E 45120 ISSN 1869-0874 Onkologische Welt 1/2011 ASH 2010 Therapieperspektiven für Lymphome und Leukämien SABCS 2010 Neoadjuvante Studien im Fokus Neuro-Onkologie Hirnmetastasen Maligne Gliome Supportivtherapie Lebensqualität, Thromboembolie, Schmerztherapie Uro-Onkologie www.schattauer.de www.onkologische-welt.de Onkologische Welt 2011; 2: 1–48 Februar Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. vo Spa r d rdi er kta Tü t r? Therapiefortschritte beim Prostatakarzinom Zu diesem Heft © Schattauer 2011 Die Stunde der Analysten Positive oder negative Studienergebnisse interessieren längst nicht mehr nur die wissenschaftliche Gemeinde, sondern lassen auch die Börsenkurse von Unternehmen schwanken. Hier hat der SABCS 2010 einige unerwartete Überraschungen für die Analysten aus der Medizin und Betriebswirtschaft gebracht. Nicht nur beim Mammakarzinom hat nach meinem Eindruck der Anteil negativer Studien in letzter Zeit deutlich zugenommen. So muss beispielsweise der klinische Stellenwert der Bisphosphonate (siehe Seite 15) oder die mit vielen Hoffnungen und Vorschusslorbeeren bedachten PARPInhibitoren neu überdacht werden. Die Ursachen sind vielschichtig, und natürlich ist man nachher immer klüger. Post-hoc-Auswertungen „negativer“ Studien zeigen nicht selten, dass Subgruppen von Studienteilnehmern sehr wohl von der Therapie profitiert haben. Aber eben nur Subgruppen. Die Re-Analyse legt neben anderen Hypothesen auch den Verdacht nahe, dass das Studiendesign, das vor einigen Jahren entworfen wurde, inzwischen von der aktuellen Erkenntnislage überholt wurde. Das wäre angesichts des rasanten Wissenszuwachses keine Überraschung, würde sich aber als ernst zu nehmendes und potenziell kostspieliges Problem bei der Konzeption großer (Zulassungs)Studien erweisen. Und manchmal bewahrheitet sich auch die alte Erkenntnis, dass eine gute supportive Therapie die Erfolge herkömmlicher Chemotherapien, aber auch die der High-Tech-Medizin mit zielgerichteten Substanzen erst möglich machen. Aber im Grunde wissen wir noch viel zu wenig über die Tumorinduktion und -pathogenese. Wann und wie oft ist beispielsweise beim Mammakarzinom eine Re-Typisierung notwendig? Immerhin führt jede sechste Biopsie zu einer Änderung der Therapie. Diskonkordanzen sind beim tripelnegativen Mammakarzinom relativ selten (7%), bei nicht-tripel-negativen Tumoren mit 44% aber sehr häufig. Dabei besteht kein Einfluss der Zeit zwischen Primärtumor und Metastasen und dem Ausmaß der Diskonkordanz. In diesem Zusammenhang ist es 11 Jahre nach der Zulassung von Trastuzumab nicht hinnehmbar, dass etwa jede fünfte dezentral durchgeführte HER2-Typisierung falsch ist! Wir müssen wahrscheinlich kleinteiliger denken. Der Weg zu besseren Therapieergebnissen führt über eine bessere Definition von Subgruppen. Die Notwendigkeit, zu wissen, welcher Patient von welcher Therapie profitiert, gilt insbesondere für den Einsatz von Kombinationen mehrerer zielgerichteter Medikamenten. Nur bei einer ausreichenden Evidenz für eine positive Nutzen-Risiko-Relation für eine definierte Patientenpopulation werden die Kostenträger in Zukunft – zu Recht – bereit sein, die Aufwendungen für derartige, sehr teure Behandlungsregime zu bezahlen. Dr. Alexander Kretzschmar Dr. Alexander Kretzschmar, München Onkologische Welt 1/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 1 Inhalt Contents 2 Zu diesem Heft 1 A. Kretzschmar Die Stunde der Analysten Brennpunkt Gesundheitspolitik 3 AMNOG – steht ein Spardiktat vor der Tür? 5 Kongressnachlese: 52. Jahresversammlung der American Society of Hematology 10 Interview mit Prof. John Goldman, London: CML – Von Anfang an auf die beste Substanz setzen 13 Interview mit Prof. Clemens Wendtner, Köln CLL – Berechtigte Hoffnung auf weitere Fortschritte Hämatoonkologie Gynäkologische Onkologie 15 Kongressnachlese: 33. San Antonio Breast Cancer Symposium 2010 23 M. Nadji-Ohl Neuro-Onkologie Hirnmetastasen – veränderte Therapieeinstellung 27 F. Schmidt-Graf Therapie maligner Gliome – aktuelle Konzepte 31 Schädelbasis-Tumore – Wölfe im Schafspelz 34 J. Ernst; D. Richter; J. Dorst; R. Schmidt; E. Brähler Supportivtherapie Lebensqualität krebskranker Eltern mit minderjährigen Kindern – Problemaufriss 37 Internationale Literatur: Inzidentelle Thromboembolien bei Tumorpatienten – erhöhtes Risiko nach Start der Chemotherapie 39 Medikamentöse Schmerztherapie in der Supportivmedizin – die Versorgungssituation bessert sich, aber Nachholbedarf bleibt 43 Neue Optionen in der metastasierten Situation – Fortschritte in der Therapie des Prostatakarzinoms 46 Aus Forschung und Industrie Serie urologische Onkologie Spektrum Onkologie Titelbild Ferdinand Hodler (1853-1918): Kleider; ©visipics.com Onkologische Welt 1/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Brennpunkt Gesundheitspolitik 3 AMNOG – steht ein Spardiktat vor der Tür? Das Arzneimittelneuordnungsgesetz (AMNOG) hat auch in der Onkologie für Unruhe gesorgt – besonders wegen der Nutzenbelege für neue Präparate. Die Perspektiven, des aus Sicht mancher Onkologen zwar vom Ansatz her richtigen, von der Realisierung jedoch bedenklichen Gesetzes, betonen ein grundsätzliches Problem in der Onkologie: „Wie kann Versorgungsqualität wirklich nachhaltig verbessert und sichergestellt werden?“, fragte Dr. Johannes Bruns, Berlin, Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG), bei einem Treffen des „Gesprächskreis Versorgungsqualität in der Onkologie“ (1). Dieser Arbeitskreis mit Vertretern aus der Wissenschaft und verschiedenen Verbänden, wie AkdÄ, DKG, BNHO oder der Patientenselbsthilfe, stellte im Januar 2011 ein Strategiepapier vor, das Lösungsansätze für diese Frage vorlegt (2). Neben den Voraussetzungen für die Zulassung neuer Arzneimittel, die in Europa von der EMA festgelegt werden, beschäftigen die Gruppe Fragen, die bisher nicht zufriedenstellend beantwortet werden können: ● Welche Erkenntnisse zu Wirksamkeit, Sicherheit und Nutzen benötigen wir über die Zulassung von neuen Arzneimitteln hinaus? ● Welche Studien sollten hierzu nach der Zulassung nötig sein und wer finanziert sie? ● Welche Parameter sollten im Rahmen der Nutzenbewertung evaluiert werden? Nach intensiven Diskussionen hat der Gesprächskreis ein strategisches Konzept entwickelt, wie die Versorgungsforschung in Deutschland gestärkt werden kann, um damit eine qualitativ hochwertige, bedarfsorientierte Versorgung von Krebspatienten zu gewährleisten. Strategiepapier mahnt Handlungsbedarf an Die Expertengruppe fordert in ihrem Konzeptpapier (2), nach Darstellung der immer wieder kritisierten Probleme in der onkologischen Arzneimitteltherapie, dass zunächst alle Ergebnisse vorliegen müssen, die von Herstellern im Rahmen der Zulassung eines Arzneimittels gewonnen wurden. Neben der Registrierung aller klinischen Studien müssen die Ergebnisse in einer Datenbank öffentlich zugänglich sein. Auf der Grundlage dieser Daten sollte dann eine unabhängige Expertenkommission kurz nach der Zulassung prüfen, welche versor- gungsrelevanten Fragen noch durch Studien zu bearbeiten sind. Besonders gilt es, in unabhängigen Studien den Zusatznutzen für die Patienten im Vergleich zu den bisherigen Therapien unter Alltagsbedingungen zu bestimmen. Um klinisch relevante Erkenntnisse gewinnen zu können, sollten die Post-Zulassungsstudien möglichst alle Patienten mit den für die jeweilige Tumorerkrankung typischen Merkmalen einschließen und für die Patienten bedeutsame Endpunkte wie z. B. Überlebenszeit oder krankheitsbezogene Lebensqualität gewählt werden. Dies kann nur gelingen, wenn die regulatorischen (Verminderung des administrativen Aufwands) und finanziellen (zusätzliche Mittel von DFG bzw. BMBF, GKV und den Herstellern) Rahmenbedingungen verbessert werden. Bevor die versorgungsrelevanten Fragen geklärt sind, sollten die Arzneimittel nur von entsprechend qualifizierten Leistungserbringern im Rahmen von Post-Zulassungsstudien verordnet und von der GKV erstattet werden. Das Konzeptpapier kommt zu dem Schluss, „dass unabhängige klinische Studien nach der Zulassung zu noch offenen versorgungsrelevanten Fragestellungen unverzichtbare Voraussetzung für einen bedarfsorientierten Einsatz medikamentöser onkologischer Therapien sind.“ Von der gezielten Behandlung werden besonders Patienten mit Tumorerkrankungen profitieren. Das verbesserte Wissen über erwünschte und unerwünschte Wirkungen kann darüber hinaus einen wichtigen Beitrag zu einem effizienten Mitteleinsatz leisten, da die zum Teil sehr teuren Therapien nur bei denjenigen Patienten eingesetzt werden, die mit großer Wahrscheinlichkeit auch von ihnen profitieren. Es ist davon auszugehen, dass sich die initialen Mehrkosten der Post-Zulassungsstudien durch diese Rationalisierung der Tumortherapie zumindest teilweise aufheben.“ Leistungseinschränkungen auf der Grundlage von Kostenerwägungen erscheinen laut Expertenstatement hingegen wenig sinnvoll, solange keine einigermaßen verlässlichen Daten über Nutzen und Risiken der Behandlung vorliegen. Neue Perspektiven ergeben sich auch für die Kostenerstattung bei innovativen onkologischen Therapien, wenn man die Kostenübernahme durch die GKV an die Teilnahme an einer Post-Zulassungsstudie koppelt (coverage by evidence development), ggf. nach Preisverhandlungen mit den Arzneimittelherstellern. Die Onkologie könnte damit eine Vorreiterrolle für einen evidenzbasierten, auf den einzelnen Patienten abgestimmten Einsatz medizinischer Innovationen spielen, der nicht nur die Versorgungsqualität steigert, sondern auch einen effizienten Einsatz begrenzter Gesundheitsressourcen ermöglicht. Der Verteilungskampf ist voll entbrannt Auf der Pressekonferenz diskutierten einige Mitglieder des Gesprächsreises kontrovers, ob das besondere Hervorheben onkologischer Forderungen weniger dem Patienteninteresse folgt, sondern eher Ausdruck eines inhärenten Verteilungskampfs verschiedener Fachgruppen entspricht. Bereits jetzt käme es zu „heimlichen Rationierungen“, wie Bundesärztekammerpräsident Jörg-Dietrich Hoppe, Berlin, im vergangenen Jahr beklagte (3). Prof. Wolf-Dieter Ludwig, Berlin: „Der Verteilungskampf betrifft nicht nur die Onkologie, sondern auch viele andere Bereiche der Medizin und deren Flut „innovativer“ Medikamente. Ob ein neues, „innovatives“ Arzneimittel gleichbedeutend mit einen „therapeutischen Fortschritt“ ist, kann zum Zeitpunkt der Zulassung bei vielen der Wirkstoffe nicht beantwortet werden.“ Durch die gemachten Vorschläge sollen diese Fragen ja beantwortet werden. Den Autoren des Strategiepapiers geht es darum, für den Einsatz dieser Medikamente eine rationale Basis zu schaffen und klar zu sagen, wo ein Nutzen oder Zusatznutzen gegenüber der Standardtherapie ist. Ludwig: „Als Skeptiker auf diesem Gebiet muss ich feststellen: Bei 70% der 25 bis 35 pro Jahr neu zugelassenen Arzneimittel haben wir keinen wirklichen Fortschritt, also keinen Nutzen oder Zusatznutzen für die Patienten, wie viele Studien zeigen. Da wir auf die wesentlichen regulatorischen Abläufe bei © Schattauer 2011 Onkologische Welt 1/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Brennpunkt Gesundheitspolitik 4 der europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) keinen Einfluss haben, schlagen wir eben vor, uns auf den Zeitpunkt nach der Zulassung zu konzentrieren. Und mit verschiedenen Konzepten zu versuchen, die Erkenntnisse zu schaffen, um im Rahmen dieses Verteilungskampfes Arzneimittel gerechter einsetzen, Über-, Fehl-, oder Unter-Versorgung vermeiden und mittelfristig die vorhandenen Ressourcen optimal ausnutzen zu können. Ich bin fest davon überzeugt, dass mit dem Geld, das wir für Arzneimittel zur Verfügung haben, eine sehr gute Arzneimitteltherapie möglich ist. Wenn wir dies nicht schaffen, haben wir unsere Instrumente nicht richtig eingesetzt.“ Für Prof. Georg Marckmann, München, ist „das Wichtige, eine Verbindung zwischen den Verteilungsfragen und der Frage der Nutzenbewertung herzustellen. Bevor man vernünftig über Verteilung reden kann, muss zunächst sichergestellt sein, welchen Zusatznutzen neue Medikamente bringen.“ Über- oder Fehlversorgung abbauen Das hätte zwei Konsequenzen: Es können Überoder Fehlversorgung reduziert werden (Rationalisierung) – oberstes Gebot, um Ressourcen für bedürftige Patienten freizusetzen. Wenn dann verlässliche Nutzen-Bewertungen vorliegen, können laut Marckmann Grenzen gesetzt werden, beispielsweise Höchstbeträge oder Er- Das „verschwundene“ Gutachten: Sicherstellung einer effizienten Arzneimittelversorgung in der Onkologie Pikant ist es schon, dass das Fachgutachten „Sicherstellung einer effizienten Arzneimittelversorgung in der Onkologie“, das das Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) schon vor Jahren in Auftrag gegeben hatte, erst 2011 das Licht der Öffentlichkeit erblickte (http://bit.ly/gbUKIV). Besonders interessant ist vor allem das Timing: Fertig gestellt wurde das Gutachten von Prof. Gerd Glaeske, Bremen, und anderen hochkarätigen Experten schon im August 2010, die letzte AMNOG-Anhörung im Bundestag folgte im September 2010 und die Verabschiedung des Gesetzes dann im November des vergangenen Jahres. Offiziell wurde das Gutachten aber erst am 11. Januar 2011 vom BMG angenommen – womit die Chance, die Inhalte bei der AMNOG-Anhörung zu verwenden, längst vertan war. Trotzdem, so hofft Prof. Wolf-Dieter Ludwig, Berlin, könnte das Gutachten auch jetzt noch im Interesse einer rationalen und bezahlbaren Krebstherapie hilfreich sein. In dem Gutachten wird resümiert: „Der Indikationsbereich Onkologie ist für die pharmazeutische Industrie ein wichtiger Wachstumsmarkt und zeigt weltweit auffällig hohe Umsatzzuwächse. Wenn sich die Prognosen bestätigen, dass in den nächsten fünf bis sieben Jahren ca. 30 bis 50 neue onkologische Wirkstoffe bei gleichbleibend hohen Herstellerpreisen auf den Markt kommen, müssen für die Zukunft erhebliche Ausgabensteigerungen bei den Ausgaben der Krankenkassen erwartet werden. ... Diese steigenden Therapiekosten (Jahresbehandlungskosten von 30 000 bis 60 000 Euro und höher) stellen für die Krankenkassen eine finanzielle Herausforderung dar ...“. In dem Gutachten wird der „Lebenszyklus“ eines Krebsmedikaments von der Entwicklung, Zulassung bis hin zur Versorgung dargestellt und unter medizinischen, arzneimittelrechtlichen, sozialrechtlichen und ökonomischen Aspekten beleuchtet. Auf dieser Grundlage werden Maßnahmen zur Sicherstellung einer effizienten und evidenzbasierten Arzneimittelversorgung in der Onkologie vorgeschlagen, insbesondere zur Finanzierung von hochpreisigen onkologischen Arzneimitteln, zur Erforschung des Nutzens im Versorgungsalltag und zur Sicherstellung einer neutralen Informationsvermittlung. Die Empfehlungen des Gutachtens richten sich an unterschiedliche Akteure auf nationaler und europäischer Ebene. Rainer H. Bubenzer, Berlin stattungsausschluss, wenn eine Innovation für Patienten nur ein ganz geringen oder gar keinen Zusatznutzen hat. Prof. Michael Hallek, Köln, sieht noch weitere Konsequenzen: „Die gestellte Frage hat noch ganz andere Dimensionen. Ganz wesentlich ist, dass wir bei bestimmten großen gesundheitlichen Problemen falsch fokussieren. Beispielsweise steht bei wesentlichen chronischen Erkrankungen wie dem ErwachsenenDiabetes nicht die eigentlich relevante Aufgabe – die Prävention – im Fokus. Auch die aus meiner Sicht gigantische und krasse Verschwendung im Gesundheitswesen wird viel zu wenig diskutiert. Ich denke, dass die vorhandenen Ressourcen bei weitem ausreichen! Auch wenn diese Aussage die Gegenthese zu den Untergangsszenarien vieler Gesundheitspolitiker ist, die Priorisierung anmahnen, weil sonst Geld fehlen würde. Unser Gesprächskreis fordert deshalb ja, dass wir erst einmal unser Geld richtig einsetzen sollen.“ Priv.-Doz. Dr. Stephan Schmitz, Köln, widersprach. Das sei ein Totschlag-Argument nach dem Motto, „wir müssen uns eigentlich gar nicht anstrengen, sondern nur ein bisschen dirigistisch diese Fehlallokation korrigieren“ und dann ist alles gut. Schmitz: „So ist es aber nicht! Zum einen, und das haben entsprechende endlose Diskussionen vor knapp 10 Jahren gezeigt (in Folge des Sachverständigen-Gutachtens „Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit“), kann der Aufwand zur Behebung von Fehlallokationen gigantisch sein, teilweise sogar größer als die zu erwartenden Einsparungen. Und: Es führt kein Weg daran vorbei, dass wir uns anstrengen müssen, die Versorgungsqualität im Interesse unserer Patientinnen und Patienten nachhaltig zu verbessern und zu sichern.“ Rainer H. Bubenzer, Berlin Quellen: Das AMNOG und eine mögliche Stärke der deutschen Onkologie – Versorgungsforschung vergessen? 6 Thesen zur Zukunftssicherung. Berlin, 19. Januar 2011. Veranstalter: Gesprächskreis Versorgungsqualität in der Onkologie. Versorgungsqualität in der Onkologie – Herausforderungen und Lösungsansätze am Beispiel der Arzneimitteltherapie. Verfasser: Gesprächskreis Versorgungsqualität in der Onkologie. Berlin, 2010 (noch unveröffentlicht) Nienhaus L: Ärzte beklagen Rationierung. Frankfurter Allgemeine Zeitung. 17.1.2010 (http://bit.ly/gclEih). Onkologische Welt 1/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. ASH-KongressNachlese 5 Highlights von der ASH-Jahrestagung Neue Therapieperspektiven für Lymphome und Leukämien Für Hämatologen und Onkologen bot die wie jedes Jahr Anfang Dezember abgehaltene Tagung der American Society of Hematology (ASH) erneut spannende Ergebnisse aus der Grundlagen- und klinischen Forschung. Einige der in Orlando vorgestellten Studiendaten werden das Vorgehen im Praxisalltag verändern und neue Standards setzen. Zwischen 50% und 60% aller Patienten, die mittels allogener Stammzelltransplantation (ASZT) behandelt wurden, erleiden in der Folge eine chronische Graft-versus-Host-Disease (GvHD). Die GVHD ist die häufigste Todesursache bei Patienten, die zwei Jahre nach der Transplantation noch am Leben sind. „Prophylaktische Maßnahmen gegen eine akute GVHD haben keinen Einfluss auf das spätere Auftreten einer chronischen GVHD“, erklärte Prof. Corey Cutler, Boston/USA. Da eine Dysregulation von B-Zellen für die Entwicklung dieser chronischen Abstoßungsreaktion mitverantwortlich gemacht wird, erprobte ihre Arbeitsgruppe in einer Phase-II-Studie den Einsatz von Rituximab, das durch die Blockade des CD20-Moleküls auf der Zelloberfläche zur B-Zell-Depletion führt (1). rapie absetzen. 71,1% der Teilnehmer waren nach zwölf Monaten noch rezidivfrei am Leben. Die Gesamt-Überlebensrate beträgt 88,6%. Rituximab wurde insgesamt recht gut vertragen. Registriert wurden elf schwere Nebenwirkungen, in erster Linie Infektionen. Diese „proof-of-principle“-Studie wurde somit erfolgreich abgeschlossen, resümierte Cutler. Rituximab scheine eine vielversprechende Option für die Prävention einer GVHD nach ASZT zu sein, da die Steroidbedürftigkeit um rund 50% gesenkt werden könne. Diese Ergebnisse sollten jetzt in einer größeren randomisierten Studie verifiziert werden. Wie risikoreich ist die Stammzellspende? „Die Sicherheit von Fremdspendern hämatopoetischer Stammzellen ist wichtig, da es sich um eine freiwillige Spende handelt“, betonte Dr. Alexander Schmidt, Tübingen. Es gibt je- Mit Rituximab gegen die chronische GVHD An der Studie beteiligten sich 64 Patienten, überwiegend mit Leukämien sowie mit Morbus Hodgkin und Non-Hodgkin-Lymphom, die nach ASZT in Remission waren. Sie erhielten ein Jahr lang Rituximab in üblicher Dosierung von 375 mg/m² in dreimonatigem Intervall. Primärer Studienendpunkt war die Häufigkeit einer schweren, steroidbedürftigen GVHD nach einem Jahr. Innerhalb von zwölf Monaten entwickelten 40,4% der Patienten eine GVHD. „Diese Rate ist niedriger als bei historischen Kontrollen“, so Cutler. 28,1% der Patienten benötigten Steroide zur Kontrolle der Abstoßungsreaktionen. Damit konnte die Häufigkeit der Steroidbedürftigkeit im Vergleich zu historischen Daten etwa halbiert werden. Nach einem Jahr erhielt nur noch knapp ein Viertel der Patienten (22,4%) Kortikoide, etwa die Hälfte konnte die immunsuppressive The- doch Befürchtungen, dass die Vorbehandlung der Spender mit Filgrastim zur Mobilisierung peripherer Blutstammzellen (PBSC) das Leukämierisiko erhöhen könnte. Um diesen Zusammenhang zu klären, startete die Deutsche Knochenmarkspenderdatei (DKMS), das mit mehr als 2,3 Mio. Spendern weltweit größte Knochenmarkspenderzentrum, eine retrospektive Studie bei den Fremdspendern des DKMS (2): Fast 15 500 Personen wurde ein einfacher Fragebogen mit 4 Fragen zu allgemeinem Gesundheitszustand, Klinikeinweisungen und Einnahme verschreibungspflichtiger Arzneimittel nach der Spende sowie der Bereitschaft zu einer erneuten Stammzellspende zugeschickt. Rund 12 500 Befragte antworteten, sodass Schmidt die Rücklaufquote mit mehr als 80% als ausgesprochen hoch wertete. Mit mehr als 55 229 Beobachtungsjahren ist die DKMS-Studie damit weltweit die bislang größte Untersuchung zu diesem Aspekt. Sie liefert zudem beruhigende Ergebnisse: Mehr als 95% der Fremdspender bezeichneten ihren Gesundheitszustand als gut oder sehr gut. Stationäre Aufenthalte, chronische Therapien oder verschreibungspflichtige Medikamente wurden von mehr als 80% der PBSCSpender und rund 75% der Knochenmarkspender nicht benötigt. Rund 95% der Befragten würden erneut PBSZ spenden. Kein erhöhtes Leukämierisiko Auch in puncto Krebsrisiko kann die DKMS-Studie Entwarnung geben: Dokumentiert wurden Fachdiskussionen im Dezember unter sommerlicher Sonne: Kongressgebäude in Orlando/Florida © Schattauer 2011 Onkologische Welt 1/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. ASH-KongressNachlese 6 85 Malignome, darunter nur 6 hämatologische Neoplasien. Die Leukämie- und Lymphom-Inzidenz der Fremdspender war gegenüber der Allgemeinbevölkerung nicht erhöht. Häufiger als erwartet waren bei Knochenmarkspendern allerdings maligne Melanome. Schmidt wertete dieses Ergebnis jedoch als statistisches Artefakt, da eine Korrelation zwischen Knochenmarkspende und Melanomentwicklung nicht plausibel sei. Seltener als in der Allgemeinbevölkerung waren Lungenkarzinome, was Schmidt mit dem hohen Gesundheitsbewusstsein von Stammzellspendern erklärte, die weniger rauchen als Vergleichspersonen. Auf Basis der neuen Daten bezeichnete Schmidt die PBSC- und Knochenmarkspende als sicher; eine Erhöhung des Leukämierisikos könne ausgeschlossen werden. Es gebe daher keinen Grund, das Vorgehen bei der Stammzellsammlung zu ändern. lichkeit gab es kaum Unterschiede zwischen den Studiengruppen: Die Raten hämatologischer und nicht hämatologischer Toxizitäten waren in beiden Armen vergleichbar. Eine Subanalyse weist darüber hinaus auf den Wert der Rituximab-Erhaltungstherapie hin, die das Gesamt-Überleben signifikant verlängerte: Das Mortalitätsrisiko war bei den 40 Patienten, die Rituximab zur Erhaltung bekommen hatten, um fast 80% niedriger als bei Patienten ohne Erhaltungstherapie (HR 0,21; p = 0,0008). „Unsere Studiendaten bestätigen die Effektivität des BR-Regimes bei indolenten Lymphomen und untermauern die günstige Rolle der Rituximab-Erhaltungstherapie“, resümierte Studienleiter Prof. Mathias Rummel, Gießen. Bendamustin – guter Partner für Rituximab Dank der Entwicklung des Tyrosinkinase-Inhibitors (TKI) Imatinib konnte das Überleben von Patienten mit chronisch-myeloischer Leukämie (CML) dramatisch verbessert werden, erinnerte Prof. Jorge Cortes, Houston/USA. In der Folge wurden TKIs der zweiten Generation entwickelt, sodass auch Patienten mit ImatinibResistenz oder Unverträglichkeit eine effektive Zweitlinientherapie angeboten werden kann. Allerdings haben CML-Patienten, bei denen zwei oder mehr TKIs versagen, und Patienten mit der Mutation T315I in der bcr-abl-Kinase weiterhin eine schlechte Prognose, da für diese beiden Gruppen bislang keine effektive Therapieoption zur Verfügung steht. Mittlerweile wurde mit Ponatinib ein Drittgenerations-TKI entwickelt, der in vitro mehrere Imatinib-resistente bcr-abl-Varianten und weitere Kinasen von PDGF- und VEGF-Rezeptor sowie FLT3 und c-Kit sehr potent inhibiert. Das Besondere an Ponatinib: Als erster TKI ist die Substanz auch bei der Mutation T315I aktiv, betonte Cortes. Zudem verhindert der Wirkstoff im Tiermodell die Entwicklung resistenter Leukämiezellen. Jetzt liegen auch positive klinische Daten zu Ponatinib aus einer Phase-I-Studie vor (4). Sie umfasste 74 Patienten, meist mit CML, aber auch mit Philadelphia-positiver akuter lymphatischer Leukämie und akuter myeloischer Leu- Die deutsche Studiengruppe indolente Lymphome (StiL) hat in einer Phase-III-Studie einen neuen effektiven Kombinationspartner für Rituximab bei Patienten mit rezidiviertem follikulärem Lymphom, indolentem Lymphom oder Mantelzell-Lymphom identifiziert. Die randomisierte Multizenterstudie umfasste 219 Patienten und verglich das etablierte Regime Fludarabin/Rituximab (FR) mit der Kombination Bendamustin/Rituximab (BR) (3). Ab 2006 erhielten Patienten beider Arme zusätzlich eine 2-jährige Erhaltungstherapie mit Rituximab, das zu diesem Zeitpunkt in dieser Indikation zugelassen wurde. Primärer Studienendpunkt war das progressionsfreie Überleben. Nach 33-monatigem Follow-up erwies sich das BR-Regime dem Standard FR als signifikant überlegen: Patienten im FR-Arm überlebten median elf Monate ohne Progress, Patienten im experimentellen Arm mit 30 Monaten fast dreimal so lang (p<0,0001). Auch in puncto Ansprechen war das BR-Regime eindeutig effektiver: Die Gesamtresponserate betrug 83,5% – gegenüber nur 52,5% im Kontrollarm. 38,5% der mit Bendamustin, aber lediglich 16,2% der mit Fludarabin behandelten Teilnehmer kamen in eine komplette Remission. Bei der Verträg- Neuer Drittgenerations-TKI bei der CML kämie. Die Mehrzahl der Patienten war schon mit anderen TKIs vorbehandelt: 96% hatten schon Imatinib, 89% Dasatinib und 55% Nilotinib erhalten. Bei 95% der Teilnehmer hatten bereits mehr als zwei, bei 64% sogar mehr als drei Vortherapien versagt. Knapp zwei Drittel der Patienten besaßen mindestens eine Mutation, 8% sogar zwei und mehr Mutationen in der bcr-abl-Kinase. Die Mutation T315I lag bei 28% der Teilnehmer vor. Ponatinib – effektiv nach intensiver Vortherapie Ponatinib wurde in diesem therapeutisch problematischen Kollektiv in eskalierender Dosis von 2 bis 60 mg geprüft. 