienten in Studien eingeschlossen ist, auch wenn das unsere
Wunschvorstellung ist. Leider können wir
die Studienteilnahme nicht flächendeckend realisieren, allerdings werden in
Deutschland sicherlich mehr Patienten in
Studien behandelt, als es in anderen Ländern der Fall ist. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Deutsche CLL-Studiengruppe
im internationalen Vergleich eine der größten kooperativen Studiengruppen in diesem Sektor darstellt. Sie bietet ein breites
Spektrum an Studien, in die Patienten in
den unterschiedlichen Krankheitsstadien
Prof. Dr. Clemens Wendtner, Klinik I
für Innere Medizin des Universitätsklinikums Köln
eingeschlossen werden können, von der
Primärbehandlung bis schließlich hin zur
Stammzelltransplantation. Dabei werden
zum einen etablierte Therapieverfahren
und Protokolle weiter entwickelt und zum
anderen auch neue Wirkstoffe und Behandlungsansätze geprüft.
?
Warum klappt es nicht flächendeckend?
Wendtner: Es gibt eine Reihe von Gründen,
warum ein Patient im Einzelfall möglicherweise nicht an einer Studie teilnehmen kann.
In einigen Regionen gibt es einfach noch
nicht genug Zentren, um die CLL zu behandeln. Der häufigste Grund aber dürfte darin
bestehen, dass in den Studien immer strenge
Ein- und Ausschlusskriterien bestehen.
Wenn der Patient diese nicht erfüllt, ist eine
Studienteilnahme leider nicht möglich.
den, die sie außerhalb der Studien nicht bekommen könnten. Das zeigt zum Beispiel
die Situation älterer CLL-Patienten, die
normalerweise als Standardtherapie Chlorambucil, ein Medikament, das seit Jahrzehnten in dieser Indikation eingesetzt
wird, erhalten. Im Rahmen von Studien
prüfen wir Kombinationstherapien, weil
wir davon ausgehen, dass auch ältere Patienten davon profitieren. Die eingesetzten
Medikamente sind bisher aber nicht für
diese Indikation zugelassen.
?
?
Was kann man als niedergelassener
Hämatologe tun, um einen CLLPatienten in eine Studie einzuschließen?
Wendtner: Es ist dazu sinnvoll, sich mit einem CLL-Studienzentrum in Verbindung zu
setzen. An jedem Zentrum gibt es Spezialsprechstunden, in denen der Patient sich vorstellen kann und in denen dann geprüft wird,
welche Studie möglicherweise im individuellen Fall in Frage kommt. Patienten und Ärzte können sich außerdem vorab auf der Webseite der deutschen Studiengesellschaft unter
der Internetadresse www.dcllsg.de informieren, welche Studien derzeit laufen.
?
Inwiefern profitieren die Patienten,
die an Studien teilnehmen?
Wendtner: Sie erhalten oft die Möglichkeit, mit Medikamenten behandelt zu wer-
Wo gibt es noch Defizite bei der CLLBehandlung?
Wendtner: Defizite gibt es insofern, als die
Option, im Rahmen eines Studienprotokolls behandelt werden zu können, noch
nicht allen Patienten zugutekommt. Das
liegt zum einen daran, dass nicht alle Patienten erfasst werden, zum anderen ist es
aber auch darin begründet, dass wir noch
kein völlig flächendeckendes Netz an Prüfärzten haben. Vor allem bei Patienten mit
Krankheitsrezidiv, bei denen sich die Teilnahme an einer Studie zur Prüfung neuer
Medikamente anbieten würde, wird diese
Option aufgrund geographischer Hürden
manchmal nicht realisiert. Auch Transplantationszentren gibt es noch nicht in allen Regionen, wobei vor allem in den neuen
Bundesländern zum Teil noch weiterer BeOnkologische Welt 1/2011
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13
Interview
aktuell
14
darf für den Aufbau solcher Zentren besteht.
?
Bei der Behandlung der CLL ist einiges
im Fluss derzeit. Was sind die neuen
Trends?
Wendtner: Die Behandlung der CLL ist
praktisch stetig im Fluss, was letztlich direkt durch die Studien, die durchgeführt
werden, bedingt ist. Mit diesen Studien generieren wir Therapiestandards. Diese sind
zwangsläufig immer nur wenige Jahre gül-
tig, bis praktisch als Folge einer nachfolgenden Studie neue Erkenntnisse generiert
und damit dann auch neue Standards gesetzt werden. Derzeit betrachten wir bei gesundheitlich fitten Patienten eine Chemoimmuntherapie bestehend aus Fludarabin, Cyclophosphamid und Rituximab als
Standard. Das wird sich aber möglicherweise in wenigen Jahren schon geändert haben, da es sich um ein dynamisches Gebiet
handelt und in den Studien stetig neue
Therapieprotokolle getestet werden. Bei
der CLL spielt die Zeit eindeutig für die Patienten und wir können durchaus auf weitere Fortschritte und bessere Behandlungsund Heilungschancen für die Zukunft hoffen.
Herr Professor Wendtner, haben Sie vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Christine Vetter, Köln
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Kongressnachlese
SABCS 2010
15
Überraschungen auf dem 33. San Antonio Breast Cancer
Symposium (SABCS)
Neoadjuvante Studien im Fokus
Mehr als 9000 Brustkrebsspezialisten trafen sich wie jedes Jahr an gewohnter Stelle,
um sich über die neusten Entwicklungen zu informieren und die Konsequenzen zu diskutieren. Und Diskussionsbedarf gab es dieses Mal reichlich: Denn ein Großteil der
mit Spannung erwarteten Studien – insbesondere aus der Neoadjuvanz – zeigte überraschende Ergebnisse. Darüber hinaus war es äußerst erfreulich, dass ein Großteil der
interessanten Untersuchungen aus deutschen Federn stammte.
In den vergangenen Jahren hat sich die neoajuvante Therapie neben der adjuvanten Therapie
zu einem gleichberechtigten Standard entwickelt – nicht zuletzt dank der vielen Studien
der GBG (German Breast Group) und AGO (Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie). Basierend auf einem breitem Spektrum
von klinischen Studien zeigt sich, dass die neoadjuvante Therapie als mögliche Vorteile eine
steigende Rate brusterhaltender Operationen
und eine reduzierte Mortalität mit einer geringeren Toxizität der Therapie bietet. Außerdem
erhält man frühzeitig Informationen über die
Sensitivität der Tumorzellen und kann schneller
individuelle Therapieansätze entwickeln.
Lokale Rückfallrate nach
neoadjuvanter Therapie
In diesem Zusammenhang sind zwei zum
SABCS präsentierte Poster von besonderem Interesse. Zum einen stellte die Arbeitsgruppe um
Simonen et al. vom National Cancer Institute in
Bethesda die 25-Jahres-Ergebnisse im Vergleich zwischen brusterhaltender Therapie
(BET) und Mastektomie vor (7). Bei diesen 237
Frauen mit einem frühen Mammakarzinom
zeigte sich kein statistischer Vorteil für eine
Methode im Überleben (38% BET vs. 45,7%
Mastektomie, p = 0,43). Jedoch betraf ein Unterschied die lokale Rückfallrate: Das krankheitsfreie Überleben war schlechter unter den
Frauen in der BET-Gruppe (57% vs. 82%;
p<0,001).
Besonders häufig kam es in dieser Gruppe
zu einem ipsilateralen Befall. Allerdings minderte die lokale Rückfallrate nicht das Überleben. Zudem waren in der Studie relativ wenig
Patienten, außerdem haben sich die Operati-
onstechniken seitdem weiterentwickelt. Prof.
Judy Boughey von der Mayo Clinic in Rochester/USA kommentierte die Ergebnisse: „Wir
sollten unsere Patientinnen auf eventuell unterschiedliche lokale Rückfallraten hinweisen
und dies auch mit ihnen diskutieren.“
Insbesondere Frauen, die jünger als 40 Jahre sind, sollten auf dieses Risiko hingewiesen
werden. Boughey selbst präsentierte eine retrospektive Untersuchung, im Rahmen derer eine lokale Rückfallrate von 6,9% bei 3075 Frauen nachgewiesen werden konnte, die brusterhaltend operiert worden waren (2). Die mediane Zeit bis zum Rückfall betrug 3,4 Jahre. Interessant ist an dieser Studie, dass die Rückfallrate sich je nach Altersgruppe deutlich unterschied (씰Tab. 1). Die Tatsache, dass die jüngsten Frauen die größte Rückfallrate aufwiesen,
führte die Expertin darauf zurück, dass diese
Betroffenen oft sehr aggressive Tumore haben.
Der frühestmögliche Einsatz einer systemischen Therapie entspricht dem Verständnis von
Brustkrebs als Systemerkrankung mit früher
Dissemination von Tumorzellen. Neue Therapieprinzipien, wie zum Beispiel der Einsatz
neuer, zielgerichteter Substanzen, könnten zu
einer Erhöhung der Rate an pathologischen
Komplettremissionen (pCR) beitragen. Dies ist
zumindest die Hoffnung.
GeparQuinto mit überraschenden Ergebnissen
Diesem Ansatz folgt auch eine der momentan
laufenden neoadjuvanten Studien: Die deutsche GeparQuinto-Studie der GBG. Die Teilnehmer wurden entsprechend des HER2-Status
(nicht zentral bestimmt), der Stanzbiopsie und
des Ansprechens nach 4 Zyklen Epirubicin/Cyclophosphamid (EC), gefolgt von 4 Zyklen Docetaxel (Doc) im dreiwöchigen Abstand auf 3
verschiedene Therapiearme randomisiert, in
denen sie zusätzlich Bevacizumab, RAD001
(Everolimus) oder Lapatinib erhielten.
Die Auswertung bei HER2-positiven Patientinnen stellte Prof. Michael Untch, Berlin, vor
(씰Abb. 1) (9). Dazu wurden 620 HER2-positive
Frauen entweder zu Trastuzumab (8 mg/kg initial, dann 6 mg/kg q3w) oder Lapatinib
(1000/1250 mg/d) randomisiert, jeweils in
Kombination mit einer EC-Doc-Chemotherapie; primärer Endpunkt der Studie war die pCRRate zum Zeitpunkt der Operation.
Im Ergebnis zeigte sich ein leichter Vorteil
für die Antikörpertherapie: Mit Trastuzumab
betrug die pCR-Rate 31,3%, mit Lapatinib
21,7% (p = 0,05). Der Effekt im Lapatinib-Arm
wurde allerdings dadurch beeinflusst, dass
mehr als ein Drittel der Patienten die Therapie
wegen unerwünschter Wirkungen, insbesonde-
Mehr als 9000 Onkologen trafen sich Ende 2010 auf dem
SABCS in San Antonio.
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Kongressnachlese
SABCS 2010
16
Tab. 1 Die lokale Rückfallrate ist bei Frauen
<40 Jahre ist besonders hoch (2)
Alter (Jahre)
Lokale Rückfallrate in %
<40
11,9
40–49
5,9
50–59
5,9
60–69
7,6
≥70
6,4
re Diarrhöen, vorzeitig beendeten, so Untch.
Gegen diese – in dieser Häufigkeit nicht erwartete – Nebenwirkung müssen entsprechende
supportive Maßnahmen ergriffen werden, forderte Untch. Als Konsequenz wurde bei vielen
Patienten die Lapatinib-Dosis gesenkt, was das
Ergebnis zusätzlich negativ beeinflusst haben
dürfte.
Beste Ergebnisse mit
dualer HER2-Blockade
Einen anderen Ansatz nutzte die NEO-ALTTOStudie (1): Sie kombinierte Lapatinib und Trastuzumab und nutzte dabei die unterschiedlichen Wirkmechanismen der beiden AntiHER2-Therapien: Trastuzumab greift die Tumorzelle von außen an, Lapatinib blockiert die Signalkaskade im Zellinneren. Synergistische Effekte beider Substanzen wurden 2009 in einer
Studie in der metastasierten Situation nachgewiesen.
Das Lapatinib und Trastuzumab sich optimal ergänzen zeigt nun auch die präsentierte
NeoALTTO-Studie. Hier erhielten die 455 Frauen mit primärem, HER2-positivem Brustkrebs
neoadjuvant zuerst eine sechswöchige Monotherapie mit Lapatinib (1500 mg/d) oder Trastuzumab (4 mg/kg initial, dann 2 mg/kg wöchent-
Abb. 1
Neoadjuvante
Therapie des
HER2-positiven
Mammakarzinoms in der
GeparQuintoStudie der GBG.
lich) oder aber eine Kombination beider zielgerichteter Substanzen (1000 mg Lapatinib/Tag
+ 4/2 mg Trastuzumab wöchentlich). Im Anschluss wurde 12 Wochen lang die jeweilige
Therapie zusätzlich mit Paclitaxel kombiniert.
Beim primären Studienendpunkt, der pCRRate, zeigte sich in den Monotherapie-Armen
mit den gegen HER2-gerichteten Substanzen
kein statistischer Unterschied zwischen Lapatinib und Trastuzumab (24,7% vs. 29,5%, p =
0,34). Jedoch konnte im Kombinationsarm nahezu eine Verdopplung des entscheidenden
Kriteriums erzielt werden (51,3%, p = 0,0001)
(씰Abb. 2). Das Gesamtansprechen nach 6 Wochen betrug im Kombinationsarm 67,1%
(p<0,001). Während die pCR-Rate unter der
Kombination bei Hormon-Rezeptor-positiven
Frauen mit 41,6% nicht so stark ausgeprägt
war, erwies sich bei HR-negativen Frauen der
pCR-Erfolg mit 61,3% als überaus gut.
Das bedeutet, dass bei fast zwei Drittel dieser Patientinnen nach neoadjuvanter Vorbehandlung kein Tumor mehr vorhanden war.
Studienleiter Prof. Jose Baselga, Barcelona/
Spanien, kommentierte: „Die duale antiHER2-Blockade scheint ein valides Konzept zu
sein“. Da aber auch in dieser Studie die Abbruchrate – insbesondere im Lapatinib-Arm –
sehr hoch war, stellt sich neben der Kostenfrage
auch die Notwendigkeit eines proaktiven Therapiemanagements. Da allerdings pCR-Rate
und Gesamtüberleben korrelieren, sollte die
Kombinationstherapie zukünftig wirklich in klinisch gängige Konzepte überführt werden, so
eine Expertenforderung.
Neue Option für kombinierte HER2-Blockade
Abb. 2
Neoadjuvante
Therapie des
HER2-positiven
Mammakarzinoms
in der NEO-ALTTOStudie
Eine dritte Untersuchung, die Phase-II-Studie
NEOSPHERE, untersuchte bei 417 Frauen mit
HER2-positivem Brustkrebs im Frühstadium die
Wirkung des HER2-Dimerisierungshemmers
Pertuzumab und Trastuzumab plus Chemotherapie (Docetaxel) in der neoadjuvanten Situation (4). Die Daten zeigen, dass die beiden Antikörper plus Docetaxel die Rate des vollständigen Verschwindens des Tumors (pCR, 45,8%) in
der Brust signifikant um mehr als die Hälfte verbesserte, verglichen mit Trastuzumab plus Docetaxel (pCR 29%; p = 0,014).
Weniger ausgeprägt war der Effekt auf die
pCR-Rate laut Studienleiter Prof. Luca Gianni,
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SABCS 2010
18
Abb. 3
Neoadjuvante
Therapie des
Mammakarzinoms in
der NEOSPHEREStudie: Pathologische Komplettremissionen (pCR) unter
Pertuzumab und
Trastuzumab plus
Docetaxel.
Mailand/Italien, bei der Kombination der beiden zielgerichteten Therapien ohne Chemotherapie (pCR = 17%). Allerdings zeigt das Ergebnis aus dem Chemotherapie-freien Arm einen
anderen Aspekt: „Einige Frauen können offensichtlich ganz auf eine Chemotherapie verzichten, wir müssen nur noch genau identifizieren,
welche Frauen das sind,“ betonte Gianni.
Ebenso wie in anderen Studien profitierten
auch in dieser Untersuchung insbesondere Hormonrezeptor-negative Frauen (씰Abb. 3).
Im Gegensatz zu dieser neoadjuvanten Studie stellte die Auswertung eines weiteren Arms
der GeparQuinto-Studie die Experten vor Interpretationsprobleme: Insgesamt 1948 HER2/-negative Frauen erhielten zusätzlich zur
Chemotherapie zusätzlich den AngiogeneseInhibitor Bevacizumab, eine Vergleichsgruppe
nur die Chemotherapie (6). Frühere Studien
hatten auf einen möglicherweise gesteigerten
Effekt dieser Substanz durch den präoperativen
Einsatz hingewiesen.
Allerdings zeigen die in San Antonio präsentierten Ergebnisse, dass Bevacizumab in diesem Setting keine Erhöhung der pCR-Rate bewirkte, sondern nur tendenziell leicht überlegen war. Nun muss noch ein längeres Followup sowie andere Studien wie die BEATRICEStudie abgewartet werden, um Bevacizumab
endgültig in der Neoadjuvanz einschätzen zu
können, meinte Studienleiter Prof. Gunther
von Minckwitz, Frankfurt.
AZURE sorgt für
Diskussionsbedarf
Kürzlich hatten die Daten der ABCSG-12-Studie
gezeigt, dass die Zugabe von Zoledronsäure als
Begleitmedikation zur adjuvanten endokrinen
Therapie zu einer Reduzierung des Rückfallrisikos von fast einem Drittel führte. Daraus wurde
ein direkter antitumoraler Effekt des
Bisphosphonats postuliert. Die deutlich größe-
Nach dem Kongress:
Der berühmte „River
Walk“ von San
Antonio lädt zum
Entspannen ein.
re AZURE-Studie sollte nun klären, ob sich dieser Vorteil auch auf Chemotherapie-Patientinnen übertragen lässt. 3360 Frauen mit einem
Brustkrebs im Stadium II oder III erhielten zusätzlich entweder Placebo oder Zoledronat
4 mg alle 3 bis 4 Wochen für insgesamt 6 Dosen
und danach alle 3 Monate für weitere 8 Injektionen und danach alle 6 Monate für insgesamt
5 Applikationen. Dieses intensivierte Schema
wurde genutzt, um den direkten Antitumoreffekt besser nachzuweisen.
Die nun vorgestellten Daten bestätigen die
Ergebnisse der ABCSG-12-Studie zunächst
nicht (3). Nach einem medianen Follow-up
zeigte sich im primären Endpunkt, dem Gesamtüberleben oder progressionsfreien Überleben, kein Unterschied zwischen den Gruppen. Allerdings sank das Sterberisiko in einer
vorgeplanten Subgruppenanalyse bei postmenopausalen Frauen >5 Jahre nach der Menopause oder im Alter >60 Jahre (n = 1101) um
29% (p = 0,017). „Worauf dieser signifikante
Effekt zurückzuführen ist, müssen wir noch klären“, erklärte Studienleiter Prof. Robert Coleman, London/Großbritannien. Dazu sollen
auch die beiden Studien – AZURE und
ABCSG-12 – noch genauer verglichen werden,
um eine Erklärung für diese Befunde zu finden.
Der Stellenwert der im Knochenstoffwechsel eingreifenden Substanzen in der Adjuvanz
steht damit wieder auf dem Prüfstand. Aber
ganz sicher sind diese Substanzen weiterhin
von tragender Bedeutung in der metastasierten Situation, obwohl sich dort auch Veränderungen andeuten. Nachdem zum vergangenen
SABCS Prof. Alison Stopeck, Tuscon/USA, die
Resultate einer direkten Vergleichsstudie mit
2049 Patientinnen unter dem RANKL-Inhibitor
Denosumab gegenüber Zoledronat vorstellte,
wurde dieses Jahr nun die Verlängerung dieser
Untersuchung präsentiert (8). Diese Verlängerung um zusätzliche 4 Monate war nötig geworden, da im Denosumab-Arm die mediane
Zeit bis zum Eintreten des ersten skelettalen Ereignisses (SRE) noch nicht erreicht wurde.
Die Auswertung demonstrierte, dass es median 5 Monate länger dauerte, bis unter Denosumab im Vergleich zum Bisphosphonat Zoledronat ein erstes SRE auftrat (32,4 vs. 27,4 Monate, p = 0,0096). Darüber hinaus konnte der
Anteil der Patienten, welche pathologische
Frakturen erlitten sowie die Anzahl der Knochenbestrahlungen signifikant reduziert werden. Stopeck: „Diese Patientinnen leben in der
Regel in diesem Krankheitsstadium rund 3 Jah-
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Kongressnachlese
SABCS 2010
20
re. Wenn wir ihnen in dieser Zeit 5 zusätzliche
Monate ohne SRE bieten können, ist das ein
enormer Zugewinn.“
Brustkrebstherapie in der
Schwangerschaft
Ein schwieriges Thema ging Dr. Sibylle Loibl,
Frankfurt/Main, an: Chemotherapie während
der Schwangerschaft. Gerade bei Frauen mit
ungünstiger genetischer Prädisposition entwickelt sich oft bereits im fortpflanzungsfähigen Alter ein Mammakarzinom, eine Diagnose
während der Schwangerschaft ist möglich. Die
Ärzte tendierten in solchen Fällen bisher zu
großer Vorsicht, um den Fötus zu schützen, die
betroffenen Frauen erhielten deshalb oft nicht
die für sie bestmögliche Behandlung, so Loibl.
Die GBG-Gruppe erfasst seit einiger Zeit in
einem europaweiten Register Daten von Pa-
tientinnen, die während der Schwangerschaft
erkrankten. Die Studie mit Angaben zu 289
Frauen hat nun ergeben, dass eine Chemotherapie den Fötus offensichtlich nicht schädigt
(5). 142 der werdenden Mütter wurden mit
durchschnittlich vier Zyklen Chemotherapie behandelt. Als Chemotherapie wurden ebenfalls
Taxane gegeben.
Die Ergebnisse zeigen für die Chemotherapie-Gruppe sogar eine signifikant niedrigere
Rate an Frühgeburten im Vergleich zu den Frauen ohne Chemotherapie (17% vs. 33%; p =
0,009). Die Häufigkeit von Komplikationen lag
auch nicht signifikant höher als im Durchschnitt bei gesunden Müttern. Zudem gab es
keine gesteigerten Probleme für die Kinder
durch die Verabreichung der Chemotherapie.
