1 SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Wissen – Manuskriptdienst Wie die EU Afrikas Fischversorgung sichert – Mauretaniens Weg zu nachhaltiger Fischerei Autoren: Thomas Kruchem Redaktion: Udo Zindel Regie: Thomas Kruchem Sendung: Dienstag, 17. Juni 2014, SWR2 Wissen, 8.30 Uhr Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Wissen/Aula (Montag bis Sonntag 8.30 bis 9.00 Uhr) sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für 12,50 € erhältlich. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-26030 SWR2 Wissen können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/wissen.xml Manuskripte für E-Book-Reader E-Books, digitale Bücher, sind derzeit voll im Trend. 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Manchmal sehen wir kleine Luftblasen im Wasser; manchmal hat das Wasser durch aufgewühlten Sand einen rötlichen Ton. Manchmal macht es „tack, tack, tack“; dann sind da Fische. Man braucht viel Gefühl und Erfahrung. Und im Dunkeln erkennen wir einen FischSchwarm am besten, wenn er im Sternenlicht einer Neumondnacht glitzert. ATMO Meeresbrandung Ansage Wie die EU Afrikas Fischversorgung sichert – Mauretaniens Weg zu nachhaltiger Fischerei. Eine Sendung von Thomas Kruchem. Sprecher Mauretanien ist, wie seine Nachbarstaaten Marokko und Senegal, mit den wohl reichsten Fanggründen der Welt gesegnet. Eine Meeresströmung drückt nahe der Küste kaltes, nährstoffreiches Wasser voller abgestorbener Organismen aus der Tiefe an die Oberfläche. Das beflügelt das Wachstum von Plankton und schafft ideale Bedingungen für große Fischbestände. Doch diese Ressource kann Mauretanien bis heute nur zu einem Bruchteil selbst nutzen. Deshalb überlässt das Land den größten Teil seiner Fanggründe Ländern wie Japan und Russland und vor allem – der Europäischen Union. Die Europäer haben in der Fischerei allerdings einen zweifelhaften Ruf. Jahrzehntelang haben sie ihre eigenen Bestände zu fast 90 Prozent überfischt; und auch vor Westafrika wüteten sie lange wie der Hecht im Karpfenteich. Edelfische wie der Zackenbarsch sind in den Gewässern des Senegal zum Beispiel weitgehend verschwunden. Doch die jahrelange massive Kritik an der EU-Fischereipolitik beginnt Früchte zu tragen. Die Anfang 2014 in Kraft getretene „Gemeinsame Fischereipolitik“ der EU hat sich radikal der nachhaltigen Fischerei verpflichtet. Die deutsche SPD-Politikerin Ulrike Rodust ist Mitglied im Fischereiausschuss des Europäischen Parlaments: OT Rodust Die Europäische Union hat sich verpflichtet, zukünftig nur noch nachhaltig zu fischen. Das heißt, es darf nur noch so viel gefischt werden, wie auch wirklich nachwachsen kann. Sprecher Weitere Kernziele der neuen EU-Fischereipolitik sind: Lokale Fischer sollen absoluter Vorrang haben; das Zurückwerfen unbeabsichtigt gefangener Fische, des so genannten Beifangs wird konsequent bekämpft, und die Fischereiüberwachung wurde verschärft – soweit technisch möglich. Im aktuellen Fischereiabkommen mit Mauretanien wird diese Politik praktisch umgesetzt. Das Abkommen gibt der EU das Recht, in mauretanischen Hoheitsgewässern 340.000 Tonnen Fisch pro Jahr zu fangen. Die Europäer zahlen dafür eine jährliche Pauschale von 70 Millionen Euro und dazu je nach Fischart, zwischen hundert und 800 Euro pro Tonne Fisch. Die Einnahmen machen 15 Prozent des mauretanischen 3 Staatsbudgets aus. Das Abkommen enthält mehrere für EU-Fischer schmerzliche Bestimmungen: Unter anderem wurde EU-Schiffen der Fang von Tintenfisch verboten, weil der zur wirtschaftlichen Basis kleiner mauretanischer Fischer zählt. Um diese und