95% der CML-Patienten in chronischer Phase sprachen mit einer kompletten hämatologischen Remission (CHR), 66% mit einer major zytogenetischen Remission (MCyr) und 53% mit einer kompletten zytogenetischen Remission (CCyR) an. Als hoch aktiv erwies sich der neue TKI bei CML-Patienten mit der Mutation T315I: Alle neun Patienten sprachen mit einer CHR, acht von ihnen auch mit einer CCyR an. Remissionen wurden sowohl bei intensiv vorbehandelten Patienten ohne Mutationen als auch bei Patienten mit Resistenzen gegenüber bisherigen TKIs erreicht. Zudem bezeichnete Cortes das Verträglichkeitsprofil von Ponatinib bei therapeutischer Dosierung als akzeptabel. Der Onkologe wertete die Ergebnisse als sehr vielversprechend, da die Induktion von Remissionen bei stark vortherapierten und multirefraktären Patienten bislang ausgesprochen schwierig ist. Im September wurde bereits die zulassungsrelevante Phase-II-Studie PACE mit Ponatibib initiiert. Katharina Arnheim, Freiburg Literatur 1. Cutler C et al. Blood 2010; 116 (21): Abstract 214 2. Schmidt AH et al. Blood 2010; 116 (21): Abstract 365 3. Rummel M et al. Blood 2010; 116 (21): Abstract 856 4. Cortes J et al. Blood 2010; 116 (21): Abstract 210 Quelle: 52. Jahresversammlung der American Society of Hematology (ASH) vom 4. – 7 Dezember 2010, Orlando/USA. Onkologische Welt 1/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. ASH-KongressNachlese 8 Akute myeloische Leukämie HDC verlängert das leukämiefreie Überleben Eine auf dem ASH 2010 vorgestellte Metaanalyse zeigt, dass die klinisch relevante Verlängerung des leukämiefreien Überlebens unter der Kombinationstherapie Histamindihydrochlorid (HDC) plus Interleukin-2 (IL-2) (Ceplene® Injektionslösung) – +5,65 Monate nach 5 Jahren im Vergleich zu dem Standardregime vor allem durch das HDC vermittelt wird. IL-2 allein reicht nicht. Mit HDC steht seit Mai 2010 ein neues Orphan Drug zur Erhaltungstherapie bei erwachsenen AML-Patienten zur Verfügung. Mit der Kombination HDC/ IL-2 soll eine immunvermittelte Zerstörung der überlebenden myeloischen Leukämiezellen nach der Remission induziert und damit ein Rezidiv verhindert oder zumindest verzögert werden. Dabei schützt HDC die Lymphozyten, vor allem NK-Zellen und T-Zellen, als Träger der immunvermittelten Zerstörung restlicher Leukämiezellen. IL-2 aktiviert die antileukämischen Eigenschaften dieser Zellen und induziert eine Vermehrung dieser Zellpopulationen. Die Dauer des leukämiefreien Überlebens unter einer Monotherapie mit IL-2 wurde in 5 randomisierten, kontrollierten klinischen Studien mit insgesamt 905 Patienten in erster Remission (CR1) mit dem Standardregime (keine weitere Pharmakotherapie) verglichen. Für die Kombination HDC/IL-2 liegt eine Phase-III-Studie mit 261 CR1-Patienten vor. Hier stieg die mediane Dauer des leukämiefreien Überlebens von 291 Tagen auf 450 Tage unter der Kombination. In einer auf dem ASH 2010 vorgestellten Metaanalyse dieser 6 klinischen Studien wurde mittels des Bayes-Statistik-Modells (proportional Rituximab-Erhaltungstherapie statt „wait and see“ Heilung beim follikulären Lymphom? Die Strategie des „wait and see“ nach der Remission von Patienten mit follikulärem Lymphom (FL) könnte bald passé sein. Denn Studien belegen, dass eine Erhaltungstherapie mit Rituximab das progressionsfreie Überleben signifikant verlängert und das Rezidivrisiko praktisch halbiert. Schon die 2-Jahresergebnisse der PRIMA-Studie (Primary RItuximab and Maintenance) waren so überzeugend, dass Rituximab sehr rasch zur Erstlinien-Erhaltungstherapie bei FL-Patienten zugelassen wurde, wenn diese auf die Induktionsbehandlung mit einer Remission reagieren. Die 3-Jahresdaten der bislang größten multizentrischen Phase III-Studie zur Erstlinienbehandlung des FL bestätigen die klaren Vorteile und lassen inzwischen sogar die Heilung der Patienten zu einem realistischen Therapieziel werden, berichtete Prof. Martin Dreyling, München, bei einer Post-ASH-Pressekonferenz. In der PRIMA-Studie wurden nach seinen Worten 1018 Patienten, die mit einer kompletten oder partiellen Remission auf die Induktionstherapie mit Rituximab plus Chemotherapie reagiert hat- ten, nach der Randomisierung nur nachbeobachtet (n = 513) oder alle zwei Monate mit Rituximab 375 mg/m2 behandelt. Alle Subgruppen profitieren Nach einer medianen Beobachtungszeit von zwei Jahren waren 82% der Patienten im RituximabArm progressionsfrei gegenüber 66% im Beobachtungsarm. Das Rezidivrisiko wurde durch die Erhaltungstherapie halbiert. Nach drei Jahren sind laut den jetzt aktualisierten Daten 78,6% in der Rituximab-Gruppe progressionsfrei gegenüber 60,3% unter der „wait and see“-Strategie. Wie bereits bei den 2-Jahresdaten profitierten laut Dreyling alle Subgruppen: „Die Therapievor- und nicht-proportional) untersucht, welchen Nutzen die zusätzliche Gabe von HDC auf das leukämiefreie Überleben bringt: Verglichen wurden HCD/IL-2 vs. IL-2 vs. Standardregime. Mit der Bayes-Statistik lässt sich im Gegensatz zur traditionellen Statistik die Wahrscheinlichkeit von wissenschaftlichen Aussagen, in diesem Fall zur Länge des Leukämie-freien Überlebens, berechnen. Die Studiendaten zeigen für alle 3 Vergleichsarme einen Rückgang der Hazard Ratio für ein Rezidiv oder Versterben. In beiden Auswertungen führte hier die Kombination HDC/IL-2 zu einer klinisch relevanten Verlängerung des leukämiefreien Überlebens nach 5 Jahren sowohl gegenüber dem Standardregime (+5,65 Monate) wie auch gegenüber IL-2 allein (+4,23 Monate). Dagegen war das leukämiefreie Überleben unter IL-2 im Vergleich zum Standardregime nicht entscheidend länger (1,42 Monate nach 5 Jahren). Dr. Alexander Kretzschmar Literatur 1. Berry SM et al. Blood 2010 116: Abstract 2182. Quelle: 52. Jahresversammlung der American Society of Hematology (ASH), 4.-7. Dezember 2010, Orlando/USA. teile ergaben sich unabhängig vom Alter, vom Geschlecht und auch von der Art des Ansprechens“. Die Erstlinien-Erhaltungstherapie hat sich vor dem Hintergrund dieser Daten rasch als Standardbehandlung des FL etabliert. Sie ist inzwischen auch in die Leitlinien der European Society of Medical Oncology (ESMO) wie auch des amerikanischen National Comprehensive Cancer Network (NCCN) aufgenommen worden und wird auch von der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) empfohlen. Die rasche Aufnahme in die nationalen und internationalen Leitlinien gründet sich auch auf die vergleichsweise geringe Toxizität. So wurden keine unerwarteten Nebenwirkungen beobachtet, die Verträglichkeit entsprach den allgemeinen Erfahrungen mit dem Antikörper. Bei den Nebenwirkungen standen wie erwartet Infektionen und Neutropenien im Vordergrund, das jedoch laut Dreyling auf vertretbar niedrigem Niveau. Christine Vetter, Köln Quelle: Post-ASH-Pressekonferenz „Perspektive Heilung? Aktuelle Fortschritte in der Therapie des follikulären Lymphoms und der chronisch lymphatischen Leukämie“ am 13. Januar 2011 in Frankfurt. Veranstalter: Roche Pharma AG, Grenzach-Whylen Onkologische Welt 1/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. ASH-Kongress Nachlese 9 Endauswertung der Ofatumumab-Zulassungsstudie Hohe Aktivität als Monotherapie bei doppelt-refraktärer CLL Die auf dem ASH 2010 präsentierte finale Auswertung der Zulassungsstudie unterstreicht die Wirksamkeit einer Monotherapie mit Ofatumumab (Arzerra®) bei Patienten mit Fludarabin-und Alemtuzumab-refraktärer chronischer lymphatischer Leukämie (CLL). Der neue CD20-Antikörper Ofatumumab bindet wie Rituximab an den „large loop“ des CD20-Moleküls auf B-Zellen, zusätzlich aber auch an den nahe an der Zellmembran lokalisierten „small loop“. Darauf wird die in präklinischen Studien beobachtete stärkere Komple- Anhaltende Wirksamkeit und Sicherheit von Eltrombopag bestätigt Ein auf dem ASH-Kongress in Orlando vorgestelltes Update der Langzeitstudie EXTEND belegt die langfristige Wirksamkeit und Sicherheit von Eltrombopag (Revolade®) bei der Therapie der chronischen Immunthrombozytopenie (ITP). Bei dieser seltenen Autoimmunerkrankung kommt es zur Zerstörung und unzureichenden Bildung von Thrombozyten. Auf dem ASH 2010 wurde eine aktuelle Zwischenanalyse der Langzeitstudie EXTEND zur Effektivität und Sicherheit von Eltrombopag bei der Dauertherapie der chronischen ITP vorgestellt. In EXTEND wurden rund 300 ITP-Patienten eingeschlossen, von denen fast 2/3 nicht splenektomiert waren. Die Patienten wurden median über knapp zwei Jahre mit Eltrombopag behandelt; 24 Patienten erhielten den TPO-Rezeptoragonisten bereits drei Jahre und länger, berichtete Dr. Mansoor Saleh, Atlanta/USA (4). Insgesamt 88% der Patienten sprachen auf die Therapie an und erreichten eine Thrombozytenzahl von ≥50.000/μl . Die Responserate war bei splenektomierten und nicht-splenektomierten Patienten (85% vs. 89%) vergleichbar. Parallel zum Anstieg der Thrombozytenzahl ging die Blutungsrate deutlich zurück. Bei keinem der 159 Patienten mit Knochenmarkbiopsie fanden sich Hinweise auf klinisch relevante Knochenmarkanomalien oder Anzeichen einer Myelofibrose. Bei etwa 10% der mit Eltrombopag behandelten Patienten kam es zu Erhöhungen der Leberwerte, die jedoch meist leicht und reversibel und nicht von klinischen Symptomen begleitet waren, die auf eine Leberfunktionsstörung hinweisen. Eine ebenfalls auf dem ASH gezeigte Analyse der Phase-III-Studie RAISE zeigt, dass die Res- ponderrate (Anstieg der Thrombozytenzahl auf ≥50.000/μl) unter Eltrombopag sowohl bei Patienten mit (Odds Ratio 9,41; p<0,001) als auch bei Patienten ohne Milz (OR = 6,02; p=0,002) signifikant höher war als unter Placebo (3).Auch die Blutungsrate wurde unter Eltrombopag sowohl bei splenektomierten als auch bei nichtsplenektomierten Patienten im Vergleich zu Placebo ähnlich stark reduziert. In einer kumulativen Auswertung von 446 Patienten, die Eltrombopag im Rahmen mehrerer Phase II- und Phase III-Studien erhielten, wurde die Inzidenz von thromboembolischen Ereignissen (TEEs) untersucht (1): Die Inzidenz von TEEs pro 100 Patientenjahre betrug 3,14 und war damit – trotz inzwischen längerer Therapiedauer – sogar niedriger als die ein Jahr zuvor (2009) berichtete Inzidenz von 4,04/100 Patientenjahre, so Prof. James B. Bussel, New York/USA. Insgesamt traten bei 4,5% der mit Eltrombopag behandelten Patienten TEEs auf. Es gab keine Korrelation zwischen der Höhe der Thrombozytenzahl und TEEs. Alle Patienten mit TEE besaßen mindestens einen Risikofaktor für ein solches Ereignis. Eltrombopag wurde im März 2010 von der European Medicines Agency für die Behandlung erwachsener splenektomierter ITP-Patienten zugelassen, die auf andere Medikamente nicht ansprechen. Ist eine Splenektomie kontraindiziert, kann Eltrombopag auch als Zweitlinientherapie eingesetzt werden. Dr. Alexander Kretzschmar, München ment-abhängige Zytotoxizität (CDC) von Ofatumumab und dessen hohe In-vitro-Aktivität auch bei geringer CD20-Dichte zurückgeführt (2). An der nun auf dem ASH vorgestellten randomisierten, kontrollierten Multicenter-Zulassungsstudie nahmen 206 intensiv vorbehandelte CLL-Patienten teil, davon 95 doppelt-refraktäre Patienten, die weder auf Fludarabin noch auf Alemtuzumab angesprochen hatten (FA-refraktär), und 111 Fludarabin-refraktäre Patienten mit bulky disease (Lymphknoten >5 cm; BF-refraktär) (6). Die finale Auswertung zeigt für das zulassungsrelevante Kollektiv der doppelt (FA-) refraktären Patienten eine Ansprechrate (ORR) als primärem Endpunkt von 51%, bei den BF-refraktären Patienten von 44%, so Prof. William Wierda, Houston/USA. Auch doppelt refraktäre Patienten mit ungünstiger Zytogenetik – 17p-Deletion: ORR 37%; 11q-Deletion: ORR 50%; Patienten mit Rituximab-Vortherapie: ORR 45% und FCR (Fludarabin, Cyclophosphamid, Rituximab)-refraktäre Patienten: ORR 44% – profitierten von der Monotherapie. Ofatumumab wurde laut den Studienärzten gut vertragen; es traten keine unerwarteten Nebenwirkungen auf. Infusionsreaktionen traten überwiegend nur bei den ersten zwei Applikationen auf und waren meist leicht ausgeprägt. Das progressionsfreie Überleben lag in beiden Gruppen (FA- und BF-refraktär) bei 5,5 Monaten; das Gesamtüberleben betrug bei doppelt refraktärer CLL 14,2 Monate (BF-refraktär: 17,4 Monate). Diese Ergebnisse übertreffen historische Daten einer retrospektiven Analyse von 95 Patienten des MD Anderson Cancer Centers. Es überlebten dort doppelt refraktäre Patienten median über alle Therapien hinweg nur 8 Monate, BF-refraktäre Patienten median 14 Monate (5). Dr. Alexander Kretzschmar, München Quelle: 52. Jahresversammlung der American Society of Hematology (ASH) vom 4. – 7. Dezember 2010, Orlando/USA. Literatur 1. Bussel JB et al. Blood 2010;116 (21): Abstract Nr.70. 2. Cheson BD J Clin Oncol 2010;28:3525–3530. 3. Olney H et al. Blood 2010;116 (21): Abstract Nr. 2512. 4. Saleh M et al. Blood 2010;116 (21): Abstract Nr .67. 5. Tam CS et al. Leuk Lymphoma 2007; 48:1931–1939. 6. Wierda WG et al. Blood 2010;116 (21): Abstract Nr. 921. Hinweis: Mit freundl. Unterstützung GlaxoSmithKline Deutschland, München. © Schattauer 2011 durch Onkologische Welt 1/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. ASH Interview 10 Von Anfang an auf die beste Substanz setzen Zur Jahrestagung der American Society of Hematology (ASH) in Orlando wurden neue Studienergebnisse zu dem TKI der zweiten Generation Dasatinib bei Chronisch Myeloischer Leukämie (CML) vorgestellt. Diese bestätigen, dass Dasatinib im Vergleich zu Imatinib zu einem schnelleren und tieferen Ansprechen führt. Was dies für die zukünftige Therapie für CML-Patienten bedeutet, erläutert der Hämatologe Prof. John Goldman vom Hammersmith Hospital in London im Gespräch. ? Welches sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Erkenntnisse aus den präsentierten 18-Monats-Daten der DASISION-Studie? Prof. Goldman: Bei neu diagnostizierten CML-Patienten bewirkt Dasatinib 100 mg/Tag ein schnelleres und tieferes Ansprechen als einmal täglich 400 mg Imatinib. Dies zeigten bereits die 12-Monatsdaten und nach 18 Monaten konnten die Ergebnisse sogar noch einmal verbessert werden. Den Surrogat-Marker komplette zytogenetische Remission erreichten nun schon 78% der Patienten unter Dasatinib und nur 70% unter Imatinib. Das ist ein signifikanter Unterschied. Auch hinsichtlich des hauptsächlichen molekularen Ansprechens (MMR) erwies sich Dasatinib als überlegen: 57% der Patienten aus der DasatinibGruppe und 41% der mit Imatinib behandelten Patienten wiesen ein MMR auf (p = 0.0002). Einen Fortschritt der Erkrankung in die akzelerierte Phase oder Blastenkrise erlitten 2,3% der mit Dasatinib und 3,5% der mit Imatinib behandelten Patienten. Kein Patient, der eine gute molekulare Remission erreichte (PCR<0,1%), erlitt eine Progression. Zudem erwies sich Dasatinib als gut verträglich. Ich bin der Meinung, dass die Patienten auf Grund dieser Ergebnisse mit Dasatinib starten sollten. Sie erreichen damit wesentlich schneller und häufiger ein MMR und eine CCyR. Ihr Risiko einer Progression ist nahezu um 28% niedriger als unter Imatinib. ? Inwieweit ist ein frühes Ansprechen bedeutend? Prof. Goldman: Ein unter Dasatinib beobachtetes schnelleres und tieferes Ansprechen scheint für den ganzen Therapieverlauf entscheidend zu sein. Aus anderen Studien haben wir Hinweise, dass beim Fehlen eines frühzeitigen Ansprechens die Gefahr von Behandlungsfehlern und Krankheitsprogression wächst. Erst in letzter Zeit haben wir erfahren, welche wesentliche Bedeutung die prognostischen Marker haben. Dabei zeigt sich, dass insbesondere auch ein frühes Erreichen einer MMR entscheidend für den Therapieerfolg ist. Gerade zeigte eine zum ASH vorgestellte Studie aus der German CML-Study IV, dass das Erreichen einer MMR nach 12 Monaten mit einem verlängerten progressionsfreien Überleben und einem längeren Gesamtüberleben assoziiert. ? Sollte zum jetzigen Zeitpunkt mit Dasatinib in der Erstlinie begonnen werden? Prof. Goldman: Momentan teilt sich das Lager der Hämatologen in zwei Hälften. Die eine Hälfte plädiert dafür, mit Imatinib zu beginnen, da dies die Substanz sei, mit der es die meisten Erfahrungen gäbe. Und bei Versagen der Therapie könne dann auf ein Zweitgenerationstherapeutika gewechselt werden. Diese Auffassung teilen ich und viele andere Kollegen nicht. Wieso sollen wir nicht mit dem besten starten, was für die CML-Patienten momentan verfügbar ist? Dasatinib ist zugelassen für die Erstlinientherapie, also sollten wir es in dieser Indikation auch einsetzen. Das geringere Risiko, unter Dasatinib eine Resistenz oder einen Krankheitsfortschritt der CML zu erleiden, spricht klar für einen Einsatz gleich zu Beginn. Dies würde dem Ziel folgen, die CML so schnell wie möglich auf ein Minimum zurückzudrängen und auch mutierte Zellen, die vielleicht gegen Imatinib, nicht aber gegen Dasatinib resistent sind, früh zu beseitigen. Es konnte in einer weiteren Studie vom MD Anderson Cancer Center belegt werden (Eghtedar A et al., ASH 2010, Abstract 3442), dass Behandlungsfehler unter den Substanzen der zweiten Generation sehr selten sind. Zudem kann bei Versagen der Therapie problemlos auf ein anderes TKI gewechselt werden. Der Response ist dann gegenüber früheren Annahmen nicht gemindert. Prof. John Goldman, Imperial College London ? Welche Bedeutung hat eine komplette molekulare Remission (CMR) für den weiteren Therapieverlauf? Prof. Goldman: Es gibt erste Hinweise, dass beim Erreichen einer CMR unter Umständen die Medikation abgesetzt werden kann, ohne dass die Erkrankung weiter voran schreitet. Momentan ist es meiner Meinung nach noch zu früh für solche Überlegungen. Wir haben nur die Daten aus der französischen STIM-Studie und diese umfasst zu wenig Patienten, um wirklich Schlussfolgerungen zu ziehen. Diese Frage muss in weiterführenden Studien geklärt werden. Ich würde zum jetzigen Zeitpunkt immer noch die Dauertherapie als Standard empfehlen. ? Gibt es Unterschiede zwischen Nilotinib und Dasatinib, die im klinischen Gebrauch beachtet werden sollten? Prof. Goldman: Unter Nilotinib sind erhöhte Leber-, Bilirubin-, Blutzucker- und Lipasewerte zu beobachten. Unter Dastinib dagegen müssen die Pleuraergüsse mehr beachtet werden, die allerdings klinisch beherrschbar und bei Absetzen der Substanz reversibel sind. Meiner Erfahrung nach sind beide Substanzen gut verträglich. Allerdings muss Nilotinib zweimal täglich auf leeren Magen eingenommen werden, d.h. innerhalb von 3 Stunden darf nichts gegessen werden. Dies ist bestimmt nicht von medizinischem Belang, aber es könnte dadurch das Risiko einer Non-Compliance deutlich gesteigert werden. Dasatinib muss nur einmal täglich eingenommen werden und trägt so zu einer besseren Adhärenz bei. Das Interview führte Bettina Reich, Hamburg Onkologische Welt 1/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. ASH-Kongress Nachlese 11 Multiples Myelom Lenalidomid in der Erstlinientherapie beim älteren Patienten Mit Lenalidomid (Revlimid®) wurden in den vergangenen Jahren wesentliche Fortschritte in der Therapie des Multiplen Myelom (MM) erreicht. Bisher ist es in der Zweitlinienbehandlung zugelassen. Eine auf dem ASH 2010 vorgestellte Studie weist darauf hin, dass auch ältere Patienten mit neu diagnostiziertem MM davon profitieren, die nicht für eine Transplantation infrage kommen. Randomisierte Studien zeigten, dass eine autologe Stammzelltransplantation, ASCT, bei Patienten über 65 Jahre keinen Überlebensvorteil mehr bewirkt. Zudem ist ein großer Teil nicht für eine ASCT geeignet, so Prof. Antonio Palumbo, Turin/Italien. Für diese Gruppe ist die Kombination Melphalan/Prednison/Lenalidomid (MPR) eine gut geeignete Therapieoption, wie die Studie MM-015 zeigt (3). Progressionsrisiko verringert, PFS verlängert In der Phase-III-Studie wurde Lenalidomid als kontinuierliche Therapie bei 459 neu diagnostizierten MM-Patienten ≥65 Jahren untersucht. Sie erhielten entweder jeweils neun Zyklen einer Kombination aus Melphalan, Prednison und Lenalidomid (10 mg/d, d1–21), an die sich eine Behandlung mit Placebo (MPR, n = 153) oder eine kontinuierliche Therapie mit 10 mg Lenalidomid (d1–21) anschloss (MPR-R, n = 152). Die dritte Gruppe wurde mit neun Zyklen MP und anschließender Placebogabe behandelt. Die Therapie dauerte bis zur Erkrankungsprogression. Nachdem 70% der Patienten (median 21 Monate) einen Progress erfahren hatten, wurde diese geplante Zwischenanalyse durchgeführt. Unter MPR-R zeigte sich ein besseres Gesamtansprechen (77% vs. 50%, p<0,001), mehr Komplettremissionen (16% vs. 4%, p<0,001) als auch sehr gutes partielles Ansprechen (32% vs. 12%, p<0,001). Zudem kam es zu einem schnelleren Ansprechen (2 vs. 3 Monate, p<0,001). Das Progressionsrisiko wurde durch Lenalidomid im Vergleich zur MR-Gruppe um 58% vermindert (HR 0,423, p<0,001). Der Vorteil zeigte sich auch im progressionsfreien Überleben (PFS) nach 2 Jahren mit 55% versus 16%. Wurde die Lenalidomid-Therapie um weitere 10 Zyklen fortgesetzt, sank das Progressionsrisiko im Vergleich zu Placebo sogar um 69% (HR = 0,314, p<0,001. Das Gesamtüberleben ist auf Grund des kurzen Follow-Up noch nicht aussagekräftig. Die Patienten vertrugen die Therapie gut – bei der Erhaltungstherapie mit Lenalidomid lagen die unerwünschten Wirkungen auf Placeboniveau. Daher empfahl Palumbo die kontinuierliche Lenalidomidtherapie für ältere nicht transplantationsgeeignete Patienten mit neu diagnostiziertem multiplen Myelom. Erhaltungstherapie nach ASCT Zwei weitere präsentierte Updates großer Studien belegen, dass das Risiko für Progression oder Tod durch eine Erhaltungstherapie mit Lenalidomid auch nach ASCT erreicht wird. In der randomisierten Phase-III-Studie der CALGB 100104 erhielten 568 Myelom-Patienten unter 70 Jahren nach der ASCT als Erhaltungstherapie entweder Placebo oder Lenalidomid (10–15 mg/d) (2). Nach 18 Monaten ließ sich eine 61%ige Reduktion des Progressions- oder Todesfallrisikos durch Lenalidomid feststellen (p<0,0001). Die Zeit bis zur Progression betrug unter dem Imid median 42 Monate vs. 22 Monate unter Placebo. In der IFM 2005–02-Studie erhielten die Patienten im Unterschied zur vorhergehenden Studie zunächst innerhalb von 6 Monaten post ASCT eine zweimonatige Konsolidierungstherapie und danach eine Erhaltungstherapie. Das 4-Jahres-PFS betrug für Lenalidomid 60% vs. 33% unter Placebo. Die Überlegenheit war unabhängig von der zuvor eingesetzten Induktionstherapie, der Qualität des Therapieansprechens vor der Konsolidierung, einer Deletion 13 oder der Höhe des β2-Mikroglobulins. Birgit Reich, Hamburg Literatur 1. Attal M et al. Maintenance treatment with lenalidomide after transplantation for MYELOMA: final analysis of the IFM 2005–02. Blood 2010; 116: 141. Abstract 310. 2. McCarthy PL et al. Phase III intergroup study of lenalidomide versus placebo maintenance therapy following single autologous hematopoietic stem cell transplantation (AHSCT) for multiple myeloma: CALGB 100104. Blood 2010; 116: 21. Abstract 37. 3. Palumbo A et al. A phase 3 study evaluating the efficacy and safety of lenalidomide combined with melphalan and prednisone in patients ≥65 years with newly diagnosed multiple myeloma (NDMM): Continuous use of lenalidomide vs. fixed-duration regimens. ASH 2010; Abstract #622. Quelle: 52. Jahresversammlung der American Society of Hematology (ASH) vom 4.-7. Dezember 2010, Orlando/USA © Schattauer 2011 Onkologische Welt 1/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. ASH-KongressNachlese 12 ASH 2010 Follikuläres Lymphom Pluspunkte für die Kombination Beim follikulären Lymphom (FL) profitieren besonders Hochrisikopatienten mit größerer Tumormasse und höherem FLIPI-Score von einer Kombinationstherapie mit Rituximab plus Bortezomib (Velcade®) im Vergleich zu einer Monotherapie mit Rituximab. In Orlando wurden mehrere Studien zum Einsatz von Bortezomib beim FL vorgestellt. Rituximab ist hier zur Therapie der CD20-positiven FL zugelassen. Eine Monotherapie mit Bortezo- mib hat sich als wirksam bei schwer vorbehandelten FL-Patienten erwiesen. In 2 Phase-II-Studien war darüber hinaus die Kombination Rituximab/Bortezomib wirksamer als Rituximab al- Tab. 1 Bortezomib plus Rituximab vs. Rituximab allein bei Patienten mit follikulärem Lymphom mit Vortherapie, im Progress oder mit Rezidiv (Medianes Follow-up 33,9 Monate; medianes Überleben: noch nicht erreicht) lein. Eine randomisierte, offene, multizentrische Phase-III-Studie bestätigte jetzt die Überlegenheit der Kombination (1). Teilnehmer waren 676 FL-Patienten mit Vortherapie, im Progress oder mit Rezidiv. Rund ein Drittel des Studienkollektivs waren mit Rituximab vorhandelt. Der Zeitraum seit der letzten Therapie betrug in über 50% der Fälle >12 Monate. Die Patienten erhielten entweder Rituximab 375 mg/m² d1, 8, 15, 22 im 1. Zyklus bzw. nur d1 in den Zyklen 2–5 oder Rituximab (gleiches Schema) plus Bortezomib 1,6 mg/m² d1, 8, 15, 22 in Zyklus 1–5. Die Zyklusdauer betrug 5 Wochen. Die Kombination Rituximab/Bortezomib verbesserte gegenüber Rituximab allein signifikant das progressionsfreie Überleben als primärem Endpunkt, die Ansprechrate sowie die Zeit bis zur nächsten Therapie (씰Tab. 1). Die Zeit bis zu einer neuen Anti-Lyphomtherapie betrug unter der Kombination 700 Tage vs. 537 Tage unter Rituximab. Insbesondere Hochrisikopatienten hatten ein deutlich längeres progressionsfreies Überleben mit der Kombination als unter einer Monotherapie mit Rituximab. Die meist peripher auftretende Neurotoxizität war unter der Kombination erwartungsgemäß höher (Insgesamt: Rituximab 1%; Rituximab/Bortezomib 17%; Grad 3/4: Rituximab 0%; Rituximab/Bortezomib: 3%). Hinsichtlich der Lebensqualität bestand kein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen. Ansprechen n (%) Rituximab (n = 324) Bortezomib-R (n = 315) Odds-Ratio p-Wert ORR 160 (49) 199 (63) 0,569 <0,001 CR 59 (18) 79 (25) 0,665 0,035 PR 101 (31) 120 (38) SD 20 (37) 78 (25) PD 44 (14) 38 (12) Anhalt. Ansprechen >6 Monate insges. 