Loibl betonte abschließend: „Obwohl die Überlebenszeiten der Mütter uns zeigen, dass es
dort keinen signifikanten Unterschied zwischen den behandelten und den unbehandel-
Aromataseinhibitoren im Vergleich
Unterschiedliches Verträglichkeitsprofil beachten
Bei der Auswahl des „optimalen“ Aromataseinhibitors zur Therapie endokrin sensitiver Tumoren wird auch die Frage diskutiert, inwieweit sich steroidale und nichtsteroidale Wirkstoffe unterscheiden. In der MA.27-Studie wurden erstmals mit Exemestan
ein steroidaler und ein nichtsteroidaler Aromatasehemmer (Anastrozol®) in einer Phase-III-Studie direkt miteinander verglichen und neue Auswertung auf dem SABCS 2010
vorgestellt.
ten Frauen gibt, ist den Ärzten zu raten, die
Frauen so bald wie möglich auch während einer Schwangerschaft einer Brustkrebsbehandlung zu unterziehen, die analog zu NichtSchwangeren verabreicht werden sollte.“
Birgit Reich, Hamburg
Literatur
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
Baselga J et al. Abstract S3–3
Boughey J et al. Abstract P4–10–02
Coleman R et al. Abstract S4–5
Gianni L et al. Abstract S3–2
Loibl S et al. Abstract S6–2
Minckwitz G et al. Abstract S4–6
Simonen N et al. Abstract P4–10–01
Stopeck A et al. Abstract P6–14–01
Untch M et al. Abstract S3–1
Quelle: 33. Annual San Antonio Breast Cancer Symposium (SABCS) vom 8.-12. Dezember 2010, San Antonio/USA
Viel diskutiert werden auch neue Ergebnisse
zum Thema Übergewicht und Brustkrebs. Fasst
man die Daten der Studien TEAM, ABCSG12,
ATAC und ABCSG06 zusammen, so Jonath,
kann man folgende Aussagen treffen: Übergewichtige, prämenopausale Frauen haben unter
Anastrozol ein schlechteres krankheitsfreies
Überleben und Gesamtüberleben als unter Tamoxifen. Übergewichtige postmenopausale
Frauen haben generell ein erhöhtes Rezidivrisiko. Anastrozol wirkt bei Frauen mit Übergewicht schwächer als bei schlanken Frauen. Exemestan ist effektiv, unabhängig vom Body Mass
Index (BMI) der Frauen (3).
Dr. Alexander Kretzschmar, München
Bereits auf dem SABCS 2009 wurde zeigt, dass
die Effektivität der beiden Aromataseinhibitoren in der initialen adjuvanten Therapie „in etwa gleich ist“, so Prof. Walter Jonat, Kiel. Das
ereignisfreie Überleben und das Gesamtüberleben unterscheiden sich nicht signifikant (4).
Eine neue Auswertung bei mehr als 7500 postmenopausalen Brustkrebspatienten weist darauf hin, dass es in Hinblick auf das Verträglichkeitsprofil der beiden Substanzen einige Unterschiede gibt, die für die weitere Behandlung
wichtige Konsequenzen hat (1). So induziert
Exemestan im Verlauf der median 4,1-jährigen
adjuvanten Therapie signifikant seltener Osteoporose als Anastrozol (31 vs. 35%;
p = 0,001).
Damit werden die Ergebnisse früherer präklinischer und klinischer Studien bestätigt. Darin verursachte Exemestan im direkten Vergleich mit dem nichtsteroidalen Aromatasehemmer Letrozol einen geringeren Knochendichte-Verlust in Oberschenkelhals (-0,6 vs.
-1,96 % nach 12 Monaten) und Lendenwirbelsäule (-1,57 vs. -2.36%) (2).
Literatur
1. Goss PE, et al. 33. San Antionio Breast Cancer Symposium 2010, San Antonio/USA, oral Presentation,
Abstract S1–1.
2. Nogués X, et al. 32. San Antionio Breast Cancer Symposium 2009, San Antonio/USA, Abstract 3175.
3. Seynaeve C, et al. 33. San Antionio Breast Cancer
Symposium 2010, San Antonio/USA, oral Presentation, Abstract S2–3.
4. Stearns V et a. 32. San Antionio Breast Cancer Symposium 2009, San Antonio/USA, oral Presentation 14.
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Forum
SABCS 2010
21
(Neo)Adjuvante Therapie des frühen Mammakarzinoms
Docetaxel als Partner moderner
Antikörpertherapien
Mit neuen zielgerichteten Therapeutika soll das Outcome auch beim frühen Her2/neu
überexprimierenden Mammakarzinom noch weiter verbessert werden. Die auf dem
San Antonio Breast Cancer Symposium (SABCS) 2010 vorgestellten Studien zeigten
laut Prof. Wolfgang Eiermann, München, dass Taxane wie Docetaxel (Taxotere®) auch
in diesen Regimen unentbehrlich sind, um eine hohe Rate an histopathologischen
Komplettremissionen (pCR) zu erzielen.
Ein Schwerpunkt der zielgerichteten (neo)adjuvanten Therapie HER-2 positiver Mammakarzinome liegt auf der Vermeidung und Überwindung eines Nichtansprechens bzw. von Resistenzen gegen Trastuzumab. Neue Antikörper
wie Pertuzumab zielen auf die duale Blockade
nachgeschalteter Signaltransduktionswege,
die bei einer Resistenzbildung gegen Trastuzumab aktiviert werden. Neben der extrazellulären Domäne von HER2 blockiert Pertuzumab
auch die Heterodimerisierung von HER2 mit
anderen Mitgliedern der EGFR-Familie.
Höhere pCR-Raten
mit dualer HER2-Blockade
Die NEOSPHERE-Studie (Neoadjuvant Study of
Pertuzumab and Herceptin in an Early Regimen
Evaluation) (1) zeigt hier laut Eiermann die
Möglichkeiten und Grenzen der Antikörpertherapie in der neoadjuvanten Situation. In der
vierarmigen, randomisierten Multizenter-Phase-II-Studie erhielten 417 Trastuzumab-naive
Frauen mit neu diagnostiziertem HER2-positiven frühen Mammakarzinom entweder die
Kombination Trastuzumab/Pertuzumab allein
oder plus Docetaxel oder einen der beiden Antikörper plus Docetaxel. Primärer Endpunkt
war das Verschwinden des Tumors bis zur Operation (vollständiges pathologisches Ansprechen, pCR).
In der ITT-Auswertung erreichten Trastuzumab/Pertuzumab eine pCR von 16,8% –
deutlich weniger als unter den beiden Taxanhaltigen Armen Pertuzumab/Docetaxel (24%)
und Herceptin/Docetaxel (29%; p=0,0198 vs.
Herceptin/Pertuzumab). Mit 45,8% erzielte der
Arm Herceptin/Pertuzumab/Docetaxel jedoch
die höchste pCR (p=0,0141 vs. Herceptin/Docetaxel; p=0,003 vs. Pertuzumab/Docetaxel).
Es ist bekannt, dass der Hormonrezeptorstatus ein prädiktiver Faktor für eine pathologische Komplettremission ist. Bei den Östrogen- oder Progesteronrezeptor-positiven Frauen wurde mit den beiden Antikörpern eine pCR
von 5,9% erreicht. Durch die Kombination von
Docetaxel mit einem der beiden Antikörper
63,2
70
Abb. 1
pCR-Rate in der neoadjuvanten Therapie
mit Trastuzumab,
Pertuzumab und
Docetaxel bei neu
diagnostiziertem
HER2-positivem
Mammakarzinom (1)
pCR, % ± 95 % Cl
60
36,8
50
40
30
Östrogen- oder Progesteronrezeptor-positiv
Östrogen- oder Progesteronrezeptor-negativ
30,0
29,1
26,0
20,0
17,4
20
5,9
10
0
TH
T = Docetaxel
THP
H = Trastuzumab
HP
P = Pertuzumab
TP
wurde die pCR-Rate um das Dreifache (Docetaxel/Pertuzumab: 17,4%) bzw. beinahe das Vierfache (Docetaxel/Trastuzumab: 20,0%) gesteigert (씰Abb. 1).
Die NEOSPHERE-Studie bestätigt die Hypothese, dass die Blockade des HER2-Pathways
ein wichtiger Ansatz zur Steigerung der pCRRate ist. Trotzdem ist eine Chemotherapie zum
jetzigen Zeitpunkt weiter notwendig. Eiermann: „Heute fragen wir uns , welche Antikörper wir zur Chemotherapie geben, in einigen
Jahren wird die Frage umgekehrt gestellt: Welche Chemotherapie können wir zu den Antikörpern geben.“ Taxane bleiben ein unentbehrlicher Partner. Für Docetaxel wurde gezeigt,
dass es in diesen Regimen eine gut kombinierbare Substanz ist, so Eiermann.
Überlebensvorteil
für TAC-Regime bestätigt
Auf dem SABCS wurden auch die 10-JahresDaten der BCIRG 001-Studie zur adjuvanten zytostatischen Behandlung des frühem Mammakarzinoms mit Lymphknotenbefall gezeigt (2).
Die Studie verglich postoperativ die Kombinationen TAC (Docetaxel 75mg/m2; Doxorubicin
50mg/m2; Cyclophosphamid 500mg/m2) und
FAC (Fluoruracil 500mg/m2; Doxorubicin
50mg/m2; Cyclophosphamid 500mg/m2) .
Die Daten bestätigen die Überlegenheit des
TAC-Regimes vs. FAC . So waren 62% der TACund 55% der FAC-Gruppe nach 10 Jahren
krankheitsfrei (HR 0,80; p = 0,0043) und 76%
(TAC) vs. 69% (FAC) der Patienten am Leben
(HR 0,74; p = 0.002). Der Überlebensvorteil war
unabhängig vom Hormonrezeptorstatus. Unerwartete Langzeitnebenwirkungen wurden
nicht beobachtet.
Dr. Alexander Kretzschmar, München
Quelle: Presseroundtable „SABCS 2010 – Ein Update“ am 12. Januar 2011, München. Veranstalter:
Sanofi-Aventis Deutschland, Berlin
Literatur
1. Gianni L et al. 33. Annual San Antonio Breast Cancer Symposium (SABCS) vom 8.-12. Dezember
2010, San Antonio/USA, Abstract S3–2.
2. Martin M et al. 33. Annual San Antonio Breast Cancer Symposium (SABCS) vom 8.-12. Dezember
2010, San Antonio/USA, Abstract S4–3.
Hinweis: Mit freundl. Unterstützung von Sanofi-Aventis Deutschland GmbH, Berlin.
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SABCS 2010
22
Finale Ergebnisse einer Deutschen Praxisstudie auf dem
SABCS vorgestellt
Ibandronat reduziert erfolgreich
Schmerzen und erhält die Nierenfunktion
Ibandronat (Bondronat®) führt bei Brustkrebs-Patienten mit Knochenmetastasen zu einer schnellen und andauernden Schmerzreduktion und bestätigt sein günstiges renales Verträglichkeitsprofil auch unter den Bedingungen der klinischen Praxis. Zu diesem
Ergebnis kommt die finale Auswertung einer nicht-interventionellen Studie aus
Deutschland (1). Diese mit 3515 Teilnehmern bislang größte Datenerhebung zu Ibandronat wurde auf dem 33. San Antonio Breast Cancer Symposiums (SABCS) Ende 2010
vorgestellt.
Bisphosphonate gehören zur Standardtherapie
bei Brustkrebspatienten mit Knochenmetastasen. Die renale Verträglichkeit gehört dabei zu
den wichtigsten Parametern zur Bewertung der
Nutzen-Risiko-Relation. Für Ibandronat sind in
randomisierten, klinischen Studien nachhaltige
positive Effekte auf Skelett-bezogene Ereignisse und Knochenschmerzen bei geringer Inzidenz renaler Nebenwirkungen dokumentiert.
Dr. Marcus Schmidt, Universität Mainz, und
Kollegen untersuchten Schmerzstärke, Analgetikaverbrauch und renale Verträglichkeit bei
3515 Patienten mit Brustkrebs und Knochenmetastasen in einer nicht-interventionellen
Studie unter Alltags-Bedingungen (1). 92% der
Patienten waren chirurgisch und 71% radiotherapeutisch vorbehandelt.
Alle Studienteilnehmer erhielten über bis zu
24 Wochen Ibandronat in der Standard-Dosierung oral (50 mg/d) oder i.v. (6 mg /qw3 – 4).
Bei 90% der Studienpopulation waren bislang
noch keine Skelett-bezogene Ereignisse aufgetreten.
Knochenschmerz-Stärke
signifikant verringert
Die finale Auswertung wurde anhand der Daten von 3515 klinisch evaluierten Patienten
(mittleres Alter 63,6 Jahre) erstellt. Die Studienteilnehmer waren überwiegend nicht mit
Bisphosphonaten vorbehandelt (n = 2320).
418 Patienten hatten zuvor Ibandronat oder
weitere Bisphosphonaten (n = 777) – vor allem
Zoledronat (n = 503, 14%) und Pamidronat (n
= 256, 7%) – erhalten. „Mit über 3000 Patienten aus dem klinischen Alltag handelt es sich
um die größte Studie zum Einsatz von Ibandronat“, erklärte Schmidt.
Zu Beginn der Studie zeigte die Patientengruppe ohne vorherige Bisphosphonat-Therapie mit 3,2 den höchsten Schmerzwert auf einer visuellen Analogskala (VAS); gefolgt von
der Gruppe, die zuvor mit anderen Bisphosphonaten als Ibandronat behandelt worden war
(3,1). Die niedrigste Schmerzintensität wurde
zu Beginn bei Patienten mit Ibandronat-Vorbehandlung gemessen (2,5); sie war signifikant
niedriger als in den anderen Gruppen
(p<0,0001). Insgesamt 16% der Studienteilnehmer waren zu Therapiebeginn schmerzfrei,
am häufigsten (21%) in der Gruppe mit Ibandronat-Vorbehandlung. Unter den Bisphosphonat-naiven Patienten waren 16% schmerzfrei,
unter den mit anderen Bisphosphonaten vorbehandelten Patienten 14%.
Unter der Therapie mit Ibandronat wurde
bei 64% der gesamten Studienpopulation eine
Reduktion der Schmerzintensität erzielt, wobei
die mittlere Schmerzintensität während des gesamten Beobachtungszeitraum kontinuierlich
sank. Bei Patienten mit Schmerzen zur Baseline
sank die mittlere Schmerzintensität auf der visuellen Analogskala im Laufe der Beobachtungszeit von 3,1 auf 2,3 (p<0,0001).
Der zusätzliche Analgetika-Gebrauch konnte unter Ibandronat signifikant verringert werden: Bei insgesamt 57% der Patienten konnten
die Analgetika am Ende der Studie vollständig
abgesetzt werden vs. 54% zu Studienbeginn.
Hinweise auf relevante Unterschiede in der
Schmerzreduktion der beiden Ibandronat-Formulierungen wurden nicht gefunden.
Verträglichkeit auf hohem
Niveau
Zu Studienbeginn bestanden zwischen den einzelnen Gruppen deutliche Unterschiede im Hinblick auf die renale Funktion: Die mittlere Kreatinin-Clearance war bei Patienten mit Zoledronat-Vortherapie mit 72,4 ml/min zu Therapiebeginn signifikant niedriger als bei
Bisphosphonat-naiven Patienten (79,5 ml/min,
p<0,0001) bzw. Patienten, die mit Ibandronat
vorbehandelt waren (77,8 ml/min; p = 0,0090).
Unter der Behandlung mit Ibandronat blieb die
Nierenfunktion
unabhängig
von
der
Bisphosphonat-Vorbehandlung über den Beobachtungszeitraum in allen Subgruppen stabil. Skelett-bezogene Ereignisse waren mit 7%
selten, schwere renale Nebenwirkungen traten
nicht auf.
Beide Ibandronat-Formulierungen wurden
als verträglich bewertet. „Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die analgetische Wirksamkeit und das renale Verträglichkeitsprofil von
Ibandronat aus Phase-III-Studien Transfers auf
die klinische Routine unter realen Bedingungen zulassen“, interpretierte Schmidt die vorliegenden Daten.
11% der Studienteilnehmer brachen die
Studie vorzeitig ab, vor allem wegen Tumor-assoziiertem Versterben (36%) oder Krankheitsprogression (33%). Rücknahme der Teilnahmeerlaubnis (15%) und unerwünschte Nebenwirkungen (7%) waren weitere Gründe.
Dr. Alexander Kretzschmar
Quelle: 33. Annual San Antonio Breast Cancer Symposium (SABCS) vom 8.-12. Dezember 2010, San Antonio/USA
Literatur
1. Schmidt M et al. Ibandronate shows merked pain
relief and a favorable renal safety profile – final results of a large-scale non interventional study in
breast cancer patients with metatstatic bone disease. Abstract P1–13–02.
Hinweis: Mit freundl. Unterstützung der Roche
Pharma AG, Grenzach-Whylen.
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Neuro-Onkologie
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Hirnmetastasen
Veränderte Therapieeinstellung
M. Nadji-Ohl
Neurozentrum, Neurochirurgische Klinik,Katharinenhospital, Stuttgart
Schlüsselwörter
Keywords
Hirnmetastasen, Neurochirurgie, Strahlentherapie, Neuroradiologie
Brain metastases, neurosurgery, radiotherapy,
neuroradiology
Zusammenfassung
Summary
Eine adäquate und zeitgerechte Behandlung
von Hirnmetastasen setzt eine intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener
Fachrichtungen wie Onkologie, Strahlentherapie, Neurochirurgie und Neuroradiologie voraus. Nur so können individuelle Behandlungswege geplant und durchgeführt werden.
Die Fortschritte in der Behandlung verschiedener Krebserkrankungen hat einerseits erfreulicherweise zu einer Zunahme der mittleren Überlebenszeit der Betroffenen geführt,
konfrontiert uns aber zunehmend mit dem
Problem einer zerebralen Metastasierung.
Auch wenn es zum Routineprogramm der
Krebsnachsorge gehört, in bestimmten Abständen eine Ganzkörperuntersuchung
durchzuführen, ist die routinemäßige Untersuchung des Kopfes leider nicht in das Nachsorgeprogramm mit einbezogen. Diese Lücken müssen in naher Zukunft geschlossen
werden, da moderne Therapieverfahren
durchaus zu einer Verbesserung der Gesamtüberlebenszeit und Lebensqualität führen
können.
The appropriate and timely care for metastases of the brain presumes an intensive interdisciplinary collaboration of different fields
like oncology, radiotherapy, neurosurgery and
neuroradiology, thus only individual care
plans can be planned and executed. Progress
in care for different types of cancer has resulted in an increase of the mean survival time
but is confronting us with an increasing problem of cerebral metastases. Even though
whole body examination in a defined interval
is a routine program in follow-up care in
cancer treatment, a routine examination of
the head is not part of this program. This gap
must be closed in the near future, because
new and modern therapies indeed enhance
overall survival time and quality of life.
Dies führt zu einer veränderten Therapieeinstellung gegenüber dieser gefürchteten
Tumorkomplikation in den vergangenen
zwei Jahrzehnten.
Häufigkeit
Am häufigsten kommen Metastasen bei
folgenden Primär-Tumoren vor
● Lungenkarzinom 40–60%
● Mammakarzinom 20%
● Malignes Melanom 10–15%
● Urogenital-Tumoren 5%
● Gastrointestinal-Tumoren 5%
● Gynäkologische Tumoren 5%
● Seltene Tumorarten wie Sarkome, Kopfund Halstumore, Schilddrüsen Karzinom und andere
Mehr als 20% aller Patienten mit einem
Malignom entwickeln im Verlauf Hirnmetastasen. In 10–20% aller Fälle ist zum
Zeitpunkt der Diagnosestellung der Primär-Tumor nicht bekannt. Bei 5% der Patienten bleibt trotz intensiver diagnostischer Verfahren der Primär-Tumor unerkannt.
Absiedlungsart
Korrespondenzadresse
OÄ Minou Nadji-Ohl
Neurozentrum
Neurochirurgische Klinik, Klinikum Stuttgart
Katharinenhospital Haus E
Kriegsbergstraße 60
70174 Stuttgart
E-Mail: [email protected]
Brain metastases – change in therapeutic views
Onkologische Welt 2011; 2: 23–26
Metastasen machen zirka 30% aller Hirntumoren aus und sind somit die häufigste
im Gehirn vorkommende Tumorart. In
den vergangenen Jahrzehnten werden
Hirnmetastasen mit zunehmender Häufigkeit diagnostiziert. Hierfür gibt es mehrere
Gründe
●
●
●
Verbesserte diagnostische Verfahren wie
zum Beispiel die Kernspintomographie.
Wirkungsvollere therapeutische Kontrolle des Primärtumors
Veränderungen in der Alterspyramide
mit Zunahme der Tumorerkrankungen
im höheren Lebensalter
Hirnmetastasen können einzeln oder multiple vorkommen. Wenn es sich bei einer
einzelnen Hirnmetastase um die einzige
Tumorabsiedlung der Grunderkrankung
handelt, wird sie als „Solitär“ bezeichnet.
Im Falle eines weiteren Organbefalls wird
von einer „singulären“ Metastase gesprochen. Bei Befall der Hirnhäute entlang des
Gehirns und/oder des Rückenmarkes handelt es sich um eine „Meningeosis carcinomatosa“. Auch der knöcherne Schädel kann
von Metastasen befallen sein, häufig ist in
diesen Fällen die harte Hirnhaut (Dura)
mit betroffen (씰Abb. 1).
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M. Nadji-Ohl: Hirnmetastasen – veränderte Therapieeinstellung
Abb. 1 Multiple Metastasen (links); solitäre Metastase (Mitte); Metastase mit Infiltration des Knochens und der Dura (rechts)
Symptomatik
Therapieformen
Je nach Lokalisation treten unterschiedliche klinische Bilder auf
● Kopfschmerzen 50%
● Fokal neurologische Ausfälle (Lähmungen, Sehstörungen, Sprachstörungen)
50%
● Psychische Veränderungen (Hirnorganisches Psychosyndrom) 30%
● Krampfanfälle 15–20%
● Gangstörungen, Schwindel, Doppelbilder
● Hirnnervenlähmungen
● Hirndruckzeichen
Supportive Therapie
Mediane Überlebenszeit
Die mediane Überlebenszeit beträgt nach
Diagnosestellung und ohne Therapie 1–3
Monate. Grund hierfür ist die besondere
Situation des Gehirns welches vom knöchernen Schädel umgeben ist. Jeder zusätzliche raumfordernde Prozess im Schädelinneren führt unweigerlich zu einem
Druckanstieg der letztlich lebensbedrohlich und limitierend wirken kann. Bei
symptomatischer Behandlung mit Steroiden (Cortisonpräparate) beträgt die mediane Überlebenszeit etwa 2 Monate.
