Wie die EU Afrikas Fischversorgung sichert – Mauretaniens

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SÜDWESTRUNDFUNK
SWR2 Wissen – Manuskriptdienst
Wie die EU Afrikas Fischversorgung sichert –
Mauretaniens Weg zu nachhaltiger Fischerei
Autoren: Thomas Kruchem
Redaktion: Udo Zindel
Regie: Thomas Kruchem
Sendung: Dienstag, 17. Juni 2014, SWR2 Wissen, 8.30 Uhr
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ATMO
Markttrubel am Hafen
Sprecher
Fischmarkt in Nouakchott, der Hauptstadt der westafrikanischen Republik Mauretanien. Ein
bitterarmes Wüstenland am Atlantik – dreimal so groß wie Deutschland, aber mit nur 3,5
Millionen Einwohnern. Der Trubel am Hafen betäubt die Sinne. Muskulöse Männer ziehen
mit Fisch gefüllte offene Boote an Land; bunt verhüllte Marktfrauen wuchten Plastikwannen
mit dem Fang auf den Kopf. In der Markthalle wird lautstark verhandelt. Holzmakrelen und
Doraden; Seezungen, Plattfische und Krebse liegen auf Betontischen. „Unsere
Fischschwärme finden wir ohne technische Hilfsmittel, erklärt – sichtlich stolz – Abdel
Karimdiey, der Vorsitzende einer Fischer-Kooperative.
OT Abdul Karimdiey (französisch)/dar. Übersetzer
Ich weiß nicht, wie wir einen Fischschwarm erkennen. Als erfahrene Fischer spüren wir ihn
einfach. Manchmal sehen wir kleine Luftblasen im Wasser; manchmal hat das Wasser durch
aufgewühlten Sand einen rötlichen Ton. Manchmal macht es „tack, tack, tack“; dann sind da
Fische. Man braucht viel Gefühl und Erfahrung. Und im Dunkeln erkennen wir einen FischSchwarm am besten, wenn er im Sternenlicht einer Neumondnacht glitzert.
ATMO
Meeresbrandung
Ansage
Wie die EU Afrikas Fischversorgung sichert – Mauretaniens Weg zu nachhaltiger Fischerei.
Eine Sendung von Thomas Kruchem.
Sprecher
Mauretanien ist, wie seine Nachbarstaaten Marokko und Senegal, mit den wohl reichsten
Fanggründen der Welt gesegnet. Eine Meeresströmung drückt nahe der Küste kaltes,
nährstoffreiches Wasser voller abgestorbener Organismen aus der Tiefe an die Oberfläche.
Das beflügelt das Wachstum von Plankton und schafft ideale Bedingungen für große
Fischbestände. Doch diese Ressource kann Mauretanien bis heute nur zu einem Bruchteil
selbst nutzen. Deshalb überlässt das Land den größten Teil seiner Fanggründe Ländern wie
Japan und Russland und vor allem – der Europäischen Union.
Die Europäer haben in der Fischerei allerdings einen zweifelhaften Ruf. Jahrzehntelang
haben sie ihre eigenen Bestände zu fast 90 Prozent überfischt; und auch vor Westafrika
wüteten sie lange wie der Hecht im Karpfenteich. Edelfische wie der Zackenbarsch sind in
den Gewässern des Senegal zum Beispiel weitgehend verschwunden. Doch die jahrelange
massive Kritik an der EU-Fischereipolitik beginnt Früchte zu tragen. Die Anfang 2014 in Kraft
getretene „Gemeinsame Fischereipolitik“ der EU hat sich radikal der nachhaltigen Fischerei
verpflichtet. Die deutsche SPD-Politikerin Ulrike Rodust ist Mitglied im Fischereiausschuss
des Europäischen Parlaments:
OT Rodust
Die Europäische Union hat sich verpflichtet, zukünftig nur noch nachhaltig zu fischen. Das
heißt, es darf nur noch so viel gefischt werden, wie auch wirklich nachwachsen kann.