24 (38) 159 (50) 0,608 0,002 Anhalt. Vollremission 54 (17) 76 (24) Medianes PFS (Monate) 11,0 12,8 HR: 0,88 0,039 Literatur 2-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit 23,5% 31,2% HR: 0,707 0,013 1. Coiffier B et al. A phase 3 trial comparing bortezomib plus rituximab with rituximab alone in patients with relapsed, rituximab-naive or -sensitive, follicular lymphoma. Blood 2010; 116: Abstract 857. Medianes PFS bei hohem FLIPI 7,9 ≥3 Monate (n = 140) 11,4 (n = 139) ORR: Overall Response; CR: Komplette Response; PR: Partielle Response; SD: Stabile Erkrankung; PD: Progrediente Erkrankung; PFS: Progressionsfreies Überleben Dr. Alexander Kretzschmar Quelle: 52. Jahresversammlung der American Society of Hematology (ASH) vom 4.–7. Dezember 2010, Orlando/USA. Onkologische Welt 1/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Interview aktuell © Schattauer 2011 Chronische lymphatische Leukämie Berechtigte Hoffnung auf weitere Fortschritte Bei der Behandlung der chronischen lymphatischen Leukämie (CLL) ist einiges im Fluss und es gibt berechtigte Hoffnungen, dass sich auch künftig weitere Fortschritte werden etablieren lassen. Dies ist maßgeblich der engagierten Arbeit der Deutschen CLL-Studiengruppe zu verdanken. Warum Studien wichtig sind, erläutert Prof. Clemens Wendtner von der Klinik I für Innere Medizin des Universitätsklinikums Köln in einem Interview. ? Herr Professor Wendtner, wie steht es in Deutschland mit der Versorgung von Patienten mit chronischer lymphatischer Leukämie? Wendtner: Die Versorgung der CLL-Patienten erfolgt hierzulande in drei Sektoren. Etwa 30 bis 40 Prozent der Patienten werden durch niedergelassene Onkologen und Hämatologen betreut, weitere 30 Prozent in akademischen Lehrkrankenhäusern und das letzte Drittel schließlich in Universitätskliniken. Es gibt in Deutschland vergleichsweise viele Zentren, die Patienten mit einer CLL behandeln und die Versorgung der Betroffenen ist im internationalen Vergleich betrachtet durchaus gut. ? Wie viele Patienten werden im Rahmen von Studien betreut? Wendtner: Seit der Gründung der Deutschen CLL-Studiengruppe im Jahre 1996 haben wir rund 5000 Patienten mit CLL im Rahmen von Studien behandelt. Die Inzidenz und Prävalenz der Erkrankung liegt deutlich höher, sodass man bislang noch nicht davon ausgehen kann, dass die Mehrzahl der CLL-Patienten in Studien eingeschlossen ist, auch wenn das unsere Wunschvorstellung ist. Leider können wir die Studienteilnahme nicht flächendeckend realisieren, allerdings werden in Deutschland sicherlich mehr Patienten in Studien behandelt, als es in anderen Ländern der Fall ist. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Deutsche CLL-Studiengruppe im internationalen Vergleich eine der größten kooperativen Studiengruppen in diesem Sektor darstellt. Sie bietet ein breites Spektrum an Studien, in die Patienten in den unterschiedlichen Krankheitsstadien Prof. Dr. Clemens Wendtner, Klinik I für Innere Medizin des Universitätsklinikums Köln eingeschlossen werden können, von der Primärbehandlung bis schließlich hin zur Stammzelltransplantation. Dabei werden zum einen etablierte Therapieverfahren und Protokolle weiter entwickelt und zum anderen auch neue Wirkstoffe und Behandlungsansätze geprüft. ? Warum klappt es nicht flächendeckend? Wendtner: Es gibt eine Reihe von Gründen, warum ein Patient im Einzelfall möglicherweise nicht an einer Studie teilnehmen kann. In einigen Regionen gibt es einfach noch nicht genug Zentren, um die CLL zu behandeln. Der häufigste Grund aber dürfte darin bestehen, dass in den Studien immer strenge Ein- und Ausschlusskriterien bestehen. Wenn der Patient diese nicht erfüllt, ist eine Studienteilnahme leider nicht möglich. den, die sie außerhalb der Studien nicht bekommen könnten. Das zeigt zum Beispiel die Situation älterer CLL-Patienten, die normalerweise als Standardtherapie Chlorambucil, ein Medikament, das seit Jahrzehnten in dieser Indikation eingesetzt wird, erhalten. Im Rahmen von Studien prüfen wir Kombinationstherapien, weil wir davon ausgehen, dass auch ältere Patienten davon profitieren. Die eingesetzten Medikamente sind bisher aber nicht für diese Indikation zugelassen. ? ? Was kann man als niedergelassener Hämatologe tun, um einen CLLPatienten in eine Studie einzuschließen? Wendtner: Es ist dazu sinnvoll, sich mit einem CLL-Studienzentrum in Verbindung zu setzen. An jedem Zentrum gibt es Spezialsprechstunden, in denen der Patient sich vorstellen kann und in denen dann geprüft wird, welche Studie möglicherweise im individuellen Fall in Frage kommt. Patienten und Ärzte können sich außerdem vorab auf der Webseite der deutschen Studiengesellschaft unter der Internetadresse www.dcllsg.de informieren, welche Studien derzeit laufen. ? Inwiefern profitieren die Patienten, die an Studien teilnehmen? Wendtner: Sie erhalten oft die Möglichkeit, mit Medikamenten behandelt zu wer- Wo gibt es noch Defizite bei der CLLBehandlung? Wendtner: Defizite gibt es insofern, als die Option, im Rahmen eines Studienprotokolls behandelt werden zu können, noch nicht allen Patienten zugutekommt. Das liegt zum einen daran, dass nicht alle Patienten erfasst werden, zum anderen ist es aber auch darin begründet, dass wir noch kein völlig flächendeckendes Netz an Prüfärzten haben. Vor allem bei Patienten mit Krankheitsrezidiv, bei denen sich die Teilnahme an einer Studie zur Prüfung neuer Medikamente anbieten würde, wird diese Option aufgrund geographischer Hürden manchmal nicht realisiert. Auch Transplantationszentren gibt es noch nicht in allen Regionen, wobei vor allem in den neuen Bundesländern zum Teil noch weiterer BeOnkologische Welt 1/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 13 Interview aktuell 14 darf für den Aufbau solcher Zentren besteht. ? Bei der Behandlung der CLL ist einiges im Fluss derzeit. Was sind die neuen Trends? Wendtner: Die Behandlung der CLL ist praktisch stetig im Fluss, was letztlich direkt durch die Studien, die durchgeführt werden, bedingt ist. Mit diesen Studien generieren wir Therapiestandards. Diese sind zwangsläufig immer nur wenige Jahre gül- tig, bis praktisch als Folge einer nachfolgenden Studie neue Erkenntnisse generiert und damit dann auch neue Standards gesetzt werden. Derzeit betrachten wir bei gesundheitlich fitten Patienten eine Chemoimmuntherapie bestehend aus Fludarabin, Cyclophosphamid und Rituximab als Standard. Das wird sich aber möglicherweise in wenigen Jahren schon geändert haben, da es sich um ein dynamisches Gebiet handelt und in den Studien stetig neue Therapieprotokolle getestet werden. Bei der CLL spielt die Zeit eindeutig für die Patienten und wir können durchaus auf weitere Fortschritte und bessere Behandlungsund Heilungschancen für die Zukunft hoffen. Herr Professor Wendtner, haben Sie vielen Dank für das Gespräch. Das Interview führte Christine Vetter, Köln Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Kongressnachlese SABCS 2010 15 Überraschungen auf dem 33. San Antonio Breast Cancer Symposium (SABCS) Neoadjuvante Studien im Fokus Mehr als 9000 Brustkrebsspezialisten trafen sich wie jedes Jahr an gewohnter Stelle, um sich über die neusten Entwicklungen zu informieren und die Konsequenzen zu diskutieren. Und Diskussionsbedarf gab es dieses Mal reichlich: Denn ein Großteil der mit Spannung erwarteten Studien – insbesondere aus der Neoadjuvanz – zeigte überraschende Ergebnisse. Darüber hinaus war es äußerst erfreulich, dass ein Großteil der interessanten Untersuchungen aus deutschen Federn stammte. In den vergangenen Jahren hat sich die neoajuvante Therapie neben der adjuvanten Therapie zu einem gleichberechtigten Standard entwickelt – nicht zuletzt dank der vielen Studien der GBG (German Breast Group) und AGO (Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie). Basierend auf einem breitem Spektrum von klinischen Studien zeigt sich, dass die neoadjuvante Therapie als mögliche Vorteile eine steigende Rate brusterhaltender Operationen und eine reduzierte Mortalität mit einer geringeren Toxizität der Therapie bietet. Außerdem erhält man frühzeitig Informationen über die Sensitivität der Tumorzellen und kann schneller individuelle Therapieansätze entwickeln. Lokale Rückfallrate nach neoadjuvanter Therapie In diesem Zusammenhang sind zwei zum SABCS präsentierte Poster von besonderem Interesse. Zum einen stellte die Arbeitsgruppe um Simonen et al. vom National Cancer Institute in Bethesda die 25-Jahres-Ergebnisse im Vergleich zwischen brusterhaltender Therapie (BET) und Mastektomie vor (7). Bei diesen 237 Frauen mit einem frühen Mammakarzinom zeigte sich kein statistischer Vorteil für eine Methode im Überleben (38% BET vs. 45,7% Mastektomie, p = 0,43). Jedoch betraf ein Unterschied die lokale Rückfallrate: Das krankheitsfreie Überleben war schlechter unter den Frauen in der BET-Gruppe (57% vs. 82%; p<0,001). Besonders häufig kam es in dieser Gruppe zu einem ipsilateralen Befall. Allerdings minderte die lokale Rückfallrate nicht das Überleben. Zudem waren in der Studie relativ wenig Patienten, außerdem haben sich die Operati- onstechniken seitdem weiterentwickelt. Prof. Judy Boughey von der Mayo Clinic in Rochester/USA kommentierte die Ergebnisse: „Wir sollten unsere Patientinnen auf eventuell unterschiedliche lokale Rückfallraten hinweisen und dies auch mit ihnen diskutieren.“ Insbesondere Frauen, die jünger als 40 Jahre sind, sollten auf dieses Risiko hingewiesen werden. Boughey selbst präsentierte eine retrospektive Untersuchung, im Rahmen derer eine lokale Rückfallrate von 6,9% bei 3075 Frauen nachgewiesen werden konnte, die brusterhaltend operiert worden waren (2). Die mediane Zeit bis zum Rückfall betrug 3,4 Jahre. Interessant ist an dieser Studie, dass die Rückfallrate sich je nach Altersgruppe deutlich unterschied (씰Tab. 1). Die Tatsache, dass die jüngsten Frauen die größte Rückfallrate aufwiesen, führte die Expertin darauf zurück, dass diese Betroffenen oft sehr aggressive Tumore haben. Der frühestmögliche Einsatz einer systemischen Therapie entspricht dem Verständnis von Brustkrebs als Systemerkrankung mit früher Dissemination von Tumorzellen. Neue Therapieprinzipien, wie zum Beispiel der Einsatz neuer, zielgerichteter Substanzen, könnten zu einer Erhöhung der Rate an pathologischen Komplettremissionen (pCR) beitragen. Dies ist zumindest die Hoffnung. GeparQuinto mit überraschenden Ergebnissen Diesem Ansatz folgt auch eine der momentan laufenden neoadjuvanten Studien: Die deutsche GeparQuinto-Studie der GBG. Die Teilnehmer wurden entsprechend des HER2-Status (nicht zentral bestimmt), der Stanzbiopsie und des Ansprechens nach 4 Zyklen Epirubicin/Cyclophosphamid (EC), gefolgt von 4 Zyklen Docetaxel (Doc) im dreiwöchigen Abstand auf 3 verschiedene Therapiearme randomisiert, in denen sie zusätzlich Bevacizumab, RAD001 (Everolimus) oder Lapatinib erhielten. Die Auswertung bei HER2-positiven Patientinnen stellte Prof. Michael Untch, Berlin, vor (씰Abb. 1) (9). Dazu wurden 620 HER2-positive Frauen entweder zu Trastuzumab (8 mg/kg initial, dann 6 mg/kg q3w) oder Lapatinib (1000/1250 mg/d) randomisiert, jeweils in Kombination mit einer EC-Doc-Chemotherapie; primärer Endpunkt der Studie war die pCRRate zum Zeitpunkt der Operation. Im Ergebnis zeigte sich ein leichter Vorteil für die Antikörpertherapie: Mit Trastuzumab betrug die pCR-Rate 31,3%, mit Lapatinib 21,7% (p = 0,05). Der Effekt im Lapatinib-Arm wurde allerdings dadurch beeinflusst, dass mehr als ein Drittel der Patienten die Therapie wegen unerwünschter Wirkungen, insbesonde- Mehr als 9000 Onkologen trafen sich Ende 2010 auf dem SABCS in San Antonio. © Schattauer 2011 Onkologische Welt 1/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Kongressnachlese SABCS 2010 16 Tab. 1 Die lokale Rückfallrate ist bei Frauen <40 Jahre ist besonders hoch (2) Alter (Jahre) Lokale Rückfallrate in % <40 11,9 40–49 5,9 50–59 5,9 60–69 7,6 ≥70 6,4 re Diarrhöen, vorzeitig beendeten, so Untch. Gegen diese – in dieser Häufigkeit nicht erwartete – Nebenwirkung müssen entsprechende supportive Maßnahmen ergriffen werden, forderte Untch. Als Konsequenz wurde bei vielen Patienten die Lapatinib-Dosis gesenkt, was das Ergebnis zusätzlich negativ beeinflusst haben dürfte. Beste Ergebnisse mit dualer HER2-Blockade Einen anderen Ansatz nutzte die NEO-ALTTOStudie (1): Sie kombinierte Lapatinib und Trastuzumab und nutzte dabei die unterschiedlichen Wirkmechanismen der beiden AntiHER2-Therapien: Trastuzumab greift die Tumorzelle von außen an, Lapatinib blockiert die Signalkaskade im Zellinneren. Synergistische Effekte beider Substanzen wurden 2009 in einer Studie in der metastasierten Situation nachgewiesen. Das Lapatinib und Trastuzumab sich optimal ergänzen zeigt nun auch die präsentierte NeoALTTO-Studie. Hier erhielten die 455 Frauen mit primärem, HER2-positivem Brustkrebs neoadjuvant zuerst eine sechswöchige Monotherapie mit Lapatinib (1500 mg/d) oder Trastuzumab (4 mg/kg initial, dann 2 mg/kg wöchent- Abb. 1 Neoadjuvante Therapie des HER2-positiven Mammakarzinoms in der GeparQuintoStudie der GBG. lich) oder aber eine Kombination beider zielgerichteter Substanzen (1000 mg Lapatinib/Tag + 4/2 mg Trastuzumab wöchentlich). Im Anschluss wurde 12 Wochen lang die jeweilige Therapie zusätzlich mit Paclitaxel kombiniert. Beim primären Studienendpunkt, der pCRRate, zeigte sich in den Monotherapie-Armen mit den gegen HER2-gerichteten Substanzen kein statistischer Unterschied zwischen Lapatinib und Trastuzumab (24,7% vs. 29,5%, p = 0,34). Jedoch konnte im Kombinationsarm nahezu eine Verdopplung des entscheidenden Kriteriums erzielt werden (51,3%, p = 0,0001) (씰Abb. 2). Das Gesamtansprechen nach 6 Wochen betrug im Kombinationsarm 67,1% (p<0,001). Während die pCR-Rate unter der Kombination bei Hormon-Rezeptor-positiven Frauen mit 41,6% nicht so stark ausgeprägt war, erwies sich bei HR-negativen Frauen der pCR-Erfolg mit 61,3% als überaus gut. Das bedeutet, dass bei fast zwei Drittel dieser Patientinnen nach neoadjuvanter Vorbehandlung kein Tumor mehr vorhanden war. Studienleiter Prof. Jose Baselga, Barcelona/ Spanien, kommentierte: „Die duale antiHER2-Blockade scheint ein valides Konzept zu sein“. Da aber auch in dieser Studie die Abbruchrate – insbesondere im Lapatinib-Arm – sehr hoch war, stellt sich neben der Kostenfrage auch die Notwendigkeit eines proaktiven Therapiemanagements. Da allerdings pCR-Rate und Gesamtüberleben korrelieren, sollte die Kombinationstherapie zukünftig wirklich in klinisch gängige Konzepte überführt werden, so eine Expertenforderung. Neue Option für kombinierte HER2-Blockade Abb. 2 Neoadjuvante Therapie des HER2-positiven Mammakarzinoms in der NEO-ALTTOStudie Eine dritte Untersuchung, die Phase-II-Studie NEOSPHERE, untersuchte bei 417 Frauen mit HER2-positivem Brustkrebs im Frühstadium die Wirkung des HER2-Dimerisierungshemmers Pertuzumab und Trastuzumab plus Chemotherapie (Docetaxel) in der neoadjuvanten Situation (4). Die Daten zeigen, dass die beiden Antikörper plus Docetaxel die Rate des vollständigen Verschwindens des Tumors (pCR, 45,8%) in der Brust signifikant um mehr als die Hälfte verbesserte, verglichen mit Trastuzumab plus Docetaxel (pCR 29%; p = 0,014). Weniger ausgeprägt war der Effekt auf die pCR-Rate laut Studienleiter Prof. Luca Gianni, Onkologische Welt 1/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Kongressnachlese SABCS 2010 18 Abb. 3 Neoadjuvante Therapie des Mammakarzinoms in der NEOSPHEREStudie: Pathologische Komplettremissionen (pCR) unter Pertuzumab und Trastuzumab plus Docetaxel. Mailand/Italien, bei der Kombination der beiden zielgerichteten Therapien ohne Chemotherapie (pCR = 17%). Allerdings zeigt das Ergebnis aus dem Chemotherapie-freien Arm einen anderen Aspekt: „Einige Frauen können offensichtlich ganz auf eine Chemotherapie verzichten, wir müssen nur noch genau identifizieren, welche Frauen das sind,“ betonte Gianni. Ebenso wie in anderen Studien profitierten auch in dieser Untersuchung insbesondere Hormonrezeptor-negative Frauen (씰Abb. 3). Im Gegensatz zu dieser neoadjuvanten Studie stellte die Auswertung eines weiteren Arms der GeparQuinto-Studie die Experten vor Interpretationsprobleme: Insgesamt 1948 HER2/-negative Frauen erhielten zusätzlich zur Chemotherapie zusätzlich den AngiogeneseInhibitor Bevacizumab, eine Vergleichsgruppe nur die Chemotherapie (6). Frühere Studien hatten auf einen möglicherweise gesteigerten Effekt dieser Substanz durch den präoperativen Einsatz hingewiesen. Allerdings zeigen die in San Antonio präsentierten Ergebnisse, dass Bevacizumab in diesem Setting keine Erhöhung der pCR-Rate bewirkte, sondern nur tendenziell leicht überlegen war. Nun muss noch ein längeres Followup sowie andere Studien wie die BEATRICEStudie abgewartet werden, um Bevacizumab endgültig in der Neoadjuvanz einschätzen zu können, meinte Studienleiter Prof. Gunther von Minckwitz, Frankfurt. AZURE sorgt für Diskussionsbedarf Kürzlich hatten die Daten der ABCSG-12-Studie gezeigt, dass die Zugabe von Zoledronsäure als Begleitmedikation zur adjuvanten endokrinen Therapie zu einer Reduzierung des Rückfallrisikos von fast einem Drittel führte. Daraus wurde ein direkter antitumoraler Effekt des Bisphosphonats postuliert. Die deutlich größe- Nach dem Kongress: Der berühmte „River Walk“ von San Antonio lädt zum Entspannen ein. re AZURE-Studie sollte nun klären, ob sich dieser Vorteil auch auf Chemotherapie-Patientinnen übertragen lässt. 3360 Frauen mit einem Brustkrebs im Stadium II oder III erhielten zusätzlich entweder Placebo oder Zoledronat 4 mg alle 3 bis 4 Wochen für insgesamt 6 Dosen und danach alle 3 Monate für weitere 8 Injektionen und danach alle 6 Monate für insgesamt 5 Applikationen. Dieses intensivierte Schema wurde genutzt, um den direkten Antitumoreffekt besser nachzuweisen. Die nun vorgestellten Daten bestätigen die Ergebnisse der ABCSG-12-Studie zunächst nicht (3). Nach einem medianen Follow-up zeigte sich im primären Endpunkt, dem Gesamtüberleben oder progressionsfreien Überleben, kein Unterschied zwischen den Gruppen. Allerdings sank das Sterberisiko in einer vorgeplanten Subgruppenanalyse bei postmenopausalen Frauen >5 Jahre nach der Menopause oder im Alter >60 Jahre (n = 1101) um 29% (p = 0,017). „Worauf dieser signifikante Effekt zurückzuführen ist, müssen wir noch klären“, erklärte Studienleiter Prof. Robert Coleman, London/Großbritannien. Dazu sollen auch die beiden Studien – AZURE und ABCSG-12 – noch genauer verglichen werden, um eine Erklärung für diese Befunde zu finden. Der Stellenwert der im Knochenstoffwechsel eingreifenden Substanzen in der Adjuvanz steht damit wieder auf dem Prüfstand. Aber ganz sicher sind diese Substanzen weiterhin von tragender Bedeutung in der metastasierten Situation, obwohl sich dort auch Veränderungen andeuten. Nachdem zum vergangenen SABCS Prof. Alison Stopeck, Tuscon/USA, die Resultate einer direkten Vergleichsstudie mit 2049 Patientinnen unter dem RANKL-Inhibitor Denosumab gegenüber Zoledronat vorstellte, wurde dieses Jahr nun die Verlängerung dieser Untersuchung präsentiert (8). Diese Verlängerung um zusätzliche 4 Monate war nötig geworden, da im Denosumab-Arm die mediane Zeit bis zum Eintreten des ersten skelettalen Ereignisses (SRE) noch nicht erreicht wurde. Die Auswertung demonstrierte, dass es median 5 Monate länger dauerte, bis unter Denosumab im Vergleich zum Bisphosphonat Zoledronat ein erstes SRE auftrat (32,4 vs. 27,4 Monate, p = 0,0096). Darüber hinaus konnte der Anteil der Patienten, welche pathologische Frakturen erlitten sowie die Anzahl der Knochenbestrahlungen signifikant reduziert werden. Stopeck: „Diese Patientinnen leben in der Regel in diesem Krankheitsstadium rund 3 Jah- Onkologische Welt 1/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Kongressnachlese SABCS 2010 20 re. Wenn wir ihnen in dieser Zeit 5 zusätzliche Monate ohne SRE bieten können, ist das ein enormer Zugewinn.“ Brustkrebstherapie in der Schwangerschaft Ein schwieriges Thema ging Dr. Sibylle Loibl, Frankfurt/Main, an: Chemotherapie während der Schwangerschaft. Gerade bei Frauen mit ungünstiger genetischer Prädisposition entwickelt sich oft bereits im fortpflanzungsfähigen Alter ein Mammakarzinom, eine Diagnose während der Schwangerschaft ist möglich. Die Ärzte tendierten in solchen Fällen bisher zu großer Vorsicht, um den Fötus zu schützen, die betroffenen Frauen erhielten deshalb oft nicht die für sie bestmögliche Behandlung, so Loibl. Die GBG-Gruppe erfasst seit einiger Zeit in einem europaweiten Register Daten von Pa- tientinnen, die während der Schwangerschaft erkrankten. Die Studie mit Angaben zu 289 Frauen hat nun ergeben, dass eine Chemotherapie den Fötus offensichtlich nicht schädigt (5). 142 der werdenden Mütter wurden mit durchschnittlich vier Zyklen Chemotherapie behandelt. Als Chemotherapie wurden ebenfalls Taxane gegeben. Die Ergebnisse zeigen für die Chemotherapie-Gruppe sogar eine signifikant niedrigere Rate an Frühgeburten im Vergleich zu den Frauen ohne Chemotherapie (17% vs. 33%; p = 0,009). Die Häufigkeit von Komplikationen lag auch nicht signifikant höher als im Durchschnitt bei gesunden Müttern. Zudem gab es keine gesteigerten Probleme für die Kinder durch die Verabreichung der Chemotherapie. Loibl betonte abschließend: „Obwohl die Überlebenszeiten der Mütter uns zeigen, dass es dort keinen signifikanten Unterschied zwischen den behandelten und den unbehandel- Aromataseinhibitoren im Vergleich Unterschiedliches Verträglichkeitsprofil beachten Bei der Auswahl des „optimalen“ Aromataseinhibitors zur Therapie endokrin sensitiver Tumoren wird auch die Frage diskutiert, inwieweit sich steroidale und nichtsteroidale Wirkstoffe unterscheiden. In der MA.27-Studie wurden erstmals mit Exemestan ein steroidaler und ein nichtsteroidaler Aromatasehemmer (Anastrozol®) in einer Phase-III-Studie direkt miteinander verglichen und neue Auswertung auf dem SABCS 2010 vorgestellt. ten Frauen gibt, ist den Ärzten zu raten, die Frauen so bald wie möglich auch während einer Schwangerschaft einer Brustkrebsbehandlung zu unterziehen, die analog zu NichtSchwangeren verabreicht werden sollte.“ Birgit Reich, Hamburg Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. Baselga J et al. Abstract S3–3 Boughey J et al. Abstract P4–10–02 Coleman R et al. Abstract S4–5 Gianni L et al. Abstract S3–2 Loibl S et al. Abstract S6–2 Minckwitz G et al. Abstract S4–6 Simonen N et al. Abstract P4–10–01 Stopeck A et al. Abstract P6–14–01 Untch M et al. Abstract S3–1 Quelle: 33. Annual San Antonio Breast Cancer Symposium (SABCS) vom 8.-12. Dezember 2010, San Antonio/USA Viel diskutiert werden auch neue Ergebnisse zum Thema Übergewicht und Brustkrebs. Fasst man die Daten der Studien TEAM, ABCSG12, ATAC und ABCSG06 zusammen, so Jonath, kann man folgende Aussagen treffen: Übergewichtige, prämenopausale Frauen haben unter Anastrozol ein schlechteres krankheitsfreies Überleben und Gesamtüberleben als unter Tamoxifen. Übergewichtige postmenopausale Frauen haben generell ein erhöhtes Rezidivrisiko. Anastrozol wirkt bei Frauen mit Übergewicht schwächer als bei schlanken Frauen. Exemestan ist effektiv, unabhängig vom Body Mass Index (BMI) der Frauen (3). Dr. Alexander Kretzschmar, München Bereits auf dem SABCS 2009 wurde zeigt, dass die Effektivität der beiden Aromataseinhibitoren in der initialen adjuvanten Therapie „in etwa gleich ist“, so Prof. Walter Jonat, Kiel. Das ereignisfreie Überleben und das Gesamtüberleben unterscheiden sich nicht signifikant (4). Eine neue Auswertung bei mehr als 7500 postmenopausalen Brustkrebspatienten weist darauf hin, dass es in Hinblick auf das Verträglichkeitsprofil der beiden Substanzen einige Unterschiede gibt, die für die weitere Behandlung wichtige Konsequenzen hat (1). So induziert Exemestan im Verlauf der median 4,1-jährigen adjuvanten Therapie signifikant seltener Osteoporose als Anastrozol (31 vs. 35%; p = 0,001). Damit werden die Ergebnisse früherer präklinischer und klinischer Studien bestätigt. Darin verursachte Exemestan im direkten Vergleich mit dem nichtsteroidalen Aromatasehemmer Letrozol einen geringeren Knochendichte-Verlust in Oberschenkelhals (-0,6 vs. -1,96 % nach 12 Monaten) und Lendenwirbelsäule (-1,57 vs. -2.36%) (2). Literatur 1. Goss PE, et al. 33. San Antionio Breast Cancer Symposium 2010, San Antonio/USA, oral Presentation, Abstract S1–1. 2. Nogués X, et al. 32. San Antionio Breast Cancer Symposium 2009, San Antonio/USA, Abstract 3175. 3. Seynaeve C, et al. 33. San Antionio Breast Cancer Symposium 2010, San Antonio/USA, oral Presentation, Abstract S2–3. 