Eine Ganzhirnbestrahlung führt in
rund 70% der Fälle zu einer Verbesserung
der neurologischen Symptomatik und einer medianen Lebensverlängerung von 3–6
Monaten. Durch die Resektion von singulären Metastasen mit anschließender Ganzhirnbestrahlung verbessert sich die mediane Überlebenszeit um weitere 6–9 Monate.
Die wichtigste supportive Maßnahme ist
die Bekämpfung des Hirnödems und des
gesteigerten intrakraniellen Druckes, der
letztlich limitierend werden kann sowie die
Kontrolle symptomatischer epileptischer
Anfälle.
In der Umgebung eines raumfordernden Prozesses im Gehirn entwickelt sich
häufig ein Ödem. Bedingt durch eine veränderte Durchlässigkeit der Gehirngefäße
kommt es zu einer vermehrten Flüssigkeitsablagerung im Hirngewebe. Durch die
Gabe von Dexamethason, einem Kortisonpräparat kann das Ödem wieder abnehmen. Schon durch diese Maßnahme bildet
sich häufig die neurologische Symptomatik
zurück, speziell dann wenn funktionell
wichtige Hirnareale betroffen sind.
Epileptische Anfälle werden mit
krampfhemmenden Medikamenten (Antikonvulsiva) behandelt.
Des weiteren gehört zur symptomatischen Therapie eine ausreichende Analgetikagabe bei Kopfschmerzen und Antiemetika zur Bekämpfung von Übelkeit und Erbrechen.
Neurochirurgische Therapie
Die Operation hat mittlerweile in der Therapie von Hirnmetastasen einen sicheren
Stellenwert. Durch Resektion großer symptomatischer Metastasen kann eine Verbesserung der neurologischen Symptomatik
und somit der Lebensqualität erreicht werden.
2 von 3 randomisierten Studien kommen
zu dem Schluss ,dass die Resektion von singulären oder solitären Metastasen gefolgt
von einer Ganzhirnbestrahlung der alleinigen Ganzhirnbestrahlung bezüglich der
Überlebenszeit überlegen ist (1-3). Eine Indikation zur Operation kann gestellt werden
● Zur histologischen Diagnosesicherung
● Verbesserung der klinischen Symptomatik
● Verlängerung
der medianen Überlebenszeit
● Als unterstützende Maßnahme um andere Therapien zu ermöglichen
● Abwendung einer akuten Lebensgefahr
bei Liquoraufstau
Da auch bei bekanntem Tumorleiden bei
Nachweis einer singulären zerebralen
Raumforderung es sich in 10% um Tumoren anderer Genese handeln kann, sollte die
histologische Diagnosesicherung angestrebt werden, da andere therapeutische
Konsequenzen sich ergeben können. Bei
kleinen tief gelegenen Läsionen wird eine
stereotaktische Gewebsentnahme indiziert.
Bei oberflächennahen, kortikalen Prozessen kann die offene navigationsgestützte
Biopsie durchgeführt werden. Eine Resektion sollte in folgenden Fällen angestrebt
werden
● Singuläre oder solitäre Metastase
● Guter Allgemeinzustand
(Karnofsky
Performance Score >70%)
● Geringes neurologisches Defizit
● Keine oder stabile (>3Monate) extrakranielle Tumormanifestation
● Strahlenresistenter Tumor
● Unbekannter Primär-Tumor
● Operativ gut erreichbarer Tumor
● Raumfordernde Läsion (>3cm)
Auch bei das Vorliegen von 3–4 Metastasen
kann eine Operation indiziert sein, wenn die
Läsionen operativ gut erreichbar und das Risiko einer postoperativen neurologischen
Verschlechterung gering einzuschätzen ist.
Die Neuronavigation erlaubt neben einer individuellen Zugangsplanung die
Durchführung von sehr kleinen Kraniotomien, die somit eine rasche Wundheilung
und eine zeitnahe adjuvante Weiterbehandlung ermöglichen.
Das Wachstum von Hirnmetastasen in
den Hirnkammern oder deren unmittelba-
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ren Umgebung kann zu einer Ablaufbehinderung von Hirnwasser führen. In diesen
Fällen sprechen wir von einem akuten Hydrocephalus. Hier kann mit minimal invasiven Techniken wie zum Beispiel einer endoskopischen Ventrikulostomie geholfen
werden (씰Abb. 2). Mit dieser Methode
wird endoskopisch ein Umgehungsweg für
das Hirnwasser geschaffen. Die Implantation eines permanenten Ableitungssystems
(ventrikulo-peritonealer Shunt) welcher
mit dem Risiko einer Streuung und Absiedelung von Tumorzellen in die Bauchhöhle
behaftet ist, kann somit umgangen werden.
Die Implantation eines Reservoirs erlaubt die intrathekale Verabreichung von
Chemotherapeutika. Hierbei wird ein kleiner kissenförmiger Kunststoffbehälter unter der Kopfhaut platziert, der über einen
kleinen Katheter mit der Hirnkammer in
Verbindung steht (씰Abb. 3).
Bei einzelnen Patienten kommt auch eine
Rezidivoperation infrage, dies wird hauptsächlich in Abhängigkeit von Allgemeinzustand und Gesamtprognose der Grunderkrankung sowie noch möglichen zu Verfügung stehenden therapeutischen Optionen
indiziert.
Bei Vorliegen eines kleinzelligen Bronchialkarzinoms, Lymphomen oder Germinomen ist eine Operation nicht indiziert,
da es sich in diesen Fällen um Radio-und
Chemosensitive Tumorarten handelt.
Strahlentherapie
Da der Nachweis einer singulären Hirnmetastase die grundsätzliche Fähigkeit des
Primärtumors zu Metastasierung belegt,
muss angenommen werden, dass bei Nachweis einer Hirnmetastase bereits eine
Streuung in das Gehirn stattgefunden hat
und mikroskopisch kleine Absiedlungen,
die mittels der heutigen Verfahren nicht
dargestellt werden können vorliegen. Daher etablierte sich die Ganzhirnbestrahlung als Standardtherapie (4). Insgesamt
werden 30–40 Gy in unterschiedlicher
Fraktionierung verabreicht. Kriterien für
die primäre Strahlentherapie in Form einer
Ganzhirnbestrahlung sind
● Schlechter Allgemeinzustand
● Alter >70 J
● Fortgeschrittenes Krankheitsstadium
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M. Nadji-Ohl: Hirnmetastasen – veränderte Therapieeinstellung
mit einer Strahlentherapie eingesetzt werden. Dies ist abhängig von der Tumorart.
Behandlung im Rezidiv
Die Therapie im Rezidiv oder bei Progress
unter der laufenden Behandlung hängt im
wesentlichen von dem Allgemeinzustand
des Patienten und der Gesamtprognose der
Grunderkrankung ab. Hierzu gibt es keine
einheitliche Richtlinien und nur wenige
Studien, sodass im Einzelfall individuell
entschieden werden muss.
Abb. 2 Endoskopischen Ventrikulostomie
●
●
●
●
Multipler Organbefall
Eingeschränkter Gesamtprognose, Lebenserwartung <3 Monaten
Solitäre oder singuläre Metastase, die
aufgrund der Lokalisation nicht reseziert werden kann
Multiple Metastasen
Radiochirurgie
Mit der Einführung der Radiochirurgie
(stereotaktische Einzelbestrahlung mit
dem Gammaknife oder Linearbeschleuni-
ger) haben sich die Behandlungsmöglichkeiten bei Hirnmetastasen erweitert. Sie
eignet sich als minimalinvasive ambulante
Therapie für Patienten mit kleinen solitärer
oder multiplen Metastasen. Insbesondere
beim multiplen Befall ist sie eine gute alternative zur mikrochirurgischen Resektion.
Sie wirkt sowohl bei strahlensensitiven als
auch strahlenresistenten Tumorarten (5).
Die Radiochirurgie wird bei Läsionen
mit einem Durchmesser <3cm angewandt,
sie kann auch im Rezidivfall eingesetzt werden. Die lokale Kontrolle liegt bei 70–90%.
Eine randomisierte Vergleichsstudie zeigt,
dass das Ansprechen auf die Ganzhirnbestrahlung bei multiplen Metastasen kürzer andauert und das die lokale Kontrolle
bei zusätzlicher Radiochirurgie besser war
(6). Die Radiochirurgie ist die Therapie der
Wahl bei Metastasen im Hirnstamm.
Chemotherapie
Abb. 3 Implantation eines Reservoirs – ein
kleiner kissenförmiger Kunststoffbehälter wird
unter der Kopfhaut platziert, der über einen kleinen Katheter mit der Hirnkammer in Verbindung
steht.
Die Chemotherapie spielt in Behandlung
von cerebralen Metastasen eine untergeordnete Rolle unter anderem weil oft ein
primär chemoresistenter Tumor vorliegt,
wie zum Beispiel Nierenzellkarzinom, Melanom, Gastrointestinale Tumoren.
Es werden die Chemotherapieprotokolle eingesetzt, die auch bei der Behandlung
anderer Organmetastasen Anwendung finden.
Die Chemotherapie kann als alleinige
Therapiemodalität oder in Kombination
Nachsorge
MRT Verlaufskontrollen sollten alle 3 Monate erfolgen. Die Indikation zur Gabe von
Steroiden und Antikonvulsiva sollte regelmäßig überprüft werden. Nach Strahlentherapie kann es zu einer Hypophyseninsuffizienz kommen, entsprechende Symptome müssen beachtet werden.
Literatur
1. Patchell et al. A randomized trial of surgery in the
treatment of single metastases to the brain. N Engl J
Med 1990; 322: 494-500.
2. Vech et al. Postoperative radiotherapy in the treatment of single metastases to the brain JAMA 1999;
17: 1485-1489.
3. Vecht CJ et al. Treatment of single brain metastasis:
Radiotherapy alone or combined with neurosurgery? Ann Neurol 1993; 33: 583-590.
4. Khunita D et al. Whole brain radiotherapy in the
management of brain metastasis J Clin Oncol 2006;
24: 1295-1304.
5. Fuentes R, Bonfill X, Exposito J. Surgery versus
radiosurgery for patients with a solitary metastasis
from non small cell lung cancer. Cochrane Database
Syst Rev 2006; 1 CD 004840.
6. Kondziolka D et al. Stereotactic radiosurgery plus
whole brain radiotherapy versus radiotherapy
alone for patients with multiple brain metastases.
Int J Radiat Oncol Biol Phys 1999; 45: 427-434.
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Therapie maligner Gliome
Aktuelle Konzepte
F. Schmidt-Graf
Neurologische Klinik, Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München
Schlüsselwörter
Keywords
Glioblastom, maligne Gliome, Therapie
Glioblastoma, glioma, therapy
Zusammenfassung
Summary
In der Behandlung maligner Gliome hat sich in
den letzten Jahren viel getan, therapeutischer
Nihilismus ist nicht mehr angesagt. Die Standardtherapie besteht aus Operation, gefolgt
von kombinierter Radiochemotherapie und
Chemotherapie bei WHO-Grad-IV-Gliomen,
bei WHO-Grad-III-Tumoren kommen Strahlentherapie oder Chemotherapie bei der Erstdiagnose zum Einsatz. Eine besondere Situation stellt sich bei älteren Patienten, die eine
schlechtere Prognose und Ansprechen auf die
Therapie zeigen. Beim Rezidiv maligner Gliome sollte individuell entschieden werden, es
stehen zunehmend mehr Therapiealternativen zur Verfügung. Auch die symptomatische
und supportive Therapie sollten nicht vernachlässigt werden und, gleich in welchem
Krankheitsstadium, antiepileptische Medikation, Ödembehandlung und Thrombosenprophylaxe bzw. -therapie überdacht und optimiert werden.
Therapy of malignant glioma has changed
and developed further in the last years. Standard therapy consists of operation with consecutively radiochemotherapy and chemotherapy in WHO grade IV glioma, and either
radiotherapy or chemotherapy in grade III
glioma. Older patients, who have a worse
prognosis, should be considered separately. In
case of recurrent disease, further therapy
should be discussed individually with more
and more therapeutically options. Symptomatic and supportive treatment must not be
neglected and should be always reconsidered
and optimized.
Korrespondenzadresse
Priv.-Doz. Dr. Friederike Schmidt-Graf
Neurologische Klinik, Klinikum rechts der Isar
Technische Universität München
Ismaningerstr. 22, 81675 München
Tel. 089/4140–4606, Fax –4867
[email protected]
Management of malignant glioma –
current concepts
Onkologische Welt 2011; 2: 27–30
Nachdruck aus:
Nervenheilkunde 2010; 29: 815–819
Glioblastome stellen mit Abstand den
größten Anteil der primären Hirntumore
dar (씰Abb. 1), gefolgt von den anaplastischen Gliomen (WHO III°). Die Prognose der malignen Gliome ist immer noch relativ schlecht und bewegt sich zwischen
Monaten und Jahren, jedoch hat sich in den
letzten Jahren aufgrund intensivierter Therapien und Studien viel verändert. Auch die
Überlebensraten nach mehreren Jahren
sind deutlich gestiegen. Zunehmend hat
sich gezeigt, dass kein therapeutischer Nihilismus an den Tag gelegt werden sollte,
sondern es sich meist lange lohnt, nach
Therapiemöglichkeiten zu suchen und diese zu optimieren.
Bei jeder bildgebend nachgewiesenen zerebralen Raumforderung mit Verdacht auf
ein Gliom sollte unbedingt eine histologische Diagnosesicherung nach der aktuellen
WHO-Klassifikation von 2007 (12) durch
eine Biopsie oder Operation angestrebt wer-
den. Nur so können Patient und Angehörige
wirklich umfassend beraten und über das
weitere Prozedere entschieden werden. Eine
operative Intervention, insbesondere eine
Biopsie, stellt heutzutage keinen großen Eingriff mit langem Krankenhausaufenthalt
mehr dar. Weiterhin gilt jedoch bei Gliomen,
dass die Vermeidung neuer permanenter
neurologischer Defizite bei der Operationsplanung gegenüber operativer Radikalität
Vorrang haben sollte. Hohes Alter und ein
niedriger Karnofsky-Index sind negative
prognostische Faktoren, weshalb bei diesen
Patientengruppen meist nur eine Biopsie
durchgeführt werden sollte. Nach einer Resektion oder Teilresektion wird innerhalb
von 48 bis 72 Stunden eine Kernspintomografie mit Kontrastmittel durchgeführt, welche als Ausgangsbefund für weitere Kontrollen dient.
Lange war die Frage des Nutzens der OPRadikalität – wenn ohne neues neurologisches Defizit machbar – umstritten. Spätestens seit der Studie von Stummer und Kollegen (18) mit fluoreszenzgestützter Operation mit 5-Aminolävulinsäure (5-ALA) ist
nachgewiesen, dass durch 5-ALA die Rate
kompletter Resektionen verbessert (65 vs.
36%) und damit die Rate der Progressionsfreiheit nach sechs Monaten erhöht werden
kann (41 vs. 21%). Seitdem wird 5-ALA zur
Operation bei Verdacht auf ein malignes
Gliom regelmäßig eingesetzt.
Nach der operativen Sicherung der histologischen Diagnose kommen bei der Therapie maligner Gliome Strahlentherapie
und/oder Chemotherapie in Frage: Die
Strahlentherapie erfolgt im Bereich der erweiterten Tumorregion mit normalerweise
60 Gy Gesamtdosis. Eine hypofraktionierte
Bestrahlung kann eventuell bei älteren Patienten oder Patienten mit schlechtem Karnofsky-Index sinnvoll sein. Eine Chemotherapie ist meist recht gut verträglich und wird
insbesondere bei jüngeren Patienten und
gutem Karnofsky-Index (Patienten mit besserer Prognose, mit Risiko von kognitiven
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F. Schmidt-Graf: Therapie maligner Gliome
Langzeitnebenwirkungen nach Bestrahlung) diskutiert, zunehmend aber aufgrund
der meist guten Verträglichkeit und der
Möglichkeit der ambulanten Einnahme zu
Hause auch bei älteren Patienten überlegt.
Wichtig sind begleitend regelmäßige Blutbildkontrollen und meist der Einsatz einer
antiemetischen Prophylaxe bzw. Therapie
mit Metoclopramid oder bei nicht ausreichender Wirkung frühzeitig Umstellung auf
einen 5-HT3-Rezeptorantagonisten.
Therapeutisches Vorgehen
Abb. 1 Kranielles MRT (T1 mit Kontrastmittel)
einer Patientin mit Glioblastom.
Glioblastom
Die Standardtherapie beim Glioblastom
besteht prinzipiell aus Operation (Resektion oder Biopsie), Strahlentherapie und
Chemotherapie. Seit der EORTC-Studie
26981 (19) wird der Operation nachfolgend die Radiochemotherapie mit Temozolomid und anschließend die Chemotherapie mit Temozolomid in veränderter Dosierung durchgeführt. Wirkmechanismus
von Temozolomid ist eine DNA-Methylierung. Temozolomid hat neben der nachgewiesenen Wirksamkeit die Vorteile einer
guten Verträglichkeit, oraler Einnahmemöglichkeit, eine Bioverfügbarkeit von nahezu 100% mit nur geringer Proteinbindung, sodass die Beeinflussung der Pharmakokinetik anderer Medikamente unwahrscheinlich und zu vernachlässigen ist.
Die Einnahme erfolgt analog der EORTCStudie während der Strahlentherapie in einer Dosierung von 75 mg/m2 durchgehend
über ca. sechs Wochen und anschließend
nach vier Wochen über sechs Zyklen an jeweils fünf von 28 Tagen in einer Dosierung
von 150 mg/m2 bzw. bei guter Verträglichkeit und regelrechtem Blutbild 200 mg/m2.
Im Rahmen der EORTC-Studie wurden ein
medianes progressionsfreies Überleben
von 6,9 Monaten gegenüber 5,0 Monaten
bei alleiniger Strahlentherapie und ein medianes Gesamtüberleben von 14,6 Monaten gegenüber 12,1 Monaten erreicht. Dabei konnte erstmals bei Glioblastompatienten gezeigt werden, dass es aufgrund eines
molekularen Markers unterschiedliche
Prognosen gibt: MGMT (O6-Methylguanin-Methyltransferase), ein DNA-Reparaturenzym, das die Wirkung von Alkyl-
anzien aufhebt bzw. abschwächt, wird
durch Methylierung der Promotorregion
„ausgeschaltet“. Vor allem Patienten mit
Glioblastom, die eine Methylierung des
MGMT-Gens im Tumor aufwiesen, profitierten von Temozolomid (8).
Auch eine aktuelle Auswertung der verbliebenen Patienten (20) konnte den Vorteil der kombinierten Therapie mit Temozolomid weiter bekräftigen: Nach zwei Jahren lebten 27,2% (10,8% bei alleiniger
Strahlentherapie), nach drei Jahren 16,4%
(4,4%) und nach vier Jahren noch 12,1%
(3,0%) der Glioblastom-Patienten. Zusätzlich zeigte sich, dass die älteren Patienten in
der Studienpopulation (65 bis 70 Jahre)
auch von der kombinierten Therapie profitieren, was bislang umstritten war; allerdings ohne Signifikanz, da die Patientenzahlen in der verbleibenden Population zu
gering waren. Auch profitierten Patienten
mit nicht methyliertem MGMT-Status von
der kombinierten Therapie, was initial in
Frage gestellt werden musste, sodass künftig bei (noch) fehlenden Alternativen außerhalb von Studien diesen Patienten die
kombinierte Therapie nicht vorenthalten
werden darf. Der genaue Hintergrund bei
Patienten mit nicht methyliertem MGMTStatus bleibt letztendlich bislang unklar.
Anaplastische Gliome (WHO III°)
schließender Strahlentherapie der erweiterten Tumorregion (11). An der Wirksamkeit einer Chemotherapie bestand wenig
Zweifel, jedoch blieb der optimale Zeitpunkt (Primär- oder Rezidivtherapie) ungewiss. Eine ähnlich gute Wirksamkeit von
Chemotherapie und Strahlentherapie in
der Primärsituation bei anaplastischen Tumoren mit oligodendroglialem Anteil wurde bereits vermutet, wobei den Tumoren
mit oligodendroglialem Anteil ohnehin eine bessere Prognose zugeschrieben wird
(21). Zur Untersuchung von Wirksamkeit
und Sicherheit der primären Chemotherapie mit PCV (Procarbazin, CCNU, Vincristin) oder mit Temozolomid mit nachfolgender Strahlentherapie bei Progress im
Vergleich mit primärer Strahlentherapie
gefolgt von einer der beiden Chemotherapien bei Progress wurde die NOA-04-Studie bei Patienten mit anaplastischen Gliomen durchgeführt (24). Die mittlere Zeit
bis zum Therapieversagen (Zeit bis zum
Progress nach Einsatz beider Therapieformen), progressionsfreies Überleben mit
der ersten Therapie und das Gesamtüberleben unterschieden sich bei beiden Therapiearmen nicht signifikant. Bei den Chemotherapien war bei gleicher Wirksamkeit
Temozolomid besser verträglich. Auch in
dieser Studie konnte gezeigt werden, dass
bei Patienten mit methyliertem MGMT die
Prognose günstiger ist, überraschenderweise auch bei den primär nur bestrahlten
Patienten. Weitere prognostisch günstige
Faktoren waren Mutationen des „neuen“
Markers IDH-1 (Isozitratdehydrogenase-1), 1p/19q-Deletion und Ausmaß der
Resektion. Anaplastische Oligodendrogliome und Oligoastrozytome hatten die gleiche, deutlich günstigere Prognose als anaplastische Astrozytome.