Sprecher
Weitere Kernziele der neuen EU-Fischereipolitik sind: Lokale Fischer sollen absoluter
Vorrang haben; das Zurückwerfen unbeabsichtigt gefangener Fische, des so genannten
Beifangs wird konsequent bekämpft, und die Fischereiüberwachung wurde verschärft –
soweit technisch möglich. Im aktuellen Fischereiabkommen mit Mauretanien wird diese
Politik praktisch umgesetzt. Das Abkommen gibt der EU das Recht, in mauretanischen
Hoheitsgewässern 340.000 Tonnen Fisch pro Jahr zu fangen. Die Europäer zahlen dafür
eine jährliche Pauschale von 70 Millionen Euro und dazu je nach Fischart, zwischen hundert
und 800 Euro pro Tonne Fisch. Die Einnahmen machen 15 Prozent des mauretanischen
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Staatsbudgets aus.
Das Abkommen enthält mehrere für EU-Fischer schmerzliche Bestimmungen: Unter
anderem wurde EU-Schiffen der Fang von Tintenfisch verboten, weil der zur wirtschaftlichen
Basis kleiner mauretanischer Fischer zählt. Um diese und andere Bestimmungen im Sinne
nachhaltiger Fischerei zu erreichen, müssen viele Herausforderungen bewältigt werden. Zum
Beispiel die Schätzung der Fischbestände, die die Grundlage für Fischereimanagement und
-quoten liefert. Ulf Löwenberg, Fischereiexperte der „Deutschen Gesellschaft für
internationale Zusammenarbeit“, GIZ, hat für Mauretanien jahrelang Managementpläne
erarbeitet – mit großen Kopfschmerzen, sagt er. Zum einen sei die wissenschaftliche
Grundlage mangels Forschung sehr dürftig; zum anderen sei die Regierung des
westafrikanischen Staates recht eigenwillig.
OT Löwenberg
Die Mauretanier behaupten, zum Beispiel, dass die Sardinellen, die runden Sardinellen,
ihnen gehören. Auch wenn die hin und her wandern, beanspruchen sie den ganzen Bestand
– obwohl der in Senegal und Marokko auch befischt wird. Aber sie sagen „Wir fischen alles
ab“ und ignorieren, dass woanders was gefischt wird. Und wenn man im Ministerium bei
einer Sitzung sagt, die Fische sind länderübergreifend, kriegt man mindestens ein Buch an
den Kopf geworfen. „Es gibt keine geteilten Bestände; die gehören uns.“ Und das ist ganz
langsam jetzt, dass einige Leute das erkennen.
Sprecher
Fischereimanagement kann nur funktionieren, wenn die Fischbestände realistisch geschätzt
werden und strenge Gesetze sicherstellen, dass der Managementplan eingehalten wird.
Solche Gesetze hat Mauretanien erlassen – im Gegensatz zu seinen Nachbarstaaten – aber
es hapert an der Durchsetzung, an wirksamer Kontrolle. Doch die Kontrolle werde durch
Bestimmungen des neuen Fischereiabkommens mit der EU zumindest erleichtert – sagt Sidi
Mohamed Nemane, Chef der Küstenwache in Nouakchott.
OT Sidi Mohamed Nemane (französisch)/dar. Übersetzer
Die Kontrolle ist in der Tat sehr schwierig, zum Beispiel müssen jetzt alle in unseren
Gewässern gefangenen am Meeresgrund lebenden Fischarten in Mauretanien angelandet
werden. So können wir zumindest stichprobenweise feststellen, wie viel ein Schiff gefangen
hat. Und die Schleppnetzfischer, die ihren Fang früher irgendwo auf hoher See in Kühlschiffe
umluden, müssen dies künftig im Hafen von Nouadhibou tun. Da können wir dann, notfalls
mit einem Ruderboot, dazu stoßen und genau prüfen, was geschieht.