4. Stearns V et a. 32. San Antionio Breast Cancer Symposium 2009, San Antonio/USA, oral Presentation 14. Onkologische Welt 1/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Forum SABCS 2010 21 (Neo)Adjuvante Therapie des frühen Mammakarzinoms Docetaxel als Partner moderner Antikörpertherapien Mit neuen zielgerichteten Therapeutika soll das Outcome auch beim frühen Her2/neu überexprimierenden Mammakarzinom noch weiter verbessert werden. Die auf dem San Antonio Breast Cancer Symposium (SABCS) 2010 vorgestellten Studien zeigten laut Prof. Wolfgang Eiermann, München, dass Taxane wie Docetaxel (Taxotere®) auch in diesen Regimen unentbehrlich sind, um eine hohe Rate an histopathologischen Komplettremissionen (pCR) zu erzielen. Ein Schwerpunkt der zielgerichteten (neo)adjuvanten Therapie HER-2 positiver Mammakarzinome liegt auf der Vermeidung und Überwindung eines Nichtansprechens bzw. von Resistenzen gegen Trastuzumab. Neue Antikörper wie Pertuzumab zielen auf die duale Blockade nachgeschalteter Signaltransduktionswege, die bei einer Resistenzbildung gegen Trastuzumab aktiviert werden. Neben der extrazellulären Domäne von HER2 blockiert Pertuzumab auch die Heterodimerisierung von HER2 mit anderen Mitgliedern der EGFR-Familie. Höhere pCR-Raten mit dualer HER2-Blockade Die NEOSPHERE-Studie (Neoadjuvant Study of Pertuzumab and Herceptin in an Early Regimen Evaluation) (1) zeigt hier laut Eiermann die Möglichkeiten und Grenzen der Antikörpertherapie in der neoadjuvanten Situation. In der vierarmigen, randomisierten Multizenter-Phase-II-Studie erhielten 417 Trastuzumab-naive Frauen mit neu diagnostiziertem HER2-positiven frühen Mammakarzinom entweder die Kombination Trastuzumab/Pertuzumab allein oder plus Docetaxel oder einen der beiden Antikörper plus Docetaxel. Primärer Endpunkt war das Verschwinden des Tumors bis zur Operation (vollständiges pathologisches Ansprechen, pCR). In der ITT-Auswertung erreichten Trastuzumab/Pertuzumab eine pCR von 16,8% – deutlich weniger als unter den beiden Taxanhaltigen Armen Pertuzumab/Docetaxel (24%) und Herceptin/Docetaxel (29%; p=0,0198 vs. Herceptin/Pertuzumab). Mit 45,8% erzielte der Arm Herceptin/Pertuzumab/Docetaxel jedoch die höchste pCR (p=0,0141 vs. Herceptin/Docetaxel; p=0,003 vs. Pertuzumab/Docetaxel). Es ist bekannt, dass der Hormonrezeptorstatus ein prädiktiver Faktor für eine pathologische Komplettremission ist. Bei den Östrogen- oder Progesteronrezeptor-positiven Frauen wurde mit den beiden Antikörpern eine pCR von 5,9% erreicht. Durch die Kombination von Docetaxel mit einem der beiden Antikörper 63,2 70 Abb. 1 pCR-Rate in der neoadjuvanten Therapie mit Trastuzumab, Pertuzumab und Docetaxel bei neu diagnostiziertem HER2-positivem Mammakarzinom (1) pCR, % ± 95 % Cl 60 36,8 50 40 30 Östrogen- oder Progesteronrezeptor-positiv Östrogen- oder Progesteronrezeptor-negativ 30,0 29,1 26,0 20,0 17,4 20 5,9 10 0 TH T = Docetaxel THP H = Trastuzumab HP P = Pertuzumab TP wurde die pCR-Rate um das Dreifache (Docetaxel/Pertuzumab: 17,4%) bzw. beinahe das Vierfache (Docetaxel/Trastuzumab: 20,0%) gesteigert (씰Abb. 1). Die NEOSPHERE-Studie bestätigt die Hypothese, dass die Blockade des HER2-Pathways ein wichtiger Ansatz zur Steigerung der pCRRate ist. Trotzdem ist eine Chemotherapie zum jetzigen Zeitpunkt weiter notwendig. Eiermann: „Heute fragen wir uns , welche Antikörper wir zur Chemotherapie geben, in einigen Jahren wird die Frage umgekehrt gestellt: Welche Chemotherapie können wir zu den Antikörpern geben.“ Taxane bleiben ein unentbehrlicher Partner. Für Docetaxel wurde gezeigt, dass es in diesen Regimen eine gut kombinierbare Substanz ist, so Eiermann. Überlebensvorteil für TAC-Regime bestätigt Auf dem SABCS wurden auch die 10-JahresDaten der BCIRG 001-Studie zur adjuvanten zytostatischen Behandlung des frühem Mammakarzinoms mit Lymphknotenbefall gezeigt (2). Die Studie verglich postoperativ die Kombinationen TAC (Docetaxel 75mg/m2; Doxorubicin 50mg/m2; Cyclophosphamid 500mg/m2) und FAC (Fluoruracil 500mg/m2; Doxorubicin 50mg/m2; Cyclophosphamid 500mg/m2) . Die Daten bestätigen die Überlegenheit des TAC-Regimes vs. FAC . So waren 62% der TACund 55% der FAC-Gruppe nach 10 Jahren krankheitsfrei (HR 0,80; p = 0,0043) und 76% (TAC) vs. 69% (FAC) der Patienten am Leben (HR 0,74; p = 0.002). Der Überlebensvorteil war unabhängig vom Hormonrezeptorstatus. Unerwartete Langzeitnebenwirkungen wurden nicht beobachtet. Dr. Alexander Kretzschmar, München Quelle: Presseroundtable „SABCS 2010 – Ein Update“ am 12. Januar 2011, München. Veranstalter: Sanofi-Aventis Deutschland, Berlin Literatur 1. Gianni L et al. 33. Annual San Antonio Breast Cancer Symposium (SABCS) vom 8.-12. Dezember 2010, San Antonio/USA, Abstract S3–2. 2. Martin M et al. 33. Annual San Antonio Breast Cancer Symposium (SABCS) vom 8.-12. Dezember 2010, San Antonio/USA, Abstract S4–3. Hinweis: Mit freundl. Unterstützung von Sanofi-Aventis Deutschland GmbH, Berlin. © Schattauer 2011 Onkologische Welt 1/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Kongressnachlese SABCS 2010 22 Finale Ergebnisse einer Deutschen Praxisstudie auf dem SABCS vorgestellt Ibandronat reduziert erfolgreich Schmerzen und erhält die Nierenfunktion Ibandronat (Bondronat®) führt bei Brustkrebs-Patienten mit Knochenmetastasen zu einer schnellen und andauernden Schmerzreduktion und bestätigt sein günstiges renales Verträglichkeitsprofil auch unter den Bedingungen der klinischen Praxis. Zu diesem Ergebnis kommt die finale Auswertung einer nicht-interventionellen Studie aus Deutschland (1). Diese mit 3515 Teilnehmern bislang größte Datenerhebung zu Ibandronat wurde auf dem 33. San Antonio Breast Cancer Symposiums (SABCS) Ende 2010 vorgestellt. Bisphosphonate gehören zur Standardtherapie bei Brustkrebspatienten mit Knochenmetastasen. Die renale Verträglichkeit gehört dabei zu den wichtigsten Parametern zur Bewertung der Nutzen-Risiko-Relation. Für Ibandronat sind in randomisierten, klinischen Studien nachhaltige positive Effekte auf Skelett-bezogene Ereignisse und Knochenschmerzen bei geringer Inzidenz renaler Nebenwirkungen dokumentiert. Dr. Marcus Schmidt, Universität Mainz, und Kollegen untersuchten Schmerzstärke, Analgetikaverbrauch und renale Verträglichkeit bei 3515 Patienten mit Brustkrebs und Knochenmetastasen in einer nicht-interventionellen Studie unter Alltags-Bedingungen (1). 92% der Patienten waren chirurgisch und 71% radiotherapeutisch vorbehandelt. Alle Studienteilnehmer erhielten über bis zu 24 Wochen Ibandronat in der Standard-Dosierung oral (50 mg/d) oder i.v. (6 mg /qw3 – 4). Bei 90% der Studienpopulation waren bislang noch keine Skelett-bezogene Ereignisse aufgetreten. Knochenschmerz-Stärke signifikant verringert Die finale Auswertung wurde anhand der Daten von 3515 klinisch evaluierten Patienten (mittleres Alter 63,6 Jahre) erstellt. Die Studienteilnehmer waren überwiegend nicht mit Bisphosphonaten vorbehandelt (n = 2320). 418 Patienten hatten zuvor Ibandronat oder weitere Bisphosphonaten (n = 777) – vor allem Zoledronat (n = 503, 14%) und Pamidronat (n = 256, 7%) – erhalten. „Mit über 3000 Patienten aus dem klinischen Alltag handelt es sich um die größte Studie zum Einsatz von Ibandronat“, erklärte Schmidt. Zu Beginn der Studie zeigte die Patientengruppe ohne vorherige Bisphosphonat-Therapie mit 3,2 den höchsten Schmerzwert auf einer visuellen Analogskala (VAS); gefolgt von der Gruppe, die zuvor mit anderen Bisphosphonaten als Ibandronat behandelt worden war (3,1). Die niedrigste Schmerzintensität wurde zu Beginn bei Patienten mit Ibandronat-Vorbehandlung gemessen (2,5); sie war signifikant niedriger als in den anderen Gruppen (p<0,0001). Insgesamt 16% der Studienteilnehmer waren zu Therapiebeginn schmerzfrei, am häufigsten (21%) in der Gruppe mit Ibandronat-Vorbehandlung. Unter den Bisphosphonat-naiven Patienten waren 16% schmerzfrei, unter den mit anderen Bisphosphonaten vorbehandelten Patienten 14%. Unter der Therapie mit Ibandronat wurde bei 64% der gesamten Studienpopulation eine Reduktion der Schmerzintensität erzielt, wobei die mittlere Schmerzintensität während des gesamten Beobachtungszeitraum kontinuierlich sank. Bei Patienten mit Schmerzen zur Baseline sank die mittlere Schmerzintensität auf der visuellen Analogskala im Laufe der Beobachtungszeit von 3,1 auf 2,3 (p<0,0001). Der zusätzliche Analgetika-Gebrauch konnte unter Ibandronat signifikant verringert werden: Bei insgesamt 57% der Patienten konnten die Analgetika am Ende der Studie vollständig abgesetzt werden vs. 54% zu Studienbeginn. Hinweise auf relevante Unterschiede in der Schmerzreduktion der beiden Ibandronat-Formulierungen wurden nicht gefunden. Verträglichkeit auf hohem Niveau Zu Studienbeginn bestanden zwischen den einzelnen Gruppen deutliche Unterschiede im Hinblick auf die renale Funktion: Die mittlere Kreatinin-Clearance war bei Patienten mit Zoledronat-Vortherapie mit 72,4 ml/min zu Therapiebeginn signifikant niedriger als bei Bisphosphonat-naiven Patienten (79,5 ml/min, p<0,0001) bzw. Patienten, die mit Ibandronat vorbehandelt waren (77,8 ml/min; p = 0,0090). Unter der Behandlung mit Ibandronat blieb die Nierenfunktion unabhängig von der Bisphosphonat-Vorbehandlung über den Beobachtungszeitraum in allen Subgruppen stabil. Skelett-bezogene Ereignisse waren mit 7% selten, schwere renale Nebenwirkungen traten nicht auf. Beide Ibandronat-Formulierungen wurden als verträglich bewertet. „Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die analgetische Wirksamkeit und das renale Verträglichkeitsprofil von Ibandronat aus Phase-III-Studien Transfers auf die klinische Routine unter realen Bedingungen zulassen“, interpretierte Schmidt die vorliegenden Daten. 11% der Studienteilnehmer brachen die Studie vorzeitig ab, vor allem wegen Tumor-assoziiertem Versterben (36%) oder Krankheitsprogression (33%). Rücknahme der Teilnahmeerlaubnis (15%) und unerwünschte Nebenwirkungen (7%) waren weitere Gründe. Dr. Alexander Kretzschmar Quelle: 33. Annual San Antonio Breast Cancer Symposium (SABCS) vom 8.-12. Dezember 2010, San Antonio/USA Literatur 1. Schmidt M et al. Ibandronate shows merked pain relief and a favorable renal safety profile – final results of a large-scale non interventional study in breast cancer patients with metatstatic bone disease. Abstract P1–13–02. Hinweis: Mit freundl. Unterstützung der Roche Pharma AG, Grenzach-Whylen. Onkologische Welt 1/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Neuro-Onkologie © Schattauer 2011 Hirnmetastasen Veränderte Therapieeinstellung M. Nadji-Ohl Neurozentrum, Neurochirurgische Klinik,Katharinenhospital, Stuttgart Schlüsselwörter Keywords Hirnmetastasen, Neurochirurgie, Strahlentherapie, Neuroradiologie Brain metastases, neurosurgery, radiotherapy, neuroradiology Zusammenfassung Summary Eine adäquate und zeitgerechte Behandlung von Hirnmetastasen setzt eine intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener Fachrichtungen wie Onkologie, Strahlentherapie, Neurochirurgie und Neuroradiologie voraus. Nur so können individuelle Behandlungswege geplant und durchgeführt werden. Die Fortschritte in der Behandlung verschiedener Krebserkrankungen hat einerseits erfreulicherweise zu einer Zunahme der mittleren Überlebenszeit der Betroffenen geführt, konfrontiert uns aber zunehmend mit dem Problem einer zerebralen Metastasierung. Auch wenn es zum Routineprogramm der Krebsnachsorge gehört, in bestimmten Abständen eine Ganzkörperuntersuchung durchzuführen, ist die routinemäßige Untersuchung des Kopfes leider nicht in das Nachsorgeprogramm mit einbezogen. Diese Lücken müssen in naher Zukunft geschlossen werden, da moderne Therapieverfahren durchaus zu einer Verbesserung der Gesamtüberlebenszeit und Lebensqualität führen können. The appropriate and timely care for metastases of the brain presumes an intensive interdisciplinary collaboration of different fields like oncology, radiotherapy, neurosurgery and neuroradiology, thus only individual care plans can be planned and executed. Progress in care for different types of cancer has resulted in an increase of the mean survival time but is confronting us with an increasing problem of cerebral metastases. Even though whole body examination in a defined interval is a routine program in follow-up care in cancer treatment, a routine examination of the head is not part of this program. This gap must be closed in the near future, because new and modern therapies indeed enhance overall survival time and quality of life. Dies führt zu einer veränderten Therapieeinstellung gegenüber dieser gefürchteten Tumorkomplikation in den vergangenen zwei Jahrzehnten. Häufigkeit Am häufigsten kommen Metastasen bei folgenden Primär-Tumoren vor ● Lungenkarzinom 40–60% ● Mammakarzinom 20% ● Malignes Melanom 10–15% ● Urogenital-Tumoren 5% ● Gastrointestinal-Tumoren 5% ● Gynäkologische Tumoren 5% ● Seltene Tumorarten wie Sarkome, Kopfund Halstumore, Schilddrüsen Karzinom und andere Mehr als 20% aller Patienten mit einem Malignom entwickeln im Verlauf Hirnmetastasen. In 10–20% aller Fälle ist zum Zeitpunkt der Diagnosestellung der Primär-Tumor nicht bekannt. Bei 5% der Patienten bleibt trotz intensiver diagnostischer Verfahren der Primär-Tumor unerkannt. Absiedlungsart Korrespondenzadresse OÄ Minou Nadji-Ohl Neurozentrum Neurochirurgische Klinik, Klinikum Stuttgart Katharinenhospital Haus E Kriegsbergstraße 60 70174 Stuttgart E-Mail: [email protected] Brain metastases – change in therapeutic views Onkologische Welt 2011; 2: 23–26 Metastasen machen zirka 30% aller Hirntumoren aus und sind somit die häufigste im Gehirn vorkommende Tumorart. In den vergangenen Jahrzehnten werden Hirnmetastasen mit zunehmender Häufigkeit diagnostiziert. Hierfür gibt es mehrere Gründe ● ● ● Verbesserte diagnostische Verfahren wie zum Beispiel die Kernspintomographie. Wirkungsvollere therapeutische Kontrolle des Primärtumors Veränderungen in der Alterspyramide mit Zunahme der Tumorerkrankungen im höheren Lebensalter Hirnmetastasen können einzeln oder multiple vorkommen. Wenn es sich bei einer einzelnen Hirnmetastase um die einzige Tumorabsiedlung der Grunderkrankung handelt, wird sie als „Solitär“ bezeichnet. Im Falle eines weiteren Organbefalls wird von einer „singulären“ Metastase gesprochen. Bei Befall der Hirnhäute entlang des Gehirns und/oder des Rückenmarkes handelt es sich um eine „Meningeosis carcinomatosa“. Auch der knöcherne Schädel kann von Metastasen befallen sein, häufig ist in diesen Fällen die harte Hirnhaut (Dura) mit betroffen (씰Abb. 1). Onkologische Welt 1/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 23 24 M. Nadji-Ohl: Hirnmetastasen – veränderte Therapieeinstellung Abb. 1 Multiple Metastasen (links); solitäre Metastase (Mitte); Metastase mit Infiltration des Knochens und der Dura (rechts) Symptomatik Therapieformen Je nach Lokalisation treten unterschiedliche klinische Bilder auf ● Kopfschmerzen 50% ● Fokal neurologische Ausfälle (Lähmungen, Sehstörungen, Sprachstörungen) 50% ● Psychische Veränderungen (Hirnorganisches Psychosyndrom) 30% ● Krampfanfälle 15–20% ● Gangstörungen, Schwindel, Doppelbilder ● Hirnnervenlähmungen ● Hirndruckzeichen Supportive Therapie Mediane Überlebenszeit Die mediane Überlebenszeit beträgt nach Diagnosestellung und ohne Therapie 1–3 Monate. Grund hierfür ist die besondere Situation des Gehirns welches vom knöchernen Schädel umgeben ist. Jeder zusätzliche raumfordernde Prozess im Schädelinneren führt unweigerlich zu einem Druckanstieg der letztlich lebensbedrohlich und limitierend wirken kann. Bei symptomatischer Behandlung mit Steroiden (Cortisonpräparate) beträgt die mediane Überlebenszeit etwa 2 Monate. Eine Ganzhirnbestrahlung führt in rund 70% der Fälle zu einer Verbesserung der neurologischen Symptomatik und einer medianen Lebensverlängerung von 3–6 Monaten. Durch die Resektion von singulären Metastasen mit anschließender Ganzhirnbestrahlung verbessert sich die mediane Überlebenszeit um weitere 6–9 Monate. Die wichtigste supportive Maßnahme ist die Bekämpfung des Hirnödems und des gesteigerten intrakraniellen Druckes, der letztlich limitierend werden kann sowie die Kontrolle symptomatischer epileptischer Anfälle. In der Umgebung eines raumfordernden Prozesses im Gehirn entwickelt sich häufig ein Ödem. Bedingt durch eine veränderte Durchlässigkeit der Gehirngefäße kommt es zu einer vermehrten Flüssigkeitsablagerung im Hirngewebe. Durch die Gabe von Dexamethason, einem Kortisonpräparat kann das Ödem wieder abnehmen. Schon durch diese Maßnahme bildet sich häufig die neurologische Symptomatik zurück, speziell dann wenn funktionell wichtige Hirnareale betroffen sind. Epileptische Anfälle werden mit krampfhemmenden Medikamenten (Antikonvulsiva) behandelt. Des weiteren gehört zur symptomatischen Therapie eine ausreichende Analgetikagabe bei Kopfschmerzen und Antiemetika zur Bekämpfung von Übelkeit und Erbrechen. Neurochirurgische Therapie Die Operation hat mittlerweile in der Therapie von Hirnmetastasen einen sicheren Stellenwert. Durch Resektion großer symptomatischer Metastasen kann eine Verbesserung der neurologischen Symptomatik und somit der Lebensqualität erreicht werden. 2 von 3 randomisierten Studien kommen zu dem Schluss ,dass die Resektion von singulären oder solitären Metastasen gefolgt von einer Ganzhirnbestrahlung der alleinigen Ganzhirnbestrahlung bezüglich der Überlebenszeit überlegen ist (1-3). Eine Indikation zur Operation kann gestellt werden ● Zur histologischen Diagnosesicherung ● Verbesserung der klinischen Symptomatik ● Verlängerung der medianen Überlebenszeit ● Als unterstützende Maßnahme um andere Therapien zu ermöglichen ● Abwendung einer akuten Lebensgefahr bei Liquoraufstau Da auch bei bekanntem Tumorleiden bei Nachweis einer singulären zerebralen Raumforderung es sich in 10% um Tumoren anderer Genese handeln kann, sollte die histologische Diagnosesicherung angestrebt werden, da andere therapeutische Konsequenzen sich ergeben können. Bei kleinen tief gelegenen Läsionen wird eine stereotaktische Gewebsentnahme indiziert. Bei oberflächennahen, kortikalen Prozessen kann die offene navigationsgestützte Biopsie durchgeführt werden. Eine Resektion sollte in folgenden Fällen angestrebt werden ● Singuläre oder solitäre Metastase ● Guter Allgemeinzustand (Karnofsky Performance Score >70%) ● Geringes neurologisches Defizit ● Keine oder stabile (>3Monate) extrakranielle Tumormanifestation ● Strahlenresistenter Tumor ● Unbekannter Primär-Tumor ● Operativ gut erreichbarer Tumor ● Raumfordernde Läsion (>3cm) Auch bei das Vorliegen von 3–4 Metastasen kann eine Operation indiziert sein, wenn die Läsionen operativ gut erreichbar und das Risiko einer postoperativen neurologischen Verschlechterung gering einzuschätzen ist. Die Neuronavigation erlaubt neben einer individuellen Zugangsplanung die Durchführung von sehr kleinen Kraniotomien, die somit eine rasche Wundheilung und eine zeitnahe adjuvante Weiterbehandlung ermöglichen. Das Wachstum von Hirnmetastasen in den Hirnkammern oder deren unmittelba- Onkologische Welt 1/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 25 ren Umgebung kann zu einer Ablaufbehinderung von Hirnwasser führen. In diesen Fällen sprechen wir von einem akuten Hydrocephalus. Hier kann mit minimal invasiven Techniken wie zum Beispiel einer endoskopischen Ventrikulostomie geholfen werden (씰Abb. 2). Mit dieser Methode wird endoskopisch ein Umgehungsweg für das Hirnwasser geschaffen. Die Implantation eines permanenten Ableitungssystems (ventrikulo-peritonealer Shunt) welcher mit dem Risiko einer Streuung und Absiedelung von Tumorzellen in die Bauchhöhle behaftet ist, kann somit umgangen werden. Die Implantation eines Reservoirs erlaubt die intrathekale Verabreichung von Chemotherapeutika. Hierbei wird ein kleiner kissenförmiger Kunststoffbehälter unter der Kopfhaut platziert, der über einen kleinen Katheter mit der Hirnkammer in Verbindung steht (씰Abb. 3). Bei einzelnen Patienten kommt auch eine Rezidivoperation infrage, dies wird hauptsächlich in Abhängigkeit von Allgemeinzustand und Gesamtprognose der Grunderkrankung sowie noch möglichen zu Verfügung stehenden therapeutischen Optionen indiziert. Bei Vorliegen eines kleinzelligen Bronchialkarzinoms, Lymphomen oder Germinomen ist eine Operation nicht indiziert, da es sich in diesen Fällen um Radio-und Chemosensitive Tumorarten handelt. Strahlentherapie Da der Nachweis einer singulären Hirnmetastase die grundsätzliche Fähigkeit des Primärtumors zu Metastasierung belegt, muss angenommen werden, dass bei Nachweis einer Hirnmetastase bereits eine Streuung in das Gehirn stattgefunden hat und mikroskopisch kleine Absiedlungen, die mittels der heutigen Verfahren nicht dargestellt werden können vorliegen. Daher etablierte sich die Ganzhirnbestrahlung als Standardtherapie (4). Insgesamt werden 30–40 Gy in unterschiedlicher Fraktionierung verabreicht. Kriterien für die primäre Strahlentherapie in Form einer Ganzhirnbestrahlung sind ● Schlechter Allgemeinzustand ● Alter >70 J ● Fortgeschrittenes Krankheitsstadium © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 26 M. Nadji-Ohl: Hirnmetastasen – veränderte Therapieeinstellung mit einer Strahlentherapie eingesetzt werden. Dies ist abhängig von der Tumorart. Behandlung im Rezidiv Die Therapie im Rezidiv oder bei Progress unter der laufenden Behandlung hängt im wesentlichen von dem Allgemeinzustand des Patienten und der Gesamtprognose der Grunderkrankung ab. Hierzu gibt es keine einheitliche Richtlinien und nur wenige Studien, sodass im Einzelfall individuell entschieden werden muss. Abb. 2 Endoskopischen Ventrikulostomie ● ● ● ● Multipler Organbefall Eingeschränkter Gesamtprognose, Lebenserwartung <3 Monaten Solitäre oder singuläre Metastase, die aufgrund der Lokalisation nicht reseziert werden kann Multiple Metastasen Radiochirurgie Mit der Einführung der Radiochirurgie (stereotaktische Einzelbestrahlung mit dem Gammaknife oder Linearbeschleuni- ger) haben sich die Behandlungsmöglichkeiten bei Hirnmetastasen erweitert. Sie eignet sich als minimalinvasive ambulante Therapie für Patienten mit kleinen solitärer oder multiplen Metastasen. Insbesondere beim multiplen Befall ist sie eine gute alternative zur mikrochirurgischen Resektion. Sie wirkt sowohl bei strahlensensitiven als auch strahlenresistenten Tumorarten (5). Die Radiochirurgie wird bei Läsionen mit einem Durchmesser <3cm angewandt, sie kann auch im Rezidivfall eingesetzt werden. Die lokale Kontrolle liegt bei 70–90%. Eine randomisierte Vergleichsstudie zeigt, dass das Ansprechen auf die Ganzhirnbestrahlung bei multiplen Metastasen kürzer andauert und das die lokale Kontrolle bei zusätzlicher Radiochirurgie besser war (6). Die Radiochirurgie ist die Therapie der Wahl bei Metastasen im Hirnstamm. Chemotherapie Abb. 3 Implantation eines Reservoirs – ein kleiner kissenförmiger Kunststoffbehälter wird unter der Kopfhaut platziert, der über einen kleinen Katheter mit der Hirnkammer in Verbindung steht. Die Chemotherapie spielt in Behandlung von cerebralen Metastasen eine untergeordnete Rolle unter anderem weil oft ein primär chemoresistenter Tumor vorliegt, wie zum Beispiel Nierenzellkarzinom, Melanom, Gastrointestinale Tumoren. Es werden die Chemotherapieprotokolle eingesetzt, die auch bei der Behandlung anderer Organmetastasen Anwendung finden. Die Chemotherapie kann als alleinige Therapiemodalität oder in Kombination Nachsorge MRT Verlaufskontrollen sollten alle 3 Monate erfolgen. Die Indikation zur Gabe von Steroiden und Antikonvulsiva sollte regelmäßig überprüft werden. Nach Strahlentherapie kann es zu einer Hypophyseninsuffizienz kommen, entsprechende Symptome müssen beachtet werden. Literatur 1. Patchell et al. A randomized trial of surgery in the treatment of single metastases to the brain. N Engl J Med 1990; 322: 494-500. 2. Vech et al. Postoperative radiotherapy in the treatment of single metastases to the brain JAMA 1999; 17: 1485-1489. 3. Vecht CJ et al. Treatment of single brain metastasis: Radiotherapy alone or combined with neurosurgery? Ann Neurol 1993; 33: 583-590. 4. Khunita D et al. Whole brain radiotherapy in the management of brain metastasis J Clin Oncol 2006; 24: 1295-1304. 5. Fuentes R, Bonfill X, Exposito J. Surgery versus radiosurgery for patients with a solitary metastasis from non small cell lung cancer. Cochrane Database Syst Rev 2006; 1 CD 004840. 6. Kondziolka D et al. Stereotactic radiosurgery plus whole brain radiotherapy versus radiotherapy alone for patients with multiple brain metastases. Int J Radiat Oncol Biol Phys 1999; 45: 427-434. Onkologische Welt 1/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Neuro-Onkologie © Schattauer 2011 Therapie maligner Gliome Aktuelle Konzepte F. Schmidt-Graf Neurologische Klinik, Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München Schlüsselwörter Keywords Glioblastom, maligne Gliome, Therapie Glioblastoma, glioma, therapy Zusammenfassung Summary In der Behandlung maligner Gliome hat sich in den letzten Jahren viel getan, therapeutischer Nihilismus ist nicht mehr angesagt. Die Standardtherapie besteht aus Operation, gefolgt von kombinierter Radiochemotherapie und Chemotherapie bei WHO-Grad-IV-Gliomen, bei WHO-Grad-III-Tumoren kommen Strahlentherapie oder Chemotherapie bei der Erstdiagnose zum Einsatz. Eine besondere Situation stellt sich bei älteren Patienten, die eine schlechtere Prognose und Ansprechen auf die Therapie zeigen. Beim Rezidiv maligner Gliome sollte individuell entschieden werden, es stehen zunehmend mehr Therapiealternativen zur Verfügung. Auch die symptomatische und supportive Therapie sollten nicht vernachlässigt werden und, gleich in welchem Krankheitsstadium, antiepileptische Medikation, Ödembehandlung und Thrombosenprophylaxe bzw. -therapie überdacht und optimiert werden. Therapy of malignant glioma has changed and developed further in the last years. Standard therapy consists of operation with consecutively radiochemotherapy and chemotherapy in WHO grade IV glioma, and either radiotherapy or chemotherapy in grade III glioma. Older patients, who have a worse prognosis, should be considered separately. In case of recurrent disease, further therapy should be discussed individually with more and more therapeutically options. Symptomatic and supportive treatment must not be neglected and should be always reconsidered and optimized. Korrespondenzadresse Priv.-Doz. Dr. Friederike Schmidt-Graf Neurologische Klinik, Klinikum rechts der Isar Technische Universität München Ismaningerstr. 