Bei anaplastischen Gliomen kann also in
Zukunft als Standard primär nur die Strahlentherapie oder alternativ mit gleicher
Wirksamkeit die Chemotherapie (wobei
aufgrund der besseren Verträglichkeit Temozolomid gegenüber PCV der Vorzug zu
geben ist) eingesetzt werden. Der Stellenwert kombinierter Radiochemotherapie ist
bei anaplastischen Gliomen nicht gesichert
und deshalb nicht indiziert, dies ist Gegenstand weiterer Studien.
Die Standardtherapie bei anaplastischen
Gliomen war bislang die Operation mit an-
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F. Schmidt-Graf: Therapie maligner Gliome
Ältere Patienten (Gliome III° und IV°)
Ältere Patienten machen einen besonders
hohen Anteil bei Patienten mit malignen
Gliomen aus und haben eine besonders
schlechte Prognose, häufig nur im Bereich
von Monaten. Bei älteren Patienten und Patienten mit schlechter Prognose wird häufiger eine hypofraktionierte Bestrahlung eingesetzt. Dass die Strahlentherapie wirksam
ist, konnte gezeigt werden (9), jedoch wird
sie insbesondere wegen kognitiver Nebenwirkungen im längeren Verlauf kontrovers
diskutiert. In der NOA-08-Studie (Methusalem-Studie) wurde nun die konventionelle Strahlentherapie (60 Gy, 1,8 bis 2 GyFraktionen) mit Temozolomid-Chemotherapie in dosisintensiviertem Schema (7/14
Tage, wöchentlich alternierende Gabe) bei
Patienten über 65 Jahren mit Glioblastom
oder anaplastischem Astrozytom verglichen. Hierbei fand sich bei primärer Strahlentherapie eine signifikant bessere Einjahres-Überlebensrate mit 38% als bei der primären
Temozolomid-Chemotherapie
(30%) bei schlechterer Verträglichkeit der
Chemotherapie (25). In einer anderen Studie (Nordic Brain Tumor Trial) wurde konventionell fraktionierte Strahlentherapie
mit hypofraktionierter Bestrahlung (10 x
3,4 Gy) und mit Temozolomid im konventionellen Schema (5/28 Tage) bei Glioblastompatienten über 60 Jahre verglichen: Die
medianen Überlebenszeiten betrugen
sechs, 7,5 und acht Monate, ohne Signifikanz (13). Die ausführlichen Publikationen
mit genaueren Analysen z. B. MGMT-Status oder Rezidivtherapie stehen noch aus.
Rezidivtherapie
Die Rezidivtherapie ist grundsätzlich abhängig von der erfolgten Primärtherapie
(mittlerweile hatten nahezu alle Patienten
in der Primärtherapie bereits Temozolomid im Standardschema), topografischem
Muster des Rezidivs (lokal begrenzt, andere
Lokalisation, multilokulär), bestehender
Knochenmarksreserve, Allgemeinzustand
des Patienten und natürlich dem Patienten- und Angehörigenwunsch. Mögliche
Optionen der tumorspezifischen Therapie,
die individuell diskutiert werden müssen,
sind erneute Operation, (erneute) Bestrah-
lung, (erneute) Chemotherapie mit Temozolomid oder den „klassischen“ Alkylanzien (ACNU, CCNU, PC), Einsatz von
„experimentellen“ Substanzen oder die
Palliation mit alleiniger symptomatischer
und supportiver Therapie. Bei Einsatz von
Temozolomid kommen dosisintensivierte
Protokolle (z. B. 7/14 Tage, wöchentlich alternierend, Dosis 100 bis 150 mg/m2 (22);
21/28 Tage, Dosis 75 bis 100 mg/ m2 (3);
durchgehend 50 mg/ m2 (15)) in Frage mit
der Vorstellung einer länger anhaltenden
MGMT-Depletion. Der Vergleich unterschiedlicher Temozolomid-Schemata ist
derzeit Gegenstand von Studien. Zu beachten ist bei diesen Einnahmeschemata immer das erhöhte Risiko relevanter Myelosuppression und die eventuelle zusätzliche
Einschränkung der Lebensqualität durch
die häufigere Einnahme. Alternativ bzw.
beim erneuten Rezidiv werden die Nitrosoharnstoffe CCNU oder ACNU eingesetzt,
allerdings mit sehr eingeschränkter Wirksamkeit und ausgeprägter Hämatotoxizität
(7), sodass diese Substanzen, zumal in Anbetracht wachsender Alternativen, vermutlich eine zunehmend geringere Rolle spielen werden. Bei den „experimentellen“
Substanzen kommen z. B. Bevacizumab (6,
10), Cediranib (2), Cilengitide (16), Enzastaurin und andere Kinaseinhibitoren (5)
mit unterschiedlichem Erfolg zum Einsatz.
Allerdings stellt die fehlende bzw. abgelehnte (Bevacizumab in Deutschland) Zulassung häufig eine Schwierigkeit dar. Auch
werden einige dieser Substanzen derzeit in
der Primärtherapie getestet, sodass sich bei
Therapie-Erfolg eventuell wieder ganz
neue Vorgehensweisen entwickeln werden.
Inwieweit andere Behandlungsansätze z. B.
die lokale Therapie oder immunologische
Verfahren zum durchschlagenden Erfolg
führen, bleibt abzuwarten.
Symptomatische und
supportive Therapie
Antiepileptische Therapie
Da epileptische Anfälle bei Patienten mit
Gliomen häufig auftreten und zur zusätzlichen Verunsicherung von Patient und Angehörigen sowie oft zu (unnötigen) Kran-
kenhausaufenthalten führen, ist die Frage
der Therapie wichtig. Eine Primärprophylaxe ist aber dennoch nicht indiziert oder
sinnvoll. Nach einem einzelnen präoperativen Anfall ist die pragmatische Empfehlung, keine antiepileptische Medikation zu
beginnen oder eine begonnene perioperative Medikation nach makroskopischer
Komplettresektion langsam auszuschleichen. Ansonsten sollte über die weitere antiepileptische Medikation in Abwägung
von Anfallsrisiko und Nebenwirkungsrisiko entschieden werden. Bei mehreren stattgehabten Anfällen, insbesondere postoperativ, ist eine antiepileptische Therapie obligatorisch.
Bei der Wahl des Antiepileptikums ist
außer individuellen Gesichtspunkten und
Verträglichkeit die Interaktion mit
CYTP450-induzierenden
Substanzen
durch enzyminduzierende Antiepileptika
(EIAEDs) (Carbamazepin, Phenytoin) zu
beachten, da es hierdurch zu verminderten
Plasmaspiegeln von Chemotherapeutika
als auch zur verkürzten Halbwertszeit von
Dexamethason kommen kann. Mittel der
ersten Wahl ist meist Levetiracetam, da es
verschiedene Vorteile besitzt: keine bekannten Interaktionen, gute Verträglichkeit (cave: psychische und psychiatrische
Nebenwirkungen!), schnelle Aufdosierung,
oral und intravenös einsetzbar.
Antiödematöse Therapie
Maligne Gliome werden im Gegensatz zu
gutartigen zerebralen Raumforderungen
häufig von einem Ödem begleitet, insbesondere bei zunehmendem Wachstum.
Eine Rolle bei der Entstehung spielt vermutlich VEGF (vascular endothelial
growth factor). Grundsätzlich sprechen zerebrale Ödeme gut auf Kortikosteroide an,
weshalb meist Dexamethason eingesetzt
wird. Dieses sollte je nach Dosis und Klinik
1– bis 4-mal täglich gegeben werden, bei
einmal täglicher Gabe mit morgendlicher
Einnahme. Hohe Dosen von Steroiden sollten in der Akutsituation bei drohender Einklemmung oder rascher klinischer Verschlechterung eingesetzt werden. Bei der
häufig sinnvollen perioperativen Gabe sollte je nach klinischer Symptomatik zügig eine Reduktion bzw. Ausschleichen der Ste-
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F. Schmidt-Graf: Therapie maligner Gliome
roiddosis postoperativ erfolgen. Allgemein
sollte für die Steroidgabe der Satz „so wenig
wie möglich, soviel wie nötig“ gelten, um
eine optimale Wirkung bei möglichst wenig oder keinen Nebenwirkungen zu erzielen. Nebenwirkungen einer längerfristigen
Steroidgabe mindern fast immer die Lebensqualität der Patienten und sollten bei
der Betreuung von Gliompatienten stets
beachtet und die Steroiddosis überdacht
werden. Bei der regelmäßigen Betreuung
der Patienten sollte die Steroiddosis aufgrund der klinischen Symptomatik und
Ansprechen gewählt und nicht allein Ödeme auf MRT-Bildern (ohne klinisches Korrelat) behandelt werden.
Ergänzend bzw. auf Wunsch mancher Patienten kommt selten der Einsatz von Boswelliasäuren in der antiödematösen Therapie in Frage (23). Dies kann manchmal einen
Teil der Kortisondosis ersetzen, ist aber keine
grundsätzliche Alternative zur Steroidgabe
in der antiödematösen Therapie, insbesondere nicht im Akutfall. Passend zur pathophysiologischen Vorstellung, dass VEGF eine Rolle bei der Ödementstehung spielt,
scheint auch Bevacizumab als VEGF-Antikörper eine gute antiödematöse Wirkung zu
haben. Bei der tumorspezifischen Therapie
mit Bevacizumab kann insofern häufig im
Therapieverlauf die Kortisondosis reduziert
werden. Der alleinige Einsatz von Bevacizumab mit dem Ziel der antiödematösen Therapie als Steroidalternative ist schon allein
aus finanziellen Gesichtspunkten sicher
nicht gerechtfertigt.
Fazit für die Praxis
Das therapeutische Vorgehen bei malignen
Gliomen besteht aus Operation mit histologischer Diagnosesicherung, Strahlentherapie und/oder Chemotherapie. Radikalität der
Operation ist mit einer besseren Prognose
vergesellschaftet, sollte jedoch nicht auf
Kosten neuer neurologischer Defizite ausgeweitet werden. Bei Glioblastomen ist die
Standardtherapie nach Operation Radiochemotherapie und anschließende Chemotherapie mit Temozolomid. Bei anaplastischen
Gliomen sollte nach der Operation die Strahlentherapie oder alternativ die Chemotherapie eingesetzt werden. Bei älteren Patienten
(> 70 Jahre) sollte man sich auf eine Monotherapie beschränken, der Standard besteht
aus der alleinigen Strahlentherapie. Im Rezidiv kommen zunehmend verschiedene therapeutische Alternativen in Frage, die individuell diskutiert werden müssen. Symptomatische und supportive Therapie sind zusätzlich in jedem Krankheitsstadium zu überdenken und optimieren.
Thrombosen
Die Inzidenz von tiefen Beinvenenthrombosen und Lungenembolien beträgt bei Patienten mit malignen Gliomen mindestens
20 bis 30% (14). Der genaue Zusammenhang zwischen malignen Gliomen und
dem erhöhten Risiko für thrombotische
Ereignisse im Einzelnen ist unklar, vermut-
lich hängt dies mit der Ausschüttung von
verschiedenen thrombogenen Faktoren
durch die Gliomzellen zusammen und
wird durch weitere Faktoren wie z. B. Immobilität oder eingeschränkte Mobilität,
verschiedene Medikamente, Chemotherapien verstärkt.
Trotz des bestehenden Einblutungsrisikos in den Tumor bzw. die Tumorhöhle
konnte durch Antikoagulation bei Patienten mit Gliom und Thrombose kein erhöhtes Blutungsrisiko gefunden werden (1, 4).
Insofern sind sowohl eine Primär- (perioperativ!) als auch Sekundärprophylaxe gegen thrombotische Geschehen bei Patienten mit malignen Gliomen möglich und
sinnvoll. Zu beachten sind dabei zusätzliche Risiken für Blutungen wie eine chemotherapieinduzierte Thrombopenie bei
gleichzeitiger Antikoagulation.
Zur Therapie thrombotischer Ereignisse
und Sekundärprophylaxe ist die Gabe von
Marcumar möglich, jedoch die Verordnung von niedermolekularen Heparinen
gleichwertig und eher zu empfehlen. Oft
reicht die Therapie über drei Monate aus
und kann nach einer Ultraschallkontrolle
abgesetzt werden (17). Dies minimiert das
Risiko der Therapie ebenso wie die Belastung der Lebensqualität durch tägliche Heparinspritzen oder Tabletteneinnahme mit
Blutentnahmen.
Literatur unter: www.onkologische-welt.de
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1
NeuroOnkologie
31
Schädelbasis-Tumore
Wölfe im Schafspelz
Thema des 8. Neuroonkologischen Symposiums am Klinikum Stuttgart waren die Schädelbasis-Tumoren, ein Grenzgebiet zwischen Neurochirurgie, Hals-Nasen-Ohren- und
Zahn-Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie. Zu der mit 6 Weiterbildungspunkten von der Bezirksärztekammer Nord-Württemberg zertifizierten Veranstaltung luden die Organisatoren, Prof. Nikolai Hopf und Frau OÄ Minou Nadji-Ohl, Neurochirurgische Klinik Stuttgart, hochkarätige Referenten, um das spannende Thema rund um die „Wölfe im
Schafspelz“ den rund 60 Teilnehmern transparent zu machen.
Die optimale Behandlung der Schädelbasis-Tumore setzt neben genauen anatomischen Kenntnissen und chirurgischen Fähigkeiten der jeweiligen Fachrichtung eine enge interdisziplinäre
Zusammenarbeit voraus. Jüngste technische
Entwicklungen der vergangenen Jahre – beispielsweise die HD-Endoskopie – erlauben ein
minimal invasives schonendes Operieren mit hoher Präzision und Sicherheit für die Patienten.
In der Vergangenheit wurde bei ausgedehnten Schädelbasis-Tumoren invasiv und z. T. sehr
destruktiv operiert, was für den Patienten teilweise erhebliche funktionelle Ausfälle zur Folge
hatte. Aktuell besteht eher die Tendenz bei ausgedehnten Prozessen ein mehrzeitiges Vorgehen zu favorisieren (씰Abb. 3–5), da durch ein
minimal-invasives Vorgehen wichtige anatomische Strukturen in der Nähe des Tumors geschont werden können. Auch die radikale Resektion eines Tumors wird nicht immer um jeden
Preis angestrebt, der Erhalt der Funktionalität
geht vor die Radikalität. Moderne Verfahren in
der Radiotherapie bieten in solchen Fällen zusätzliche Therapieoptionen.
Zu den Tumoren der Schädelbasis zählen
Tumore der vorderen, mittleren und hinteren
Schädelgrube (씰Abb. 1-3), sowie Teile des
Clivius. Sie stehen dort in enger Beziehung
zum Knochen, Hirnhaut, Hirnnerven und hirnversorgenden Gefäßen. Tumore in dieser Region können die Schädelbasis infiltrieren. Sie
können durch ihr Wachstum Hirnnerven und
Gefäße ummauern oder verdrängen. All diese
Aspekte sind bei der Operation zu berücksichtigen um Funktionsausfälle und Komplikationen zu vermeiden. Zu den häufigsten Schädelbasistumoren gehören
● Meningeom
● Neuriom
● Hypophysenadenom
● Kraniopharyngeom
● Neubildungen von Knochen und Knorpel
Abb. 2 Tumor der vorderen (frontalen) Schädelgrube – Operation über interhemisphärellen Zugang (Mit freundl. Genehmigung: Neuroradiologie, Katharinenhospital, Stuttgart)
ner, Neurologische Klinik, Klinikum Stuttgart. Zur
Diagnostik von Riechstörungen können sogenannte „Sniffing Sticks“ eingesetzt werden.
Ebenso lassen sich olfaktorisch evozierte Potenziale messen. Mehr experimentellen Charakter
hat die Diagnostik im funktionellen Kernspin in
Kombination mit einem Olfaktometer, so Bäzner.
Visusminderung und Gesichtsfeldeinschränkungen sowie Doppelbilder können infolge von
Tumoren der Hypophyse oder Läsionen im Bereich
des Sinus cavernosus auftreten, mittels Perimetrie und visuell evozierten Potenzialen können
richtungsweisende Befunde erhoben werden.
Die Mehrzahl der Tumore der Schädelbasis sind
benigne, Metastasen und Plattenepithelkarzinome sind die häufigsten malignen Formen. Neben
einer sorgfältigen OP-Planung sind grundsätzlich verschiedene OP-Zugänge möglich, die je
nach Sitz des Tumors gewählt werden. Minimal
invasive Zugänge gestatten hierbei ein schonendes Operieren vieler Entitäten. Als wichtige diagnostische und operative Hilfsmittel haben sich
Bildgebung und das intraoperative Neuromonitoring etabliert, so das Fazit der Expertin.
Neurologische Symptome bei
Läsionen der Schädelbasis
Abb. 1 Tumor der mittleren (temporalen) Schädelbasis – Operation über subtemporalen Zugang
(Mit freundl. Genehmigung:Neuroradiologie, Katharinenhospital, Stuttgart)
Die Symptomatik neurologischer Ausfallerscheinungen, die bei Tumoren der Schädelbasis beobachtet werden können, betreffen im Wesentlichen
die Sinnesorgane, erläuterte Prof. Hansjörg Bäz-
Abb. 3 Tumor der mittleren und hinteren Schädelgrube – zweizeitiges Vorgehen über a) retromastoidalen b) subtemporalen Zugang (Mit
freundl. Genehmigung:Neuroradiologie, Katharinenhospital, Stuttgart)
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NeuroOnkologie
32
XII) betroffen sein. Entsprechend können neurologische Symptome wie z.B. eine Trigeminusneuralgie, Missempfindungen im Gesicht, Doppelbilder oder Schluckstörungen die Folge sein.
Chirurgie der petroclivalen
Meningeome
Abb. 4 Post-OP-Kontrolle nach Entfernen des
Tumors der hinteren Schädelgrube (Mit freundl.
Genehmigung: Neuroradiologie, Katharinenhospital, Stuttgart)
Die langsam wachsenden Akustikusneurinome im Bereich des Nervus vestibulocochlearis können sowohl einen langsam verlaufenden
Hörverlust bedingen als auch zu einem plötzlich auftretenden Hörsturz führen. Tinnitus und
Schwindel (Nystagmographie mit Kalorik) können auch ein Hinweis auf ein Akustikusneurinom sein. Bei sehr großen Kleinhirnbrückenwinkeltumoren können zusätzlich zum Gesichtsnerv (N. facialis) weitere Hirnnerven wie
z.B. der N. trigeminus, N. trochlearis, N. abducens und die caudalen Hirnnervengruppe (IX-
Abb. 5 Post-OP-Kontrolle nach Entfernen des
temporalen Tumoranteils. Ein kleiner im Sinus cavernosus gelegener Tumorrest wird später mittels
Gamma knife gehandelt werden (Mit freundl. Genehmigung: Neuroradiologie, Katharinenhospital, Stuttgart).
Bis in die 1960- bis 1970er-Jahre galten die petroclivalen Meningeome als nicht operabel.
Neue Zugänge in den 1980er-Jahren machten
erst möglich, diese Entitäten zu operieren, gab
Prof. Marcos Tatagiba vom Universitätsklinikum Tübingen, zu bedenken. Heute wird durch
kleinere Zugänge operiert unter der Prämisse,
vitale Strukturen zu schonen, den Hirnstamm
zu entlasten, die Patienten ggf. im Anschluss einer Strahlenbehandlung zuzuführen und die
Tumoren zu kontrollieren, so der Experte.
Laut Tatagiba ergab eine klinische Studie (1)
zum natürlichen Verlauf der petroclivalen Meningeome an 21 Patienten über einen Zeitraum
zwischen 4 und 10 Jahren unter Kernspin-Kontrolle, dass davon 63% unter Tumorwachstum
Ausfälle entwickelten. Diese Tumoren werden
demnach langfristig behandlungsbedürftig, so
das Fazit aus dieser Studie.
Für die Resektion der petroclivalen Meningeome steht eine Reihe möglicher chirurgischer Zugänge zur Verfügung. Der am häufigsten verwendete Zugang ist heute der retromastoidal/lateral suboccipitale Zugang, hierin sind
sich Tatagiba und Hopf einig. Als weitere Zugänge sind der anterosigmoidal-subtemporale
(= petrosaler Zugang), der infratemporale, der
anterosigmoidal-retrolabyrinthäre sowie der
frontotemporal-transcavernöse Zugang zu
nennen. Allerdings ist die Komplikationsrate
bei diesen Zugängen höher. Zur Resektion sehr
großer Tumoren hat sich der kombinierte temporale und suboccipitale Zugang bewährt.
Die Wahl des chirurgischen Zugangs ist
hauptsächlich von der Tumorlokalisation,
vom Ausmaß seiner duralen Festigkeit und auch
von den angestrebten Operationszielen abhängig. Natürlich spielt die Abwägung der Vor- und
Nachteile eines jeden Zugangs eine wichtige
Rolle, ebenso die Erfahrung des Operateurs.
Die transpetrosalen Zugänge dauern sehr
lange und können zu Hörverlust führen, so Tatagiba. Der retrosigmoidale Zugang dagegen
ist relativ einfach und leicht zu erlernen. Tatagiba kombiniert ihn mit einer halb-sitzenden Lagerung des Patienten bei der OP.
Bei Eingriffen im Bereich des Kleinhirnbrückenwinkels kann es im Verlauf der OP vorkommen, dass die Vena petrosa koaguliert werden
muss. In diesen Fällen kann es postoperativ auch
noch nach einigen Tagen zu schweren und teilweise lebensbedrohlichen Komplikationen kommen. Gezeigt wurden Fälle mit massiven Kleinhirnschwellungen infolge des venösen Staus
und zerebelläre Blutungen sowie akuter Verschlusshydrocephalus. Entsprechend sind hier
intensivmedizinische Therapien und weitere
Operationen zwecks Entlastung erforderlich.
Bleibt die Vena petrosa unverletzt, so kommt es
nicht zu diesen Komplikationen, erläuterte Tatagiba. Falls es im Verlauf der OP die V. petrosa koaguliert wird, so ist der Patient post-OP unbedingt zu beobachten. Tatagiba rät deshalb dazu,
die V. petrosa nach Möglichkeit zu erhalten.
Hopf ergänzte in diesem Zusammenhang, dass
die petroclivialen Meningeome zu den absolut
schwerst zu operierenden Entitäten gehören.