ATMO
Patrouillenboot im Hafen
Sprecher
An einer Pier im Hafen von Nouakchott liegt die „Arguin“. Das tarngraue, 60 Meter lange
Kriegsschiff, ein Geschenk aus Deutschland, ist eine von zwei Fregatten der mauretanischen
Küstenwache. Die „Arguin“ kann 14 Tage auf See bleiben, um dort große Trawler und
Kühlschiffe zu überwachen. Kontrolleure können so die Maschenweite der Netze prüfen –
und nachsehen, ob sich in Kartons wirklich Sardinendosen stapeln – wie draufsteht – oder
vielleicht doch wertvollere Tintenfische. Von den Fregatten abgesehen besitzt Mauretanien
noch einige Schnellboote, die allerdings nicht ausreichen, die 750 Kilometer Küste mit ihrer
200-Meilen-Zone zu überwachen. Deshalb hat der Wüstenstaat modernste Funk-, Satellitenund Radarüberwachung aufgebaut – unterstützt vor allem von Deutschland und Frankreich.
ATMO
Computerraum
Sprecher
Im Kontrollraum der Küstenwache erklärt der kanadische Berater Jean-Louis Lauziére an
Bildschirmen das „Automatische Identifikationssystem“ AIS. Es ist ein von der
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„Internationalen Schifffahrtsorganisation“ IMO anerkanntes Funksystem, das den
Schiffsverkehr weltweit sicherer machen soll. Das AIS funkt – mit einem Signal alle zwei
Sekunden – Name und Art eines Schiffes, die Größe, die internationale
Registrierungsnummer und seinen Kurs. Für die Überwachung der Fischerei taugt AIS nicht,
solange es nur große Schiffe installieren müssen. Der Fischereiüberwachung dient deshalb
ein zweites System: das satellitengestützte „Vessel Monitoring System“, VMS. Alle in
Mauretanien registrierten Fangboote mit mehr als 26 Meter Länge müssen VMS installiert
haben. Das von einer privaten Firma betriebene VMS sendet allerdings nur einmal pro
Stunde ein GPS-Signal. Und in der Zeit zwischen zwei Signalen können trickreiche Fischer
allerlei Unfug treiben. Jean-Louis Lauziére fordert deshalb auch für kleine Schiffe die
obligatorische Einführung des „Automatischen Identifikationssystems“ AIS.
OT Lauziére (englisch)/dar. Übersetzer
Bis heute müssen, nach internationalen Regeln, nur Schiffe über 300 Bruttoregister-Tonnen
mit AIS ausgerüstet sein. Wir wollen aber, dass AIS für alle in Mauretanien registrierten
industriellen Fangboote vorgeschrieben wird. Und wir wollen die mauretanischen
Radarstationen auf insgesamt acht ausbauen. Dann können wir auch alle kleineren Boote,
die nahe der Küste fischen, überwachen. Die können dann nicht mehr einfach ihr AIS oder
VMS abschalten und verbotene Fischerei betreiben.
Sprecher
Derzeit verfügt Mauretanien über sechs Radarstationen, von denen nur vier funktionieren.
Doch der Ausbau geht voran; und der Kommandeur der Küstenwache, Nemane, freut sich,
weil immer weniger Schiffe der industriellen Fischerei es wagen, Regeln zu brechen. Denn
das käme die Eigentümer teuer zu stehen.
OT Sidi Mohamed Nemane (französisch)/dar. Übersetzer
Kürzlich haben wir ein hundert Meter langes russisches Fangboot erwischt, das viel zu nah
an der Küste fischte. Als wir ein Überwachungsboot hinschickten, entkam das Boot in
senegalesische Gewässer. Wir haben dann die Behörden des Senegal informiert, mit denen
wir gut zusammenarbeiten. Und die haben mithilfe der französischen Luftwaffe das Schiff
identifiziert. Es wurde aufgebracht und samt der Besatzung an Mauretanien ausgeliefert. Wir
konfiszierten den gesamten Fang, erteilten dem Schiff ein absolutes Fangverbot innerhalb
unserer 200-Meilen-Zone und verhängten eine empfindliche Geldstrafe.