andere Bestimmungen im Sinne nachhaltiger Fischerei zu erreichen, müssen viele Herausforderungen bewältigt werden. Zum Beispiel die Schätzung der Fischbestände, die die Grundlage für Fischereimanagement und -quoten liefert. Ulf Löwenberg, Fischereiexperte der „Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit“, GIZ, hat für Mauretanien jahrelang Managementpläne erarbeitet – mit großen Kopfschmerzen, sagt er. Zum einen sei die wissenschaftliche Grundlage mangels Forschung sehr dürftig; zum anderen sei die Regierung des westafrikanischen Staates recht eigenwillig. OT Löwenberg Die Mauretanier behaupten, zum Beispiel, dass die Sardinellen, die runden Sardinellen, ihnen gehören. Auch wenn die hin und her wandern, beanspruchen sie den ganzen Bestand – obwohl der in Senegal und Marokko auch befischt wird. Aber sie sagen „Wir fischen alles ab“ und ignorieren, dass woanders was gefischt wird. Und wenn man im Ministerium bei einer Sitzung sagt, die Fische sind länderübergreifend, kriegt man mindestens ein Buch an den Kopf geworfen. „Es gibt keine geteilten Bestände; die gehören uns.“ Und das ist ganz langsam jetzt, dass einige Leute das erkennen. Sprecher Fischereimanagement kann nur funktionieren, wenn die Fischbestände realistisch geschätzt werden und strenge Gesetze sicherstellen, dass der Managementplan eingehalten wird. Solche Gesetze hat Mauretanien erlassen – im Gegensatz zu seinen Nachbarstaaten – aber es hapert an der Durchsetzung, an wirksamer Kontrolle. Doch die Kontrolle werde durch Bestimmungen des neuen Fischereiabkommens mit der EU zumindest erleichtert – sagt Sidi Mohamed Nemane, Chef der Küstenwache in Nouakchott. OT Sidi Mohamed Nemane (französisch)/dar. Übersetzer Die Kontrolle ist in der Tat sehr schwierig, zum Beispiel müssen jetzt alle in unseren Gewässern gefangenen am Meeresgrund lebenden Fischarten in Mauretanien angelandet werden. So können wir zumindest stichprobenweise feststellen, wie viel ein Schiff gefangen hat. Und die Schleppnetzfischer, die ihren Fang früher irgendwo auf hoher See in Kühlschiffe umluden, müssen dies künftig im Hafen von Nouadhibou tun. Da können wir dann, notfalls mit einem Ruderboot, dazu stoßen und genau prüfen, was geschieht. ATMO Patrouillenboot im Hafen Sprecher An einer Pier im Hafen von Nouakchott liegt die „Arguin“. Das tarngraue, 60 Meter lange Kriegsschiff, ein Geschenk aus Deutschland, ist eine von zwei Fregatten der mauretanischen Küstenwache. Die „Arguin“ kann 14 Tage auf See bleiben, um dort große Trawler und Kühlschiffe zu überwachen. Kontrolleure können so die Maschenweite der Netze prüfen – und nachsehen, ob sich in Kartons wirklich Sardinendosen stapeln – wie draufsteht – oder vielleicht doch wertvollere Tintenfische. Von den Fregatten abgesehen besitzt Mauretanien noch einige Schnellboote, die allerdings nicht ausreichen, die 750 Kilometer Küste mit ihrer 200-Meilen-Zone zu überwachen. Deshalb hat der Wüstenstaat modernste Funk-, Satellitenund Radarüberwachung aufgebaut – unterstützt vor allem von Deutschland und Frankreich. ATMO Computerraum Sprecher Im Kontrollraum der Küstenwache erklärt der kanadische Berater Jean-Louis Lauziére an Bildschirmen das „Automatische Identifikationssystem“ AIS. Es ist ein von der 4 „Internationalen Schifffahrtsorganisation“ IMO anerkanntes Funksystem, das den Schiffsverkehr weltweit sicherer machen soll. Das AIS funkt – mit einem Signal alle zwei Sekunden – Name und Art eines Schiffes, die Größe, die internationale Registrierungsnummer und seinen Kurs. Für die Überwachung der Fischerei taugt AIS nicht, solange es