22, 81675 München Tel. 089/4140–4606, Fax –4867 [email protected] Management of malignant glioma – current concepts Onkologische Welt 2011; 2: 27–30 Nachdruck aus: Nervenheilkunde 2010; 29: 815–819 Glioblastome stellen mit Abstand den größten Anteil der primären Hirntumore dar (씰Abb. 1), gefolgt von den anaplastischen Gliomen (WHO III°). Die Prognose der malignen Gliome ist immer noch relativ schlecht und bewegt sich zwischen Monaten und Jahren, jedoch hat sich in den letzten Jahren aufgrund intensivierter Therapien und Studien viel verändert. Auch die Überlebensraten nach mehreren Jahren sind deutlich gestiegen. Zunehmend hat sich gezeigt, dass kein therapeutischer Nihilismus an den Tag gelegt werden sollte, sondern es sich meist lange lohnt, nach Therapiemöglichkeiten zu suchen und diese zu optimieren. Bei jeder bildgebend nachgewiesenen zerebralen Raumforderung mit Verdacht auf ein Gliom sollte unbedingt eine histologische Diagnosesicherung nach der aktuellen WHO-Klassifikation von 2007 (12) durch eine Biopsie oder Operation angestrebt wer- den. Nur so können Patient und Angehörige wirklich umfassend beraten und über das weitere Prozedere entschieden werden. Eine operative Intervention, insbesondere eine Biopsie, stellt heutzutage keinen großen Eingriff mit langem Krankenhausaufenthalt mehr dar. Weiterhin gilt jedoch bei Gliomen, dass die Vermeidung neuer permanenter neurologischer Defizite bei der Operationsplanung gegenüber operativer Radikalität Vorrang haben sollte. Hohes Alter und ein niedriger Karnofsky-Index sind negative prognostische Faktoren, weshalb bei diesen Patientengruppen meist nur eine Biopsie durchgeführt werden sollte. Nach einer Resektion oder Teilresektion wird innerhalb von 48 bis 72 Stunden eine Kernspintomografie mit Kontrastmittel durchgeführt, welche als Ausgangsbefund für weitere Kontrollen dient. Lange war die Frage des Nutzens der OPRadikalität – wenn ohne neues neurologisches Defizit machbar – umstritten. Spätestens seit der Studie von Stummer und Kollegen (18) mit fluoreszenzgestützter Operation mit 5-Aminolävulinsäure (5-ALA) ist nachgewiesen, dass durch 5-ALA die Rate kompletter Resektionen verbessert (65 vs. 36%) und damit die Rate der Progressionsfreiheit nach sechs Monaten erhöht werden kann (41 vs. 21%). Seitdem wird 5-ALA zur Operation bei Verdacht auf ein malignes Gliom regelmäßig eingesetzt. Nach der operativen Sicherung der histologischen Diagnose kommen bei der Therapie maligner Gliome Strahlentherapie und/oder Chemotherapie in Frage: Die Strahlentherapie erfolgt im Bereich der erweiterten Tumorregion mit normalerweise 60 Gy Gesamtdosis. Eine hypofraktionierte Bestrahlung kann eventuell bei älteren Patienten oder Patienten mit schlechtem Karnofsky-Index sinnvoll sein. Eine Chemotherapie ist meist recht gut verträglich und wird insbesondere bei jüngeren Patienten und gutem Karnofsky-Index (Patienten mit besserer Prognose, mit Risiko von kognitiven Onkologische Welt 1/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 27 28 F. Schmidt-Graf: Therapie maligner Gliome Langzeitnebenwirkungen nach Bestrahlung) diskutiert, zunehmend aber aufgrund der meist guten Verträglichkeit und der Möglichkeit der ambulanten Einnahme zu Hause auch bei älteren Patienten überlegt. Wichtig sind begleitend regelmäßige Blutbildkontrollen und meist der Einsatz einer antiemetischen Prophylaxe bzw. Therapie mit Metoclopramid oder bei nicht ausreichender Wirkung frühzeitig Umstellung auf einen 5-HT3-Rezeptorantagonisten. Therapeutisches Vorgehen Abb. 1 Kranielles MRT (T1 mit Kontrastmittel) einer Patientin mit Glioblastom. Glioblastom Die Standardtherapie beim Glioblastom besteht prinzipiell aus Operation (Resektion oder Biopsie), Strahlentherapie und Chemotherapie. Seit der EORTC-Studie 26981 (19) wird der Operation nachfolgend die Radiochemotherapie mit Temozolomid und anschließend die Chemotherapie mit Temozolomid in veränderter Dosierung durchgeführt. Wirkmechanismus von Temozolomid ist eine DNA-Methylierung. Temozolomid hat neben der nachgewiesenen Wirksamkeit die Vorteile einer guten Verträglichkeit, oraler Einnahmemöglichkeit, eine Bioverfügbarkeit von nahezu 100% mit nur geringer Proteinbindung, sodass die Beeinflussung der Pharmakokinetik anderer Medikamente unwahrscheinlich und zu vernachlässigen ist. Die Einnahme erfolgt analog der EORTCStudie während der Strahlentherapie in einer Dosierung von 75 mg/m2 durchgehend über ca. sechs Wochen und anschließend nach vier Wochen über sechs Zyklen an jeweils fünf von 28 Tagen in einer Dosierung von 150 mg/m2 bzw. bei guter Verträglichkeit und regelrechtem Blutbild 200 mg/m2. Im Rahmen der EORTC-Studie wurden ein medianes progressionsfreies Überleben von 6,9 Monaten gegenüber 5,0 Monaten bei alleiniger Strahlentherapie und ein medianes Gesamtüberleben von 14,6 Monaten gegenüber 12,1 Monaten erreicht. Dabei konnte erstmals bei Glioblastompatienten gezeigt werden, dass es aufgrund eines molekularen Markers unterschiedliche Prognosen gibt: MGMT (O6-Methylguanin-Methyltransferase), ein DNA-Reparaturenzym, das die Wirkung von Alkyl- anzien aufhebt bzw. abschwächt, wird durch Methylierung der Promotorregion „ausgeschaltet“. Vor allem Patienten mit Glioblastom, die eine Methylierung des MGMT-Gens im Tumor aufwiesen, profitierten von Temozolomid (8). Auch eine aktuelle Auswertung der verbliebenen Patienten (20) konnte den Vorteil der kombinierten Therapie mit Temozolomid weiter bekräftigen: Nach zwei Jahren lebten 27,2% (10,8% bei alleiniger Strahlentherapie), nach drei Jahren 16,4% (4,4%) und nach vier Jahren noch 12,1% (3,0%) der Glioblastom-Patienten. Zusätzlich zeigte sich, dass die älteren Patienten in der Studienpopulation (65 bis 70 Jahre) auch von der kombinierten Therapie profitieren, was bislang umstritten war; allerdings ohne Signifikanz, da die Patientenzahlen in der verbleibenden Population zu gering waren. Auch profitierten Patienten mit nicht methyliertem MGMT-Status von der kombinierten Therapie, was initial in Frage gestellt werden musste, sodass künftig bei (noch) fehlenden Alternativen außerhalb von Studien diesen Patienten die kombinierte Therapie nicht vorenthalten werden darf. Der genaue Hintergrund bei Patienten mit nicht methyliertem MGMTStatus bleibt letztendlich bislang unklar. Anaplastische Gliome (WHO III°) schließender Strahlentherapie der erweiterten Tumorregion (11). An der Wirksamkeit einer Chemotherapie bestand wenig Zweifel, jedoch blieb der optimale Zeitpunkt (Primär- oder Rezidivtherapie) ungewiss. Eine ähnlich gute Wirksamkeit von Chemotherapie und Strahlentherapie in der Primärsituation bei anaplastischen Tumoren mit oligodendroglialem Anteil wurde bereits vermutet, wobei den Tumoren mit oligodendroglialem Anteil ohnehin eine bessere Prognose zugeschrieben wird (21). Zur Untersuchung von Wirksamkeit und Sicherheit der primären Chemotherapie mit PCV (Procarbazin, CCNU, Vincristin) oder mit Temozolomid mit nachfolgender Strahlentherapie bei Progress im Vergleich mit primärer Strahlentherapie gefolgt von einer der beiden Chemotherapien bei Progress wurde die NOA-04-Studie bei Patienten mit anaplastischen Gliomen durchgeführt (24). Die mittlere Zeit bis zum Therapieversagen (Zeit bis zum Progress nach Einsatz beider Therapieformen), progressionsfreies Überleben mit der ersten Therapie und das Gesamtüberleben unterschieden sich bei beiden Therapiearmen nicht signifikant. Bei den Chemotherapien war bei gleicher Wirksamkeit Temozolomid besser verträglich. Auch in dieser Studie konnte gezeigt werden, dass bei Patienten mit methyliertem MGMT die Prognose günstiger ist, überraschenderweise auch bei den primär nur bestrahlten Patienten. Weitere prognostisch günstige Faktoren waren Mutationen des „neuen“ Markers IDH-1 (Isozitratdehydrogenase-1), 1p/19q-Deletion und Ausmaß der Resektion. Anaplastische Oligodendrogliome und Oligoastrozytome hatten die gleiche, deutlich günstigere Prognose als anaplastische Astrozytome. Bei anaplastischen Gliomen kann also in Zukunft als Standard primär nur die Strahlentherapie oder alternativ mit gleicher Wirksamkeit die Chemotherapie (wobei aufgrund der besseren Verträglichkeit Temozolomid gegenüber PCV der Vorzug zu geben ist) eingesetzt werden. Der Stellenwert kombinierter Radiochemotherapie ist bei anaplastischen Gliomen nicht gesichert und deshalb nicht indiziert, dies ist Gegenstand weiterer Studien. Die Standardtherapie bei anaplastischen Gliomen war bislang die Operation mit an- Onkologische Welt 1/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. F. Schmidt-Graf: Therapie maligner Gliome Ältere Patienten (Gliome III° und IV°) Ältere Patienten machen einen besonders hohen Anteil bei Patienten mit malignen Gliomen aus und haben eine besonders schlechte Prognose, häufig nur im Bereich von Monaten. Bei älteren Patienten und Patienten mit schlechter Prognose wird häufiger eine hypofraktionierte Bestrahlung eingesetzt. Dass die Strahlentherapie wirksam ist, konnte gezeigt werden (9), jedoch wird sie insbesondere wegen kognitiver Nebenwirkungen im längeren Verlauf kontrovers diskutiert. In der NOA-08-Studie (Methusalem-Studie) wurde nun die konventionelle Strahlentherapie (60 Gy, 1,8 bis 2 GyFraktionen) mit Temozolomid-Chemotherapie in dosisintensiviertem Schema (7/14 Tage, wöchentlich alternierende Gabe) bei Patienten über 65 Jahren mit Glioblastom oder anaplastischem Astrozytom verglichen. Hierbei fand sich bei primärer Strahlentherapie eine signifikant bessere Einjahres-Überlebensrate mit 38% als bei der primären Temozolomid-Chemotherapie (30%) bei schlechterer Verträglichkeit der Chemotherapie (25). In einer anderen Studie (Nordic Brain Tumor Trial) wurde konventionell fraktionierte Strahlentherapie mit hypofraktionierter Bestrahlung (10 x 3,4 Gy) und mit Temozolomid im konventionellen Schema (5/28 Tage) bei Glioblastompatienten über 60 Jahre verglichen: Die medianen Überlebenszeiten betrugen sechs, 7,5 und acht Monate, ohne Signifikanz (13). Die ausführlichen Publikationen mit genaueren Analysen z. B. MGMT-Status oder Rezidivtherapie stehen noch aus. Rezidivtherapie Die Rezidivtherapie ist grundsätzlich abhängig von der erfolgten Primärtherapie (mittlerweile hatten nahezu alle Patienten in der Primärtherapie bereits Temozolomid im Standardschema), topografischem Muster des Rezidivs (lokal begrenzt, andere Lokalisation, multilokulär), bestehender Knochenmarksreserve, Allgemeinzustand des Patienten und natürlich dem Patienten- und Angehörigenwunsch. Mögliche Optionen der tumorspezifischen Therapie, die individuell diskutiert werden müssen, sind erneute Operation, (erneute) Bestrah- lung, (erneute) Chemotherapie mit Temozolomid oder den „klassischen“ Alkylanzien (ACNU, CCNU, PC), Einsatz von „experimentellen“ Substanzen oder die Palliation mit alleiniger symptomatischer und supportiver Therapie. Bei Einsatz von Temozolomid kommen dosisintensivierte Protokolle (z. B. 7/14 Tage, wöchentlich alternierend, Dosis 100 bis 150 mg/m2 (22); 21/28 Tage, Dosis 75 bis 100 mg/ m2 (3); durchgehend 50 mg/ m2 (15)) in Frage mit der Vorstellung einer länger anhaltenden MGMT-Depletion. Der Vergleich unterschiedlicher Temozolomid-Schemata ist derzeit Gegenstand von Studien. Zu beachten ist bei diesen Einnahmeschemata immer das erhöhte Risiko relevanter Myelosuppression und die eventuelle zusätzliche Einschränkung der Lebensqualität durch die häufigere Einnahme. Alternativ bzw. beim erneuten Rezidiv werden die Nitrosoharnstoffe CCNU oder ACNU eingesetzt, allerdings mit sehr eingeschränkter Wirksamkeit und ausgeprägter Hämatotoxizität (7), sodass diese Substanzen, zumal in Anbetracht wachsender Alternativen, vermutlich eine zunehmend geringere Rolle spielen werden. Bei den „experimentellen“ Substanzen kommen z. B. Bevacizumab (6, 10), Cediranib (2), Cilengitide (16), Enzastaurin und andere Kinaseinhibitoren (5) mit unterschiedlichem Erfolg zum Einsatz. Allerdings stellt die fehlende bzw. abgelehnte (Bevacizumab in Deutschland) Zulassung häufig eine Schwierigkeit dar. Auch werden einige dieser Substanzen derzeit in der Primärtherapie getestet, sodass sich bei Therapie-Erfolg eventuell wieder ganz neue Vorgehensweisen entwickeln werden. Inwieweit andere Behandlungsansätze z. B. die lokale Therapie oder immunologische Verfahren zum durchschlagenden Erfolg führen, bleibt abzuwarten. Symptomatische und supportive Therapie Antiepileptische Therapie Da epileptische Anfälle bei Patienten mit Gliomen häufig auftreten und zur zusätzlichen Verunsicherung von Patient und Angehörigen sowie oft zu (unnötigen) Kran- kenhausaufenthalten führen, ist die Frage der Therapie wichtig. Eine Primärprophylaxe ist aber dennoch nicht indiziert oder sinnvoll. Nach einem einzelnen präoperativen Anfall ist die pragmatische Empfehlung, keine antiepileptische Medikation zu beginnen oder eine begonnene perioperative Medikation nach makroskopischer Komplettresektion langsam auszuschleichen. Ansonsten sollte über die weitere antiepileptische Medikation in Abwägung von Anfallsrisiko und Nebenwirkungsrisiko entschieden werden. Bei mehreren stattgehabten Anfällen, insbesondere postoperativ, ist eine antiepileptische Therapie obligatorisch. Bei der Wahl des Antiepileptikums ist außer individuellen Gesichtspunkten und Verträglichkeit die Interaktion mit CYTP450-induzierenden Substanzen durch enzyminduzierende Antiepileptika (EIAEDs) (Carbamazepin, Phenytoin) zu beachten, da es hierdurch zu verminderten Plasmaspiegeln von Chemotherapeutika als auch zur verkürzten Halbwertszeit von Dexamethason kommen kann. Mittel der ersten Wahl ist meist Levetiracetam, da es verschiedene Vorteile besitzt: keine bekannten Interaktionen, gute Verträglichkeit (cave: psychische und psychiatrische Nebenwirkungen!), schnelle Aufdosierung, oral und intravenös einsetzbar. Antiödematöse Therapie Maligne Gliome werden im Gegensatz zu gutartigen zerebralen Raumforderungen häufig von einem Ödem begleitet, insbesondere bei zunehmendem Wachstum. Eine Rolle bei der Entstehung spielt vermutlich VEGF (vascular endothelial growth factor). Grundsätzlich sprechen zerebrale Ödeme gut auf Kortikosteroide an, weshalb meist Dexamethason eingesetzt wird. Dieses sollte je nach Dosis und Klinik 1– bis 4-mal täglich gegeben werden, bei einmal täglicher Gabe mit morgendlicher Einnahme. Hohe Dosen von Steroiden sollten in der Akutsituation bei drohender Einklemmung oder rascher klinischer Verschlechterung eingesetzt werden. Bei der häufig sinnvollen perioperativen Gabe sollte je nach klinischer Symptomatik zügig eine Reduktion bzw. Ausschleichen der Ste- © Schattauer 2011 Onkologische Welt 1/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 29 30 F. Schmidt-Graf: Therapie maligner Gliome roiddosis postoperativ erfolgen. Allgemein sollte für die Steroidgabe der Satz „so wenig wie möglich, soviel wie nötig“ gelten, um eine optimale Wirkung bei möglichst wenig oder keinen Nebenwirkungen zu erzielen. Nebenwirkungen einer längerfristigen Steroidgabe mindern fast immer die Lebensqualität der Patienten und sollten bei der Betreuung von Gliompatienten stets beachtet und die Steroiddosis überdacht werden. Bei der regelmäßigen Betreuung der Patienten sollte die Steroiddosis aufgrund der klinischen Symptomatik und Ansprechen gewählt und nicht allein Ödeme auf MRT-Bildern (ohne klinisches Korrelat) behandelt werden. Ergänzend bzw. auf Wunsch mancher Patienten kommt selten der Einsatz von Boswelliasäuren in der antiödematösen Therapie in Frage (23). Dies kann manchmal einen Teil der Kortisondosis ersetzen, ist aber keine grundsätzliche Alternative zur Steroidgabe in der antiödematösen Therapie, insbesondere nicht im Akutfall. Passend zur pathophysiologischen Vorstellung, dass VEGF eine Rolle bei der Ödementstehung spielt, scheint auch Bevacizumab als VEGF-Antikörper eine gute antiödematöse Wirkung zu haben. Bei der tumorspezifischen Therapie mit Bevacizumab kann insofern häufig im Therapieverlauf die Kortisondosis reduziert werden. Der alleinige Einsatz von Bevacizumab mit dem Ziel der antiödematösen Therapie als Steroidalternative ist schon allein aus finanziellen Gesichtspunkten sicher nicht gerechtfertigt. Fazit für die Praxis Das therapeutische Vorgehen bei malignen Gliomen besteht aus Operation mit histologischer Diagnosesicherung, Strahlentherapie und/oder Chemotherapie. Radikalität der Operation ist mit einer besseren Prognose vergesellschaftet, sollte jedoch nicht auf Kosten neuer neurologischer Defizite ausgeweitet werden. Bei Glioblastomen ist die Standardtherapie nach Operation Radiochemotherapie und anschließende Chemotherapie mit Temozolomid. Bei anaplastischen Gliomen sollte nach der Operation die Strahlentherapie oder alternativ die Chemotherapie eingesetzt werden. Bei älteren Patienten (> 70 Jahre) sollte man sich auf eine Monotherapie beschränken, der Standard besteht aus der alleinigen Strahlentherapie. Im Rezidiv kommen zunehmend verschiedene therapeutische Alternativen in Frage, die individuell diskutiert werden müssen. Symptomatische und supportive Therapie sind zusätzlich in jedem Krankheitsstadium zu überdenken und optimieren. Thrombosen Die Inzidenz von tiefen Beinvenenthrombosen und Lungenembolien beträgt bei Patienten mit malignen Gliomen mindestens 20 bis 30% (14). Der genaue Zusammenhang zwischen malignen Gliomen und dem erhöhten Risiko für thrombotische Ereignisse im Einzelnen ist unklar, vermut- lich hängt dies mit der Ausschüttung von verschiedenen thrombogenen Faktoren durch die Gliomzellen zusammen und wird durch weitere Faktoren wie z. B. Immobilität oder eingeschränkte Mobilität, verschiedene Medikamente, Chemotherapien verstärkt. Trotz des bestehenden Einblutungsrisikos in den Tumor bzw. die Tumorhöhle konnte durch Antikoagulation bei Patienten mit Gliom und Thrombose kein erhöhtes Blutungsrisiko gefunden werden (1, 4). Insofern sind sowohl eine Primär- (perioperativ!) als auch Sekundärprophylaxe gegen thrombotische Geschehen bei Patienten mit malignen Gliomen möglich und sinnvoll. Zu beachten sind dabei zusätzliche Risiken für Blutungen wie eine chemotherapieinduzierte Thrombopenie bei gleichzeitiger Antikoagulation. Zur Therapie thrombotischer Ereignisse und Sekundärprophylaxe ist die Gabe von Marcumar möglich, jedoch die Verordnung von niedermolekularen Heparinen gleichwertig und eher zu empfehlen. Oft reicht die Therapie über drei Monate aus und kann nach einer Ultraschallkontrolle abgesetzt werden (17). Dies minimiert das Risiko der Therapie ebenso wie die Belastung der Lebensqualität durch tägliche Heparinspritzen oder Tabletteneinnahme mit Blutentnahmen. Literatur unter: www.onkologische-welt.de Onkologische Welt 1/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. F. Schmidt-Graf: Therapie maligner Gliome Literatur 1. Altschuler E, Moosa H, Selker RG, Vertosick FT Jr. The risk and efficacy of anticoagulant therapy in the treatment of thromboembolic complications in patients with primary malignant brain tumors. Neurosurgery 1990; 27(1): 74–76. 2. 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Glioblastoma (GBM) in elderly patients: A randomized phase III trial comparing survival in patients treated with 6-week radiotherapy (RT) versus hypofractionated RT over 2 weeks versus temozolomide single-agent chemotherapy (TMZ). J Clin Oncol 2010, ASCO Annual Meeting Proceedings (Post-Meeting Edition); 28: 18s, LBA2002. 14. Marras LC, Geerts WH, Perry JR. The risk of venous thromboembolism is increased throughout the course of malignant glioma: an evidence-based review. Cancer 2000; 89(3): 640–6. 15. Perry JR et al. Phase II trial of continuous dose-intense temozolomide in recurrent malignant glioma: RESCUE study. J Clin Oncol 2010; 28(12): 2051–7. 16. Reardon DA et al. Randomized phase II study of cilengitide, an integrin-targeting arginine-glycineaspartic acid peptide, in recurrent glioblastoma multiforme. J Clin Oncol 2008; 26(34): 5610–7. 17. Schmidt F, Faul C, Dichgans J, Weller M. Low molecular weight heparin for deep vein thrombosis in glioma patients. 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Neuroonkologischen Symposiums am Klinikum Stuttgart waren die Schädelbasis-Tumoren, ein Grenzgebiet zwischen Neurochirurgie, Hals-Nasen-Ohren- und Zahn-Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie. Zu der mit 6 Weiterbildungspunkten von der Bezirksärztekammer Nord-Württemberg zertifizierten Veranstaltung luden die Organisatoren, Prof. Nikolai Hopf und Frau OÄ Minou Nadji-Ohl, Neurochirurgische Klinik Stuttgart, hochkarätige Referenten, um das spannende Thema rund um die „Wölfe im Schafspelz“ den rund 60 Teilnehmern transparent zu machen. Die optimale Behandlung der Schädelbasis-Tumore setzt neben genauen anatomischen Kenntnissen und chirurgischen Fähigkeiten der jeweiligen Fachrichtung eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit voraus. Jüngste technische Entwicklungen der vergangenen Jahre – beispielsweise die HD-Endoskopie – erlauben ein minimal invasives schonendes Operieren mit hoher Präzision und Sicherheit für die Patienten. In der Vergangenheit wurde bei ausgedehnten Schädelbasis-Tumoren invasiv und z. T. sehr destruktiv operiert, was für den Patienten teilweise erhebliche funktionelle Ausfälle zur Folge hatte. Aktuell besteht eher die Tendenz bei ausgedehnten Prozessen ein mehrzeitiges Vorgehen zu favorisieren (씰Abb. 3–5), da durch ein minimal-invasives Vorgehen wichtige anatomische Strukturen in der Nähe des Tumors geschont werden können. Auch die radikale Resektion eines Tumors wird nicht immer um jeden Preis angestrebt, der Erhalt der Funktionalität geht vor die Radikalität. Moderne Verfahren in der Radiotherapie bieten in solchen Fällen zusätzliche Therapieoptionen. Zu den Tumoren der Schädelbasis zählen Tumore der vorderen, mittleren und hinteren Schädelgrube (씰Abb. 1-3), sowie Teile des Clivius. Sie stehen dort in enger Beziehung zum Knochen, Hirnhaut, Hirnnerven und hirnversorgenden Gefäßen. Tumore in dieser Region können die Schädelbasis infiltrieren. Sie können durch ihr Wachstum Hirnnerven und Gefäße ummauern oder verdrängen. All diese Aspekte sind bei der Operation zu berücksichtigen um Funktionsausfälle und Komplikationen zu vermeiden. Zu den häufigsten Schädelbasistumoren gehören ● Meningeom ● Neuriom ● Hypophysenadenom ● Kraniopharyngeom ● Neubildungen von Knochen und Knorpel Abb. 2 Tumor der vorderen (frontalen) Schädelgrube – Operation über interhemisphärellen Zugang (Mit freundl. Genehmigung: Neuroradiologie, Katharinenhospital, Stuttgart) ner, Neurologische Klinik, Klinikum Stuttgart. Zur Diagnostik von Riechstörungen können sogenannte „Sniffing Sticks“ eingesetzt werden. Ebenso lassen sich olfaktorisch evozierte Potenziale messen. Mehr experimentellen Charakter hat die Diagnostik im funktionellen Kernspin in Kombination mit einem Olfaktometer, so Bäzner. Visusminderung und Gesichtsfeldeinschränkungen sowie Doppelbilder können infolge von Tumoren der Hypophyse oder Läsionen im Bereich des Sinus cavernosus auftreten, mittels Perimetrie und visuell evozierten Potenzialen können richtungsweisende Befunde erhoben werden. Die Mehrzahl der Tumore der Schädelbasis sind benigne, Metastasen und Plattenepithelkarzinome sind die häufigsten malignen Formen. Neben einer sorgfältigen OP-Planung sind grundsätzlich verschiedene OP-Zugänge möglich, die je nach Sitz des Tumors gewählt werden. Minimal invasive Zugänge gestatten hierbei ein schonendes Operieren vieler Entitäten. Als wichtige diagnostische und operative Hilfsmittel haben sich Bildgebung und das intraoperative Neuromonitoring etabliert, so das Fazit der Expertin. Neurologische Symptome bei Läsionen der Schädelbasis Abb. 1 Tumor der mittleren (temporalen) Schädelbasis – Operation über subtemporalen Zugang (Mit freundl. Genehmigung:Neuroradiologie, Katharinenhospital, Stuttgart) Die Symptomatik neurologischer Ausfallerscheinungen, die bei Tumoren der Schädelbasis beobachtet werden können, betreffen im Wesentlichen die Sinnesorgane, erläuterte Prof. Hansjörg Bäz- Abb. 3 Tumor der mittleren und hinteren Schädelgrube – zweizeitiges Vorgehen über a) retromastoidalen b) subtemporalen Zugang (Mit freundl. Genehmigung:Neuroradiologie, Katharinenhospital, Stuttgart) © Schattauer 2011 Onkologische Welt 1/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. NeuroOnkologie 32 XII) betroffen sein. Entsprechend können neurologische Symptome wie z.B. eine Trigeminusneuralgie, Missempfindungen im Gesicht, Doppelbilder oder Schluckstörungen die Folge sein. Chirurgie der petroclivalen Meningeome Abb. 4 Post-OP-Kontrolle nach Entfernen des Tumors der hinteren Schädelgrube (Mit freundl. Genehmigung: Neuroradiologie, Katharinenhospital, Stuttgart) Die langsam wachsenden Akustikusneurinome im Bereich des Nervus vestibulocochlearis können sowohl einen langsam verlaufenden Hörverlust bedingen als auch zu einem plötzlich auftretenden Hörsturz führen. Tinnitus und Schwindel (Nystagmographie mit Kalorik) können auch ein Hinweis auf ein Akustikusneurinom sein. Bei sehr großen Kleinhirnbrückenwinkeltumoren können zusätzlich zum Gesichtsnerv (N. facialis) weitere Hirnnerven wie z.B. der N. trigeminus, N. trochlearis, N. abducens und die caudalen Hirnnervengruppe (IX- Abb. 5 Post-OP-Kontrolle nach Entfernen des temporalen Tumoranteils. Ein kleiner im Sinus cavernosus gelegener Tumorrest wird später mittels Gamma knife gehandelt werden (Mit freundl. Genehmigung: Neuroradiologie, Katharinenhospital, Stuttgart). Bis in die 1960- bis 1970er-Jahre galten die petroclivalen Meningeome als nicht operabel. Neue Zugänge in den 1980er-Jahren machten erst möglich, diese Entitäten zu operieren, gab Prof. Marcos Tatagiba vom Universitätsklinikum Tübingen, zu bedenken. Heute wird durch kleinere Zugänge operiert unter der Prämisse, vitale Strukturen zu schonen, den Hirnstamm zu entlasten, die Patienten ggf. im Anschluss einer Strahlenbehandlung zuzuführen und die Tumoren zu kontrollieren, so der Experte. Laut Tatagiba ergab eine klinische Studie (1) zum natürlichen Verlauf der petroclivalen Meningeome an 21 Patienten über einen Zeitraum zwischen 4 und 10 Jahren unter Kernspin-Kontrolle, dass davon 63% unter Tumorwachstum Ausfälle entwickelten. Diese Tumoren werden demnach langfristig behandlungsbedürftig, so das Fazit aus dieser Studie. Für die Resektion der petroclivalen Meningeome steht eine Reihe möglicher chirurgischer Zugänge zur Verfügung. Der am häufigsten verwendete Zugang ist heute der retromastoidal/lateral suboccipitale Zugang, hierin sind sich Tatagiba und Hopf einig. Als weitere Zugänge sind der anterosigmoidal-subtemporale (= petrosaler Zugang), der infratemporale, der anterosigmoidal-retrolabyrinthäre sowie der frontotemporal-transcavernöse Zugang zu nennen. Allerdings ist die Komplikationsrate bei diesen Zugängen höher. Zur Resektion sehr großer Tumoren hat sich der kombinierte temporale und suboccipitale Zugang bewährt. Die Wahl des chirurgischen Zugangs ist hauptsächlich von der Tumorlokalisation, vom Ausmaß seiner duralen Festigkeit und auch von den angestrebten Operationszielen abhängig. Natürlich spielt die Abwägung der Vor- und Nachteile eines jeden Zugangs eine wichtige Rolle, ebenso die Erfahrung des Operateurs. Die transpetrosalen Zugänge dauern sehr lange und können zu Hörverlust führen, so Tatagiba. Der retrosigmoidale Zugang dagegen ist relativ einfach und leicht zu erlernen. Tatagiba kombiniert ihn mit einer halb-sitzenden Lagerung des Patienten bei der OP. Bei Eingriffen