Sprecher
Der deutsche Berater Ulf Löwenberg bleibt trotz solcher Fortschritte skeptisch: Was nützt die
beste Fregatte, fragt er, wenn es an Treibstoff und Ersatzteilen fehlt – und an dem, was
Seeleute „a shave and a haircut“ nennen: der Instandhaltung eines Schiffes:
OT Löwenberg
Die „Arguin“, die die Deutschen gekauft haben, ist seit zweieinhalb Jahren überfällig, die
Wartung gemacht zu haben, das heiß Motor und alles Mögliche. Das heißt, die kann morgen
ausfallen.
Sprecher
Und was nützt das beste Radarsystem, wenn das Überwachungspersonal seinen Lohn nicht
bekommt – wie immer wieder in den letzten Jahren?
OT Löwenberg
Seitdem kenne ich nur die permanente Not, dass also teilweise monatelang keine Gehälter
gezahlt werden; dass es Weigerungen der Mitarbeiter gibt, noch zur Arbeit zu erscheinen,
und solche Sachen.
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Sprecher
Die weitere, gewaltige Hürde nachhaltiger Fischerei vor Mauretanien heißt „Beifang“. Bis
heute bestehen 30 Prozent der Fänge von EU-Trawlern aus Meerestieren, die die Fischer
nicht gebrauchen können und deshalb – meist tot oder sterbend – gleich wieder ins Meer
entsorgen.
OT Löwenberg
…vor allen Dingen Beifang an Vögeln, Delphinen und Schildkröten und Haie. Und viele Haie
sind eben auch gefährdet – weil Haibestände, die sind langsamwüchsig und brauchen lange,
sich zu vermehren; und die brechen alle ein. Also ich habe hier Bilder gesehen, wo
haufenweise Hammerhaie an Deck liegen.
Sprecher
Skandalös hoch sei der Beifang auch im Tintenfischfang, klagt Ulf Löwenberg.
OT Löwenberg
Da ist der Beifang zwar verwertbar, weil da viel Fisch-Beifang ist. Aber die Octopus-Fischer
behalten halt eher den Octopus an Bord, weil der zwei-, drei-, viermal so teuer ist wie der
Fisch, und verschwenden ihren Platz nicht mit Fisch. Insoweit wird wertvoller Fisch
weggeschmissen.
Sprecher
Diese sinnlose Vernichtung wertvoller Ressourcen muss ein Ende haben, sagt die neue EUFischereipolitik. Künftig sollen die Fischer gezwungen werden, auch ihren gesamten Beifang
an Land zu bringen. Und: Er soll auf ihre Quote angerechnet werden. Um dies
durchzusetzen, scheut die EU auch vor extremen Maßnahmen nicht zurück.
OT Löwenberg
Da sollen dann ja auf den Schiffen Kameras installiert werden – das ist also „Big Brother“,
der da auf die Fischer zukommt – die an Deck sind und also jede Bewegung an Deck filmen.
Sprecher
Solche Maßnahmen aus dem Arsenal des Überwachungsstaates können allerdings nicht die
ultimative Lösung des Beifangproblems sein, meinen die Europaabgeordnete Ulrike Rodust
und Francisco Mari, ein EU-kritischer Fischereiexperte der deutschen
Entwicklungsorganisation „Brot für die Welt“.
OT Mari
Wir fragen uns auch: Wohin dann mit diesem Fisch, der dann sozusagen überschüssig ist.
Und würde er dann nicht eine Billig-Konkurrenz sein, diese Rückwürfe, für die einheimischen
Fischer? Also da muss man noch viel diskutieren, ob das so einzuhalten ist. Viel besser wäre
es natürlich, wenn überhaupt kein Beifang gemacht werden würde. Langfristig braucht man
eben Methoden, die den Beifang verhindern – statt eines Rückwurfgebots, wo man nicht
weiß, wohin mit den Rückwürfen.