Endoskop-assistierte
Schädelbasis-Chirurgie
Grundsätzlich wird zwischen den rein endoskopischen Eingriffen (Endoskopische Neurochirurgie im engeren Sinne: EN) und endoskop-assistieren Eingriffen (씰Abb. 6, 7) (Endoskop-assistierte Mikroneurochirurgie: EAM) unterschieden (2-4). Bei den endoskop-assistierten
Eingriffen kommen sowohl das Endoskop als
auch das Mikroskop und somit die mikrochirurgischen Techniken zur Anwendung.
Die EAM, welche von dem 2009 verstorbenen
Prof.Axel Perneczky, ganz wesentlich in die Neurochirurgie implementiert wurde, hat in seiner neuesten Entwicklung durch die High Definition Endoskopie zu einer besseren Detailauflösung und verbesserter Farbechtheit in der Darstellung geführt. Für die
Zukunft erwartet Prof. Nikolai Hopf neue Entwicklungen in Richtung einer 3-D-Darstellung im endoskopischen Bild. Eine weitere Herausforderung ist
der Parallaxenausgleich, um ein verzerrungsfreies
Bild zu erzielen. Das PICO-Projekt – Paraendoscopic
Intuitive Computer Assisted Operating System
(http://www.pico-endoscopy.org), ist unter anderem
mit dieser Fragestellung befasst, so Hopf. PICO wird
durch die Europäische Union im 6. Forschungsrahmenprogramm gefördert. Zu dem Konsortium gehören unter anderem das Katharinenhospital, Stuttgart, die Universitäten Greifswald und Nijmegen, sowie das Fraunhofer Institut für Produktionstechnik
undAutomatisierung sowie die RobertWolf GmbH.
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NeuroOnkologie
33
Die Schädelbasis aus
Sicht der Mund-KieferGesichts-Chirurgie
Abb. 6
An Tumorentitäten im Kiefer- und Gesichtsbereich werden vom MKG-Chirurgen hauptsächlich Plattenepithelkarzinome in der unteren
Gesichtsetage operiert, erläuterte Dr. Rolf Bublitz, Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Stuttgart. Sehr häufig ist ein Splitting des
Unterkiefers erforderlich sowie die Rekonstruktion der resezierten Unterkieferanteile mit Titanplatten. In der oberen Gesichtsetage dominieren
ebenfalls die Plattenepithelkarzinome.
Endoskopische biportale
transsphenoidale
Hypophysenoperation
Schema der endoskop-assistierten Mikroneurochirurgie
(EAM). OM: Operationsmikroskop; E: Endoskop; M: Mikroinstrumente; AC: Arachnoidalzyste (Mit freundl.
Genehmigung: Neurochirurgische Klinik,
Stuttgart).
Abb. 7
Bei der hier routinemäßig rein endoskopischen
Operation von Hypophysentumoren erfolgt der
Zugang über beide Nasenlöcher (biportal). Über
das linke Nasenloch wird das Endoskop eingeführt; über das andere die Operationsinstrumente. Der Operateur gelangt so auf direktem Wege
über die Nasenhöhle in die Keilbeinhöhle und
kann dann über eine kleine Öffnung im Boden der
Sella turcica den Tumor resezieren. Die Vorteile
dieser Technik liegen, wie Dr. Holger Opitz, Neurochirurgische Klinik Stuttgart, erklärte, in dem
minimal-invasiven Zugang und der exzellenten
optischen Darstellung des Operationsgebiets.
Radioonkologische
Behandlung von Schädelbasis-Tumoren – IMRT,
IGRT und Ionentherapie
Alternative und additive Therapieoptionen der Chirurgie von Schädelbasis-Tumoren sind radioonkologische Behandlungsmöglichkeiten. Sie eignen
sich z. B. bei komplexen Zielvolumina des Tumors,
der komplexen anatomischen Situation und bei
Nähe der Tumorlage zu empfindlichen Risikoorganen. Zu den Verfahren zählen
● die Fraktionierte Stereotaktische Strahlentherapie, FSRT,
● die Stereotaktische Radiochirurgie, SRS,
● die Intensitätsmodulierte Radiotherapie, IMRT,
● die Helikale Tomotherapie.
Schema der endoskop-kontrollierten
Mikroneurochirurgie
(ECM). E: Endoskop;
M: Mikroinstrument;
AC: Arachnoidalzyste
(Mit freundl. Genehmigung: Neurochirurgische Klinik, Stuttgart).
wie Frau Priv.-Doz. Stephanie E. Combs, Radioonkologie und Strahlentherapie, Heidelberg,
ausführte. Ein Vorteil der Ionentherapie ist, dass
die Dosis auf das Normalgewebe weiter reduziert werden kann. Seit 2009 steht mit dem Heidelberger Ionenstrahl-Therapizentrum, HIT, ein
weltweit einzigartige Therapieanlage in der modernen Krebstherapie zur Verfügung.
Gamma Knife Radiochirurgie im Bereich der
Schädelbasis
Die Entwicklung des Gamma Knife begann 1968
durch den schwedischen Neurochirurgen Lars
Leksell. Im Gamma Knife Zentrum Krefeld, so Dr.
Gerhard A. Horstmann, werden heute in der Tumorbehandlung mit dem Gamma Knife Perfexion™ 192 niedrigdosierte Kobalt-60-Strahlen in einem Punkt fokussiert und somit eine therapeutisch wirksame Gesamtstrahlendosis im Zielgebiet des Tumors unter Schonung des umliegen-
den Gewebes erreicht. Nach Abschluss der Behandlung vergrößert sich das Tumorvolumen zunächst und bildet sich dann im weiteren zeitlichen
Verlauf zurück. Hirnmetastasen verringern ihr Volumen meist nach sechs Wochen, bei Angiomen
kann es einige Jahre dauern, bis die Rückbildung
signifikant wird. Demzufolge müssen die Kontrollintervalle angepasst erfolgen, so der Experte. Mittels Gamma Knife lassen sich Tumore bis zu einem
Volumen von 3 ccm behandlen.
Dr. Peter Henning, Stuttgart
Literatur
1. Van Havenbergh T et al. Neurosurgery 2003; 52:
55–62; discussion 62–64.
2. Hopf NJ, Perneczky A. Neurosurgery 1998; 43:
1330-1337.
3. Hopf NJ et al. Neurosurgery 1999; 44: 795-806.
4. Hopf NJ. Minim Invasiv Neurosurg 1999; 42: 162.
Quelle: 8. Neuroonkologisches Seminar „Schädelbasis-Tumore“ am 17. November 2010, Katharinenhospital Stuttgart. Veranstalter: OÄ Minou Nadji-Ohl, Leiterin Schwerpunkt Neuroonkologie.
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Supportivtherapie
Lebensqualität krebskranker Eltern
mit minderjährigen Kindern
Problemaufriss
J. Ernst1; D. Richter1; J. Dorst2; R. Schmidt1; E. Brähler1
1Universität Leipzig, Department für Psychische Gesundheit, Selbständige Abteilung für Medizinische Psychologie und
Medizinische Soziologie, Leipzig; 2Universität Leipzig, Selbständige Abteilung für Hämatologie, Internistische Onkologie und Hämostaseologie, Leipzig
Schlüsselwörter
Keywords
Psychoonkologie, Elternschaft, Lebensqualität
Psycho-oncology, parenthood, quality of life
Zusammenfassung
Summary
Die Fragestellungen, die sich mit dem Einfluss
der Elternschaft auf die psychosoziale Situation
und die Lebensqualität der Krebspatienten
selbst befassen, sind bislang ungenügend erörtert. Das betrifft sowohl epidemiologische als
auch Hypothesen prüfende Themenfelder und
Versorgungsanalysen. Die Ursache für diese
ungenügende Problemzentrierung liegt in der
relativ kleinen Inzidenz (rund 12% aller Krebserkrankten haben Kinder bis 18 Jahre) – die
meisten Diagnosen werden jenseits des Alters
von 60 Jahren gestellt (Männer 72%, Frauen
70%), in welchem kleine Kinder kaum noch eine Rolle spielen. Studien verweisen allerdings
auf die Kumulationen von Belastungen und
Problemen gerade in diesen Familien. Es ist auf
der einen Seite dringend notwendig, die Generierung epidemiologischer Daten voranzutreiben, um belastbare Informationen zur Entwicklung und Anwendung psychoonkologischer Interventionsangebote zur Verfügung zu haben.
Auf der anderen Seite ist für die Aufarbeitung
der Forschungsdefizite die Erhebung repräsentativer Längsschnittdaten notwendig, um den
Einfluss der Kombination Elternschaft und
Krebs auf innerfamiliäre Belastungsprofile und
-verläufe differenziert zu verdeutlichen.
Specific questions about the impact of parenthood on the psychosocial situation and
quality of life of cancer patients have been
discussed insufficiently to date. This concerns
epidemiological as well as hypothesis testing
subject fields and care analyses. The insufficient focus on that problem is caused by the
relatively small incidence (approx. 12% of all
cancer patients have under aged children) –
most diagnoses are made beyond the age of
60 years (men 72%, women 70%), in which
dependent children hardly play a role. However, studies refer to an accumulation of distress and problems especially in these
families. On the one hand it is necessary to advance the generation of epidemiological data
to have reliable information and therewith to
develop and apply psycho-oncological interventions. And on the other hand the survey of
representative longitudinal data is needed to
explain research deficits and to illustrate the
impact of the coincidence of parenthood and
cancer diagnosis on an intra-familial psychosocial stress profile and – progress in different
ways.
Korrespondenzadresse
Dr. Jochen Ernst
Universität Leipzig
Department für Psychische Gesundheit
Selbständige Abteilung für Medizinische Psychologie
und Medizinische Soziologie
Philipp-Rosenthal-Straße 55
04103 Leipzig
Tel.: 03 41 / 9 71 54 07
Fax: 03 41 / 9 71 54 19
E-Mail: [email protected]
Quality of life of parents suffering from cancer
with minor children
Onkologische Welt 2011; 2: 34–36
Einleitung
Eine Krebserkrankung stellt nicht nur eine
sehr große seelische Belastung für den Patienten dar, sondern kann in der Folge das
gesamte familiäre System erschüttern. Mitbetroffene Angehörige sind häufig die Partner, die erweiterte Kernfamilie sowie die
Kinder, hierbei vor allen Dingen minderjährige Kinder – das betrifft schätzungsweise 200 000 Familien in Deutschland. Rund
12% der neudiagnostizierten Krebspatienten haben Kinder unter 18 Jahren (1). Dabei ist die Rate abhängig von der Krebsart
und erreicht bei Brustkrebs mit rund 35%
einen besonders hohen Wert (2). Die psychoonkologische Forschung hat sich seit
den 1970er- und verstärkt in den 1980erJahren dem Thema Krebs und Familie geöffnet und gesamtfamiliäre Ansätze entwickelt mit dem Anspruch, das Unterstützungspotenzial der Familien zu stärken, die
Lebensqualität zu verbessern (3–5) und
den Auswirkungen der somatischen und
psychosozialen Leiden des krebskranken
Elternteils auf dessen minderjährige Kinder nachzugehen (6, 7). Hervorzuheben ist
die transnationale europäische Verbundstudie „COSIP – Children of Somatically Ill
Parents“, die Kinder somatisch bzw. krebskranker Eltern im Kontext eines systemischen und familienfokussierten Ansatzes
unterstützt und entsprechende Ansätze
evaluiert hat (8).
Empirische psychoonkologische Befunde belegen die möglichen Auswirkungen
der elterlichen Krebserkrankung auf die
minderjährigen Kinder sowie die Wechselbeziehungen zwischen elterlichen und
kindlichen Belastungen nur unzureichend
und zum Teil inkonsistent (9). Abgesichert
ist der Befund, dass sich der krankheitsgebundene familiäre Distress für Partner
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J. Ernst et al.: Lebensqualität krebskranker Erltern mit minderjährigen Kindern
und Patienten erhöht, wenn minderjährige
Kinder im Haushalt zu versorgen sind
(10–12). Als Folge der Krebserkrankung
und der hiermit assoziierten Anforderungen (z. B. häufige oder längere Krankenhausaufenthalte, körperliche Veränderungen und Funktionseinschränkungen, Verarbeitung potenziell lebensbedrohlicher
Situationen) sind krebserkrankte Eltern
selbst hoch belastet, in ihrer Rolle verunsichert und können die Überforderung und
Ängste ihrer Kinder übersehen oder unterschätzen (13).
Große Einschränkungen der Lebensqualität (soziale, physische und Rollenfunktion, ES = 0,79) von Krebspatienten
mit Kindern werden in der Studie von Gazendam-Donofrio et al. berichtet, wobei
die Funktionalität in Abhängigkeit vom Behandlungsregime (Patienten mit invasiven
Therapien sind stärker eingeschränkt) sowie zur Tumorlokalisation (Hautkrebspatienten weniger, hämatoonkologische
Patienten sehr stark eingeschränkt) variiert
(14). Eine Elternschaft kann dabei im Zeitverlauf unter gewissen Umständen auch einen positiven Impuls auf die Lebensqualität und die Krankheitsverarbeitung des Patienten ausüben, da die Einbindung in fest
umrissene soziale Rollen als stabilisierend
und stützend erlebt werden (15). Zudem
lässt sich ein Zusammenhang zwischen Belastung/Lebensqualität des Patienten und
dem Alter der Kinder herstellen – Patienten
mit minderjährigen Kindern leiden signifikant stärker unter Panikattacken, Angstschüben sowie einer schlechteren Lebensqualität (12).
Das Forschungsprojekt
„Psychosoziale Hilfen
für Kinder krebskranker
Eltern“
Um die von einer Krebserkrankung betroffenen Familien mit minderjährigen Kindern zu unterstützen und um die empirische Befundung dieses Problemfeldes zu
befördern, hat die Deutsche Krebshilfe e. V.
ein Schwerpunktprogramm eingerichtet.
In diesem großen Verbundprojekt, das von
2009–2011 an fünf verschiedenen Standorten in Deutschland bzw. an acht universitä-
100
90
80
70
60
50
40
30
20
10
0
Krebspatienten ohne Kinder, altersgematcht
(n = 51)
Krebspatienten mit Kindern < 18 Jahre
(n = 54)
84,3
84,8
74,7
76,8
65,4
61,5
56,4
global quality
of life
p < 0,03
73,5
physical
functioning
p < 0,02
social
functioning
p < 0,00
69,9
65,7
56,9
55,3
emotional
functioning
n.s.
role
functioning
p < 0,00
cognitive
functioning
p < 0,00
Abb. 1 EORTC (European Organisation for Research and Treatment of Cancer) Lebensqualität – Mittelwerte (0–100) der Global- und Funktionsskalen für Patienten (T1) (eigene Erhebung)
ren Einrichtungen durchgeführt wird, werden Problem- und Handlungsfelder differenziert erfasst und familienorientierte,
kindzentrierte Hilfen implementiert, die
flexibel auf die konkreten Situationen der
Patienten, ihrer Partner und Kinder abgestimmt sind. Neben der Erarbeitung von
wissenschaftlichen Grundlagen sollen Erkenntnisse zum Bedarf an familienorientierten Hilfsangeboten gewonnen werden.
Ein Forschungsschwerpunkt in Leipzig
behandelt epidemiologische und längsschnittliche Aspekte und wird von der Ab-
Tab. 1
teilung für Medizinische Psychologie und
Medizinische Soziologie (in Kooperation
mit der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Leipzig) realisiert.
Hierbei werden im Rahmen eines quantitativen Ansatzes Daten zur psychosozialen
Belastung, Lebensqualität, Familienfunktion, zur Kommunikation über die Erkrankung, sozialen Unterstützung sowie zur
Krankheitsverarbeitung erhoben. Die Befragung erfolgt zu drei Messzeitpunkten
und soll im Kontext von Vergleichsgruppen
Aufschluss geben über die Veränderung
Risikofaktoren für verminderte Lebensqualität bei Krebspatienten mit Kindern < 18 Jahren
Funktion
signifikante Risikofaktoren
und Interaktionseffekte1
F
R2
p
Körperliche Funktion
kein Partner
Kinder >6 Jahren
Kinder >6 Jahren x kein Partner
6,28
5,30
9,29
0,24
0,016
0,026
0,004
Soziale Funktion
kein Partner
Kinder >6 Jahren
weiblich
Kinder >6 Jahren x kein Partner
4,90
5,42
4,23
5,01
0,21
0,032
0,024
0,046
0,030
Lebensqualität
kein Partner
6,30
0,16
0,015
Rollenfunktion
n. s.
-
-
-
Emotionale Funktion
n. s.
-
-
-
Kognitive Funktion
n. s.
-
-
-
1Kontrollierte Variablen:
Partnerschaft (ja/nein), Kinder > 6 (ja/nein), Geschlecht
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36
J. Ernst et al.: Lebensqualität krebskranker Erltern mit minderjährigen Kindern
von Belastungen und Ressourcen im zeitlichen Verlauf, über mögliche Risiko- oder
Schutzfaktoren sowie über die Dynamik
der mit der Krebserkrankung einhergehenden innerfamiliären Veränderungen. Definiert werden sollen zudem Ansatzpunkte
für einen psychoonkologischen Behandlungs- und Versorgungsbedarf, um die Familien im Rahmen von Einzel- oder Familiensettings wirkungsvoll zu unterstützen.
Lebensqualität krebskranker Eltern
Die ersten Befunde unserer Studie zeigen
bei Eltern mit Krebs im Vergleich zu Krebspatienten ohne minderjährige Kinder signifikant niedrigere Werte bei den meisten
Funktionen der Lebensqualität (씰Abb. 1).
Dies betrifft besonders die soziale und die
Rollenfunktion als die Dimensionen, die
die elterliche Funktion und die Erziehungsaufgaben abbilden. Als signifikante Risikofaktoren für eine niedrigere Funktionalität
konnten wir auf den Skalen Körperliche
und Soziale Funktion sowie Globale Lebensqualität varianzanalytisch die Merkmale „kein Partner“, „Kinder >6 Jahre“ sowie „weibliches Geschlecht“ identifizieren
(씰Tab. 1).
Schlussfolgerung
Internationale Studien sowie eigene Befunde machen eine besondere psychoonkologische Problemlast bzw. eine zum Teil stark
eingeschränkte Lebensqualität bei Patienten mit minderjährigen Kindern deutlich.
Das betrifft vor allem Patienten ohne Partnerschaft sowie Familien mit Kindern älter
als 6 Jahre, wobei einerseits mangelnde soziale Unterstützung, andererseits eine
mögliche Überforderung vor dem Hintergrund erweiterter Erziehungs- und Entwicklungsaufgaben (zum Beispiel Schulbeginn) zum Tragen kommt. Die Befunde
sind in der Zukunft mit größeren Stichproben und differenzierten Analysen zu vertiefen. Es ist zu begrüßen, dass derzeit im Rahmen eines von der Deutschen Krebshilfe
geförderten Verbundprojekts nach Wegen
gesucht wird, Familien mit Kindern bis 18
Jahren auf der Basis eines breiten empirischen Datenzugangs problemfokussierte
differenzielle Hilfe anzubieten.
Literatur
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Internationale
Literatur
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Häufigste Tumorentitäten waren Brust- und
Lungenkrebs sowie Kolorektalkarzinome bei
mehr als zwei Drittel der Patienten.
Inzidentelle Thromboembolien bei Tumorpatienten
Erhöhtes Risiko nach Start
der Chemotherapie
VTE-Risiko abhängig
von Tumorentität
Krebspatienten haben ein erhöhtes Risiko für symptomatische venöse Thromboembolien (VTE). Eine neue Studie weist darauf hin, dass VTE in diesem Kollektiv ausgesprochen häufig auch inzidentell diagnostiziert werden, insbesondere zu Beginn einer Chemotherapie. Risikofaktoren für inzidentelle VTE sind metastatische Erkrankung, erhöhte Leukozytenzahl und eine Therapie mit Platinderivaten. Besonders hoch ist das Risiko in den ersten drei bis sechs Monaten nach Beginn einer Chemotherapie.
Die Studienteilnehmer waren bei Beginn
der Chemotherapie im Schnitt 59 Jahre alt.
Knapp zwei Drittel (62%) waren weiblich, 40%
litten an einer metastasierten Erkrankung.
60
Inzidentelle VTE
Symptomatische VTE
VTE, n
Die Beziehung zwischen Krebserkrankung und
der Entwicklung symptomatischer tiefer Venenthrombosen und Lungenembolien ist seit
langem bekannt. Die jährliche Inzidenz von VTE
bei Tumorpatienten wird auf rund 1 pro 200
Personen geschätzt, kann aber laut Autopsiestudien auch deutlich höher liegen. Ursächlich
ist die durch den Tumor induzierte Thrombophilie, welche durch antitumorale Therapien noch
verstärkt werden kann, berichten Marcello Di
Nisio und Mitarbeiter in einer kürzlich erschienenen Publikation (1). So wird die Chemotherapie als unabhängiger Risikofaktor für VTE betrachtet: Je nach eingesetztem Zytostatikum
kann die jährliche VTE-Rate auf 11–20% ansteigen.
Studiendaten weisen darauf hin, dass bei
Krebspatienten zudem relativ häufig bei den
routinemäßig im Rahmen der Nachsorge
durchgeführten Computertomographien (CT)
inzidentell VTE festgestellt werden. Die Prävalenz zufällig entdeckter Lungenembolien liegt
in heterogenen Patientenkollektiven bei 1–6%,
wobei die höheren Raten für stationäre und
Krebspatienten gelten. Um die tatsächliche Inzidenz inzidenteller VTE festzustellen und mögliche Risikofaktoren zu identifizieren, untersuchte die Arbeitsgruppe um Di Nisio retrospektiv die Unterlagen von 1921 konsekutiven
Patienten mit soliden Tumoren, bei denen zwischen Janurar 2003 und März 2009 eine Chemotherapie begonnen wurde. Patienten mit
großen Interventionen einen Monat vor Start
der Zytostase ebenso wie Patienten, die postoperativ eine Thromboseprophylaxe erhielten,
waren ausgeschlossen. Primärer Endpunkt dieser Studie war die Rate inzidentell im Thorax-,
Abdomen- und/oder Becken-CT entdeckter
VTE.