nur große Schiffe installieren müssen. Der Fischereiüberwachung dient deshalb ein zweites System: das satellitengestützte „Vessel Monitoring System“, VMS. Alle in Mauretanien registrierten Fangboote mit mehr als 26 Meter Länge müssen VMS installiert haben. Das von einer privaten Firma betriebene VMS sendet allerdings nur einmal pro Stunde ein GPS-Signal. Und in der Zeit zwischen zwei Signalen können trickreiche Fischer allerlei Unfug treiben. Jean-Louis Lauziére fordert deshalb auch für kleine Schiffe die obligatorische Einführung des „Automatischen Identifikationssystems“ AIS. OT Lauziére (englisch)/dar. Übersetzer Bis heute müssen, nach internationalen Regeln, nur Schiffe über 300 Bruttoregister-Tonnen mit AIS ausgerüstet sein. Wir wollen aber, dass AIS für alle in Mauretanien registrierten industriellen Fangboote vorgeschrieben wird. Und wir wollen die mauretanischen Radarstationen auf insgesamt acht ausbauen. Dann können wir auch alle kleineren Boote, die nahe der Küste fischen, überwachen. Die können dann nicht mehr einfach ihr AIS oder VMS abschalten und verbotene Fischerei betreiben. Sprecher Derzeit verfügt Mauretanien über sechs Radarstationen, von denen nur vier funktionieren. Doch der Ausbau geht voran; und der Kommandeur der Küstenwache, Nemane, freut sich, weil immer weniger Schiffe der industriellen Fischerei es wagen, Regeln zu brechen. Denn das käme die Eigentümer teuer zu stehen. OT Sidi Mohamed Nemane (französisch)/dar. Übersetzer Kürzlich haben wir ein hundert Meter langes russisches Fangboot erwischt, das viel zu nah an der Küste fischte. Als wir ein Überwachungsboot hinschickten, entkam das Boot in senegalesische Gewässer. Wir haben dann die Behörden des Senegal informiert, mit denen wir gut zusammenarbeiten. Und die haben mithilfe der französischen Luftwaffe das Schiff identifiziert. Es wurde aufgebracht und samt der Besatzung an Mauretanien ausgeliefert. Wir konfiszierten den gesamten Fang, erteilten dem Schiff ein absolutes Fangverbot innerhalb unserer 200-Meilen-Zone und verhängten eine empfindliche Geldstrafe. Sprecher Der deutsche Berater Ulf Löwenberg bleibt trotz solcher Fortschritte skeptisch: Was nützt die beste Fregatte, fragt er, wenn es an Treibstoff und Ersatzteilen fehlt – und an dem, was Seeleute „a shave and a haircut“ nennen: der Instandhaltung eines Schiffes: OT Löwenberg Die „Arguin“, die die Deutschen gekauft haben, ist seit zweieinhalb Jahren überfällig, die Wartung gemacht zu haben, das heiß Motor und alles Mögliche. Das heißt, die kann morgen ausfallen. Sprecher Und was nützt das beste Radarsystem, wenn das Überwachungspersonal seinen Lohn nicht bekommt – wie immer wieder in den letzten Jahren? OT Löwenberg Seitdem kenne ich nur die permanente Not, dass also teilweise monatelang keine Gehälter gezahlt werden; dass es Weigerungen der Mitarbeiter gibt, noch zur Arbeit zu erscheinen, und solche Sachen. 5 Sprecher Die weitere, gewaltige Hürde nachhaltiger Fischerei vor Mauretanien heißt „Beifang“. Bis heute bestehen 30 Prozent der Fänge von EU-Trawlern aus Meerestieren, die die Fischer nicht gebrauchen können und deshalb – meist tot oder sterbend – gleich wieder ins Meer entsorgen. OT Löwenberg …vor allen Dingen Beifang an Vögeln, Delphinen und Schildkröten und Haie. Und viele Haie sind eben auch gefährdet – weil Haibestände, die sind langsamwüchsig und brauchen lange, sich zu vermehren; und die brechen alle ein. Also ich habe hier Bilder gesehen, wo haufenweise Hammerhaie an Deck liegen. Sprecher Skandalös hoch sei der Beifang auch im Tintenfischfang, klagt Ulf Löwenberg. OT