OT Rodust
Das heißt, es muss anderes und besseres Fanggerät eingesetzt werden, damit es erstmal
gar nicht so viele Beifänge gibt. Das kann man technisch lösen. Das wissen wir, wir haben
Pilotprojekte durchgeführt. Die Norweger machen das schon einige Jahre.
Sprecher
… und arbeiten dabei zum Beispiel mit Tunnelnetzen, die an die Fluchtbewegungen
unterschiedlicher Arten angepasst sind; das heißt, sie halten nach oben oder unten
Fluchtfenster frei oder schrecken bestimmte Tiere mit Signalen davon ab, sich in den
Maschen zu verheddern. Solche verantwortungsbewusste Fischerei birgt allerdings einen
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Nachteil: Sie mindert den Gewinn der Fischer. Viele EU-Fischer gehen deshalb auf die
Barrikaden.
ATMO
Markttrubel am Hafen
Sprecher
Im Trubel am Fischereihafen von Nouakchott fällt auf, dass ausschließlich mauretanische
Boote zu sehen sind, und kein einziges europäisches Schiff.
Sprecher
Ein erheblicher Teil der EU-Fischereiflotte wehrt sich gegen die Gebote der Nachhaltigkeit
und streikt seit Anfang 2013. Spanische Schiffseigner streiken gegen das Fangverbot des für
sie so lukrativen Tintenfischs; niederländische und deutsche Fischer streiken dagegen,
weiter draußen auf See fischen zu müssen, wo sie ihre Fischarten nicht wie gewohnt finden.
Ein Streik, über den man mit den Achseln zuckend hinweggehen könnte. Doch er hat
tatsächlich weitreichende Konsequenzen. EU-Trawler vor Mauretanien fischen nämlich
schon lange kaum mehr für europäische Konsumenten – sie fischen größtenteils für den
Proteinbedarf der armen Bevölkerung Westafrikas; sie helfen, die Ernährung in Westafrika
zu sichern. Allein das Land Côte d’Ivoire, die Elfenbeinküste, kauft jährlich mehr als 200.000
Tonnen Fisch aus den Fängen europäischer Trawler vor Mauretanien, sagt Francisco Mari
von „Brot für die Welt“. Und der Streik der EU-Fischer, meint er …
OT Mari
…führt vor allem in manchen Ländern, in die die holländisch-deutsche Holding immer
exportiert hat, wie Nigeria, Elfenbeinküste und Ghana, momentan zu sehr hohen
Fischpreisen. Gerade die fischverarbeitenden Frauen wissen gar nicht, woher sie den Fisch
nehmen sollen.
Sprecher
Verkehrte Welt: Die EU-Fischerei vor Mauretanien, die bis heute den Ruf besitzt, Afrikas
Ressourcen zu plündern, erweist sich auf einmal als nahezu unentbehrlich für die Ernährung
Westafrikas.
OT Mari
Wenn die deutsch-holländischen Schiffe weiterhin nicht zurückkehren, dann ist das nach wie
vor auch ein Problem der Ernährungssicherheit in den zentral-und westafrikanischen
Ländern.
Sprecher
Die EU-Parlamentarierin Ulrike Rodust zählt zu jener entschlossenen Truppe von Politikern,
die die neue „Gemeinsame Fischereipolitik“ und das Abkommen mit Mauretanien durch die
EU-Instanzen geboxt haben – gegen jahrelangen zähen Widerstand vor allem aus Spanien,
den Niederlanden und auch Deutschland. Jetzt zeigt sich Rodust zugleich ratlos und wild
entschlossen:
OT Rodust
Das ist natürlich ein verteufelter Kreislauf, in dem wir uns befinden. Was man sicher nicht
zulassen kann als Europäische Union, sich jetzt erpressen zu lassen; das wird es nicht
geben. Wir werden sehr deutlich machen müssen: Wir werden diese Abkommen so
durchführen, wie wir sie beraten und beschlossen haben. Und wir werden uns nicht
erpressen lassen. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie nach einer bestimmten Zeit sehr
wohl wieder das Fischen anfangen. Sie hoffen, den Druck so zu erhöhen, dass das
Parlament bei dem nächsten Abkommen nachgeben wird. Ich kann Ihnen versichern, das
werden wir nicht tun.