Innerhalb von median acht Monaten wurden
bei den 1921 Patienten insgesamt 101 VTE diagnostiziert (5,3%); 62 (3,2%) waren inzidentell, 39 (2%) symptomatisch. Die Ereignisse
wurden im Median 14 Wochen nach Beginn der
Chemotherapie und zwei Wochen nach Ende
des letzten Therapiezyklus entdeckt. In den
Nachbeobachtungs-CTs fielen 28 der inzidentellen VTE (45%) nach drei Monaten, weitere
21 nach sechs Monaten auf (씰Abb. 1). Darunter waren vier Lungenembolien ohne und acht
Fälle mit begleitender proximaler tiefer Beinve-
40
20
Abb. 1
Inzidentelle und
symptomatische VTE
im Zeitverlauf nach
Start der Chemotherapie (nach: [1])
Tab. 1
0
< 12
13–24
25–52
> 53
Wochen zwischen dem Beginn der Chemotherapie
und der VTE
Inzidentelle und symptomatische VTE in Abhängigkeit von der Tumorentität
Tumorentität
Patienten
Inzidentelle
VTE
Symptomati- Gesamt VTE
sche VTE
Brust
764 (40)
5 (0,6)
7 (0,9)
12 (1,6)
Kolorektalkarzinom
492 (26)
21 (4,3)
13 (2,6)
34 (6,9)
Lunge
205 (11)
14 (6,8)
5 (2,4)
19 (9,3)
Uro-Genital
95 (5)
5 (5,3)
2 (2,1)
7 (7,4)
Oberer Gastrointestinaltrakt
87 (4)
2 (2,3)
5 (5,7)
7 (8,0)
Pankreas, Leber
68 (3)
3 (4,4)
3 (4,4)
6 (8,8)
Ovarien
58 (3)
3 (5,2)
0 (0)
3 (5,2)
Prostata
56 (3)
2 (3,6)
2 (3,6)
4 (7,1)
Gynäkologisch
40 (2)
6 (15)
2 (5,0)
8 (20,0)
Sonstige
56 (3)
v1 (1,8)
0
1 (1,8)
Gesamt
1921 (100)
62 (3,2)
© Schattauer 2011
39 (2,0)
101 (5,3)
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Internationale
Literatur
38
Tab. 2
Inzidentelle und symptomatische VTE in Abhängigkeit vom eingesetzten Chemotherapieregime
Chemotherapie-Regimen
Patienten
Inzidentelle
VTE
Anthrazyklin
572 (29,8)
7 (1,2)
9 (1,6)
16 (2,8)
Platin-basiert
Cis- /Carbo-Platin
Oxaliplatin
440 (23,0)
304 (15,8)
31 (7,3)
19 (6,3)
9 (2,1)
6 (2,0)
40 (9,4)
25 (8,2)
Taxan-basiert
370 (19,3)
4 (1,1)
7 (1,9)
11 (3,0)
CMF
279 (14,7)
2 (0,7)
1 (0,4)
3 (1,1)
Gemcitabin
271 (14,1)
10 (3,8)
10 (3,8)
20 (7,5)
FUFA
187 (9,7)
5 (2,7)
4 (2,1)
9 (4,8)
Biologika
182 (9,5)
10 (5,5)
4 (2,2)
14 (7,7)
Fluor-basiert
129 (6,8)
3 (2,5)
4 (3,4)
7 (5,9)
Irinotecan-basiert
106 (5,5)
4 (3,8)
4 (3,8)
8 (7,5)
Vinorelbin
44 (2,3)
1 (2,3)
1 (2,3)
2 (4,5)
PEB
39 (2)
3 (7,7)
0
3 (7,7)
Cyclophosphamid
22 (1,1)
2 (9,0)
2 (9,0)
4 (18,8)
Topotecan
19 (1,0)
1 (5,3)
0
1 (5,3)
Ifosfamid-basiert
17 (0,9)
0
0
0
nenthrombose. Symptomatische Ereignisse traten ebenfalls mehrheitlich früh auf: 20 (51%)
innerhalb der ersten drei, fünf innerhalb von
sechs Monaten nach Beginn der Chemotherapie. In vier Fällen handelte es sich um symptomatische Lungenembolien.
Häufig waren inzidentelle VTE bei Patienten
mit gynäkologischen Tumoren (15%), Lungenkarzinomen (6,8%), Tumoren des Urogenitaltrakts (5,3%), Eierstock- (5,2%) und Pankreaskrebs (4,4%; 씰Tab. 1). Mehr als die Hälfte aller
Ereignisse wurde bei Patienten mit Lungenund Kolorektalkarzinomen detektiert.
VTE unter Chemotherapie
und Biologika
Darüber hinaus unterschied sich die VTE-Rate
je nach verabreichtem Chemotherapieregime.
Besonders gefährdet waren Patienten unter
platinhaltigen Protokollen (씰Tab. 2). Gegen-
Symptomati- VTE gesamt
sche VTE
über Patienten mit platinfreier Chemotherapie
hatten Patienten, die platinbasierte Regime erhielten, ein dreifach höheres Risiko für eine inzidentelle VTE (7,6% vs. 2,1%; Odds Ratio 2,8).
Bei Oxaliplatin-haltiger Therapie wurde das
VTE-Risiko mehr als verdoppelt (6,7% vs. 2,7%;
OR 2,4). Bei Gabe von Biologika war das Risiko
knapp doppelt so hoch (OR 1,9).
Als weiterer Risikofaktor wurde eine Disseminierung der Erkrankung identifiziert. Inzidentelle VTE traten bei 5,3% der Patienten mit,
aber nur bei 2,1% der Teilnehmer ohne Metastasen auf (relatives Risiko 2,4). Das Vorliegen
von Metastasen war außerdem prädiktiv für
die Entwicklung symptomatischer VTE (3,4%
vs. 1,3%; RR 2,6). Auch der Leukozytenwert bei
Start der Chemotherapie korrelierte signifikant
mit dem Auftreten von VTE: Patienten mit erhöhter Leukozytenzahl (>10 x 109/l) hatten ein
2,9-fach erhöhtes relatives Risiko für VTE insgesamt und ein 3,4-fach erhöhtes Risiko für
symptomatische VTE.
Patienten mit symptomatischen VTE sowie
Patienten mit inzidentell diagnostizierten Lungenembolien und tiefen Venenthrombosen erhielten im ersten Monat eine Standardtherapie
mit einem niedermolekularen Heparin (NMH)
in voller therapeutischer Dosierung, das danach auf 75–80% der Dosis reduziert wurde.
Inzidentelle VTE im Gewebe wurden mehrheitlich drei bis sechs Monate lang mit einem NMH
in halbtherapeutischer Dosis behandelt, in Einzelfällen aber auch während der gesamten
Chemotherapiedauer.
Noch keine ProphylaxeEmpfehlungen
Inzidentelle VTE sind also laut dieser retrospektiven Studie mit einer Rate von 3,2% ein relativ
häufiges Phänomen bei ambulant behandelten
Krebspatienten. Besonders hoch ist das Risiko
in den ersten drei bis sechs Monaten nach Beginn einer Chemotherapie, resümierten di Nisio
et al. In dieser gefährlichen frühen Phase der
Zytostase könnten betroffene Patienten möglicherweise von einer Thromboseprophylaxe
profitieren, die aber für diese Situation in den
Leitlinien derzeit noch nicht aufgenommen
wurde.
Allerdings sollten inzidentelle VTE nicht unterschätzt werden. Laut Di Nisio zeigen Studien
eine starke Assoziation zwischen asymptomatischen Venenthrombosen und der anschließenden Entwicklung symptomatischer VTE sowie
einer Erhöhung der Sterblichkeit. Sollten die
Daten dieser Studie reproduziert werden,
könnte die Detektion inzidenteller VTE im Rahmen einer Risikoevaluation genutzt werden,
um Risikogruppen von Krebspatienten zu identifizieren, bei denen die Thromboseprophylaxe
besonders angezeigt ist.
Dr. Katharina Arnheim, Freiburg
Literatur
1. Di Nisio M et al. Incidental venous thromboembolism in ambulatory cancer patients receiving chemotherapy. Thromb Haemost 2010; 104:
1049–1054.
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Supportivtherapie
39
Medikamentöse Schmerztherapie in der Supportivmedizin
Die Versorgungssituation bessert
sich, aber Nachholbedarf bleibt
Supportive Maßnahmen gehören zum festen Bestandteil onkologischer Therapiekonzepte.
Ohne ihre konsequente Weiterentwicklung wären die Erfolge in der Behandlung maligner
Erkrankungen nicht möglich. In mehr als 80% der Fälle liegt bei malignen Erkrankungen eine tumorbedingte bzw. -assoziierte Schmerzursache vor, während therapiebedingte
(15–20%) oder tumorunabhängige (10%) Schmerzen vergleichsweise seltener vorkommen.
Diesen hohen Anforderungen wird die Schmerztherapie jedoch nicht immer gerecht.
Die Gründe für eine leider noch viel zu häufig
auftretende unzureichende Schmerztherapie
sind vor allem in der Nichtbeachtung folgender
Grundregeln der Schmerztherapie zu suchen:
1. Präventive Einnahme effektiver als Behandlung nach Bedarf
2. Kein verzögerter Beginn der Schmerztherapie
(Chronifizierung der Schmerzsymtomatik)
3. Regelmäßige Einnahme der Medikation zu festen Zeitpunkten (konsequenter Therapieplan)
4. Individuelle Dosierung und Dosisanpassung
Eine symptomatische Schmerztherapie sollte
nicht verzögert werden. Patienten mit chronischen Tumorschmerzen können meist nur sehr
kurzfristig mit Nichtopioidanalgetika ausreichend eingestellt werden. Dies kontrastiert mit
dem hohen Verordnungsanteil von nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) auch bei Tumorpatienten. Eine individuelle Dosisanpassung ist bei
einer Opioidtherapie essentiell. Bei spezifischen
Schmerzformen ist der Einsatz von analgetischen Adjuvantien sinnvoll (z.B. Steroide bei
Hirndruck bzw. Nervenkompression, Spasmolytika bei kolikartigen viszeralen Schmerzen oder
Bisphosphonate bei Knochenschmerzen).
Neben einer unzureichenden Versorgung mit
Analgetika steigern Multimorbidität, eingeschränkter Allgemeinzustand und Polymedikation die Gefahr von klinisch relevanten Wechselwirkungen exponentiell. Die Schmerztherapie
muss daher auch und vor allem in der supportiven Behandlung von Tumorpatienten nicht nur
ausreichend effektiv sein, sondern auch eng mit
der übrigen Medikation abgestimmt werden.
NSAR-Interaktionspotenzial
NSAR sind die meist verordnete Wirkstoffgruppe
gegen Schmerzen. Allerdings muss ihre gute ent-
zündungshemmende Wirkung mit vielen, oft unterschätzten Nebenwirkungen, vor allem in Form
von Arzneimittelinteraktionen bei Polymedikation, erkauft werden. Unerwünschte Effekte wie
akute Niereninsuffizienz, Verschlechterung der
Herzinsuffizienz, verminderte Wirksamkeit von
Blutdrucksenkern, insbsondere ACE-Hemmer, erhöhtes gastrointestinales Blutungsrisiko und Kolitis können die Wirksamkeit einer antineoplastischen Behandlung deutlich limitieren. NSAR stehen auch an der Spitze der Medikamente, die infolge unerwünschter Nebenwirkungen zu stationären Aufenthalten führen. Das Agency for Health
Quality Research (AHQR) veröffentlichte 2009 eine Statistik, in der NSAR-assoziierte Gastrointestinalblutungen für 16 500 Todesfälle in den USA
pro Jahr verantwortlich gemacht werden (1).
Eine Analyse von Beobachtungsstudien der
Jahre 2000-2008 zur NSAR-Therapie beziffert das
relative Risiko (RR) für eine Blutung bzw. Perforation im oberen Gastrointestinaltrakt (GI) mit 4,50
für traditionelle NSAIDs und 1,88 für Coxibe. Für
Ibuprofen (2,69), Rofecoxib (2,12), Aceclofenac
(1,44) und Celecoxib (1,42) lag das Risiko unter
dem für alle NSAIDs errechneten Durchschnitt.
Ketorolac (14,54), Piroxicam (9,94), Naproxen
(5,63), Ketoprofen (5,57), Indomethacin (5,40),
Meloxicam (4,15) und Diclofenac (3,98) lagen jedoch teilweise deutlich darüber.
Entgegen früherer Annahmen eignet sich der
Grad der COX-1-Inhibition nicht zur Risikobewertung, wohl aber eine Inhibition beider Isoenzyme
>80% (1). Zudem gehen NSAIDs mit einer langen
Halbwertszeit und einer langsamen Freisetzungskinetik offenbar mit einem erhöhten Risiko für
Komplikationen im oberen GI einher.
Die gemeinsame Einnahme mit SSRI oder
dem SNRI Venlafaxin kann zu einer Hemmung
der Thrombozytenaggregation führen infolge
einer Serotonin-Wiederaufnahmehemmung in
den Thrombozyten (Odds Ratio 4,8). Noch hö-
her ist das Risiko für Blutungen im oberen GI
bei Patienten ohne Magensäureprotektion (OR
9,1). Ob es Unterschiede in der Gruppe der SSRI
gibt, ist noch nicht eindeutig geklärt. Es gibt
Hinweise, dass je höher die Affinität zu Serotoninrezeptoren ist, desto ausgeprägter ist auch
der Effekt an den Thrombozyten (Escitalopram,
Citalopram, Sertralin) (1, 3).
Paracetamol und Metamizol
Für Paracetamol konnte keine Wirksamkeit gegen
Tumorschmerzen nachgewiesen werden. In den
USA und Großbritannien ist es die häufigste Ursache für ein akutes Leberversagen – Tendenz steigend. Paracetamol erfährt einen komplexen hepatischen Metabolismus. Ca. 98% werden konjugiert.
Im Normalfall wird nur ein geringer Anteil durch Cytochrom P450-Enzyme zum hochreaktiven N-acetyl-benzochinonimin hydroxyliert. Dieser Metabolit
reagiert mit Glutathion und verliert so seine Toxizität. Eine Leberzellnekrose tritt auf, wenn mehr von
dem Metaboliten gebildet wird, als vom vorhandenen Glutathion aufgefangen werden kann (in Dosen ab 6–8 g/d). Das geschieht, wenn das Leberparenchym geschädigt oder reduziert ist, z.B. durch
ausgedehnte Lebermetastasen und weniger Glutathion zur Verfügung steht. Aber auch, wenn eine
Enzyminduktion, z. B. durch Phenytoin, Carbamazepin, Alkohol, Rifampicin, den Anteil des hydroxilierten Paracetamol erhöht (1, 2). Bzgl. anderer Organschädigungen schneidet Paracetamol wesentlich besser als NSAR ab.
Für Metamizol ist eine gute analgetische und
antipyretische sowie im hohen Dosisbereich eine gute spasmolytische Wirkung beschrieben.
Das Mortalitätsrisiko einer Metamizol-induzierten Agranulozytose ist deutlich geringer als das
einer letalen NSAR-induzierten GI-Blutung. Vorteilhaft sind auch die wenigen Einschränkungen
bei Organfunktionseinbußen (4).
Einsatz von Tramadol und
Opiaten
Tramadol
Laut internationaler Guidelines verschiedener
Schmerzgesellschaften wird bei chronischer
Schmerztherapie oft die WHO Stufe II übersprungen und relativ rasch der Opiat-Einsatz dem Tramadol vorgezogen, meist aufgrund besserer Verträglichkeit (1). Der Teil des Tramadols, der an
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Supportivtherapie
40
Tab. 1
Ausgewählte Wechselwirkungen von Analgetika (nach [1])
Wirkstoff(Gruppe)
CAVE: Kombination mit
NSAR
Coumarinen, ASS, Clopidrogel, SSRI, SNRI, Kortikoide, Alkohol
Blutungsrisiko im GI-Trakt
ACE-Hemmern
Gefahr von Nierenversagen, verminderte antihypertensive
Wirkung
SSRI, SNRI, Carbamzepin, Oxcarbazepin, Lamotrigin, Antipsychotika, Opioden,...
verstärkte Hyponatriämie über SIADH
Antiemetika, 5HT3-Antagonisten
eventuell Wirkverlust
Paracetamol
Wechselwirkung
Carbamazepin, Alkohol, Phenytoin, Rifampicin, INH, Zidovudin erhöhtes Risiko für Leberzellnekrosen
Metamizol
Carbamazepin und Clozapin
Gefahr einer Knochenmarksupression
Antazida
verminderte Resorption:(mind. 2Std. Einnahmeabstand)
Pregabalin
Oxycodon
Beeinträchtigung kognitiver und grobmotorischer Funktionen
möglich
Tramadol
Theophyllin, Alkohol, Antipsychotika, Lithium, Bupropion, …
Senkung der Krampfschwelle
SSRI, SNRI, MAO-I, TZA, Linezolid, Carbamazepin, Oxcarbazepin, atypische Antipsychotika, …
Gefahr eines Serotoninsyndroms: Delir, Akathisie, Übelkeit, …
Alkohol,Benzodiazepinen,Antipsychotika, Antihistaminika,
Muskelrelaxantien, …
verstärkte zentral dämpfende Wirkung
Oxycodon
verstärkte anticholinerge Wirkung
Anticholinergika (Clozapin, Olanzapin, Hydoxyzin,
Dimenhydranat, Diphenhydramin, Amantadin, Gyrasehemmer,
Oxybutinin, Atropin, Scopolamin, …)
Fentanyl
alle Opiate
Mundtrockenheit, Tachykardie, Delir, …
Alkohol, Benzodiazepinen, Antipsychotika, Antihistaminika,
Muskelrelaxantien,…
den zentralen μ-Rezeptoren angreift um analgetisch zu wirken, muss nach Resorption durch das
CYP 2D6-System in der Leber aktiviert werden.
Bei Poor-Metabolisern bzw. bei gleichzeitiger
Gabe von CYP 2D6-Inhibitoren kann diese Aktivierung vermindert sein. Zusätzlich wirkt Tramadol (ohne Aktivierung) über eine Erhöhung von
Serotonin und Noradrenalin analgetisch. Dabei
dürfte besonders die Serotonin-Erhöhung für
die, sehr häufigen GI-Nebenwirkungen, wie
Übelkeit und Erbrechen verantwortlich sein (1).
In Kombination mit anderen serotonergen
Substanzen ist immer auf das Auftreten eines
Serotoninsyndroms zu achten, gekennzeichnet
durch Akathisie, Unruhe, Erbrechen, Tremor
oder Schwitzen (씰Tab. 1). Tramadol senkt die
Krampfschwelle, was besonders in Kombination mit Theophyllin, Antipsychotika, Bupropion
und Alkohol zu Anfällen führen kann.
verstärkte zentral dämpfende Wirkung
Buprenorphin unterscheiden sich hinsichtlich
ihres Metabolismus und ihrer Ausscheidung.
Bei Niereninsuffizienz müssen Hydromorphon
und Buprenorphin nicht in der Dosis angepasst
werden. Vor allem beim Einsatz von Fentanylpflaster und Oxycodon sollte eine gleichzeitige
Einnahme anderer anticholinerg wirksamer
Medikamente vermieden werden, um kognitive Verschlechterung bis hin zum Delir, vor allem
beim alten Patienten, zu verhindern. In der Literatur sind auch Einzelfälle eines Serotoninsyndroms in Kombination mit anderen serotonergen Substanzen, vor allem Antidepressiva beschrieben (1). Bei allen Opiaten, vor allem bei
i.v. Gabe, sollte auf eine Potenzierung der Gefahr der Atemdepression durch die gleichzeitige parenterale Gabe von Benzodiazepinen und
Neuroleptika geachtet werden.
Andere Analgetika
Opiate
Die am meisten eingesetzten Vertreter Morphin, Hydromorphon, Oxycodon, Fentanyl und
Unter Carbamazepin kann es zu kognitiven Verschlechterungen, Leberschäden und einer starken Sedierung kommen. Aufgrund der sehr star-
ken CYP 3A4-Induktion müssen Arzneimittel, die
über dieses Isoenzym verstoffwechselt werden,
in ihrer Dosis angepasst werden. Gerade bei
Multimedikation ist Carbamazepin daher nicht
unbedingt das Medikament der ersten Wahl.
Gabapentin und Pregabalin erfordern im
Fall bereits bestehender Nierenschädigungen
eine Dosisanpassung, da sonst ZNS-Nebenwirkungen wie Schwindel auftreten können.
Dr. Alexander Kretzschmar, München
Literatur
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acute liver failure. J Clin Gastroenterol 2009; 43(4):
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3. De Abajo FJ et al. Risk of upper gastrointestinal
tract bleeding associated with selective serotonin
reuptake inhibitors and venlafaxine therapy: interaction with nonsteroidal anti-inflammatory drugs
and effect of acid-suppressing agents. Arch Gen
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Forum Supportivtherapie
41
In der Schmerztherapie Fortschritte
gezielt nutzen
Beinahe jede Tumorart kann in ihrem Verlauf zu Schmerzen führen, die die Lebensqualität und Aktivität der Patienten einschränken. 65% der Betroffenen berichten über
Schmerzspitzen, rund 60% über Bewegungsschmerzen, weitere 20–60% über spontan
auftretende und 29% über End-of-Dose-Schmerzen (1–4).
Einem Expertenkonsensus folgend lässt sich mit einem gut verträglichen Analgetikum mit wenig
Wechselwirkungen die Therapie verbessern (5). Bei
der Auswahl des Analgetikums sollten Aspekte wie
Komorbidität, Polypharmazie, Langzeitverträglichkeit, Wirkdauer sowie Effekte auf Mobilität und Lebensqualität noch stärker berücksichtigt werden.
Zu empfehlen seien vor allem Opiate ohne Höchstdosisbeschränkung und aktive Metabolite mit ge-
Abb. 1
Mittlere Unterschiede
und 95% CI zwischen
der OROS®-Hydromorphon- und der Retard-Morphin-Gruppe
zum Ende der 2. Phase der Studie (modifiziert nach [14]).
„Stärkster
Schmerz“
„Schmerz am
Vormittag“
„Schmerz
am Abend“
„Geringster
Schmerz“
„Durchschn.
Schmerz“
-2,0
-1,59
ringem pharmakokinetischen Interaktionspotential und langer Wirkdauer (z. B. Jurnista®).