Löwenberg Da ist der Beifang zwar verwertbar, weil da viel Fisch-Beifang ist. Aber die Octopus-Fischer behalten halt eher den Octopus an Bord, weil der zwei-, drei-, viermal so teuer ist wie der Fisch, und verschwenden ihren Platz nicht mit Fisch. Insoweit wird wertvoller Fisch weggeschmissen. Sprecher Diese sinnlose Vernichtung wertvoller Ressourcen muss ein Ende haben, sagt die neue EUFischereipolitik. Künftig sollen die Fischer gezwungen werden, auch ihren gesamten Beifang an Land zu bringen. Und: Er soll auf ihre Quote angerechnet werden. Um dies durchzusetzen, scheut die EU auch vor extremen Maßnahmen nicht zurück. OT Löwenberg Da sollen dann ja auf den Schiffen Kameras installiert werden – das ist also „Big Brother“, der da auf die Fischer zukommt – die an Deck sind und also jede Bewegung an Deck filmen. Sprecher Solche Maßnahmen aus dem Arsenal des Überwachungsstaates können allerdings nicht die ultimative Lösung des Beifangproblems sein, meinen die Europaabgeordnete Ulrike Rodust und Francisco Mari, ein EU-kritischer Fischereiexperte der deutschen Entwicklungsorganisation „Brot für die Welt“. OT Mari Wir fragen uns auch: Wohin dann mit diesem Fisch, der dann sozusagen überschüssig ist. Und würde er dann nicht eine Billig-Konkurrenz sein, diese Rückwürfe, für die einheimischen Fischer? Also da muss man noch viel diskutieren, ob das so einzuhalten ist. Viel besser wäre es natürlich, wenn überhaupt kein Beifang gemacht werden würde. Langfristig braucht man eben Methoden, die den Beifang verhindern – statt eines Rückwurfgebots, wo man nicht weiß, wohin mit den Rückwürfen. OT Rodust Das heißt, es muss anderes und besseres Fanggerät eingesetzt werden, damit es erstmal gar nicht so viele Beifänge gibt. Das kann man technisch lösen. Das wissen wir, wir haben Pilotprojekte durchgeführt. Die Norweger machen das schon einige Jahre. Sprecher … und arbeiten dabei zum Beispiel mit Tunnelnetzen, die an die Fluchtbewegungen unterschiedlicher Arten angepasst sind; das heißt, sie halten nach oben oder unten Fluchtfenster frei oder schrecken bestimmte Tiere mit Signalen davon ab, sich in den Maschen zu verheddern. Solche verantwortungsbewusste Fischerei birgt allerdings einen 6 Nachteil: Sie mindert den Gewinn der Fischer. Viele EU-Fischer gehen deshalb auf die Barrikaden. ATMO Markttrubel am Hafen Sprecher Im Trubel am Fischereihafen von Nouakchott fällt auf, dass ausschließlich mauretanische Boote zu sehen sind, und kein einziges europäisches Schiff. Sprecher Ein erheblicher Teil der EU-Fischereiflotte wehrt sich gegen die Gebote der Nachhaltigkeit und streikt seit Anfang 2013. Spanische Schiffseigner streiken gegen das Fangverbot des für sie so lukrativen Tintenfischs; niederländische und deutsche Fischer streiken dagegen, weiter draußen auf See fischen zu müssen, wo sie ihre Fischarten nicht wie gewohnt finden. Ein Streik, über den man mit den Achseln zuckend hinweggehen könnte. Doch er hat tatsächlich weitreichende Konsequenzen. EU-Trawler vor Mauretanien fischen nämlich schon lange kaum mehr für europäische Konsumenten – sie fischen größtenteils für den Proteinbedarf der armen Bevölkerung Westafrikas; sie helfen, die Ernährung in Westafrika zu sichern. Allein das Land Côte d’Ivoire, die Elfenbeinküste, kauft jährlich mehr als 200.000 Tonnen Fisch aus den Fängen europäischer Trawler vor Mauretanien, sagt Francisco Mari von „Brot für die Welt“. Und der Streik der EU-Fischer, meint er … OT Mari …führt vor allem in manchen Ländern, in die die holländisch-deutsche Holding immer exportiert hat, wie Nigeria, Elfenbeinküste