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Sprecher
Zu den streikenden Fischern vor Mauretaniern zählen übrigens auch russische Schiffseigner.
Weil sie – gemäß dem Abkommen zwischen der EU und Mauretanien – nicht billiger fischen
dürfen als die EU-Flotten, müssen Russen jetzt 360 Euro pro Tonne der in Russland
beliebten Holzmakrelen zahlen. Zu viel, sagen auch unabhängige Experten. Hat die EU also
mit ihrer gut gemeinten Fischereipolitik am Ende überzockt und wird sie diese Politik
vielleicht kläglich wieder einsammeln müssen? Andere Fischereipartner Mauretaniens
machen ohnehin was sie wollen – ohne dass die Regierung dagegen einschreitet.
ATMO
Markttrubel am Hafen
Sprecher
Am Hafen der nordmauretanischen Stadt Nouadhibou deutet GIZ-Experte Ulf Löwenberg auf
eine Lagerhalle des chinesischen Fischereiunternehmens „Poly-Hondone“. Recht
unverbindlich haben die Chinesen versprochen, hier hundert Millionen Dollar zu investieren
und 2.500 Arbeitsplätze zu schaffen.
OT Löwenberg
Aber die Chinesen haben bis jetzt nur fünf Schiffe gebracht, die Octopus gefischt haben. Die
Schiffe sind genehmigt im Vertrag: fünf Schiffe, die Bodenfische fangen. Es ist nicht
spezifiziert. Das ist im Abkommen das Schlimme: Es ist alles ganz weich. Da steht drin: fünf
Trawler, fünf Boden-Trawler. Damit kann ich Doraden fangen – oder Shrimps oder Octopus.
Und das ist nicht spezifiziert – wieder die Menge noch die Art. Das ist ein Fehler von den
Mauretaniern.
Sprecher
Und möglicherweise ein Vertragsverstoß. Denn die Mauretanier haben der EU zugesichert,
Fischer aus anderen Ländern nicht zu privilegieren. Und damit nicht genug: Bis heute
werden in Mauretanien alljährlich zehntausende Tonnen frischer Sardinellen und
Holzmakrelen zu Fischmehl verarbeitet – mit einer skandalösen Ökobilanz, klagt Francisco
Mari. 50 Kilo mauretanischer Frischfisch ergeben, als Fischmehl nach Europa exportiert, ein
Kilo Fisch aus europäischer Aquakultur.
OT Mari
Allerdings muss man sagen: es gibt keine Alternativen momentan außer Fischmehl in
Nouadhibou, weil dieser Fisch in Mauretanien nicht gegessen wird. Er müsste eigentlich ins
südwestliche Afrika. Aber man weiß nicht wie.
Sprecher
Ahmed Moktar Koubah, der Sprecher des Fischereiministeriums, widerspricht: Wir haben ein
Konzept für unsere Fischereipolitik, meint er:
OT Ahmed Moktar Koubah (französisch)/dar. Übersetzer
Unsere Strategie ist es, die Fischerei unseres Landes – im Interesse das nationalen
Entwicklung zu mauretanisieren. Wir wollen mehr eigene Fangboote einsetzen; wir wollen
auf ausländischen Trawlern mehr mauretanisches Personal haben; mehr Fisch soll hier im
Land, statt im Ausland verarbeitet werden. Und es soll mehr Fisch im Lande verkauft
werden. Dazu müssen wir unserer Bevölkerung, gerade im Landesinnern, beibringen, mehr
Fisch zu essen. Wir wollen, anders ausgedrückt, unsere reichen Meeresressourcen nutzen,
um die Ernährung unserer Bürger zu sichern. Das ist zentraler Bestandteil unserer Strategie
der Armutsbekämpfung.