im Bereich des Kleinhirnbrückenwinkels kann es im Verlauf der OP vorkommen, dass die Vena petrosa koaguliert werden muss. In diesen Fällen kann es postoperativ auch noch nach einigen Tagen zu schweren und teilweise lebensbedrohlichen Komplikationen kommen. Gezeigt wurden Fälle mit massiven Kleinhirnschwellungen infolge des venösen Staus und zerebelläre Blutungen sowie akuter Verschlusshydrocephalus. Entsprechend sind hier intensivmedizinische Therapien und weitere Operationen zwecks Entlastung erforderlich. Bleibt die Vena petrosa unverletzt, so kommt es nicht zu diesen Komplikationen, erläuterte Tatagiba. Falls es im Verlauf der OP die V. petrosa koaguliert wird, so ist der Patient post-OP unbedingt zu beobachten. Tatagiba rät deshalb dazu, die V. petrosa nach Möglichkeit zu erhalten. Hopf ergänzte in diesem Zusammenhang, dass die petroclivialen Meningeome zu den absolut schwerst zu operierenden Entitäten gehören. Endoskop-assistierte Schädelbasis-Chirurgie Grundsätzlich wird zwischen den rein endoskopischen Eingriffen (Endoskopische Neurochirurgie im engeren Sinne: EN) und endoskop-assistieren Eingriffen (씰Abb. 6, 7) (Endoskop-assistierte Mikroneurochirurgie: EAM) unterschieden (2-4). Bei den endoskop-assistierten Eingriffen kommen sowohl das Endoskop als auch das Mikroskop und somit die mikrochirurgischen Techniken zur Anwendung. Die EAM, welche von dem 2009 verstorbenen Prof.Axel Perneczky, ganz wesentlich in die Neurochirurgie implementiert wurde, hat in seiner neuesten Entwicklung durch die High Definition Endoskopie zu einer besseren Detailauflösung und verbesserter Farbechtheit in der Darstellung geführt. Für die Zukunft erwartet Prof. Nikolai Hopf neue Entwicklungen in Richtung einer 3-D-Darstellung im endoskopischen Bild. Eine weitere Herausforderung ist der Parallaxenausgleich, um ein verzerrungsfreies Bild zu erzielen. Das PICO-Projekt – Paraendoscopic Intuitive Computer Assisted Operating System (http://www.pico-endoscopy.org), ist unter anderem mit dieser Fragestellung befasst, so Hopf. PICO wird durch die Europäische Union im 6. Forschungsrahmenprogramm gefördert. Zu dem Konsortium gehören unter anderem das Katharinenhospital, Stuttgart, die Universitäten Greifswald und Nijmegen, sowie das Fraunhofer Institut für Produktionstechnik undAutomatisierung sowie die RobertWolf GmbH. Onkologische Welt 1/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. NeuroOnkologie 33 Die Schädelbasis aus Sicht der Mund-KieferGesichts-Chirurgie Abb. 6 An Tumorentitäten im Kiefer- und Gesichtsbereich werden vom MKG-Chirurgen hauptsächlich Plattenepithelkarzinome in der unteren Gesichtsetage operiert, erläuterte Dr. Rolf Bublitz, Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Stuttgart. Sehr häufig ist ein Splitting des Unterkiefers erforderlich sowie die Rekonstruktion der resezierten Unterkieferanteile mit Titanplatten. In der oberen Gesichtsetage dominieren ebenfalls die Plattenepithelkarzinome. Endoskopische biportale transsphenoidale Hypophysenoperation Schema der endoskop-assistierten Mikroneurochirurgie (EAM). OM: Operationsmikroskop; E: Endoskop; M: Mikroinstrumente; AC: Arachnoidalzyste (Mit freundl. Genehmigung: Neurochirurgische Klinik, Stuttgart). Abb. 7 Bei der hier routinemäßig rein endoskopischen Operation von Hypophysentumoren erfolgt der Zugang über beide Nasenlöcher (biportal). Über das linke Nasenloch wird das Endoskop eingeführt; über das andere die Operationsinstrumente. Der Operateur gelangt so auf direktem Wege über die Nasenhöhle in die Keilbeinhöhle und kann dann über eine kleine Öffnung im Boden der Sella turcica den Tumor resezieren. Die Vorteile dieser Technik liegen, wie Dr. Holger Opitz, Neurochirurgische Klinik Stuttgart, erklärte, in dem minimal-invasiven Zugang und der exzellenten optischen Darstellung des Operationsgebiets. Radioonkologische Behandlung von Schädelbasis-Tumoren – IMRT, IGRT und Ionentherapie Alternative und additive Therapieoptionen der Chirurgie von Schädelbasis-Tumoren sind radioonkologische Behandlungsmöglichkeiten. Sie eignen sich z. B. bei komplexen Zielvolumina des Tumors, der komplexen anatomischen Situation und bei Nähe der Tumorlage zu empfindlichen Risikoorganen. Zu den Verfahren zählen ● die Fraktionierte Stereotaktische Strahlentherapie, FSRT, ● die Stereotaktische Radiochirurgie, SRS, ● die Intensitätsmodulierte Radiotherapie, IMRT, ● die Helikale Tomotherapie. Schema der endoskop-kontrollierten Mikroneurochirurgie (ECM). E: Endoskop; M: Mikroinstrument; AC: Arachnoidalzyste (Mit freundl. Genehmigung: Neurochirurgische Klinik, Stuttgart). wie Frau Priv.-Doz. Stephanie E. Combs, Radioonkologie und Strahlentherapie, Heidelberg, ausführte. Ein Vorteil der Ionentherapie ist, dass die Dosis auf das Normalgewebe weiter reduziert werden kann. Seit 2009 steht mit dem Heidelberger Ionenstrahl-Therapizentrum, HIT, ein weltweit einzigartige Therapieanlage in der modernen Krebstherapie zur Verfügung. Gamma Knife Radiochirurgie im Bereich der Schädelbasis Die Entwicklung des Gamma Knife begann 1968 durch den schwedischen Neurochirurgen Lars Leksell. Im Gamma Knife Zentrum Krefeld, so Dr. Gerhard A. Horstmann, werden heute in der Tumorbehandlung mit dem Gamma Knife Perfexion™ 192 niedrigdosierte Kobalt-60-Strahlen in einem Punkt fokussiert und somit eine therapeutisch wirksame Gesamtstrahlendosis im Zielgebiet des Tumors unter Schonung des umliegen- den Gewebes erreicht. Nach Abschluss der Behandlung vergrößert sich das Tumorvolumen zunächst und bildet sich dann im weiteren zeitlichen Verlauf zurück. Hirnmetastasen verringern ihr Volumen meist nach sechs Wochen, bei Angiomen kann es einige Jahre dauern, bis die Rückbildung signifikant wird. Demzufolge müssen die Kontrollintervalle angepasst erfolgen, so der Experte. Mittels Gamma Knife lassen sich Tumore bis zu einem Volumen von 3 ccm behandlen. Dr. Peter Henning, Stuttgart Literatur 1. Van Havenbergh T et al. Neurosurgery 2003; 52: 55–62; discussion 62–64. 2. Hopf NJ, Perneczky A. Neurosurgery 1998; 43: 1330-1337. 3. Hopf NJ et al. Neurosurgery 1999; 44: 795-806. 4. Hopf NJ. Minim Invasiv Neurosurg 1999; 42: 162. Quelle: 8. Neuroonkologisches Seminar „Schädelbasis-Tumore“ am 17. November 2010, Katharinenhospital Stuttgart. Veranstalter: OÄ Minou Nadji-Ohl, Leiterin Schwerpunkt Neuroonkologie. © Schattauer 2011 Onkologische Welt 1/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 34 © Schattauer 2011 Supportivtherapie Lebensqualität krebskranker Eltern mit minderjährigen Kindern Problemaufriss J. Ernst1; D. Richter1; J. Dorst2; R. Schmidt1; E. Brähler1 1Universität Leipzig, Department für Psychische Gesundheit, Selbständige Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Leipzig; 2Universität Leipzig, Selbständige Abteilung für Hämatologie, Internistische Onkologie und Hämostaseologie, Leipzig Schlüsselwörter Keywords Psychoonkologie, Elternschaft, Lebensqualität Psycho-oncology, parenthood, quality of life Zusammenfassung Summary Die Fragestellungen, die sich mit dem Einfluss der Elternschaft auf die psychosoziale Situation und die Lebensqualität der Krebspatienten selbst befassen, sind bislang ungenügend erörtert. Das betrifft sowohl epidemiologische als auch Hypothesen prüfende Themenfelder und Versorgungsanalysen. Die Ursache für diese ungenügende Problemzentrierung liegt in der relativ kleinen Inzidenz (rund 12% aller Krebserkrankten haben Kinder bis 18 Jahre) – die meisten Diagnosen werden jenseits des Alters von 60 Jahren gestellt (Männer 72%, Frauen 70%), in welchem kleine Kinder kaum noch eine Rolle spielen. Studien verweisen allerdings auf die Kumulationen von Belastungen und Problemen gerade in diesen Familien. Es ist auf der einen Seite dringend notwendig, die Generierung epidemiologischer Daten voranzutreiben, um belastbare Informationen zur Entwicklung und Anwendung psychoonkologischer Interventionsangebote zur Verfügung zu haben. Auf der anderen Seite ist für die Aufarbeitung der Forschungsdefizite die Erhebung repräsentativer Längsschnittdaten notwendig, um den Einfluss der Kombination Elternschaft und Krebs auf innerfamiliäre Belastungsprofile und -verläufe differenziert zu verdeutlichen. Specific questions about the impact of parenthood on the psychosocial situation and quality of life of cancer patients have been discussed insufficiently to date. This concerns epidemiological as well as hypothesis testing subject fields and care analyses. The insufficient focus on that problem is caused by the relatively small incidence (approx. 12% of all cancer patients have under aged children) – most diagnoses are made beyond the age of 60 years (men 72%, women 70%), in which dependent children hardly play a role. However, studies refer to an accumulation of distress and problems especially in these families. On the one hand it is necessary to advance the generation of epidemiological data to have reliable information and therewith to develop and apply psycho-oncological interventions. And on the other hand the survey of representative longitudinal data is needed to explain research deficits and to illustrate the impact of the coincidence of parenthood and cancer diagnosis on an intra-familial psychosocial stress profile and – progress in different ways. Korrespondenzadresse Dr. Jochen Ernst Universität Leipzig Department für Psychische Gesundheit Selbständige Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie Philipp-Rosenthal-Straße 55 04103 Leipzig Tel.: 03 41 / 9 71 54 07 Fax: 03 41 / 9 71 54 19 E-Mail: [email protected] Quality of life of parents suffering from cancer with minor children Onkologische Welt 2011; 2: 34–36 Einleitung Eine Krebserkrankung stellt nicht nur eine sehr große seelische Belastung für den Patienten dar, sondern kann in der Folge das gesamte familiäre System erschüttern. Mitbetroffene Angehörige sind häufig die Partner, die erweiterte Kernfamilie sowie die Kinder, hierbei vor allen Dingen minderjährige Kinder – das betrifft schätzungsweise 200 000 Familien in Deutschland. Rund 12% der neudiagnostizierten Krebspatienten haben Kinder unter 18 Jahren (1). Dabei ist die Rate abhängig von der Krebsart und erreicht bei Brustkrebs mit rund 35% einen besonders hohen Wert (2). Die psychoonkologische Forschung hat sich seit den 1970er- und verstärkt in den 1980erJahren dem Thema Krebs und Familie geöffnet und gesamtfamiliäre Ansätze entwickelt mit dem Anspruch, das Unterstützungspotenzial der Familien zu stärken, die Lebensqualität zu verbessern (3–5) und den Auswirkungen der somatischen und psychosozialen Leiden des krebskranken Elternteils auf dessen minderjährige Kinder nachzugehen (6, 7). Hervorzuheben ist die transnationale europäische Verbundstudie „COSIP – Children of Somatically Ill Parents“, die Kinder somatisch bzw. krebskranker Eltern im Kontext eines systemischen und familienfokussierten Ansatzes unterstützt und entsprechende Ansätze evaluiert hat (8). Empirische psychoonkologische Befunde belegen die möglichen Auswirkungen der elterlichen Krebserkrankung auf die minderjährigen Kinder sowie die Wechselbeziehungen zwischen elterlichen und kindlichen Belastungen nur unzureichend und zum Teil inkonsistent (9). Abgesichert ist der Befund, dass sich der krankheitsgebundene familiäre Distress für Partner Onkologische Welt 1/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. J. Ernst et al.: Lebensqualität krebskranker Erltern mit minderjährigen Kindern und Patienten erhöht, wenn minderjährige Kinder im Haushalt zu versorgen sind (10–12). Als Folge der Krebserkrankung und der hiermit assoziierten Anforderungen (z. B. häufige oder längere Krankenhausaufenthalte, körperliche Veränderungen und Funktionseinschränkungen, Verarbeitung potenziell lebensbedrohlicher Situationen) sind krebserkrankte Eltern selbst hoch belastet, in ihrer Rolle verunsichert und können die Überforderung und Ängste ihrer Kinder übersehen oder unterschätzen (13). Große Einschränkungen der Lebensqualität (soziale, physische und Rollenfunktion, ES = 0,79) von Krebspatienten mit Kindern werden in der Studie von Gazendam-Donofrio et al. berichtet, wobei die Funktionalität in Abhängigkeit vom Behandlungsregime (Patienten mit invasiven Therapien sind stärker eingeschränkt) sowie zur Tumorlokalisation (Hautkrebspatienten weniger, hämatoonkologische Patienten sehr stark eingeschränkt) variiert (14). Eine Elternschaft kann dabei im Zeitverlauf unter gewissen Umständen auch einen positiven Impuls auf die Lebensqualität und die Krankheitsverarbeitung des Patienten ausüben, da die Einbindung in fest umrissene soziale Rollen als stabilisierend und stützend erlebt werden (15). Zudem lässt sich ein Zusammenhang zwischen Belastung/Lebensqualität des Patienten und dem Alter der Kinder herstellen – Patienten mit minderjährigen Kindern leiden signifikant stärker unter Panikattacken, Angstschüben sowie einer schlechteren Lebensqualität (12). Das Forschungsprojekt „Psychosoziale Hilfen für Kinder krebskranker Eltern“ Um die von einer Krebserkrankung betroffenen Familien mit minderjährigen Kindern zu unterstützen und um die empirische Befundung dieses Problemfeldes zu befördern, hat die Deutsche Krebshilfe e. V. ein Schwerpunktprogramm eingerichtet. In diesem großen Verbundprojekt, das von 2009–2011 an fünf verschiedenen Standorten in Deutschland bzw. an acht universitä- 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 Krebspatienten ohne Kinder, altersgematcht (n = 51) Krebspatienten mit Kindern < 18 Jahre (n = 54) 84,3 84,8 74,7 76,8 65,4 61,5 56,4 global quality of life p < 0,03 73,5 physical functioning p < 0,02 social functioning p < 0,00 69,9 65,7 56,9 55,3 emotional functioning n.s. role functioning p < 0,00 cognitive functioning p < 0,00 Abb. 1 EORTC (European Organisation for Research and Treatment of Cancer) Lebensqualität – Mittelwerte (0–100) der Global- und Funktionsskalen für Patienten (T1) (eigene Erhebung) ren Einrichtungen durchgeführt wird, werden Problem- und Handlungsfelder differenziert erfasst und familienorientierte, kindzentrierte Hilfen implementiert, die flexibel auf die konkreten Situationen der Patienten, ihrer Partner und Kinder abgestimmt sind. Neben der Erarbeitung von wissenschaftlichen Grundlagen sollen Erkenntnisse zum Bedarf an familienorientierten Hilfsangeboten gewonnen werden. Ein Forschungsschwerpunkt in Leipzig behandelt epidemiologische und längsschnittliche Aspekte und wird von der Ab- Tab. 1 teilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie (in Kooperation mit der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Leipzig) realisiert. Hierbei werden im Rahmen eines quantitativen Ansatzes Daten zur psychosozialen Belastung, Lebensqualität, Familienfunktion, zur Kommunikation über die Erkrankung, sozialen Unterstützung sowie zur Krankheitsverarbeitung erhoben. Die Befragung erfolgt zu drei Messzeitpunkten und soll im Kontext von Vergleichsgruppen Aufschluss geben über die Veränderung Risikofaktoren für verminderte Lebensqualität bei Krebspatienten mit Kindern < 18 Jahren Funktion signifikante Risikofaktoren und Interaktionseffekte1 F R2 p Körperliche Funktion kein Partner Kinder >6 Jahren Kinder >6 Jahren x kein Partner 6,28 5,30 9,29 0,24 0,016 0,026 0,004 Soziale Funktion kein Partner Kinder >6 Jahren weiblich Kinder >6 Jahren x kein Partner 4,90 5,42 4,23 5,01 0,21 0,032 0,024 0,046 0,030 Lebensqualität kein Partner 6,30 0,16 0,015 Rollenfunktion n. s. - - - Emotionale Funktion n. s. - - - Kognitive Funktion n. s. - - - 1Kontrollierte Variablen: Partnerschaft (ja/nein), Kinder > 6 (ja/nein), Geschlecht © Schattauer 2011 Onkologische Welt 1/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 35 36 J. Ernst et al.: Lebensqualität krebskranker Erltern mit minderjährigen Kindern von Belastungen und Ressourcen im zeitlichen Verlauf, über mögliche Risiko- oder Schutzfaktoren sowie über die Dynamik der mit der Krebserkrankung einhergehenden innerfamiliären Veränderungen. Definiert werden sollen zudem Ansatzpunkte für einen psychoonkologischen Behandlungs- und Versorgungsbedarf, um die Familien im Rahmen von Einzel- oder Familiensettings wirkungsvoll zu unterstützen. Lebensqualität krebskranker Eltern Die ersten Befunde unserer Studie zeigen bei Eltern mit Krebs im Vergleich zu Krebspatienten ohne minderjährige Kinder signifikant niedrigere Werte bei den meisten Funktionen der Lebensqualität (씰Abb. 1). Dies betrifft besonders die soziale und die Rollenfunktion als die Dimensionen, die die elterliche Funktion und die Erziehungsaufgaben abbilden. Als signifikante Risikofaktoren für eine niedrigere Funktionalität konnten wir auf den Skalen Körperliche und Soziale Funktion sowie Globale Lebensqualität varianzanalytisch die Merkmale „kein Partner“, „Kinder >6 Jahre“ sowie „weibliches Geschlecht“ identifizieren (씰Tab. 1). Schlussfolgerung Internationale Studien sowie eigene Befunde machen eine besondere psychoonkologische Problemlast bzw. eine zum Teil stark eingeschränkte Lebensqualität bei Patienten mit minderjährigen Kindern deutlich. Das betrifft vor allem Patienten ohne Partnerschaft sowie Familien mit Kindern älter als 6 Jahre, wobei einerseits mangelnde soziale Unterstützung, andererseits eine mögliche Überforderung vor dem Hintergrund erweiterter Erziehungs- und Entwicklungsaufgaben (zum Beispiel Schulbeginn) zum Tragen kommt. Die Befunde sind in der Zukunft mit größeren Stichproben und differenzierten Analysen zu vertiefen. Es ist zu begrüßen, dass derzeit im Rahmen eines von der Deutschen Krebshilfe geförderten Verbundprojekts nach Wegen gesucht wird, Familien mit Kindern bis 18 Jahren auf der Basis eines breiten empirischen Datenzugangs problemfokussierte differenzielle Hilfe anzubieten. Literatur 1. Krauß O, Ernst J, Kuchenbecker D, Hinz A, Schwarz R. Prädiktoren psychischer Störungen bei Tumorpatienten: Empirische Befunde. Psychother Psych Med 2007; 57: 273–280. 2. Rauch PK, Muriel AC. The importance of parenting concerns among patients with cancer. Crit Rev Oncol Hematol 2004; 49: 37–42. 3. Baider L, Walach N, Kaplan-De Nour A. Cancer in married couples: higher or lower distress? Journal of Psychosomatic Research 1998; 45: 239–248. 4. Osborn T. The psychosocical impact of parental cancer on children and adolescents: a systematic review. Psycho-Oncology 2007; 16: 101–126. 5. Faulkner RA, Davey M. Children and adolescents of cancer patients: the impact of cancer on the family. The American Journal of Family Therapy 2002; 30: 63–72. 6. Kennedy VL, Lloyd-Williams M. How children cope when a parent has advanced cancer. Psychooncology 2009; 18: 886–892. 7. Romer G, Barkmann C, Schulte-Markwort M, Thomalla G, Riedesses P. Children of somatically ill parents: a methodological review. Clinical Child Psychology and Psychiatry 2002; 7: 17–38. 8. Thastum M, Johansen MB, Gubba L, Olesen LB, Romer G. Coping, social relations, and communication: A qualitative exploratory study of children of parents with cancer. Clinical Child Psychology and Psychiatry 2008; 13: 123–138. 9. Ernst J, Richter D, Frismann A, Schmidt R, Brähler E. Elternschaft und Krebs – Befunde und Forschungsperspektiven. Familiendynamik 2010; in press. 10. Douma KF, Bleiker EM, Vasen HF, et al. Psychological distress and quality of life of partners of individuals with familial adenomatous polyposis. Psychooncology 2010: advance of print. 11. Schmitt F, Piha J, Helenius H, et al. Multinational study of cancer patients and their children: factors associated with family functioning. J Clin Oncol 2008; 26: 5877–5883. 12. Nilsson ME, Maciejewski PK, Zhang B, et al. Mental health, treatment preferences, advance care planning, location, and quality of death in advanced cancer patients with dependent children. Cancer 2009; 115: 399–409. 13. Thastum M, Watson M, Kienbacher C, et al. Prevalence and predictors of emotional and behavioural functioning of children where a parent has cancer: a multinational study. Cancer 2009; 115: 4030–4039. 14. Gazendam-Donofrio S, Hoekstra H, van der Graaf W, et al. Parent-child communication patterns during the first year after a parent's cancer diagnosis: the effect on parents' functioning. Cancer 2009; 115: 4227–4237. 15. Götze H, Ernst J, Krauß O, Weissflog G, Schwarz R. Risiko oder Schutz? – Der Einfluss der Elternschaft auf die Lebensqualität von Krebspatienten. Zeitschrift für psychosomatische Medizin und Psychotherapie 2007; 53: 355–372. Onkologische Welt 1/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Internationale Literatur 37 Häufigste Tumorentitäten waren Brust- und Lungenkrebs sowie Kolorektalkarzinome bei mehr als zwei Drittel der Patienten. Inzidentelle Thromboembolien bei Tumorpatienten Erhöhtes Risiko nach Start der Chemotherapie VTE-Risiko abhängig von Tumorentität Krebspatienten haben ein erhöhtes Risiko für symptomatische venöse Thromboembolien (VTE). Eine neue Studie weist darauf hin, dass VTE in diesem Kollektiv ausgesprochen häufig auch inzidentell diagnostiziert werden, insbesondere zu Beginn einer Chemotherapie. Risikofaktoren für inzidentelle VTE sind metastatische Erkrankung, erhöhte Leukozytenzahl und eine Therapie mit Platinderivaten. Besonders hoch ist das Risiko in den ersten drei bis sechs Monaten nach Beginn einer Chemotherapie. Die Studienteilnehmer waren bei Beginn der Chemotherapie im Schnitt 59 Jahre alt. Knapp zwei Drittel (62%) waren weiblich, 40% litten an einer metastasierten Erkrankung. 60 Inzidentelle VTE Symptomatische VTE VTE, n Die Beziehung zwischen Krebserkrankung und der Entwicklung symptomatischer tiefer Venenthrombosen und Lungenembolien ist seit langem bekannt. Die jährliche Inzidenz von VTE bei Tumorpatienten wird auf rund 1 pro 200 Personen geschätzt, kann aber laut Autopsiestudien auch deutlich höher liegen. Ursächlich ist die durch den Tumor induzierte Thrombophilie, welche durch antitumorale Therapien noch verstärkt werden kann, berichten Marcello Di Nisio und Mitarbeiter in einer kürzlich erschienenen Publikation (1). So wird die Chemotherapie als unabhängiger Risikofaktor für VTE betrachtet: Je nach eingesetztem Zytostatikum kann die jährliche VTE-Rate auf 11–20% ansteigen. Studiendaten weisen darauf hin, dass bei Krebspatienten zudem relativ häufig bei den routinemäßig im Rahmen der Nachsorge durchgeführten Computertomographien (CT) inzidentell VTE festgestellt werden. Die Prävalenz zufällig entdeckter Lungenembolien liegt in heterogenen Patientenkollektiven bei 1–6%, wobei die höheren Raten für stationäre und Krebspatienten gelten. Um die tatsächliche Inzidenz inzidenteller VTE festzustellen und mögliche Risikofaktoren zu identifizieren, untersuchte die Arbeitsgruppe um Di Nisio retrospektiv die Unterlagen von 1921 konsekutiven Patienten mit soliden Tumoren, bei denen zwischen Janurar 2003 und März 2009 eine Chemotherapie begonnen wurde. Patienten mit großen Interventionen einen Monat vor Start der Zytostase ebenso wie Patienten, die postoperativ eine Thromboseprophylaxe erhielten, waren ausgeschlossen. Primärer Endpunkt dieser Studie war die Rate inzidentell im Thorax-, Abdomen- und/oder Becken-CT entdeckter VTE. Innerhalb von median acht Monaten wurden bei den 1921 Patienten insgesamt 101 VTE diagnostiziert (5,3%); 62 (3,2%) waren inzidentell, 39 (2%) symptomatisch. Die Ereignisse wurden im Median 14 Wochen nach Beginn der Chemotherapie und zwei Wochen nach Ende des letzten Therapiezyklus entdeckt. In den Nachbeobachtungs-CTs fielen 28 der inzidentellen VTE (45%) nach drei Monaten, weitere 21 nach sechs Monaten auf (씰Abb. 1). Darunter waren vier Lungenembolien ohne und acht Fälle mit begleitender proximaler tiefer Beinve- 40 20 Abb. 1 Inzidentelle und symptomatische VTE im Zeitverlauf nach Start der Chemotherapie (nach: [1]) Tab. 1 0 < 12 13–24 25–52 > 53 Wochen zwischen dem Beginn der Chemotherapie und der VTE Inzidentelle und symptomatische VTE in Abhängigkeit von der Tumorentität Tumorentität Patienten Inzidentelle VTE Symptomati- Gesamt VTE sche VTE Brust 764 (40) 5 (0,6) 7 (0,9) 12 (1,6) Kolorektalkarzinom 492 (26) 21 (4,3) 13 (2,6) 34 (6,9) Lunge 205 (11) 14 (6,8) 5 (2,4) 19 (9,3) Uro-Genital 95 (5) 5 (5,3) 2 (2,1) 7 (7,4) Oberer Gastrointestinaltrakt 87 (4) 2 (2,3) 5 (5,7) 7 (8,0) Pankreas, Leber 68 (3) 3 (4,4) 3 (4,4) 6 (8,8) Ovarien 58 (3) 3 (5,2) 0 (0) 3 (5,2) Prostata 56 (3) 2 (3,6) 2 (3,6) 4 (7,1) Gynäkologisch 40 (2) 6 (15) 2 (5,0) 8 (20,0) Sonstige 56 (3) v1 (1,8) 0 1 (1,8) Gesamt 1921 (100) 62 (3,2) © Schattauer 2011 39 (2,0) 101 (5,3) Onkologische Welt 1/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Internationale Literatur 38 Tab. 2 Inzidentelle und symptomatische VTE in Abhängigkeit vom eingesetzten Chemotherapieregime Chemotherapie-Regimen Patienten Inzidentelle VTE Anthrazyklin 572 (29,8) 7 (1,2) 9 (1,6) 16 (2,8) Platin-basiert Cis- /Carbo-Platin Oxaliplatin 440 (23,0) 304 (15,8) 31 (7,3) 19 (6,3) 9 (2,1) 6 (2,0) 40 (9,4) 25 (8,2) Taxan-basiert 370 (19,3) 4 (1,1) 7 (1,9) 11 (3,0) CMF 279 (14,7) 2 (0,7) 1 (0,4) 3 (1,1) Gemcitabin 271 (14,1) 10 (3,8) 10 (3,8) 20 (7,5) FUFA 187 (9,7) 5 (2,7) 4 (2,1) 9 (4,8) Biologika 182 (9,5) 10 (5,5) 4 (2,2) 14 (7,7) Fluor-basiert 129 (6,8) 3 (2,5) 4 (3,4) 7 (5,9) Irinotecan-basiert 106 (5,5) 4 (3,8) 4 (3,8) 8 (7,5) Vinorelbin 44 (2,3) 1 (2,3) 1 (2,3) 2 (4,5) PEB 39 (2) 3 (7,7) 0 3 (7,7) Cyclophosphamid 22 (1,1) 2 (9,0) 2 (9,0) 4 (18,8) Topotecan 19 (1,0) 1 (5,3) 0 1 (5,3) Ifosfamid-basiert 17 (0,9) 0 0 0 nenthrombose. Symptomatische Ereignisse traten ebenfalls mehrheitlich früh auf: 20 (51%) innerhalb der ersten drei, fünf innerhalb von sechs Monaten nach Beginn der Chemotherapie. In vier Fällen handelte es sich um symptomatische Lungenembolien. Häufig waren inzidentelle VTE bei Patienten mit gynäkologischen Tumoren (15%), Lungenkarzinomen (6,8%), Tumoren des Urogenitaltrakts (5,3%), Eierstock- (5,2%) und Pankreaskrebs (4,4%; 씰Tab. 1). Mehr als die Hälfte aller Ereignisse wurde bei Patienten mit Lungenund Kolorektalkarzinomen detektiert. VTE unter Chemotherapie und Biologika Darüber hinaus unterschied sich die VTE-Rate je nach verabreichtem Chemotherapieregime. Besonders gefährdet waren Patienten unter platinhaltigen Protokollen (씰Tab. 2). Gegen- Symptomati- VTE gesamt sche VTE