und Ghana, momentan zu sehr hohen Fischpreisen. Gerade die fischverarbeitenden Frauen wissen gar nicht, woher sie den Fisch nehmen sollen. Sprecher Verkehrte Welt: Die EU-Fischerei vor Mauretanien, die bis heute den Ruf besitzt, Afrikas Ressourcen zu plündern, erweist sich auf einmal als nahezu unentbehrlich für die Ernährung Westafrikas. OT Mari Wenn die deutsch-holländischen Schiffe weiterhin nicht zurückkehren, dann ist das nach wie vor auch ein Problem der Ernährungssicherheit in den zentral-und westafrikanischen Ländern. Sprecher Die EU-Parlamentarierin Ulrike Rodust zählt zu jener entschlossenen Truppe von Politikern, die die neue „Gemeinsame Fischereipolitik“ und das Abkommen mit Mauretanien durch die EU-Instanzen geboxt haben – gegen jahrelangen zähen Widerstand vor allem aus Spanien, den Niederlanden und auch Deutschland. Jetzt zeigt sich Rodust zugleich ratlos und wild entschlossen: OT Rodust Das ist natürlich ein verteufelter Kreislauf, in dem wir uns befinden. Was man sicher nicht zulassen kann als Europäische Union, sich jetzt erpressen zu lassen; das wird es nicht geben. Wir werden sehr deutlich machen müssen: Wir werden diese Abkommen so durchführen, wie wir sie beraten und beschlossen haben. Und wir werden uns nicht erpressen lassen. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie nach einer bestimmten Zeit sehr wohl wieder das Fischen anfangen. Sie hoffen, den Druck so zu erhöhen, dass das Parlament bei dem nächsten Abkommen nachgeben wird. Ich kann Ihnen versichern, das werden wir nicht tun. 7 Sprecher Zu den streikenden Fischern vor Mauretaniern zählen übrigens auch russische Schiffseigner. Weil sie – gemäß dem Abkommen zwischen der EU und Mauretanien – nicht billiger fischen dürfen als die EU-Flotten, müssen Russen jetzt 360 Euro pro Tonne der in Russland beliebten Holzmakrelen zahlen. Zu viel, sagen auch unabhängige Experten. Hat die EU also mit ihrer gut gemeinten Fischereipolitik am Ende überzockt und wird sie diese Politik vielleicht kläglich wieder einsammeln müssen? Andere Fischereipartner Mauretaniens machen ohnehin was sie wollen – ohne dass die Regierung dagegen einschreitet. ATMO Markttrubel am Hafen Sprecher Am Hafen der nordmauretanischen Stadt Nouadhibou deutet GIZ-Experte Ulf Löwenberg auf eine Lagerhalle des chinesischen Fischereiunternehmens „Poly-Hondone“. Recht unverbindlich haben die Chinesen versprochen, hier hundert Millionen Dollar zu investieren und 2.500 Arbeitsplätze zu schaffen. OT Löwenberg Aber die Chinesen haben bis jetzt nur fünf Schiffe gebracht, die Octopus gefischt haben. Die Schiffe sind genehmigt im Vertrag: fünf Schiffe, die Bodenfische fangen. Es ist nicht spezifiziert. Das ist im Abkommen das Schlimme: Es ist alles ganz weich. Da steht drin: fünf Trawler, fünf Boden-Trawler. Damit kann ich Doraden fangen – oder Shrimps oder Octopus. Und das ist nicht spezifiziert – wieder die Menge noch die Art. Das ist ein Fehler von den Mauretaniern. Sprecher Und möglicherweise ein Vertragsverstoß. Denn die Mauretanier haben der EU zugesichert, Fischer aus anderen Ländern nicht zu privilegieren. Und damit nicht genug: Bis heute werden in Mauretanien alljährlich zehntausende Tonnen frischer Sardinellen und Holzmakrelen zu Fischmehl verarbeitet – mit einer skandalösen Ökobilanz, klagt Francisco Mari. 50 Kilo mauretanischer Frischfisch ergeben, als Fischmehl nach Europa exportiert, ein Kilo Fisch aus europäischer Aquakultur. OT Mari Allerdings muss man sagen: es gibt keine Alternativen momentan außer Fischmehl in Nouadhibou, weil dieser Fisch in Mauretanien nicht