Sprecher
Eine anspruchsvolle Aufgabe: Große Fangboote müssen gekauft, qualifizierte Besatzungen
und Fabrikarbeiter ausgebildet; Werften müssen in die Lage versetzt werden, Trawler zu
warten und zu reparieren. Fisch verarbeitende Fabriken und Kühlketten in Exportländer
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müssen entstehen. Geld dafür wäre da – wenn Mauretanien seine Einnahmen aus der EUFischerei in die Modernisierung der eigenen Fischerei investieren würde. Tatsächlich aber
fließt bis heute nur sehr wenig der EU-Fanglizenzen überhaupt in den Aufbau der
mauretanischen Fischerei. Das Geld verschwinde in dunklen Kanälen, klagen Experten. Und
die wenigen Modellprojekte der Fischerei wurden aus Entwicklungshilfe finanziert – die 1991
gegründete Marine- und Fischereischule in Nouadhibou, zum Beispiel.
ATMO
Werkstatt
Sprecher
In hellen, gut ausgestatteten Räumen werkeln dort junge Männer und Frauen an
Schiffsrümpfen, Motoren und Getrieben – angeleitet von Ingenieuren. Mechaniker, Elektriker,
Elektroniker und Fachmatrosen bildet die Schule aus; in einem separaten Ausbildungsgang
auch Schiffsoffiziere, Ingenieure und Führungspersonal für Fischfabriken. „Wir haben ein
strenges Auswahlverfahren“, sagt Ausbildungsleiter Elemine Ould Boubacar.
OT Elemine Ould Boubacar (französisch)/dar. Übersetzer
Bevor er unsere Ausbildung für untere Dienstgrade antreten darf, braucht ein Kandidat einen
Schulabschluss; und er muss eine strenge Zugangsprüfung bestehen. Die Grundausbildung
dauert dann neun Monate – in Theorie und Praxis. Die Auszubildenden lernen zum Beispiel
Schiffsmotoren zu reparieren; sie machen einige Ausfahrten mit unserem Schulschiff.
Danach absolvieren sie ein einjähriges, bezahltes Praktikum – auf einem Frachter der
Handelsmarine oder auf einem Fischtrawler.
ATMO
Simulator
Sprecher
In einem Simulator, der an eine Kommandobrücke erinnert, zeigt Kapitän Moustapha Lecene
drei Offizierskandidaten, wie man ein Schiff in Krisensituationen steuert.
OT Moustapha Lecene (französisch)/dar. Übersetzer
Mit diesem Hightech-Gerät können wir so ziemlich jede Situation auf See simulieren: die Art
des Schiffes und seine Größe; alle möglichen Objekte, mit denen ein nautischer Offizier
umgehen muss – querkommende Tanker, ankernde Kreuzfahrtschiffe, Tonnen und so
weiter. Auch die Wetterbedingungen können wir simulieren, Tag oder Nacht, Untiefen und
vieles mehr. Mit all dem müssen unsere Offiziere in der Ausbildung zurechtkommen.
Sprecher
65 Schüler hat die Fischerei- und Marineschule in Nouadhibou. Sie gilt als eine der besten in
Afrika und erwirtschaftet eigenes Einkommen, indem sie – gegen Schulgebühren –
Fachleute für zahlreiche Länder Afrikas ausbildet. Eine Insel der Glücklichen in einem Meer
der Unzulänglichkeit. Außerhalb dieser Schule jedoch arbeiten Mauretaniens Fischer fast
ausschließlich mit einfachsten handwerklichen Methoden. In den letzten zehn Jahren ist die
heimische Fangflotte rasant gewachsen – von hundert auf fast 8.000 Piroggen oder offene
Boote. Eine de facto wenig regulierte Fischerei, die inzwischen Fischbestände und Umwelt
kaum weniger gefährdet als die industrielle Fischerei.