über Patienten mit platinfreier Chemotherapie hatten Patienten, die platinbasierte Regime erhielten, ein dreifach höheres Risiko für eine inzidentelle VTE (7,6% vs. 2,1%; Odds Ratio 2,8). Bei Oxaliplatin-haltiger Therapie wurde das VTE-Risiko mehr als verdoppelt (6,7% vs. 2,7%; OR 2,4). Bei Gabe von Biologika war das Risiko knapp doppelt so hoch (OR 1,9). Als weiterer Risikofaktor wurde eine Disseminierung der Erkrankung identifiziert. Inzidentelle VTE traten bei 5,3% der Patienten mit, aber nur bei 2,1% der Teilnehmer ohne Metastasen auf (relatives Risiko 2,4). Das Vorliegen von Metastasen war außerdem prädiktiv für die Entwicklung symptomatischer VTE (3,4% vs. 1,3%; RR 2,6). Auch der Leukozytenwert bei Start der Chemotherapie korrelierte signifikant mit dem Auftreten von VTE: Patienten mit erhöhter Leukozytenzahl (>10 x 109/l) hatten ein 2,9-fach erhöhtes relatives Risiko für VTE insgesamt und ein 3,4-fach erhöhtes Risiko für symptomatische VTE. Patienten mit symptomatischen VTE sowie Patienten mit inzidentell diagnostizierten Lungenembolien und tiefen Venenthrombosen erhielten im ersten Monat eine Standardtherapie mit einem niedermolekularen Heparin (NMH) in voller therapeutischer Dosierung, das danach auf 75–80% der Dosis reduziert wurde. Inzidentelle VTE im Gewebe wurden mehrheitlich drei bis sechs Monate lang mit einem NMH in halbtherapeutischer Dosis behandelt, in Einzelfällen aber auch während der gesamten Chemotherapiedauer. Noch keine ProphylaxeEmpfehlungen Inzidentelle VTE sind also laut dieser retrospektiven Studie mit einer Rate von 3,2% ein relativ häufiges Phänomen bei ambulant behandelten Krebspatienten. Besonders hoch ist das Risiko in den ersten drei bis sechs Monaten nach Beginn einer Chemotherapie, resümierten di Nisio et al. In dieser gefährlichen frühen Phase der Zytostase könnten betroffene Patienten möglicherweise von einer Thromboseprophylaxe profitieren, die aber für diese Situation in den Leitlinien derzeit noch nicht aufgenommen wurde. Allerdings sollten inzidentelle VTE nicht unterschätzt werden. Laut Di Nisio zeigen Studien eine starke Assoziation zwischen asymptomatischen Venenthrombosen und der anschließenden Entwicklung symptomatischer VTE sowie einer Erhöhung der Sterblichkeit. Sollten die Daten dieser Studie reproduziert werden, könnte die Detektion inzidenteller VTE im Rahmen einer Risikoevaluation genutzt werden, um Risikogruppen von Krebspatienten zu identifizieren, bei denen die Thromboseprophylaxe besonders angezeigt ist. Dr. Katharina Arnheim, Freiburg Literatur 1. Di Nisio M et al. Incidental venous thromboembolism in ambulatory cancer patients receiving chemotherapy. Thromb Haemost 2010; 104: 1049–1054. Onkologische Welt 1/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Supportivtherapie 39 Medikamentöse Schmerztherapie in der Supportivmedizin Die Versorgungssituation bessert sich, aber Nachholbedarf bleibt Supportive Maßnahmen gehören zum festen Bestandteil onkologischer Therapiekonzepte. Ohne ihre konsequente Weiterentwicklung wären die Erfolge in der Behandlung maligner Erkrankungen nicht möglich. In mehr als 80% der Fälle liegt bei malignen Erkrankungen eine tumorbedingte bzw. -assoziierte Schmerzursache vor, während therapiebedingte (15–20%) oder tumorunabhängige (10%) Schmerzen vergleichsweise seltener vorkommen. Diesen hohen Anforderungen wird die Schmerztherapie jedoch nicht immer gerecht. Die Gründe für eine leider noch viel zu häufig auftretende unzureichende Schmerztherapie sind vor allem in der Nichtbeachtung folgender Grundregeln der Schmerztherapie zu suchen: 1. Präventive Einnahme effektiver als Behandlung nach Bedarf 2. Kein verzögerter Beginn der Schmerztherapie (Chronifizierung der Schmerzsymtomatik) 3. Regelmäßige Einnahme der Medikation zu festen Zeitpunkten (konsequenter Therapieplan) 4. Individuelle Dosierung und Dosisanpassung Eine symptomatische Schmerztherapie sollte nicht verzögert werden. Patienten mit chronischen Tumorschmerzen können meist nur sehr kurzfristig mit Nichtopioidanalgetika ausreichend eingestellt werden. Dies kontrastiert mit dem hohen Verordnungsanteil von nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) auch bei Tumorpatienten. Eine individuelle Dosisanpassung ist bei einer Opioidtherapie essentiell. Bei spezifischen Schmerzformen ist der Einsatz von analgetischen Adjuvantien sinnvoll (z.B. Steroide bei Hirndruck bzw. Nervenkompression, Spasmolytika bei kolikartigen viszeralen Schmerzen oder Bisphosphonate bei Knochenschmerzen). Neben einer unzureichenden Versorgung mit Analgetika steigern Multimorbidität, eingeschränkter Allgemeinzustand und Polymedikation die Gefahr von klinisch relevanten Wechselwirkungen exponentiell. Die Schmerztherapie muss daher auch und vor allem in der supportiven Behandlung von Tumorpatienten nicht nur ausreichend effektiv sein, sondern auch eng mit der übrigen Medikation abgestimmt werden. NSAR-Interaktionspotenzial NSAR sind die meist verordnete Wirkstoffgruppe gegen Schmerzen. Allerdings muss ihre gute ent- zündungshemmende Wirkung mit vielen, oft unterschätzten Nebenwirkungen, vor allem in Form von Arzneimittelinteraktionen bei Polymedikation, erkauft werden. Unerwünschte Effekte wie akute Niereninsuffizienz, Verschlechterung der Herzinsuffizienz, verminderte Wirksamkeit von Blutdrucksenkern, insbsondere ACE-Hemmer, erhöhtes gastrointestinales Blutungsrisiko und Kolitis können die Wirksamkeit einer antineoplastischen Behandlung deutlich limitieren. NSAR stehen auch an der Spitze der Medikamente, die infolge unerwünschter Nebenwirkungen zu stationären Aufenthalten führen. Das Agency for Health Quality Research (AHQR) veröffentlichte 2009 eine Statistik, in der NSAR-assoziierte Gastrointestinalblutungen für 16 500 Todesfälle in den USA pro Jahr verantwortlich gemacht werden (1). Eine Analyse von Beobachtungsstudien der Jahre 2000-2008 zur NSAR-Therapie beziffert das relative Risiko (RR) für eine Blutung bzw. Perforation im oberen Gastrointestinaltrakt (GI) mit 4,50 für traditionelle NSAIDs und 1,88 für Coxibe. Für Ibuprofen (2,69), Rofecoxib (2,12), Aceclofenac (1,44) und Celecoxib (1,42) lag das Risiko unter dem für alle NSAIDs errechneten Durchschnitt. Ketorolac (14,54), Piroxicam (9,94), Naproxen (5,63), Ketoprofen (5,57), Indomethacin (5,40), Meloxicam (4,15) und Diclofenac (3,98) lagen jedoch teilweise deutlich darüber. Entgegen früherer Annahmen eignet sich der Grad der COX-1-Inhibition nicht zur Risikobewertung, wohl aber eine Inhibition beider Isoenzyme >80% (1). Zudem gehen NSAIDs mit einer langen Halbwertszeit und einer langsamen Freisetzungskinetik offenbar mit einem erhöhten Risiko für Komplikationen im oberen GI einher. Die gemeinsame Einnahme mit SSRI oder dem SNRI Venlafaxin kann zu einer Hemmung der Thrombozytenaggregation führen infolge einer Serotonin-Wiederaufnahmehemmung in den Thrombozyten (Odds Ratio 4,8). Noch hö- her ist das Risiko für Blutungen im oberen GI bei Patienten ohne Magensäureprotektion (OR 9,1). Ob es Unterschiede in der Gruppe der SSRI gibt, ist noch nicht eindeutig geklärt. Es gibt Hinweise, dass je höher die Affinität zu Serotoninrezeptoren ist, desto ausgeprägter ist auch der Effekt an den Thrombozyten (Escitalopram, Citalopram, Sertralin) (1, 3). Paracetamol und Metamizol Für Paracetamol konnte keine Wirksamkeit gegen Tumorschmerzen nachgewiesen werden. In den USA und Großbritannien ist es die häufigste Ursache für ein akutes Leberversagen – Tendenz steigend. Paracetamol erfährt einen komplexen hepatischen Metabolismus. Ca. 98% werden konjugiert. Im Normalfall wird nur ein geringer Anteil durch Cytochrom P450-Enzyme zum hochreaktiven N-acetyl-benzochinonimin hydroxyliert. Dieser Metabolit reagiert mit Glutathion und verliert so seine Toxizität. Eine Leberzellnekrose tritt auf, wenn mehr von dem Metaboliten gebildet wird, als vom vorhandenen Glutathion aufgefangen werden kann (in Dosen ab 6–8 g/d). Das geschieht, wenn das Leberparenchym geschädigt oder reduziert ist, z.B. durch ausgedehnte Lebermetastasen und weniger Glutathion zur Verfügung steht. Aber auch, wenn eine Enzyminduktion, z. B. durch Phenytoin, Carbamazepin, Alkohol, Rifampicin, den Anteil des hydroxilierten Paracetamol erhöht (1, 2). Bzgl. anderer Organschädigungen schneidet Paracetamol wesentlich besser als NSAR ab. Für Metamizol ist eine gute analgetische und antipyretische sowie im hohen Dosisbereich eine gute spasmolytische Wirkung beschrieben. Das Mortalitätsrisiko einer Metamizol-induzierten Agranulozytose ist deutlich geringer als das einer letalen NSAR-induzierten GI-Blutung. Vorteilhaft sind auch die wenigen Einschränkungen bei Organfunktionseinbußen (4). Einsatz von Tramadol und Opiaten Tramadol Laut internationaler Guidelines verschiedener Schmerzgesellschaften wird bei chronischer Schmerztherapie oft die WHO Stufe II übersprungen und relativ rasch der Opiat-Einsatz dem Tramadol vorgezogen, meist aufgrund besserer Verträglichkeit (1). Der Teil des Tramadols, der an © Schattauer 2011 Onkologische Welt 1/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Supportivtherapie 40 Tab. 1 Ausgewählte Wechselwirkungen von Analgetika (nach [1]) Wirkstoff(Gruppe) CAVE: Kombination mit NSAR Coumarinen, ASS, Clopidrogel, SSRI, SNRI, Kortikoide, Alkohol Blutungsrisiko im GI-Trakt ACE-Hemmern Gefahr von Nierenversagen, verminderte antihypertensive Wirkung SSRI, SNRI, Carbamzepin, Oxcarbazepin, Lamotrigin, Antipsychotika, Opioden,... verstärkte Hyponatriämie über SIADH Antiemetika, 5HT3-Antagonisten eventuell Wirkverlust Paracetamol Wechselwirkung Carbamazepin, Alkohol, Phenytoin, Rifampicin, INH, Zidovudin erhöhtes Risiko für Leberzellnekrosen Metamizol Carbamazepin und Clozapin Gefahr einer Knochenmarksupression Antazida verminderte Resorption:(mind. 2Std. Einnahmeabstand) Pregabalin Oxycodon Beeinträchtigung kognitiver und grobmotorischer Funktionen möglich Tramadol Theophyllin, Alkohol, Antipsychotika, Lithium, Bupropion, … Senkung der Krampfschwelle SSRI, SNRI, MAO-I, TZA, Linezolid, Carbamazepin, Oxcarbazepin, atypische Antipsychotika, … Gefahr eines Serotoninsyndroms: Delir, Akathisie, Übelkeit, … Alkohol,Benzodiazepinen,Antipsychotika, Antihistaminika, Muskelrelaxantien, … verstärkte zentral dämpfende Wirkung Oxycodon verstärkte anticholinerge Wirkung Anticholinergika (Clozapin, Olanzapin, Hydoxyzin, Dimenhydranat, Diphenhydramin, Amantadin, Gyrasehemmer, Oxybutinin, Atropin, Scopolamin, …) Fentanyl alle Opiate Mundtrockenheit, Tachykardie, Delir, … Alkohol, Benzodiazepinen, Antipsychotika, Antihistaminika, Muskelrelaxantien,… den zentralen μ-Rezeptoren angreift um analgetisch zu wirken, muss nach Resorption durch das CYP 2D6-System in der Leber aktiviert werden. Bei Poor-Metabolisern bzw. bei gleichzeitiger Gabe von CYP 2D6-Inhibitoren kann diese Aktivierung vermindert sein. Zusätzlich wirkt Tramadol (ohne Aktivierung) über eine Erhöhung von Serotonin und Noradrenalin analgetisch. Dabei dürfte besonders die Serotonin-Erhöhung für die, sehr häufigen GI-Nebenwirkungen, wie Übelkeit und Erbrechen verantwortlich sein (1). In Kombination mit anderen serotonergen Substanzen ist immer auf das Auftreten eines Serotoninsyndroms zu achten, gekennzeichnet durch Akathisie, Unruhe, Erbrechen, Tremor oder Schwitzen (씰Tab. 1). Tramadol senkt die Krampfschwelle, was besonders in Kombination mit Theophyllin, Antipsychotika, Bupropion und Alkohol zu Anfällen führen kann. verstärkte zentral dämpfende Wirkung Buprenorphin unterscheiden sich hinsichtlich ihres Metabolismus und ihrer Ausscheidung. Bei Niereninsuffizienz müssen Hydromorphon und Buprenorphin nicht in der Dosis angepasst werden. Vor allem beim Einsatz von Fentanylpflaster und Oxycodon sollte eine gleichzeitige Einnahme anderer anticholinerg wirksamer Medikamente vermieden werden, um kognitive Verschlechterung bis hin zum Delir, vor allem beim alten Patienten, zu verhindern. In der Literatur sind auch Einzelfälle eines Serotoninsyndroms in Kombination mit anderen serotonergen Substanzen, vor allem Antidepressiva beschrieben (1). Bei allen Opiaten, vor allem bei i.v. Gabe, sollte auf eine Potenzierung der Gefahr der Atemdepression durch die gleichzeitige parenterale Gabe von Benzodiazepinen und Neuroleptika geachtet werden. Andere Analgetika Opiate Die am meisten eingesetzten Vertreter Morphin, Hydromorphon, Oxycodon, Fentanyl und Unter Carbamazepin kann es zu kognitiven Verschlechterungen, Leberschäden und einer starken Sedierung kommen. Aufgrund der sehr star- ken CYP 3A4-Induktion müssen Arzneimittel, die über dieses Isoenzym verstoffwechselt werden, in ihrer Dosis angepasst werden. Gerade bei Multimedikation ist Carbamazepin daher nicht unbedingt das Medikament der ersten Wahl. Gabapentin und Pregabalin erfordern im Fall bereits bestehender Nierenschädigungen eine Dosisanpassung, da sonst ZNS-Nebenwirkungen wie Schwindel auftreten können. Dr. Alexander Kretzschmar, München Literatur 1. Anditsch M. Wechselwirkungspotential von Analgetika in der Multimedikation 2010. 2. Chun LJ et al. Acetaminophen hepatotoxicity and acute liver failure. J Clin Gastroenterol 2009; 43(4): 342–349. 3. De Abajo FJ et al. Risk of upper gastrointestinal tract bleeding associated with selective serotonin reuptake inhibitors and venlafaxine therapy: interaction with nonsteroidal anti-inflammatory drugs and effect of acid-suppressing agents. Arch Gen Psychiatry 2008; 65(7): 795–803. 4. Link H et al. (Hrsg.) Supportivtherapie bei malignen Erkrankungen. Deutscher Ärzteverlag, 2006. Onkologische Welt 1/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Forum Supportivtherapie 41 In der Schmerztherapie Fortschritte gezielt nutzen Beinahe jede Tumorart kann in ihrem Verlauf zu Schmerzen führen, die die Lebensqualität und Aktivität der Patienten einschränken. 65% der Betroffenen berichten über Schmerzspitzen, rund 60% über Bewegungsschmerzen, weitere 20–60% über spontan auftretende und 29% über End-of-Dose-Schmerzen (1–4). Einem Expertenkonsensus folgend lässt sich mit einem gut verträglichen Analgetikum mit wenig Wechselwirkungen die Therapie verbessern (5). Bei der Auswahl des Analgetikums sollten Aspekte wie Komorbidität, Polypharmazie, Langzeitverträglichkeit, Wirkdauer sowie Effekte auf Mobilität und Lebensqualität noch stärker berücksichtigt werden. Zu empfehlen seien vor allem Opiate ohne Höchstdosisbeschränkung und aktive Metabolite mit ge- Abb. 1 Mittlere Unterschiede und 95% CI zwischen der OROS®-Hydromorphon- und der Retard-Morphin-Gruppe zum Ende der 2. Phase der Studie (modifiziert nach [14]). „Stärkster Schmerz“ „Schmerz am Vormittag“ „Schmerz am Abend“ „Geringster Schmerz“ „Durchschn. Schmerz“ -2,0 -1,59 ringem pharmakokinetischen Interaktionspotential und langer Wirkdauer (z. B. Jurnista®). Die Kombination aus stark schmerzlinderndem Wirkstoff (6–8) und innovativer Retardierung ermöglicht eine über 24 Stunden andauernde Schmerzlinderung bei einmal täglicher Gabe. Dabei sorgt die OROS®-Technologie für eine kontrollierte, kontinuierliche und lang anhaltende Freisetzung des Wirkstoffs. Der so erreichte gleichmäßige Plas- -0,80 -1,03 -1,49 -1,5 -0,38 -0,77 -1,0 Vorteil für OROS®Hydromorphon Primärer Wirksamkeitsendpunkt Sekundärer Wirksamkeitsendpunkt -0,01 0,27 -0,05 -0,51 0,06 -0,49 0,15 -0,5 0 0,64 0,79 0,5 1,0 1,5 2,0 Vorteil für Retard-Morphin maspiegel (PTF-Wert bei 61±41%) (9) folgt dem „the flatter the better“-Prinzip, das mit einer besseren Verträglichkeit assoziiert ist. Mit einer Halbwertsdauer (Plasmakonzentration ≥50% von Cmax) von deutlich über 30 Stunden können End-of-DoseSchmerzen so gut wie vermieden (10, 11) und die Anzahl der Durchbruchschmerzepisoden pro Tag minimiert werden (12, 13). Eine Head-to-Head-Studie zeigt, dass OROS®-Hydromorphon der Referenzsubstanz Morphin beim „Stärksten Schmerz“ und beim „Schmerz am Abend“ überlegen ist (14). Dr. Brigitte Muskalla, Eltville Literatur 1. Caraceni A et al. Pain 1999; 82: 263–274. 2. Portenoy RK et al. Pain 1990; 41: 273–228. 3. Strömgren AS et al. J Pain Symptom Manage 2004; 27: 104–113. 4. Radbruch L et al. Cancer 2002; 94: 832–839. 5. Zimmermann M et al. TumorDiagn u Ther 2010; 31 (Suppl. 1): S2–S3. 6. Palangio M et al. J Pain Symptom Manag 2002; 23: 355–368. 7. Hanna M et al. Poster presented at the 25th Annual Scientific Meeting of the American Pain Society, San Antonio, Texas, May 3–6, 2006. 8. Wallace et al. Int J Clin Pract 2007; 61: 1671–1676. 9. Moore KT et al. Dt. Schmerzkongress 2010. 14.4. 10. Sathyan G et al. BMC Clin Pharmacol 2007; 7: 2. 11. Lee KH et al. Support Care Cancer 2010; 18: 151. 12. Stepanovic A et al. 1st Congress for Pain Therapy of the Slovensko Zdruzenje Za Zdravljenje Bolecin. 09.-10.10.2009, Blend, Slovenien. Poster. 13. Güttler K. et al. Dt. Schmerzkongress 2010. P13.8. 14. Hanna M. et al. BMC Palliative Care. 2008; 7: 17. Hinweis: „Mit freundl. Unterstützung der JanssenCilag GmbH, Neuss“. Schmerzlinderung „Rund-um-die-Uhr“ ? Was zeichnet eine moderne Tumorschmerztherapie aus? Dr. Zimmermann: Ziel einer suffizienten Schmerzmedikation ist eine konstante Schmerzkontrolle, die dem Betroffenen eine größtmögliche Erleichterung verschafft. Die Analgesie sollte so gewählt sein, dass der Patient wach und mobil entsprechend seiner Möglichkeiten an sozialen Aktivitäten teilnehmen kann. ? Welches Wirkzeitfenster empfehlen Sie? Dr. Zimmermann: Eine lange, verlässliche Wirkung über 24 Stunden hat sich bewährt: So kann zum Beispiel mit OROS®-Hydromorphon eine konstante Schmerzarmut bzw. Schmerzfreiheit über diesen Zeitraum erreicht werden. Auch Phänomene, wie spontan auftretende Durchbruch- oder End-of-Dose-Schmerzen können damit minimiert, wenn nicht gar vermieden werden. ? Wie bewerten Sie diese Therapieoption? Dr. Zimmermann: Unter den oralen Opioiden ist es das Präparat, das mit einer Einmalgabe eine Schmerzlinderung „Rund-um-die-Uhr“ ermöglicht. Zudem eröffnet das breite Dosierungsspektrum und die fehlende Höchstdosisbeschränkung die Möglichkeit, bereits initial mit 4 mg zu titrieren, die Wirkstärken frei zu kombinieren sowie die Dosis über die 64 mg hinaus zu adaptieren. So kann ein Substanz- Dr. Michael Zimmermann, Frankfurt/Main wechsel umgangen werden – ein Aspekt, der Auswirkungen auf die Compliance hat. Denn letztlich entscheidet die Therapiezufriedenheit über den Erfolg einer Therapie. Interview: Dr. Brigitte Muskalla, Eltville © Schattauer 2011 Onkologische Welt 1/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Supportivtherapie 42 Chemotherapie-assoziierte Anämie Eisenmangel bleibt oft unentdeckt Bei Chemotherapie-Patienten sind ein Eisenmangel oder eine manifeste Anämie ein häufiges Phänomen. Sie haben nur selten therapeutische Konsequenzen, obwohl die direkte Beziehung zwischen dem Hb-Wert und der Lebensqualität bekannt sind. Auf dem ESMO-Kongress 2010 wurden Diagnose- und Therapiemöglichkeiten diskutiert. Bei Tumorerkrankungen gehören Eisenmangel und/oder Anämien zu häufigeren Komplikationen. Verlaufsstudien fanden bei Erstvorstellung in ca. 40% der Fälle eine Anämie (Hb<12g/dl). Das Anämierisiko wird unter Chemotherapie auf 75% fast verdoppelt. Die Chemotherapie-assoziierte Anämie entwickelt sich meist durch eine Myelosuppression. Bei Cisplatin-ähnlichen Substanzen kommt es zu einer direkten Hämolyse oder einer Nierenschädigung mit Verringerung der Erythropoetinsynthese und -überlebensdauer (10). Cave funktioneller Eisenmangel Eine der Hauptursachen der tumorbedingten Anämie ist der funktionelle Eisenmangel (FEM) infolge einer Eisenverwertungsstörung: Die Häufigkeit eines FEM bei Patienten mit tumorbedingter Anämie liegt bei 10–40%. Die Gabe von Erythropoetin (EPO) kann den FEM verstärken, weil der Eisenbedarf erhöht wird, obwohl die Eisenfreisetzung blockiert ist (6). Ein Eisenmangel verschlechtert bereits ohne manifeste Anämie die Leistungsfähigkeit und Lebensqualität er- heblich. Hb-Wert und Lebensqualität sind miteinander assoziiert (8). Der FEM bleibt oft unentdeckt, denn das oft gemessene Serumferritin zeigt nur die Höhe des gespeicherten Eisens. Wichtig sind die Transferrinsättigung (TSAT), der Anteil hypochromer Erythrozyten und der Hämoglobingehalt der Retikulozyten. Das National Comprehensive Cancer Network (NCCN) hat für Tumorpatienten einen Serumferritin-Grenzwert von >30 ng/ml für einen funktionellen Eisenmangel festgelegt (씰Abb. 1) (5, 9). Nach Leitlinien (ASH/ASCO, EORTC, ESA, NCCN) ist bei einem FEM eine Therapie der Anämie mit EPO zusammen mit einer – vorzugweisen intravenösen – Eisengabe zu erwägen (1, 4, 9). Orales Eisen kann den Bedarf nicht schnell und ausreichend decken, da es kaum resorbiert wird und oft gastrointestinale Nebenwirkungen verursacht. Der Nutzen von EPO mit/ohne Bluttransfusion als Prophylaxe oder Therapie einer Anämie während einer Tumortherapie wurde 2009 durch eine Cochrane-Analyse in Frage gestellt. Die Metaanalyse zeigte eine leichte Verschlechterung des Gesamtüberlebens (cHR 1,06) (3, 4). In prospektiven Studien wurde durch eine parenterale Eisensubstitution die Ansprech- Eisenmangel Funktioneller Eisenmangel Serum Ferritin > 30 ng/ml (< 800 ng/ml) TSAT < 20 % CRP Absoluter Eisenmangel Serum Ferritin < 30 ng/ml TSAT < 15% CRP normal Eisenmangelanämie Hb < 11 g/dl 1Retikulozyten-Hämoglobin 2Hypochrome Erythrozyten Abb. 1 Diagnose des absoluten und funktionellen Eisenmangels weitere Parameter zur Abklärung des Eisenmangels CHr1 < 29 pg HYP2 > 10 % rate von 40–75% auf 70–95% erhöht und die Zeit bis zum Ansprechen auf EPO verkürzt. Die zusätzliche intravenöse Eisensubstitution verringerte auch die benötigte EPO-Dosis. Teilweise konnte auf EPO verzichtet werden (1–3, 6, 7, 11). Reicht i.v. Eisen allein? Dies hat die Frage aufgeworfen, ob die i.v. Eisentherapie den Hämoglobinspiegel verbessert und den Bedarf an Bluttransfusionen, auch ohne EPO senkt. Eine Zwischenauswertung einer nicht-interventionellen Beobachtungsstudie zur Wirksamkeit und Sicherheit von Eisencarboxymaltose (Ferinject®) bei anämischen Tumorpatienten mit absolutem oder funktionalem Eisenmangel legt die Anwendung von Eisencarboxymaltose auch als Monotherapie nahe (12). Eisencarboxymaltose (50–1300 mg) wurde ohne Dosis- und Häufigkeitsbeschränkungen verabreicht. 347 Patienten erhielten mindestens eine Dosis Eisencarboxymaltose, 216 Patienten wurden mindestens 8 Wochen behandelt oder die vorgesehenen 12 Wochen. Nur 33 Patienten benötigten zusätzlich Erythropoetin. Die Ergebnisse zeigen eine Stabilisierung des Hb-Werts von 11–12 g/dl nach 4 Wochen. Der Therapie-Erfolg war unabhängig vom BaselineHb, der begleitenden Gabe von Erythropoetin oder der Eisencarboxymaltose-Dosierung. 2,3% der Patienten hatten vorwiegend milde, gastrointestinale unerwünschte Nebenwirkungen. Dr. Alexander Kretzschmar, München Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. Aapro MS et al. Oncologist 2008; 13(Suppl. 