Die Kombination aus stark schmerzlinderndem
Wirkstoff (6–8) und innovativer Retardierung ermöglicht eine über 24 Stunden andauernde
Schmerzlinderung bei einmal täglicher Gabe. Dabei
sorgt die OROS®-Technologie für eine kontrollierte,
kontinuierliche und lang anhaltende Freisetzung
des Wirkstoffs. Der so erreichte gleichmäßige Plas-
-0,80
-1,03
-1,49
-1,5
-0,38
-0,77
-1,0
Vorteil für OROS®Hydromorphon
Primärer Wirksamkeitsendpunkt
Sekundärer Wirksamkeitsendpunkt
-0,01
0,27
-0,05
-0,51
0,06
-0,49
0,15
-0,5
0
0,64
0,79
0,5
1,0
1,5
2,0
Vorteil für
Retard-Morphin
maspiegel (PTF-Wert bei 61±41%) (9) folgt dem
„the flatter the better“-Prinzip, das mit einer besseren Verträglichkeit assoziiert ist. Mit einer Halbwertsdauer (Plasmakonzentration ≥50% von Cmax)
von deutlich über 30 Stunden können End-of-DoseSchmerzen so gut wie vermieden (10, 11) und die
Anzahl der Durchbruchschmerzepisoden pro Tag
minimiert werden (12, 13). Eine Head-to-Head-Studie zeigt, dass OROS®-Hydromorphon der Referenzsubstanz Morphin beim „Stärksten Schmerz“
und beim „Schmerz am Abend“ überlegen ist (14).
Dr. Brigitte Muskalla, Eltville
Literatur
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2. Portenoy RK et al. Pain 1990; 41: 273–228.
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10. Sathyan G et al. BMC Clin Pharmacol 2007; 7: 2.
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12. Stepanovic A et al. 1st Congress for Pain Therapy of
the Slovensko Zdruzenje Za Zdravljenje Bolecin.
09.-10.10.2009, Blend, Slovenien. Poster.
13. Güttler K. et al. Dt. Schmerzkongress 2010. P13.8.
14. Hanna M. et al. BMC Palliative Care. 2008; 7: 17.
Hinweis: „Mit freundl. Unterstützung der JanssenCilag GmbH, Neuss“.
Schmerzlinderung „Rund-um-die-Uhr“
?
Was zeichnet eine moderne Tumorschmerztherapie aus?
Dr. Zimmermann: Ziel einer suffizienten
Schmerzmedikation ist eine konstante
Schmerzkontrolle, die dem Betroffenen eine
größtmögliche Erleichterung verschafft. Die
Analgesie sollte so gewählt sein, dass der Patient wach und mobil entsprechend seiner
Möglichkeiten an sozialen Aktivitäten teilnehmen kann.
?
Welches Wirkzeitfenster empfehlen Sie?
Dr. Zimmermann: Eine lange, verlässliche
Wirkung über 24 Stunden hat sich bewährt:
So kann zum Beispiel mit OROS®-Hydromorphon eine konstante Schmerzarmut
bzw. Schmerzfreiheit über diesen Zeitraum
erreicht werden. Auch Phänomene, wie
spontan auftretende Durchbruch- oder
End-of-Dose-Schmerzen können damit minimiert, wenn nicht gar vermieden werden.
?
Wie bewerten Sie diese Therapieoption?
Dr. Zimmermann: Unter den oralen Opioiden
ist es das Präparat, das mit einer Einmalgabe eine Schmerzlinderung „Rund-um-die-Uhr“ ermöglicht. Zudem eröffnet das breite Dosierungsspektrum und die fehlende Höchstdosisbeschränkung die Möglichkeit, bereits initial
mit 4 mg zu titrieren, die Wirkstärken frei zu
kombinieren sowie die Dosis über die 64 mg
hinaus zu adaptieren. So kann ein Substanz-
Dr. Michael Zimmermann, Frankfurt/Main
wechsel umgangen werden – ein Aspekt, der
Auswirkungen auf die Compliance hat. Denn
letztlich entscheidet die Therapiezufriedenheit
über den Erfolg einer Therapie.
Interview: Dr. Brigitte Muskalla, Eltville
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Supportivtherapie
42
Chemotherapie-assoziierte Anämie
Eisenmangel bleibt oft unentdeckt
Bei Chemotherapie-Patienten sind ein Eisenmangel oder eine manifeste Anämie ein
häufiges Phänomen. Sie haben nur selten therapeutische Konsequenzen, obwohl die
direkte Beziehung zwischen dem Hb-Wert und der Lebensqualität bekannt sind. Auf
dem ESMO-Kongress 2010 wurden Diagnose- und Therapiemöglichkeiten diskutiert.
Bei Tumorerkrankungen gehören Eisenmangel
und/oder Anämien zu häufigeren Komplikationen. Verlaufsstudien fanden bei Erstvorstellung in
ca. 40% der Fälle eine Anämie (Hb<12g/dl). Das
Anämierisiko wird unter Chemotherapie auf 75%
fast verdoppelt. Die Chemotherapie-assoziierte
Anämie entwickelt sich meist durch eine Myelosuppression. Bei Cisplatin-ähnlichen Substanzen
kommt es zu einer direkten Hämolyse oder einer
Nierenschädigung mit Verringerung der Erythropoetinsynthese und -überlebensdauer (10).
Cave funktioneller Eisenmangel
Eine der Hauptursachen der tumorbedingten
Anämie ist der funktionelle Eisenmangel (FEM)
infolge einer Eisenverwertungsstörung: Die
Häufigkeit eines FEM bei Patienten mit tumorbedingter Anämie liegt bei 10–40%. Die Gabe von
Erythropoetin (EPO) kann den FEM verstärken,
weil der Eisenbedarf erhöht wird, obwohl die Eisenfreisetzung blockiert ist (6). Ein Eisenmangel
verschlechtert bereits ohne manifeste Anämie
die Leistungsfähigkeit und Lebensqualität er-
heblich. Hb-Wert und Lebensqualität sind miteinander assoziiert (8). Der FEM bleibt oft unentdeckt, denn das oft gemessene Serumferritin
zeigt nur die Höhe des gespeicherten Eisens.
Wichtig sind die Transferrinsättigung (TSAT), der
Anteil hypochromer Erythrozyten und der Hämoglobingehalt der Retikulozyten. Das National
Comprehensive Cancer Network (NCCN) hat für
Tumorpatienten einen Serumferritin-Grenzwert
von >30 ng/ml für einen funktionellen Eisenmangel festgelegt (씰Abb. 1) (5, 9).
Nach Leitlinien (ASH/ASCO, EORTC, ESA,
NCCN) ist bei einem FEM eine Therapie der Anämie mit EPO zusammen mit einer – vorzugweisen intravenösen – Eisengabe zu erwägen (1, 4,
9). Orales Eisen kann den Bedarf nicht schnell
und ausreichend decken, da es kaum resorbiert
wird und oft gastrointestinale Nebenwirkungen
verursacht. Der Nutzen von EPO mit/ohne Bluttransfusion als Prophylaxe oder Therapie einer
Anämie während einer Tumortherapie wurde
2009 durch eine Cochrane-Analyse in Frage gestellt. Die Metaanalyse zeigte eine leichte Verschlechterung des Gesamtüberlebens (cHR
1,06) (3, 4). In prospektiven Studien wurde durch
eine parenterale Eisensubstitution die Ansprech-
Eisenmangel
Funktioneller Eisenmangel
Serum Ferritin > 30 ng/ml (< 800 ng/ml)
TSAT < 20 %
CRP
Absoluter Eisenmangel
Serum Ferritin < 30 ng/ml
TSAT < 15%
CRP normal
Eisenmangelanämie
Hb < 11 g/dl
1Retikulozyten-Hämoglobin
2Hypochrome
Erythrozyten
Abb. 1 Diagnose des absoluten und funktionellen Eisenmangels
weitere Parameter zur
Abklärung des Eisenmangels
CHr1 < 29 pg
HYP2 > 10 %
rate von 40–75% auf 70–95% erhöht und die
Zeit bis zum Ansprechen auf EPO verkürzt. Die
zusätzliche intravenöse Eisensubstitution verringerte auch die benötigte EPO-Dosis. Teilweise
konnte auf EPO verzichtet werden (1–3, 6, 7, 11).
Reicht i.v. Eisen allein?
Dies hat die Frage aufgeworfen, ob die i.v. Eisentherapie den Hämoglobinspiegel verbessert und
den Bedarf an Bluttransfusionen, auch ohne EPO
senkt. Eine Zwischenauswertung einer nicht-interventionellen Beobachtungsstudie zur Wirksamkeit und Sicherheit von Eisencarboxymaltose (Ferinject®) bei anämischen Tumorpatienten
mit absolutem oder funktionalem Eisenmangel
legt die Anwendung von Eisencarboxymaltose
auch als Monotherapie nahe (12). Eisencarboxymaltose (50–1300 mg) wurde ohne Dosis- und
Häufigkeitsbeschränkungen verabreicht. 347
Patienten erhielten mindestens eine Dosis Eisencarboxymaltose, 216 Patienten wurden mindestens 8 Wochen behandelt oder die vorgesehenen 12 Wochen. Nur 33 Patienten benötigten zusätzlich Erythropoetin.
Die Ergebnisse zeigen eine Stabilisierung des
Hb-Werts von 11–12 g/dl nach 4 Wochen. Der
Therapie-Erfolg war unabhängig vom BaselineHb, der begleitenden Gabe von Erythropoetin
oder der Eisencarboxymaltose-Dosierung. 2,3%
der Patienten hatten vorwiegend milde, gastrointestinale unerwünschte Nebenwirkungen.
Dr. Alexander Kretzschmar, München
Literatur
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2.
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Kim YT et al. Gynecol Oncol 2007; 105: 199–204
Ludwig H et al. Eur J Cancer 2004; 40: 2293–2306
NCCN Practice Guidelines in Oncology – v.2.2010,
ANEM-5, 2009/2010
10. Nowrousian MR. Vortrag zum 15. Münchener
Fachpresse-Workshops „Supportivtherapie in der
Onkologie“, München, 8. Juli 2010
11. Pedrazzoli P et al. J Clin Oncol 2008; 26: 1619–1625
12. Steinmetz T et al. Haematologica 2010; 95: 712
(Abstract 1841)
Quelle: Satellitensymposium „The evolving role of I.V. iron
in cancer patients – expert recommendations and discussions“ im Rahmen des 35. Kongresses der European Society for Medical Oncology (ESMO) am 10. Oktober 2010, Mailand. Veranstalter: Vifor AG, Glattbrugg/Schweiz.
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Serie urologische
Onkologie
43
trolliert werden kann. Das biochemische Rezidiv ist durch einen PSA-Anstieg gekennzeichnet. In der Folge treten erste asymptomatische
klinische Metastasen auf, später auch symptomatische, oft ossäre Metastasen (씰Abb. 1).
Neue Optionen in der metastasierten Situation
Fortschritte in der Therapie
des Prostatakarzinoms
Beim Prostatakarzinom mehren sich nach Ansicht von Prof. Carsten Bokemeyer, Hamburg, die therapeutischen Optionen im fortgeschrittenen Stadium. Dies gilt auch für
Männer mit einem hormonrefraktärem Prostatakarzinom, die nach einer Therapie mit
Docetaxel eine Progression erleiden, machte er auf einer Fortbildungsveranstaltung
deutlich. Hier gab es bislang keine echten therapeutischen Optionen.
Der Nutzen und Stellenwert eines PSA-Screenings zur Senkung der Mortalität wird nach diskrepanten Ergebnissen neuerer europäischer
und amerikanischer Studien weiterhin kontrovers diskutiert (10). Insgesamt sieht man den
Nutzen dieser Maßnahme laut Bokemeyer heute aber etwas kritischer (2). Ein Minimalkonsensus besteht darin, dass das PSA-Screening
bei sorgfältig ausgewählten Patienten zu einer
Senkung der Mortalität beitragen kann. Diese
Population ist aber noch nicht genau definiert.
Präventive Strategien
In der placebokontrollierten REDUCE-Studie
wurde geprüft, ob der 5α-Reduktasehemmer
Dutasterid bei klinisch unauffälligen Männern
mit erhöhtem PSA-Wert das Krebsrisiko verringert (1). Es zeigte sich eine signifikante Verringerung des relativen Risikos um 23%
(p<0,0001). Der Anteil der Tumore mit ungünstigem Gleason-Score unterschied sich aber
nicht signifikant zwischen den Gruppen. Boke-
meyer zieht daraus den Schluss, dass eine präventive Therapie mit Dutasterid zwar eine Progressionsverzögerung erreicht, aber die Biologie der Tumorinduktion nicht geändert wird.
Lokales Prostatakarzinom
Eine frühe Statin-Therapie führt zu einem PSAAbfall. In einer aktuellen Studie (n = 189) führte das Statin nach einer kurativen Radiatio zu
einem verbesserten FFBF (Freedom of Biochemical Failure; p<0,001), FFADT (Freedom from
Salvage Androgen Deprivation Therapy;
p = 0,0011) und RFS (Relapse-Free Survival;
p<0,001) (7). In einer Regressionsanalyse war
der positive Effekt mit einem PSA vor der Therapie ≤8,4, Stadium <T2b und einem GleasonScore <7 assoziiert.
Der klinische Verlauf des metastasierten
Prostatakarzinoms ist meist mit einem Rezidiv
nach Lokaltherapie assoziiert. In der Regel erfolgt dann eine Hormontherapie, mit der die
Krankheitsprogression über 2-3 Jahre gut kon-
PSA Anstieg
HRPC
Rezidiv
nach Lokaltherapie
Klinische Metastasen
Hormontherapie
Biochemisch
Asymptomatisch
Symptomatisch
M0
M+
M+
24 + Monate
12–24 Monate
6–12 Monate
Abb. 1 Klinischer Verlauf des metastasierten Prostatakarzinoms
Tod
Metastasiertes Prostatakarzinom
Hormontherapie
Rund 85% der Tumore sind hormonsensibel.
Standard der medikamentösen Hormonablation sind laut Bokemeyer die LH-RH-Analoga, die
ebenso wirksam sind wie eine Orchiektomie.
Die Ansprechdauer einer Hormontherapie beträgt median 3-4 Jahre. Möglicherweise profitieren Subgruppen – minimale Metastasierung, junge Patienten – von einer maximalen
Androgenblockade.
Langzeitdaten des GnRH-Rezeptorblockers
Degarelix (Firmagon®) zeigen in der Extensionsstudie CS21A nach 840 Tagen eine gleichbleibend gute Wirksamkeit entsprechend derjenigen in der 12-monatigen Zulassungsstudie.
Aktuell wird Degarelix 3-Monatsdepot gegen
Goserelin untersucht (11).
Mit dem CYP17-Inibitor Abirateron und
dem Androgenrezeptor-Antagonisten MDV
3100 wurden 2010 zwei vielversprechende
Substanzen mit neuen Therapieprinzipien in
der Primärtherapie des hormonrefraktären
Prostatakarzinoms vorgestellt.
CYP17 spielt im Androgenstoffwechsel eine
wichtige Rolle. In einer Phase-I-Studie mit 33
Patienten, davon 19 mit Ketoconazol-Vortherapie betrug die mediane Zeit bis zur PSA-Progression 298 bzw. 230 Tage mit/ohne Ketoconazol-Vortherapie (12). Kleinere Phase-II-Studien bestätigen einen PSA-Abfall bei vielen Patienten mit Ketoconazol-Vortherapie und nach
Versagen einer Docetaxel-haltigen Chemotherapie (3). Eine Phase-III-Studie mit 1195 Patienten ergab für Abirateron/Prednison vs. Prednison eine Verlängerung des Gesamtüberlebens
von median 14,8 vs. 10,9 Monaten (p<0,0001),
der Zeit bis zur PSA-Progression (10,2 Monate
vs. 6,6 Monate; p<0,0001), dem radiologisch
progressionsfreien Überleben (5,6 vs. 3,6 Monate; p<0,0001) und der PSA-Ansprechrate
(29,1 vs. 5,5%) (4). Die Daten zeigen eine sehr
gute Verträglichkeit. Die Zulassung zur Zweitlinientherapie nach Docetaxel-Vortherapie ist
eingereicht.
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Serie urologische
Onkologie
Gesamtüberleben (% Patienten)
44
MP
CBZP
Medianes Gesamtüberleben (Monate) 12,7
15,1
100
0,72
Hazard ratio
80
< 0,0001
P-Wert
28 % Risikoreduktion für Tod
60
zensiert
MP = Mitoxantron/Prednison
CBZP = Cabazitaxel
40
20
Kombinierter medianer
Follow-Up 13,7 Monate
0
0
6
12
18
Zeit (Monate)
24
30
Abb. 2 Gesamtüberleben in der TROPIC-Studie
MDV 3100 blockiert die Translokation des
Androgenrezeptors in den Zellkern. In einer
Phase I/II-Studie bestätigte sich, dass beim kastrationsresistenten Prostatakarzinom weiterhin eine Abhängigkeit von der Signalübertragung über Androgenrezeptoren besteht (13).
Bei 140 Patienten nach Versagen einer Hormon- oder Chemotherapie wurde in 66% ein
PSA-Abfall >50% erreicht, die Knochenmetastasen bildeten sich bei 56% zurück. Die Zeit bis
zur Progression betrug median 47 Wochen.
Wichtigste Nebenwirkung war eine dosisabhängige reversible Fatigue (Grad 3/4: 11%).
Ein neuer immuntherapeutischer Ansatz mit
Sipuleucel-T war in einer Phase-III-Studie beim
hormonrefraktären Prostatakarzinom effektiv
(8). Es ist aber unklar, so Bokemeyer, ob sie einer Chemotherapie mit Docetaxel (Taxotere®)
überlegen oder mit dieser kombinierbar ist. Der
Preis soll etwa 90 000 US-Dollar/Jahr betragen.
solon über je 10 Zyklen (5). Im Cabazitaxel-Arm
sank das mediane Sterberisiko um 28%, das
mediane Gesamtüberleben stieg auf 15,1 Monate vs. 12,7 (씰Abb. 2). Das mediane progressionsfreie Überleben stieg von 1,4 (Mitoxantron) auf 2,8 Monate (Cabazitaxel).
Die häufigsten Nebenwirkungen Grad 3/4
waren unter Cabazitaxel vs. Mitoxantron Neutropenien (81,7 vs. 58%) und Durchfall (6 vs.
<1%). Die Drop-Out-Rate betrug 18,3% (Cabazitaxel-Arm) vs. 8,4% (Mitoxantron-Arm).
In den USA ist Cabazitaxel bereits zugelassen. In Deutschland ist die Substanz über ein
Compassionate Use-Programm zugänglich.
Als negativ werden die Ergebnisse der
CALGB 90401-Studie eingestuft (9). Die Hinzugabe von Bevacizumab zu Docetaxel/Prednison führte zu höheren Ansprechraten und einem längeren progressionsfreien Überleben
(9,9 vs. 7,5 Monate; p<0,0001). Wegen der hohen Toxizität wurde aber kein Überlebensvorteil erreicht. Die therapieassoziierte Mortalität
war im Bevacizumab-Arm signifikant höher
(4,4 vs. 1,1%; p = 0,0014).
Chemotherapie
Ossäre Metastasierung
Mit Cabazitaxel hat eine neue chemotherapeutische Substanz ihre Effektivität in der Zweitlinientherapie beim Docetaxel-vorbehandelten
hormonrefraktären Prostatakarzinom gezeigt.
In der Phase-III-Zulassungsstudie TROPIC erhielten 755 Männer mit Progress nach Docetaxel-Therapie entweder Cabazitaxel 25 mg/m2
an Tag 1 alle 3 Wochen plus Prednison/Prednisolon oder Mitoxantron plus Prednison/Predni-
Der monoklonale Antikörper Denusomab
(Prolia®) ist bereits zur Therapie des Knochendichteverlusts durch eine hormonablative Therapie bei Männern mit Prostatakarzinom und erhöhtem Frakturrisiko zugelassen. Neben seiner
Wirksamkeit im frühen Stadium zeigte sich Denusomab auch in einer Phase-III-Studie bei 1901
Patienten mit fortgeschrittenem Prostatakarzinom im Vergleich zu Zoledronat als signifikant
Immuntherapie
überlegen beim Auftritt eines ersten skelettalen
Ereignisses (SRE) (p = 0,008) (6). Die mediane
Dauer bis zum ersten SRE war unter Denusomab
20,7 Monate vs. 17,1 Monate unter Zoledronat
(HR 0,82). Die Inzidenz von Kieferosteonekrosen
war weitgehend vergleichbar (Denusomab:
2,3%; Zoledronat: 1,3%).
Dr. Alexander Kretzschmar, München
Literatur
1. Andriole et al. Effect of Dutasteride in the Risk of
Prostate Cancer. N Engl J Med 2010; 362:
1192−1202.
2. Bokemeyer C Tumore des Urogenitaltraktes. Vortrag auf dem 6. Onkologie-Update-Seminar vom
28.-29. Januar 2011, Berlin.
3. Danila DC et al. Phase II multicenter study of abiraterone acetate plus prednisone therapy in patients
with docetaxel-treated castration-resistant prostate
cancer. J Clin Oncol 2010; 28: 1496−1501.
4. De Bono JS et al. Abiraterone acetate plus low dose
prednisone improves overall survival in patients
with metastatic castration-resistant prostate cancer
who have progressed after docetaxel-based chemotherapy: Results of COU-AA-301, a randomized
double-blind placebo-controlled phase III study.
Ann Oncol 2010; 21: Abstract LBA 5.
5. De Bono JS et al. Prednisone plus cabazitaxel or mitoxantrone for metastatic castration-resistant prostate cancer progressing after docetaxel treatment: a
randomized open-label trial. Lancet 2010; 376:
1147−1154.
6. Fizazi K et al. A randomized phase III trial of denusomab versus zoledronic acid in patients with bone
metastases from castration-resistant prostate cancer. J Clin Oncol 2010; 28: 18s; Abstract LBA4507.
7. Gutt R et al. Statin use and risk of prostate cancer recurrence in men tretated with radiation therapiy. J
Clin Oncol 2010; 28: 2653−2659.
8. Kantoff et al. Sipuleucel-T immunotherapy for castration-resistant prostate cancer. N Engl J Med
2010; 363: 411−422.