gegessen wird. Er müsste eigentlich ins südwestliche Afrika. Aber man weiß nicht wie. Sprecher Ahmed Moktar Koubah, der Sprecher des Fischereiministeriums, widerspricht: Wir haben ein Konzept für unsere Fischereipolitik, meint er: OT Ahmed Moktar Koubah (französisch)/dar. Übersetzer Unsere Strategie ist es, die Fischerei unseres Landes – im Interesse das nationalen Entwicklung zu mauretanisieren. Wir wollen mehr eigene Fangboote einsetzen; wir wollen auf ausländischen Trawlern mehr mauretanisches Personal haben; mehr Fisch soll hier im Land, statt im Ausland verarbeitet werden. Und es soll mehr Fisch im Lande verkauft werden. Dazu müssen wir unserer Bevölkerung, gerade im Landesinnern, beibringen, mehr Fisch zu essen. Wir wollen, anders ausgedrückt, unsere reichen Meeresressourcen nutzen, um die Ernährung unserer Bürger zu sichern. Das ist zentraler Bestandteil unserer Strategie der Armutsbekämpfung. Sprecher Eine anspruchsvolle Aufgabe: Große Fangboote müssen gekauft, qualifizierte Besatzungen und Fabrikarbeiter ausgebildet; Werften müssen in die Lage versetzt werden, Trawler zu warten und zu reparieren. Fisch verarbeitende Fabriken und Kühlketten in Exportländer 8 müssen entstehen. Geld dafür wäre da – wenn Mauretanien seine Einnahmen aus der EUFischerei in die Modernisierung der eigenen Fischerei investieren würde. Tatsächlich aber fließt bis heute nur sehr wenig der EU-Fanglizenzen überhaupt in den Aufbau der mauretanischen Fischerei. Das Geld verschwinde in dunklen Kanälen, klagen Experten. Und die wenigen Modellprojekte der Fischerei wurden aus Entwicklungshilfe finanziert – die 1991 gegründete Marine- und Fischereischule in Nouadhibou, zum Beispiel. ATMO Werkstatt Sprecher In hellen, gut ausgestatteten Räumen werkeln dort junge Männer und Frauen an Schiffsrümpfen, Motoren und Getrieben – angeleitet von Ingenieuren. Mechaniker, Elektriker, Elektroniker und Fachmatrosen bildet die Schule aus; in einem separaten Ausbildungsgang auch Schiffsoffiziere, Ingenieure und Führungspersonal für Fischfabriken. „Wir haben ein strenges Auswahlverfahren“, sagt Ausbildungsleiter Elemine Ould Boubacar. OT Elemine Ould Boubacar (französisch)/dar. Übersetzer Bevor er unsere Ausbildung für untere Dienstgrade antreten darf, braucht ein Kandidat einen Schulabschluss; und er muss eine strenge Zugangsprüfung bestehen. Die Grundausbildung dauert dann neun Monate – in Theorie und Praxis. Die Auszubildenden lernen zum Beispiel Schiffsmotoren zu reparieren; sie machen einige Ausfahrten mit unserem Schulschiff. Danach absolvieren sie ein einjähriges, bezahltes Praktikum – auf einem Frachter der Handelsmarine oder auf einem Fischtrawler. ATMO Simulator Sprecher In einem Simulator, der an eine Kommandobrücke erinnert, zeigt Kapitän Moustapha Lecene drei Offizierskandidaten, wie man ein Schiff in Krisensituationen steuert. OT Moustapha Lecene (französisch)/dar. Übersetzer Mit diesem Hightech-Gerät können wir so ziemlich jede Situation auf See simulieren: die Art des Schiffes und seine Größe; alle möglichen Objekte, mit denen ein nautischer Offizier umgehen muss – querkommende Tanker, ankernde Kreuzfahrtschiffe, Tonnen und so weiter. Auch die Wetterbedingungen können wir simulieren, Tag oder Nacht, Untiefen und vieles mehr. Mit all dem müssen unsere Offiziere in der Ausbildung zurechtkommen. Sprecher 65 Schüler hat die Fischerei- und Marineschule in Nouadhibou. Sie gilt als eine der besten in Afrika und erwirtschaftet eigenes Einkommen, indem sie – gegen Schulgebühren – Fachleute für zahlreiche Länder Afrikas ausbildet. Eine Insel der