Sidi Mohamed Nemane, der Kommandeur der Küstenwache, klagt dass Straftaten in der
Kleinfischerei explosionsartig zunehmen; Ulf Löwenberg hebt am Strand von Nouadhibou
zwei aufgerissene schwarze Kunststofftöpfe auf, die an kaputte Blumentöpfe erinnern.
OT Löwenberg
Das sind Fangtöpfe für Octopus. Und die sind meines Erachtens das nachhaltigste
Fanggerät, das ich mir vorstellen kann, weil nur Octopusse dort reingehen. Es wird kein
anderer Fisch gefangen; der kann wieder raus schwimmen, weil es kein Netz, keine
Verhakung gibt. Octopus geht nur rein wenn er in der passenden Größe ist. Zu kleine
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Octopusse gehen nicht rein, weil ihnen das Gefühl der Höhle fehlt; große gehe nicht hinein,
weil sie nicht rein passen. Man muss in diesen Falle nur aufpassen, dass man in der
Laichzeit damit nicht fischt, weil dann legen die Weibchen Eier da rein; dann werden die
Töpfe hoch geholt; dann vertrocknen die Eier. Insofern würde man den Bestand damit
gefährden. – Der Nachteil an den Töpfen ist nur: Die reißen leicht auf; das ist ganz weich,
hier hergestellt aus Abfällen, ganz weiches Material. Das reißt laufend ab. Es sind 100.000
Töpfe schon im Meer unterwegs, bis Brasilien hat man die ersten gefunden dieses Jahr. Auf
den Kapverden sind Strände voll mit den Töpfen. Es ist nicht die Gefahr des Weiterfischens
wie einem verloren gegangenen Netz, was also noch jahrelang fischt; sondern der Topf löst
sich langsam auf wie jedes Plastikmaterial. Das dauert zwar dann vielleicht 50 Jahre oder
hundert; dann ist der weg und das geht in Lösung und ist halt Gift.
ATMO
Meeresbrandung
Sprecher
Auch auf den am Atlantik liegenden Nationalpark Banc d’Arguin wächst der Druck der
Kleinfischerei. Der 12.000 Quadratkilometer große Park ist als UNESCO-Weltnaturerbe
anerkannt; er zählt – als Überwinterungs- und Brutgebiet zahlreicher Zugvögel – zu den
vogelreichsten Gebieten weltweit; Wildkatzen und Schakale gibt es hier; in den seichten
Gewässern tummeln sich Delphine, Schildkröten und Seehunde; hier laichen viele
Fischarten. Eigentlich dürfen im Banc d’Arguin-Park nur etwa 500 Imraguen fischen – die
Urbevölkerung. Motorisierte Boote sind verboten. Tatsächlich aber dringen immer häufiger
auch Fischer von außen in den Park ein.
OT Löwenberg
Der Druck wird groß; es gibt immer mehr Piroggen. Und der Präsident ist auch geneigt, den
Park wieder aufzumachen, wenn der Druck zu groß wird.
Sprecher
Der Druck seitens der politisch inzwischen mächtigen Verbände der handwerklichen
Fischerei. Und auch die Imraguen sind keineswegs mehr jene in bestem Einklang mit der
Natur lebenden Ureinwohner, als die sie in den Träumen zahlreicher Sozialromantiker
umhergeistern.
OT Löwenberg
Eine Zeit haben sie nur Haie gefischt und Rochen und haben die Flossen abgeschnitten und
am Strand verbuddelt die restlichen Haie.
Sprecher
Rohmaterial für die in China so beliebte Haifischflossensuppe, die Imraguen-Geschäftsleute
in der Stadt teuer verkaufen.
OT Löwenberg
Die reichsten Imraguens wohnen in Nouakchott; die haben nur ihre Boote da laufen; die
wohnen hier in Villen – reich und reich und reich und verdienen sich dumm und dösig.
ATMO
Meeresbrandung
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