9. Kelly WK et al. A randomized, double-blind, placebo-controlled phase III trial comparing docetaxel,
prednisone and placebo with docetaxel, prednisone
and bevacizumab in men with metastatic castration-resistant prostate cancer(mCRPC): Survival results of CALGB 90401 J Clin Oncol 2010; 28: 18s;
Abstract LBA4511.
10. Loeb S et al. What is the true number needed to
screen and treat to save a life with prostate-specific
antigen testing? J Clin Oncol. 2011; 29(4): 464−467.
11. Plekhanov A et al. Switching from leuprolide to degarelix vs continuous degarelix treatment – effects
on longterm PSA control, draft abstract: 4. NEEMTagung der European Urologic Association, 10–11.
September 2010
12. Ryan CL et al. Phase I clinical trial of the CYP17 inhibitor abiraterone acetate demonstrating clinical
activity in patients with castration-resistant prostate cancer who received prior ketokonazol therapy. J
Clin Oncol 2010; 28: 1481−1488.
13. Scher I et al. Antitumor activity of mdv 3100 in castration-resistant prostate: A phase 1–2 study. Lancet
2010; 375: 1437−1446.
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UroOnkologie
45
Multilokuläre Skelettmetastasierung
Zusammenfassung
Palliative Schmerztherapie
mit offenen Radionukliden
Die nuklearmedizinische palliative Schmerztherapie stellt eine nebenwirkungsarme, ergänzende Behandlungsoption im Gesamtspektrum der Schmerztherapie bei Patienten mit einer multilokulär osteoblastischen Metastasierung vieler Primärtumoren dar. Sie zeichnet
sich durch einen raschen Einsatz der Schmerzlinderung und durch lang anhaltende Wirkung
aus. Vorläufige Berechnungen weisen auf eine
günstige Kosten/Nutzen-Relation hin. Durch
die nuklearmedizinische palliative Schmerztherapie bessert sich bei Patienten mit metastasiertem Mamma- oder Prostatakarzinom die
Schmerzsymptomatik in 70–80%, bei anderen
Primärtumoren weniger häufig (1, 3). Völlig
schmerzfrei werden nur wenige Patienten. Eine
medikamentöse Basistherapie ist bei den meisten Tumorpatienten weiterhin erforderlich. Insgesamt zeichnet sich die Therapie durch eine
hohe Akzeptanz bei den Patienten aus, da es
sich um eine einmalige Injektion handelt.
In Deutschland werden pro Jahr Patienten mit etwa 50 neuen Prostatakarzinomen sowie etwa 85 neuen Mammakarzinomen auf 100 000 Einwohner diagnostiziert. Tumorbedingte Schmerzen und die Entwicklung von Knochenmetastasen sind häufig auftretende Begleiterscheinungen. 40–50% der tumorbedingten Schmerzen werden durch
Knochenmetastasen hervorgerufen (6). Ziel der Behandlung muss es sein, die Lebensqualität zu verbessern, das heißt „to add life to the years, not years to the life“.
Die suffiziente Behandlung Knochenmetastasen bedingter Schmerzen ist eine oft schwierige Aufgabe, die ein interdisziplinäres Vorgehen
aller beteiligten Ärzte erfordert. Die Radionuklidtherapie ergänzt als effektive systemische Therapie neben der medikamentösen Therapie nach dem WHO-Stufenschema, der perkutanen Strahlentherapie sowie der chirurgischen Tumortherapie die systemische palliative
Behandlung.
Voraussetzung und
Durchführung
Für die nuklearmedizinische palliative
Schmerztherapie sind in Europa mit Strontium[89Sr]chlorid und Samarium[153Sm] EDTMP
zwei Radionuklide zugelassen. Am Beispiel von
Quadramet® (Samarium[153Sm] EDTMP) wird
hier nachfolgend die Radionuklidtherapie vorgestellt. Es ist zur Behandlung schmerzhafter
osteoblastischer Knochenmetastasen, unabhängig vom Primärtumor, zugelassen.
Voraussetzungen für die Therapie sind eine
hohe osteoblastische Aktivität der Metastasen.
Diese wird vorab in einem Knochenszintigramm mit radioaktiv markierten Bisphosphonaten nachgewiesen. Die hohe Affinität zum
Knochengewebe bedingt eine hohe Herddosis
in den Metastasen. Die Dosis wird individuell
für jeden Patienten ermittelt. Die Behandlung
erfolgt ambulant. Im Anschluss kann der Patient in sein häusliches Umfeld zurückkehren.
Mit einem Wirkungseintritt kann nach etwa
einer Woche gerechnet werden. Die Schmerzlinderung hält häufig für etwa 8 bis 12 Wochen an,
im Einzelfall auch bis zu 12 Monaten (5). Diese
Therapie ersetzt nicht die Schmerzmedikation, jedoch kann diese nach Beurteilung durch den behandelnden Arzt entsprechend reduziert werden.
Ebenso ist vom behandelnden Arzt das Blutbild in
kurzen Abständen (1–2 Wochen) über einen Zeitraum von etwa 8 Wochen zu kontrollieren, um eine sich entwickelnde vorübergehende Myelosuppression zu kontrollieren. Nach dieser Zeit hat
sich das Knochenmark in der Regel erholt.
Entgegen ursprünglicher Bedenken wirkt sich
eine Behandlung mit modernen BisphosphonatPräparaten nicht negativ auf den Knochen-Uptake osteotroper Radiopharmaka aus (4). Ein möglicher kurativer Ansatz ist die Kombination der
Radionuklidtherapie mit einer Chemotherapie.
Kontraindikationen
Als wichtigste Kontraindikation ist neben
Schwangerschaft und Stillzeit eine ausgeprägte Knochenmarksdepression mit einer Thrombocytopenie <60 000/μl oder Leukopenie
<2400/μl (2) und eine eingeschränkte Nierenfunktion (Harnstoff >12mmol/l; Kreatinin
>150mmol/l) anzusehen.
Prof. Dr. med. Manfred Fischer, Kassel
Literatur
1. Elgazzar AH, Maxon HR. Radioisotope therapy of
cancer related bone pain. In: Limouris GS, Shukla
SK (eds.) Radionuclides for therapy. Mediterra Publishers, Athen 1993; 111–116.
2. Fischer M. Leitlinie für die Radionuklidtherapie bei
schmerzhaften Knochenmetastasen. Nuklearmedizin 1999; 38: 270–272.
3. Fuster D et al. Usefulness of strontium-89 for bone
pain palliation in metastatic breast cancer patients.
Nucl Med Commun 2000; 21: 623–626.
4. Marcus CS et al. Lack of effect of a bisphosphonate
(pamidronate disodium) infusion on subsequent
skeletal uptake of Sm-153-EDTMP. Clin Nucl Med
2002; 27: 427–430.
5. McEwan AJB. Palliation of bone pain. In: Murray
IPC, Ell PJ (Hrsg) Nuclear medicine in Clinical Diagnosis and Treatment. Churchill Livingston, Edinburgh, 1994; 877–892.
6. World Health Organisation. Cancer pain relief and
palliative care. WHO Technical Report Series. 1990;
804: 7–73.
Hinweis: Mit freundl. Unterstützung der CIS bio
GmbH, Berlin.
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Spektrum
Onkologie
46
Immunthrombozytopenie (ITP)
Romiplostim effektiver als bisherige
Standardtherapien
Die Immunthrombozytopenie (ITP) ist wieder in den Fokus des Interesses gerückt. Dies
hängt damit zusammen, dass mit den TPO-Rezeptoragonisten wie Romiplostim (N-Plate®)
Medikamente verfügbar sind, die Thrombozytenanzahl steigern können. Dies ist wichtig, da
es bei der ITP durch die Zerstörung oder unzureichende Bildung von Thrombozyten zu einer
erhöhten Blutungsneigung kommt, die sich in spontanen Blutergüssen, Schleimhautblutungen und in schweren Fällen in Magen-Darm- oder Gehirnblutungen äußert.
Der Mangel an Thrombozyten resultiert, wie Priv.Doz.Aristoteles Giagounidis, Duisburg darstellte, aus einem durch Auto-Antikörper verursachten
Abbau in Milz und Knochenmark. Bisherige Therapieoptionen wie Kortikoide, Antisuppressiva wie
Azathioprin oder auch Rituximab beschränkten
sich vorrangig auf eine Hemmung des Thrombozytenabbaus, waren mit erheblichen Nebenwirkungen behaftet und zudem ließ sich das Ansprechen auf sie nur schwer vorhersagen. „Zudem
wurde keine dieser Substanzen speziell bei der ITP
in kontrollierten, randomisierten Studien überprüft“, ergänzte der Hämatologe.
Eine multizentrische, randomisierte Phase-IIIStudie belegt, dass Romiplostim der Standardbehandlung überlegen ist (1). Im Verhältnis 2:1
wurden 234 nicht-splenektomierte Patienten entweder in den Romiplostim-Arm oder zu einer der
Standardtherapien einschließlich Steroide,
Azathioprin, Immunglobulin oder Rituximab randomisiert. Nach 52 Behandlungswochen zeigten
sich signifikante Vorteile für Romiplostim. Dies betraf sowohl den primären Endpunkt Behandlungsfehler, definiert als Thrombozytenzahlen
<20 000/mL (11% vs. 30%; p = 0,001) als auch
die Rate an notwendigen Splenektomien. „Nur
Therapie HER2-überexprimierender Mammakarzinome
Von der Innovation zum
therapeutischen Standard
Was heute in der Onkologie eine Selbstverständlichkeit ist – Antikörper wirken gegen
Krebs – galt noch vor rund 10 Jahren als eine ausgesprochene Innovation. Insofern
wurde die Einführung von Trastuzumab (Herceptin®) mit großer Spannung verfolgt.
Mit dem Erfolg dieses Therapieansatzes fühlte man sich an das „Magic Bullet“-Konzept von Paul Ehrlich erinnert, meinte Prof. Axel Ulrich vom Max-Planck-Institut für
Biochemie in Martinsried auf einer Pressekonferenz.
Für Ulrich ist „Trastuzumab das erste Beispiel einer
individualisierten Anti-Krebssubstanz, die in ihrer
Wirksamkeit speziell auf eine Patientengruppe zugeschnitten ist“. Er wünscht sich für die Zukunft
die feste Implementierung prädiktiver Marker wie
der Defizienz des Tumorsuppressor-Gens pTen
oder von c-Myc in die klinische Routine.
Prof. Wolfgang Eiermann, München, wies
darauf hin, dass eine HER2-Bestimmung auch
bei kleinen Tumoren <1 cm mit vermeintlich
guter Prognose durchgeführt werden sollte.
Der Onkologe bemängelte in diesem Zusammenhang, dass noch immer 20–30% der
HER2-Bestimmungen fehlerhaft sind, vor allem
bei dezentraler Testung.
Inzwischen laufen zur weiteren Optimierung
dieses Therapiekonzepts einige neue Studien. Ein
Schwerpunkt liegt dabei auf der Vermeidung und
9% der Patienten unter Romiplostim benötigen
eine Milzentfernung, während 36% der Patienten
im Standardarm eine solche Behandlung brauchten”, so Giagounidis. Der Zeitraum bis zu dieser
Operation konnte deutlich verlängert werden.
„Normalerweise sind wir froh, wenn wir die
Patienten mit den Standardmethoden überhaupt
aus dem Blutungsbereich bekommen. Unter
Romiplostim befinden sich dagegen die Mehrzahl
der behandelten Patienten im Normbereich und
bleiben bei Therapie auch dort“, betonte der ITPSpezialist. Die hohe Rate an Thrombozyten-Ansprechen wurde nicht mit zusätzlichen Nebenwirkungen erkauft. Die unerwünschten Wirkungen
unter Romiplostim blieben mild bis moderat und
bestanden hauptsächlich in Kopfschmerzen und
Fatigue. Diese gute Effektivität und Verträglichkeit
setzte sich auch in einer gesteigerten Lebensqualität der Patienten um.
Birgit Reich, Hamburg
Literatur
1. Kuter DJ et al. Romiplostim or standard of care in
patients with immune thrombocytopenia. N Engl J
Med 2010; 363: 1889–1899.
Quelle: Fachpresse-Workshop am 25. November 2010
in München: Veranstalter: ASORS/pomme-med.
Überwindung eines Nichtansprechens bzw. von
Resistenzen gegen Trastuzumab. Ein Weg könnte
die Kombination mehrerer Antikörper sein, beispielsweise Trastuzumab und den neuen Antikörper Pertuzumab, um dadurch einen Synergieeffekt zu erzielen. Denn die verschiedenen Signalwege, die Krebszellen zur Vermehrung anregen,
scheinen miteinander zu kommunizieren.
Die AGO-Leitlinie empfiehlt die Kombination Trastuzumab/Lapatinib, wenn die Einzelsubstanzen nicht adäquat wirken. Erfolgversprechend ist auch T-DM1, die Kombination aus
Trastuzumab (T) plus Chemotherapie (DM1).
Dr. Alexander Kretzschmar, München
Quelle: Pressekonferenz: „10 Jahre Herceptin® –
HER2-positiver Rezeptorstatus als signifikanter Überlebensvorteil“ am 27. September 2010, Frankfurt/
Main. Veranstalter: Roche Pharma AG, GrenzachWyhlen
Onkologische Welt 1/2011
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Spektrum
Onkologie
47
Generationswechsel bei der
CML-Therapie
Im Dezember stand Tasigna® kurz vor der europaweiten Zulassung zur Erstlinientherapie der Chronisch Myeloischen Leukämie (CML). Mit Nilotinib steht neu diagnostizierten Philadelphia-Chromosom-positiven CML-Patienten in der chronischen Phase ab sofort eine noch wirksamere und gut verträgliche Therapie zur Verfügung.
Mit Nilotinib (2 x 300 mg/Tag) erleiden weniger
Patienten eine Progression und es treten weniger
CML-bedingte Todesfälle auf als unter Glivec®
(Imatinib). Das tiefere und schnellere molekulare
Nilotinib-Ansprechen gilt als prädiktiver Parameter für ein längeres progressionsfreies Überleben.
Basis für die Zulassung ‚first line’ bilden die
Daten der ENESTnd-Studie in 217 Studienzentren
mit 846 Patienten. In der ENESTnd-Studie hat sich
eine Erstlinientherapie mit Nilotinib gegenüber
dem bisherigen Standard Imatinib in klinisch relevanten Parametern als wirksamer erwiesen:
● Doppelt so viele Patienten erreichten unter
Nilotinib (2 x 300 mg täglich) im Vergleich zu
Imatinib (1 x 400 mg täglich) ein gutes mole-
●
kulares Ansprechen (MMR), den primären
Studienendpunkt (44% vs. 22%, p<0,0001).
Zudem waren nach 18-Monaten unter Nilotinib 2 Patienten (0,7%) progredient, unter
Imatinib 12 Patienten (4,2%, p = 0,006).
Prof. Andreas Hochhaus, Jena, bescheinigt Nilotinib eine gute Verträglichkeit. Unter Nilotinib traten nach 18 Monaten weniger Ödeme und gastrointestinale Nebenwirkungen auf als unter Imatinib. Hämatotoxizitäten waren in beiden Studienarmen selten. Eine Kreuzintoleranz für Hämatotoxizität ist möglich: Tritt sie unter Imatinib auf, ist
sie auch für Nilotinib denkbar, sagt Priv.-Doz.
Philipp Le Coutre, Berlin.
Als Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen und
Übelkeit erwähnenswert, waren aber nicht so häufig wie unter Imatinib. Es gab keine Pankreatitiden.
Man konnte unter Nilotinib Hyperbilirubinämien
der gutartigen Form sehen, einen Anstieg der Blutzuckerwerte und der Lipase-Werte. Eine bestehende antidiabetische Therapie sollte man anpassen.
Innerhalb der Studien sah man kein diabetisches
Koma unter Nilotinib. Man beobachtete keine höhergradigen Herz-Rhythmus-Störungen (torsade
de pointes, QT-Verlängerungen).
„Wichtig sind stabile Wirkspiegel von Nilotinib und der Patient sollte nüchtern sein, bevor
die Kapseln eingenommen werden“, rät Le
Coutre. So sollte die erste Einnahme von Nilotinib 2 x 150 mg 1 Stunde vor dem Mittagessen,
z. B. um 11 Uhr, erfolgen und die zweite Einnahme von Nilotinib 2 x 150 mg vor dem Schlafengehen, z. B. um 23 Uhr.
Dr. med. Nana Mosler, Leipzig
Quelle: Novartis Oncology Launch-Pressekonferenz
„Novartis – von der Tradition zur Innovation: Zulassung von Tasigna® zur Erstlinientherapie der CML“ am
1. Dezember 2010 in Frankfurt/Main.
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Spektrum
Onkologie
48
In die Therapie des malignen Melanoms kommt Bewegung
Licht am Ende des Tunnels
Seit dem 1. Juli 2008 bezahlen die gesetzlichen Krankenkassen im Rahmen eines auf
fünf Jahre befristeten Pilotprojekts ein Hautkrebs-Screening alle zwei Jahre bei zertifizierten Hausärzten und Dermatologen. Patienten sind oft überrascht, wenn sie sich für
diese Untersuchung komplett entkleiden müssen. Aber nur so ergibt eine ScreeningUntersuchung Sinn, wie Prof. Ralf Gutzmer, Hannover, auf einem Presseworkshop betonte. Denn 80% aller Melanome entwickeln sich auf Hautpartien, die von Kleidung
bedeckt sind.
Die erste Frage an den Patienten, die den Arzt
auf die Spur eines malignen Melanoms führt,
ist, ob sich an dem braunen Fleck etwas verändert hat. Auf Malignität weisen Asymmetrie, inhomogene Pigmentierung, unscharfe Begrenzung, Erhabenheit sowie Ulzeration oder entzündliche Veränderungen hin. Auch der geschulte klinische Blick ist jedoch nicht immer in
der Lage, einen bösartigen Hauttumor klar zu
erkennen. Die Auflichtmikroskopie hilft, einen
klinischen Verdacht zu verstärken oder zu entkräften. Für die definitive Klärung eines verdächtigen Befunds muss die Veränderung komplett exzidiert werden. Bestätigt sich die Malignität, sollte eine Biopsie des Wächterlymphknotens erfolgen, wenn die Tumordicke 1 mm
überschreitet.
Da das maligne Melanom frühzeitig metastasiert, ist bei Risikopatienten – dicker Tumor,
positiver Wächterlymphknoten – eine adjuvante Therapie indiziert. Allerdings gibt es keine
vernünftige Studie, die einen Vorteil für eine
Chemotherapie gezeigt hat. Dies liegt an der
Tumorbiologie, wie Gutzmer erläuterte. Die Tumoren streuen zwar frühzeitig, die Tochterzellen entwickeln aber nicht sofort eine hohe mitotische Aktivität, die Voraussetzung für den Effekt von Chemotherapeutika ist. Zugelassen ist
bisher einzig und allein eine unspezifische Aktivierung der Immunantwort durch Interferon-alpha, für die ein Vorteil hinsichtlich Gesamtüberleben gezeigt wurde.
Erst im metastasierten Stadium kommen
systemische Chemo- oder Chemo-Immuntherapien zum Einsatz. Hier gibt es keinen Standard, sondern es handelt sich immer um individuelle Therapieentscheidungen. Für kein Regime konnte im metastasierten Stadium eine
Überlebensverlängerung gezeigt werden.
Neue Immuntherapeutika
in der Pipeline
In Entwicklung befinden sich derzeit aber spezifische immuntherapeutische Ansätze. Forschungen haben ergeben, dass Tumoren, die auf intermittierend licht-exponierter Haut wachsen, verstärkt BRAF-Mutationen aufweisen, und Tumoren, die auf chronisch lichtexponierter Haut
wachsen, CKIT-Mutationen. BRAF und CKIT-Blocker werden derzeit klinisch untersucht.
Für die Zulassung in den USA bereits eingereicht ist der CTLA-4-Inhibitor (zytotoxisches
T-Lymphozyten-assoziiertes Antigen 4) Ipilimumab (씰Kasten „Ipilimumab verlängert Gesamtüberleben“). CTLA-4 ist ein Molekül auf
den T-Zellen, das eine entscheidende Rolle bei
der Regulierung der natürlichen Immunantwort spielt. Durch die Suppression von CTLA-4
wird die Anzahl der T-Zellen erhöht und die Reaktion des Immunsystems somit bei der Bekämpfung von Krankheiten verstärkt.
Dr. Angelika Bischoff, Planegg
Ipilimumab verlängert
Gesamtüberleben
In einer randomisierten, doppelblinden Phase-III-Studie verlängerte Ipilimumab das mediane Gesamtüberleben von Patienten mit
vorbehandeltem metastasierendem Melanom signifikant. Dies galt für Patienten, die
Ipilimumab als Monotherapie (Hazard Ratio
0,66; p = 0,0026) oder in Kombination mit einem Vakzin (gp100-Peptid) (HR 0,68; p =
0,0004) erhalten hatten im Vergleich mit einer gp100 Monotherapie als Kontrolle.
44-46% der mit Ipilimumab behandelten Patienten waren nach einem Jahr noch am Leben, in der Kontrollgruppe waren es 25%.
Nach zwei Jahren waren 22-24% der mit Ipilimumab behandelten Patienten noch am Leben gegenüber 14% der Patienten in der
Kontrollgruppe.
Wie in anderen Studien mit Ipilimumab
standen die häufigsten Nebenwirkungen im
Zusammenhang mit der Aktivitätssteigerung
des Immunsystems und basierten auf dem
Wirkungsmechanismus. Diese immunbedingten Nebenwirkungen waren zuweilen
schwer, lebensbedrohend und betrafen am
häufigsten den Gastrointestinaltrakt, die
Haut, die Leber oder das endokrine System.
Eine Entscheidung über die Zulassung in den
USA wird für 2011 erwartet.
Dr. Alexander Kretzschmar, München
Literatur
1. Hodi FS et al. Improved survival with ipilimumab in patients with metastatic melanoma. N
Engl J Med 2010; 363(8): 711–723.
Quelle: Medienworkshop „Das Melanom – Herausforderungen und Chancen“ am 6. Dezember 2010,
München. Veranstalter: Bristol-Myers Squibb
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