Glücklichen in einem Meer der Unzulänglichkeit. Außerhalb dieser Schule jedoch arbeiten Mauretaniens Fischer fast ausschließlich mit einfachsten handwerklichen Methoden. In den letzten zehn Jahren ist die heimische Fangflotte rasant gewachsen – von hundert auf fast 8.000 Piroggen oder offene Boote. Eine de facto wenig regulierte Fischerei, die inzwischen Fischbestände und Umwelt kaum weniger gefährdet als die industrielle Fischerei. Sidi Mohamed Nemane, der Kommandeur der Küstenwache, klagt dass Straftaten in der Kleinfischerei explosionsartig zunehmen; Ulf Löwenberg hebt am Strand von Nouadhibou zwei aufgerissene schwarze Kunststofftöpfe auf, die an kaputte Blumentöpfe erinnern. OT Löwenberg Das sind Fangtöpfe für Octopus. Und die sind meines Erachtens das nachhaltigste Fanggerät, das ich mir vorstellen kann, weil nur Octopusse dort reingehen. Es wird kein anderer Fisch gefangen; der kann wieder raus schwimmen, weil es kein Netz, keine Verhakung gibt. Octopus geht nur rein wenn er in der passenden Größe ist. Zu kleine 9 Octopusse gehen nicht rein, weil ihnen das Gefühl der Höhle fehlt; große gehe nicht hinein, weil sie nicht rein passen. Man muss in diesen Falle nur aufpassen, dass man in der Laichzeit damit nicht fischt, weil dann legen die Weibchen Eier da rein; dann werden die Töpfe hoch geholt; dann vertrocknen die Eier. Insofern würde man den Bestand damit gefährden. – Der Nachteil an den Töpfen ist nur: Die reißen leicht auf; das ist ganz weich, hier hergestellt aus Abfällen, ganz weiches Material. Das reißt laufend ab. Es sind 100.000 Töpfe schon im Meer unterwegs, bis Brasilien hat man die ersten gefunden dieses Jahr. Auf den Kapverden sind Strände voll mit den Töpfen. Es ist nicht die Gefahr des Weiterfischens wie einem verloren gegangenen Netz, was also noch jahrelang fischt; sondern der Topf löst sich langsam auf wie jedes Plastikmaterial. Das dauert zwar dann vielleicht 50 Jahre oder hundert; dann ist der weg und das geht in Lösung und ist halt Gift. ATMO Meeresbrandung Sprecher Auch auf den am Atlantik liegenden Nationalpark Banc d’Arguin wächst der Druck der Kleinfischerei. Der 12.000 Quadratkilometer große Park ist als UNESCO-Weltnaturerbe anerkannt; er zählt – als Überwinterungs- und Brutgebiet zahlreicher Zugvögel – zu den vogelreichsten Gebieten weltweit; Wildkatzen und Schakale gibt es hier; in den seichten Gewässern tummeln sich Delphine, Schildkröten und Seehunde; hier laichen viele Fischarten. Eigentlich dürfen im Banc d’Arguin-Park nur etwa 500 Imraguen fischen – die Urbevölkerung. Motorisierte Boote sind verboten. Tatsächlich aber dringen immer häufiger auch Fischer von außen in den Park ein. OT Löwenberg Der Druck wird groß; es gibt immer mehr Piroggen. Und der Präsident ist auch geneigt, den Park wieder aufzumachen, wenn der Druck zu groß wird. Sprecher Der Druck seitens der politisch inzwischen mächtigen Verbände der handwerklichen Fischerei. Und auch die Imraguen sind keineswegs mehr jene in bestem Einklang mit der Natur lebenden Ureinwohner, als die sie in den Träumen zahlreicher Sozialromantiker umhergeistern. OT Löwenberg Eine Zeit haben sie nur Haie gefischt und Rochen und haben die Flossen abgeschnitten und am Strand verbuddelt die restlichen Haie. Sprecher Rohmaterial für die in China so beliebte Haifischflossensuppe, die Imraguen-Geschäftsleute in der Stadt teuer verkaufen. OT Löwenberg Die reichsten Imraguens wohnen in Nouakchott; die haben nur ihre Boote da laufen; die wohnen hier in Villen – reich und reich und reich und verdienen sich dumm und dösig. ATMO Meeresbrandung ***