3): 33 Bastit L et al. J Clin Oncol 2008; 26: 1611–1618 Bohlius J et al. 2009; 3: CD007303 Bokemeyer C et al. Euro J Cancer 2007; 43: 258 Crawford J et al. Cancer 2002; 95: 888–895 Hedenus M et al. Leukemia 2007; 21: 627–632 Kim YT et al. Gynecol Oncol 2007; 105: 199–204 Ludwig H et al. Eur J Cancer 2004; 40: 2293–2306 NCCN Practice Guidelines in Oncology – v.2.2010, ANEM-5, 2009/2010 10. Nowrousian MR. Vortrag zum 15. Münchener Fachpresse-Workshops „Supportivtherapie in der Onkologie“, München, 8. Juli 2010 11. Pedrazzoli P et al. J Clin Oncol 2008; 26: 1619–1625 12. Steinmetz T et al. Haematologica 2010; 95: 712 (Abstract 1841) Quelle: Satellitensymposium „The evolving role of I.V. iron in cancer patients – expert recommendations and discussions“ im Rahmen des 35. Kongresses der European Society for Medical Oncology (ESMO) am 10. Oktober 2010, Mailand. Veranstalter: Vifor AG, Glattbrugg/Schweiz. Onkologische Welt 1/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Serie urologische Onkologie 43 trolliert werden kann. Das biochemische Rezidiv ist durch einen PSA-Anstieg gekennzeichnet. In der Folge treten erste asymptomatische klinische Metastasen auf, später auch symptomatische, oft ossäre Metastasen (씰Abb. 1). Neue Optionen in der metastasierten Situation Fortschritte in der Therapie des Prostatakarzinoms Beim Prostatakarzinom mehren sich nach Ansicht von Prof. Carsten Bokemeyer, Hamburg, die therapeutischen Optionen im fortgeschrittenen Stadium. Dies gilt auch für Männer mit einem hormonrefraktärem Prostatakarzinom, die nach einer Therapie mit Docetaxel eine Progression erleiden, machte er auf einer Fortbildungsveranstaltung deutlich. Hier gab es bislang keine echten therapeutischen Optionen. Der Nutzen und Stellenwert eines PSA-Screenings zur Senkung der Mortalität wird nach diskrepanten Ergebnissen neuerer europäischer und amerikanischer Studien weiterhin kontrovers diskutiert (10). Insgesamt sieht man den Nutzen dieser Maßnahme laut Bokemeyer heute aber etwas kritischer (2). Ein Minimalkonsensus besteht darin, dass das PSA-Screening bei sorgfältig ausgewählten Patienten zu einer Senkung der Mortalität beitragen kann. Diese Population ist aber noch nicht genau definiert. Präventive Strategien In der placebokontrollierten REDUCE-Studie wurde geprüft, ob der 5α-Reduktasehemmer Dutasterid bei klinisch unauffälligen Männern mit erhöhtem PSA-Wert das Krebsrisiko verringert (1). Es zeigte sich eine signifikante Verringerung des relativen Risikos um 23% (p<0,0001). Der Anteil der Tumore mit ungünstigem Gleason-Score unterschied sich aber nicht signifikant zwischen den Gruppen. Boke- meyer zieht daraus den Schluss, dass eine präventive Therapie mit Dutasterid zwar eine Progressionsverzögerung erreicht, aber die Biologie der Tumorinduktion nicht geändert wird. Lokales Prostatakarzinom Eine frühe Statin-Therapie führt zu einem PSAAbfall. In einer aktuellen Studie (n = 189) führte das Statin nach einer kurativen Radiatio zu einem verbesserten FFBF (Freedom of Biochemical Failure; p<0,001), FFADT (Freedom from Salvage Androgen Deprivation Therapy; p = 0,0011) und RFS (Relapse-Free Survival; p<0,001) (7). In einer Regressionsanalyse war der positive Effekt mit einem PSA vor der Therapie ≤8,4, Stadium <T2b und einem GleasonScore <7 assoziiert. Der klinische Verlauf des metastasierten Prostatakarzinoms ist meist mit einem Rezidiv nach Lokaltherapie assoziiert. In der Regel erfolgt dann eine Hormontherapie, mit der die Krankheitsprogression über 2-3 Jahre gut kon- PSA Anstieg HRPC Rezidiv nach Lokaltherapie Klinische Metastasen Hormontherapie Biochemisch Asymptomatisch Symptomatisch M0 M+ M+ 24 + Monate 12–24 Monate 6–12 Monate Abb. 1 Klinischer Verlauf des metastasierten Prostatakarzinoms Tod Metastasiertes Prostatakarzinom Hormontherapie Rund 85% der Tumore sind hormonsensibel. Standard der medikamentösen Hormonablation sind laut Bokemeyer die LH-RH-Analoga, die ebenso wirksam sind wie eine Orchiektomie. Die Ansprechdauer einer Hormontherapie beträgt median 3-4 Jahre. Möglicherweise profitieren Subgruppen – minimale Metastasierung, junge Patienten – von einer maximalen Androgenblockade. Langzeitdaten des GnRH-Rezeptorblockers Degarelix (Firmagon®) zeigen in der Extensionsstudie CS21A nach 840 Tagen eine gleichbleibend gute Wirksamkeit entsprechend derjenigen in der 12-monatigen Zulassungsstudie. Aktuell wird Degarelix 3-Monatsdepot gegen Goserelin untersucht (11). Mit dem CYP17-Inibitor Abirateron und dem Androgenrezeptor-Antagonisten MDV 3100 wurden 2010 zwei vielversprechende Substanzen mit neuen Therapieprinzipien in der Primärtherapie des hormonrefraktären Prostatakarzinoms vorgestellt. CYP17 spielt im Androgenstoffwechsel eine wichtige Rolle. In einer Phase-I-Studie mit 33 Patienten, davon 19 mit Ketoconazol-Vortherapie betrug die mediane Zeit bis zur PSA-Progression 298 bzw. 230 Tage mit/ohne Ketoconazol-Vortherapie (12). Kleinere Phase-II-Studien bestätigen einen PSA-Abfall bei vielen Patienten mit Ketoconazol-Vortherapie und nach Versagen einer Docetaxel-haltigen Chemotherapie (3). Eine Phase-III-Studie mit 1195 Patienten ergab für Abirateron/Prednison vs. Prednison eine Verlängerung des Gesamtüberlebens von median 14,8 vs. 10,9 Monaten (p<0,0001), der Zeit bis zur PSA-Progression (10,2 Monate vs. 6,6 Monate; p<0,0001), dem radiologisch progressionsfreien Überleben (5,6 vs. 3,6 Monate; p<0,0001) und der PSA-Ansprechrate (29,1 vs. 5,5%) (4). Die Daten zeigen eine sehr gute Verträglichkeit. Die Zulassung zur Zweitlinientherapie nach Docetaxel-Vortherapie ist eingereicht. © Schattauer 2011 Onkologische Welt 1/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Serie urologische Onkologie Gesamtüberleben (% Patienten) 44 MP CBZP Medianes Gesamtüberleben (Monate) 12,7 15,1 100 0,72 Hazard ratio 80 < 0,0001 P-Wert 28 % Risikoreduktion für Tod 60 zensiert MP = Mitoxantron/Prednison CBZP = Cabazitaxel 40 20 Kombinierter medianer Follow-Up 13,7 Monate 0 0 6 12 18 Zeit (Monate) 24 30 Abb. 2 Gesamtüberleben in der TROPIC-Studie MDV 3100 blockiert die Translokation des Androgenrezeptors in den Zellkern. In einer Phase I/II-Studie bestätigte sich, dass beim kastrationsresistenten Prostatakarzinom weiterhin eine Abhängigkeit von der Signalübertragung über Androgenrezeptoren besteht (13). Bei 140 Patienten nach Versagen einer Hormon- oder Chemotherapie wurde in 66% ein PSA-Abfall >50% erreicht, die Knochenmetastasen bildeten sich bei 56% zurück. Die Zeit bis zur Progression betrug median 47 Wochen. Wichtigste Nebenwirkung war eine dosisabhängige reversible Fatigue (Grad 3/4: 11%). Ein neuer immuntherapeutischer Ansatz mit Sipuleucel-T war in einer Phase-III-Studie beim hormonrefraktären Prostatakarzinom effektiv (8). Es ist aber unklar, so Bokemeyer, ob sie einer Chemotherapie mit Docetaxel (Taxotere®) überlegen oder mit dieser kombinierbar ist. Der Preis soll etwa 90 000 US-Dollar/Jahr betragen. solon über je 10 Zyklen (5). Im Cabazitaxel-Arm sank das mediane Sterberisiko um 28%, das mediane Gesamtüberleben stieg auf 15,1 Monate vs. 12,7 (씰Abb. 2). Das mediane progressionsfreie Überleben stieg von 1,4 (Mitoxantron) auf 2,8 Monate (Cabazitaxel). Die häufigsten Nebenwirkungen Grad 3/4 waren unter Cabazitaxel vs. Mitoxantron Neutropenien (81,7 vs. 58%) und Durchfall (6 vs. <1%). Die Drop-Out-Rate betrug 18,3% (Cabazitaxel-Arm) vs. 8,4% (Mitoxantron-Arm). In den USA ist Cabazitaxel bereits zugelassen. In Deutschland ist die Substanz über ein Compassionate Use-Programm zugänglich. Als negativ werden die Ergebnisse der CALGB 90401-Studie eingestuft (9). Die Hinzugabe von Bevacizumab zu Docetaxel/Prednison führte zu höheren Ansprechraten und einem längeren progressionsfreien Überleben (9,9 vs. 7,5 Monate; p<0,0001). Wegen der hohen Toxizität wurde aber kein Überlebensvorteil erreicht. Die therapieassoziierte Mortalität war im Bevacizumab-Arm signifikant höher (4,4 vs. 1,1%; p = 0,0014). Chemotherapie Ossäre Metastasierung Mit Cabazitaxel hat eine neue chemotherapeutische Substanz ihre Effektivität in der Zweitlinientherapie beim Docetaxel-vorbehandelten hormonrefraktären Prostatakarzinom gezeigt. In der Phase-III-Zulassungsstudie TROPIC erhielten 755 Männer mit Progress nach Docetaxel-Therapie entweder Cabazitaxel 25 mg/m2 an Tag 1 alle 3 Wochen plus Prednison/Prednisolon oder Mitoxantron plus Prednison/Predni- Der monoklonale Antikörper Denusomab (Prolia®) ist bereits zur Therapie des Knochendichteverlusts durch eine hormonablative Therapie bei Männern mit Prostatakarzinom und erhöhtem Frakturrisiko zugelassen. Neben seiner Wirksamkeit im frühen Stadium zeigte sich Denusomab auch in einer Phase-III-Studie bei 1901 Patienten mit fortgeschrittenem Prostatakarzinom im Vergleich zu Zoledronat als signifikant Immuntherapie überlegen beim Auftritt eines ersten skelettalen Ereignisses (SRE) (p = 0,008) (6). Die mediane Dauer bis zum ersten SRE war unter Denusomab 20,7 Monate vs. 17,1 Monate unter Zoledronat (HR 0,82). Die Inzidenz von Kieferosteonekrosen war weitgehend vergleichbar (Denusomab: 2,3%; Zoledronat: 1,3%). Dr. Alexander Kretzschmar, München Literatur 1. Andriole et al. Effect of Dutasteride in the Risk of Prostate Cancer. N Engl J Med 2010; 362: 1192−1202. 2. Bokemeyer C Tumore des Urogenitaltraktes. Vortrag auf dem 6. Onkologie-Update-Seminar vom 28.-29. Januar 2011, Berlin. 3. Danila DC et al. Phase II multicenter study of abiraterone acetate plus prednisone therapy in patients with docetaxel-treated castration-resistant prostate cancer. J Clin Oncol 2010; 28: 1496−1501. 4. De Bono JS et al. Abiraterone acetate plus low dose prednisone improves overall survival in patients with metastatic castration-resistant prostate cancer who have progressed after docetaxel-based chemotherapy: Results of COU-AA-301, a randomized double-blind placebo-controlled phase III study. Ann Oncol 2010; 21: Abstract LBA 5. 5. De Bono JS et al. Prednisone plus cabazitaxel or mitoxantrone for metastatic castration-resistant prostate cancer progressing after docetaxel treatment: a randomized open-label trial. Lancet 2010; 376: 1147−1154. 6. Fizazi K et al. A randomized phase III trial of denusomab versus zoledronic acid in patients with bone metastases from castration-resistant prostate cancer. J Clin Oncol 2010; 28: 18s; Abstract LBA4507. 7. Gutt R et al. Statin use and risk of prostate cancer recurrence in men tretated with radiation therapiy. J Clin Oncol 2010; 28: 2653−2659. 8. Kantoff et al. Sipuleucel-T immunotherapy for castration-resistant prostate cancer. N Engl J Med 2010; 363: 411−422. 9. Kelly WK et al. A randomized, double-blind, placebo-controlled phase III trial comparing docetaxel, prednisone and placebo with docetaxel, prednisone and bevacizumab in men with metastatic castration-resistant prostate cancer(mCRPC): Survival results of CALGB 90401 J Clin Oncol 2010; 28: 18s; Abstract LBA4511. 10. Loeb S et al. What is the true number needed to screen and treat to save a life with prostate-specific antigen testing? J Clin Oncol. 2011; 29(4): 464−467. 11. Plekhanov A et al. Switching from leuprolide to degarelix vs continuous degarelix treatment – effects on longterm PSA control, draft abstract: 4. NEEMTagung der European Urologic Association, 10–11. September 2010 12. Ryan CL et al. Phase I clinical trial of the CYP17 inhibitor abiraterone acetate demonstrating clinical activity in patients with castration-resistant prostate cancer who received prior ketokonazol therapy. J Clin Oncol 2010; 28: 1481−1488. 13. Scher I et al. Antitumor activity of mdv 3100 in castration-resistant prostate: A phase 1–2 study. Lancet 2010; 375: 1437−1446. Onkologische Welt 1/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. UroOnkologie 45 Multilokuläre Skelettmetastasierung Zusammenfassung Palliative Schmerztherapie mit offenen Radionukliden Die nuklearmedizinische palliative Schmerztherapie stellt eine nebenwirkungsarme, ergänzende Behandlungsoption im Gesamtspektrum der Schmerztherapie bei Patienten mit einer multilokulär osteoblastischen Metastasierung vieler Primärtumoren dar. Sie zeichnet sich durch einen raschen Einsatz der Schmerzlinderung und durch lang anhaltende Wirkung aus. Vorläufige Berechnungen weisen auf eine günstige Kosten/Nutzen-Relation hin. Durch die nuklearmedizinische palliative Schmerztherapie bessert sich bei Patienten mit metastasiertem Mamma- oder Prostatakarzinom die Schmerzsymptomatik in 70–80%, bei anderen Primärtumoren weniger häufig (1, 3). Völlig schmerzfrei werden nur wenige Patienten. Eine medikamentöse Basistherapie ist bei den meisten Tumorpatienten weiterhin erforderlich. Insgesamt zeichnet sich die Therapie durch eine hohe Akzeptanz bei den Patienten aus, da es sich um eine einmalige Injektion handelt. In Deutschland werden pro Jahr Patienten mit etwa 50 neuen Prostatakarzinomen sowie etwa 85 neuen Mammakarzinomen auf 100 000 Einwohner diagnostiziert. Tumorbedingte Schmerzen und die Entwicklung von Knochenmetastasen sind häufig auftretende Begleiterscheinungen. 40–50% der tumorbedingten Schmerzen werden durch Knochenmetastasen hervorgerufen (6). Ziel der Behandlung muss es sein, die Lebensqualität zu verbessern, das heißt „to add life to the years, not years to the life“. Die suffiziente Behandlung Knochenmetastasen bedingter Schmerzen ist eine oft schwierige Aufgabe, die ein interdisziplinäres Vorgehen aller beteiligten Ärzte erfordert. Die Radionuklidtherapie ergänzt als effektive systemische Therapie neben der medikamentösen Therapie nach dem WHO-Stufenschema, der perkutanen Strahlentherapie sowie der chirurgischen Tumortherapie die systemische palliative Behandlung. Voraussetzung und Durchführung Für die nuklearmedizinische palliative Schmerztherapie sind in Europa mit Strontium[89Sr]chlorid und Samarium[153Sm] EDTMP zwei Radionuklide zugelassen. Am Beispiel von Quadramet® (Samarium[153Sm] EDTMP) wird hier nachfolgend die Radionuklidtherapie vorgestellt. Es ist zur Behandlung schmerzhafter osteoblastischer Knochenmetastasen, unabhängig vom Primärtumor, zugelassen. Voraussetzungen für die Therapie sind eine hohe osteoblastische Aktivität der Metastasen. Diese wird vorab in einem Knochenszintigramm mit radioaktiv markierten Bisphosphonaten nachgewiesen. Die hohe Affinität zum Knochengewebe bedingt eine hohe Herddosis in den Metastasen. Die Dosis wird individuell für jeden Patienten ermittelt. Die Behandlung erfolgt ambulant. Im Anschluss kann der Patient in sein häusliches Umfeld zurückkehren. Mit einem Wirkungseintritt kann nach etwa einer Woche gerechnet werden. Die Schmerzlinderung hält häufig für etwa 8 bis 12 Wochen an, im Einzelfall auch bis zu 12 Monaten (5). Diese Therapie ersetzt nicht die Schmerzmedikation, jedoch kann diese nach Beurteilung durch den behandelnden Arzt entsprechend reduziert werden. Ebenso ist vom behandelnden Arzt das Blutbild in kurzen Abständen (1–2 Wochen) über einen Zeitraum von etwa 8 Wochen zu kontrollieren, um eine sich entwickelnde vorübergehende Myelosuppression zu kontrollieren. Nach dieser Zeit hat sich das Knochenmark in der Regel erholt. Entgegen ursprünglicher Bedenken wirkt sich eine Behandlung mit modernen BisphosphonatPräparaten nicht negativ auf den Knochen-Uptake osteotroper Radiopharmaka aus (4). Ein möglicher kurativer Ansatz ist die Kombination der Radionuklidtherapie mit einer Chemotherapie. Kontraindikationen Als wichtigste Kontraindikation ist neben Schwangerschaft und Stillzeit eine ausgeprägte Knochenmarksdepression mit einer Thrombocytopenie <60 000/μl oder Leukopenie <2400/μl (2) und eine eingeschränkte Nierenfunktion (Harnstoff >12mmol/l; Kreatinin >150mmol/l) anzusehen. Prof. Dr. med. Manfred Fischer, Kassel Literatur 1. Elgazzar AH, Maxon HR. Radioisotope therapy of cancer related bone pain. In: Limouris GS, Shukla SK (eds.) Radionuclides for therapy. Mediterra Publishers, Athen 1993; 111–116. 2. Fischer M. Leitlinie für die Radionuklidtherapie bei schmerzhaften Knochenmetastasen. Nuklearmedizin 1999; 38: 270–272. 3. Fuster D et al. Usefulness of strontium-89 for bone pain palliation in metastatic breast cancer patients. Nucl Med Commun 2000; 21: 623–626. 4. Marcus CS et al. Lack of effect of a bisphosphonate (pamidronate disodium) infusion on subsequent skeletal uptake of Sm-153-EDTMP. Clin Nucl Med 2002; 27: 427–430. 5. McEwan AJB. Palliation of bone pain. In: Murray IPC, Ell PJ (Hrsg) Nuclear medicine in Clinical Diagnosis and Treatment. Churchill Livingston, Edinburgh, 1994; 877–892. 6. World Health Organisation. Cancer pain relief and palliative care. WHO Technical Report Series. 1990; 804: 7–73. Hinweis: Mit freundl. Unterstützung der CIS bio GmbH, Berlin. © Schattauer 2011 Onkologische Welt 1/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Spektrum Onkologie 46 Immunthrombozytopenie (ITP) Romiplostim effektiver als bisherige Standardtherapien Die Immunthrombozytopenie (ITP) ist wieder in den Fokus des Interesses gerückt. Dies hängt damit zusammen, dass mit den TPO-Rezeptoragonisten wie Romiplostim (N-Plate®) Medikamente verfügbar sind, die Thrombozytenanzahl steigern können. Dies ist wichtig, da es bei der ITP durch die Zerstörung oder unzureichende Bildung von Thrombozyten zu einer erhöhten Blutungsneigung kommt, die sich in spontanen Blutergüssen, Schleimhautblutungen und in schweren Fällen in Magen-Darm- oder Gehirnblutungen äußert. Der Mangel an Thrombozyten resultiert, wie Priv.Doz.Aristoteles Giagounidis, Duisburg darstellte, aus einem durch Auto-Antikörper verursachten Abbau in Milz und Knochenmark. Bisherige Therapieoptionen wie Kortikoide, Antisuppressiva wie Azathioprin oder auch Rituximab beschränkten sich vorrangig auf eine Hemmung des Thrombozytenabbaus, waren mit erheblichen Nebenwirkungen behaftet und zudem ließ sich das Ansprechen auf sie nur schwer vorhersagen. „Zudem wurde keine dieser Substanzen speziell bei der ITP in kontrollierten, randomisierten Studien überprüft“, ergänzte der Hämatologe. Eine multizentrische, randomisierte Phase-IIIStudie belegt, dass Romiplostim der Standardbehandlung überlegen ist (1). Im Verhältnis 2:1 wurden 234 nicht-splenektomierte Patienten entweder in den Romiplostim-Arm oder zu einer der Standardtherapien einschließlich Steroide, Azathioprin, Immunglobulin oder Rituximab randomisiert. Nach 52 Behandlungswochen zeigten sich signifikante Vorteile für Romiplostim. Dies betraf sowohl den primären Endpunkt Behandlungsfehler, definiert als Thrombozytenzahlen <20 000/mL (11% vs. 30%; p = 0,001) als auch die Rate an notwendigen Splenektomien. „Nur Therapie HER2-überexprimierender Mammakarzinome Von der Innovation zum therapeutischen Standard Was heute in der Onkologie eine Selbstverständlichkeit ist – Antikörper wirken gegen Krebs – galt noch vor rund 10 Jahren als eine ausgesprochene Innovation. Insofern wurde die Einführung von Trastuzumab (Herceptin®) mit großer Spannung verfolgt. Mit dem Erfolg dieses Therapieansatzes fühlte man sich an das „Magic Bullet“-Konzept von Paul Ehrlich erinnert, meinte Prof. Axel Ulrich vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried auf einer Pressekonferenz. Für Ulrich ist „Trastuzumab das erste Beispiel einer individualisierten Anti-Krebssubstanz, die in ihrer Wirksamkeit speziell auf eine Patientengruppe zugeschnitten ist“. Er wünscht sich für die Zukunft die feste Implementierung prädiktiver Marker wie der Defizienz des Tumorsuppressor-Gens pTen oder von c-Myc in die klinische Routine. Prof. Wolfgang Eiermann, München, wies darauf hin, dass eine HER2-Bestimmung auch bei kleinen Tumoren <1 cm mit vermeintlich guter Prognose durchgeführt werden sollte. Der Onkologe bemängelte in diesem Zusammenhang, dass noch immer 20–30% der HER2-Bestimmungen fehlerhaft sind, vor allem bei dezentraler Testung. Inzwischen laufen zur weiteren Optimierung dieses Therapiekonzepts einige neue Studien. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Vermeidung und 9% der Patienten unter Romiplostim benötigen eine Milzentfernung, während 36% der Patienten im Standardarm eine solche Behandlung brauchten”, so Giagounidis. Der Zeitraum bis zu dieser Operation konnte deutlich verlängert werden. „Normalerweise sind wir froh, wenn wir die Patienten mit den Standardmethoden überhaupt aus dem Blutungsbereich bekommen. Unter Romiplostim befinden sich dagegen die Mehrzahl der behandelten Patienten im Normbereich und bleiben bei Therapie auch dort“, betonte der ITPSpezialist. Die hohe Rate an Thrombozyten-Ansprechen wurde nicht mit zusätzlichen Nebenwirkungen erkauft. Die unerwünschten Wirkungen unter Romiplostim blieben mild bis moderat und bestanden hauptsächlich in Kopfschmerzen und Fatigue. Diese gute Effektivität und Verträglichkeit setzte sich auch in einer gesteigerten Lebensqualität der Patienten um. Birgit Reich, Hamburg Literatur 1. Kuter DJ et al. Romiplostim or standard of care in patients with immune thrombocytopenia. N Engl J Med 2010; 363: 1889–1899. Quelle: Fachpresse-Workshop am 25. November 2010 in München: Veranstalter: ASORS/pomme-med. Überwindung eines Nichtansprechens bzw. von Resistenzen gegen Trastuzumab. Ein Weg könnte die Kombination mehrerer Antikörper sein, beispielsweise Trastuzumab und den neuen Antikörper Pertuzumab, um dadurch einen Synergieeffekt zu erzielen. Denn die verschiedenen Signalwege, die Krebszellen zur Vermehrung anregen, scheinen miteinander zu kommunizieren. Die AGO-Leitlinie empfiehlt die Kombination Trastuzumab/Lapatinib, wenn die Einzelsubstanzen nicht adäquat wirken. Erfolgversprechend ist auch T-DM1, die Kombination aus Trastuzumab (T) plus Chemotherapie (DM1). Dr. Alexander Kretzschmar, München Quelle: Pressekonferenz: „10 Jahre Herceptin® – HER2-positiver Rezeptorstatus als signifikanter Überlebensvorteil“ am 27. September 2010, Frankfurt/ Main. Veranstalter: Roche Pharma AG, GrenzachWyhlen Onkologische Welt 1/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Spektrum Onkologie 47 Generationswechsel bei der CML-Therapie Im Dezember stand Tasigna® kurz vor der europaweiten Zulassung zur Erstlinientherapie der Chronisch Myeloischen Leukämie (CML). Mit Nilotinib steht neu diagnostizierten Philadelphia-Chromosom-positiven CML-Patienten in der chronischen Phase ab sofort eine noch wirksamere und gut verträgliche Therapie zur Verfügung. Mit Nilotinib (2 x 300 mg/Tag) erleiden weniger Patienten eine Progression und es treten weniger CML-bedingte Todesfälle auf als unter Glivec® (Imatinib). Das tiefere und schnellere molekulare Nilotinib-Ansprechen gilt als prädiktiver Parameter für ein längeres progressionsfreies Überleben. Basis für die Zulassung ‚first line’ bilden die Daten der ENESTnd-Studie in 217 Studienzentren mit 846 Patienten. In der ENESTnd-Studie hat sich eine Erstlinientherapie mit Nilotinib gegenüber dem bisherigen Standard Imatinib in klinisch relevanten Parametern als wirksamer erwiesen: ● Doppelt so viele Patienten erreichten unter Nilotinib (2 x 300 mg täglich) im Vergleich zu Imatinib (1 x 400 mg täglich) ein gutes mole- ● kulares Ansprechen (MMR), den primären Studienendpunkt (44% vs. 22%, p<0,0001). Zudem waren nach 18-Monaten unter Nilotinib 2 Patienten (0,7%) progredient, unter Imatinib 12 Patienten (4,2%, p = 0,006). Prof. Andreas Hochhaus, Jena, bescheinigt Nilotinib eine gute Verträglichkeit. Unter Nilotinib traten nach 18 Monaten weniger Ödeme und gastrointestinale Nebenwirkungen auf als unter Imatinib. Hämatotoxizitäten waren in beiden Studienarmen selten. Eine Kreuzintoleranz für Hämatotoxizität ist möglich: Tritt sie unter Imatinib auf, ist sie auch für Nilotinib denkbar, sagt Priv.-Doz. Philipp Le Coutre, Berlin. Als Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen und Übelkeit erwähnenswert, waren aber nicht so häufig wie unter Imatinib. Es gab keine Pankreatitiden. Man konnte unter Nilotinib Hyperbilirubinämien der gutartigen Form sehen, einen Anstieg der Blutzuckerwerte und der Lipase-Werte. Eine bestehende antidiabetische Therapie sollte man anpassen. Innerhalb der Studien sah man kein diabetisches Koma unter Nilotinib. Man beobachtete keine höhergradigen Herz-Rhythmus-Störungen (torsade de pointes, QT-Verlängerungen). „Wichtig sind stabile Wirkspiegel von Nilotinib und der Patient sollte nüchtern sein, bevor die Kapseln eingenommen werden“, rät Le Coutre. So sollte die erste Einnahme von Nilotinib 2 x 150 mg 1 Stunde vor dem Mittagessen, z. B. um 11 Uhr, erfolgen und die zweite Einnahme von Nilotinib 2 x 150 mg vor dem Schlafengehen, z. B. um 23 Uhr. Dr. med. Nana Mosler, Leipzig Quelle: Novartis Oncology Launch-Pressekonferenz „Novartis – von der Tradition zur Innovation: Zulassung von Tasigna® zur Erstlinientherapie der CML“ am 1. Dezember 2010 in Frankfurt/Main. Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Spektrum Onkologie 48 In die Therapie des malignen Melanoms kommt Bewegung Licht am Ende des Tunnels Seit dem 1. Juli 2008 bezahlen die gesetzlichen Krankenkassen im Rahmen eines auf fünf Jahre befristeten Pilotprojekts ein Hautkrebs-Screening alle zwei Jahre bei zertifizierten Hausärzten und Dermatologen. Patienten sind oft überrascht, wenn sie sich für diese Untersuchung komplett entkleiden müssen. Aber nur so ergibt eine ScreeningUntersuchung Sinn, wie Prof. Ralf Gutzmer, Hannover, auf einem Presseworkshop betonte. Denn 80% aller Melanome entwickeln sich auf Hautpartien, die von Kleidung bedeckt sind. Die erste Frage an den Patienten, die den Arzt auf die Spur eines malignen Melanoms führt, ist, ob sich an dem braunen Fleck etwas verändert hat. Auf Malignität weisen Asymmetrie, inhomogene Pigmentierung, unscharfe Begrenzung, Erhabenheit sowie Ulzeration oder entzündliche Veränderungen hin. Auch der geschulte klinische Blick ist jedoch nicht immer in der Lage, einen bösartigen Hauttumor klar zu erkennen. Die Auflichtmikroskopie hilft, einen klinischen Verdacht zu verstärken oder zu entkräften. Für die definitive Klärung eines verdächtigen Befunds muss die Veränderung komplett exzidiert werden. Bestätigt sich die Malignität, sollte eine Biopsie des Wächterlymphknotens erfolgen, wenn die Tumordicke 1 mm überschreitet. Da das maligne Melanom frühzeitig metastasiert, ist bei Risikopatienten – dicker Tumor, positiver Wächterlymphknoten – eine adjuvante Therapie indiziert. Allerdings gibt es keine vernünftige Studie, die einen Vorteil für eine Chemotherapie gezeigt hat. Dies liegt an der Tumorbiologie, wie Gutzmer erläuterte. Die Tumoren streuen zwar frühzeitig, die Tochterzellen entwickeln aber nicht sofort eine hohe mitotische Aktivität, die Voraussetzung für den Effekt von Chemotherapeutika ist. Zugelassen ist bisher einzig und allein eine unspezifische Aktivierung der Immunantwort durch Interferon-alpha, für die ein Vorteil hinsichtlich Gesamtüberleben gezeigt wurde. Erst im metastasierten Stadium kommen systemische Chemo- oder Chemo-Immuntherapien zum Einsatz. Hier gibt es keinen Standard, sondern es handelt sich immer um individuelle Therapieentscheidungen. Für kein Regime konnte im metastasierten Stadium eine Überlebensverlängerung gezeigt werden. Neue Immuntherapeutika in der Pipeline In Entwicklung befinden sich derzeit aber spezifische immuntherapeutische Ansätze. Forschungen haben ergeben, dass Tumoren, die auf intermittierend licht-exponierter Haut wachsen, verstärkt BRAF-Mutationen aufweisen, und Tumoren, die auf chronisch lichtexponierter Haut wachsen, CKIT-Mutationen. BRAF und CKIT-Blocker werden derzeit klinisch untersucht. Für die Zulassung in den USA bereits eingereicht ist der CTLA-4-Inhibitor (zytotoxisches T-Lymphozyten-assoziiertes Antigen 4) Ipilimumab (씰Kasten „Ipilimumab verlängert Gesamtüberleben“). CTLA-4 ist ein Molekül auf den T-Zellen, das eine entscheidende Rolle bei der Regulierung der natürlichen Immunantwort spielt. Durch die Suppression von CTLA-4 wird die Anzahl der T-Zellen erhöht und die Reaktion des Immunsystems somit bei der Bekämpfung von Krankheiten verstärkt. Dr. Angelika Bischoff, Planegg Ipilimumab verlängert Gesamtüberleben In einer randomisierten, doppelblinden Phase-III-Studie verlängerte Ipilimumab das mediane Gesamtüberleben von Patienten mit vorbehandeltem metastasierendem Melanom signifikant. Dies galt für Patienten, die Ipilimumab als Monotherapie (Hazard Ratio 0,66; p = 0,0026) oder in Kombination mit einem Vakzin (gp100-Peptid) (HR 0,68; p = 0,0004) erhalten hatten im Vergleich mit einer gp100 Monotherapie als Kontrolle. 44-46% der mit Ipilimumab behandelten Patienten waren nach einem Jahr noch am Leben, in der Kontrollgruppe waren es 25%. Nach zwei Jahren waren 22-24% der mit Ipilimumab behandelten Patienten noch am Leben gegenüber 14% der Patienten in der Kontrollgruppe. Wie in anderen Studien mit Ipilimumab standen die häufigsten Nebenwirkungen im Zusammenhang mit der Aktivitätssteigerung des Immunsystems und basierten auf dem Wirkungsmechanismus. Diese immunbedingten Nebenwirkungen waren zuweilen schwer, lebensbedrohend und betrafen am häufigsten den Gastrointestinaltrakt, die Haut, die Leber oder das endokrine System. Eine Entscheidung über die Zulassung in den USA wird für 2011 erwartet. Dr. Alexander Kretzschmar, München Literatur 1. Hodi FS et al. Improved survival with ipilimumab in patients with metastatic melanoma. N Engl J Med 2010; 363(8): 711–723. Quelle: Medienworkshop „Das Melanom – Herausforderungen und Chancen“ am 6. Dezember 2010, München. Veranstalter: Bristol-Myers Squibb Onkologische Welt 1/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-22 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved.