ich will einfach nur weg

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‘Ich will einfach nur weg ...’
Die Lebenslage Jugendlicher in ländlichen Regionen
- Jungsein im Bezirk Radkersburg -
Diplomarbeit
zur Erlangung des akademischen Grades
einer Magistra der Philosophie
an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät
der Karl - Franzens - Universität Graz
vorgelegt von
Maria - Elisabeth Weber
am Institut für: Erziehungswissenschaften
Begutachter: Univ.-Prof. Dr. Josef Scheipl
Graz, 1997
INHALTSVERZEICHNIS
1. EINLEITUNG
5
2. JUGEND - JUGENDPHASE EINE ALLGEMEINE ANNÄHERUNG
2.1. Begriffsklärung: Jugend - Jugendphase
2.1.1. Entwicklungspsychologische Aspekte des Begriffes Jugend:
2.1.2. Soziologische Aspekte des Begriffes Jugend
2.2. Historische Aspekte der Entwicklung des Phänomens Jugend
2.2.1. Entdeckung oder Erfindung der Jugend?
2.2.2. Das öffentliche Erscheinungsbild gegenwärtiger Jugendlicher
2.2.2.1. Exkurs: Begriff der Individualisierung
2.2.3. Jugend - eine eigenständige Lebensphase?
Zusammenfassung
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3. LÄNDLICHER RAUM - LÄNDLICHE LEBENSWELTEN
3.1. Begriffsdefinition: Ländlicher Raum - Ländliche Region
3.1.1. Unterteilungs- und Typisierungsversuche ländlicher Räume
Ländliche Räume innerhalb von Regionen mit großen Verdichtungsräumen
Ländliche Räume mit leistungsfähigen Oberzentren und vergleichsweise guten wirtschaftlichen
Entwicklungsbedingungen
Periphere, dünn besiedelte ländliche Gebiete abseits der wirtschaftlichen Zentren
3.2. Ländliche Region - Steiermark
3.2.1. Unterteilung der Steiermark
Zusammenfassung
3.2.1.1. Indikatoren für die ländliche Prägung einer Region am Beispiel des Bezirkes Radkersburg
3.2.1.2. Der Bezirk Radkersburg - das südoststeirische Randgebiet
3.3. Begriffsdefinition: Ländliche Räume - Regionen als Lebenswelten
3.3.1.: Kennzeichen ländlicher Lebenswelten
3.3.1.1. Exkurs: Erklärungsansatz zur Eigenart ländlicher Lebenswelten
3.3.1.2. Das Dorf - Träger der Metapher ländlicher Lebenswelten
3.4. Ausgewählte Charakteristika ländlicher Lebenswelten
3.4.1. Soziale Beziehungen in einer ländlichen Lebenswelt -Teile der Sozialstruktur
Familie im ländlichen Kontext
Geschlechtszugehörigkeit im ländlichen Kontext
Altersgruppenzugehörigkeit im ländlichen Kontext
Religion im ländlichen Kontext
Politik im ländlichen Kontext
Arbeit im ländlichen Kontext
Das Vereinsleben im ländlichen Kontext
3.4.2. Die Dorföffentlichkeit - die Dorfgemeinschaft
3.4.2.1. Interaktion in der Dorfgemeinschaft
3.4.2.2. Soziale Kontrolle
3.5. Zusammenfassung: Lebensbedingungen in ländlichen Regionen
32
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4. LEBENSLAGE JUGENDLICHER IN LÄNDLICHEN REGIONEN
73
4.1. Gedankliche Annäherung an den Diskussionsgegenstand
4.2. Die Bedeutung der Landjugendforschung im Kontext der Jugendforschung - Ein Überblick
Die Landjugendforschung der Weimarer Zeit
Landjugendforschung in den 50er Jahren
Landjugendforschung der 60er und 70er Jahre
Die sozialpolitisch motivierte Forschungsperspektive
4.3. Soziale Freisetzung Jugendlicher in ländlichen Regionen
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4.3.1: Exkurs: Sozialen Freisetzung bei Mädchen und jungen Frauen
4.4. Aspekte der Regionalität und regionaler Optionen
4.4.1. Phänomenologie der sozialräumlichen Erschließung der Region
4.5. Beschäftigungs- und Reproduktionsstruktur in ländlichen Regionen
4.5.1. Exkurs: Berufsfindung als Aspekt der Lebenslage
4.6. Dörfliche und soziale Integration vs. Segregation
4.7. Bleibe- oder Abhauorientierung?
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5. Forschungsfrage
101
5.1. Die Untersuchungsgruppe
Auswahl der Befragten
103
103
Alter
104
Geschlecht
104
Familiensituation
Ausbildung der Eltern
Tatsächlich ausgeübte Berufe der Eltern
Anzahl und Ausbildung der Geschwister
5.2. Die Interviewsituation
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105
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5.3. Die Untersuchungsmethode
108
5.3.1. Das Interview
Begrifffsbestimmung
Das qualitative Interview
Methodologische Kriterien des qualitativen Interviews
5.4. Der Interviewleitfaden
Aufbau des Interviewleitfadens
Fragenkatalog
108
108
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5.5. KATEGORIEN FÜR DIE AUSWERTUNG
115
6. Auswertung der Interviews
118
6.1. Die Inhaltsanalyse
Ziel und Aufgabe der Inhaltsanalyse
6.2. Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring
6.2.1. Die Technik der qualitativen Auswertung nach Mayring
Ablauf der Analyse von Texten nach Mayring
Validierung
Zusammenfassende Inhaltsanalyse
Arbeitsschritte der zusammenfassenden Inhaltsanalyse
Interviewausschnitt
Demonstration der Arbeitsschritte
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6.3. INTERPRETATION DES REDUZIERTEN TEXTMATERIALS NACH MAYRING
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Kategorie a: ‘Wie nehmen die Jugendlichen das dörfliche Leben wahr?’ (vgl. Abschnitt 5.5.)
130
Kategorie b: ‘Wie nehmen Jugendliche Widersprüche und Brüche im ländlichen Alltag wahr?’ (vgl.
Abschnitt 5.5.)
135
Kategorie c: ‘Wie nehmen Jugendliche Möglichkeiten der individuellen Lebensgestaltung und bewältigung wahr?’ (vgl. Abschnitt 5.5.)
139
Kategorie d: ‘ Wie gelingt die Wahrnehmung der Jugendlichen als eigene Sozialgruppe mit
Ansprüchen und Problemen ?’ (vgl.Abschnitt 5.5.)
147
3
Kategorie e: ‘Welche persönlichen Konsequenzen werden gezogen? Findet eine kreative oder
resignative Auseinandersetzung mit den Lebensbedingungen des Jungseins im ländlichen Raum
statt?’ (vgl. Abschnitt 5.5.)
150
7. Exkurs: Qualitative Inhaltsanalyse mit dem Computer
7.1. ATLAS/ti
Der Arbeitsprozeß mit ATLAS/ti
Arbeitsprotokoll
Kodes
Kodefamilien
‘Primary document families’ als Variablen
Verknüpfungen ‘PF * KF’
7.2. Beschreibung des durch ATLAS/ti gewonnenen Textmaterials
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161
8. RÉSUMÉ
169
9. ANHANG
Begleitfragebogen
Transkription der Interviews B und N
Exemplarische Darstellung der Auswertung nach Mayring
172
172
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192
10. LITERATURVERZEICHNIS
203
4
1. Einleitung
Die vorliegende Arbeit soll einen Beitrag zur Auseinandersetzung mit der Lebenssituation
Jugendlicher in ländlichen Regionen darstellen. Mit der in zwei Teile gegliederten Arbeit soll
der Versuch unternommen werden, anhand einer bestimmten Gruppe von Jugendlichen
(SchülerInnen) und einer ausgewählten ländlichen Region (Bezirk Radkersburg in der
Steiermark) bestimmende Faktoren der spezifischen Lebenslage herauszuarbeiten.
Das zweite Kapitel soll eine Annäherung an den Begriff und an allgemeine Phänomene der
Lebensphase ‘Jugend’ gewähren.
Im nachfolgenden Kapitel geht es einerseits um die Findung einer Definition des ‘ländlichen
Raumes’ bzw. der ‘ländlichen Region’ sowie um die Darstellung verschiedener Unterteilungsund Typisierungsversuche. Andererseits sollen Kennzeichen ländlicher Lebenswelten
aufgespürt und auf einige wesentliche Merkmale der ländlichen Sozialstruktur eingegangen
werden.
Im vierten und abschließenden Kapitel des theoretischen Teiles folgt die Darstellung der
Lebenslage Jugendlicher in ländlichen Regionen. Zunächst soll auf die Bedeutung der
Landjugendforschung im Kontext der Jugendforschung eingegangen werden. Danach
kommen ausgewählte Aspekte, die der Beschäftigung mit dem Thema dienlich sein können,
zur Behandlung. Hierbei wird es darum gehen, Bereiche wie die ‘soziale Freisetzung’ und
‘Aspekte der Regionalität und regionaler Optionen’ zu untersuchen.
Das fünfte Kapitel gilt als Einleitung zum empirischen und somit praktischen Teil der Arbeit.
Ziel dieses Abschnittes ist es, die im theoretischen Teil inhaltlich ausgearbeiteten Bereiche zu
erfassen. Im empirischen Teil (Kapitel 6 und 7), werden einerseits die verwendete Methode qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring - und die damit zusammenhängenden Arbeitsschritte
beschrieben, andererseits werden in diesem Teil der Arbeit die Forschungsfrage und die
entsprechenden Ergebnisse diskutiert. Ein Teilbereich der Auswertung wird sich im Überblick
mit der ‘computerunterstützten qualitativen Inhaltsanalyse’ - namentlich mit der Verwendung
des Programmes ATLAS/ti - beschäftigen.
Im Anhang befinden sich das Literaturverzeichnis, zwei Interviews und die exemplarische
Darstellung der Arbeitsschritte nach Mayring sowie der zur Unterstützung verwendete
Fragebogen.
5
2. Jugend - Jugendphase eine allgemeine Annäherung
2.1. Begriffsklärung: Jugend - Jugendphase
Wenn man eine Annäherung an den Begriff „Jugend" unternimmt, muß man sich mit einer
Vielzahl unterschiedlicher Zugänge vertraut machen. Im Bereich der wissenschaftlichen
Literatur, der unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen gibt es verschiedenste Zugriffe
und Sichtweisen, die zur Abklärung des jeweiligen „Jugendblickwinkels“ führen. Je nachdem
von welcher wissenschaftlichen Disziplin man eine klärende Antwort erhalten will, werden
auch die thematischen Schwerpunkte des Begriffes gesetzt sein. So zeigen sich in der
dargebotenen Literatur allein der letzten 60 Jahre unterschiedliche Zugänge. Waren es in den
30er Jahren Jugendpsychologen, die sich diesem Thema gewidmet haben, sind es in den
60er und 70er Jahren vorwiegend Soziologen. Daraus ergibt sich, daß der Jugendbegriff in
seinem begrifflichen Verständnis immer von dem dahinter liegenden wissenschaftlichen oder
aber auch “alltagspsychologischen” und “alltagssoziologischen” Hintergrund betrachtet
werden kann. Vaitkus (1988, 16) geht davon aus, daß der Jugendbegriff ein Begriff des
Alltagswissens sei, der in den wissenschaftlichen Diskussionsbereich Eingang gefunden hat.
Alltagswissen wird als unbewußtes, unreflektiertes Routinewissen aus dem alltäglichen
Umgang beschrieben. „Die formale Struktur des Alltagswissens entsteht in routinierten
Prozessen der Bewältigung der gesellschaftlichen Praxis und stellt umgekehrt für die Praxis
allgemeine Streuungs-, Symbolisations-, und Orientierungsmechanismen zur Verfügung“
(vgl.Vaitkus 1988, 16). Rosenmayr (1990, 9), schreibt „Jugend ist ein explosiver Begriff“,
Jugend ist ein Reizwort im negativen und positiven Sinn. Diese negative bzw. positive
Konnotation ergibt sich aus dem jeweiligen aktuellen Nahverhältnis der Jugend zur
Gesellschaft, -obwohl, und darauf wird immer wieder hingewiesen, die Jugend gibt es nicht.
Die Jugend hat es auch nie gegeben. Jugend ist vielfältig, daher ist es auch nicht möglich,
Jugend begrifflich eindimensional zu erfassen. Es ist kaum möglich, den Begriff der Jugend
zu bilden, sondern lediglich Inhalte dessen zu definieren, wodurch Jugend gekennzeichnet
sein kann (vgl. Janig 1990, 38 ).
Um die historische Einordnung der Begriffsfindung „Jugend“ abzuklären, scheint es
notwendig zu erwähnen, daß der Begriff „Jugend“, sowie weitere Begriffe wie z.B. „junge
Generation“, „Jungsein“ mit ihrer ausgeprägten Orientierungsfunktion kurz vor dem Ende des
letzten
Jahrhunderts
auftauchen
und
seither
vermutlich
zu
den
spannendsten
Schlüsselbegriffen unserer postindustriellen Gesellschaft gehören (vgl. Reulecke 1986, 21).
Der Begriff ist zwar keine Neuerfindung des ausklingenden 19.Jahrhunderts, aber am Ende
6
des Jahrhunderts wird Jugend als gesellschaftliches Thema interessant und als
Herausforderung gesehen. Man könnte auch behaupten, daß mit der sprichwörtlichen
„Entdeckung“ der Jugend im zu Ende gehenden 19.Jh. ein Begriff entworfen wurde, der sich
durch eine geradezu inflationäre Handhabung in unserem Jahrhundert fortsetzt.
Die Definitionen, die es zum Begriff Jugend gibt, sind geprägt durch das Umfeld der zu
benennenden Jugendlichen, den Zweck, zu dem sie erstellt werden, den wissenschaftlichen
Kontext des Forschers/der Forscherin und das jeweilige zugrundeliegende Menschenbild (vgl.
Janig 1990, 39).
„Jugend“ wird zum einen als „Übergangszeit von der Kindheit zum Erwachsenendasein
definiert, als Subkultur in einer auf die spezifische soziale Situation bezogene
Gesamtgesellschaftskultur und den sozialen Status“ (vgl. Reimann 1987,13). Vaitkus
beschreibt Jugend als einen Teilbereich der Gesellschaft, der sich aufgrund des der
Gesellschaft impliziten Prozeßcharakters herausgebildet hat. Einer dieser Teilbereiche wird
mit dem Begriff „Jugend“ erfaßt (vgl.Vaitkus 1988, 13). Wenn man aber für einen bestimmten
Teilbereich in einer Gesellschaft einen bestimmten Begriff benützt, so muß dieser
Begriffsfindung auch eine inhaltliche Positionierung folgen, die sich zum anderen vom
gesamtgesellschaftlichen
Begriffsinhalt abgrenzen muß. Vaitkus kommt in seinen
Ausführungen zum Schluß, daß es einen reinen Jugendbegriff nicht gibt. Dennoch sei es
möglich, eine Begriffsumgrenzung festzulegen, die es ermöglicht, der entsprechend
bezeichneten Personengruppe einen besonderen Status innerhalb der Gesellschaft
zuzuweisen und sie auf dieser Basis zum Objekt pädagogischer (politischer) Bemühungen
zu machen (vgl.Vaitkus 1988, 14).Diese Definitionsfindung nach Vaitkus erfordert die
Notwendigkeit einer Eingrenzung dessen, was im Zusammenhang mit dem genannten Ziel
der jeweiligen Bemühung unter „Jugend“ verstanden werden soll.
Michael Mitterauer bringt mit seiner „Sozialgeschichte der Jugend“ (1986) weitere Aspekte in
die Begriffsdiskussion mit ein. Zum einen weist er darauf hin, daß es möglich sei, den Begriff
über die speziellen körperlichen Entwicklungsprozesse der Altersgruppe zu definieren, zum
anderen muß man aber immer auch auf die starke Relevanz von gesellschaftlichen
Phänomenen in diesem Diskussionsraum eingehen. Läßt man sich auf eine Beschäftigung
mit dem Thema „Jugend“ ein, so ergeben sich im Vergleich zwischen Epochen, zwischen
europäischen Regionen, zwischen Stadt und Land, vor allem aber zwischen den sozialen
Schichten, Unterschiede. Lediglich aus den Gegebenheiten der Natur lassen sich diese nicht
befriedigend erklären, hier ist es notwendig, auch die Bedingungen im Bereich des
Gesellschaftlichen zu suchen (vgl. Mitterauer 1986, 10f). Um die Begriffsbildung „Jugend“ zu
7
unterstreichen, geht Mitterauer den Weg über Erklärungen zu Pubertät - Adoleszenz Jugend.
Die
ersten
beiden
Begriffe
sind
daher
stark
geprägt
von
entwicklungspsychologischen und psychoanalytischen Inhalten, der dritte Begriff (Jugend)
wird über zeit- und milieuspezifisch gebundene Prozesse der Sozialentwicklung erklärt.
Mitterauer zitiert hierzu Robert Bell: „Es gibt Gesellschaften ohne sozial definierte Jugendzeit.
In diesen Gesellschaften wird das Kind solange als Kind behandelt, bis es sich für den
Erwachsenenstatus qualifiziert hat; es unterzieht sich den Pubertätskrisen der Gesellschaft
und wird von diesem Augenblick an als erwachsen betrachtet“ (vgl. Mitterauer 1986, 22). In
diesem Zitat wird die starke gesellschaftliche Abhängigkeit der Begriffsbildung hervorgekehrt.
So sind es letztendlich doch die gesellschaftlichen Instanzen, die den Menschen einmal als
Kind und einmal als Erwachsenen bezeichnen. August Hollinghead unterstreicht in seiner
Definition den soziologischen Aspekt des Jugendbegriffes: „Soziologisch gesehen ist die
Jugend die Periode im Laufe eines Lebens, in welcher die Gesellschaft, in der er lebt, ihn
nicht mehr als Kind ansieht, ihm aber den vollen Status, die Rollen und Funktionen des
Erwachsenen noch nicht zuerkennt ... Sie ist nicht durch einen besonderen Zeitpunkt
bestimmt, etwa
durch die körperliche Pubertät, sondern nach Form, Inhalt, Dauer und
Abschnitt im Lebenslauf von verschiedenen Kulturen und Gesellschaften verschieden
eingegrenzt“ (vgl. Mitterauer 1986, 25). Mitterauer greift in seiner Diskussion noch eine
weitere Definition von Jugend auf, nämlich jene von Friedhelm Neidhardt. Dieser meint: „In
Abgrenzung gegenüber Kindern und Erwachsenen lassen sich Jugendliche also als
diejenigen definieren, welche mit der Pubertät die biologische Geschlechtsreife erreicht
haben, ohne mit Heirat und Berufsfindung in den Besitz der allgemeinen Rechte und Pflichten
gekommen zu sein, welche die verantwortliche Teilnahme an wesentlichen Grundprozessen
der Gesellschaft ermöglichen oder erzwingen“ (vgl. Mitterauer 1986, 26). Diesen beiden
Definitionen zufolge ist Jugend ein eigenständiger Status innerhalb der menschlichen
Entwicklung, in welchem zwar auf der einen Seite biologische Entwicklungs- bzw.
Reifungsprozesse mehr oder weniger abgeschlossen sind, soziale, gesellschaftlich relevante
Entwicklungsschritte aber noch nicht, entsprechend den Vorstellungen der jeweiligen Kultur,
Gesellschaft, erreicht worden sind. Gerade in diesem „unvollkommenen“ Zustand
menschlichen Seins liegt die Chance für die menschliche Entwicklung, natürlich aber auch
Gefahr und Irritation. Klaus Hurrelmann versucht darzustellen, daß die Jugendphase einen
eigenständigen Wert im menschlichen Lebenslauf besitzt. „... Jugendliche setzen sich auf
ihre eigene Weise produktiv mit der gegebenen gesellschaftlichen Realität und mit ihrer
sozialen Lebenslage auseinander und entwickeln dabei charakteristische Formen der
Lebensgestaltung“ (vgl. Hurrelmann 1985, 7). Die Dimensionen der menschlichen
Entwicklung werden durch innere und äußere Faktoren beeinflußt und stimuliert.
8
„Persönlichkeitsentwicklung und Gesellschaftsentwicklung bedingen sich in wechselseitiger
Abhängigkeit, in der Jugendphase erreicht dieses Beziehungsverhältnis eine einzigartige
Dichte und Differenziertheit“ (Hurrelmann 1985, 7). Hurrelmann versucht darzustellen, durch
welche Merkmale bzw. Charakteristiken die Jugendphase als Abschnitt im menschlichen
Lebenslauf gekennzeichnet ist. In seinen Darstellungen werden entwicklungspsychologische
und soziologische Aspekte der Jugendphase herausgearbeitet.
Bevor ich einerseits auf historische Zugänge, andererseits auf gegenwärtige Konstruktionen
des
Jugendbildes
eingehe,
möchte
ich
einen
kurzen
Überblick
über
entwicklungspsychologische und soziologische Aspekte des Jugendbegriffes wiedergeben.
In vielen Literaturquellen, welche für diese Arbeit herangezogen wurden, werden einige,
geradezu klassische Begriffe zur Charakterisierung des mit „Jugend“ verbundenen
Lebensabschnittes verwendet:
→ Pubertät
→ Adoleszenz
→ Jugendalter
Unter Pubertät werden dabei vorwiegend biologische Phänomene bzw. Reifungsvorgänge
beschrieben. Der Begriff Pubertät ist vor allem ein in der psychoanalytischen,
entwicklungspyschologischen Literatur fest umrissener Begriff. Gerade die Psychoanalyse ist
es auch, die sehr klar zwischen Pubertät und Adoleszenz unterscheidet. Adoleszenz
kennzeichnet die psychische Bewältigung der Geschlechtsreifung, die Anpassung der
Persönlichkeit des Kindes an die biologischen, körperlichen Veränderungen (vgl. Janig 1990,
39). Der Adoleszenzbegriff kommt aus der englischsprachigen Literatur. Stanley Hall hat
1904 ein Werk mit dem Namen „Adolescence“ vorgelegt. Der Begriff Jugendalter wird
vorwiegend in der entwicklungspsychologischen Diskussion verwendet. Veränderungen,
Reifungen psychologischer Faktoren werden mit den Variablen Lebensalter gekoppelt.
Ursprünglich bezeichnete der Jugendbegriff in der psychologischen und soziologischen
Jugendforschung ein einheitliches Konzept. Heute wird diese Sichtweise differenzierter
gesehen (vgl. Janig 1990, 40).
2.1.1. Entwicklungspsychologische Aspekte des Begriffes Jugend:
9
Wie bereits erwähnt, liegt die Bedeutung der entwicklungspsychologischen Begriffsbildung in
der Koppelung der Veränderungen auf psychischer Seite mit einem dafür bestimmten
Altersabschnitt. In dieser Phase kommt es zu einem Ungleichgewicht in der psychophysichen
Struktur der Persönlichkeit. Es wird aufgrund der veränderten Körperfunktion eine
Neuorientierung der bisherigen Verhaltensmuster verlangt,
um auf die veränderten
Umweltfunktionen reagieren zu können (vgl. Hurrelmann 1985, 11). Die in der
Entwicklungspsychologie verwendeten Altersangaben für das Jugendalter liegen zwischen
dem 12. und 20. Lebensjahr. Natürlich handelt es sich hierbei nicht um eine generelle
Altersangabe, zumal Akzelerationsprozesse die Altersangaben für die Reifungsprozesse
kontinuierlich nach vor verschoben haben. Es ist nur eine ungefähre Angabe für jene
Lebensphase, die zwischen der Kindheit und dem Erwachsenenalter liegt. In dieser
Lebensphase muß sich der Jugendliche auf ständige Umstellungen und Veränderungen
einrichten. Zum einen sind es Veränderungen im biologisch-körperlichen Bereich. In dieser
Zeit
folgt,
neben
dem
verstärkten
Wachstum,
das
Einsetzen
geschlechtlicher
Reifungsprozesse. Bei Mädchen beginnt der Reifungsprozeß mit dem Einsetzen der
Menarche, im Alter von ca. 13 Jahren; bei Buben mit dem ersten Samenerguß mit ca. 14
Jahren. An den körperlichen Veränderungen kann man ablesen, daß die Jugendlichen das
Stadium der Kindheit verlassen. Aber diese körperlichen Veränderungen sind keine singulären
Erscheinungen. Damit verbunden ist eine große Anzahl psychosozialer Entwicklungschritte.
„Entsprechend hoch sind die jeweiligen Anforderungen an die Synthetisierungsleistungen des
Individuums. Es muß ein Spannungs- und Konfliktzustand gelöst werden, der sich aus der
Ungleichheit zwischen biologischer Entwicklung und psychosozialer Entwicklung ergibt.
Ebenso unabdingbar ist der Aufbau einer stabilen Persönlichkeitsstruktur und die Gewinnung
einer stabilen ICH-Identität.“ (vgl. Hurrelmann 1985, 11). Unter Identität wird nach Erikson, die
Fähigkeit einer Person verstanden, sich als einmalig, unverwechselbar zu definieren. Sowohl
durch die soziale Umwelt als auch durch sich selbst. Eine Entwicklung bzw. Bewältigung
dieser Lebensphase ist demnach nur möglich, wenn sich der Jugendliche von den zentralen
Bezugspersonen
Vater
und
Mutter
innerlich
ablöst
und
eine
Autonomie
seiner
Persönlichkeitsorganisation aufbaut.
Ausgehend vom Konzept der Identität nach Erikson (1968), haben sich in den letzten, Jahren
eine Vielzahl von Forschungsansätzen entwickelt, welche sich mit der Entwicklung der
Identität und der damit verbundenen Bedeutung für die Jugendphase befaßt. Waterman
gehört zu jenen Vertretern innerhalb der Forschung, welche Identitätsentwicklung als
‘Persönlichkeitsentwicklung’ betrachten. In seiner Konzeption von Identität, definiert er diesen
Begriff folgendermaßen:
10
‘Identität bezieht sich auf klar beschriebene Selbstdefinitionen, die jene Ziele, Werte und
Überzeugungen enthält, die eine Person als persönlich wichtig erachtet und denen sie sich
verpflichtet fühlt’ (Fend 1991, 17).
Während im Ansatz von Erikson der Aspekt der Ganzheitlichkeit des psychischen
Zusammenhanges für die Ausbildung einer stabilen Identität als zentrales Merkmal zu finden
ist, kann dies im Konzept von Waterman nicht Geltung beanspruchen. Für Waterman geht es
nicht darum, den Prozeß der Entstehung von Zielen, Werten und Überzeugungen global zu
untersuchen, sondern er geht von bestimmten Handlungsbereichen aus, in denen wichtige
Entscheidungen gefällt werden. Waterman betont in diesem Zusammenhang besonders
Aspekte der beruflichen Laufbahn, der eigenen Geschlechtsrolle, der Antizipation von Heirat
und Elternschaft, der Entstehung einer Weltanschauung und moralische Überzeugungen
sowie schließlich Aspekte der Entstehung einer politischen Ideologie (vgl. Fend 1991, 17).
Innerhalb der Phase von Jugendzeit und Adoleszenz soll die Identitätsbildung abgeschlossen
sein. Der Prozeß der Identitätsbildung kann dort kurz und problemlos verlaufen, wo
Identifikationsangebote der Umwelt für Jugendliche ohne innere Konflikte und mittels
selbständiger
Meinungsbildungsprozesse
in
Anspruch
genommen
werden
können.
Identitätsreife ist dann erreicht, wenn eine Integration der persönlichen Möglichkeiten mit den
sozialen Opportunitätsstrukturen erlangt wird (vgl. Fend 1991, 19).
Dahingehend ist es notwendig, den ganzheitlichen, auf die innere Organisation einer Person
gerichteten Blickwinkel nicht zu vernachlässigen. Blasi rekonstruiert das Konzept der Identität
im Sinne von Erikson wie folgt:
‘Im Konzept der Identität geht es um den Aufbau von Perspektiven für die sinnvolle Gestaltung
des Lebens auf persönlicher und gemeinschaftlicher Ebene. Es geht um Wahrnehmungen
und Bedeutungsverleihungen, um die Entwicklung von normativen Konzepten des
Wünschenswerten und um die Einübung von Handlungen bzw. dem Aufbau von
Handlungsbereitschaften’ (vgl. Fend 1991, 22)
Demzufolge
weisen
entwicklungspsychologische
Ansätze
immer
auf
bestimmte
psychosoziale Entwicklungsaufgaben hin, welche es zu bewältigen gilt:
„Unter Entwicklungsaufgaben werden die kulturellen und gesellschaftlich vorgegebenen
Erwartungen und Anforderungen verstanden, die eine Person in einer bestimmten
Altersgruppe gestellt bekommt. Entwicklungsaufgaben definieren für das Individuum in
bestimmten situativen Lebenslagen objektiv vorgegebene Handlungsprobleme, denen es sich
11
stellen muß. Anhand dieser soll sich die personelle und soziale Identität konstituieren“
(Hurrelmann 1985, 12).
Wenn, wie in der Gegenwart dem sozialhistorischen Prozeß der Individualisierung aller
Lebensmöglichkeiten und Lebensperspektiven auf individualgeschichtlicher Seite der Prozeß
der Individuation gegenübersteht, bedeutet dies für das Individuum, daß die Konstituierung
des persönlichen Lebensprogrammes nicht mehr nach
vorgegebenen Schablonen
funktioniert. Die Erhöhung der Freiheit von Handlungen auf gesellschaftlicher Ebene bedeuten
für das Subjekt Autonomie sowie persönlich zu verantwortende Lebensführung. Von der
Gesellschaft formulierte Entwicklungsaufgaben können daher nur unter dem Ziel der
Herausbildung von Selbstverantwortung im Zuge von verantwortlicher Entscheidungsfindung
und Lebensplanung erfüllt werden (vgl. Fend 1991, 11).
Um
den
Bedingungen
der
gegenwärtigen
Lebensverhältnisse
im
Rahmen
der
Identitätsentwicklung gerecht zu werden, verwendet Keupp (1992, 176) den Begriff der
‘Patchwork - Identität’. Der Begriff beruht auf Überlegungen, daß es zur Herausbildung einer
postmodernen
Identität
notwendig
ist,
sich
in
der
Fülle
von
Angeboten
und
Orientierungsmustern der Umwelt mittels kreativer Prozesse der Selbstorganisation zurecht
zu finden (vgl. Keupp 1992, 177). Im Konzept der ‘Patchwork - Identität’ liegen einige
Bedingungen zu Grunde:
1. Die Konstituierung einer stabilen Identität wird als ‘offenes Projekt’ gesehen, in dem neue
Lebensformen erprobt werden sowie ein eigener Lebenssinn entwickelt wird. Ein offenes
Identitätsprojekt bedarf materieller Ressourcen. Selbstfindung im beruflichen Bereich ist an
die
Rahmenbedingungen
eines
arbeitsteilig
gegliederten
Beschäftigungssystems
gebunden. Um in diesem Bereich Selbstentwicklung zu erlangen, sind viele aktive
Akkomodationsleistungen notwendig. Das eigene Wollen und Können muß mit den
Bedingungen des Arbeitsmarktes in Einklang gebracht werden (vgl. Fend 1991, 25). Ohne
Teilhabe am gesellschaftlichen Lebensprozeß in Form einer sinnvollen Tätigkeit (und
angemessener Bezahlung) wird Identitätsbildung zu einem zynischen Schwebezustand.
2. Spezifische Beziehungs- und Verknüpfungsfähigkeiten - der Rückhalt durch soziale
Ressourcen - sind auf Grund der Verringerung bestehender sozialer Bezüge notwendig.
Die Notwendigkeit, ein soziales Beziehungsnetz durch die Eigenaktivität selbst
aufzubauen, wird größer. Die Bereitschaft sich selbst einzubringen ist gefordert.
3. Nicht mehr die Bereitschaft zur Übernahme von fertigen Regeln, Normen und Zielen ist
gefordert, sondern die Fähigkeit zum Aushandeln. Dies erfordert demokratische
Willensbildung und Konfliktfähigkeit. ‘Identität bedeutet hier, eine Vision aufzubauen, wie
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man die Welt gerne gestaltet hätte, wie man sie sich wünscht und in welcher Weise man
in ihr mitwirken will’ (Fend 1991, 26).
4. Der gesellschaftliche Freisetzungsprozeß bedeutet einen objektiven Zugewinn individueller
Gestaltungskompetenz, gleichzeitig auch die Notwendigkeit sie einzusetzen. Die Fähigkeit,
sich auf Menschen und Situationen offen einzulassen, sie zu erkunden, wird gefordert. Es
geht um die Überwindung des Eindeutigkeitszwanges und die Ermöglichung von
neugieriger Exploration von Realitätsschichten (vgl. Keupp 1992, 177f.).
Entwicklungsaufgaben bzw. ‘Anforderungen an das Subjekt in einer widersprüchlichen Welt’
- wie Keupp (1992) sie nennt - lauten daher:
• Entwicklung einer intellektuellen und sozialen Kompetenz;
• Entwicklung der eigenen Geschlechtsrolle und des sozialen Bindungsverhaltens zu
Gleichaltrigen des eignen und des anderen Geschlechts;
• Entwicklung eines eigenen Wert- und Normensystems und eines ethischen und
politischen Bewußtseins, das mit dem eigenen Verhalten und Handeln in Einklang
gebracht wurde.
Ziel: Verantwortliches Handeln.
• Entwicklung eigener Handlungsmuster für die Nutzung des Konsummarktes und des
kulturellen Freizeitmarktes.
Ziel: Eigener Lebensstil, autonom gesteuerter, bedürfnisorientierter Umgang mit den
entsprechenden Angeboten (vgl. Hurrelmann 1985, 25).
Stein (1987) faßt die Konfrontation der modernen Gesellschaft mit den Jugendlichen auf drei
zentrale Probleme zusammen, die während der Jugendzeit gelöst werden müssen:
• Lösung aus der konventionellen Identität der Kindheit, vor allem Lösung von den Eltern,
zur Erlangung von Eigenständigkeit und Selbständigkeit.
• Zielpunkt der Lösungsphase ist die Erreichung einer stabilen ICH-Identität beim Eintritt ins
Erwachsenenleben.
• Dem späteren gesellschaftlichen Erwachsenenstatus wird in der Jugendzeit über
Ausbildung und Qualifikation ein Grundstein gelegt (vgl. Stein 1987, 14).
Der Übergang ins Erwachsenenalter ist dann möglich, wenn alle jugendspezifischen
Entwicklungsaufgaben bewältigt und zugleich die psychodynamischen Veränderungen sowie
der Prozeß der inneren Ablösung von den Eltern abgeschlossen worden ist.
13
Als Kernkonflikt der Jugendphase gilt aus entwicklungspsychologischer Sicht die Gewinnung
der Identität gegenüber der drohenden Zerstückelung und Diffusion des Selbstbildes und des
Selbstverständnisses. Identität
bildet sich aufgrund der Auseinandersetzung mit den
gesellschaftlich vorgegebenen Normen, Werten und Handlungsanforderungen heraus. Das
Weltbild der Gesellschaft wird systematisch nach seiner Deutungsleistung abgefragt, wobei
Defizite und Leerstellen, Widersprüche und Ambivalenzen Ausgangspunkt und Auslöser für
heftige Orientierungs-Selbstwertkrisen sein können (vgl. Hurrelmann 1985, 14).
2.1.2. Soziologische Aspekte des Begriffes Jugend
Soziologische Aspekte beschäftigen sich mit dem Begriff Jugend in seinen sozial definierten
Komponenten. Es geht also darum festzustellen, welchen Beitrag im weitesten Sinn die
Gesellschaft als „soziales Gefüge“ für die Jugend, und diese wiederum für die Gesellschaft
leisten kann.
Der Schwerpunkt soziologischer Betrachtungsweisen der Jugend liegt im Bereich der
möglichen gesellschaftlichen Integrationsleistungen, welche in der Jugendphase erlangt
werden sollen. Hurrelmann beschreibt die soziologische Perspektive folgendermaßen: In
soziologischer Perspektive wird das Jugendalter insoweit als einheitlicher und gesondert
indentifizierbarer Lebensabschnitt verstanden, als in ihm der Prozeß der Integration in die
wesentlichen gesellschaftlichen Mitgliedschaftsrollen abläuft und zum Abschluß kommt (vgl.
Hurrelmann 1985, 14). In der Jugendphase werden Funktionen der elementaren sozialen
Fähigkeiten und Fertigkeiten soweit weiterentwickelt und ausgebaut, daß die für die
Übernahme des Erwachsenenstatus notwendigen komplexen Kompetenzen angeeignet und
erworben werden.
Integrationsleistungen betreffen zuallererst immer die unmittelbare Gesellschaft, in der man
lebt. Kompetenzen, die angeeignet werden müssen, liegen in folgenden Bereichen:
• schulisch - beruflich
• interaktiv - partnerschaftlich
• politisch - ethnisch
• kulturell - konsumorientiert.
Soziologische Konzepte, die sich mit der Jugendphase befassen, kommen zur Übereinkunft,
daß es in diesem Altersabschnitt zu einer Erweiterung der handlungstheoretischen
Komponenten kommt. Es stellen sich ganz konkrete Entwicklungsaufgaben vor.
Entwicklungsaufgaben wie sie bereits im vorangegangenen Teil formuliert worden sind,
14
werden in soziologischer Sichtweise um den gesellschaftlichen Bereich erweitert. Jugend
wird als sozialer Entwicklungsprozeß verstanden, in dem es darum geht, von der
gesellschaftlich definierten Rolle des Kindes zu jener des Erwachsenen zu kommen (vgl.
Kytir/Münz 1994, 29). Hurrelmann (1985, 15) meint, daß Jugend ein Nebeneinander von
unselbständig
-
kindheitsgemäßen
und
selbständig
-
erwachsenengemäßen
Handlungsanforderungen darstellt. Ein Austritt aus der Jugendphase und der Übertritt ins
sogenannte
Erwachsenenalter
ist
dann
möglich,
wenn
„in
möglichst
vielen
Handlungsbereichen ein möglichst hoher Grad von Autonomie und Eigenverantwortlichkeit
des Handelns erreicht worden ist“. Kytir/Münz ( 1994, 29) meinen, daß hierzu drei zentrale
Kriterien von Bedeutung sind:
1.
Eintritt ins Berufsleben
2.
Auszug aus dem Haushalt der eigenen Herkunftsfamilie
3.
Gründung einer eigenen Familie durch Heirat und/oder durch die Geburt eines
Kindes.
Wer alle diese Schritte vollzogen hat, gilt in unserer Gesellschaft als Erwachsener, nur muß
beachtet werden, daß sich diese Punkte in den letzten Jahrzehnten biographisch verschoben
haben (Kytir/Münz 1994, 30).
Generell muß beim Erwerb der Eigenverantwortlichkeit des Handelns in öffentliche und
private Bereiche unterschieden werden. Im öffentlichen Bereich wird diese angesprochene
Automonie und Eigenständigkeit mehr oder weniger mit der Erlangung der ökonomischen
Selbständigkeit im Zuge einer abgeschlossenen Berufsausbildung erreicht. Im privaten
Bereich spricht man dann davon , wenn der Jugendliche aufgrund einer eigenen
Partnerschaft, respektive einer Familiengründung sich vom Elternhaus ablöst; wenn somit die
soziale Selbständigkeit erreicht wird.
Daß es in hochdifferenzierten Gesellschaften zu Verschiebungen und Überlagerungen dieser
Autonomiegrade kommt, ist als selbstverständlich anzusehen. Das Jugendalter ist als
gesellschaftlich produziertes Phänomen zu betrachten, in welchem die Konturen durch
soziale Vorgaben bestimmt werden. In den privaten Handlungsbereichen werden früher
erwachsenengleiche
Kompetenzen
erworben
als
in
beruflichen
(öffentlichen)
Handlungsbereichen.
Was bedeutet das? „Es wird zunehmend soziokulturelle Autonomie ohne ökonomische
Eigenverantwortlichkeit erlangt. Dies ist als Konsequenz der sozialen Selektions- und
Statusplazierungsprozesse in Form der Zuweisung einer Position in der Gesellschaft zu
sehen“ (Hurrelmann, 1985, 16).
15
In hochdiffernzierten Gesellschaften werden in bestimmten sozialen Funktionen Teilreifen
erlangt (vgl. Reimann 1987, 13). So spricht z.B. Gerhard Wurzbach (1987) über
heterosexuelle Beziehungen Jugendlicher, als ein Gebiet der Teilreife, als Notwendigkeit in
einer stark industriell geprägten Zeit, um der Vereinzelung und der Verunsicherung
standzuhalten. „...Vereinzelung und Unsicherheit der Jugendlichen in der industriell geprägten
Leistungsgesellschaft werden früher und stärker durch intime Paarbindungen zu bewältigen
versucht“ (vgl. Wurzbach 1987, 39).
Der Begriff Jugend, bzw. die Jugendphase muß als Integrationsphase gesehen werden, in
welcher es einen Zusammenhang von Persönlichkeits- und Gesellschaftsentwicklung gibt.
Wenn man von Jugend als Lebensphase spricht, handelt es sich immer um die Verknüpfung
individueller und gesellschaftlicher Entwicklung (vgl. Hurrelmann 1985, 18).
2.2. Historische Aspekte der Entwicklung des Phänomens Jugend
Im folgenden Teil meiner Arbeit möchte ich einen kurzen Überblick, über die historischen
Aspekte des Phänomens Jugend geben. Ich glaube, daß die Vergegenwärtigung einiger
historischer Entwicklungstendenzen einen besseren Zugang zu gängigen Jugendbildern in
der Gesellschaft erlaubt.
Gillis
(1980)
schreibt,
daß
es
innerhalb
der
europäischen
Geschichte
der
Gesellschaftsentwicklung eine eigene Geschichte der Jugend gibt. Diese ist zwar immer
verbunden mit anderen gesellschaftlichen Institutionen zu sehen, läßt sich aber analytisch
durchaus auch von diesen trennen. Wichtig ist zu erkennen, daß die Geschichte der Jugend
durch spezifische soziale und kulturelle Lebensformen geprägt ist, über die ein phasenweises
Hereinwachsen in die Erwachsenenwelt ermöglicht wird. Ein weiterer Aspekt in der
Geschichte der Jugend ist die Tatsache, daß Jugend immer starken Mythen und Projektionen
ausgesetzt ist (vgl. Baacke 1993, 210f). Auf das Phänomen Jugend werden und wurden
immer wieder Zielvorstellungen Erwachsener projiziert, entweder in positiver oder negativer
Weise. Zu einer Steigerung von Jugend - Projektionen kommt es nach Baacke dann, wenn
daraus ein Jugend - Mythos wird, in dem Jugend zu einem gesellschaftlichen Leitbild
schlechthin avanciert. Diese Mythisierung des Phänomens, fernab ihrer realen Gestalt, wurde
im Laufe der Geschichte immer wieder von Parteien und Interessensgruppen genutzt. Vom
bürgerlichen Jugendidol des vergangenen Jahrhunderts über das Jugendideal des Dritten
Reiches bis zum mediensuggerierten Jugendbild der Gegenwart.
16
Mit dem folgenden Abriß der historischen Entwicklung des Phänomens soll keineswegs
Anspruch auf Vollständigkeit gestellt werden, da dies den Rahmen der vorliegenden Arbeit
sprengen müßte.
2.2.1. Entdeckung oder Erfindung der Jugend?
Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, ist die begriffliche Kategorie „Jugend“ keine
Neuerfindung des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Tatsache ist aber, daß „Jugend“ als ein
gesellschaftliches Problemfeld mit eigener Bedeutung und Dringlichkeit von älteren
Generationen am Ende des vorigen Jahrhunderts „entdeckt“ wurde. Das Bild des
Jugendlichen, welches annähernd dem der Gegenwart entspricht, entstand in der zweiten
Hälfte des 19. Jh.s und löste das Bild des „Jünglings“ ab, welches einen starken
Ideologisierungscharakter aufwies und auch nur in gehobenen Sozialgruppen zu finden war
(vgl. Vaitkus 1988, 131f) Der Begriff der „Jugend“ oder besser gesagt, das Phänomen
„Jugend“ als Stadium zwischen Geschlechtsreife und vollgültigem Erwachsenenstatus ist
eindeutig eine Errungenschaft der industrialisierten Gesellschaft. Kurz: „Man entdeckte um
1890
Jugend
als
eine
eigenständige
Lebensphase
zwischen
Kindheit
(Kriterium
Schulentlassung) und Erwachsenenwelt (Kriterium Wehrdienst und Eheschließung)“
(Reulecke 1986, 21).
Natürlich gab es auch im vorindustriellen Europa des 18.Jh.s eine Lebenspassage
jugendlichen Seins. Zu dieser Zeit waren „Lebenshorizonte der Heranwachsenden“ zwar
existent, nur wurden diese nicht gesondert thematisiert, sondern waren an den jeweiligen
Stand gebunden. Gillis (1980) schreibt, daß im vorindustriellen Europa Jugend jenen
Lebensabschnitt darstellt, der beginnend mit dem Verlassen der Familie bis zur eigenen
Heirat das Leben eines Menschen bestimmt. Meist verlassen die Kinder in einem Alter von
sieben bis acht Jahren ihre Familien, um in anderen Familien zu leben und zu arbeiten. Die
vollständige Unabhängigkeit wird erst durch die Heirat ca. Mitte zwanzig erreicht (vgl. Gillis
1980, 18f.).
Obwohl die verwendeten Altersgrenzen die Jugendzeit nicht ganz klar zu definieren
vermögen, ist doch ihre Stellung in der Gesellschaft evident. Kinder werden aus ihren
Familien herausgelöst und leben in fremden Familien (Gesindedienst). Dort haben sie den
Status von Halbabhängigen und leben als Diener, Lehrlinge, Knechte, Mägde oder Studenten.
Mit diesem Lebensstatus werden idealtypische Lebensläufe Jugendlicher
des 18.Jh.s
umschreiben, wobei diese Ausformungen von Jugendlichkeit bzw. Jugend nur unter den
17
spezifisch demographischen, ökonomischen bzw. sozialen Verhältnissen jener Zeit zu sehen
sind. Die Altershierarchie des 18.Jh.s spiegelt die altersstrukturelle Gliederung der
Gesellschaft wider - und somit auch das Bild der Gesellschaft, welches jene konstruierten,
die soziale, kulturelle und politische Macht besaßen (vgl. Gillis 1980, 21). Es darf aber nicht
vergessen werden, daß die Einheit von Heirat und ökonomischer Verselbständigung, die als
Basis für die gesellschaftliche Übernahme der Erwachsenenrolle gilt und in der europäischen
Geschichte weit verbreitet war, nicht als durchgehend dominanter Typus des Übergangs zum
Erwachsenenstatus zu sehen ist (vgl. Mitterauer 1986, 27f.) Bestimmte Muster der
Haushaltsgründung bspw., daß erst dann geheiratet werden durfte, wenn der Mann die
Stellung als Vorstand eines Hauses übernommen hatte, machen ein hohes Heiratsalter in
Teilen Europas verständlich. Für die Beurteilung des Phänomens ‘Jugend’ aus historischer
Perspektive hat das wesentliche Konsequenzen, da das höhere Heiratsalter sich auf die
Dauer der Jugendphase auswirkte. Verschiedene Wesensinhalte der Jugendphase haben
unter dem Einfluß der jeweiligen Heiratsbedingungen bzw. des mit ihnen korrespondierenden
Familiensystems eine besondere Ausprägung erhalten (Mitterauer 1986, 30).
Mitterauer (1986) zeigt in seinen Ausführungen auf, daß es im vorindustriellen Europa des 16.
bis 18.Jh.s schon Formen jugendlichen Seins in unterschiedlichen Lebenszusammenhängen
gab. So spielten z.B. im argrarischen Bereich, im dörflichen Leben die Aktivitäten der schon
geschlechtsreifen, aber noch nicht verheirateten jungen Leute eine wesentliche Rolle (vgl.
Tillmann 1993, 193f.). Nur stellten sich damals Probleme der Identitätsfindung, vergleichbar
mit Problemen der pluralistischen Gegenwartskultur, nicht. Es gab also auch in der
vorindustriellen Zeit Europas in der Gesellschaft so etwas wie „Jugend“, allerdings ohne
vergleichbare Entscheidungs-, Orientierungs-, und Identitätsprobleme (vgl. Tillmann 1993,
194). Die Gesellschaft war, wie bereits erwähnt, in Altershierarchien geteilt, wobei Kindheit
den Status der Abhängigkeit, Jugend jenen der Halbabhängigkeit und Alter jenen der
Zurückgezogenheit darstellen. Dadurch war mehr oder weniger ein Generationsabkommen in
der Gesellschaft gesichert (vgl. Gillis 1980, 21).
Zusammenfassend läßt sich sagen, Jugend war im vorindustriellen Europa durch
ökonomische,
Bedingungen
demographische,
der
hohen
soziale
Fruchtbarkeit,
und
der
biologische
hohen
Bedingungen
Sterblichkeit,
der
bestimmt.
traditionellen
wirtschaftlichen Gegebenheiten waren gepaart mit festen Regeln von Vererbung, Heirat welche an die jeweiligen gesellschaftlichen Muster der Verehelichung gebunden war (vgl.
Mitterauer 1986, 27f.) - und somit von Existenzsicherung. Diese Situationen machten die
bereits erwähnte Herausnahme der Kinder aus ihren Familien nötig, da das Bestehen der
18
Familien auf diese Weise garantiert werden konnte. Diese Bedingungen markierten einen Teil
des Lebens innerhalb eines Lebenszykluses, welchen man definiert und institutionalisiert als
Jugend bezeichnen kann (vgl. Gillis 1980, 52).
Erst mit dem Ende des 18.Jh.s, mit dem starken Auftreten einer sogenannten „bürgerlichen
Gesellschaft“ kann man von Jugend als einem sozialen Phänomen sprechen. Das Ende des
18.Jh.s bzw. der Beginn des 19.Jh.s war gekennzeichnet durch Stadien der ökonomischen
und politischen Modernisierung. Es kam zu tiefgreifenden ökonomischen, sozialen und
demographischen Veränderungen in Europa. So wird aus dem agrarisch geprägten Europa
eine zunehmend industrialisierte, urbanisierte Welt.
„John Stuart Mill nannte diese Epoche - das Zeitalter des Übergangs -, eine Zeit, in der die
Menschheit aus alten Institutionen und Gegensätzen herausgewachsen ist, sich aber noch
keine neuen geschaffen hat“ (Gillis 1980, 50). Dieses Zeitalter des Übergangs betrifft über die
ökonomischen und politischen Strukturen hinaus auch die Familien jener Zeit. Diese waren
mit den Problemen der Arbeitslosigkeit, der schlechten Lebensbedingungen, vor allem aber
auch mit Spannungen zwischen den Altersgenerationen konfrontiert. Der geschürte
Generationskonflikt ist ein Konflikt der Werte. So orientierten sich die Eltern vielfach an
traditionellen Werten, dem Beruf, dem Stand, der Ehre, der Moral. Die Jugend orientierte sich
an den neuen Werten der Industrialisierung.
Die Modernisierung, der Wandel der Gesellschaft machte die Verbindlichkeit der
Klassenzugehörigkeit durchlässiger. Angesichts des Zerbrechens der gesellschaftlichen
Ordnungssysteme begann die Jugend aller Bevölkerungsschichten die überlieferten
Verhaltensmuster und Normen neu einzuschätzen. Somit gelingt es mit der Industrialisierung
erstmals, daß in allen sozialen Klassen der Gesellschaft ein eigenständiges Bild der Jugend
entsteht. So ist bspw. die aufstrebende Arbeiterjugend nicht zu vergleichen mit der
Jugendpopulation der Mittelschicht bzw. der Oberschicht. Alle Schichten der Jugendkulturen,
die während dieser Epoche entstanden, waren das Ergebnis eines dialektischen Prozesses,
der sich aus dem Umgang mit dem Wandel und den Traditionen der Gesellschaft ergab (vgl.
Gilles 1980, 50).
Das Bürgertum des 19. Jh.s entwickelte eher ein Bild des Jugendlichen, welches diesen als
rechtschaffen, herb, heldenhaft, gehorsam und später auch christlich erscheinen lies.
Hingegen ist die im Zuge der Industrialisierung und Verstädterung immer zahlreicher
heranwachsende Arbeiterjugend durch solche Konzepte nicht erfaßt (vgl. Baacke 1993, 203).
Projezierte der „bürgerliche Jugendliche“ Hoffnungen und positive Ideale, ist der jugendliche
Arbeiter mit seinem Potential an Protestkraft eher der gefährdete und negativ besetzte
19
Jugendliche. In Gesetzestexten zum Ende des 19.Jh. tauchte der Begriff des „Jugendlichen“
erstmals auch im Zusammenhang mit der Gefangenenseelsorge auf. Hierbei handelte es
sich um korrektionsbedürftige, gescheiterte junge Menschen, die vorwiegend aus der
proletarischen Klasse stammten. Es schien so, als ob von der Jugend, vor allem aber von
der Arbeiterjugend eine erhebliche Gefahr für die Gesellschaft ausgehen würde. „Es ist
bezeichnend, daß sich der Begriff des „Jugendlichen“, womit anfangs der verwahrloste,
kriminelle, zu Gewalttaten neigende junge Asoziale gemeint war, als Bezeichnung für die
Proletarierjugend insgesamt durchsetzte“ (Reulecke 1986, 21).
So galt es zum einen, gezielte Fürsorgemaßnahmen für diese Jugend zu errichten, was in
der Folge Jugendliche in Bereichen der Jugendfürsorge, in Jugendhäusern verstärkt zum
Vorschein treten ließ. Zum anderen entstand mit dem „aufstrebenden Bürgertum“ die
Ausweitung des Bildungsgedankens und die Wichtigkeit des Schulwesens. Dieser Aspekt ist
als sehr wichtige Zäsur im historischen Abriß des Jugendbegriffes bzw. des Phänomens
Jugend festzuhalten. Hat doch vor allem die Ausweitung der Bildungsstrategien einen
Jugendbegriff geformt, der wesentliche Inhalte noch für die Gegenwart enthält. Auch dann,
wenn sich lediglich das Bürgertum gegen Ende des 19.Jh.s verstärkt den Zugang zum
Bildungs“monopol“ sichern konnte während Jugendliche aus den Arbeiterschichten und den
ländlich-dörflichen Milieus noch lange nicht als Nutznießer dieser Bildungsoffensiven gelten
durften. So ist es vor allem das Bürgertum, das gegen Ende des 19.Jh.s das Jugendalter als
“Entdeckung“ fast für sich alleine beansprucht. Dennoch waren auch innerhalb der
Bürgerschicht wiederum nur männliche Nachkommen von diesem Bildungsgedanken
betroffen und nur sie profitierten von diesen Neuerungen. Die entscheidende Frage war jene
der Zukunftssicherung. Durch eine qualifizierte Ausbildung der männlichen Nachkommen
sollten Qualifikationen und Werthaltungen erlangt werden, die der Bewahrung und
Vergrößerung des väterlichen Erbes dienlich waren (vgl. Tillmann 1993, 194).
Allerdings kann festgehalten werden, daß sich durch die Forcierung des Bildungsaspektes
eine gesteigerte Aufmerksamkeit und damit eine größere Bedeutung dieses Altersabschnittes
für die Gesellschaft (vgl. Janig 1990, 41) ergab. Das Bürgertum, konzentrierte sich auf eine
länger dauernde Bildung und Ausbildung ihrer Nachkommen, und gerade dieser Sachverhalt
läßt sich als „Geburtsstunde“ der uns bekannten Jugendzeit bezeichnen (vgl. Tillmann 1993,
194). Neben der gesteigerten Bedeutung des Bildungsaspektes ist vor allem auch die
Forcierung der Lohnarbeit und des Dienstleistungssektors mit Arbeitsmöglichkeiten außer
Haus, für eine veränderte Aufmerksamkeit bezüglich der Jugend zu nennen. Bewirkte die
Lohnarbeit eine geringere soziale und ökonomische Abhängigkeit der Jugendlichen, vor allem
der Arbeiterjugendlichen, so verlängerte die Schulbildung die Lebensphase im Elternhaus
20
(vgl. Janig 1990, 41). Aus diesen Aspekten ergibt sich eine größere Bedeutung dieses
Lebensabschnittes für die Gesellschaft. Für die Familien des mittleren und ausgehenden
19.Jh.s ergibt sich aus dieser reziproken Beziehung eine neue Lebensituation (vgl. Janig
1990, 41). Einerseits verlieren sie an Funktion im Hinblick auf die wirtschaftliche Produktion,
auch Einbußen hinsichtlich ihrer Erziehungs-, Ausbildungs-, und Sozialisationsfunktion sind
die Folgen. Andererseits aber gewährleistet die verlängerte und höhere Schulbildung - vor
allem den Mittelschichten in den Städten - eine bessere Grundlage zur Erhaltung und
Vermehrung von Besitz und der damit verbundenen Absicherung (vgl.Janig 1990, 41).
Wichtig ist nochmals zu erwähnen, daß diese Veränderungen vorwiegend männlichen
Jugendlichen der Mittelschicht zu Gute gekommen sind. Der weibliche Nachwuchs des
Bürgertums wurde im häuslichen Kontext auf die Ehe vorbereitet und erst im Verlauf des
20.Jh.s in die höhere Schulbildung und damit auch in die bürgerliche Jugend einbezogen (vgl.
Tillmann 1993, 195). Für Jugendliche aus Arbeiterfamilien und aus bäuerlichen Familien
konnten noch kaum Veränderungen ausgemacht werden. So hatten Jugendliche dieser
Milieus noch bis in die 50er Jahre dieses Jh.s eine sehr kurze Jugendzeit. Häufig folgte nach
dem Besuch der Hauptschule (bis zum 14. Lebensjahr) der Übertritt ins “Erwachsenleben“
mit einer Berufstätigkeit.
Bezüglich der Veränderungen im 19.Jh. muß gesagt werden, daß sich beschränkt auf die
Städte, im Zuge der Industrialisierung, ein starkes Arbeiterproletariat gebildet hatte. Viele
Jugendliche aus den agrarischen Bevölkerungsschichten sind in die Städte gezogen. Kinderund Jugendarbeit mit langen Arbeitszeiten und vorwiegend maschinenabhängiger Arbeit war
keine Seltenheit. Zwar waren damit bereits geringe soziale Aufstiegschancen verbunden, der
Zugang zur bürgerlichen Schicht und weiteren Verbesserungen war aber noch nicht gegeben
(vgl. Janig 1990, 41).
Zu Beginn des 20.Jh.s zeigen sich in der bürgerlichen und proletarischen Jugend
Widerstände gegen die Erwachsenenwelt und den damit verbundenen Werten und Normen.
Jugendbewegungen formierten sich, um gegen die Erwachsenenwelt zu protestieren.
Obwohl diese Bewegungen zahlenmäßig nur einen geringen Teil der Jugendlichen erfaßten,
war erstmals so etwas wie eine „Jugendkultur“ geschaffen. Damit war es zumindest
gelungen, die Öffentlichkeit auf die veränderten Bedürfnisse der Jugendlichen aufmerksam zu
machen (vgl. Janig 1990, 43). So wurden mit Beginn des 20.Jh.s Kräfte dahingehend
wirksam, die Jugendlichkeit nach unten auszudehnen. Immer mehr junge Leute wurden für
ihr zweites Lebensjahrzehnt aus dem Arbeitskräftemarkt herausgenommen (vgl. Gillis 1980,
142).
21
“...ein Trend, der in den 1920er Jahren beträchtliche Schubkraft erlangte, während der Zeit
wirtschaftlicher Härten der dreißiger Jahre etwas zurückging und nach dem zweiten Weltkrieg
einen erneuten Aufschwung erlebte“ (Gillis 1980, 142). Natürlich war diese Entwicklung, hin
zur Verlängerung der Bildungszeit, nach wie vor in unterschiedlichem Ausmaß auf die
sozialen Schichten verteilt. Die städtischen Mittel- und Arbeiterschichten sind eher und
stärker vertreten als Jugendliche aus agrarisch-ländlichen Regionen. Dennoch hat sich in der
Mitte des 20.Jh.s sich nochmals eine starke Wende vollzogen. Vor allem der Trend zu einem
längeren Schulbesuch führte dazu, daß - wie bereits erwähnt - Jugendliche aus bisher
benachteiligten Schichten und auch Mädchen in den Genuß weiterführender Bildung kamen.
In ländlichen Regionen war es vereinzelt für Jugendliche (eher männliche als weibliche)
möglich, höhere Bildung in Anspruch zu nehmen, nämlich dann, wenn diese Jugendlichen in
die Städte kamen und dort, meist in der Obhut einer kirchlichen Institution, die Schule
besuchten.
„Jugend“ entwickelte sich von einer kurzen Episode im Lebenslauf zu einer gesonderten
Lebensphase. Neben diesen strukturellen Veränderungen der Jugendphase veränderte sich
auch die alltägliche Lebenssituation der Jugendlichen; vorrangig seit den 50er Jahren in
massiver Ausprägung (vgl. Tillmann 1993, 196). Prinzipien der gesellschaftlichen
Modernisierungs-
und
Umstrukturierungsprozesse
führten
zu
einer
verstärkten
Ausdifferenzierung von jugendlichen Lebensverhältnissen.
Die skeptische Generation der 50er Jahre und die darauffolgende unbefangene Generation
der 60er Jahre waren sicherlich eine Reaktion auf den Mißbrauch der Jugend durch Staat und
Gesellschaft im Nationalsozialismus (vgl. Schäfers 1994, 53). Es ist eine Tatsache, daß die
junge Generation nach dem Zweiten Weltkrieg eine „zerrüttete, unauffindbare Generation“
darstellte. Unzählige männliche Jugendliche hatten einen Teil ihrer Jugend auf den
Schlachtfeldern
Europas
verloren.
Diese
Jugendgeneration
war
geprägt
von
Flüchtlingsschicksalen, Arbeitslosigkeit und sozialem Chaos. Somit lag auf dieser Generation
die Last, möglichst rasch erwachsen zu werden. Es war die Jugendgeneration, die Schelsky
die „skeptische Generation“ nannte. „Sie sei, so hieß es damals, glaubens - und illusionslos,
angepaßt
und
zugleich
unbefangen
im
Umgang
mit
den
Chancen,
die
die
Wiederaufbauphase bot: eine `Generation der vorsichtigen, aber erfolgreichen jungen
Männer´ die in der Wohlstandsgesellschaft überleben wollte“ (Reulecke 1986, 25). Der
Jugendliche zeigte gutartige Züge wie politische Apathie und soziale Anpassung (vgl. Gillis
1980, 187). Zu fragen bleibt allerdings, ob die `skeptische Generation´ der 50er Jahre, über
den
Aspekt
hinaus,
Repräsentant
eines
gesellschaftlich-ökonomischen
Modernisierungsschub zu sein, nicht auch unter dem spezifischen Hintergrund, nämlich dem
22
Ende der Ära des Faschismus,gesehen werden muß. Vielleicht läßt sich dann das brave und
angepaßte Verhalten, bzw. die Politik- und Ideologieabstinenz der Generation eher erklären
und verstehen (vgl. Helsper 1991, 13).
Die darauffolgende Jugendgeneration der 60er Jahre war alles andere als `still´. Kritiker
meinen, daß sich die Generation der 50er nur tot gestellt habe, um dann in den folgenden
Jahren jugendlicher Proteste und jugendlicher Aktivität zu neuem Leben zu erwachen. „Was
lange gärt, wird endlich Wut“, lautete ein Stichwort der Jugendbewegung Ende der 60er Jahre
(vgl. Reulecke 1986, 25). Mit den (politischen) Protesten in den 60er Jahren versuchte die
Jugend, sich wieder einen akzeptierten Platz in der Gesellschaft zu erobern. Die Proteste
standen unter dem Zeichen der `Aufklärung´, des Fortschritts und umfassender
gesellschaftlicher Reformen und Veränderungen. Für viele Jugendliche der Zeit waren die
Jugendproteste eine Befreiung aus subjektiv erlebten und zum Teil noch selbst vertretenen,
traditionalen Zwängen alltäglicher Enge und Kontrolle (vgl. Helsper 1991, 13). In den 60er
Jahren tauchte darüber hinaus ein Jugendphänomen auf, das sich durch die Bezeichnung
„Post - Adoleszenz“ festmachen läßt. Der Begriff Post-Adoleszenz stammt aus dem
angloamerikanischen Raum und bedeutet kurz „Mündigkeit ohne wirtschaftliche Grundlage“
(vgl. Gillis 1980, 206).
„Wie es in der industriellen Gesellschaft gelungen ist, einer großen Zahl von Kindern eine
längere Jugendzeit zu verschaffen, so machte die nachindustrielle Gesellschaft allmählich
eine nach - jugendliche Phase der Jugend möglich“ (Gillis 1980, 208). Natürlich waren es
vorwiegend Kinder aus wohlhabenden Gesellschaftsschichten, die sich eine Phase der Nach
-Jugend leisten konnten. Mittlerweile zeigt sich diese Phase in fast allen Gesellschaftskreisen,
in
denen
es
Jugendlichen
ermöglicht
wird,
an
sozialen,
kulturellen,
politischen
Lebensbereichen teilzunehmen, ohne aber eine eigenständige ökonomische Absicherung
erlangt zu haben. Die entfesselte Jugendgeneration der 60er Jahre bildete, getragen durch die
Studentenbewegung, ein starkes Wir-Gefühl heraus. Die Jugend glaubte daran, Geschichte
machen zu können. Daß man aber vielleicht nur einem Mythos in die Falle gegangen war,
bemerkten die meisten Protagonisten der Zeit spätestens dann, als sie Mitte der 70er Jahre
selbst über dreißig Jahre alt waren und selbst zu jenen gehörten, denen man am besten nicht
trauen sollte (vgl. Reulecke 1986, 25). Im Übergang zu den 70er Jahren bildete sich eine
Jugendgeneration heraus, welche einerseits begann, die bis dahin errungenen modernen
Lebensprinzipien in Frage zu stellen.“Programm der jugendlichen Gegenkultur war weniger
eine wie auch immer verstandene `kritische Modernisierung´, sondern `Entmodernisierung´“
(Helsper 1991, 14). Es entstand so etwas wie eine `Grüne Revolution´. Schlagwörter wie
`Zurück zur Natur´ verdanken sich der Faszination, die von alten, archaischen Kulturen
ausging. Fernöstliche Kulturen und Religionen, sowie soziales Engagement in verschiedenen
23
sozialen Bewegungen waren en vogue. Es schien so, als wollte man dem massiven
Fortschritt der Technisierung und der Institutionalisierung der Gesellschaft mit einer
demonstrativen Rückbesinnung auf das `Archaische, Natürliche´ Einhalt gebieten. Dieser
Jugendgeneration folgte in den 80er Jahren eine jugendliche Bewegung, die als tendenziell
zynisch - illusionslos charakterisiert wird. Von Soziologen, Pädagogen und auch Psychologen
wird diese Generation gerne als „neuer Sozialisationstyp des Narziß“ bezeichnet. Ein
Jugendgenerationstyp, der empfindsam und ichbezogen (‘Ego-Ära’) allen Herausforderungen
aus dem Weg geht (Fogt 1982, 177). Als weitere Kennzeichen dieser Generation werden
Parteien- und Staatsverdrossenheit, Motivationslosigkeit und Orientierungsverlust angeführt,
sie sich sowohl in Aussteigertum und Realitätsflucht, aber auch in einer Hinwendung zu
höchst
unterschiedlichen
alternativen,
sinnstiftenden
Szenen
und
Lebenswelten
manifestieren können. Prägenstes Kennzeichen der Jugendgeneration der 80er war das
Erscheinungsbild
in
vielen
unterschiedlichen
Fassetten,
zum
einen
jugendliche
Hausbesetzergruppen der frühen achziger Jahre, zum anderen selbstverliebte `New Wave´
Disco - Queens und Kings. Aufkommende Perspektivenlosigkeit, Zuspitzung sozialer und
persönlicher Zukunftslosigkeit wird mit dem Motto „Ich will Spaß“ beantwortet oder mit zynisch
- sarkastischem, schwarzem Humor zugedeckt. Die achtziger Jahre werden zum
beginnenden Feld des
„Überlebenstrainings in der `neuen Wildnis´ der Moderne“ (vgl.
Helsper 1991, 15).
Wie läßt sich nun die Jugend der 90er Jahre beschreiben, anhand welcher Kriterien kann
man ein Bild der gegenwärtigen Jugend zeichnen? Augenscheinlich ist, daß “Jugend“ als
Gegenstand
zahlreicher
Diskussionen
unterschiedlichster
Medien
richtiggehend
trendfavorisiert ist. Nicht nur Sozialwissenschaftler, Pädagogen oder Psychologen, sondern
auch eine breite `Hochglanzmagazin´ - Öffentlichkeit mischt sich verstärkt in den
Diskussionsraum mit ein. Vor allem Phänomene der sogenannten postmodernen
Jugendkulturen wird diskutiert und analysiert (vgl. Stocker 1995, 231). Was sind nun die
tragenden Argumente der Charakterisierung gegenwärtiger Jugend?
2.2.2. Das öffentliche Erscheinungsbild gegenwärtiger Jugendlicher
Das Erscheinungsbild der Jugend ist geprägt von Widersprüchlichkeiten, verwirrender
Buntheit und Unübersichtlichkeit. War im geschichtlichen Verlauf noch nie auf ein
einheitliches Bild „der Jugend“ zu schließen, so ist es jetzt am Ende des 20.Jh.s um so
weniger möglich. Thesen der Entstrukturierung bzw. Pluralisierung der Jugendphase
sprechen davon, daß der Lebensabschnitt Jugend schillernd und unübersichtlich geworden
ist. Gerade aber diese Tatsachen deuten darauf hin, daß die junge Generation nur im Kontext
24
gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen gesehen werden kann (vgl. Friesl/Richter/Zulehner
1994, 49).
Jugend bedeutet Vieldeutigkeit, Pluralität und Individualisierung. Der Individalisierungsaspekt
ist für den Erklärungsansatz aktueller Jugendbilder zentral geworden. Aber nicht nur für
Jugendbilder wird der Begriff zum wesentlichsten Instrumentarium, sondern auch deshalb,
um einen Zugang zu gesellschaftlichen Analysen zu finden.
2.2.2.1. Exkurs: Begriff der Individualisierung
„Individualisierung bezeichnet einen gesellschaftlichen Tatbestand, der nicht nur gegenwärtig
wirksam ist, sondern der seit der Heraufkunft der modernen Gesellschaft zentrale Merkmale
der Sozialstruktur und der normativen Anforderungen an die Individuen erfaßt (Heitmeyer/Olk
1990, 11). Individualisierung, d.h. ein erhöhter Anspruch auf Individualität sind Kennzeichen
einer modernen Gesellschaft. Zum einen impliziert dieses Motiv natürlich den Aspekt der
Erweiterung
des
persönlichen
Handlungs-
und
Freiheitsraumes,
der
innerhalb
gesellschaftlicher Verpflichtungen vorgesehen wird, andererseits sind dadurch wieder
Gefahren für das Individuum und der vorhandenen Sozialstrukturen gegeben. Beck (1986)
sieht
sozialstrukturelle
Individualisierungstendenzen.
Entwicklungen
Vor
als
allem
dann,
maßgebliche
wenn
man
Triebfeder
von
für
`sekundären
Individualisierungsschüben´, ausgehend von den 50er Jahren dieses Jahrhunderts, spricht.
Nun geht es ja nicht mehr vorranging um die grundsätzliche Freisetzung der Individuen aus
Bindungen und Verpflichtungen der Gesellschaft (vgl. Heitmeyer/Olk 1990, 14). Kennzeichen
der sozialstrukturellen Entwickungen als Motoren für die Individualisierung wären etwa:
• Die Steigerung des Lebensstandards, die Steigerung des individuellen Lohns,
Verringerung
der
Arbeitszeit.
Für
den
Einzelnen
eröffnen
sich
damit
neue
Konsummöglichkeiten, die Verfügung über Freizeit wird als neue `Zeitkategorie´ erfahrbar.
• Steigerung
der
sozialen
und
georaphischen
Mobilität.
Ökonomische
Modernisierungstendenzen, die Expansion wohlfahrtstaatlicher Einrichtungen ermöglichen
eine weitreichende Änderung der Berufsstruktur und eine Umstrukturierung der
sozialräumlichen Lebensverhältnisse.
25
• Eine weitere sozialstrukturelle Veränderung wäre die breitfächrig angelegte Expansion des
Bildungssektors, welche vielfältige Veränderungen für die Gesellschaft mit sich bringt. (vgl.
Heitmeyer/Olk, 1990, 14/ Beck 1986, 115f.)
Grundsätzlich kann also von durchaus positiv zu bewertende Entwicklungen des
Individualisierungsprozesses gesprochen werden. Für Beck bringen diese Prozesse
allerdings nicht die Auflösung sozialer Ungleichheiten mit sich. Entwicklungsprozesse dieser
Art, verursachen vielmehr eine ‘Individualisierung sozialer Ungleichheiten’ und eine
‘Enttraditionalisierung der sozialmoralischen Milieus’.
Der gesellschaftliche Individualisierungsschub hat die Herauslösung aus den traditionellen
Klassenbedingungen und Versorgungsbezügen der Familie forciert. Dieser Vorgang verstärkt
die Konzentration auf das Selbst. Gegenwärtige Existenzformen zwingen den Menschen
dazu, sich selbst zum Zentrum der Lebensplanung zu machen. „Individualisierung läuft in
diesem Sinne auf die Aufhebung der lebensweltlichen Grundlagen eines Denkens in
traditionalen Kategorien von Großgruppengesellschaften hinaus“(Beck 1986, 117). Das
bedeutet, daß das hierarchische Modell der sozialen Klassen unterminiert wird, und soziale
Ungleichheiten somit auch ohne Klassen weiterhin vorhanden sind. Der Einzelne hat
aufgrund der Individualisierungsoptionen, der Erhöhung der Handlungsgrade die Möglichkeit,
ungeachtet seiner traditionalen Bindungen und Versorgungsbezüge zu handeln, ist aber somit
gleichzeitig auch unvermittelter mit den Zwängen der gesellschaftlichen Institutionen
konfrontiert. „In den enttraditionalisierten Lebensformen entsteht eine neue Unmittelbarkeit von
Individuum und Gesellschaft, die Unmittelbarkeit von Krise und Krankheit in dem Sinne, daß
gesellschaftliche Krisen als individuelle erscheinen und in ihrer Gesellschaftlichkeit nur noch
sehr bedingt und vermittelt wahrgenommen werden können“ (Beck 1986, 118). So werden
dann Verschärfungen am Arbeitsmarkt, Arbeitslosigkeit, zu einem beträchtlichen Teil als
persönliches Versagen konnotiert. Individualisierungsprozesse sind nun nicht gleichzusetzen
mit der Selbsterschaffung der Existenz, sondern viel eher mit der Institutionalisierung und
Standardisierung von Lebensprozessen. Die individuelle Lebenslage wird abhängig von
institutionalisierten
Entscheidungsprozessen.
Das
Individuum
wird
bildungsabhängig,
arbeitsmarktabhängig, konsumabhängig, abhängig von sozialrechtlichen Regelungen und
Versorgungen (vgl. Beck 1986, 118). Subjektiv betrachtet eröffnen sich für den Einzelnen eine
Vielzahl von Handlungsmöglichkeiten, zugleich aber vergrößert sich der Entscheidungsdruck,
weil grundsätzlich für jeden dieselben Möglichkeiten offenstehen, und das bei gleichzeitiger
Zunahme einer undurchschaubaren sozialen Komplexität. Der Prozeß der Individualisierung
wird durch die Vergrößerung des subjektiven Gefühls der individuellen Ersetzbarkeit und
Austauschbarkeit begleitet und konterkariert. Individualität scheint vielmehr ein strukturell
26
erzwungener subjektiver Zustand zu sein, der durch ständige Suchbewegungen neu
konstituiert werden muß (vgl.Lüscher 1990, 34).
Übertragen auf die Situation Jugendlicher bedeutet dies, daß durch die Dynamik der
gesellschaftlichen
Individualisierungsprozesse
und
die
Enttraditionalisierung
von
Lebensformen eine verstärkte Destandardisierung der Jugendphase hervorgerufen wurde.
Die Jugendphase ist genauso von Prozessen der Entgrenzung, Desorientierung und
Stabilitätsverlust gekennzeichnet wie Lebensphasen Erwachsener (vgl. Helsper 1991, 30).
Jugendliche werden mit einer Vielzahl von Alltagswelten konfrontiert. Teil dieser
Alltagserfahrung ist beispielsweise die Erosion der Generationsgrenzen, die Auflösung der
symbolisch
-
kulturellen
Grenzlinien
zwischen
Erwachsenen
und
Jugendlichen.
Elternbeziehungen sind partnerschaftlicher, Konsummärkte richten sich an die Jugendlichen
als `vollmündige´ Partizipienten. Alltagserfahrung ist aber auch das Ausgegrenztsein durch
sozio - ökonomische Abhängigkeiten. Die Verlängerung der Inanspruchnahme von
Ausbildungsgängen bringt Jugendliche in finanzielle Abhängigkeiten entweder von Eltern oder,
sie wird durch wohlfahrtstaatliche Unterstützungen institutionalisiert. Einerseits ermöglicht der
Konsum von Bildungsangeboten vermehrt Chancen zur Überwindung des Herkunftsmilieus,
andererseits forcieren die im Bildungssystem implizierten Selektionskriterien individuelle
Orientierungsmuster, um wirklich erfolgreich zu sein. Jugendliche sind ständig darum
bemüht, die Balance zwischen diesen unterschiedlichen Erfahrungen zu halten. Was liegt
dann näher, als sich am nächst Greifbaren, am Gegenwärtigen zu orientieren und die Zukunft
mit dem Augenblick zu verschmelzen?
Jugendliche der 90er werden als abgeklärt, zynisch, exponiert, haltlos, individualistisch,
rauschhaft, radikal und hedonistisch beschrieben. Sie zeichnen sich durch eine Vielzahl von
Selbstdarstellungsmustern und Selbststilisierungen aus. „Der aktuelle Lebensraum wird zur
Bühne von individueller Selbstdarstellung“ (Ferchhoff/Dewe 1991, 187). Das Leben wird
ästhetisiert, im self - casting wird der spezifische Lebensstil zum Ausdruck gebracht. Hinter
diesem Spiel mit der Oberfläche steckt aber vielmehr der Wunsch nach Individualität und
Selbstentfaltung, der sich durch den Rückzug der traditionellen Unterstützungsmilieus und die
Forcierung institutioneller Bezugsrahmen (Bildungseinrichtungen ect.) nur mehr in Form
verstärkter Selbstverwiesenheit und Inszinierung des Äußeren darstellen läßt. Die eigene
Persönlichkeit, die Findung des eigenen ICH, eine der wichtigsten Entwicklungsaufgaben des
Menschen, wird gegenwärtig zum `Recherche - ICH´, dessen Suche oftmals ein Leben lang
unabgeschlossen bleibt oder sich als `Zufalls - ICH´damit begnügt, `seine Existenz in
wechselnd - szenischer Vergegenwärtigung´ zu erfahren“ (vgl. Lenzen 1991, 46). Jugendliche
27
der 90er sind demzufolge ausgezeichnet durch explizite Modelle der Gegenwartsorientierung.
Einzelerlebnisse der Gegenwart erhalten eine erhöhte Ausgestaltung. Zeit und Zukunft werden
nicht mehr nach den gesellschaftlichen Mustern der Ausgestaltung von Zukunftsorientierung
erfahren. Zeit entwickelt sich zu einem höchst subjektiven, inividuellen Erfahrungsspektrum.
Jugendliche müssen feststellen, daß es nicht mehr möglich ist, etwa aufgrund einer
gegenwärtig praktizierten Berufsausbildung längerfristige Lebens- und Zukunftspläne zu
machen. Die Ausbildung ist zwar von momentaner Bedeutung, muß aber im Rahmen flexibler
Lebensgestaltung gesehen werden. Ständige Zusatzausbildungen, Flexibilität und Mobilität
gehören unweigerlich zum Lebensbereich Arbeit und Ausbildung. Dies führt zu dauerhaften
Be- und Überlastungen, zu unaufhörlichen Reflexionsansprüchen an sich selbst. Jugendliche
erleben relativ früh eine Eigenverantwortlichkeit für ihr Sein. Durch den Zuwachs an
Individualisierungsmöglichkeiten aufgrund freier Kombinationsvielfalt von `Lebensbausteinen´,
werden gleichzeitig Erfahrungen im Sinne erhöhter Austauschbarkeit von Personen gemacht.
„Objektiv betrachtet hat es für Jugendliche noch nie so viele Möglichkeiten der Individualtität
im Sinne einer Besonderung der Selbstdarstellung gegeben, andererseits waren noch nie so
stark subjektive Gefühle individueller Ersetzbarkeit und Austauschbarkeit verbreitet“
(vgl.Helsper 1991, 83). Jugendliche zeigen gegenwärtig wenig Interesse an Großentwürfen,
Illusionen halten sie für unangebracht. Selbstdarstellung, Vergegenwärtigung im Jetzt, das
bewußte Genießen von Verwirrung, chaotischen Zuständen und absichtslosen Augenblicken,
das Leben in variablen Ordnungen, Differenzen und Dissonanzen ist angesagt (vgl.
Ferchhoff/Dewe 1991, 196). Ferchoff/Dewe, gehen sogar so weit zu behaupten, daß in
bestimmten (urbanen) Jugendkulturen (evt. Techno, Rave - Szene) eine Art fröhlich referenzloses Nomandentum und provokantes Durcheinanderwirbeln und Schockieren in den
Sinn - Ruinen des Lebens herrsche (vgl. Ferchhoff/Dewe 1991, 188). „Sinn - Ruinen“ wohl
dahingend gemeint, daß es den `ein ganzes Leben umspannenden Sinn´ nicht mehr gibt, da
sinnstiftende Größen
immer kurzzeitiger und variabler geworden sind. Nur mehr ein
verschwindend kleiner Teil von Jugendlichen lebt in lokalen, dichten, sozialen Kontrollnetzen
mit
geschlossener
weltanschaulicher
Sinngebung,
klaren
Bezugsverhältnissen und
Kategorien. Ob diese Behauptung, wie weitläufig vermutet wird, für Jugendliche in ländlichen
Lebenswelten noch verstärkt zutrifft, wird zu analysieren sein. Abschließend läßt sich aber
festhalten, daß den Jugendlichen auch jenseits sozialer Bindungstraditionen und jenseits
sicherheitsgewährender sozialmoralischer Milieus ein hohes Maß an Selbstverantwortung,
Selbstbehauptung und damit auch klare Visionen der Erfüllung und des Versagens, bzw. der
Scheiternsrisiken aufgebürdet werden (vgl. Ferchhoff/Dewe 1991, 196).
28
2.2.3. Jugend - eine eigenständige Lebensphase?
Wenn man die historische Entwicklung der „Jugend“ im Verlauf des 20.Jh.s verfolgt, ist es
notwendig, Jugend gerade am Ende dieses Jahrhunderts als eigenständige Lebensphase zu
betrachten.
Wir
haben
gesehen,
daß
sich
Jugend
aus
biologischen,
entwicklungspsychologischen, und sozial definierten Kriterien bestimmen läßt. Daraus ergibt
sich, daß Jugend nicht einheitlich definiert werden kann. Während aus den unterschiedlichen
Blickrichtungen relativ einfach ist, Kriterien für den Eintritt in das Jugendalter zu definieren, ist
es umso schwerer, das Ende dieser Lebensphase festzusetzen. Wird Jugend als sozialer
Entwicklungsprozess begriffen, in dem das Individuum von der Rolle des Kindes in jene des
Erwachsenen übergeführt wird, bekommen drei zentrale Kriterien eine wesentliche
Bedeutung : „Erstens der Eintritt ins Berufsleben, zweitens das Verlassen des Haushaltes
der Herkunftsfamilie und drittens die Gründung einer eigenen Familie, bzw. die Geburt eines
Kindes“ (vgl. Kytir/Münz 1994, 29). Im Verlauf des 20.Jh.s haben sich diese biographischen
Übergänge erheblich verschoben, bis weit in das dritte Lebensjahrzehnt hinein.“Theoretisch
ergiebig ist jene Festlegung, die Jugend als Lebensphase eigener Form und eigener
selbsterlebbarer Qualität sieht und zugleich auch als ein gesellschaftliches und kulturelles
Produkt konzipiert, das durch seinen charakteristischen Stellenwert im menschlichen
Lebenslauf und seine spezifische Bedeutung für die Reproduktion der Gesellschaft bestimmt
werden kann“ (vgl. Hurrelmann 1985, 18). Jugend wird demnach als eine durch
gesellschaftliche Strukturprobleme notwendige Lebensphase zur persönlichen Entwicklung
und sozialen Plazierung des Menschen gesehen (vgl. Hurrelmann 1985, 18). Jugend als
eigenständige
Lebensphase
ist
ein
Nebenprodukt
umfassender
gesellschaftlicher
Entwicklungsprozesse, die sich im 20.Jh. durch eine Ausweitung des Grades der
persönlichen Entscheidungsfreiheit und der damit verbundenen Probleme konstituiert hat. Die
Etablierung des Jugendalters in der Gesellschaft ist als Ergebnis der gesellschaftlichen
Modernisierungsprozesse zu sehen (vgl. Fend 1988, 184).
Zusammenfassung
Betrachtet man das Jugendalter als sozialen Prozeß, der von der definierten Rolle des
Kindes zu jener des Erwachsenen führt, so wird man erkennen, daß die in diesem
Zusammenhang häufig genannten Kriterien - Berufseintritt, ökonomische Unabhängigkeit,
eigener Haushalt und Familiengründung bzw. Leben in einer Partnerschaft - im Zuge der
letzten Jahren eine starke Veränderung erfahren haben. Hatten ‘frühere Jugendgenerationen’
nur das Problem, ab der Pubertät individuell und bewußt den Anschluß an die Außenwelt zu
29
finden sowie eine in der individuellen Biographie als privates Erlebnis auftretende Kluft
zwischen Innen und Außen, Ich und Welt zu überwinden, um sich schließlich am Ende des
Jugendalters zu etablieren, fehlen diese Möglichkeiten jetzt weitgehend. Mit dem
zunehmenden Individualisierungsprozeß sind die äußeren gesellschaftlichen Rahmendaten,
welche dem prekären Suchprozeß innerhalb des Jugendalters immerhin noch eine grobe
Richtung und eine gewisse Sicherheit geboten haben, weggefallen.
Die Jugendphase, welche sich im Laufe der letzten 100 Jahre herausgebildet hat und uns in
dieser Form
gegenwärtig bekannt ist, kann
durch folgende Merkmale und Strukturen
gekennzeichnet werden:
• Eine lange Phase der Bildung und Ausbildung: Dadurch ist es zwar möglich, Zeit für die
Persönlichkeitsentwicklung zu gewinnen und sich aufgrund des Bildungsgutes aus
klassenspezifischen Milieus herauszuentwickeln - die ökonomischen Unabhängigkeit
zögert sich jedoch immer weiter hinaus.
• Trotz längerer und besser qualifizierter Bildungsbiographien kommt es zur Verunsicherung
der Jugend durch zunehmende Arbeitsmarktkrisen. Jugendliche werden zunehmend mit
der Nichtrealisierung ihrer Berufswünsche konfrontiert.
• Ein weiteres Merkmal gegenwärtiger Jugendphasen ist die Vervielfältigung des Übergangs
in das Erwachsenenalter. Individualisierte Lebens- und Beziehungsformen haben sich statt
verbindlicher
Lebensformen
durchgesetzt.
Ein
‘alternatives
Angebot
an
Beziehungsformen’, abseits von institutionalisierten Ehe- und Familienformen, bildet sich
immer weiter aus.
• Jugendliche treten hinsichtlich ihrer sozialen, moralischen, erotisch - sexuellen,
intellektuellen und politischen Handlungsfähigkeiten früh in die Selbständigkeit der
Erwachsenen ein - ohne dabei bereits - ökonomische Unabhängigkeit erlangt zu haben
(vgl. Tillmann 1993, 264f.).
• Das Jugendalter muß
als entwicklungsoffener Prozeß gesehen werden, in dem es
gelingen soll, die Fähigkeiten zur eigenen sozialen Gestaltung und Vereinbarung bei der
Verwirklichung des eigenen Weges ohne Zielvorgaben zu entwicklen. Das Jugendalter ist
ein Stück individuelle Konstruktion von sozialer Wirklichkeit (vgl. Brater 1997, 150).
Wenn in den wesentlichen Fragen der Jugendlichen - wie: Wie finde ich meinen Beruf? Soll
ich eine Familie gründen? Welchen Lebensweg soll ich gehen? - gesellschaftliche Normen
und Antworten zur Orientierung fehlen, dann ändert sich grundsätzlich der Charakter und die
lebensgeschichtliche Bedeutung der Jugendphase: Sie ist dann kein ‘transitorischer’
30
Abschnitt mehr zwischen der relativ klaren und festen Welt der Kindheit und dem des
Erwachsenalters (vgl. Brater 1997, 150). Die Erhöhung der Freiheitsgrade im individuellen
Handlungsbereich, Verunsicherungen bedingt durch die verstärkte Freisetzung der
Handlungsoptionen und Verschleierungen der Übergänge ins Erwachsenenalter verstärken
die Aufsplittung des Jugendalters in intermediäre Lebensformen (vgl. Kytir/Münz 1994, 30).
Diese gelten als Kennzeichnen das Jugendalters am Ende des 20.Jh.s, - einer Lebensphase,
die Auskunft über die Komplexität gesellschaftlicher Entwicklungen sowie deren hohe
Anforderungen an das einzelne Individuum gibt.
31
3. Ländlicher Raum - Ländliche Lebenswelten
3.1. Begriffsdefinition: Ländlicher Raum - Ländliche Region
„Ländlicher Raum - Ländliche Region“, deshalb mit Bindestrich, weil in der Literatur jeweils
Raum oder auch Region verwendet wird, obwohl immer wieder auf die Synonymie der
Begriffe hingewiesen wird. Mit den Begriffen werden hinlänglich Land, Dorf, vielleicht auch
Kleinstadt assoziiert, zumindest aber „nicht Stadt“, d.h. weder Ballungszentren noch
Industriegebiete. Das bedeutet wiederum, daß ländliche Regionen der Inbegriff für Ruhe und
Erholung sind - kurz für alles,
was ‘anders’ ist als der hektische, anstrengende
Lebensbereich Stadt. Trotz allem: wer aus ländlichen Regionen kommt, wird vielfach auch
heute noch belächelt. Menschen aus ländlichen Regionen wird im „Weltbild des Kosmopoliten
nur ein geringer Stellenwert eingeräumt“. Aber es sei den Großstädtern verziehen - vor allem
dann, wenn man „den österreichischen Großstädter“ vor Augen hat. Wien, das stimmt, ist
zweifelsohne nicht der `Nabel´ Österreichs, sondern es umfaßt den größten Ballungsraum
innerhalb der Alpenrepublik. Gemessen daran fällt die zweitgrößte Stadt - Graz- mit ihren
knapp 240.000 Einwohnern bereits klar ab (vgl. Schöffel 1996, 3). Davon abgesehen bedarf
es angesichts der europäischen Betrachtung ländlicher Regionen ohnehin einer Korrektur
des „österreichischen Stadt - Land, Metropole - Provinz - Denkens“. Es erhebt sich die Frage
nach der Größe ländlicher Regionen im Europa der Union. Die Summe dessen, was in der
europäischen Landschaft als „ländlich“ bezeichnet wird, ist eigentlich erstaunlich groß. „Das
Europa der Union ist zu 85% ländlicher Raum, obwohl ‘nur’ ein Viertel der Bevölkerung auf
dem Land lebt. Österreich ist insgesamt gesehen mit seinen kleinstädtischen und dörflichen
Strukturen und deren jeweiligen Einwohnerzahlen das, was vor allem Städter mitunter
verächtlich unter ‘Land’ einstufen - außer sie fahren ‘aufs Land’, um ‘Landluft’ zu schnuppern,
‘Landleben’ zu entdecken (vgl. Schöffel 1996, 3).
Ist es grundsätzlich überhaupt noch sinnvoll, von ‘Land’ zu reden und ländliche Regionen zu
thematisieren? „Längst scheint doch der gesellschaftliche Modernisierungsprozeß auch zu
einem Nivellierungsprozeß geworden zu sein, der das Land seiner Besonderheit beraubt hat“
(Gängler1990,15). Längst schon sind strukturelle Wandlungsprozesse und gesellschaftliche
Modernisierungsbestrebungen auch in ländliche Regionen eingedrungen. Bereits Kötter
(1958, 7) schreibt, daß der Begriff des ‘Landes’ Wandlungen unterworfen ist. „... nicht landwirtschaftliche und landwirtschaftliche Bevölkerung lebt häufig auf engstem Raum
zusammen, dies ist als Folge der Entwicklung unserer Gesellschaft zu sehen, die als
‘industrielle Gesellschaft’ bezeichnet wird...“ (Kötter 1958, 7). Stadt und Land sind nicht mehr
32
durch klare Kriterien voneinander trennbar, sondern sie unterscheiden sich nur mehr in
einigen Übergangsformen. Interessant an der Literatur Kötter’s, die aus den 50/60er Jahren
stammt, ist die noch sehr emotionale Diagnostik des Wandlungsprozesses. Unbestritten ist
die Tatsache, daß der Wandlungsprozeß der Gesellschaft in den 50er Jahren, also in der
Nachkriegszeit eingetreten ist. Kötter schreibt:“... jetzt erst setzt der Wandlungsprozeß in
aller Schärfe ein und ist oft mit schmerzhaften Härten verbunden“ (Kötter 1958, 11). Der
Struktur-
und
Funktionswandel
der
ländlichen
Regionen
ist
im
Zuge
der
gesamtgesellschaftlichen Entwicklung zu sehen. Ländliche Regionen sind nicht gleich
ländliche Regionen. Sie sind durch eine strukturelle Vielfalt ausgezeichnet. Kötter (1958, 88)
trifft bei der Betrachtung ländlicher Regionen einige Unterteilungen. Wie er ausführt, sind
diese vorerst einmal ‘Soziallandschaften mit Misch- und Übergangsstrukturen bzw.
spezifischen sozialökonomischen Strukturen’. Zwischen Stadt/Land gibt es nach Kötter:
‘die Zone des städtischen Raumes’
‘die Zone der stadtnahen Pendlerräume’
‘die Zone der ländlichen Industrieräume’
‘die Zone der industriearmen Agrarräume’.
Die Begriffe Land und Region ergeben die Verbindung „ländliche Region“. Hier drängt sich die
Frage auf, was Regionen tatsächlich sind. Gängler (1990, 21) empfiehlt, den Begriff der
Region dann einzusetzen, wenn man sich auf ein bestimmtes Gebiet bezieht, welches sich
durch charakteristische Kriterien von anderen Gebieten und Regionen abgrenzen läßt.
Kriterien der Abgrenzung können sein:
- geographische
- ökonomische
- sozio - kulturelle
- politische
- sprachliche
Ländliche Regionen können verstanden werden als, „... territoriale Räume, die nicht im
Sogbereich von Ballungsgebieten liegen, und die selbst bei einem Bevölkerungsaustausch
mit den Ballungsgebieten, wie er durch Pendler stattfindet, nicht sozio-ökonomisch und
sozio-strukturell nivelliert werden“ (vgl. Gängler 1990, 21). Diese Definition wird vor allem in
Raumordnungsberichten verwendet und beinhaltet den Charakter einer Negativdefinition im
Sinne von Stadt - ist nicht - Land. Einer der bekanntesten ‘Landsoziologen’, Ulrich Planck,
verwendetet einige grundlegende Indikatoren und Merkmalsgruppen zur Beschreibung
ländlicher Räume in Abgrenzung zu städtischen Räumen. Planck geht davon aus, daß
bestimmte
Raumeigenschaften
das
soziale
Leben
von
Menschen
beeinflussen.
Raumeigenschaften wirken auf die „äußeren Umstände menschlichen Handelns, Denkens
33
und Fühlens“ (Planck 1979, 23). Zwischen den Raumkomponenten und dem menschlichen
Handeln ergeben sich
wechselseitige Abhängigkeiten. Das Handeln wird auf die
Raumgestaltung ausgerichtet, und im Gegenzug beeinflußt der Raum das notwendige
Handlungsrepertoire der Menschen. Für Planck gelten folgende Merkmale als grundlegend für
die Beschreibung des ländlichen Raumes:
„ Das Fehlen städtischer Privilegien und Funktionen, die Land- und Forstwirtschaft als
prägender Wirtschaftsbereich, eine geringe Verdichtung von Wohnstätten, Arbeitsstätten und
Infrastruktureinrichtungen“ (vgl. Planck 1979, 23). Nach Planck haben vor allem Kriterien wie
der Rechtsstatus, die Wohngröße, die Bevölkerungs- und Arbeitsplatzdichte, die Agrarquote
und die Kennziffern der Lebensbedingungen an Bedeutung für die Beschreibung des
ländlichen Raumes gewonnen. Planck (1979, 23) gibt eine Zusammenfassung der
wichtigsten Indikatoren für die Abgrenzung ländlicher Räume zu städtischen Räumen wieder.
Diese Indikatoren findet man vorwiegend in der Literatur der Raum- und Landschaftsplanung.
Indikatoren für die Abgrenzung ländlicher Räume wären:
1. Juristisch-administrative: Rechtsstatus, Verwaltungsbeziehungen, Verkehrsverbände,
Gebühren
und
Steuersätze,
Ortsklassen,
Lohntarife,
kommunale
Privilegien,
Infrastrukturausstattung.
2. Geographisch-städtebauliche:
Flächennutzung,
Dichte
und
Geschlossenheit
der
Bauweise, Art der Bauweise, Geschoßzahl und Abstand der Gebäude.
3. Demographisch-soziologische: Bevölkerungszahl, Bevölkerungsdichte- und entwicklung,
Geburten-, Sterbe- und Heiratsziffern, Haushaltsart und -größe, Wohndichte, Lebensstil.
4. Sozialökonomische: Berufs-, Erwerbs- und Beschäftigungsstruktur, Pendler- und
Konsumbeziehungen, zwischenortliche Ferngespräche, sozialökonomische Funktion,
Industriebesatz, Realsteuerkraft, Bruttoinlandsprodukte, Arbeisplatzdichte (vgl. Planck
1979, 23).
In Anbetracht der Mehrdeutigkeit einzelner Indikatoren werden der Raumgliederung häufig
Merkmalskombinationen zugrunde gelegt. Aber auch dies führt nicht immer zu eindeutigen
Ergebnissen, weil die ‘ländlichen’ Merkmalsausprägungen mitunter schwach miteinander
korrelieren (Planck 1979, 28). Diese Ausführungen lassen darauf schließen, daß Indikatoren,
die für die Abgrenzung und für die Strukturierung des ländlichen Raumes verwendet werden,
hauptsächlich aus den Betrachtungen der jeweiligen
•
Siedlungsgröße
•
Bevölkerungsdichte
•
Arbeitsplatzdichte
•
Agrarquote
34
• Ökonomischen und sozialpolitischen Infrastruktur herangezogen werden (vgl. Gängler
1990, 21).
Aber in der Grenzziehung dessen, was als ländliche Region oder ländlicher Raum bezeichnet
werden kann, gibt es Schwierigkeiten eben hinsichtlich der Abgrenzung und Strukturierung.
Gängler (1990) gibt eine Problematisierung von Planck aus dem Jahre 1979 wieder: „Die
Abgrenzung ländlicher Räume wird dadurch kompliziert, daß wirtschaftliche, soziale und
kulturelle Raumkomponenten zu berücksichtigen sind, die Schwierigkeiten wachsen in dem
Maße, wie städtische, industrielle und touristische Elemente den ländlichen Raum
durchdringen und sich Misch- und Übergangsformen ausbreiten. Die Raumkonturen werden
dadurch in dem Begriffspaar Land und Stadt immer undeutlicher. Man weicht deshalb auf
Begriffe wie ‘Verdichtungsraum’ und ‘Erholungsraum’ aus. Dabei gewinnt der Grad der
Bevölkerungsagglomeration
vorrangige
Bedeutung.
Land
kann
in
einer
modernen
Industriegesellschaft auch nicht mehr einfach mit landwirtschaftlichem Siedlungsraum
identifiziert werden. Im ländlichen Raum entstehen moderne Agrarräume, Erholungräume, die
strukturell so verschieden sind, daß von einer einheitlichen Gebietskategorie ‘ländlich’ keine
Rede sein kann“ (Gängler 1990, 22/ Planck 1979, 28).
Gerhard Henkel (1995) versucht eine Definition des ländlichen Raumes dahingehend zu
finden, indem er Definitionskriterien in „innere und äußere Kriterien des ländlichen Raumes“
unterscheidet. Innere Kriterien nach Henkel (1995, 27) beschreiben den ländlichen Raum als
einen von der Natur, von der Land- und Forstwirtschaft geprägten Siedlungs- und
Landschaftsraum mit geringer Bevölkerungs- und Bebauungsdichte sowie niedriger
Zentralität der Orte, aber höherer Dichte der zwischenmenschlichen Bindungen. Im
wesentlichen handelt es sich hier um sehr traditionelle Kriterien, die anscheinend trotz
allfälliger Wandlungsprozesse nach wie vor gerne zur Kennzeichnung ländlicher Räume
verwendet werden. Betrachtet man die äußeren Bestimmungskriterien (z.B. Siedlungsgröße,
Bevölkerungs- und Arbeitsplatzdichten, Agrarquote, sozialpolitische und ökonomische
Infrastruktur) näher erkennt man, daß es sich um die selben Indikatoren wie sie auch von
Gängler (1990) verwendet werden, handelt. In der Regel wird der ländliche Raum hier mit
Hilfe einer Negativdefiniton erklärt. Der ländliche Raum ergibt sich aus dem Gesamtraum
eines Landes nach Abzug der Verdichtungsräume. Das bedeutet, ländliche Räume
erstrecken sich auf Gebiete außerhalb der Verdichtungsräume und ihrer Randbereiche, sowie
auf Gebiete außerhalb sonstiger verdichteter Räume (vgl. Henkel 1995, 27). Henkel ergänzt
den Punkt der Siedlungs bzw. Gemeindegröße um die Angabe, daß man bei
Einwohnerzahlen bis zu 2000 Einwohnern von Landgemeinden im engeren Sinn spricht, bei
einer Einwohnerzahl zwischen 2000 - 5000 Menschen von Landgemeinden im weiteren Sinn.
Das Kriterium der Arbeitsplatzdichte wird durch den Begriff der ‘Industriellen Arbeitsplätze’
35
erweitert. Hier gilt, daß man bei 60 Industriearbeitsplätzen auf 1000 Einwohnern von einem
Agrargebiet, bei 60 - 120 auf 1000 Einwohnern von Mischgebieten und bei mehr als 120 auf
1000 Einwohnern von Industrie bzw. Ballungsgebieten spricht (vgl. Henkel 1995, 27f).
3.1.1. Unterteilungs- und Typisierungsversuche ländlicher Räume
Als sinnvoll erweisen sich Unterteilungen der ländlichen Regionen in Räume, die innerhalb
dicht besiedelter und wirtschaftlich hoch entwickelter Regionen liegen, und weiträumige,
dünnbesiedelte, wirtschaftliche zurückgebliebene, periphere Gebiete (vgl. Gatzweiler 1986,
22). Gatzweiler unterscheidet in seinem Aufsatz „ Entwicklung des ländlichen Raumes im
Bundesgebiet - Probleme, Ziele und Strategien aus Raumordnungspolitischer Sicht“ (1986,
22) allgemein zwischen drei unterschiedlichen Typen von ländlichen Räumen. Es erscheint
mir sehr wertvoll, diese Einteilung hier wiederzugeben, denn wenn es auch Einteilungen sind,
die in Raumordnungsplänen Bundesdeutscher Orientierung abgehandelt werden, so decken
sie sich in ihrer inhaltlichen Positionierung auch mit österreichischen Maßstäben.
• Ländliche Räume innerhalb von Regionen mit großen Verdichtungsräumen
- Zugang zu Arbeitsplatzangeboten der Verdichtungsräume ist gegeben
- Infrastruktur der Verdichtungsräume steht zur Verfügung
- Wohn- und Umweltbedingungen sind gut
- Es besteht allerdings ein wachsender Siedlungsdruck, weil die ländliche Region im
Verdichtungsraum liegt.
• Ländliche Räume mit leistungsfähigen Oberzentren und vergleichsweise guten
wirtschaftlichen Entwicklungsbedingungen
- Leistungsfähige zentrale Orte, gute Infrastruktur und Erwerbsgrundlagen sind vorhanden
- die Nähe zu den Verdichtungsräumen ist gegeben, ebenso auch landschaftliche
Nutzungsmöglichkeiten.
• Periphere, dünn besiedelte ländliche Gebiete abseits der wirtschaftlichen
Zentren
- benachteiligte Lagen, niedrige Bevölkerungsdichte, ungünstige Wirtschaftsstruktur
- Standortnachteile, geringe Entwicklungsmöglichkeiten.
Zusammengefaßt:
- Regionen mit großen Verdichtungsräumen
- Regionen mit Verdichtungsansätzen
36
- ländlich geprägte Regionen (Problemgebiete)
Dünn besiedelte Gebiete, sind, bedingt durch ihre siedlungsstrukturellen Schwächen, die vor
allem
die
wirtschaftlichen
Hauptprobleme
liegen
im
Entwicklungsprozesse
nur
marginalen
betreffen,
Vorhandensein
Problemgebiete.
Die
außerlandwirtschaftlicher
Arbeitsplätze, im nicht Vorhandensein von ausreichenden qualitativ fordernden Arbeitsplätzen
und in unbefriedigenden Ausbildungsmöglichkeiten und Anforderungen, sowie in den
unbefriedigenden Verdienstmöglichkeiten (vgl. Gatzweiler 1986, 25). Unzureichende
Erwerbsmöglichkeiten ‘zwingen’ mehr oder weniger, zur Abwanderung. „Seit Jahrhunderten,
weisen diese ländlichen Regionen die größten Wanderungsverluste an jungen Menschen auf.
Meist handelt es sich um gut ausgebildete und aufstiegsorientierte Arbeitskräfte“ (Gatzweiler
1986, 27).
Gängler (1990) stellt zwei Abgrenzungskriterien für ländliche Regionen zur Diskussion. Er
unterscheidet ländliche Regionen in ihre (a): siedlungsstrukturelle Typologie und (b):
wirtschaftsstrukturelle Typologie. Wobei unter (a) die Einteilung Gatzweilers aufgegriffen wird.
In dieser Typologie werden ländliche Gebiete ganz allgemein als dem ‘Ballungsgebiet
abgewandte’ Räume begriffen. Es geht hier um eine Abgrenzung zu großstädtischen
Ballungsgebieten, wobei der ländliche Raum in ländliche Regionen mit Verdichtungsansätzen
und dünnbesiedelte Räume oder größere Mittelzentren unterteilt wird (vgl. Gatzweiler 1986,
27/Gängler 1990,
22). Unter (b) werden drei ländliche Raumtypen nach dem jewiligen
wirtschaftlichen Entwicklungsstand unterschieden:
1. ländliche Räume ohne besondere Strukturschwächen [viele moderne Klein- und
Mittelbetriebe, überdurchschnittliche infrastrukturelle Versorgung]
2. ländliche Räume mit einer alten Industrietradition [heute in Strukturkrisen]
3. Agrarisch geprägte ländliche Räume mit erheblichen Mängeln an Erwerbsstrukturen
[wenig industrielle Arbeitsplätze oder nur konjunkturabhängige Zweigbetriebe] (vgl. Gängler
1990, 22f.)
In der raumplanerischen Einteilung des ländlichen Raumes ist das Konzept der
„funktionsräumlichen Aufteilung“ sehr verbreitet. Jedoch erscheint dieses Einteilungskonzept
für die weiter Verwendung als nicht sehr hilfreich. Sind doch gerade agrarische Funktionen
gegenwärtig immer weniger von ökologischen Funktionen und Erhohlungsfunktionen immer
weniger von Wohnfunktionen
zu trennen. Folgt man dieser Einteilung, gelangt man zu
nachstehender Unterteilung der ländlichen Räume:
1. Räume mit agrarischer Funktion
2. Räume mit Wohn und Siedlungsfunktion
37
3. Räume mit Erholungs- und Fremdenverkehrsfunktion
4. Räume mit ökologischer Funktion (vgl. Gängler 1990,22f.).
3.2. Ländliche Region - Steiermark
Bei der Betrachtung der Steiermark mit ihren 17 Bezirken erkennt man einen relativ stark
ausgeprägten ländlich strukturierten Charakter des Bundeslandes. Wird die Steiermark nach
den siedlungs- und wirtschaftsstrukturellen Kriterien analysiert, ergeben sich zwei Regionen
mit sehr großer Ähnlichkeit im Hinblick auf ihre Bevölkerungs- und Sozialstruktur. Die zwei
großen Gruppen der steirischen Bezirke, die sich voneinander vor allem im Hinblick auf den
Verstädterungsgrad, den Landwirtschaftsanteil und die Bevölkerungsdynamik unterscheiden,
sind die im Nordwesten sowie die im Süden und im Südosten der Steiermark gelegenen
Bezirke. In diesen Bezirken leben etwa 80 bis 90% der Bevölkerung in kleineren Gemeinden,
was auf eine extrem starke ländlich geprägte Struktur der Bezirke hinweist. In den
obersteirischen Bezirken der Mur - Mürzfurche sowie im Bezirk Voitsberg leben durchwegs
über 40% der Bevölkerung zumindest in mittelgroßen Gemeinden bzw. Städten ab 5.000
Einwohnern. Graz selbst ist noch einmal von den obersteirischen Bezirken abgehoben.
Aufgrund dieser und anderer Kriterien kann man die Steiermark in vier große Makrobereiche
einteilen, die sowohl intern homogen strukturiert als auch untereinander eng verflochten sind
(vgl.Haller/Höllinger 1994, 52f.).
3.2.1. Unterteilung der Steiermark
• - „Inneralpine Bezirke“: Unter diesen Begriff fallen die Bezirke Liezen und Murau. Mit
114.000 Einwohnern lebt fast ein Zehntel der steirischen Wohnbevölkerung in dieser
Region. Neben einem hohen Erwerbsanteil in der Land- und Forstwirtschaft ist für diese
Region auch der Tourismus von hoher Bedeutung.
• - „Alte Industriegebiete der West- und Obersteiermark“: Diese Region umfaßt die Bezirke
Judenburg, Knittelfeld, Leoben, Bruck, Mürzzuschlag sowie Voitsberg. Kennzeichnend für
diese Regionen ist der hohe Anteil an Erwerbstätigen in den heimischen Industriebetrieben
wobei die Werte bis zu über 50% reichen. Krisen in diesem Erwerbssektor lassen auch
die Zahl der Arbeitslosen steigen. So weist bspw. der Bezirk Leoben immer wieder eine
äußerst kritische Beschäftigungssituation auf.
38
• - „Großraum Graz“: Diese Region, gebildet aus der Landeshauptstadt Graz und dem
Bezirk Graz-Umgebung, ist mit Abstand die dynamischste der steirischen Regionen.
Charakteristisch ist das Bevölkerungswachstum im Bezirk, bzw. in den Gemeinden rund
um die Landeshauptstadt Graz.
• - „Süd- und Südoststeirische Randgebiete“: Diese Region zählt zu den flächen- wie auch
einwohnermäßig größten Gebieten der Steiermark. 395.000 Einwohner, somit gut ein
Drittel der steirischen Bevölkerung, leben in den Bezirken Leibnitz, Radkersburg,
Feldbach, Fürstenfeld, Hartberg, Weiz und Deutschlandsberg. Die Bezeichnung als
Randgebiet ist deswegen zutreffend, weil bedingt durch die Lage der Bezirke entweder die
Staatsgrenze oder die Grenze zu einem anderen Bundesland an ihrem Rand verläuft. Im
übertragenen Sinn kann die Bezeichnung
„Randgebiet“ auch auf die klar erkennbare
Verlangsamung der wirtschaftlichen Entwicklungsdynamik übertragen werden. Die
Hauptproduktions- und Erwerbsbereiche liegen hier vorwiegend im Bereich der Land- und
Forstwirtschaft. So stellen die Bezirke Radkersburg und Feldbach mit rund 30% der
Erwerbstätigen in der Landwirtschaft den höchsten Anteil der Beschäftigten in diesem
Erwerbsbereich. Die Region bildet, nach Regionen in Ober - und Niederösterreich, den
zweitgrößten ländlichen Siedlungsraum Österreichs. Am wenigsten Randlage weisen die
direkt an den Bezirk
Graz - Umgebung angrenzenden bzw. durch infrastrukturelle
Anbindungen begünstigten Bezirke Weiz und Hartberg im Osten und Leibnitz sowie Teile
Deutschlandsbergs im Süden auf. Sie sind von günstigeren Werten in der Beschäftigungsund Einkommenssituation geprägt. Diese Begünstigung resultiert vor allem aus der
Tatsache, daß der Ballungsraum Graz zum einen über öffentliche Verkehrsmittel [Bahn]
und zum anderen durch den direkten Autobahnanschluß erreichbar ist (vgl. Haller/Höllinger
1994, 53f.). Abgesehen davon ist in einigen Teilen des Raumes trotz der agrarischen
Prägung auch der gewerblich - industrielle Sektor von überraschend großer Bedeutung. So
weisen insbesondere die Bezirke Weiz, Fürstenfeld und Deutschlandsberg eine stärkere
industrielle Prägung auf. Diese Randgebiete verzeichneten in den letzten Jahren eine
starke Gründungsdynamik, aber auch hohe Stillegungsraten. Im allgemeinen ist die
Situation in diesen Gebieten aber besser als in anderen Grenzlandregionen Österreichs
(vgl. Institut für Regionalentwicklung, Technologiepolitik und Grenzlandfragen 1994, 1).
Zusammenfassung
Faßt man die Struktur der Steiermark, aufgrund der jeweiligen wirtschaftlichen Entwicklung
zusammen, kommt man nach der von Gängler (1990, 22) vorgeschlagenen Einteilung der
ländlichen Regionen auf eine Straffung der vier steirischen Regionen in drei Raumtypen:
39
1. Ländliche Regionen ohne ‘Strukturschwächen’ mit einer Vielzahl moderner Klein- und
Mittelbetriebe und einer überdurchschnittlichen infrastrukturellen Versorgung [Leibnitzer
Feld, Grazer Becken].
2. Altindustrielle ländliche Räume, die heute von Strukturkrisen gekennzeichnet sind. Sie
weisen einen hohen Anteil an Industriearbeitsplätzen auf, die meist aber nur Anlernberufe
benötigen. Das Ausbildungsangebot ist eingeschränkt [Mur - Mürzfurche].
3. Agrarisch geprägt ländliche Räume mit erheblichen Lücken in der Erwerbsstruktur, in
denen die Chancen der Jugendlichen, den gewünschten Arbeitsplatz zu finden, sehr
gering sind. Es gibt in diesen Regionen wenig industrielle Arbeitsplätze und diese meist
nur in konjunkturabhängigen Zweigbetrieben. Die Ausbildung wird deshalb hauptsächlich
von den kleinen gewerblichen und handwerklichen Betrieben getragen, die weit über den
Bedarf ausbilden [Teile der West- und Südoststeiermark].
Diese verhältnismäßig grobe Einteilung vervollständigt sich erst, wenn wir auch innerhalb
dieser Region differenzieren, daß heißt zwischen:
-
ländlichen Räumen, die in den Entwicklungsachsen liegen [Leibnitzer Raum].
-
ländlichen Räumen, die im Sinne der funktionalräumlichen Arbeitsteilung den
Entwicklungsachsen zugewandt sind d.h. Räume, die gute Anschlüsse zu Verkehrswegen
bieten [St.Veit am Vogau im Bezirk Leibnitz].
-
ländlichen Räumen, welche den Entwicklungsachsen abgewandt sind, periphere
Dörfer. [Sicheldorf, Gemeinde Radkersburg Umgebung] (Haller/Höllinger 1994, 53f).
40
3.2.1.1. Indikatoren für die ländliche Prägung einer Region am Beispiel des Bezirkes
Radkersburg
Der Grad der ländlich - kleinstädtischen Prägung einer Region kann bspw. daran gemessen
werden, daß die Geburtenrate in kleinen Gemeinden und bei Erwerbstätigen in der Land- und
Forstwirtschaft höher ist als in größeren Gemeinden mit heterogener Erwerbsstruktur. Zum
einen werden dafür sowohl materielle Umstände als auch die Verfügbarkeit über mehr
Wohnraum und Spielmöglichkeiten für Kinder angegeben. Darüber hinaus sind soziale und
kulturelle Faktoren, stärkere soziale Kontrolle in überschaubaren kleinen Ortsnetzen und die
stärkere Einbindung der ländlichen Bevölkerung in traditionelle und religiöse Werte und
Normen anzuführen. In stark ländlichen Regionen ist zwar eine hohe Geburtenrate,
gleichzeitig aber auch eine höhere Abwanderungsrate zu erwarten, weil das Tempo des
wirtschafts- und berufsstrukturellen Wandels gemächlicher ist, somit die Schaffung neuer
Arbeitsplätze nicht den Anforderungen - vor allem der jungen Generationen - entspricht.
Politischer Bezirk / Gemeinden
Veränderungen der Wohnbevölkerung:
1981 - 1991
insgesamt
durch
durch
Geburten-
Wanderungs
bilanz
bilanz
in %
in %
in %
-3.4%
-1.8%
-1.6%
5.0%
-27.6%
32.6%
-12.9%
4.6%
-17.5%
Deutsch Goritz
-2.6%
0.7%
-3.4%
Dietersdorf am Gnasbach
-5.6%
7.0%
-12.6%
Eichfeld
-6.7%
-1.7%
-5.1%
Gosdorf
0.9%
0.7%
0.2%
Halbenrain
-1.5%
-1.0%
-0.5%
Hof bei Straden
-6.1%
0.3%
-6.5%
Klöch
-3.8%
1.5%
-5.3%
Mettersdorf am Saßbach
-3.9%
2.9%
-6.8%
Mureck
-8.8%
-4.3%
-4.5%
Murfeld
-1.9%
-1.7%
-0.2%
Radkersburg
Bad Radkersburg
Bierbaum am Auersbach
41
Radkersburg Umgebung
42
-5.8%
-1.8%
-3.9%
Politischer Bezirk / Gemeinden
Veränderungen der Wohnbevölkerung:
1981 - 1991
insgesamt
durch
durch
Geburten-
Wanderungs
bilanz
bilanz
in %
in %
in %
Ratschendorf
-0.7%
2.3%
-3.1%
St. Peter am Ottersbach
-5.7%
0.4%
-6.1%
Straden
0.5%
2.2%
-1.7%
Tieschen
-6.7%
-0.5%
-6.1%
Trössing
-10.6%
4.9%
-15.5%
0.5%
1.5%
-1.0%
Weinburg am Saßbach
(vgl. Haller/Höllinger; 1994/Bd.2; Tabelle A1: Wohnbevölkerung 1961, 1981, 1991 in den
Gemeinden).
Ein weiteres Kennzeichen ist die Zentralität der geographischen Lage, womit gemeint ist, ob
sich eine Region in einem sehr dicht besiedelten Gebiet befindet oder eben weit abgelegen
von dichtbesiedelten Zentren bzw. dahin führenden Verkehrswegen ist. Kleine Gemeinden am
Rande der Großstadt müssen ganz andere Strukturen aufweisen als Gemeinden in äußerst
peripheren Regionen. Je peripherer eine Region, desto eher bilden sich Kriterien wie soziale
Kontrolle und dergleichen heraus. Nach diesen Kriterien bildet z.B. der Bezirk Radkersburg
eindeutig eine „periphere Region“ der Steiermark. Die wirtschaftliche Dynamik der Region,
Ausmaß und Tempo der Industrialisierung und Tertiarisierung, das Beschäftigungsniveau,
das Wirtschaftswachstum und Einkommensniveau bestimmen die unterschiedlichen
Regionen. Je stärker diese sind, desto eher ist eine Region in der Lage, Einwohner
anzuziehen. Da diese Regionen häufig städtisch bzw. großstädtische Agglomerationen
darstellen, ist allerdings zumeist eine stagnierende oder negative Geburtenbilanz zu
verzeichnen. Neben diesen Faktoren sind zur Bestimmung einer Region auch historischkulturelle
Faktoren,
welche
eine
Region
schon
seit
Generationen
beeinflussen,
ausschlaggebend für die innere Dynamik. Hierzu gehören z.B. die vorherrschenden Formen
der Ehe und des Familienlebens, die Fertilität, aber auch die spezifisch religiös - kulturellen
Traditionen. In diesem Zusammenhang zeigen sich wesentliche, historisch bedingte
Unterschiede zwischen der Ober- und Südsteiermark. Diese sind z.B. hauptsächlich in der
unterschiedlichen, historisch begründeten Strukturierung der Landwirtschaft aber auch des
43
Religionsbekenntnisses zu finden. Während in der Obersteiermark immer landwirtschaftliche
Großbetriebe vorherrschten, waren es in der Südsteiermark vor allem Klein- und
Kleinstbetriebe. War die Obersteiermark durch den Protestantismus mit
der jeweiligen
individualisierten Sozialethik geprägt, so war es im Süden der Steiermark der Katholizismus
(vgl. Haller/Höllinger 1994, 58f). Daraus ergeben sich unterschiedliche Formen des
Zusammenlebens, die sich in traditionellen Verhaltens- und Handlungsmustern noch jetzt
zeigen.
44
3.2.1.2. Der Bezirk Radkersburg - das südoststeirische Randgebiet
Der Bezirk Radkersburg gehört zur Region des süd- südoststeirischen Randgebietes.
Radkersburg ist ein Bezirk, der - ähnlich jenen Bezirken im Nordwesten der Steiermark dadurch geprägt ist, daß ein Großteil
(80-90%) der Bevölkerung in kleinstrukturierten
Gemeinden lebt. Insgesamt setzt sich der politische Bezirk Radkersburg aus 19 Gemeinden
zusammen.
Politischer Bezirk - Gemeinden
Wohnbevölkerung
1991
1981
1961
24.799
25.671
25.803
1.938
1.845
2.040
528
606
465
1.365
1.402
1.526
Dietersdorf am Gnasbach
406
430
390
Eichfeld
995
1.067
1.090
Gosdorf
1.279
1.268
1.247
Halbenrain
1.946
1.975
2.039
886
944
1.088
Klöch
1.318
1.370
1.453
Mettersdorf am Saßbach
1.397
1.454
1.248
Mureck
1.585
1.737
1.890
Murfeld
1.695
1.727
1.731
Radkersburg Umgebung
1.793
1.903
1.802
679
684
673
St.Peter am Ottersbach
2.477
2.626
2.567
Straden
1.700
1.691
1.676
Tieschen
1.381
1.480
1.478
Trössing
311
384
268
1.120
1.114
1.132
Radkersburg
Bad Radkersburg
Bierbaum am Auersbach
Deutsch Goritz
Hof bei Straden
Ratschendorf
Weinburg am Saßbach
( vgl. Haller/Höllinger, 1994, Bd.2; Tabelle A1: Wohnbevölkerung 1961,1981,1991 in den
Gemeinden).
Im Vergleich dazu leben in den obersteirischen Bezirken der Mur - Mürzfurche und dem
Bezirk Voitsberg immerhin rund 40% der Bevölkerung zumindest in mittelgroßen Gemeinden
bzw. Städten ab 5.000 Einwohnern. Der südöstlichste
Bezirk der Steiermark ist
45
Radkersburg. Er ist ein durch eine ausgeprägte Randlage gekennzeichneter Bezirk und erfüllt
eine unmittelbare Grenzfunktion zu Ungarn und Slovenien. Überdies ist er durch die Distanz
zu den wirtschaftlichen Zentren des Westens- und Nordens Österreichs geprägt
(vgl.Haller/Höllinger 1994, 56). Die Grenzfunktion zu Ungarn und Slovenien müßte allerdings
nicht mehr als Nachteil gesehen werden, denn seit dem Umbruch im Osten und dem
dadurch nähergerückten südosteuropäischen Raum haben sich sicherlich Chancen für die
Region ergeben, die als positiv zu bewerten sind. So kann die verstärkte Orientierung, vor
allem in den slovenischen Raum hinein, kleinregional als Impuls vor allem für Gewerbe- und
Industriebereiche des Bezirkes gesehen werden: z.B. Anhängen Sloveniens am steirischen
Radwegkonzept, grenzüberschreitende Kultur- und Kunstveranstaltungen u.a. (vgl. Institut für
Regionalentwicklung, Technologiepolitik und Grenzlandfragen 1994, 1). Tatsache ist aber,
daß der Bezirk nach wie vor zu den sturkturschwächsten Regionen der Steiermark zählt.
Radkersburg und auch Feldbach weisen mit 30% die höchste Erwerbsquote in der Land- und
Forstwirtschaft auf. Deshalb ist die Abhängigkeit von der Landwirtschaft und den
Agrarstrukturen in weiten Bereichen extrem hoch. Infolge des EU -Beitritts und der Ostöffnung
ist aber in diesem Erwerbszweig ein sich noch verstärkender Strukturwandel zu erwarten,
womit der ohnehin nicht wirklich aufnahmefähige Arbeitsmarkt weiter belastet wird. So ist vor
allem der Dienstleistungssektor in seiner Aufnahmefähigkeit sehr eingeschränkt und zeichnet
sich darüber hinaus durch eine geringe Branchenvielfalt aus, was wiederum die Lehrlinge vor
große Probleme stellt. Die Lehrlinge insgesamt, vor allem aber die weiblichen Geschlechts,
sind auf einige wenige traditionelle Branchen angewiesen. Um aus einem größeren
Lehrstellenangebot schöpfen zu können, bzw. um überhaupt eine Lehrstelle zu erhalten, ist
es notwendig in den Zentralraum Graz zu pendeln. Dabei wird das geringe Angebot,
gekoppelt
mit
unter
dem
Durchschnittseinkommen
liegenden
Verdiensten
im
Dienstleistungsbereich und durch die geringe Nachfrage nach Unternehmensdiensten
verstärkt. Die für die weitere wirtschaftliche Entwicklung immer wichtiger werdenden
produzentennahen Dienstleistungen sind stark unterrepräsentiert. Für viele Arbeitnehmer
außerhalb der Land- und Forstwirtschaft bleibt aus diesen Gründen häufig nur die Möglichkeit
des Pendelns. In der Region des steirischen Randgebietes sind es vorwiegend die mobileren
männlichen Arbeitskräfte, die auf dem Weg zur Arbeit ihren Bezirk verlassen, um nach Graz
zu pendeln. Der Mangel an Arbeitsplätzen in der Region schlug sich lange Zeit nicht in den
Arbeitslosenraten nieder, sondern vielmehr in einer engen Verflechtung des regionalen
Arbeitsmarktes mit den Zentralräumen Graz und auch Wien: Mehr als 30% der wohnhaften
Beschäftigten müssen auf dem Weg zur Arbeit ihren Wohnbezirk verlassen, bis zu 70%
davon pendeln über weite Distanzen in die Zentralräume (vgl. Institut für Regionalentwicklung,
Technologiepolitik und Grenzlandfragen 1994, 2). Mit öffentlichen Verkehrsmitteln kann die
46
Landeshauptstadt Graz von der Bezirksstadt Radkersburg aus nur mit einem Fahraufwand
von 1 ½bis 2 ½Stunden [Unterschied zwischen Bus/Bahn] erreicht werden; mit einem eigenen
Fahrzeug ist der Autobahnanschluß der A9 in Richtung Graz, erst nach rund 40 Minuten
Fahrzeit erreichbar. Bedenkt man dies, werden die Belastungen der Tagespendler
abschätzbar, vor allem der Verlust an freier Zeit durch den Fahraufwand. Im Jahr 1981 gab es
in der Region Süd- Südoststeiermark einen Überhang von rund 40.000 Beschäftigten, welche
nicht in der Region arbeiteten (vgl. Haller/Höllinger 1994, 69). Deshalb ist es notwendig,
Aspekte der Wirtschaftspolitik, der Verkehrs- und Mobilitätspolitik auch unter soziale
Betrachtungswinkel zu setzen. Eine der wesentlichen regionalpolitischen Aufgaben des
Bezirkes wird es sein, gezielte Siedlungsentwicklungen und lokales Engagement anstelle
unkontrollierte Zentralisierungen und Mobilitätsforderungen zu unterstützen.
Zwar ist
unumstritten, daß die Förderung der individuellen Mobilitätsbereitschaft der Bewohner ein
zentrales
Ziel
der
Wirtschafts-
und Regionalpolitik sein muß,
weil in dieser
Mobilitätsbereitschaft ein Garant für qualitativ höhere Ausbildungen und Berufschancen liegt,
trotzdem aber darf eine undifferenzierte Unterstützung der beruflich - geographischen
Mobilität nicht das primäre gesellschafts- und regionalpolitische Ziel sein (vgl. Haller/Höllinger
1994, 66). Es muß daher eine Umkehr der dominanten Formen der Mobilitätspolitik
stattfinden. Nicht die Abwanderung aus den kleinen und mittleren Orten und das Auswandern
in große, zentrale Gebiete ist das Ziel einer aktuellen Regionalpolitik, sondern die Ermutigung
und Förderung des engagierten Verbleibens in den Orten der Region. „Engagiert sein
bedeutet, daß diese Orte nicht bloß Schlaf- und Wohnorte sind, sondern auch am
wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben Beteiligungen ermöglichen“ (Haller/Höllinger
1994, 68). Die Wahrnehmung des Bezirkes tendiert aber eher in die Richtung, daß der Bezirk
mit einer zunehmenden Verdünnung der impulsbringenden Strukturen in der Region zu
rechnen hat: Diese Annahme stützt sich vor allem darauf, daß junge Menschen, mit höheren
Qualifikationen einem erhöhten Druck der Abwanderung ausgesetzt sind, daß durch die
Branchenkleinheit, die Einkommensituation und die Aufstiegsmöglichkeiten vor Ort das
erworbene Anspruchsniveau vielfach nicht erfüllt werden kann. Das heißt, daß die
Absprungbereitschaft vor allem jugendlicher Arbeitnehmer aufgrund der geschilderten
Strukturen als hoch angesehen werden kann. Es läßt sich also vermuten, daß der Bezirk in
verstärkter Weise durch die ‘typischen Probleme’ ländlicher Regionen gekennzeichnet ist,
die hauptsächlich in folgenden Bereichen anzusiedeln sind:
„Arbeitsplätze, Dienste und Einrichtungen sind nicht ubiquitär im ländlichen Raum verteilt,
sondern in Beibehaltung traditioneller Standorte in zentralen Orten bzw. Industriesiedlungen
konzentriert. Durch die Umstrukturierung der Arbeitsplatzsituation in der Landwirtschaft, die
mangelnde Möglichkeit der Abdeckung im sekundären und tertiären Bereich, wird das
47
Arbeitsplatzdefizit des ländlichen Raumes in Zukunft noch größer werden. Daraus ergibt sich
ein weiteres Problem, nämlich die hohe Zeit - Kosten - und Mühebelastungen der Bewohner
für die Befriedigung sämtlicher Grunddaseinsfunktionen, unter denen Arbeit, Bildung, Konsum
und Dienstleistungen aller Art hervorzuheben sind. Genauso wie die Pendelwege im
Durchschnitt länger werden, gilt dies auch für die Bildungs- und Versorgungswege für
Konsumgüter und Dienstleistungen [Zentralisierungstendenzen]“ (Kirlinger 1986, 3). Die
österreichische Raumordnungskonferenz [ÖROK] hat im Jahr 1981 18 Ziele für den
ländlichen Raum formuliert, in denen es darum geht, die dringlichsten Probleme der
ländlichen Regionen darzustellen, um daraus etwaige Handlungskonsequenzen, für die
einzelnen Regionen zu entwickeln. Diese gesteckten Ziele betreffen vor allem die
Problemkreise
Bevölkerungsabnahme,
Arbeitsplätze,
Zersiedelung,
unausgewogene
Einkommensentwicklung in der Land- und Forstwirtschaft, fehlende Infrastruktur und dgl.
„Das wichtigste Ziel für den ländlichen Raum ist sicherlich das Ziel [1] ‘Im ländlichen Raum
soll eine Bevölkerungsabnahme soweit wie mögliche vermieden werden’. Starke
Bevölkerungsverluste beeinträchtigen die Wirtschaftskraft und die Versorgung der
verbleibenden Bevölkerung mit den notwendigen Dienstleistungen und Gütern. Dies führt zu
einer weiteren Verstärkung der Abwanderung“ (Kirlinger 1986, 6f). Dieser Zielformulierung ist
wenig entgegensetzen, vor allem hinsichtlich der Situation des Bezirkes Radkersburg. Die
gesamte Großregion der süd- und südoststeirischen Randgebiete, bietet nach Haller/Höllinger
(1994, 56f) hinsichtlich der Bevölkerungsentwicklung allerdings ein differenziertes Bild.
Gemeinsam ist den Bezirken nämlich eine stark positive Geburtenbilanz, aber eine negative
Wanderungsbilanz. Besonders die gut an das Autobahnnetz angebundenen Bezirke
Hartberg, Feldbach und Leibnitz, können in den vergangenen Jahrzehnten ein trotz der
Abwanderung überdurchschnittliches Bevölkerungswachstum verzeichnen. Vielleicht hängt
die positive Bevölkerungsentwicklung auch mit den relativ
traditionellen Familien- und
Sozialstrukturen zusammen. Man könnte sogar vermuten, daß diese Region trotz der
schlechten wirtschaftlichen Situation hinsichtlich der sozialen Lebensqualität keine Randlage
einnimmt. So hat bspw. der Bezirk Radkersburg trotz seiner zurückgebliebenen, wenig
dynamischen, stagnierenden wirtschaftlichen Situation in den 80er Jahren zwar eine
Bevölkerungsabnahme zu verzeichnen, trotz alledem aber eine relativ geringe. Dies läßt
eventuell den Schluß auf ein niedriges Niveau des ‘sozialen Stresses’ und auf eine hohe
Heimatverbundenheit der Bewohner zu (Haller/Höllinger 1994, 57).
Es kann aber kaum genügen, ländliche Regionen nur nach Kriterien der Einteilung wie sie
Gängler (1990), Gatzweiler (1986) und Haller (1994) vorgeben, zu erfassen. Die spezifische
Beschreibung muß durch jene des ländlichen Sozialgeschehens maßgeblich ergänzt
48
werden. Schließlich läßt sich bereits erahnen, daß auch die unterschiedlichen Kriterien, wie
sie in den raumordnungspolitischen Aspekten angesprochen wurden, einen erheblichen
Einfluß auf das soziale Geschehen und das Leben der Menschen in den Regionen haben
werden.
49
3.3. Begriffsdefinition: Ländliche Räume - Regionen als Lebenswelten
Wenn das Sozialgeschehen der Regionen erfaßt werden soll, ist es hilfreich, von ländlichen
Lebenswelten zu sprechen. In der Auseinandersetzung mit den Menschen, den Bewohnern
der Regionen ist es unumgänglich; „...Regionen als `Lebenswelten´ zu begreifen, die nicht
ausschließlich aus einer ökonomisch determinierten Stellung im Arbeitsprozeß abgeleitet
werden können. Als Bestimmungsmerkmal dieser Umwelt müssen ebenso soziale und
kulturelle Merkmale der individuellen und gemeinschaftlichen Lebensführung herangezogen
werden“ (vgl. Gängler 1990, 23). Daher muß bei einer Auseinandersetzung mit ländlichen
Räumen auch von diesen als Lebenswelt gesprochen werden. Lebenswelt bezeichnet die
alltägliche Wirklichkeitserfahrung eines verläßlichen, soziale Sicherheit und Erwartbarkeit
bietenden, primären Handlungszusammenhangs. Es geht um soziale Zusammenhänge, die
die Grundlage sozialer Handlungen darstellen. Soziale sinnvolle Handlungen, die immer die
Interaktion brauchen, können nämlich nur in einem System funktionieren, welches
intersubjektive Deutungen, Unterstellungen und Nachvollziehbarkeit von gemeinsamen
Symbolen
erlaubt.
Symbole
wären
demnach
Bedeutungsinhalte,
die
von
jedem
Interaktionsteilnehmer gleich interpretiert werden. Lebenswelt ist der Rahmen, in dem sich
soziale Integration vollzieht. Man kann drei strukturelle Komponenten der Lebenswelt
unterscheiden:
• „ Sie enthält den kulturellen Wissensvorrat der Wert- und Deutungsmuster als
gemeinsame Wissensbasis zur Bewältigung der Alltagsbasis.
• Sie stiftet den Hintergrund des Sozialisationsprozesses, der den einzelnen für die
realtiätsgerechte Teilnahme an der Interaktion befähigt, d.h. Lebenswelten stiften
personale Identität.
• Sie stiftet und regelt durch einen Grundbestand fraglos anerkannter Normen soziale
Ordnung und interpersonale Beziehungen“ (Fachlexikon der Sozialen Arbeit 1993, 614f).
Daraus läßt sich das Ergebnis ableiten, daß wir, wollen wir Menschen in ihrem Handeln
verstehen, sie immer im Zusammenhang mit ihrer Lebenswelt betrachten müssen. Leicht
könnte der Eindruck entstehen, daß die Lebenswelt ein festes Gefüge ist, welches dem
Menschen starre Grenzen setzt und ihn in seiner Entwicklung determiniert. Man geht jedoch
davon aus, daß sich die Lebenswelt aus dem Handeln der Menschen konstituiert, somit
permanent produziert, reproduziert und verändert. Um den Menschen als Ganzes
wahrnehmen zu können, müssen wir einerseits seine Lebenswelt betrachten, andererseits
50
ihn selbst in seiner Eigenart und Fähigkeit sehen, diese Lebenswelt in sozialen Interaktionen
zu konstituieren. Darüber hinaus sind die politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen
Prozesse zu berücksichtigen, die auf die Lebenswelt Einfluß nehmen. Wenn es also darum
geht, ländliche Lebenswelten, so wie sie sich jetzt gestalten, zu begreifen, muß auch ein
Bezug darauf hergestellt werden, wie sie sich im Laufe der Zeit verändert haben, um
tradiertes Wissen [Werte, Deutungsmuster, Normen..] offenzulegen, welches eine zentrale
Bedeutung für die Alltagsbewältigung besitzt (vgl. Löffler 1996, 16f).
3.3.1.: Kennzeichen ländlicher Lebenswelten
Der traditionellen Sichtweise folgend kann man davon ausgehen, daß sich ländliche Räume
mit ihren kleinstrukturierten, übersichtlichen Siedlungsformen durch eine relativ einfache
soziale Ordnung auszeichnen. Davon ausgehend hat Planck in seiner „Einführung in die
Land- und Agrarsoziologie“ (1979) spezifische Merkmalsgruppen ‘einfacher Gesellschaften’
wiedergeben, wozu seinen Kriterien zufolge zweifellos ‘ländliche soziale Mitwelten’ zu zählen
sind. Dem lassen sich ländliche Lebenswelten folgendermaßen beschreiben:
− wenig Spezialisierung und Arbeitsteilung
− stark ausgeprägte Verwandschaftsbeziehungen
− Autoritäts- und Statusunterschiede auf Grund des Alters, des Geschlechts und der
Herkunft
− geringe soziale Schichtung und soziale Mobilität
− starke Solidarität und symbolische Ortsbezogenheit
− wenig Außenkontakte und Abweisung von Fremdem
− die Festhaltung an traditionellen Werten und überkommenen Verhaltensmustern
− Verhaltensorientierungen mehr an örtlichen Sitten und Bräuchen als an formalen Gesetzen
− eine unbürokratische Verwaltung
− eine strenge soziale Kontrolle der Handlungen und Äußerungen
− vorwiegend primäre, informelle Gruppen und
− die Gleichförmigkeit des Lebensstils (vgl. Planck 1979, 54).
Wenn auch einige dieser Kriterien stark pauschalierend und überzeichnet erscheinen, haben
sie auch gegenwärtig noch eine Berechtigung. Gerade durch Aufbruchs-, Wandlungs- und
Modernisierungstendenzen ländlicher Räume können diese Zuschreibungen wieder an
Bedeutung gewinnen.
51
Die Lebenswelten ländlicher Räume können aber heute kaum mehr nur in Kategorien
traditioneller, dörflicher Sozialwelten allein beschrieben werden. Die gegenwärtige - moderne
- Lebenswelt des ländlichen Raumes, ist wesentlich davon bestimmt wie der Raum im Zuge
der urban - industriellen Modernisierung ‘aufgegangen’ ist (vgl. Böhnisch/Funk 1989, 112).
Dieser Begriff meint eine „Gestaltveränderung“, d.h. die Durchmischung des Raumes mit
urban - industriellen Einflüssen und seiner daraus resultierenden Gestalt. Im Zuge der
„Urbanisierung“ ist die Stadt zunehmend in das Land hineingewachsen. Spätestens nach
dem Zweiten Weltkrieg ist auch die ländliche Region durch den Prozeß der Modernisierung
tiefgreifend umgestaltet worden (vgl. Stein 1991, 18). In verstärktem Maß wurden und werden
städtische Lebensmuster, Verhaltensmuster und Wertorientierungen auf ländliche Regionen
übertragen (vgl. Lenz 1994, 31).
Aber daraus läßt sich nicht gleich folgern, daß das Land in seinem ‘Eigen-Sinn’ vollständig im
städtischen aufgegangen ist. Neben einer mehr oder weniger auch durchlässigen
Modernisierung des ländlichen Raumes zeigt sich, daß auf dem Land Traditionelles neben
Modernem ständig gegenwärtig ist (vgl. Stein 1991, 19). Teilweise sind gegenwärtige
ländliche Alltagsstrukturen noch jenen Strukturen ähnlich, die wirkten als das Land noch im
Einklang mit der landwirtschaftlich ökonomischen Basis und den adäquaten soziokulturellen
Elementen stand, obwohl heute weitestgehend
ein gänzlich anderes ökonomisches
Fundament herrscht. So sind beispielsweise traditionelle Sinnstrukturen in ländlichen
Regionen nicht einfach abgelöst worden, sondern teilweise lediglich überlagert. „Die
Landbewohner übernehmen zwar zahlreiche urbane Elemente, diese werden aber in diesem
besonderen Sozialgebilde vielfach nur umgeformt“ (Lenz 1994, 131). Böhnisch (1989),
spricht in diesem Zusammenhang von einem „Amalgam“ aus Tradition und Moderne, das zu
einer spezifischen Inkonsistenz der ländlichen Wert- und Sinnstrukturen innerhalb einer
dominanten Moderne führt (vgl. Böhnisch/Funk 1989, 112). Stein (1991, 19) spricht von einem
Verhältnis
der
‘Ungleichzeitigkeit’
zwischen
traditionellen
Verhaltens-
und
Interpretationsmustern und modernen Segmenten. Der Begriff der ‘Ungleichzeitigkeit’
spiegelt in diesem Verwendungsrahmen eine Adaption des Bloch’schen Paradigma’s der
Ungleichzeitigkeit wider, welches besagt, daß das moderne Leben des Landes ein Problem
der widersprüchlichen Koexistenz von entfalteten kapitalistischen und mitgeschleppten
vorkapitalistischen Produktionsverhältnissen und Ideologien ist. Der ideologische Überbau
des Landes wälzt sich wesentlich langsamer um als der Unterbau der technisch ökonomischen Modernisierung (Böhnisch/Funk 1989, 52). Diese Ungleichzeitigkeit oder das
Amalgam aus Tradition und Moderne zeigen sich vor allem in ihren Auswirkungen auf die
Kommunikationsgemeinschaft des ländlichen Raumes, und auf die Lebenslagen der
52
Individuen in den Spannungsbögen einer Ambivalenz und Überforderung durch die
hegemoniale urbane Kultur (vgl. Rudolph 1995, 14).
Generell bringt der ländliche Raum als Lebenswelt für seine Bewohner Chancen und
Eingrenzungen mit sich. Die Lebensbedingungen sind gekennzeichnet von Möglichkeiten der
Infrastruktur,
dem
Freizeitverhalten,
der
Ausbildungs-
und
Berufsorientierung,
der
Bleibeorientierungen und geschlechtsspezifischen Problemen. Ländliche Lebenswelten
eröffnen für Männer und Frauen unterschiedliche Möglichkeiten der Verwirklichung von
Lebensmustern. In der Diskussion bezüglich des Umbruchs und der Modernisierung müssen
deren gesellschaftliche, ökonomische und ökologische Aspekte der Veränderung betrachtet
werden.
Veränderungen im Zuge der Modernisierung zeigen sich vor allem als:
•
Veränderungen der Dorfstruktur
•
Veränderungen der traditionell von der Landwirtschaft geprägten TagesJahresabläufe
•
Veränderungen der Kommunikationsbeziehungen
•
Veränderungen der Zusammensetzung der Dorfbewohner
[altes/neues Dorf mit
seinen Pendlern]
•
Veränderungen im Freizeitverhalten, zunehmend städtisch - kulturelle Orientierung in
der Freizeit (vgl.Rudolph 1995, 16).
Alle diese angesprochenen Veränderungen zeichnen sich dadurch aus, daß, wie bereits
vielfach erwähnt, traditionelle Sinnstrukturen, ländliche Normwelten weitgehend ‘überformt’,
‘überlagert’ und teilweise auch ‘ausgehöhlt’ werden, wobei Aushöhlung in diesem
Zusammenhang die ‘Disfunktionalität traditioneller Integrationsmuster’ bedeutet, Überformung
ein ‘Amalgam moderner, traditioneller Integrationsformen’, Überlagerung die ‘Relativierung der
dörflichen
Orientierung
durch
eine
dorfübergreifende
Regionalorientierung’
(vgl.
Böhnisch/Funk 1989, 206).
Diese Entwicklungsprozesse werden allgemein unter dem Begriff der Modernisierung
zusammengefaßt. Bevor nun auf einige Spezifika gegenwärtiger ländlicher Lebenswelten
eingegangen werden soll, möchte ich kurz charakterisieren, was unter dem Begriff
‘Modernisierung’ verstanden wird.
„Unter Modernisierung versteht man die fortschreitende Anpassung der soziokulturellen
Lebensbereiche an die technisch - ökonomischen Wachstums- und Entwicklungsprozesse
der Industrialisierung. Historisch rückständige Orientierungsmuster und unzeitmäßige
53
Gesellschaftsbilder sollen in ihrem Einfluß abgelöst und eine Entsprechung von industrieller
Wirtschaftsweise und Sozialcharakter hergestellt werden“ (Böhnisch/Funk 1989, 110). In der
Regel läuft dieser Prozeß nicht in abrupten Umformungstendenzen ab, sondern es bilden
sich Mischformen aus, in denen alte Verhältnisse so verändert werden, daß sie in den neuen
Anforderungen aufgehen können. Gerade diese Mischformen sind für ländliche Regionen
typisch (vgl. Böhnisch/Funk 1989, 110).
„Überlieferte kulturelle Orientierungen bestehen neben modernistischen Orientierungen
weiter, Traditionselemente der sozialen Kontrolle, der Nachbarschaft, der Moral und der
dörflichen Öffentlichkeit haben sich oftmals gehalten, obwohl ihnen der ursprüngliche
ökonomische Unterbau und damit ihr historischer Sinn entzogen ist (Böhnisch/Funk 1989,
110). In ländlichen Lebenswelten kann man im Bezug auf den ‘sozialen Wandel’ als ‘sozialer
Wandel als Regel’ sprechen: Wandel als natürlicher Prozeß ist bekannt und sozialer Wandel
im Dorf ist nicht spektakulär, er passiert vielmehr langsam: der einzelne und das Dorf ändern
sich schleichend. Aber die weitergehende Frage nach den Motiven, nach den physischen und
sozialen Kosten blieb oder bleibt unbeantwortet, weil das Nachdenken und das Reden
darüber nicht gelernt wurden, weil es nicht gelernt werden kann, wenn der Wandel selbst zur
Regel wird. Dies wird nicht zuletzt durch die soziale Kontrolle gewährleistet, die als Regel
reibungslos verläuft, wenn das Denken und Reden in ständiger Wiederholung selbst regelhaft
geworden sind. Wandel wird erst als Resultat über einen längeren Zeitraum hinweg
bezeichenbar, zum Faktum. Als Prozeß mit augenblicklichem Vollzug bleibt er unbemerkt.
Das, was in ländlichen Regionen als Reduktion des Zusammenhaltes beklagt wird, ist nichts
anderes als das Wahrnehmen der eigenen Veränderungen, die ihre Interpretation in der
Formveränderung von Institutionen findet (vgl. Brüggemann/Riehle 1986, 137). Die
Lebenswelt ländlicher Regionen ist heute weitestgehend gekennzeichnet durch die
aus
folgenden Punkten entstehende Ambivalenz: „Enge versus Überschaubarkeit; Transparenz
versus Aufeinanderhocken und ständige Beobachtung der Handlungen; Kontrolle versus
Kontaktdichte und Kommunikationslebendigkeit; Öde, Anregungslosigkeit versus Ruhe und
Beständigkeit; Tristesse der Trägheit versus verläßliche Tradition“ (vgl. Bausinger 1987, 26).
54
3.3.1.1. Exkurs: Erklärungsansatz zur Eigenart ländlicher Lebenswelten
Böhnisch und Funk haben versucht, auf dem Hintergrund des Erscheinungsbildes des
ländlichen Amalgams einen Erklärungsansatz für die Eigenart ländlicher Lebenswelten zu
konstruieren. Dieses Modell empirischer Untersuchungen zum Stadt - Land Verhältnis
verwendet nicht mehr das einschlägige Stadt - Land - Paradigma, sondern versucht, diese
klassische Polarisierung mithilfe von Begriffen wie ‘großstädtische Ballung - regionale
Ausdünnung’,
‘räumliche
Verdichtung
-
räumliche
Entleerung’
zu
umgehen
(vgl.
Böhnisch/Funk 1989, 14). Diese neueren ‘Urbanisierungsansätze’ bilden eine These, welche
einen vielschichtigen Zugang zum Spezifikum ländlicher Lebenswelten ermöglicht.
Zunächst wird die Bedeutung der Urbanisierung für die moderne Industriegesellschaft
herausgearbeitet. Im Rahmen der Industrialisierung werden Städte zu zentralen Orten der
Produktion und auch selbst Produktionskraft. Nunmehr werden Elemente des industriellen
Prozesses in ein neues räumliches Verhältnis gebracht. Der städtische Raum vereinigt
kulturelle, ökonomische und soziale Inhalte, die sich gegenseitig in ihrer Nähe aufschließen.
Das bedeutet, daß das Urbane Ort und Zeit der Manifestation von kontroversen Inhalten wird
(vgl.Böhnisch/Funk 1989, 115). Daraus hat sich eine „urbane Dialektik von Konfrontation und
Befriedigung entwickelt, die typische Institutionen und Öffentlichkeiten hervor bringt, in denen
wiederum die ökonomischen, sozialen und kulturellen Widersprüche historisch neu vermittelt
und so urban vergesellschaftet werden“ (Böhnisch/Funk 1989, 115). Diese spezifische sozial
- räumliche Dialektik prägt das urbane Sozialverhalten, womit das Urban - Räumliche zum
signifikanten Kontext der Lebensbewältigung wird. Entscheidend ist dabei, daß in dieser
Dialektik der ‘Raum’ in eine gesellschaftliche Kategorie transformiert wird. „Gegensätze,
Kontraste, Überlagerungen und Nebeneinander treten an die Stelle von Entfernungen, von
Raum - Zeit - Distanzen“ (Böhnisch/Funk 1989, 115). Das Prinzip der Zentralität wird hier
zum herrschenden Sozialprinzip - und zum Vergesellschaftungsprinzip. Durch die allgemeine
Urbanisierungstendenz wird der ländliche Raum zwar städtisch modernisiert, in der Struktur
ist die Dialektik von Konfrontation und Befriedigung des städtischen Raumes aber nicht
enthalten. Die ‘Nähe’ des ländlichen Raums wurde und wird im Vergleich zur urbanen ‘Nähe’
sozial nicht transformiert, sondern bleibt etwas Nicht - Widersprüchliches, Komplementäres,
traditional Nebeneinander - Gesetztes, Widersprüche - Ausgrenzendes“ (Böhnisch/Funk
1989, 115f). Böhnisch und Funk meinen, daß das, was gegenwärtig als Tradition bezeichnet
wird, eher auch als ritualisierter Nachvollzug von Althergebrachtem und einer Form von nicht
vermitteltem Nebeneinander von Altem und Modernem zu verstehen sei (vgl. Böhnisch/Funk
1989, 116). So ist das Alltagsleben der ländlichen Lebenswelt geprägt von einem
55
unzusammenhängenden Nebeneinander alter, traditioneller Formen einerseits und neuer,
moderner Formen andererseits, woraus diese gesellschaftliche Sozialdimension entsteht, in
der die Lebenswelt des ländlichen Raumes vermittelt wird.
Während sich also in städtischen Regionen im Zuge der Industrialisierung spezifische
Verhaltensformen etabliert haben, ist im ländlichen Raum nur ein Nebeneinander und eine
allmähliche Überlagerung alter und neuer Verhaltensformen entstanden. Aus diesem
Spezifikum ländlicher Lebenswelten entstehen Spannungsfelder, die „zum einen auf der
individuellen-physischen Ebene, auf der auch Beziehungsstrukturen und das soziale
Lebensumfeld einbezogen sind , zum anderen auf der strukturell-ökonomsichen Ebene, im
Sinn von gesellschaftlich verursachten Konfliktlagen gesehen werden“ können (Rudolph
1995, 19). Diese Überschneidungsbereiche von individueller und gesellschaftlicher Ebene
drücken sich in spezifischen kulturellen Formen aus. Rudolph (1995), beschreibt dies wie
folgt: „Traditionen und kulturelle Übergänge bleiben in der geschichtlichen Landschaft nicht
einfach als Kulissen oder leere Hüllen stehen. Sie haben ihre eigene soziale Logik, subjektiv
im Sinne ihrer Träger und objektiv, indem sie im Prozeß gesellschaftlicher Entwicklung trotz
ihrer Patina Lebensfähigkeit und offensichtlich auch Funktionstüchtigkeit beweisen. Dahinter
nur ... ländliche Intoleranz gegenüber ökonomisch - sozialen Wandlungsvorgängen und
neuen
gesellschaftlichen
Anforderungen
zu
vermuten,
hieße
die
gesellschaftliche
Perzeptionsfähigkeit ländlicher Lebenswelten entschieden zu unterschätzen. Konservativ und
traditionell strukturiert sind das gesellschaftliche Blickfeld und die Rahmenbedingungen
dörflichen Erfahrens und Lernens - nicht die subjektive Lernfähigkeit und Lernbereitschaft“
(Rudolph 1995, 19).
Im folgenden Abschnitt geht es darum, Charakteristika ländlicher Lebenswelten zu
beschreiben und zu diskutieren, womit der Versuch unternommen werden soll ‘das typisch
Ländliche’ zu erläutern.
3.3.1.2. Das Dorf - Träger der Metapher ländlicher Lebenswelten
Der ländliche Raum kann nicht ausschließlich über eine ausgeprägte Dorfstruktur erfaßt
werden, aber ‘das Dorf’ ist der Sozialisationsort für ‘das Ländliche’. Gegenwärtig wird ‘das
alte Dorf’ durch die ‘ländliche Region’ ersetzt. Trotzdem lassen sich ländliche Lebensmuster,
anhand dörflicher Strukturen anschaulich darstellen. Wenn man nach einer verbindlichen
Definition für das Dorf sucht, wird es relativ schwierig. Einfacher ist es, den Versuch zu
unternehmen, den ländlichen Alltag eines Dorfes in seiner Gewordenheit zu betrachten.
Traditionale Strukturen der Dörfer in Österreich lassen sich in ihrer Entwicklung seit dem
Mittelalter folgendermaßen nachskizzieren: „Das Dorf als selbstverwaltete Wohn-, Lebens56
und Kulturgemeinschaft - Das Dorf als unfreies Untertanendorf im Hoch-, Spät- und
Nachmittelalter - Das Dorf als freie Ortsgemeinde seit der Mitte des 19.Jahrhunderts“ (vgl.
Kirlinger 1986, 8). Die Rahmenbedingungen dörflichen Lebens waren bis weit ins 19.
Jahrhundert geprägt von Armut und Abhängigkeit von feudalen Herrschaftsverhältnissen.
Daraus entwickelte sich ein fast hermetisches ökonomisches und soziales Regelwerk aus
Arbeit und Alltag, welches das Leben weitgehend determiniert hat (vgl. Burger 1996, 29).
Zentrale Fundamente dieser Lebenswelt sind Grund, Boden, Haus und Arbeitskraft, wobei die
Arbeitskraft jedes einzelnen gefordert wurde, und die Arbeitsbereiche einer Arbeitsteilung
nach den Geschlechtern unterlag. Die daraus resultierende Bedeutung der Arbeit, besonders
das Ausmaß der Verschlungenheit von Arbeit und Leben sind charakteristisch für ländliche
Lebenswelten. Brüggemann/Riehle (1986, 177) führen an, daß die Art und Weise der
Produktion alle übrigen Lebensbereiche bestimmte, vor allem auch jene der Reproduktion und
Sozialisation. Das ständige Ringen um die Existenzsicherung ließ wenig Platz für die
Herausbildung individueller Beziehungen und Bedürfnisse. In transformierter Weise sind
diese Strukturen ländlichen Milieus noch heute in der Schwierigkeit enthalten, Gefühle oder
Bedürfnisse zu formulieren, die eigene Situation zu reflektieren bzw. über Alternativen
nachzudenken. Die Bedeutung von Grund und Boden hatte nicht nur eine rein ökonomische
Relevanz, sondern war auch für die soziale Position der Familie innerhalb des Dorfverbandes
von ausschlaggebender Bedeutung. Wer mehr hatte, war angesehener und wichtiger, hatte
‘automatisch’ Macht im Dorf. Leben am Land bedeutete in einer Hausgemeinschaft, d.h. einer
Produktionsgemeinschaft, Konsumgemeinschaft und Besitzeinheit, in patriarchalischen
Strukturen zu leben [vgl. Henkel 1995, 75). Der Einzelne war auf die Solidargemeinschaft
angewiesen, dabei in erster Linie auf die der Familie, in weiterer Folge auf die der
Dorfgemeinschaft. „Die Angst vor Ausgrenzung und Verachtung zwang die Menschen, sich
als arbeitsfähig, funktionierend und normal darzustellen“ (Burger 1996, 30). Jede Abweichung
wurde sofort wahrgenommen. „Inflexibilität, Konfliktunfähigkeit und defensive Grundhaltung
sind Merkmale dieser bäuerlichen Lebensweise. Die Bedingungen und Formen liegen in der
landwirtschafltichen Produktion selber, aus dem regelmäßigen, naturbedingten Ablauf der
Arbeit und aus der permanenten Erfahrung der Abhängigkei, sei es von der Natur, oder sei es
von weltlichen und kirchlichen Herrschern, sowie aus den mit Arbeit und dem Besitz
entstandenen Autoritäts- und Hierarchiestrukturen“ (Brüggemann/Riehle 1986, 225). In
Anbetracht der historischen Bedingtheit des traditionalen Dorfes läßt sich vieles auf die
Gegenwart übertragen, ohne in pauschalierende Feststellungen zu verfallen. Der Rückblick
auf das ‘historische Dorf’ hilft, die Dynamik dieser Lebenswelt zu erfassen. Dennoch ist das,
was ‘das Dorf’ ist, in begrifflicher Hinsicht noch nicht klar, weil es sich hierbei eben um einen
schwer zu fassenden und abzugrenzenden Sozialkörper mit Geschichte handelt. Ähnlich der
57
Verwirrung im Zuge der Definition dessen, was als ländliche Region zu gelten hat, wird auch
hier folgendermaßen argumentiert: Ein Dorf ist eine Siedlung mit bäuerlichem Charakter, die
nicht im Sog einer Großstadt liegt. Es handelt sich hierbei um Siedlungen, in denen die
Landwirtschaft eine klar definierte Bedeutung hat, und dies auch in der Bevölkerungs- und
Siedlungsstruktur zum Ausdruck kommt (vgl. Kirlinger 1986, 21), obwohl die Wohndörfer im
peripheren städtischen Bereich wenig ‘bäuerlichen Charakter’ aufweisen können.
Besser ist es, sich dabei auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu einigen, der ‘das Dorf’
darstellt:
• geringe Bevölkerungs- und Bebauungsdichte,
• geringe Zentralität,
• ursprünglich von der Landwirtschaft geprägt,
• Lage in der offenen Landschaft.
Diese Kriterien lassen sich erweitern durch die Beschreibung der ‘Dörflichkeit’ eines Dorfes:
• geschlossene Siedlungseinheit
• soziale, kulturelle und wirtschaftliche Einheit,
• Einheit im Bewußtsein [subjektive Einheit]
• historische Einheit [Katastral- oder selbständige
Gemeinde].
Dem ist noch hinzuzufügen, daß unter ‘Dorf’ also die soziale und bauliche Einheit zu
verstehen ist, unter ‘Gemeinde’ hingegen die verwaltungsrechtliche Einheit. Vor allem seit den
Kommunalstrukturverbesserungen besteht eine Verwaltungseinheit ‘Gemeinde’ meist aus
mehreren ‘Dörfern’. „Gemeinsam ist diesen Begriffsbestimmungen, daß sie bestimmte
physische Kriterien [Lage ect.] und soziale Kriterien [soziokulturelle Einheit ect.] kombinieren“
(Kirlinger 1986, 21).
Abseits dieser Begriffsmerkmale des ‘Dorfes’ ist der wesentlichste Aspekt jener, daß nach
wie vor die historischen Sinnstrukturen, begründet auf die ökonomisch - landwirtschaftliche
Basis, einen Einfluß auf das ländliche-dörfliche Leben ausüben. Neben diesem Aspekt ist als
wichtigstes Merkmal des Dorfes die Überschaubarkeit zu nennen. Diese erleichtert und
erschwert den Dorfbewohnern gleichzeitig die Teilnahme am sozialen Leben. Die
Überschaubarkeit ist bei einer Zahl von 2.000 Einwohnern, höchstens aber bei 5.000, noch
gegeben (vgl. Kirlinger 1986, 22). Es scheint, daß spezifische Verhaltensmuster in den
sozialen Beziehungen als Residuen der vielfach verschwundenen landwirtschaftlichen Kultur
begriffen werden müssen. Brüggemann und Riehle (1986) schreiben über das Verständnis
58
sozialer Strukturen und Interaktionsformen dörflicher bzw. ländlicher Gemeinschaften
folgendes: „Der Schlüssel zum Verständnis vom dörflichen Eigen - Sinn liegt in der historisch
geprägten Bäuerlichkeit von Dörfern. Sie bestimmte Wahrnehmung, Denken und Handeln,
Kommunikations- und Interaktionsstile ihrer Bewohner. Die bäuerlich Geschichte von Dörfern
ließ eine spezifische Sozialform ‘Dorf’ entstehen, die von ihrer Konstruktion her eine solche
Hartnäckigkeit zeigt, daß sie noch heute in Grundzügen vorherrscht ...“(Brüggemann/Riehle
1986, 17).
Aber: Die ökonomische und gesellschaftliche Basis, die diese Lebenstotalität Dorf
hervorgebracht hat, gibt es nicht mehr. „So richtet sich die Frage nach der gegenwärtigen
dörflichen Identität nicht allein auf die Veränderungen, sondern darauf, daß in diesem Prozeß
(...) sich die Verhaltensweisen sowie die Ziel- und Wertvorstellungen der Bevölkerung- und
damit auch und gerade jene der bäuerlichen Bevölkerungsschicht, gewandelt haben und
weiterhin im Wandel begriffen sind“ (Brüggemann/Riehle 1986, 37). „Überschaubarkeit,
Integration und Identifikation mit der Gemeinschaft des Dorfes verlieren zwar zunehmend an
Bedeutung, Aspekte wie Geborgenheit im sozialen Geflecht einer Gemeinde werden in den
Hintergrund gedrängt, während die traditionell ländliche soziale Kontrolle weitgehend bleibt“
(Böhnisch/Funk 1989, 112). In Gemeinden, die stark von Alteingesessenen geprägt sind, hat
z.B. die Nachbarschaft noch einen hohen Stellenwert. Die Strukturen verändern sich aber
dort erheblich, wo Zugezogene quasi urbane Kommunikationsformen entstehen lassen. Die
alltägliche Kommunikation derer im Dorf [die dazugehören], folgt noch traditionellen Regeln
und Normen dörflicher Öffentlichkeit. Diese Tatsache zeigt schon ein Charakteristikum dieser
Lebenswelten, nämlich die Schwierigkeit im Umgang mit Fremden. Das Dorf macht
dazugehörig, grenzt ein, liefert aus. „Die hohe affektive Besetzung des dörflichen
Sozialsystems, die sich passiv als Dauergefühl des Beobachtetseins äußert bzw.
verinnerlicht hat, führt umgekehrt zu einer leicht mißtrauischen Dauerbeobachtung der
Lebenswelt, eine Einstellung, die stets projektieranfällig ist“ (Ilien 1977, 93).
Ländliche
Lebenswelten
zeigen
in
ihren
sozialen
Kommunikationsstrukturen
eine
Inkonsistenz auf, was übrigens auch ein Schlüsselproblem der sozialen Orientierung im
ländlichen Raum zu sein scheint.
3.4. Ausgewählte Charakteristika ländlicher Lebenswelten
Einen Überblick über das Wesen und das Sein des ländlichen Raums sollen die
nachfolgenden,
sozialen
und
gesellschaftlichen
Bestimmungsfaktoren
geben.
Die
ausgewählten Kriterien haben nicht nur für die vergangene, historische Entwicklung ländlicher
59
Lebenswelten eine Bedeutung, sondern sie sind auch für die gegenwärtige Sozialstruktur von
erheblicher Wichtigkeit.
3.4.1. Soziale Beziehungen in einer ländlichen Lebenswelt -Teile der Sozialstruktur
Das Leben und Handeln in ländlichen Lebenswelten war früher durch eine geschlossene
Kommunikations- und Interaktionsstruktur gekennzeichnet: Die Bewohner orientierten sich an
gemeinsamen Werten und Normen, das soziale Leben spielte sich innerhalb der Gemeinde
ab und die Kirche war noch im eigentlichen Wortsinne im Dorf (vgl. Behringer 1995, 108).
Das Zusammenleben in ländlichen Gemeinden und Dörfern ist durch Kriterien bestimmt, aus
welchen sich die soziale Geltung des einzelnen Dorfbewohners ablesen läßt. Die Kriterien
dieser Zuschreibung sind nicht explizit ausformuliert, sie sind aber existent und werden auch
von allen weitgehend akzeptiert. Zum einen gibt es Kriterien der Zuschreibung, die
traditionellen Vorstellungen entspringen, zum anderen sind es Kriterien, die aus modernen,
urbanen Vorstellungswelten abgeleitet sind. Traditionelle Vorstellungen sind
Alter,
Geschlecht, Familienstand, lokale Herkunft, Besitz von Grund und Boden und die Konfession
einer Person. Moderne Kriterien sind solche, wie die kommunalpolitische Fähigkeiten, eine
Vereinszugehörigkeit oder der Berufserfolg einer Person. Diese, aber auch die traditionellen
Vorstellungen unterliegen dem jeweiligen spezifischen Kontext des ländlichen Milieus.
Generell zeichnen sich ländliche Sozialstrukturen dadurch aus, daß sie eher traditionsgeleitet
sind als städtische. Konkret bedeutet das, daß auf dem Land in gewisser Weise
Geborgenheit in der Tradition herrscht, in der Stadt hingegen eher ständig nach den neuesten
Entwicklungen gelebt wird. Diese tradtitionsgeleitete Orientierung zeigt sich in den
unterschiedlichsten Formen, obwohl natürlich nicht außer acht gelassen werden darf, daß es
auch im ländlichen Bereich starke Tendenzen zur Inidividualisierung der Lebensweise gibt.
Durch die wachsende Heterogenität der Landbevölkerung entsteht ein Pluralismus der
Normen und Verhaltensweisen, Traditionelles und Neues vermischt sich (vgl. Henkel 1995,
65).
• Familie im ländlichen Kontext
Natürlich ist es nicht möglich, von der ‘Landfamilie’ im Gegensatz zur ‘Stadtfamilie’ zu
sprechen.
Die
traditionelle
multifunktionale
und
patriarchalisch
strukturierte
Hausgemeinschaft der Großfamilie ist längst auch am Land von der modernen Kleinfamilie
mit partnerschaftlicher Ausrichtung abgelöst worden. Dennoch haben sich charakteristische
Züge herausgebildet, die bestimmend für Familien sind. Diese Züge sind sicherlich von der
bäuerlichen Geschichte der ländlichen Regionen bedingt (vgl. Brüggemann/Riehle 1986,
143f). Familie bzw. Familienstrukturen sind im ländlichen Kontext nicht nur für den einzelnen
60
bestimmend und identitätsstiftend, sondern sie sind für den ganzen Ort von Bedeutung. Die
einfache Frage ‘Wem gehörst denn Du?’ , dient der Zuordnung und
Einordnung. Die
Zugehörigkeit, d.h. die ‘Abstammung’ von einer bestimmten Familie bedeutet indirekt, nach
wie vor bestimmte soziale Positionen und Verhaltensregeln wahrnehmen zu müssen. „Die
Merkmale, nach denen die einzelnen Menschen in soziale Ränge, Positionen eingestuft
werden, können wie die Herkunft und das Geschlecht angeboren sein“ (Henkel 1995, 66).
Allein schon der ‘richtigen’ Familie anzugehören, kann den Alltag in ländlichen Gemeinden
vereinfachen oder, im umgekehrten Fall, erschweren. Zum deutlichsten Merkmal der
ländlichen Familie gehören die Kinder. Auch gegenwärtig ist es für ‘normale, verheiratet
Lebenspartner’ wichtig, Kinder in die Welt zu setzen. Kinderlosigkeit wird als Mangel
angesehen und nicht selten auch als persönlicher Makel erlebt, weil man immer wieder damit
konfrontiert wird.
Der Begriff der Familie beschränkt sich nicht nur auf die Kernfamilie, sondern ist auf die
verwandtschaftlichen Beziehungen ausgedehnt. Diese sind in ländlichen Regionen noch sehr
intensiv. Die Bedeutung der Verwandtschaft zeigt sich auch daran, daß die volle Integration in
die Dorfgemeinschaft für einen Dorffremden vielfach nur durch eine Einheirat, oder durch die
Bekanntschaft mit einer im Dorf sehr angesehenen, wichtigen Familie möglich ist (vgl. Henkel
1995, 75).
• Geschlechtszugehörigkeit im ländlichen Kontext
Auch gegenwärtig sind die Rollen, zwischen Männern und Frauen eindeutig verteilt. Die
Trennung der geselligen Sphäre wird ebenso wenig hinterfragt wie die Aufgabenteilung zur
Alltagsbewältigung zwischen Männern und Frauen (vgl. Brüggemann/Riehl 1986, 78). Auch
wenn es dem Wunsch vieler Frauen entspricht, mehr am öffentlichen Leben teilzunehmen,
ist das auch heute weitgehend nicht Realität. Ebenso wie ‘einer bestimmten Familie
anzugehören’, ist die Geschlechtszugehörigkeit wichtig für die soziale Rang- und
Rollenpositionierung innerhalb der Gemeinschaft. Soziale Rollen bedeuten konkrete
Verhaltenserwartungen an die Person. Diese können belastend wie auch entlastend sein.
Rollenkonflikte, vor allem hinsichtlich der geschlechtsspezifischen Verteilung, sind auch im
ländlichen Bereich recht häufig, da Wertewandel und Wertepluralismus zu Rollenunsicherheit
und Hinterfragung geführt haben. Besonders junge Frauen, Bäuerinnen, sind nicht mehr ohne
weiteres bereit, den traditionellen Erwartungen zu entsprechen (vgl. Henkel 1995, 65), hat
sich doch häufig die soziale Stellung der Frauen in der Landwirtschaft nicht in gleichem Maße
verändert wie der bäuerliche Betrieb insgesamt. Die mit dem sicherlich gewachsenen
Selbstbewußtsein verwirklichten kleinen Emanzipationsschritte sind an den Preis der
Mehrarbeit geknüpft (vgl. Brüggemann/Riehle 1986, 171). Trotzdem ist es durchaus noch
61
zulässig, die Situation der Frau folgendermaßen zu umschreiben: „Die Frau soll die Familie
aufrechterhalten, aber auch, wenn es sein muß, zum Familieneinkommen beitragen. Dieser
Beitrag zum Familieneinkommen wird aber in der Regel stillschweigend vorausgesetzt, aber
sozial nicht geachtet. Frauen werden durch die Arbeit, bspw. in Fabriken, nicht selbständiger,
sondern, weil sie weniger Zeit haben, weniger im Dorf geachtet und damit in der informellen
Dorföffentlichkeit isoliert und wieder abhängiger“ (Böhnisch/Funk, 1989, 70f). Von Frauen wird
erwartet, daß sie Mitarbeiterinnen im Betrieb sind, bzw. zur Aufbesserung des Einkommens
einer Tätigkeit nachgehen, das allerdings nicht aus Gründen der Selbstverwirklichung. Zu
allererst sollen sie zumindest Ehefrauen, Mütter und Hausfrauen sein. Bernard/Schlaffer
(1979) schreiben: „Frauen sollen Frauen bleiben, zwischen Frauen und Männern gibt es eben
Unterschiede, und das ist auch gut so, und soll auch so bleiben“ (1979, 85). Diese beiden
Autorinnen führen in ihrer Studie (1979) an, daß in ländlichen Lebenswelten vieles durch
Männlichkeit kompensiert werden kann, bspw. Schicht- und Bildungsdefizite. So ist es z.B. in
wirtschaftlich - strukturell benachteiligten Regionen für Burschen/ Männer immer noch
leichter, einen Beruf auszuüben, als für Frauen und junge Mädchen. Die männliche Kultur
gewährleistet als Korrektiv ein spezifisches Priviligierungssystem (vgl. Bernard/Schlaffer
1979, 102), wenn auch Ziele der Partnerschaft und Selbstverwirklichung heute höher bewertet
werden als das traditionelle Patriarchat, das allerdings noch nicht gänzlich nivelliert zu sein
scheint. Böhnisch/Funk (1989, 76) meinen, daß patriarchalisch strukturierte Hierarchien und
die spezifisch ländliche Freiheitsideologie des ‘Auf - Sich - Gestellt - Sein’ in der dörflichen
Tradition eng zusammen gehören und traditional an die Verfügung des Mannes über den
(bäuerlichen) Familienbesitz, über Haus, Hof und Frau gebunden sind. Wenn auch, bedingt
durch den Strukturwandel der ländlichen Räume, dieser Ideologie die sozio - ökonomische
Grundlage entzogen worden ist, leben doch in der ländlichen Sozialwelt diese Einstellungen
als kulturelle Selbstverständlichkeiten weiter. So ist es auch nicht verwunderlich, daß in
dieser kulturellen Selbstverständlichkeit die männliche Dominanz in den Familienbezügen und
in den Gemeinschaften der ländlichen Welt bis heute oft unangetastet bleibt.
• Altersgruppenzugehörigkeit im ländlichen Kontext
Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Altersgruppe, bspw. jener der ‘Jugend’, ist mit den
jeweiligen Erwartungen, Positionierungen und Rollenzuteilungen innerhalb der bestimmten
ländlichen Gemeinschaft verbunden. Albert Ilien stellte in seiner Studie über ein
schwäbisches Arbeiterdorf fest, daß Konfession, Familienstand, Alter, Geschlecht und
Lokalität einen Einfluß auf den Rangplatz der jeweiligen Person ausüben. So wurden in dieser
Studie z.B. Jugendliche, Personen mit zweitem Wohnsitz im Dorf, aber ständiger
Abwesenheit, zugezogene Akademiker und Gastarbeiter ohne Rangplatz eingestuft.
62
Jugendliche sind mit der Haltung des ‘Abwartens’ und ‘Beobachtens’, was aus ihnen wird,
konfrontiert (vgl. Henkel 1995, 67). In dieser Studie von Ilien, nehmen ältere, katholische,
einheimische Ehepaare den höchsten Rangplatz ein. Diese Wertung beinhaltet neben der
Kategorie Alter also noch jene der Konfession, der Lokalität und auch jene des
Familienstandes. Katholisch zu sein, ist
in diesem schwäbischen Dorf von großer
Bedeutung: So sind bspw. ältere, zugezogene, evangelische Ehepaare erst auf dem
sechsten Rangplatz zu finden. An dieser Stelle sei bemerkt, daß diese Studie von
ausgewählten ‘Gewährsleuten’ aus dem Dorf unterstützt wurde.
• Religion im ländlichen Kontext
Wie bereits im vorangegangenen Punkt erwähnt hat Religion im Hinblick auf die jeweils
„richtige“ Konfession einen wesentlichen Einfluß auf die Plazierung einer Person im
Gemeinschaftsverband. Ländliche Religiosität finder ihren Ausdruck in der dörflichen
Alltäglichkeit. „Von besonderer Bedeutung für religiöse Institutionen sind Riten und Bräuche,
geregelte und wiederkehrende Gesten und Handlungen. Im ländlichen Leben spielen religiöse
Riten und Bräuche, die sich vielfach mit weltlichem Brauchtum vermischen, auch heute noch
eine wichtige Rolle“ (Henkel 1995, 77). Manchesmal kann man sich aber des Eindruckes
nicht erwehren, daß viele dieser religiösen Ausdrucksformen nur mehr stattfinden, weil sie in
eine ritualisierte Vergegenwärtigung übergegangen sind, somit ‘ausgeführt’ werden, weil es
immer so war. Religiosität als Sinnstiftung wird durch zwanghafte Aufrechterhaltung obsoleter
Bräuche überlagert. Kirchliche Amtsträger, wie der Pfarrer, der Kaplan, sind in ländlichen
Regionen häufig unbestrittene Autoritätspersonen. Oft sind sie auch aufgrund ihres Amtes
dazu berufen, in anderen Vereinen, bspw. dem Kameradschaftsbund oder der Feuerwehr,
eine Funktion zu übernehmen. Wenn auch mit abnehmender Tendenz, so gelten doch in
vielen Orten der Pfarrer, der Bürgermeister und der Lehrer als Autoritätspersonen. Der
abnehmende Einfluß hierarchischer, traditioneller Strukturen, wie z.B. der Einfluß religiöser
Institutionen auf Personen und soziale Gemeinschaften, geht auch an ländlichen Regionen
nicht spurlos vorüber. „Das Schwinden von Kirchentreue, Gläubigkeit und Frömmigkeit ist
auch auf dem Land zu beobachten; Liberalisierung, Individualisierung und aufgeklärtes
Denken tragen zum Autoritätsverlust der Kirchen bei“ (Henkel 1995, 77).
• Politik im ländlichen Kontext
Die Ausübung einer politischen bzw. kommunalpolitischen Funktion ist zweifellos durch
soziale Komponenten gekennzeichnet. Es darf nicht vergessen werden, daß neben etwaigen
Kompetenzen der positionsinhabenden Person auch die Komponenten der Familie, des
Besitzes und der traditionellen politischen Verpflichtung einer Familie für den Ort eine
63
wesentliche Rolle spielen. Häufig haben männliche Angehörige aus bestimmten Familien
beinahe eine exsitenzielle Verpflichtung, sich für die politischen Belange ihrer Gemeinde zu
engagieren.
Nach wie vor wird vielerorts vielfach die Gesamtheit der lokalen
Führungspositionen von alteingesessenen Bauern- und Handwerkerfamilien gestellt, während
zugezogene, junge Familien, Arbeiter, Angestellte ect. es schwerer haben, sich im
‘Gemeinderat’ eine Position zu erkämpfen.
Ländliche Lokalpolitik ist
traditionell von
Überschaubarkeit, Nähe, Konkretheit und personaler Betroffenheit geprägt (vgl. Henkel 1995,
178).
• Arbeit im ländlichen Kontext
Arbeit hat in ländlichen Regionen einen traditionell hohen ethischen Stellenwert. Arbeit
bestimmt den Wert eines Menschen in der Gemeinschaft und auch für sich selbst, wobei
das, was als Arbeit gilt oder galt, einer spezifischen Betrachtung unterliegt. Arbeit stellte
einen Wert an sich dar, der sich an Fleiß und Arbeitsamkeit messen ließ, jahreszeitlich
vorbestimmt und lebens- und freizeitfüllend war. Aus diesen und anderen historischen
Konnotationen der ‘Arbeit’ ergibt sich im ländlichen Bereich und Sprachgebrauch ein
spezifischer Inhalt (vgl. Scheu 1989, 87). Dreh- und Angelpunkt des Lebens und des
Wertsystems auf dem Land ist die Arbeit, wonach sich der gesamte Lebensrhythmus
ausrichtet.
Wer
arbeitet
entspricht
der
Norm,
Arbeitslosigkeit
gilt
demnach
als
Normabweichung. Diese ‘Normabweichung’, wodurch auch immer sie verschuldet ist, muß
gut getarnt werden: Arbeitslos zu sein heißt nämlich implizit, nicht arbeiten zu wollen und
damit faul zu sein. „Arbeitslosigkeit durchbricht den Kreislauf ‘Arbeit - Besitz - Familie’ und
bedeutet in den Augen der traditionellen Dorföffentlichkeit eine existentielle Bedrohung“
(Behringer 1995, 117). Arbeitsfreie Zeit ist lediglich die lohnarbeitsfreie Zeit, Arbeit auf dem
Land bedeutet, auch in der Freizeit zu schaffen. Gerade für Frauen endet die Arbeit nie, gibt
es, in Haus oder Garten, immer etwas zu tun. Wer wochentags spazieren geht oder in der
Sonne sitzt, macht sich verdächtig, vernachlässigt Haus und Haushalt, ist faul und gibt sich
‘vornehm’. Gesellschaftliche Standards der Freizeitgesellschaft greifen noch nicht wirklich,
die Maxime „leben heißt arbeiten“ ist noch sehr stark verbreitet (vgl. Horstkotte 1985, 54),
obwohl natürlich die eigentliche Arbeit von der Freizeit, dem ‘Schaffen’ in der Freizeit getrennt
wird. Für viele Tagespendler beginnt nach der Arbeit an einer dorffremdem Arbeitsstelle das
‘Schaffen’ in der Öffentlichkeit für das Dorf. Hier wird beim Hausbau, in der
Nebenerwerbslandwirtschaft, im Verein ect. gezeigt, daß man ‘arbeiten’ kann. Die Daseinsund Lebensbewältigung heißt ‘arbeiten’ und ‘schaffen’ (vgl. Scheu 1991, 145).
64
• Das Vereinsleben im ländlichen Kontext
Gruppensoziologisch werden Vereine als formale Gruppierungen bezeichnet, die umso mehr
in Erscheinung treten, je differenzierter eine Gesellschaft ist. „Die Vereine übernehmen
vielfach Aufgaben der Kooperation und der Kommunikation, die sonst in informellen Gruppen
wahrgenommen werden. Sie erfreuen sich auf dem Land größeren Zulaufs als in der Stadt,
weil sie offenbar dem Bedürfnis der ländlichen Bevölkerung nach Selbsthilfe, geselliger
Freizeitgestaltung,
Selbstdarstellung,
Meinungsaustausch
und
dorforientierter
Meinungsbildung entgegenkommen“ (Planck 1979, 107). Das Vereinswesen hat in ländlichen
Regionen eine große Bedeutung für die soziale und kulturelle Integration in das Dorf. Die
Mitgliedschaft
in
einem
Verein
ist
der
Gradmesser
für
das
Sozialprestige
im
Gemeinschaftsverband. Vereine werden als absolute Notwendigkeit betrachtet, die wie jede
andere Arbeit verrichtet wird. Gemünzt auf die Vereine heißt dies nur, daß gesungen, daß
‘gekickt’, und im Jagdverein geschossen werden muß. „Dieses ‘Muß’ ist vom Dorf in seiner
Gesamtheit
zu
erfüllen,
und
gibt
dem
Dorf
insgesamt
Selbstdarstellung“
(vgl.
Brüggemann/Riehle 1986, 70). Das Vereinsleben bietet aber auch eine Ritualisierung in der
zeitlichen Organisation, ein Stück Lebensorganisation, es produziert Orientierungs- und
Verhaltenssicherheit und läßt zumindest in diesem Kontext die soziale Kontrolle nicht wirken.
Für ländliche Vereine ist es charakteristisch, daß Mädchen und Frauen meist nur über die
männlichen Familienzugehörigen aktiv daran
teilnehmen. Namentlich in kleineren
Ortschaften werden erhebliche soziale Zwänge zum Vereinsbeitritt ausgeübt, bestehen
starke traditionelle Bindungen einzelner Familien zu bestimmten Vereinen, erfüllen die Vereine
über ihre eigentlichen Zwecke hinaus wichtige soziale Funktionen und werden Vereinsfeste
zu wahren Dorffesten. Die Gastwirte nehmen einen starken Einfluß auf das Vereinsleben und
auswärtige Auftritte der Ortsvereine werden stets als eine Prestigsache der gesamten
Ortschaft erlebt. Ländliche Vereine geraten allerdings viel häufiger als städtische in
Überlebenskrisen
(vgl. Planck 1979, 108). Diese Überlebenskrisen entstehen vor allem
dadurch, daß man sich unter allzu großer Berufung auf die Tradition des Vereines nicht
flexibel genug auf die zeitlichen Veränderungen einstellt. So passiert es sehr häufig, daß
durch Intervention einiger Vereinsältester auf die Aufrechterhaltung des jeweiligen Vereines
gepocht wird, obwohl etwa aufgrund einer veränderten Erwerbsstruktur oder zurückgehender
Geburtenzahlen [Vereinsnachwuchs] der Verein schon längst seine ‘natürliche’ Legitimation
verloren hat. Aber bevor man den Verein in ‘Würde’ auflöst oder sich zumindest über seine
Bedeutung Gedanken macht, wird mit größter Mühe versucht, das was schon immer so war
zu retten.
65
3.4.2. Die Dorföffentlichkeit - die Dorfgemeinschaft
„Die Dorfgemeinschaft ist ein viel benutzter Schlüsselbegriff für die Gesamtheit der sozialen
Einstellungen und Verhaltensweisen innerhalb ländlicher Siedlungen“ (Henkel 1995, 73). Der
Begriff der Dorfgemeinschaft und die damit verbundenen Thesen der ‘idealen Gemeinschaft’
sind seit langem im Brennpunkt der Kritik, vor allem dann, wenn dieser ‘idealen
Gemeinschaft’ Harmonie, Ruhe und Idylle zugeschrieben wird. Heute ist man sich im klaren
darüber, daß es die Homogenität und Harmonie geprägte Dorfgemeinschaft nie gegeben hat,
sondern daß der dörfliche Alltag aufgrund seiner Übersichtlichkeit und seiner Durchlässigkeit
von Interessensgegensätzen der Bewohner geprägt war und ist (vgl. Henkel 1995, 73). „Hinter
der Fassade einer Gemeinschaft findet man oft zerstrittene Geschwister, rivalisierende
Familien, konkurrierende Vereine und verfeindete Nachbarn. [...]. Kleine Gemeinheiten und
grobe Ungerechtigkeiten gehören ebenso zum ländlichen Alltag wie Nachbarschaftshilfe und
Dorfsolidarität“ (Planck 1979, 138). Ein nach wie vor wesentliches Kennzeichen ländlicher
Lebenswelten ist, daß es in der ländlichen Tradition kaum eine Trennung von Öffentlichkeit
und Privatsphäre gibt. Dorföffentlichkeit und Alltagswelt des Dorfes sind ineinander verwoben,
gehen ineinander über, so daß eher von einer dörflichen ‘Quasi - Öffentlichkeit’ zu sprechen
ist (vgl. Böhnisch/Funk 1989, 208). Gerade diese Öffentlichkeit bildet das Fundament für das
Spezifikum der Dorfgemeinschaft. Das ‘weder-noch’ von Öffentlichkeit und Privatsphäre ist
Grundlage für die Überschaubarkeit und die
Gegenseitigkeit der Verständigung der
Dorfbewohner. Böhnisch/Funk (1989, S.209) spalten diese ‘Quasi-Öffentlichkeit’ in zwei
Bereiche auf: Zum einen in den informellen, alltäglichen Bereich, und zum anderen in den
formellen, manifesten Bereich der Dorföffentlichkeit. Ist der erste Bereich auf die alltägliche
Kommunikation des Miteinander - oder Übereinander-Redens (Tratsch, Gerücht), also, auf
die alltägliche Interaktion beschränkt, so ist der zweite Bereich in den Vereinsvorständen und
kommunalpolitschen Gremien zu finden (vgl. Böhnisch/Funk 1989, 208). Unschwer läßt sich
daraus ablesen, daß in diesem Kontext Frauen eher zu Trägern der informellen Öffentlichkeit
und Männer eher zu jenen der formellen Öffentlichkeit werden. Behringer (1995, 115),
unterscheidet die Dorföffentlichkeit in eine eminente, die ganz von den Männern beherrscht ist
[Dorfpolitik und Vereinsleben], und eine relevante, in der die Fraurn die führende Rolle
innehaben. Ein besonderes Kennzeichen prägt den Bereich der formellen Öffentlichkeit:
Diese wird zwar von Personen repräsentiert, die in die alltägliche informelle Dorföffentlichkeit
eingebunden sind , gleichzeitig aber aufgrund ihrer Funktionen dieser dörflichen
Alltagskontrolle weitgehend entzogen sind (vgl. Böhnisch/Funk 1989, 208). Sowohl die
formelle als auch die informelle Dorföffentlichkeit sind Räume sowohl der sozialen Integration
wie auch der Ausgrenzung, sozialer Kommunikation wie sozialer Kontrolle. Soziale Kontrolle
ist eindeutig informell organisiert und als quasi nachbarschaftliche Kontrolle gewachsen. Zum
66
einen fürchten die Bewohner diese Kontrolle, zum anderen beteiligen sich aber auch alle
daran. Diese informelle oder relevante Dorföffentlichkeit dringt tief in die Privat- und
Intimsphäre des einzelnen ein. Hier entwickeln manche die bekannte Neu - Gier, schielen
hinter dem Vorhang vor oder reden mit Dritten, um auf dem Laufenden zu sein und üben
damit soziale Kontrolle aus.
3.4.2.1. Interaktion in der Dorfgemeinschaft
Eine besondere Bedeutung für die Interaktion in ländlichen Gemeinden haben die
vorhandenen sozialen Netzwerke und die kommunalen Gemeinschaftseinrichtungen. Diese
sind besonders ausschlaggebend für die ländliche Kommunikation, für die Verbreitung von
Neuigkeiten und Neuerungen, für die soziale Kontrolle und für die gegenseitige Unterstützung
und Behinderung (vgl. Planck 1979, 114). Die Dorfgemeinschaft erhält ihren wesentlichen
Zusammenhalt durch die Gemeinschaftseinrichtungen, wie sie Vereine im religiösen,
wirtschaftlichen und kulturellen Bereich darstellen. Diese Strukturen stärken das gesellige,
gemeinschaftsfördernde Element der ländlichen Lebenswelt. Sie dienen der Einbindung in die
Gemeinschaft und zugleich der Selbstdarstellung und Geschlossenheit des Gemeinwesens
mit einem hochdotierten Prestigegewinn. Die sozialen Netzwerke sind im allgemeinen eng
geknüpft und fest geknotet. Die meisten Beziehungen innerhalb ländlicher sozialer Netzwerke
sind lokal, dauerhaft und ständig aktiviert. Ländliche Sozialbeziehungen sind eher diffus als
spezifisch, wobei diffus bedeutet, daß mehrere Interessen dahinter stehen können. Sie sind
relativ intensiv, wobei die Intensität den Grad meint, bis zu dem die Personen bereit sind, die
Verpflichtungen zu erfüllen und die Rechte wahrzunehmen, die in ihrer Beziehung zu anderen
Personen verankert sind. Ländliche Sozialbeziehungen bzw. ländliche soziale Netzwerke
bestehen überwiegend aus verwandtschaftlichen und nachbarschaftlichen Beziehungen.
Soziale Interaktion ist auf der einen Seite durch die gegenseitige Hilfe und Unterstützung in
Notsituationen gekenzeichnet, auf der anderen Seite ist sie durch tiefes Mißtrauen und Neid
dem anderen gegenüber geprägt. Generell erfolgen Interaktionen in Kategorien, nach denen
sich die Einwohner in ländlichen Gemeinden bewerten, in ihrem Antrieb sich sozialen
Gruppen zuzuordnen. Diese Kategorien stehen nicht unbedingt einem rationalen Diskurs
offen. Jeder ist von der Einschätzung und Zuordnung des anderen abhängig. Mißachtet man
diese impliziten Regeln, kann man in die „Fallstricke“ der Dorfbewohner laufen. Aber diese
halb bewußten Spielregeln wie die Kenntnisse von Tabuzonen und Dorfzwängen verlieren im
alltäglichen Umgang an Bewußtsein, bzw. sie werden gar nie richtig bewußt. Bewußt werden
sie vielfach erst, wenn man dorffremd ist oder dem Sozialisationsort Dorf durch andere
Erfahrungen entkommt. Eine wichtige Voraussetzung für den Zusammenhalt der
Dorfgemeinschaft ist die ständige soziale Kontrolle. „Jede Handlung, Äußerung und
67
Gefühlsregung war der unmittelbaren Kontrolle der Mitmenschen ausgesetzt. Diskrepanzen
zu den lokal geltenden Verhaltensmustern wurden sofort registriert und in soziale Sanktionen
umgesetzt, um die Gemeindemitglieder zu normgerechtem Handeln zurückzuführen“,
schreibt
Henkel
(1995,
73)
bezüglich
der
Interaktionsmuster
traditioneller
Dorfgemeinschaften. Obwohl, die restriktiv eingesetzte soziale Kontrolle weitgehend an
Bedeutung abgenommen hat, weil aus den engen, geschlossenen Gemeinschaften offenere
und liberalere Sozialsysteme entstanden sind, ist vieles an der gegeseitigen Interaktion im
Hinblick auf die soziale Kontrolle ausgerichtet. Vor allem in jenen Dörfern, die nicht im
Sogbereich der Verdichtungsräume liegen, in denen das soziale Aufeinandergewiesensein
noch stärker gegeben ist als dort, wo durch die Entwicklung hin zum reinen Wohndorf
Anonymität und Privatheit bereits vorrangig sind.
3.4.2.2. Soziale Kontrolle
Ein Kennzeichen ländlicher Sozialsysteme ist, daß das Verhalten mehr von impliziten
Normen, Sitten, Bräuchen und sozialen Gewohnheiten geregelt wird als von expliztien
Normen
[Gesetzen,
Vorschriften,
Geschäftsordnungen,
Satzungen,
Befehlen]
(vgl.
Planck/Ziehe 1979, 121). Diese impliziten Regelungsmechanismen sozialen Verhaltens
können auch mit ‘Permanenz der sozialen Kontrolle’ beschrieben werden. Durch die soziale
Kontrolle werden jene Regeln durchgesetzt und gesichert, die sich ein ländlicher Lebensraum
auferlegt hat. Planck (1979, 142) meint, daß in einer ländlichen Siedlung jede Handlung, jede
Äußerung und jede Gefühlsregung der unmittelbaren Kontrolle der Mitmenschen unterliegt,
die den Maßstab der geltenden Verhaltensmuster anlegen. Soziale Kontrolle ist im Dorf
überall, an jedem Ort, zu jeder Zeit und fast jeder übt sie aus. Soziale Kontrolle macht die
dörfliche Sozialform unbeweglich. Soziale Kontrolle im Dorf ist nicht räumlich oder zeitlich
begrenzt, der als normal akzeptierte räumliche und zeitliche Handlungsrahmen ist aber
sehrwohl variabel (vgl. Brüggemann/Riehle 1986, 180). Dies führt dazu, daß sich die
Bewohner an dem als Tradition empfundenen Niveau von Normalität orientieren - bewußt
oder unbewußt funktioniert man nach Mechanismen der sozialen Kontrolle. „Die Angst davor,
durch
eigenes
Verschulden
oder
durch
einen
Schicksalsschlag
innerhalb
der
Produktionsgemeinschaft an Ansehen zu verlieren, zwang die Menschen dazu, sich der
Kommunikationsgemeinschaft
des
Dorfes
als
arbeitsfähig,
funktionierend
‘normal’
darzustellen“ (Stein 1991, 21). Dadurch entsteht ein ständiges Gefühl, sich an die Norm des
Dorfes anzupassen, wobei das eigene Verhalten in diesem Prozeß in der dörflichen
Öffentlichkeit ständig adäquat inszeniert werden muß (vgl. Stein, 1991, 22). Diese Anpassung
scheint notwendig zu sein, dem psychischen Überleben innerhalb der Gemeinschaft zu
dienen. Unter diesen Bedingungen wird es schwierig, Auseinandersetzungen zu führen oder
68
Probleme und Konflikte zu benennen, denn das würde bedeuten, sich eigenes Versagen
einzugestehen. Tritt nun ein sogenanntes abweichendes Verhalten auf [Arbeitslosigkeit,
Uneheliches Kind...], muß alles daran gesetzt werden, dieses nicht an die Öffentlichkeit zu
tragen. Was müßig ist, weil diese aufgrund der Enge über dieses ‘Versagen’ längst Bescheid
weiß: Die direkte Problematisierung solcher Sachverhalte findet nicht statt. „Über diese
komplizierten Prozesse bildete sich ein ‘typisch’ dörflich-ländliches Verhältnis von
Öffentlichkeit und Privatsphäre heraus (vgl. Stein 1991, 22). Im Bereich eines sich immer
wieder informell herstellenden Normaltitätsrahmens eines Dorfes ist abweichendes Verhalten
kaum möglich, denn es wird schnell als Bedrohung des dörflichen Lebens eingeschätzt (vgl.
Böhnisch/Funk 1989, 209). Brüggemann/Riehle nennen hierzu drei Bedingungen für die
Entstehung von sozialer Kontrolle:
• ‘Eine besondere Beobachtungsstruktur, die sich an allseitig akzeptierten äußeren
Merkmalen festmacht, z.B. Haus, Garten, Felder, Auto, Kleidung ...’
• ‘eine festgelegte Kommunikations- und Interaktionsstruktur, so wird etwa nicht direkt
gefragt, wenn man über jemanden etwas wissen will...’
• ‘eine psychische Struktur, die nur bestimmte Interessenslagen und dorfbezogene
Orientierungen zuläßt bzw. eingeübt hat ...’ (vgl. Brüggemann/Riehle 1986, 180).
Das heißt, daß durch die typische dörfliche Beobachtungs-, Kommunikations- und
Interaktionsstrukturen, die sich in Verhaltensweisen wie ‘hinter dem Vorhang vorschielen’,
‘Dritte befragen’ und ‘Informationen an Dritten’ weitergeben, ausdrücken, der Mechanismus
der sozialen Kontrolle bestens gesichert ist (vgl. Behring 1995, 111). Ausgenommen von
dieser sozialen Kontrolle ist niemand, nicht einmal die „Fremden“, als welche in der Regel die
neu Zugezogenen wahrgenommen werden. Soziale Kontrolle setzt Information voraus.
Informationsbeschaffung geschieht öffentlich und doch heimlich, und im häufigsten Fall
unbewußt. Soziale Kontrolle wird nur in wenigen Fällen als lästig empfunden. Ihr zu
entsprechen bedeutet mehr Genuß als der Verstoß gegen sie. Wer der sozial kontrollierten
Regel genügt, wird akzeptiert, wer aneckt, hingegen leicht als Außenseiter deklariert.
Außenseiter wiederum sind nötig, um sich abgrenzen zu können. Diese spezifischen
Bedingungen entstehen auch infolge des dichten sozialen Netzwerkes ländlicher
Lebenswelten, in welchen jeder über jeden und über jedes Ereignis eine öffentliche Meinung
bilden kann. Die dörfliche Meinung ist funktional etwas ganz anderes als die hauptsächlich im
Gespräch und in der allgemein vorgeschobenen Diskretion praktizierte Meinungsbildung. Kern
dieser Meinungsbildung im Dorf ist das Gerede. Das Gerede oder Getratsche erfüllt für das
Dorf wesentliche Funktionen:
69
Die mitmenschliche Anteilnahme und die wechselseitige Beaufsichtigung, was einen
gewissen Schutz für das Individuum, aber vor allem die Verhütung von für das soziale
System schädlichen Handlungen bedeutet (Planck 1979, 142).
Die Angst vor dem Gerede und der Kontrolle der Mitmenschen ist vielleicht die wichtigste
Triebfeder ländlicher Verhaltensanpassung. Den Menschen scheint es ‘in Fleisch und Blut’
übergegangen zu sein, sich bei jeder Handlung und Entscheidung zu fragen: „Was werden
die Leute dazu sagen?“ Man versucht, sich vor dem „Ins-Gerede-Kommen“ auf bestimmte Art
und Weise zu schützen: Durch Verstellung und Verheimlichung. Dort, wo man der
Öffentlichkeit ausgesetzt ist, tut und redet man so, wie es erwartet wird. Mißbilligende
Handlungen geschehen in aller Heimlichkeit. Aber nichts wird im Dorf so übelgenommen wie
Heimlichtuerei, weil das System der sozialen Kontrolle damit unterlaufen wird. Eine andere
Möglichkeit, sich vor dem Gerede zu schützen, ist jene, sich selbst am Gerede zu beteiligen,
in der Hoffnung, die Furcht vor seiner spitzen Zunge werden die anderen davon abhalten, ihn
selber ins Gerede zu bringen (vgl. Planck 1979, 143). Die Normierung durch Sitte und
Brauch, die soziale Kontrolle durch die öffentliche Meinung und Gerede und die Angst, seinen
guten Ruf zu verlieren, ergänzen sich zu einem Mechanismus, der das soziale System
ländlicher Siedlungen stärkt, das individuell - persönliche Leben, vor allem Jugendlicher und
Frauen, aber erstickt (vgl. Planck 1979, 143). Soziale Kontrolle unterscheidet nicht zwischen
Privatsphäre und Öffentlichkeit; im Gegenteil, gerade das Familienleben unterliegt ihr
besonders. Der private Bereich ist der eigentlich interessante, gerade weil er nicht immer
offenen Zugriff gewährt, andererseits aber fast überall gleich aussieht, so daß aus wenigen
Informationen auf ein ganzes Bild geschlossen werden kann. Soziale Kontrolle wird durch
einen internalisierten und damit allseits akzeptierten Kommunikations- und Interaktionsstil
begründet und tagtäglich bestätigt, wobei dieser als allen gemeinsamer gar nicht so sehr der
Meinungsmacher bedarf. Soziale Kontrolle prägt Handeln und Verhalten. Das Dorf als
Lebenszusammenhang ist nicht nur Sozialisationsinstanz und Identitätsstifter, indem es
Zusammenhang und Einheit bietet und seine Bewohner mit einem ausgrenzenden
Selbstbewußtsein ausstattet. Für das Leben im Dorf bringt dieses Bewußtsein darüber
hinaus eigene Wahrnehmungs- und Verhaltensstrukturen mit sich (vgl. Brüggemann/Riehle
1989, 184).
Die soziale Kontrolle des Dorfes und im Dorf ist vor allem ein Ausdruck des Bedürfnisses
nach Regelmäßigkeit und Form angesichts existentieller Unsicherheit. Dem einzelnen bietet
die soziale Kontrolle Selbstbewußtsein, wo keines ist. Sie gewährt soziale Sicherheit,
Kommunikation und Handlungsorientierung. Nur jemand, der anders lebt, ist immer
‘verdächtig’. Ausbruchsversuche, z.B. Jugendlicher werden zumeist mit scheinbarer
Nichtbeachtung gestraft, wenn aber der Jugendliche sich nach einiger Zeit wieder im Dorf
70
blicken läßt, dann wird alles aus seinem Privatleben und seinem Beruf transparent bzw. man
hat sich bereits ein Bild davon gemacht und braucht gar nicht mehr die Mühe aufzubringen,
den anderen zu verstehen.
„Im Strukturwandel des dörflichen Zusammenlebens - vor allem durch die demographischen
und sozialen Umschichtungen, die Trennung und Auslagerung der verschiedenen
Lebensbereiche,
die
Dorföffentlichkeit
in
Assimilation
ihrer
urbaner
Kontroll-
und
Lebensformen,
wurde
die
Kommunikationsgegenseitigkeit
alltägliche
weitgehend
ausgedünnt und überformt. Dörfliche Kontrolle ist heute vielerorts ihrer Verbindlichkeit und
Sanktionsfähigkeit verlustig gegangen“ (Böhnisch/Funk 1989, 209).
3.5. Zusammenfassung: Lebensbedingungen in ländlichen Regionen
Anhand zweier wesentlicher Punkte lassen sich die Lebensbedingungen in ländlichen
Regionen zum gegenwärtigen Zeitpunkt beschreiben: Auf der einen Seite herrscht ein
Nebeneinander von Auswirkungen eines weiter fortschreitenden extremen Strukturwandels in
der Land- und Forstwirtschaft, der vormaligen ökonomischen und sozialen Basis in den
ländlichen Regionen, auf der anderen Seite findet man nach wie vor eine Konstanz der
gewachsenen sozialen und normativen Strukturen (vgl. Fröhlich-Gildhoff 1995,120). Der
Struktur- und Funktionswandel in der Landwirtschaft hat seit dem Ende der 50er Jahre zu
einer steigenden Arbeitsplatznachfrage in nichtlandwirtschaftlichen Bereichen des ländlichen
Raums geführt. Die geringe Möglichkeit der Abdeckung des Bedarfs an Arbeits- und auch
Ausbildungsplätzen hat aufgrund von Standortabwanderungen zu einer verstärkten
Pendlerbewegung in die Agglomerationszentren der Großstädte bzw. der Verdichtungsräume
geführt. Ländliche Räume sind vor allem in peripheren Regionen durch diese Prozesse
zunehmend mit dem Problem der Abwanderung der jüngeren Generationen und damit der
Überalterung ihrer Bevölkerungsstruktur konfrontiert. Ländliche Regionen in der Nähe von
Städten und Verdichtungsräumen erhalten verstärkt die Funkion von Wohn- Schlafdörfern.
Kulturelle
und
soziale
Iniativen
werden
dadurch
weitgehend
vernachlässigt.
Im
Zusammenhang mit der Überalterung der Bevölkerung und der qualitativen Aushöhlung des
Erwerbspotentials
durch
die
Abwanderung
der
Jüngeren
kann
man
von
einer
Verschlechterung der Qualifikationsstruktur des Arbeitskräfteangebotes und zum Teil auch
von einem Sinken der Eigeniniative der Bevölkerung sprechen. Die Abwanderung der
Bevölkerung, wenn auch nur allmählich bemerkbar, hat neben dem qualitativen auch einen
quantitativen Aspekt: Der Bevölkerungsverlust übt in seiner quantitativen Dimension vor allem
auf die geringe Auslastung der noch vorhandenen Infrastruktureinrichtungen Einfluß aus. Dies
führt zu einer Verteuerung und Verschlechterung der Infrastrukturangebote und zu einem
Sinken der Wohnattraktivität. Beide Aspekte führen wiederum zu einer abnehmenden
71
Attraktivität für Investitionen, was mangelnde Arbeitsplatz- und Ausbildungangebote in den
Regionen zur Folge hat (vgl. Kirlinger 1986, 26f). Der Strukturwandel mit seinen quantitativen
und qualitativen Folgen für die Bevölkerung der ländlichen Regionen hat zu einer generellen
Orientierungskrise beigetragen. Denn nach wie vor sind die in jahrhundertelanger Tradition
des bäuerlichen Lebens gewachsenen Werte und Normen von Bedeutung. Besitz, Eigentum,
Arbeit und Familie sind mit hohen ethischen Wertvorstellungen gekoppelt. Um ein eigenes
Haus zu erwerben und zu erhalten, gehen Familien noch immer ökonomische und soziale
Bindungen und Verpflichtungen ein, die oft ein Leben lang bestehen. Der Zusammenhalt der
Familie ist noch von wesentlicher Bedeutung: Die Traditionen und Normen innerhalb der
Familie stehen über individuelle Bedürfnissen und Autonomiebestrebungen. Ebenso ist die
zwar ihrer ökonomischen Grundlagen beraubte soziale Gemeinschaft des Dorfes durch
Hierarchien und Normen bestimmt. Der einzelne muß sich den Normen fügen; Richtschnur
für das Handeln ist das, ‘was die Leute sagen’. Im Bereich der Freizeit und des geselligen
Zusammenlebens sind die Möglichkeiten vor Ort zunehmend qualitativ eingeschränkt. Neue,
durch die Medien vermittelte Aspekte sind hinsichtlich ihrer Realisierung nur schwer möglich.
Viele ländliche Regionen haben im Zuge der Umstrukturierungen an sozialer und politischer
Eigenständigkeit verloren. Gebietsreformen haben wichtige Verwaltungsbereiche nach außen
verlagert. Kennzeichnend für das Leben in einer ländlichen Region ist, daß ‘Entfernungen’ das
Leben prägen, die überbrückt und bewältigt werden müssen. Gelingt dies nicht, bleibt man in
seinen Lebens- und Entfaltungsmöglichkeiten
eingeschränkt (vgl. Fröhlich-Gildhoff 1995,
120f).
Im dritten Teil der Arbeit geht es darum, zu fragen, wie sich die Lebensituation Jugendlicher
in ländlichen Regionen unter den geschilderten Bedingungen gestaltet. Überliefertes und
Traditionelles scheinen sich aufzulösen und dennoch anzudauern. Die Wirkung dessen, ‘was
immer so war’, ist nicht mehr von wesentlicher Bedeutung, weil nicht mehr von allen geteilt:
Man ist selbstbestimmter und will gestalten. Dennoch bildet das Dorf und die ländliche Region
ein in seinen Wirkungen wahrnehmbares Sozialisationsfeld. Stärker als in städtischen
Lebensmilieus übt das ländliche einen Einfluß das Leben des Einzelnen aus (vgl. Knufmann
1993, 143f).
72
4. Lebenslage Jugendlicher in ländlichen Regionen
4.1. Gedankliche Annäherung an den Diskussionsgegenstand
Im folgenden Teil der Arbeit möchte ich mich mit unterschiedlichen Aspekten der Lebenslage
Jugendlicher in ländlichen Regionen auseinandersetzten. Finden wir im ersten Kapitel einen
mehr oder weniger globalen Zugang zur Jugend ‘an sich’, so geht es in diesem Teil der Arbeit
um die Frage, ob sich Jugendliche ‘auf dem Land’ in ihrer Lebensbewältigung und ihren
Alltagshandlungen wirklich mit ‘Zwischenwelten’, d.h. einem Konglomerat aus traditionellen
und modernen Lebensbezügen beschäftigen und arrangieren müssen, oder ob sich
Unterschiede zu Jugendlichen in urbanen Gebieten nicht überhaupt auflösen.
In der Literatur zu diesem Thema stößt man immer wieder auf die Hypothese, daß die
Lebenslage von Jugendlichen in ländlichen Räumen durch ein weitgehend unvermitteltes
Nebeneinander
von
traditionellen
Wertorientierungen,
gesamtgesellschaftlichen
Modernisierungsleitbildern und massenmedial vermittelten Stilen der Jugendkultur geprägt
sei. Dem kann grundsätzlich nichts entgegengesetzt werden, scheint doch das Leben jedes
einzelnen gegenwärtig von
Vielfalt gekennzeichnet zu sein. Das Besondere an der
Lebenslage Jugendlicher auf dem Land scheint jedoch jener Umstand zu sein, daß sie sich
nicht
nur,
wie
andere
Jugendliche,
mit
sich
immer
schneller
verändernden
Lebensbedingungen arrangieren müssen, sondern daß sie nach wie vor in traditionelle
Vergemeinschaftungsformen eingebunden sind, die unter konkreten Lebensbedingungen oft
gar keine Berechtigung mehr haben und nicht mehr erklärlich sind. Jugendliche auf dem Land
leben in einem Wechselverhältnis von gesamtgesellschaftlichen Individualisierungstendenzen
und regional gebundenen, traditionell orientierten Kulturidentitäten (vgl. Burger 1996, 42). Ich
würde sogar so weit gehen und behaupten, daß Jugendliche, bedingt durch Erfahrungen mit
anderen sozio-kulturellen Bezugswelten außerhalb des ländlichen Sozialmilieus, mit einer
hohen Sensibilität die in vielen Bereichen weitgehend ausgehöhlten traditionellen
Lebensbezüge des ländlichen Milieus durchschauen und in Frage stellen. Aus dieser
differenzierten Sicht des eigenen Sozialmilieus, verglichen mit der Erwachsenenwelt,
ergeben sich gänzlich unterschiedliche Bedarfslagen der Jugendlichen. Auf diese
Unterschiede wird im ländlichen Alltag häufig nicht eingegangen, weil dafür weitgehend kein
Platz zu sein scheint. Daraus können Schwierigkeiten im Sinne eines „nicht - koordinieren Könnens“ der unterschiedlichen Kultureinflüsse entstehen, vor allem deswegen, weil die
Jugendlichen sehr wohl in der Lage sind, den modernen ländlichen Alltag mit seinen
Spannungsverhältnissen zu erfassen. Dieser befindet sich im Brennpunkt von Spannungen
73
zwischen Tradition und Moderne, von territorialen Spannungsverhältnissen zwischen Dorf,
Region und Stadt, zwischen Mobilität und Dorfverbundenheit, und gerade bei Jugendlichen
zwischen dörflicher Erwachsenenorientierung und der Teilhabe an regionalen und
städtischen Jugendkulturen (vgl. Burger 1996, 42). Das Wahrnehmen dieser Spannungen
wird aber nicht thematisiert, weil man damit, so scheint es, Gefahr laufen würde, eine
mühsam aufgebaute ‘ländlichen Idylle’ zu zerstören. Ein anderer Punkt, der nicht außer Acht
gelassen werden darf ist jener, daß Jugend als eigenständige Lebensphase auf dem Land
auch heute noch nicht vollständig anerkannt ist. Vor allem Jugendliche und junge
Erwachsene, die aufgrund ihrer Bildungs- und Lebensbiographien im Lauf des zweiten
Lebensjahrzehnts
nicht
den
landläufig
Erwachsenenstatus erreicht haben,
üblichen
‘normalen’
Übergang
zum
werden beargwöhnt und sind schlicht und einfach
marginalisierungswürdig.
Bevor ich auf spezifische Aspekte der Lebenssituation Jugendlicher in ländlichen Regionen
eingehe, scheint es mir wichtig einen Überblick über die Bedeutung der Landjugendforschung
im Kontext er Jugendforschung zu geben.
4.2. Die Bedeutung der Landjugendforschung im Kontext der Jugendforschung - Ein
Überblick
Böhnisch/Funk
(1989,
15),
betiteln
ein
Überblickskapitel
zur
Geschichte
der
Landjugendforschung mit „Eine Jugend, die gelernt hat zufrieden zu sein“. Und tatsächlich ist
es zulässig, dieses Bild auf die Präsenz in Jugendstudien zu übertragen. Die Situation
Jugendlicher in ländlichen Regionen wird in Jugendstudien kaum explizit analysiert: Es
existieren wenig aktuelle, vor allem aber kaum österreichische Studien über die
Lebenssituation und -führung Jugendlicher des ländlichen Raumes. Dies hat sicherlich damit
zu tun, daß urbane Lebensgebiete einfach ein Mehr an Gestaltungsmöglichkeiten und
augenscheinlicher Diskussionsfläche bieten. Ländliche Jugend wird nach wie vor mit
idealisierenden Attributen versehen und dem Bild der Idylle angepaßt, das der ländliche
Raum der großstädtischen Vorstellungswelt zu tragen hat. Dabei wäre es aber von größtem
Interesse, sich mit der Situation dieser Jugendlichen auseinanderzusetzen; gerade an ihnen
als Kristallisationspunkt lassen sich die Schwierigkeiten der Lebensphase Jugend und
gleichzeitig die bedingt durch strukturelle Veränderungs- und Modernisierungsprozesse der
letzten Jahre bedingten Schwierigkeiten des ländlichen Raumes ablesen.
Einen wesentlichen Beitrag zur Erfassung der Lebenslage Jugendlicher in ländlichen
Lebensräumen leistet das Deutsche Jugendinstitut in München (DJI). Zahlreiche
Veröffentlichungen dieses Institutes beschäftigen sich eingehend mit der Situation dieser
74
Jugendgruppe, aber auch mit der Tradition der Jugendforschung, im besonderen mit jener der
Landjugendforschung. Im folgenden soll ein kurzer Überblick - ausgehend von der Weimarer
Zeit
bis
zur
gegenwärtigen,
sozialpolitisch
motivierten
Forschungsperspektive
der
Jugendforschung - gegeben werden. In Österreich bewegen sich Untersuchungen zur
Situation von Jugendlichen ländlicher Regionen im theoretischen Bezugsrahmen der
Jugendsoziologie,
der
Gemeindeforschung,
aber
auch
im
Referenzfeld
der
Regionalforschung (vgl. Kàràsz/Rögl 1988, 539).
• Die Landjugendforschung der Weimarer Zeit
Dieser Teil der Jugendforschung war, wie generell Jugendforschung dieser Zeit, der
entwicklungspsychologischen Forschungstradition untergeordnet. Den Jugendkundlern der
Zeit ging es in ihren Studien vor allem darum, die personellen Entwicklungsmöglichkeiten des
Jugendlichen im allgemeinen, und in der speziellen ländlichen Umgebung zu erfassen. So
richteten sich beispielsweise Untersuchungsziele nach folgenden Fragen aus: „Kann sich im
ländlichen Raum eine eigenständige jugendliche Persönlichkeit im Sinne der kulturpubertären
Entfaltung entwickeln?“ oder „Wie dringen städtsche Lebensformen auf das Land vor und
was bedeutet das für die Eigenarten des Landjugendlichen - Erwachsenenzentrierung,
Naturbezug, Konfliktlosigkeit des Generationsverhältnisses?“ (Böhnisch/Funk 1989, 16). Die
jugendkundliche Forschung dieser Zeit ist eindeutig durch die kulturpessimistische
Sichtweise der Stadt charakterisiert, der eine Idealisierung des ländlichen Raumes zu Grunde
liegt und die mit Hilfe empirisch beobachtbarer soziologischer Gesichtspunkte auch die
Eigenart des ländlichen Raumes im Gegensatz zum städtischen beschreibt (vgl.
Böhnisch/Funk 1989,19). Eine Frage die bereits in den 20er Jahren mit großem Nachdruck
gestellt
wurde
und
auch
heute
im
Zusammenhang
mit
gesellschaftlichen
Modernisierungstendenzen heftig diskutierte wird, war jene nach dem Einfluß der urban
gesteuerten Modernisierung der Gesellschaft auf die Entwicklung des Stadt-LandVerhältnisses.
Diese
Fragen
richtete
sich
vor
allem
darauf
ob
es
durch
die
Modernisierungstendenzen zu einer Stadt-Land-Nivellierung kommen wird oder ob es dem
Land gelingen wird, auch mit zunehmenden modern-technisierten Einflüssen die kulturelle
Eigenart und Identität zu bewahren (vgl. Böhnisch/Funk 1989, 19). Die Jugendkundler der Zeit
versuchten im Bereich der Landjugendforschung der Frage nachzugehen, ob es im Zuge der
urban-industriellen Nivellierung zu einer Überlagerung oder Auflösung der „ländlichen
Eigenart“ der Lebendbewältigung kommt, oder ob es den Jugendlichen gelingt, diese
„Eigenart“ zu bewahren. Hier stellt sich natürlich die Frage, was als ländliche Eigenart
operationalisiert werden kann.
75
Böhnisch/Funk (1989, 22) geben zu bedenken, daß - obwohl die Jugendkunde der Zeit sehr
gut in der Lage war, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu erfassen - an anderer
Stelle Mängel herrschten: Dort, wo es darum ging, das ‘Jugendgemäße’,
d.h. die
‘Eigengesetzlichkeiten der Jugend’ zu erfassen, hätte wenig Sensibilität bestanden. Es ist den
Jugendkundlern nicht gelungen, die ersten Anzeichen der sozialen Freisetzung auch der
ländlichen Jugend der 20er Jahre zu erheben. Dieser Umstand könnte auch der Tatsache
zugeschrieben werden, daß dem Forschungsanliegen noch „keine Sozialisationstheorie
zugrundegelegt war, welche auf diese Prozesse der sozialen Freisetzung aufmerksam
machen konnte“ (vgl.Böhnisch/Funk 1989, 22).
Mit dem städtischen Einfluß auf das Land hat sich vor allem der Wert bzw. die Bedeutung der
Bildung und der Berufsorientierung wesentlich verändert. Besonders für die männliche
Jugend eröffnete die Installierung ländlicher Fortbildungseinrichtungen neue Möglichkeiten, es
entstanden neue Berufsorientierungen und es kam darüber hinaus auch zu einer Entdeckung
neuer Lebensmodelle und Orientierungen. So gibt es starke Hinweise dafür, daß diese neue
Berufsorientierung der Jugendlichen mit der traditionellen Arbeitsorientierung des ländlichen
Raums in Konflikt geraten mußte, die zwischen Arbeit und Leben keinen Unterschied sah
(vgl. Böhnisch/Funk 1989, 23). Der städtische Einfluß brachte somit nicht nur eine andere
Arbeitseinstellung sondern auch eine neue Lebenseinstellung mit sich. Diese wiederum
brachten die Möglichkeit von sozialer Selbstständigkeit und Abgrenzung gegenüber der
traditionellen Erwachsenenwelt der ländlichen Lebensgemeinschaft zu erlangen. Es
zeichnete sich also die Entwicklung eines eigenen ländlichen Jugendstatus ab, den es bis
dahin traditionell nicht gab.
Die Jugendforschung der 20er Jahre arbeitete vorwiegend mittels beschreibender und
verstehender Methoden. Es ging dabei hauptsächlich, um ein reines Nachvollziehen der
beobachtbaren Vorgänge: Man versuchte, die Lebensäußerungen der Jugendlichen aus
ihrem Lebenszusammenhang heraus zu deuten und damit auch in ihrer Tendenz zu
objektivieren (vgl. Böhnisch/Funk 1989, 25).
Bis zu den 50er Jahren gibt es eine Lücke in der Tradition der Landjugendforschung. Der
Grund liegt darin, „daß in der nationalsozialistischen Ära die jugendkulturell orientierte
Tradition der pädagogischen Landjugendforschung, abgebrochen ist“ (Böhnisch/Funk 1989,
16). Ursachen dafür sind in den historischen Tatsachen der Zeit zu suchen. Mit dem Jahr
1933 ist in Deutschland die gesamte Dorfjugend fast automatisch in die Hitlerjugend
76
übergegangen. „Diese Rekutierung der ländlichen Jugend für die Hitlerjugend schien
einfacher gewesen zu sein als im städtischen Bereich“ (Böhnisch/Funk 1989, 16); vermutlich
deswegen, weil Dorf- bzw. Landjugendliche in Jahrgangskameradschaften eingeteilt waren.
Der
Nationalsozialismus
brachte
eine
Transformation
des
Jugendstatus
in
eine
alltagstotalitäre Organistationsform mit sich, die sich leicht in den Dörfern verankern konnte.
Parallel dazu gab es eine starke Tendenz großstädtische Lebensformen und damit auch
jugendkulturelle Bezüge zu denunzieren. „Die ideologische Verneinung subkultureller
Lebensformen
führte
jugendpädagogische
gleichsam
zu
Suchbewegung
einem
nach
Forschungsverbot,
der
somit
jugendkulturellen
wurde
die
Besonderheit
der
Landjugend abgeschnitten“ (Böhnisch/Funk 1989, 16).
• Landjugendforschung in den 50er Jahren
In den 50er Jahren kam zu einer Gabelung der Landjugendforschung. Einerseits wurde die
entwicklungspsychologische Forschungslinie weitergeführt, andererseits wurde verstärkt mit
einstellungs- und verhaltensorientierten, repräsentativen Forschungslinien gearbeitet. Diese
Entwicklung ist vor allem vor dem Hintergrund des Strukturwandels des ländlichen Raums
und der veränderten Zusammensetzung der ländlichen Bevölkerung, damit auch der
Jugendszene, zu sehen (vgl. Böhnisch/Funk 1989, 17).Die Intention der Forschung lag darin,
die Auswirkungen der allgemeinen Erosion der dörflichen Integrationsmuster im Zuge der
urban-industriellen Überformung und Durchdringung des ländlichen Raums auf die
Jugendphase zu beschreiben (Böhnisch/Funk 1989, 36).
Eine
wesentliche
Veränderung
entwicklungspschologische
Bezugsmomenten
und
gab
es
vor
Betrachtungsweise
soziologischen
allem
und
Methoden
dahingehend,
Methodik
mit
verknüpfte
daß
man
die
sozialstrukturellen
und
erweiterte
(vgl.
Böhnisch/Funk 1989, 17). Nicht mehr die Entwicklung der Persönlichkeit und des Charakters
der Landjugend in ihrer Lebenswelt stand nun im Mittelpunkt des Interesses sondern
vielmehr die Bewältigung des veränderten ländlichen Alltags vor dem Hintergrund der sich
veränderten ländlichen Sozialstruktur.
So
ist
beispielsweise
auch
das
Forschungsinteresse
der
ersten
der
drei
Repräsentativuntersuchungen von Ulrich Planck über die Situation Jugendlicher in ländlichen
Regionen in den 50er Jahren rund um die Einschätzung angelegt, ob die Jugend bei den sich
abzeichnenden ökonomischen und sozialen Entwicklungs- und Umwälzungsprozessen
‘mitkommt’ oder nicht (vgl. Böhnisch/Funk 1989, 49). Ulrich Planck (Planck/Wagner 1957,
77
180) beschreibt die Situation der ländlichen Jugend, insbesondere der bäuerlichen Jugend,
als Lebenssituation in einem Spannungsfeld zwischen überlieferten Lebensformen und
Leitbildern der industriellen Gesellschaft (vgl.Planck/Wagner 1957, 49). „Die ländliche Jugend
befindet sich in dem Spannungsfeld zwischen Lebensformen der vorindustriellen
Gesellschaft und der Sozialnormen der industriell-bürokratischen Gesellschaft, die sie als
gültig anerkennt“ (Planck/Wagner 1957, 180). Planck stellt in diesem Zusammenhang auch
die Forderung auf, man müsse den Jugendlichen den Übergang von den alten zu den
erstrebten neuen Gesellschaftsformen erleichtern. Es geht nicht nur darum die städtischen
Formen nachzuahmen: Vielmehr soll aus diesem Spannungsverhältnis ein schöpferischer
Akt entstehen, um ein Zurechtfinden in den Umwälzungsprozessen der Zeit zu ermöglichen.
Für Planck ist dies auch eine der wesentlichen pädagogischen und sozialen Aufgaben, die im
‘Blick auf die westdeutsche Landjugend’ erfüllt werden müssen (vgl. Planck/Wagner 1957,
180).
So ist es auch verständlich, daß sich die Landjugendforschung angesichts der förmlichen
Überflutung des Erscheinungsbildes der Dörfer durch Industrialisierung- und Modernisierung
mehr und mehr hin zu den vergesellschaftungs- und modernisierungsorientierten
‘systemischen’ Jugendstudien entwickelt hat. Die Fragen, die diese Jugendstudien begleitet
haben waren z.B.: „Wenn die Jugend im ländlichen Raum ‘städtischer’ wird, hat sie dann
auch vergleichbare soziale und kulturelle Möglichkeiten?“ Um diese Fragestellung formulieren
zu können, war es notwendig, Jugend als sozial freigesetzte Lebensphase anzuerkennen,
um dadurch auch die Forschung besser regional- und schichtspezifisch zu differenzieren. In
den 50er Jahren findet man auch erste Studien, die sich explizit mit den Lebensverhältnissen
von Mädchen und jungen Frauen in ländlichen Regionen auseinandersetzen, vor allem dort,
wo sie als Fabriksarbeiterinnen aus der traditionellen Frauenrolle des bäuerlichen Milieus
heraustraten.
Allerdings
wurden
diese
Studien
dann
nicht
geschlechtsspezifisch
weiterverfolgt und bewertet. Die Motivation dieser Studien ist nicht von jugendkundlichem
Interesse geleitet, sondern eher von der Sorge, ob angesichts des ökonomischen
Strukturwandels und der damit diagnostizierten Erosion des bäuerlichen Milieus durch
modernere Einstellungen der Landmädchen die familiäre Integrationsrolle der Frau
geschwächt würde (vgl. Böhnisch/Funk 1989, 36).
Der große Verdienst der Landjugendforschung der 50er Jahre liegt in der Analyse der
Veränderung der Jugendphase in Verbindung mit dem Strukturwandel des ländlichen
Raumes: Vor allem die Herausarbeitung der Ambivalenz der ländlichen Lebensformen
angesichts der Modernisierungs- und Urbanisierungstendenzen ist von nachhaltiger
78
Bedeutung (vgl. Böhnisch/Funk 1989, 37). In den 50er Jahren entsteht - erstmals auch für
Jugendliche in ländlichen Regionen - die Möglichkeit, sich als eigenständige Sozialgruppe zu
deklarieren. Dazu gehörte unter anderem auch das Bewußtsein, eigene Probleme in Bezug
auf die Lebensbewältigung auzuformulieren bzw. auch, das ‘Bewußtsein der eigenen
sozialen Sitution’ wahrzunehmen (vgl. Böhnisch/Funk 1989, 39). Gerade aus diesem neuen
Bewußtsein entwickelt sich zum einen die scheinbar vorbehaltlose Übernahme moderner
Verhaltensweisen aus den urbanen Gebieten: Die Jugendlichen entwickeln den Wunsch,
diese neuen Orientierungen auch in ihrem Lebensraum auszuleben - obwohl es ihnen in den
traditionellen dörflichen Welten erschwert wird, von
diesen neuen Selbständigkeiten zu
profitieren. Die Landjugendforschung der 50er Jahre hat erkannt, daß die traditionellen
dörflichen Welten einen großen Beitrag zu der starken Abwanderung junger Menschen in die
Städte geleistet haben: Nicht nur schlechtere wirtschaftliche und soziale Bedingungen haben
also die Abwanderung der jungen Bevölkerung forciert, sondern auch die abwehrende Haltung
der dörflichen Gemeinschaft gegenüber der
‘neuen Selbständigkeit’ der Jugend (vgl.
Böhnisch/Funk 1989, 39).
• Landjugendforschung der 60er und 70er Jahre
Die Landjugendforschung der 60er bis 70er Jahre wird vor allem von der Umfrageforschung
dominiert. Diese Methodik der Erhebung kommt den Tendenzen der zunehmenden
Vergesellschaftung der Landjugend durch das Bildungswesen zugute. War in den 50er
Jahren trotz
beginnender Modernisierungsbestrebungen noch ein deutlich ländlicher
Milieubezug festzustellen, so entwickelte nun die Jugend des ländlichen Raumes von da an
zunehmend
in
Richtung
einer
milieuabgehobenen
Durchschnitts-
„Bildungsjugend“
(vgl.Böhnisch/Funk 1989, 46). Das Interesse der Landjugendforschung richtete sich nunmehr
nicht mehr darauf, ob die ländliche Jugend den Entwicklungsprozessen des ländlichen
Raumes
überhaupt
Folge
leisten
konnte,
sondern
darauf,
ob
die
durch
die
Modernisierungstendezen aufgeworfenen Aufgaben von der Jugend gelöst werden konnten
(vgl.Böhnisch/Funk 1989, 41). „Nun konnte gefragt werden, wie sich die Landjugend im
sozialen Wandel strukturell verändert und funktional bewährt hat“ (Böhnisch/Funk 1989, 41).
Ein Großteil der Jugendforschungen dieser Zeit, besonders der 70er Jahre, bezog sich auf
Untersuchungsgebiete
wie
Bildungsmobilisierung,
Berufsorientierung
und
Arbeitsplatzmobilität. Alle Studien, die in diesem Zeitraum durchgeführt wurden, kamen zu
dem Ergebnis, daß die Jugend in ländlichen Regionen im Bildungs- und Ausbildungsstand
eindeutig aufgeholt hat. Deutlich erkennbar ist vor allem, daß die Jugendlichen nicht mehr nur
einen beliebigen Beruf wollen, sondern die Qualität des Berufes und damit auch die Qualität
79
des künftigen Lebens mit in die Berufsentscheidung einbeziehen (vgl.Böhnisch/Funk 1989,
49). Ein weiteres Ergebnis der Studien ist die Erkenntnis der Tatsache, daß immer mehr
Jugendliche angeben, ihr späteres Leben auch auf dem Land verbringen zu wollen. Diese
Tendenz läßt sich vielleicht dadurch erklären, daß ländliche Regionen in den 70er Jahren
verstärkt durch infrastrukturelle Maßnahmen verändert wurden, womit eine bessere
Anschließung an den urbanen Raum gegeben war. Hinsichtlich der „Bleibeorientierung“
zeichnet sich in den Untersuchungsergebnissen ein deutlicher Unterschied zwischen den
Geschlechtern ab:Mädchen und jungen Frauen formulierten einen schwächer und negativer
ausgeprägten Bleibewunsch als männliche Jugendliche (vgl. Böhnisch/Funk 1989, 49). Das
Ergebnis der tatsächlichen Umsetzung zeigt aber, daß es männlichen Jugendlichen leichter
gelungen ist, sich aus den mehr oder minder fest gefügten Traditionsmustern zu lösen als
Mädchen; Mädchen sind nach wie vor verstärkt an den unmittelbaren, traditionellen, ländlichen
Lebensbezug gebunden. Ein weiteres Ergebnis der Landjugendforschung bringt zutage, daß
der Wunsch nach eigenen Räumen zur Freizeitgestaltung ausformuliert wurde. Jugendliche
geben sich immer weniger mit den konventionellen Freizeit- und Gesellungsmustern [Vereine]
zufrieden; als sichtbare Manifestation ihrer Selbständigkeit sollen Räume dienen, die ihnen
verstärkt eine eigene Freizeitgestaltung erlauben.
Trotz allem zählt es zu den wesentlichen Ergebnissen der Forschung der 70er und
beginnenden 80er Jahre, daß sich mit dem Strukturwandel auf dem Lande der
Anpassungsdruck an konventionelle Lebensentwürfe überwiegend eher noch verstärkt hat,
obwohl die Jugendlichen einen größeren kulturellen Bewegungsraum besitzen als früher und
die ländliche Enge zumindest teilweise aufgebrochen werden konnte. Einerseits ist das
Selbstbewußtsein gewachsen, was es etwa möglich machte, sich auch über bestimmte
Lebensbereiche [Mode, Medien] von den traditionellen Lebensentwürfen abzulösen. Dem, so
Böhnisch/Funk (1989, 53), stehe gegenüber, daß der ländliche Raum weiter sozial und
kulturell ausgedünnt sei, daß sich die sozial - ökonomischen und sozial - kulturellen
Voraussetzungen für die Freisetzung einer Jugendkultur analog der in den städtischen
Ballungsgebieten nicht entfalten können. So wie das gesamte Erscheinungsbild ländlicher
Regionen in den 70er Jahren als spezifisches „Amalgam“ (Böhnisch/Funk 1989, 52) aus
traditionellen kulturellen und modernen kulturellen Einflüssen besteht, stellt auch die
Jugendkultur ein solches Amalgam dar. Eine Vermischung aus Tradition und Moderne ohne
theoretische Legitimation.
80
• Die sozialpolitisch motivierte Forschungsperspektive
In der Folge soll versucht werden, die Forschungsintention der Forschergruppe um Lothar
Böhnisch zu skizzieren. Diese Gesamtschau seiner Forschungsergebnisse
ist für die
vorliegende Arbeit von besonderer Bedeutung, weil der Großteil der erhältlichen aktuellen
Literatur unter dem Einfluß dieser Forschergruppe steht.
Das wesentliche Kennzeichen einer sozialpolitisch motivierten Forschungsrichtung besteht
darin, auf empirischem Weg soziale Daten zu erheben und sie aufeinander zu beziehen.
Dabei handelt es sich um Daten,
die die Lebensverhältnisse der Menschen in ihrer
Lebenswelt wiedergeben. Im konkreten Fall der Landjugendforschung geht es darum, die
„Lebensverhältnisse von Jungen und Mädchen im ländlichen Raum nach Struktur,
Entwicklung und Veränderung der in ihnen enthaltenen regionalen sozialen Chancen zu
erschließen“ (vgl. Böhnisch/Funk 1989, 54). Der Begriff „regionale Sozialchance“ bedeutet in
diesem Kontext, daß Jugendliche und junge Erwachsenen, die sich dazu entschließen, in
ihrer Heimatregion zu bleiben, die dort erreichbaren und herstellbaren Möglichkeiten, einen
ökonomischen
und
soziokulturellen
Lebensmittelpunkt
zu
finden,
gegeben
sind
(Böhnisch/Funk 1989, 54).
Ein weiterer Diskussionspunkt in sozialpolitisch motivierten Forschungsansätzen ist die
Auseinandersetzung mit den Begriffen Lebenslage und Lebensbewältigung, wobei letzterer
die subjektive Seite der Lebenslage beschreibt. Der Begriff der Lebenslage wird bei
Böhnisch/Funk (1989, 54f) folgendermaßen umrissen: „[...] damit ist die These verbunden,
daß kollektive Lebenssituationen unter modernen sozialstaatlichen Bedingungen nicht allein
durch den marktförmigen sozialökonomischen Kontext von Produkion und ihrem Gegenstück
- Haus-Frauen-Arbeit- geprägt sind, sondern darin immer auch durch die besonderen
Wirkungen sozialstaatlicher Politik - sei es der Familienpolitik, der Sozialpolitik, der Regionalund Bildungspolitik - mitbestimmt sind“.
Unter Lebensbewältigung [subjektive Seite der Lebenslage], werden „[...] die aktiven
Leistungen des einzelnen Subjekts, seine alltäglichen Praktiken ebenso wie seine
Lebensentwürfe und Lebensperspektiven“ verstanden. Wenn nun in diesem Kontext von
Lebenslage Jugendlicher in ländlichen Regionen gesprochen wird, bedeutet dies ein
besonderes Eingehen auf „[...] typische Formen der sozialstaatlichen Vergesellschaftung des
ländlichen Raums, welche verbunden mit entsprechenden regionalpolitischen Strategien
bestimmte Entwicklungshorizonte und Muster sozialer Reproduktion setzen. Diese wiederum
strukturieren das soziale Spannungsfeld regionaler Lebensbewältigung“ (Böhnisch/Funk
1989, 55).
81
Daraus
ergeben
sich
für
eine
„Lebenslagenorientierte,
sozialpolitisch
motivierte
Jugendforschung“ drei wesentliche Untersuchungsaspekte:
1. Wie lassen sich die modernen Muster sozialer Reproduktion im ländlichen Raum auf die
heutige Jugendphase vermitteln? Wie wird die Jugendphase durch diese Muster in ihrer
Struktur beeinflußt?
2. Wie gewinnen Jugendliche in alltäglichen Prozessen Raum für die Entwicklung von
Spielräumen und Entfaltungsmustern?
3. Inwieweit erkennen öffentliche Organe und Institutionen im sozialpolitischen Kontext die
Schwierigkeiten der Lebenslage der Jugendlichen? (vgl.Böhnisch/Funk 1989, 56).
Diese Art der Forschung richtet demnach ihr Interesse auf die öffentliche Transparenz der
Diskussion von Lebensumständen. Wie wird mit Lebensproblemen Jugendlicher [Frauen,...]
in
ländlichen
Regionen
Diskussionsgegenstand
umgegangen?
regionalpolitsicher
Wieweit
Iniativen?
sind
jugendspezifische
Nimmt
man
Themen
Jugendliche
als
eigenständige Sozialgruppen war oder werden sie „übergangen“? „Übergangen werden meint
nicht, daß die Lebensprobleme nicht wahrgenommen oder behandelt werden, sondern
verweist auf die Art und Weise, wie sie behandelt werden“ (Böhnisch/Funk 1989, 58). Das
Konzept der Lebenslage bzw. der Lebensbewältigung wird vor allem dort interessant, wo
traditionelle, institutionelle Lebensentwürfe mit starr zugeschriebenen Statuspassagen
brüchig geworden sind. Gerade im ländlichen Raum haben bislang gesicherte Muster der
Lebensführung an Selbstverständlichkeit und Bedeutung verloren bzw. sind in Veränderung
begriffen. Diese Veränderungen treffen insbesondere für Jugendliche in ländlichen Regionen
zu. Die sich daraus ergebenden Ambivalenzen im ländlichen Bereich zeigen sich besonders
im Prozeß der Freisetzung der modernen Lebenslage der Landjugend. Dahingehend
formulieren auch Böhnisch/Funk für das Forschungsinteresse folgenden relevanten
Hypothesenzusammenhang: „Vor dem Hintergrund lebenstypsicher Formen sozialer
Reproduktion ergeben sich Handlungsspielräume und Entwicklungshorizonte, deren
Realisierung aber immer abhängig ist von der Art der sozialpolitsichen Definition und den
Formen der öffentlichen Akzeptanz dieser Zusammenhänge“. Daraus ergibt sich, daß
besonders durch das Lebenlagenkonzept „zentrale kategoriale Dimensionen für eine landregionalspezifische Operationalisierung geeignet sind“ (1989, 61).
Unter welchen Gesichtspunkten erfolgt nun die Herausarbeitung lebenslagenbeschreibender
Aspekte? Gundsätzlich läßt sich eine These von Kàràs/Rögl verwenden: Bedingt durch den
sozialen Wandel seien bei Jugendlichen in ländlichen Regionen Lebens- und Werthaltungen
82
entstanden, die jenen derselben Altersgruppe in städtischen Lebensräumen ähnlich sind
(vgl.Kárás/Rögl 1988, 539).
Der Unterschied besteht lediglich darin, daß diese ‘neuen’
Verhaltensorientierungen, die neue Bedürfnis- und Interessenslagen mit sich bringen, nicht in
jeder Hinsicht vor ‘Ort’ zur Geltung gebracht werden können. Mit dieser Nichtumsetzbarkeit ist
der Jugendliche vordergründig im Bereich der Schul- und Berufsausbildung und der damit
verbundenen beruflichen Karrieremöglichkeiten konfrontiert, wie auch in seinen Freizeit- und
Konsumbedürfnissen. Trotz Angleichung der Aufwachs- und Lebensbedingungen zwischen
Jugendlichen in Städten und ländlichen Gebieten ist ihre Lebenswirklichkeit weiter an die
alltägliche Lebenssituation der ländlichen Region gebunden. Die Jugendlichen müssen sich
nicht
nur
mit
veränderten
Vergemeinschaftungsformen
Lebensbedingungen
vormalig
arrangieren,
landwirtschaftlich -
sondern
sind
in
dominierter Orientierungen
eingebunden, die trotz des Schwindens ihrer Berechtigung unter den konkreten
Lebensbedingungen noch eine starke Auflösungsresistenz zeigen. Die Ansätze zu
jugendkultureller Individualisierung bewegen sich so zwischen sie fördernden zeitgeistigen
Strömen, sowie konkreten, schon individualisierten Lebensbedingungen auf der einen Seite
und auf der anderen Seite in einer noch kraftvollen, aber ohne lebensweltiche Evidenz
‘freischwebenden’ ländlichen Formierungen von Handlungs-, Lebensorientierungen und
Deutungsmustern (vgl. Sander 1987, 115). Gerade dieser Aspekt ist ein prägendes Merkmal
für die Lebenssituation der Jugendlichen. Sie bemerken zwar, daß der soziale Wandel in
ländlichen Regionen zur Herausbildung heterogener Lebensstile geführt hat, erleben diese
Heterogenität aber unter Anregung ganz anderer Maßstäbe als etwa die Erwachsenen- bzw.
Eltergeneration. Das Leben der Jugendlichen ist von urban-modernen Vorstellungen geprägt,
die sich täglich in ihrem Erfahrungs- und Wahrnehmungsraum vergegenwärtigen. So sehen
sie, bedingt durch Erfahrungen in anderen sozial-kulturellen Bereichen, Veränderungen der
Lebensbedingungen anders und vielleicht auch realistischer. Gleichzeitig bemerken sie aber
auch, daß die Chancen, und wie diese Perspektiven in der alltäglichen Lebensführung
umzusetzen sind, abhängig sind von der besonderen Beschaffenheit der ländlichen
Sozialwelt (vgl. Böhnisch/Winter 1990,18). So ist auch die ‘Heterogenität’ der Lebensstile
immer in der Zugehörigkeit zur spezifischen sozialräumlichen Struktur der jeweiligen
Landgemeinde zu sehen. Tiefgreifende Veränderungen der Lebensbedingungen in ländlichen
Regionen zeigen nachhaltige Wirkungen für die Lebenssituation Jugendlicher, auch dann,
wenn der ursächliche Zusammenhang nicht klar ersichtlich ist. Einige spezifische
Konstellationen bieten sich besonders dazu an, die Lebenslage Jugendlicher in ländlichen
Regionen zu thematisieren und die Annäherung an die „Sozialgruppe ländliche Jugend“ zu
versuchen (vgl.Böhnisch/Funk 1989, 121). So sind vor allem die Fragen der ‘sozialen
Freisetzung der Jugendlichen’, der ‘Aspekte der Regionalität und regionalen Optionen der
83
Schul- Berufsbildung und Freizeitgestaltung’, der ‘dörflich sozialen Integration bzw. Segration
der Jugendlichen und jungen Erwachsenen’ und der aus diesen Fragen resultierenden
‘Bleibe- oder Abhauorientierung’ relevant (vgl.Böhnisch/Funk 1989/Böhnisch/Winter 1990).
Auf diese Themenbereiche soll nun im weiteren eingegangen werden.
4.3. Soziale Freisetzung Jugendlicher in ländlichen Regionen
Wie bereits im historischen Überblick über die Landjugendforschung erwähnt, wird die
soziale Freisetzung Jugendlicher in ländlichen Regionen und die damit korrespondierende
Anerkennung der Jugend als eigenständige Sozialgruppe mit spezifischen Bedürfnis- und
Interessenlagen, in den 50er Jahren zum Gegenstand sowohl der Forschung als auch der
eigenen Wahrnehmung der ländlichen Jugend. Die sukzessiven Umstrukturierungen der
Gesellschaft ermöglichen Jugendlichen in ländlichen Regionen erstmals ein Bewußtsein für
eigene Probleme, d.h. die Fähigkeit, die eigene Lebenssituation auszuformulieren und
dementsprechende Bedürfnisse zu artikulieren: Man sieht sich als eigene soziale Gruppe.
Natürlich ist dieses „historische Datum der sozialen Freisetzung“ immer relativ in Bezug auf
das jeweilige ländliche Milieu und die jeweilige Geschlechtslage zu sehen. Ein wesentliches
Merkmal des modernen Freisetzungsprozesse der Jugend im ländlichen Raum ist, daß sich
diese Tendenzen nicht punktuell,
traditionalen
Dorfes
ergeben
aus dem jeweiligen sozio-kulturellen Kontext des
haben,
sondern
sich
in
einem
dorfübergreifenden
Zusammenhang entwickeln mußten (vgl.Böhnisch/Funk 1989, 120). Ein Erklärungsansatz für
diesen Umstand findet sich in den historischen Daten der Modernisierung und
Strukturveränderung der ländlichen Räume. Strukturfunktionale Veränderungsmaßnahmen in
den ländlichen Räumen haben dazu geführt, daß im Zuge von Zentralisierungsmaßnahmen
und Infrasturkturverbesserungen die bis in die 50er/70er Jahre verbreitete Kleinstrukturiertheit
der ländlichen Räume weitgehend aufgelöst wurde. Hand in Hand mit Veränderungen im
Produktions- und Erwerbssektor, vor allem dem der Landwirtschaft, hat diese Entwicklung
dazu geführt, daß vorwiegend die junge Generation in das ‘erweiterte ländliche Sozialmilieu’
vordringt bzw. vordringen muß, um den neuen gesellschaftlichen Anforderungen zu
entsprechen. Die Region wird also von der Bevölkerung am Land zunehmend als wichtige
Lebensraumkategorie wahrgenommen. Das Dorf allein kann nicht mehr alle funktionalen
Ansprüche erfüllen, behält aber als unmittelbare sozio-kulturelle Instanz seine Bedeutung.
Fischer (in: Böhnisch/Funk 1989, 136) kommt in einer zusammenfassenden Interpretation,
der deutschen Shell Jugendstudie 1981 zum Schluß, daß Jugendliche in ländlichen Regionen
verstärkt den Wunsch hätten, so schnell als möglich erwachsen zu werden, weil sie ihr
Jungsein noch immer als Durchgangsstadium zum Erwachsenenstatus erfahren.
Böhnisch/Funk (1989, 136) halten dem entgegen, daß diese Aussage primär jugendkulturelle
84
Einstellungsunterschiede im Stadt-Land Vergleich thematisiert, aber wenig über die sozio kulturelle Lebenswirklichkeit der Jugendlichen in ländlichen Regionen aussagt. Bezüglich der
sozialen Freisetzung Jugendlicher ist noch auf einen weiteren Unterschied zwischen Stadt
und Land zu beachten: Während der gesellschaftliche Strukturwandel für Jugendliche in den
urbanen Lebensräumen dazu geführt habe, kulturelle Potentiale freizusetzen, welche sie
dazu nutzen, um
eigenständig von Durchschnittsmustern der Erwachsenengesellschaft
abweichende Lebensstile zu entwickeln, habe im Gegensatz dazu der gesellschaftliche
Strukturwandel in den ländlichen Regionen eher zu einem Anpassungsdruck an den
konventionellen,
durchschnittlichen
Lebensentwurf
der
dörflich
-
ländlichen
Erwachsenengesellschaft geführt. Andererseits hätten Jugendliche heute größere kulturelle
Bewegungsmöglichkeiten, die sie in vielfältiger Art und Weise die Veränderungen der
ländlichen Enge nutzen lassen, um den Alltag elastischer und bunter zu gestalten. In diesem
Kontext ist natürlich auch das Selbstbewußtsein Jugendlicher in ländlichen Regionen
gestiegen, was sich in der Verwirklichung selbstbestimmter Lebensbereiche manifestiert.
Das neue Selbstverständnis entwickelt sich vor allem aus dem Konsum- und
Freizeitverhalten
der
Jugendlichen,
das
sich
ausdrücklich
von
dem
der
Erwachsenengeneration abhebt. Im besonderen hat die starke Differenzierung von Arbeitsund Freizeit zu einer starken Veränderung der traditionellen Lebensführung auf dem Land
geführt. Böhnisch/Funk (1989, 137) meinen aber, daß der ländliche Raum kulturell
ausgedünnt und disparitär sei, daß die sozio - ökonomischen und sozio - kulturellen
Voraussetzungen für eine Jugendkultur, anders als in den Ballungsgebieten, nicht gegeben
seien. In Ballungsgebieten kommt es zu einem starken Hervortreten von jugendlichen
Subkulturen, worauf der ländliche Raum in seiner Beschaffenheit nicht ausgerichtet ist. Dies
sei auch der Grund dafür, daß sich Jugendliche in ländlichen Räumen nicht an den
gegenwärtigen Stilrichtungen der Jugendkultur beteiligen können. Jugendliche am Land sind
auf konventionelle Lösungen angewiesen. Aus diesem Grund wird den Jugendlichen auch
eine ‘jugendkulturelle Lücke’ diagnostiziert, was mehr als nur ein kulturelles Nachhinken der
Jugendlichen bedeutet und eher auf der qualitativen Ebene zu suchen ist. Damit wird das
Phänomen schwer faßbar. Die Autoren Böhnisch/Funk (1989, 137) kommen zu dem Schluß,
daß sich in ländlichen Regionen nicht jene subkulturellen Szenen etablieren können wie in
urbanen Gebieten. Soziokulturelle Freisetzungsprozesse führen zwar allgemein auch in
ländlichen Gebieten zur eigenständigen Herausbildung der Sozialgruppe
Jugend; diese
Freisetzung ist aber eine andere und muß daher auch mit anderen Maßstäben gemessen
werden, als dies weitläufig aus der subkulturellen Perspektive des großstädtischen Raumes
geschieht. Der Unterschied in der sozialen Freisetzung zwischen urbanen und ländlichen
Gebieten scheint der zu sein, daß es in ländlichen Regionen nach wie vor so ist, daß etwa die
85
familiale Nahwelt, die Verwandten, die Erwachsenenwelt der Dorföffentlichkeit und die
allgemeine Sozialwelt des Dorfes sehr stark ineinander übergehen, was die soziale
Freisetzung der Jugendlichen dementsprechend prägt. Die Verpflichtung zum Arrangement
mit und im örtlichen Alltag ist omnipräsent und kaum umgehbar. Dieses Übereinkommen
sichert die Reproduktion der dörflich - lokalen Normalität, geht aber, bedingt durch die
jugendkulturelle Perspektive, auf einer jeweils moderneren Stufe der Lebensformen und
Verhaltensstile vor sich (vgl. May 1994, 328). Die soziale Freisetzung der Jugendlichen ist
mit einer mehr oder weniger stark antizipierenden Integrationsperspektive, ausgerichtet auf
das
Lebensumfeld,
ausgestattet,
aber
im
Unterschied
zur
Elterngeneration
und
Dorföffentlichkeit mit einer vergleichsweise höheren soziokulturellen Selbständigkeit. Die
Jugendlichen streben nach einer eigenständigen, respektierten Rolle neben der dörflichen
Erwachsenenwelt, sie grenzen sich bewußt gegen die Erwachsenen im Dorf ab, möchten
aber auch möglichst früh das erreichen, was in der dörflichen Erwachsenenwelt Status und
Selbständigkeit verheißt. Konkret ähneln die Verhaltensmuster Jugendlicher im Geselligkeitsund Konsumbereich jenen der Erwachsenen, sind diesen aber nicht gleich. Diese
Verhaltensformen zielen darauf ab, zu demonstrieren, daß man nicht mehr auf das Dorf
angewiesen ist. Damit wird die eigene Mobilität, die Teilhabe am Markt als Konsument und die
eigene Interessenslage bekundet (vgl. Böhnisch/Funk 1989, 138). Der Prozeß der
soziokulturellen Freisetzung der Jugend im ländlichen Raum ist also immer im
Spannungsverhältnis zwischen jugendkultureller und dörflicher Integrationsperspektive
anzusiedeln. Die soziokulturelle Freisetzung der Jugendlichen ist im ländlichen Raum vor
allem unter den Begriffen der ‘Dorforientierung’ und der ‘dörflicher Freisetzung’ zu verstehen.
‘Dörfliche Freisetzung’ meint in diesem Zusammenhang, daß die Jugendlichen ihre
Adoleszenz als Lebensphase nutzen, in der man sich vom Dorf absetzen kann, in der man
praktisch oder zumindest intentional nicht mehr auf das Dorf angewiesen ist, obwohl
absehbar ist, daß man später einmal im selben Dorf oder einem anderen dörflichen Umfeld
der Region leben wird. Die Perspektive, später einmal in einem dörflichen Umfeld zu leben,
wird als ‘Dorforientierung’ verstanden (vgl.Böhnisch/Funk 1989, 139). Ein wesentlicher
Beitrag zur Freisetzung Jugendlicher in ländlichen Regionen wird auch der Auflösung der
Jahrgangsgruppen zugesprochen. Haben doch über Generationen hinweg Jahrgangsgruppen
und Altersjahrgänge die Strukturen der traditionellen Jugendzeit gebildet. Noch immer sind in
Regionalzeitungen und Gemeindeblättern Aufrufe zu sogenannten „Jahrgangstreffen“ zu
lesen, Großeltern und Eltern sprechen immer wieder von der großartigen Gemeinschaft des
jeweiligen Jahrganges und den einmaligen Aktivitäten, mittels deren man sich nachhaltig in
die Gemeindegeschichte eintragen wollte. Die Funktion dieser Jahrgangsgruppen war darin
zu sehen, daß die Jugendzeit
86
keine
eigenständige jugendkulturelle Freisetzung
hervorbrachte. Sie war eine dörflich kontrollierte und organisierte Übergangszeit zum
Erwachsenenstatus. Die Jugendphase war in die dörfliche Reproduktion und in die
allmähliche Einführung in die jeweilige dörfliche Sozialwelt eingebunden. Im Zuge der
gesellschafltichen
Modernisierungsmaßnahmen
löste
sich
diese
Aufspaltung
in
Jahrgangsgruppen auf. Die bis dahin erfolgte Formierung der Jahrgangsgruppen aus den
jeweils schulentlassenen Gruppen, die auch weiter auf das Dorf zentriert bleiben, hat sich mit
der Ausweitung und Auslagerung der Bildungseinrichtungen in die Regionen weitgehend
aufgelöst. Böhnisch/Funk (1989, 144) vermuten die Auflösung der Jahrgangsgruppen in den
Dörfern seit der Nachkriegszeit sei ein wichtiges historisches Indiz für die Anfänge der
sozialen Freisetzung der Jugend im ländlichen Raum. Die Jugendlichen begannen sich
vermehrt nach außen zu orientieren, und die Jahrgänge durchmischten sich altersmäßig zu
Cliquen die sich immer mehr der sozialen Kontrolle des Dorfes entziehen konnten. Die
genaue zeitliche Verortung dieser Tendenzen variiert sehr stark von den lokalen
Gegebenheiten
der
ländlichen
Gebiete:
Dörfer,
die
im
näheren
Umfeld
von
Verdichtungsräumen lagen, konnten die Auflösung der Jahrgangsgruppen schon in den 50er
Jahren beobachten, während andere weiter in der Peripherie liegende Gebiete diese
Veränderungen erst in den 60er oder 70er Jahren erfuhren.
87
4.3.1: Exkurs: Sozialen Freisetzung bei Mädchen und jungen Frauen
Ein Aspekt, der im Zusammenhang mit der sozialen Freisetzung der Jugend in ländlichen
Regionen nicht vernachlässigt werden sollte, ist jener der Freisetzung von Mädchen und
jungen Frauen. Für Mädchen gestaltet sich dieser Prozeß anders als für Burschen. Natürlich
ist allgemein mit der Freisetzung der Jugend im ländlichen Raum die traditionelle
Geschlechterrollentrennung durch den jugendkulturellen Nivellierungsprozeß transformiert
(Böhnisch/Funk 1989, 145). Gegenwärtig scheinen Mädchen in ländlichen Regionen sowohl
mit modernen als auch mit traditionellen Grenzen der Geschlechtsrollenzuschreibung
konfrontiert zu sein. Der Unterschied im Freisetzungsprozeß zu dem der Burschen liegt
darin, daß diesen zugestanden wird, den Freisetzungsprozeß nach außen hin offensiver zu
gestalten: Mädchen unterliegen hier stärker der familialen und dörflichen Kontrolle. „... im
ländlichen Raum haben Mädchen meist wenig Zugang zu Öffentlichkeiten, sie sind der
familialen und dörflichen Kontrolle stärker ausgesetzt, finden aufgrund der überkommenen,
aber modern neu geformten Geschlechterrollenstereotype wenig kulturelle Akzeptanz für
Aktivitäten, die in Richtung eines eigenen Sozialstatus gehen“ (Böhnisch/Funk 1989, 141).
Allerdings setzen sich Mädchen aktiver mit Mechanismen der sozialen Regelementierung und
Kontrolle auseinander als Burschen. Sie reagieren sensibler auf das Ungleichgewicht im
Freisetzungsprozeß, konstituieren sich doch die Spannungsverhältnisse von Freisetzung und
dörflicher Integration, die den modernen Jugendstatus im ländlichen Raum strukturieren, für
Mädchen und Burschen in unterschiedlichen sozialen Welten (vgl. Böhnisch/Funk 1989, 141).
Empirische Untersuchungen (Böhnisch/Funk/Huber/Stein 1991) zeigen, daß man hinsichtlich
des Umgangs mit sozialer Freisetzung bzw. dörflicher Integration zwischen zwei Gruppen
von Mädchen unterscheiden muß. Eine Gruppe verläßt den Ort zur Verwirklichung der
eigenen Bildungsbiographie und zieht es vor, in urbanen Gebieten zu leben. Eine zweite
Gruppe verläßt den ländlichen Lebensraum nur zeitweilig, um nach Abschluß der Lehre oder
Ausbildung wieder in das ursprüngliche soziokulturelle Milieu zurückzukehren. Diese Gruppe,
würde mit der bereits oben genannten Gruppe zusammenfallen, also jener, die die
jugendliche Freisetzung vorwiegend als dörfliche Freisetzung erlebt. Mädchen haben unter
dem Spannungsverhältnis von Freisetzung und Integration auch sehr stark in Form eines
Druckes von außen zu leiden. Es wird von ihnen verlangt, ihre Anpassungs- und
Arbeitsfähigkeit darzustellen und den Status der Familie zu repräsentieren. Auf diese Weise
wird auch die Integrationsbereitschaft in die dörfliche Sozialwelt direkter erwartet als von
Burschen (vgl.Böhnisch/Funk 1989, 146). Mädchen versuchen ihre Freisetzung dort zu
demonstrieren, wo sie im Rahmen der Öffentlichkeit agieren können. Aktive Mitarbeit in
Vereinen und in der Jugendarbeit gewähren traditionelle Möglichkeiten für Mädchen, aus der
88
familialen Kontrolle herauszutreten. Trotzdem muß nachhaltig festgehalten werden, daß die
Freisetzung der weiblichen Jugend in erster Linie auch eine Freisetzung aus den ländlich weiblichen Rollenzwängen bedeutet. Soziale Freisetzung kann insofern auch, Möglichkeiten
der Eigenständigkeit eröffnen. Eigene Bildungsbiographie und eigener Berufsstatus werden
für Mädchen wichtig, um sich von traditionellen Frauenrollen in ländlichen Sozialmilieus
abzugrenzen, in denen Frauen noch sehr stark als Anhang des männlichen Partners
verstanden werden und das ‘männliche Schaffen’. Der Akt der Berufsfindung und der
Realisierung scheint im Hinblick auf die soziale Freisetzung aber gerade für Mädchen höchst
ambivalent zu sein. Auf der einen Seite strukturiert sich der Prozeß der Freisetzung stark
über die Berufsfindung und auf der anderen Seite kommen aber geschlechtsspezifische
Rollenerwartungen und Rollenzuschreibungen der Eltern auf die Mädchen zu (Böhnisch/Funk
1989, 151). So zeigt es sich, daß berufliche Enttäuschungen nicht Gegenstand öffentlicher
und privater Diskussionen sind, weil für Mädchen ohnehin der ‘Ausweg’ als Ehefrau und
Mutter offensteht. Es ist nicht unverständlich, daß bei Mädchen die Idee der sozialen
Freisetzung sehr stark unter dem Gesichtspunkt der Gleichwertigkeit, dem Anspruch aktiv
Dabeizusein steht. Die jungen Frauen versuchen in den Freisetzungsprozessen ganz bewußt
auch auf eine Freisetzung der traditionellen Frauenrolle hinzuweisen.
Zusammenfassend formuliert geht es im sozialen Freisetzungsprozeß Jugendlicher in
ländlichen Regionen vor allem darum, sich im dörflich-öffentlichen Raum sichtbar zu
machen, den Lebensraum mit jugendkulturellen Symbolen auszugestalten und der
Erwachsenenwelt damit zu zeigen, daß sie als Jugendliche
im Zuge ihrer modernen
Freisetzung im ländlichen Raum verstärkt in eigenstrukturierten ländlichen Erfahrungswelten
leben und damit auch mit neuen Problemen der Lebensbewältigung konfrontiert sind. Der
Prozeß der sozialen Freisetzung ermöglicht den Jugendlichen, diese Altersphase bewußt zu
erleben und öffentlich zu inszenieren. Die soziokulturelle Freisetzung und die mit ihrer Hilfe
erlangte Selbständigkeit wird vorwiegend räumlich ausgelebt und ausgedrückt, was wiederum
in der starken Perspektive der regionalen Orientierung der Jugendlichen zum Zuge kommt.
89
4.4. Aspekte der Regionalität und regionaler Optionen
Die sozialräumliche Erschließung und Nutzung der Region ist die wesentliche Basis für die
Lebenslage Jugendlicher in ländlichen Regionen. Für die Jugendlichen scheint der regionale
Nahraum von besonders großer Bedeutung zu sein. Regionale Orientierungsmuster zeigen,
daß junge Menschen im Zuge des Freisetzungsprozesses nicht mehr auf jene dörflichen
Hierarchien angewiesen sind, an die sich beispielsweise noch der traditionell orientierte
Jugendstatus der Elterngeneration anlehnte. Natürlich ist die starke Regionalorientierung kein
generell ausgeprägtes jugendkulturelles Phänomen, sondern hängt mit den ‘modernen’ Typen
der Vergesellschaftung des ländlichen Raumes zusammen (vgl. Böhnisch/Funk 1989, 172).
Die ‘neue Regionalität’ des ländlichen Raumes ist neben jugendkulturellen, ökonomischen
und regionalpolitischen auch von kulturideologischen Aspekten besetzt. Die Vorrangigkeit des
Aspektes der Regionalität unter jugendkultureller Gewichtung scheint deswegen gegeben zu
sein, weil sich der moderne Prozeß der sozialen Freisetzung der Landjugend und der Prozeß
der regionalen Vergesellschaftung des ländlichen Raumes offensichtlich historisch
überschneiden: diese ‘regionale Vergesellschaftung’ bildet den strukturellen Hintergrund für
die moderne soziale Freisetzung der Jugendlichen (vgl. Böhnisch/Funk 1989, 172.). Der
Unterschied in der Erfahrung von Regionalität zwischen Erwachsenen und Jugendlichen ist,
daß die jugendkulturelle Qualität vom ‘funktionalen Regionalbezug’ der Erwachsenen
abeweicht. Jugendliche Regionalität wird nach anderen Gesichtspunkten verwirklicht: Man
entwickelt ein ‘regionales Lebensgefühl’, welches seine kulturelle Eigenart aus der
besonderen Verbindung von vertikaler und horizontaler Mobilität definiert (vgl.Böhnisch/Funk
1989, 176). Den ‘funktionalen Regionalbezug’ der Elterngeneration kann man vielleicht zum
einen damit erklären, daß sie den Zugang zur ‘Region’ unter ganz anderen Vorausetzungen
erlebt haben als Jugendliche der Gegenwart. Wie bereits ausgeführt haben etwa die
Umstrukturierungen der landwirtschaftlichen Produktionsweisen in den 50er und 60er Jahren
starke Auswirkungen auf die damalige ländliche Ökonomie nach sich gezogen. Die
ursprünglich dominiante ländliche Wirtschaftsform büßt an Bedeutung ein, viele ‘freigesetzte’
Arbeitskräfte sind nun gezwungen, ihre Arbeitskraft in anderen Erwerbszweigen außerhalb
des ländlichen Milieus, wie z.B. in der nächstgelegenen Stadt, zur Verfügung zu stellen.
Neben diesen Veränderungen ist es vor allem die Neuabgrenzung der kommunalen und
staatlichen
Verwaltungseinheiten,
die
kleinere
Landgemeinden
verstärkt
ihrer
Selbstverwaltung enthoben hat und diese in große Einheiten zusammenfaßte (vgl. Sander
1987, 122). Eine Folge dieser neuen verwaltungstechnischen Organisation der ländlichen
Räume ist die Schulreform, welche sicherlich einen wesentlichen Betrag zur Veränderung
der Lebensbedingungen in den ländlichen Räumen nach 1945 bewirkt hat. Die
90
reformatorische
Umstrukturierung
der
ländlichen
Schullandschaft
bewirkte
für
die
Jugendlichen eine nachhaltige Veränderung: Mit der Installierung von Mittelpunktschulen in
den Regionen wurden die alten achtstufigen Volksschulklassen in den Dörfern abgelöst.
Diese alten Volkschulen ohne Klassendifferenzierung, stärkten die lokalen, religiösen und
sozialen Verklammerungen des ländlichen Lebens, vor allem aber waren sie in keiner Weise
Sprungbrett für die spätere Berufskarriere oder gar für Karrieren höherer Schul- und
Universitätsbildung (Sandner 1987, 124). Die Möglichkeit einer weiterführenden Schule
versprach eine größere Auswahl an Berufsmöglichkeiten, welche aber ‘vor Ort’ nicht
ausgeübt werden konnten, weshalb von dieser Option vielfach nicht Gebrauch gemacht
wurde. Für viele Erwachsene haben die Erfahrungen dieser funktionalen Bindungen und
Umstrukturierungen des vertrauten Gebietes, eine pragmatische Haltung entstehen lassen:
Sie fahren ‘in die Region’,
um zu arbeiten (Arbeitspendeln), nutzen eine Fahrt in die
naheliegende Kleinstadt für Einkäufe, Arztbesuche und Behördengänge. Die Region ist zwar
notwendig, aber das Dorf stellt den Lebensmittelpunkt dar. Für Jugendliche der zweiten und
dritten Generation des ‘sozialen Wandels’ erhält die Region, deren Erschließung für sie schon
sehr früh beginnt, bereits eine ganz andere Bedeutung. Jugendliche werden früher als ihre
Eltern in regionale Lebensbezüge eingebunden. Vielfach findet schon der Besuch von
Kindergarten und Volksschule in regionalen Schwerpunkteinrichtungen statt. Der Schulbus
erschließt ihnen die umliegenden Regionen, die bald ebenso zu ihrer Lebenswelt gehören
wie das eigene Dorf oder die eigene Region. Dieser Umstand stellt einen wesentlichen
Unterschied zur Elterngeneration dar: Während diese eine längere Sozialisation in einer
begrenzten Region, d.h. in einer lokal definierten Lebenswelt erfahren haben, wird diese heute
bei Kindern und Jugendlichen schon früh aufgebrochen (vgl.Sander 1987, 126). Das Dorf als
Sozial- und als Lebensraum wird frühzeitig durch die gesamte Region erweitert. Sander
formuliert in einem Aufsatz (1987,126), der Erstkontakt mit qualifizierender Schulbildung für
Jugendliche in ländlichen Regionen müsse als ‘Einfallstor für die moderne Lebenswelt’
gedeutet werden, ‘um die kleinräumlichen, lokalen, vorindustriell geprägten Lebensmilieus für
den ökonomischen und kulturellen Einfluß städtischer Zentren zu öffnen’. Diese rein
‘pragmatischen’ Gründe führen dazu, daß Jugendliche frühzeitig eine mehr oder weniger
stark ausgeprägte Regionalorientierung entwickeln. Gleichzeitig wird aber die Erfahrung
gemacht, daß dieser Orientierung keine dörfliche Tradition zugrunde liegt. Jugendliche
erleben, daß das Jugendleben trotz jugendkultureller Freisetzung und regionaler Orientierung
deutlich im ländlichen Generationsgefüge verankert und immer wieder auf die dörfliche
Sozialwelt rückbezogen ist (vgl.DJIbulletin 1991, 10). Grundsätzlich wird aber für die
Jugendlichen spürbar, daß sie, bedingt durch die Eroberung des sozialen-regionalen
91
Nahraums, nicht mehr so stark wie frühere Generationen durch das dörfliche Milieu
kontrolliert werden, und auch nicht mehr so sehr auf das Dorf angewiesen sind.
4.4.1. Phänomenologie der sozialräumlichen Erschließung der Region
Ein zentraler Terminus in diesem Zusammenhang ist jener der ‘Mobilität’, wobei dieser Begriff
durchaus im doppelten Sinn von horizontaler und vertikaler Mobilität gemeint ist. Die
Möglichkeiten einer relativen vertikalen Mobilität über Bildung sind mit einer horizontalen
Mobilität verschränkt, die sich in Form der Motorisierung ausdrückt. Wer mobil ist, muß nicht
im Dorf bleiben und „sieht mehr von der Welt“. Kàràs/Rögl (1988, 539), orten bezüglich der im
Zuge der Modernisierungstendenzen in
ländlichern Regionen entstandenen neuen
Verhaltensorientierung und der Tatsache, daß diese nicht vor Ort umgesetzt werden kann,
einen
‘Mobilitätszwang’
Veränderungen
der
für
die
junge
Lebensbedingungen
Generation.
Nachhaltige
ländlicher
Gemeinden
sozio-ökonomische
verschärfen
den
Mobilitätszwang für Jugendliche. Wenn vertikale Mobilität nicht nur als Möglichkeit zum
sozialen Aufstieg und der personalen Entfaltung gesehen wird, kann sie vor allem auch in
einem anderen Kontext stehen, der für die Beschreibung der Lebenssituation Jugendlicher
interessant ist: Die Jugendphase wird für immer mehr Jugendliche auf dem Land zu einer
sozial-kulturell eigenwertig erlebten Lebensphase. Dadurch steigert sich auch der Wunsch,
die damit verbundene Selbständigkeit räumlich auszudrücken und auszuleben. Mobilität als
Sinnbild für regionale Orientierung fördert die Entwicklung von Verhaltensstilen, die aus der
besonderen sozialräumlichen Aneignung der regionalen Umwelt resultieren (vgl. Deinet 1994,
255). ‘Mobil-Sein’, diese Art der Mobilität im Sinne von Motorisierung, ist auch determinierend
für den sozialen Status der Jugendlichen untereinander.
Es ist bereits erwähnt worden, daß in vielen Fällen schon Kleinkinder im Kindergarten- und
Volksschulalter mittels Schulbussen oder Eltern - Fahrgemeinschaft in die nächst gelegenen
Schulen und Kindergärten gebracht werden. Man könnte meinen, das Leben auf dem Land
sei schon frühzeitig vom ‘Pendeln’ geprägt: Der „natürliche“ Tagesrhythmus von
schulbesuchenden Kindern und Jugendlichen in ländlichen Regionen ist vorwiegend von
Busfahrplänen und Fahr-Zeiten bestimmt. Fahrzeiten von bis zu einer Stunde und mehr sind
keine Seltenheit, und so ist es auch nicht verwunderlich, wenn ein Teil der Kinder und
Jugendlichen um ihren Morgen gebracht wird: Während andere Kinder noch beim Frühstück
sitzen oder im Bett liegen, stehen sie schon an der Bushaltestelle oder sind unterwegs zur
Schule. Die Abhängigkeit von öffentlichen Verkehrsmitteln oder chauffierenden Eltern wird
häufig durch das erste Kleinmotorrad überwunden, welchem mit dem Erreichen des
18.Lebensjahres oft das eigene Motorrad oder Auto folgt. Mit der Möglichkeit, über ein eigenes
92
Fahrzeug zu verfügen - oder sich zumindest das der Eltern auszuborgen -, steigt der soziale
Status innerhalb der Jugendgruppe. Wer motorisiert ist, ist mobil und kann die Region auch
über den Schulbesuch oder die Arbeit, hinaus erreichen, d.h., daß auch die Freizeit außerhalb
des Dorfes verbracht werden kann. Jene Jugendlichen, die nicht motorisiert sind, müssen
sich auf die begrenzten Freizeitangebote in den Dörfern oder auch gelegentliche
Mitfahrgelegenheiten beschränken. „Ihr ‘Stigma’ ist Nicht-Mobilisiert-Sein und betrifft alle
diejenigen, die kein Fahrzeug zur Verfügung haben, also vorwiegend auch Mädchen“ (Scheu
1991, 147). Wer nicht mobil ist, sieht sich darüber hinaus in stärkerem Maße gezwungen,
sich in das dörfliche Sozialleben zu integrieren:
Dieses ist aber vorwiegend
erwachsenenzentriert und bietet Jugendlichen wenig Gestaltungsmöglichkeiten. Mobilität
ermöglicht den Jugendlichen, sich den dörflichen Normen, Riten und dem dörflichen
Anpassungsdruck zu entziehen und dadurch neue und andersartige Erfahrungen zu
sammeln. Der Besitz eines eigenen Fahrzeuges und das damit verbundene Mobil-Sein
versprechen somit auch das Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit und werden zur
notwendigen Bedingung einer erlebnisreichen Freizeit (vgl. Scheu 1991,147).
Die Bedeutungszunahme von vertikaler und horizontaler Mobilität im ländlichen Jugendalltag
und die damit stärker werdende regionale Orientierung sind aber nicht mit einer Abkapselung
vom Heimatdorf oder einer bruchlosen Übernahme urbaner Lebensstile gleichzusetzen: Die
Region
wird
vielmehr
als
Lebensraum
erfahren,
der
andere
Aneignungs-
und
Gestaltungsmechanismen bietet als die dörflich/traditionelle Lebenswelt. Durch diese Art der
Orientierung kommt es zur Ausbildung einer modernen ‘ländlichen’ Identität und zur
Freisetzung eines neuen ländlichen Bewußtseins. „Von den Jugendlichen wird die regionale
Umwelt als ein Raum erlebt, den man sich selbst und auf andere Weise aneignen bzw.
gestalten kann, als dies in der traditionellen Dorfwelt vorgegeben ist“ (Deinet 1994, 255). Die
sozialräumliche Aneignung der regionalen Umwelt ist durch die Eigenart der regionalen
Mobilität und der regionalen Treffpunktstruktur gekennzeichnet. Das Phänomen der
„Regionalität“ ist weniger in der Attraktivität der Orte selbst zu suchen als vielmehr in der
Mobilität
selbst
und
den
potentiellen
und
aktuellen
Möglichkeiten
außerdörflicher
Gleichaltrigentreffpunkte. Das andere Dorf wird meistens deswegen attraktiver, weil man
sich der „eigendörflichen Kontrolle“ entziehen und anonymer agieren kann. Tatsache ist aber,
daß der Schein meist trügt und deshalb auch kein wirklicher Austausch an Erfahrungen
durch diese Art der Regionalität stattfindet. „In der geistigen Orientierung werden die
Jugendlichen immer in ihren Dörfern bleiben, auch wenn sie drei oder vier Dörfer weiter
wegfahren“ (Böhnisch/Funk 1989, 175). Gerade aber aus der oben angesprochenen
Mischung von ‘regionaler Mobilität’ und ‘regionaler Treffpunktstruktur’ kann sich jener
unstrukturierte Gelegenheitsraum entwickeln, der zur Entstehung eines spezifischen
93
Lebensgefühles beiträgt, welches bei Jugendlichen in den Regionen häufig zu finden ist. Die
Wochenenden werden dazu genutzt, um mit den Fahrzeugen in der Region unterwegs zu
sein und auf der Suche nach dem großen ‘es ist etwas los’, Treffpunkte anzufahren. In
Berufsaus- oder Berufsweiterbildung stehende Jugendliche ziehen den unstrukturierten
Gelegenheitsraum der nächsten Ortschaften
für ihre Freizeitgestaltung eher vor als
Gymnasiasten. Jugendliche Gymnasiasten nehmen den Schulort, der sich meistens mit der
nächstgelegenen Kleinstadt deckt, auch jugendkulturell wahr, vor allem dann, wenn das
dortige Milieu auch so strukturiert ist, daß es als ‘außerschulische Gelegenheitsstruktur’
nutzbar zu machen ist (vgl. Böhnisch/Funk 1989, 175). Die regionale jugendkulturelle
Freisetzung in den Regionen löst in ihrer unstrukturierten Verortung aber einen
Spannungszustand für die Jugendlichen aus. Die Region eröffnet für sie Möglichkeiten, die
nicht verpaßt werden dürfen, gleichzeitig will man aber auch nicht die Vertrautheit der
dörflichen Nähe missen, aus der man aber eigentlich flieht (vgl. Böhnisch/Funk 1989, 176).
Die Jugendlichen bilden ein spezifisches regionales Lebensgefühl aus, das seinen Ausdruck,
aus dem besonderen Erlebnis der Mobilität der Jugendlichen nimmt. Diese kulturelle Eigenart
bildet sich nicht durch die ‘funktionale regionale Mobilität’ des Arbeits- oder Schulpendelns
aus,
sondern
durch
die
ungerichtete
Freizeitmobilität
der
Jugendlichen.
Dieses
jugendkulturelle Phänomen ist bei Erwachsenen so nicht zu finden. Das sozialräumliche
Lebensgefühl der Mobilität scheint sich demnach nur beim Freizeitpendeln einzustellen. Die
Fahrzeit, die Art des Fahrens ist an sich schon ein Erlebnis ganz im Gegensatz zur funktional
definierten Fahrzeit zur Arbeit oder zur Schule (vgl. Böhnisch/Funk 1989, 177).
Wird der Aspekt der Mobilität hinsichtlich der Unterschiedlichkeit von Mädchen und Burschen
betrachtet, zeigt sich, daß trotz vielfältiger Gleichstellungen Mädchen noch immer geringere
Mobilitätschancen als Burschen haben. Im traditionellen Sinn war die Mobilität der Mädchen
vor allem auf das spätere Auskommen im Dorf bezogen. Heute ist die Mobilität der Mädchen
berufsbezogen: Gerade für Mädchen ist die Bereitschaft zur Mobilität als Grundvoraussetzung
für Ausbildungschancen zu sehen. Mädchen, die eine höhere Bereitschaft zur Mobiltität
zeigen, entziehen sich leichter der dörflichen Kontrolle, gleichzeitig sind ihre Ansprüche an die
‘Flexibilität’ höher als bei Burschen.
In ländlichen Regionen dominieren Mädchen im Bereich der vertikalen (Bildungs)- mobilität
(vgl. Böhnisch/Funk 1989, 178). Mädchen sind häufiger von Konflikten im Elternhaus
betroffen, wenn es darum geht, sich von zu Hause „abzusetzen“. Sie sind daher oft eher
dazu angehalten, sich mit den Ressourcen vor Ort zu genügen. Das bedeutet im Bereich der
Ausbildungswege eine erhebliche Reduzierung des Bildungsniveaus und -weges auf die
erreichbaren Optionen der näheren Umgebung. Die Teilhabe an der regionalen Mobilität ist
94
innerhalb der Jugendszene wichtig für Status und Prestige. Jugendliche die ihre
jugendkulturelle Orientierung verstärkt auf den örtlichen Nahraum richten, versuchen ihre
mangelnde Mobilität häufig dadurch zu kompensieren, daß sie ihr ‘am Ort Sein’ ausdrücklich
betonen und damit ihren - vielleicht mangelhaften - sozialen Status innerhalb der
Jugendszene zumindest in dieser Situation aufbessern zu können (vgl. Böhnisch/Funk 1989,
181).
4.5. Beschäftigungs- und Reproduktionsstruktur in ländlichen Regionen
Die jeweils individuelle räumliche Struktur der Ausbildungs - und Arbeitsplatzmöglichkeiten ist
für das Gelingen eines regionalen Berufsfindungsprozesses für Jugendliche von großer
Bedeutung. Anhand der vorzufindenden räumlichen Strukturen läßt sich der Umfang des
Mobilitätsaufwandes sowohl auf der vertikalen, als auch auf der horizontalen Ebene
ermessen. Die in der Region vorhandenen - oder nicht vorhandenen - Möglichkeiten
beeinflussen wesentlich die räumliche und zeitliche Ausdehnung der Ausbildung und des
individuellen Arbeitsalltages. Das Beschäftigungsangebot und die Ausbildungsmöglichkeiten
üben
großen
Einfluß
auf
die
Bleibeorientierung
bzw.
auf
die
Abwanderungsbereitschaft/notwendigkeit der Betroffenen aus (vgl. Böhnisch/Funk 1989,
122). Ländliche Regionen sind in ihren Beschäftigungs- und Reproduktionsstrukturen
durchaus heterogen: Gewerblich und industriell durchmischte Regionen bieten eine größere
Möglichkeitenpalette als strukturschwache Regionen mit erheblichen infrastrukturellen
Lücken. So läßt sich etwa der von mir untersuchte Bezirk Radkersburg durch seine extreme
Strukturschwäche charakterisieren. Der Bezirk ist von seiner gebremsten wirtschaftlichen
Dynamik und der schlechten verkehrstechnischen Anbindung an den Großraum Graz
geprägt. Für Jugendliche respektive Erwerbstätige bedeutet dieser Umstand eine erhöhte
Inkaufnahme von regionenüberschreitender Mobilität, um die Möglichkeiten einer Ausbildung
bzw. eines Arbeitsplatzes in Anspruch zu nehmen. Böhnisch/Funk (1989, 123) führen an, daß
die regionale Erreichbarkeit bedeutenden Einfluß auf die Qualität der Berufsfindung nimmt:
Daß sich hier für strukturschwache Regionen erhebliche Nachteile ergeben, liegt auf der
Hand. Für viele Bewohner ist dieser erhöhte Mobilitätsdruck bereits selbstverständlich und
wird daher auch kaum thematisiert. Obwohl nicht außer Acht gelassen werden darf, daß die
gegenwärtige Situation am Arbeitsmarkt die ‘individuelle Mobilitätsbereitschaft’ als Garanten
für qualitativ höhere Ausbildungen und Berufschancen forciert. Mangelnde individuelle
Bereitschaft zum Wechsel des Wohnortes, für einen Arbeitsplatz wird als einer der
Hauptgründe für Arbeitslosigkeit genannt. Willkürliche Mobilitätsforderungen leisten einer
Abwanderung vor allem der jüngeren Generationen Vorschub insbesondere wenn die
Erfahrung gemacht wird, daß man mit dem erlernten Beruf keine Arbeitsmöglichkeit in der
95
Region hat oder diese Möglichkeit weit unter dem Ausbildungsniveau liegt. Ländliche
Regionen
mit
Bleibeattraktivität
gut
für
durchmischter
Jugendliche.
Beschäftigungsstruktur
Außerhalb
dieser
zeigen
Gebiete
eine
zeigt
höherer
sich
ein
Abwanderungsdruck in latenter Verortung (vgl. Böhnisch/Funk 1989, 125).
4.5.1. Exkurs: Berufsfindung als Aspekt der Lebenslage
Die Wahl eines Berufes ist ein wesentlicher Akt jugendkultureller Freisetzung, wenn diese in
den ländlichen Regionen auch sehr stark von den regionalen Optionen abhängig ist. So
stehen hier oftmals Qualifikationen gegen Optionen oder die höhere ‘natürliche
Lebensqualität’ muß das eingeschränkte Angebot aufwiegen. Die Chancen auf berufliche
Weiterbildung, Umschulungsmaßnahmen, verlängerte Schulbildung ect. sind im ländlichen
Raum zwar gegeben, werden aber noch nicht so deutlich wahrgenommen wie im
gesellschaftlichen Durchschnitt. Die Verlängerung des Bildungsabschnittes ist ein offener
Prozeß im Rahmen der Lebensbewältigung und somit auch in einen sozialökologischen
Kontext eingebunden. „In dem Maße, in dem die Statuspassage Berufsfindung an
institutionelller Stabilität und Sicherheit verliert und für den einzelnen wenig kalkulierbar wird,
wird sie um so stärker den Bedingungen dieses sozialökologischen Kontextes unterworfen“
(Böhnisch/Funk 1986, 240). Deswegen sind hinsichtlich der Lebenslage Jugendlicher in
ländlichen Regionen die regionalen Optionen im Bereich von Bildung und Berufes von
besonderer Wichtigkeit. Regionale Optionen beinhalten den lebensperspektivischen Ausdruck
des Berufsfindungsprozesses für den einzelnen Jugendlichen. Dieser Ausdruck ist abhängig
von den Möglichkeiten der Bewältigung und von zwei Aspekten, die den regionalen Kontext
der Berufsfindung strukturieren. Die Jugendlichen müssen sich zwischen dem beruflichen
Mobilitätsdruck und dem regionalen Bleibewunsch entscheiden. Konkret bedeutet dies, daß
die Berufsfindung auch zwischen ländlich-traditionaler Arbeitsorientierung und der modernen
Berufsorientierung schwankt. Zum einen herrscht also ein regionaler Zusammenhang
zwischen Berufsfindung und Lebensbewältigung und zum anderen in der Konfrontation mit
modernen universalen Ansprüchen des Arbeits- und Berufslebens und den nach wie vor
wirksamen ländlich-kulturellen Tradtitionsbeständen. Was unter traditionellem ländlichen
Arbeitsethos verstanden wird, wurde bereits an anderer Stelle dargestellt. Jugendliche und
junge Erwachsene bemerken, daß die Konfrontation mit den qualitativen, komplexen
Anforderungen der Lebensplanung und der modernen Berufswelt unbestimmt ist. Gerade für
Mädchen ist die eigenständige Berufsfindung und ein qualitativ hochwertiger Ausbildungsgang
von besonders großer Bedeutung. Für Mädchen ist dieser Aspekt Ausdruck ihrer
Eigenständigkeit und Selbständigkeit auch hinsichtlich der Überwindung traditioneller
Geschlechterrollenzuschreibungen.
96
Trotzdem
sind
gerade
Mädchen
stärker
von
Einschränkungen
bezüglich
der
Berufsmöglichkeiten
und
daher
von
verstärkten
Anpassungsforderungen betroffen. Mädchen und jungen Frauen wird häufiger eine
„Ortsgebundenheit“ zugemutet als männlichen Arbeitnehmern. Während nun diese über
weitere Strecken pendeln und erwerbstätig sind, ohne gleich wegzuziehen, müssen Mädchen
mit vergleichbaren Ansprüchen entweder den Ort verlassen oder diese Ansprüche auf eine
sehr schmale Angebotspalette an Berufen für Frauen reduzieren. Burschen sind in Sachen
Berufsfindung offensichtlich bevorteilt: Häufig wird nach einer Lehrzeit in einem
handwerklichen Beruf eine Stelle in einem Industriebetrieb angenommen, weil sich mit dem
gewählten Lehrberuf kein Auskommen sichern läßt. Burschen finden somit leichter den
Zugang zu den traditionellen ländliche Erwachsenen- und Erwerbswelt (vgl. Böhnisch/Funk
1989,
250).
Ganz
allgemein
aber
steigt
die
Tendenz
zum
Nachholen
von
Bildungsabschlüssen und auch im ländlichen Raum gibt es ein wachsendes Anregungsmilieu
für Ausbildungsmotivation und alternative Berufsorientierungen. Es stellt sich daher in Zukunft
für Jugendliche vermehrt die Frage nach dem Verbleiben in heimischen Bezügen oder der
Bevorzugung einer qualifizierte Ausbildung und Arbeit. Aber, je qualifizierter die
Ausbildungswünsche werden, um so geringer sind die Chance, dafür auf dem Land eine
Realisierungsmöglichkeit zu finden ( vgl. Horstkotte 1985, 15).
4.6. Dörfliche und soziale Integration vs. Segregation
Hier geht es in erster Linie um Prozesse des Hineinwachsens Jugendlicher in die dörflich ländliche Gesellschaft. Für Jugendliche läuft dieser Prozeß über das Spannungsverhältnis
von sozialer Freisetzung und sozialer Kontrolle ab. Daneben wird der Prozeß sozialräumlich,
eben ‘dörflich’ und ‘über das Dorf hinaus’ erlebt (vgl. Böhnisch/Funk 1989, 205). Das dörflich
Milieu war traditionell der zentrale sozialräumliche Integrationskontext der Landjugend. Wegen
der Durchgängigkeit der Lebensbereiche gab es ein Übereinstimmung zwischen den
Integrationsformen in der Familie, den dörflichen Vereinen und anderen dörflichen
Institutionen. Die Eingliederung der Jugend in die Erwachsenenwelt vollzog sich über die
Jahrgangsgruppen, welche eigenständige Spielräume und auch Verpflichtungen gegenüber
der Dorfgemeinschaft übernehmen mußten. Zentrale Integrationsorte waren bspw. die
dörflichen Vereine, die Dorfgemeinschaft. Im Zuge des modernen Strukturwandels haben sich
die traditionellen Integrationsmuster gewandelt. Veränderungen der jugendkulturellen
Verortung im ländlichen Raum - vor allem die Zunahme der Regionalorientierung und des
damit zusammenhängenden Loslösungsprozesses vom dörflichem Milieu - ändern
Bedingungen der dörflichen Integration. Jugendliche machen zunehmend Erfahrungen, für die
es in Lebensbereichen, die traditionell für die Integration in das Erwachsenenleben
97
verantwortlich waren (bspw. Vereine), keine Vorbilder und keine Vergleiche mehr gibt. Wird
die Integration Jugendlicher nur über traditionelle Verbindlichkeiten definiert, kann es leicht zur
Segregation kommen. Die Integration in das dörfliche Milieu muß auch so erfolgen können,
daß Erfahrungen und Vorstellungen jugendkultureller Möglichkeiten ausgelebt werden können
und nicht nur anhand von Orientierungen an elterliche und dörfliche Vorgaben gebunden sind.
Mit der dörflichen Freisetzung und der sozialen Verselbständigung der Jugendphase im
ländlichen Raum wird diese zu einer Lebensphase, in der auch Lebensformen und
Lebensmöglichkeiten des ländlichen Raumes sichtbar werden, aus denen Impulse für eine
neue Qualität des dörflichen Zusammenlebens hervorgehen können (vgl. Böhnisch/Funk
1989, 237).
4.7. Bleibe- oder Abhauorientierung?
Die Beantwortung dieser Frage steht immer wieder im Mittelpunkt der Landjugendforschung.
Bereits in den fünfziger Jahren wurde darauf hingewiesen, daß „Abwandern oder Bleiben als
Orientierungsmuster der Landjugend nicht nur aus der disparitären ökonomischen Situation
des ländlichen Raums zu verstehen sind, sondern auch davon, welchen Status die
Jugendlichen auf dem Land haben“ (Böhnisch/Funk 1989, 182). Es wurde bereits mehrmals
darauf hingedeutet, daß die Möglichkeit des Auslebens eigener Lebensstile sowie
die
Verfügung über eigene Bereiche der Gestaltung einen wesentlichen Beitrag zum Erleben als
eigene Sozialgruppe beisteuert - und dies wiederum Auswirkungen auf die Orientierung des
Bleibens oder Weggehens zur Folge hat. Wenn in den letzten Jahren eine gestiegene
Bleibeorientierung festgestellt werden konnte, ist dies sicherlich auf die Durchsetzung
jugendkultureller Gelegenheitsstrukturen im Freizeitbereich und der Etablierung vielfältiger
schulischer Ausbildungsangebote im regionalen Kontext zurückzuführen. Im Zusammenhang
mit der ‘Bleibe- oder Abhauorientierung’ bedeutet dies, daß die in den siebziger Jahren stark
ausgeprägte Stadt- vs. Landorientierung aufgrund einer Regionalorientierung zurückgedrängt
worden ist. Die Landjugendforschung zeigte, daß es in den siebziger Jahren eine starke
Aktivierung der Jugend im ländlichen Raum gab. Ziel war es, den Status der ländlichen
Jugend zu verbessern, sowie eigene Räume zu schaffen. „Die Aktivierung der Jugend in den
siebziger Jahren im ländlichen Raum war eine jugendkulturelle Bewegung ohne ländliche
jugendkulturelle Vorbilder; sie mußte sich zwangsläufig an städtischen Formen jugendlicher
Aktivierung orientieren“ (Böhnisch/Funk 1989, 183). Vor allem urbane und dorfabgewandte
Orientierungsinhalte wurden virulent, im engeren dörflichen Bereich der Jugendlichen konnten
viele Inhalte nicht reproduziert werden. Träger dieser Aktivitäten waren vor allem Studenten
und Jugendliche, die in der Stadt eine Lehre absolvierten. Sie übernahmen urbane
98
jugendkulturelle Muster und versuchten, sie auch im ländlichen Raum zu leben oder sie
bewußt als Anstöße für eine ländliche Jugendkultur zu propagieren. Im Zuge vielfältiger
Entwicklungen entstand eine ‘städtische Orientierung’, welche sowohl an die städtischen
Lebensformen selbst, als auch an eine ‘Idee von der Stadt’, in der für Jugendlichen mehr los
ist als auf dem Land, anknüpfte. Diese urbanen Einflüsse lösten eine starke Stadtorientierung
- Weggehorientierung - aus, nicht nur aus ökonomischen Gründen, sondern auch mit der
Hoffnung, dort anders leben zu können. Das ‘Weggehen in die Stadt’ war für viele Jugendliche
attraktiv, wenn auch die Orientierung ‘Weggehen, um anders zurückzukehren’ nicht zu
übersehen war. Die ‘städtische Orientierung’ läßt sich folgendermaßen zusammenfassen:
Da sozio- und jugendkulturelle Entwicklungen der Bildungsmobilisierung im ländlichen Raum
sich weder dörflich noch regional jugendkulturell umsetzen ließen, wurde vor allem in den
siebziger Jahren das ‘Städtische’ zum Fluchtpunkt (vgl. Böhnisch/Funk 1989, 186).
In den achtziger Jahren verlor diese ‘städtische Orientierung’ weitgehend ihre Bedeutung,
weil es zunehmend möglich war, ländliche Ausdrucksformen und -räume für eine
jugendkulturelle Freisetzung zu finden. Das, was an ‘städtischem’ in den Lebensstilen und
Verhaltensmustern blieb, ist inzwischen auch in der engeren und weiteren Region zu
erreichen. Das heißt, die statusvermittelnde Jugendkultur ist regional erreichbar geworden.
Die sich daraus entwickelte ‘Bleibeorientierung’ konstituiert sich vorwiegend über den
verminderten Milieudruck, der durch die zunehmende Regionalisierung der ländlichen Räume
entstanden ist (vgl. Böhnisch/Funk 1989, 189). Viele Dörfer haben sich zumindest soweit
sozial modernisiert, daß die persönlichen Beziehungen, und damit auch persönliche Smybole
sozialer Kontrolle zurückgetreten sind. Zudem hat das Sichtbarwerden einer regionalen
Konsum- und Kommerzszenerie, in der moderener Lebensstil und Outfits propagiert werden,
jugendliches Kleidungs- und Straßenverhalten in eine neue Bezugsgröße der Normalität
gesetzt, die früher im Dorf nicht vorhanden war. „Es konnten sich Lebensformen
herausbilden, die für die Jugendlichen überschaubar sind und die von den Erwachsenen
toleriert werden können, weil regionale Bezüge - die Normalität des Dorfes - nicht infrage
gestellt werden“ (Böhnisch/Funk 1989, 189). Die so entstandene Landorientierung bedeutet,
nicht auf das Städtische angewiesen zu sein. Es zeigt sich aber, daß in peripheren Dörfern,
wo im engeren regionalen Umkreis noch wenig los ist, wo im Dorf die Familienkontrolle und
der Anpassungsdruck durch bspw. Vereinsstrukturen noch sehr hoch ist, großstädtisch
gefärbte Stereotypien vom ‘Was-los-Sein’ häufiger zufinden sind. Gerade in diesen Dörfern
gibt es immer wieder Jugendliche die weggehen wollen. Auch Jugendliche, die durch ihre
kulturellen Erfahrungen (Studenten, Gymnasiasten ect.) von einem städtischen Milieu
beeinflußt sind, finden weniger eine Balance zwischen Regional- und Dorforientierung, wie sie
sich im Zuge der Aufwertung des Regionalespektes in den letzten Jahren im ländlichen
99
Raum entwickelt hat. Sie fahren zwar gerne aufs Land zu ihren Eltern und Verwandten - aber
sie sind auch froh, wieder fortzukommen. Im städtischen Milieu finden sie eine ‘subkulturell’
ausgegrenzte eigene Welt vor, die nicht mit einer späteren dörflichen Integrationsperspektive
zu vereinbaren ist. Gleichaltrige im ländlichen Raum sind in ihrem Verhalten unbewußt immer
auf diese mögliche Integrationsperspektive ausgerichtet (vgl. Böhnisch/Funk 1989, 190). In
der
‘Bleibe-
oder
Abhauorientierung’
lassen
sich
deutlich
geschlechtsspezifische
Differnzierungen beobachten. Für Mädchen steht immer noch stärker als bei Burschen die
Weggehorientierung im Vordergrund. So geben sie in Untersuchungen von Böhnisch/Funk
(1989) an: Einerseits in der Heimatregion bleiben zu wollen, nicht aber im Heimatdorf,
andererseits aber auch ganz aus ländlichen Regionen weg zu wollen. Wahrscheinlich hängt
dies damit zusammen, daß sie stärker unter sozialer Kontrolle stehen und für das
Ausprobieren anderer Verhaltensmöglichkeiten keine eigenen Räume zur Verfügung stehen
(vgl. Böhnisch/Funk 1989, 200 / Gfrörer 1991, 237f.).
Im empirischen Teil dieser Arbeit wurden Interviews mit Schülern und Schülerinnen eines
Gymnasiums durchgeführt. Anhand der Auswertung soll untersucht werden, wie weit die
Interviewpartner von den
in der Literatur angeführten Verortungen der Lebenslage
Jugendlicher in ländlichen Regionen betroffen sind.
100
5. Forschungsfrage
Die Forschungsfrage für diese Arbeit resultiert aus einer These von Kàràs/Rögl (1988, 539)
und wurde bereits ansatzweise für die Herausarbeitung lebenslagenbeschreibender Aspekte
in dieser Arbeit (Kapitel 4.3) herangezogen. Die Autoren meinen, daß Jugendliche in
ländlichen Regionen grundsätzlich Lebenshaltungen und Werthaltungen zeigen, die jenen
derselben Altersgruppe in städtischen Lebensräumen gleich sind. Der Unterschied besteht in
Möglichkeiten der Umsetzbarkeit dieser ‘neuen’ Orientierungen, den Bedürfnissen und
Interessenslagen entsprechend. So sind spezifische Schul- und Berufsausbildungen und
damit entstehende Karrieremöglichkeiten, Freizeit- und Konsumbedürfnisse vielfach im
ländlichen Kontext nicht umzusetzen. Jugendliche sind in ihrer jugendkulturellen Freisetzung
an das spezifische ländliche Sozialmilieu gebunden. Konkret bedeutet das, daß die
Perspektiven der Verwirklichung der ‘urban-modernen’ Lebensorientierungen immer im
Zusammenhang mit dem jeweiligen ländlichen Alltag zu sehen sind.
In der Literatur von Böhnisch/Funk wird darauf hingewiesen, daß sich die Lebenslage
Jugendlicher in ländlichen Regionen an einem ausgeprägten Regionalitätsbezug festmachen
läßt. So zeige sich gegenwärtig, daß sich für Jugendliche nicht mehr der traditionelle
Widerspruch Dorf und Stadt stellt, sondern daß es vielmehr darum geht, ihre Verortung und
ihre Nutzung des ländlichen Raumes in seiner regionalen Optionsvielfalt (regionale Aus- und
Weiterbildungsmöglichkeiten, Freizeitangebote in den Regionen) zu erfassen. Die im Zuge
der Modernisierungstendenzen in ländlichen Gebieten erfolgte Aufwertung des regionalen
Umfeldes als erweiterter Lebensbereich hat vor allem für die jugendkulturelle Freisetzung eine
große Bedeutung. Jugendliche ‘erfahren’ das regionale Umfeld in einer weitläufigeren
Dimension als nur jener, die sich im Zusammenhang mit der politischen, administrativen also funktionsräumlichen - Aufwertung der ländlichen Region ergibt. Erfahrungen, die
Jugendliche im erweiterten, auf die Kleinräumlichkeit des Dorfes bezogenen Lebensumfeld
machen, werden im konkreten Lebensbereich zum Ausdruck gebracht.
Die Fragestellung lautet daher: „Wie gestaltet sich die Lebenslage Jugendlicher in ländlichen
Regionen zwischen dem allgemeinen Strukturwandel der Jugendphase und den jeweiligen
Lebensbedingungen ländlicher Regionen, welche trotz zahlreicher Veränderungsprozesse
eine Stabilität traditioneller Handlungsmuster im ländlichen Alltag aufweisen?“
101
102
Der Ausgangspunkt der Arbeit stützt sich darauf, daß es einen Zusammenhang zwischen
dem allgemeinen Strukturwandel der Jugendphase und der im Zuge der Modernisierung
forcierten Veränderungsprozesse ländlich - traditioneller Lebenswelten geben muß. Die
Veränderungsprozesse sind immer nur im spezifischen Verhältnis der jeweiligen ländlichen
Region zu sehen. Aus dieser Annahme ergibt sich, daß Jugendliche hinsichtlich ihrer
Aufwachsens-
und
Lebensbedingungen
in
von
Spannungsverhältnissen
geprägten
sogenannten ‘Zwischenwelten’ leben und verstärkt Koordinationsleistungen aufbringen
müssen, um ihre Lebenssituation zu bewältigen (vgl.Böhnisch/Funk 1989,10). Jugendliche
sollen auf der einen Seite Anforderungen und Aufgaben des Lebensabschnittes bewältigen,
müssen aber andererseits auch mit den vorhandenen,
gewachsenen ländlichen
Alltagswelten umgehen können. Durch die stärkere Rückbindung an den Lebensraum, die
durch die Überschaubarkeit dieses Lebensraumes verstärkt wird, ist es nicht so einfach
möglich, ‘modernes’ Jungsein - wie im städtischen Bereich - subkulturell abzugrenzen und
auszudrücken. Der ländliche Alltag stellt Kontexte bereit, in denen die Bewältigungsprozesse
zum Teil unterhalb der öffentlichen und institutionellen Erwartungs- und Deutungsmuster
ablaufen müssen (vgl. Böhnisch/Funk/Huber/Stein 1991,13).
5.1. Die Untersuchungsgruppe
Die 14 Jugendlichen besuchten mehrheitlich das BORG in Bad Radkersburg. Eine
Interviewpartnerin die BBAfKP in Mureck, ein Jugendlicher eine HTL in Graz, ein Jugendlicher
eine HTL im Burgenland und eine Jugendliche die HAK in Leibnitz. Alle Jugendlichen haben
ihren ordentlichen Wohnsitz im Bezirk Radkersburg.
• Auswahl der Befragten
In der empirischen Arbeit wurden 14 leitfadengestützte Interviews mit SchülerInnen des
Bezirkes Radkersburg durchgeführt. Die ursprüngliche Überlegung, ein breiteres Spektrum
von Jugendlichen zu erfassen - d.h. sowohl Lehrlinge als auch Schüler zu befragen, - konnte
im Rahmen dieser Arbeit nicht ausgeführt werden.
Aufgrund der begrenzten Auswahl von Jugendlichen - nur SchülerInnen - kann kein Anspruch
auf Repräsentativität erhoben werden. Sehr wohl aber ist es möglich, einen Einblick in die
Lebenslage Jugendlicher aus einer spezifischen ländlichen Region zu gewinnen.
Die gewählte Art der Datenerfassung bringt daher, bedingt durch den Verzicht auf
Repräsentativität einzelne typische Fälle zur Darstellung. Um zu vermeiden, daß durch die
Vororientierung eine verzerrte Auswahl entsteht, ist von Seiten der
103
forschenden Personen ein hohes Maß an Selbstkontrolle notwendig. Um Verzerrungen zu
vermeiden lohnt es sich, die InterviewpartnerInnen nicht aus dem Bekanntenkreis zu wählen.
Die Gefahr einer spezfischen Vorselektion der Inhalte wäre zu groß (vgl. Lamnek Bd.2 1995,
94).
• Alter
Das Alter der Jugendlichen bewegt sich zwischen 15 und 20 Jahren. Im Zusammenhang mit
der
Interviewauswertung
haben
sich
aufgrund
der
Altersstreuung
zwei
Gruppen
herausgebildet. Acht Jugendliche gehören der ‘jüngeren Gruppe’ an - also jenen, die zwischen
15 und 17 Jahre alt sind. Sechs Jugendliche bilden die ‘ältere Gruppe’ zwischen dem 18. und
20. Lebensjahr.
• Geschlecht
Unter den 14 interviewten Jugendlichen befanden sich 9 Mädchen und 5 Burschen.
männlich
Alter
weiblich
Alter
1
15 - 17
7
15 - 17
Jahre
4
18 - 20
Jahre
2
Jahre
5
6
18 - 20
8
Jahre
9
14
• Familiensituation
Mithilfe eines Begleitfragebogens (siehe Anhang) zu Beginn des Interviews konnte zum einen
nicht nur eine Einstimmung auf das nachfolgende Interview erreicht werden, sondern auch
allgemeine Fragen bezüglich der familiären Situation der InterviewpartnerInnen gestellt
werden. Damit sollte die berufliche Ausbildung und Situation der Eltern und die Anzahl und
Ausbildung der Geschwister erfaßt werden. Die Auswertung dieser Fragen hat zu folgenden teilweise recht erstaunlichen - Ergebnissen geführt.
104
• Ausbildung der Eltern
Höchste
Ausbildung
Volksschule
Hauptschule
Fachschule
Lehre
Matura
Universitätsstudium
Berufsbildendes
Studium [PädAk]
Sonstiges
Summe
Mutter
Vater
3
5
2
1
2
3
2
3
3
1
2
1
14
14
• Tatsächlich ausgeübte Berufe der Eltern
Ausgeübte Berufe
LandwirtIn
Angestellte/r
ArbeiterIn
FacharbeiterIn
Selbständige
UnternehmerIn
Summe
Mutter
Vater
4
6
3
-
2
7
1
2
1
14
2
14
Es zeigt sich, daß von lediglich zwei Jugendlichen beide Eltern im Vollerwerb in einem
landwirtschaftlichen Betrieb tätig sind. Bei zwei weiteren Interviewpartnerinnen sind jeweils
die Mütter in der Landwirtschaft tätig, während die Väter einen außerlandwirtschaftlichen
Beruf ausüben. Der landwirtschaftliche Betrieb wird in diesen Familien im Nebenerwerb
geführt. Von den restlichen 10 InterviewpartnerInnen wird angegeben, daß beide Eltern
berufstätig sind, sei es als Angestellte in Dienstleistungsbetrieben oder als selbständige
Unternehmer. Ob diese Angaben der realen Situation entsprechen , d.h. ob wirklich beide
Elternteile einen außerhäuslich berufstätig sind,
kann nicht überprüft werden. Als
bemerkenswert soll aber noch einmal der verhältnismäßig geringe Anzahl der Eltern
hervorgeboben werden, die in einem landwirtschaftlichen Betrieb tätig sind.
105
• Anzahl und Ausbildung der Geschwister
Interview
Bruder
g
a
äl
jü
A
B
C
D
w
w
w
w
16
16
16
17
1
E
F
w
w
20
18
1
G
H
J
w
m
m
15
16
20
1
K
w
17
2
L
M
m
w
18
15
N
m
19
O
m
19
Schwester Summe
äl
1
1
2
1
1
1
1
2
2
2
1
2
2
1
1
1
2
2
1
2
Ausbildung
Schwester
jü
1
1
1
Ausbildung
Bruder
2
1
2
1
2
5
2
2
4
Beruf
VS
Beruf
Beruf
[beide]
BMS
BHS
Beruf
AHS
HS
Beruf
Kindergarten
Universität
Universität
[beide]
VS
AHS
Beruf
[2Brüder]
AHS
AHS
BMS;
VS
Beruf
Universität
Universität
[beide]
Universität
[beide]
Besonders auffallend hinsichtlich der Ausbildung der Geschwister ist die Tatsache, daß ein
Großteil der weiblichen Geschwister eine universitäre Ausbildung absolviert. Vielleicht kann
man dieses nicht weiter untersuchte Ergebnis als Zeichen eines neuen weiblichen
Selbstverständnisses junger Frauen in ländlichen Regionen deuten.
Der Kontakt zu den InterviewpartnerInnen wurde in fast allen Fällen persönlich geschlossen.
Mit den SchülerInnen des BORG Bad Radkersburg wurde der Erstkontakt durch Fr. Mag.
Oberascher hergestellt. Die Interviews wurden im Zeitraum von Februar - März 1997
durchgeführt.
Bevor ich näher auf den Inhalt und die Auswertung der Interviews eingehe, möchte ich kurz
die Interviewsituationen beschreiben.
106
5.2. Die Interviewsituation
Die Dauer der Interviews lag zwischen 45 Minuten und mehr als einer Stunde. Die beiden
kurzen Interviews wurden in zwei von Fr. Mag. Oberascher zur Verfügung gestellten
Unterrichtseinheiten
durchgeführt.
Ort
dieser
Interviews
war
jeweils
ein
leeres
Klassenzimmer im Schulgebäude des BORG Bad Radkersburg. Diese räumliche und
zeitliche Gebundenheit ließ den Eindruck einer Prüfungssituation aufkommen. Vor allem war
ich aufgrund der zeitlichen Limitierung bemüht, möglichst viele der anhand eines
unterstützenden Leitfadens vorbereiteten Fragen unterzubringen. Die Interviews wirkten sehr
gehetzt - obwohl ich glaube, daß beide Interviewpartnerinnen bereit gewesen wären, mehr ‘zu
erzählen’ wenn die Zeit es erlaubt hätte. Auf Grund dieser Erfahrung war es für mich sehr
wichtig, bei den nachfolgenden Interviews den Ort möglichst frei - bzw. im Interesse der
InterviewpartnerInnen zu wählen. Lamnek (Bd.2 1995, 107) empfiehlt zwar, daß der Ort des
Interviews die Lebensnähe des Interviews unterstützen und in einer dem Befragten natürlich
und bekannt erscheinenden Umgebung liegen sollte. Trotzdem haben vor allem die älteren
Jugendlichen vom Angebot, während der Schulsemesterferien nach Graz zu kommen,
Gebrauch gemacht. Da sich die InterviewpartnerInnen mit der Wahl des Ortes sichtlich
zufrieden zeigten, mag es auch verzeihlich sein, daß das Interview nicht in einer dem Alltag
ähnlichen Situation stattgefunden hat. Die Interviews in meiner Wohnung waren hinsichtlich
der Rahmenbedingungen die angenehmsten. In der Wohnung war die Möglichkeit gegeben,
alle störenden Einflüsse [Telefon ect.] für den Zeitraum des Interviews auszuschalten, sofern
es von den InterviewpartnerInnen gewünscht wurde. Ein restlicher Teil der Interviews wurde
entweder in öffentlichen Lokalen oder in der elterlichen Wohnung der InterviewpartnerInnen
durchgeführt. In jedem Fall aber konnten die InterviewpartnerInnen den Ort des Interviews
bestimmen. Bei Interviews in Lokalen bestand lediglich das Problem akustischer
Nebengeräusche, was die Transkription zum Teil erschwerte. Beim Interview einer 15
jährigen Schülerin in der elterlichen Wohnung wurde das Interview durch die ständige
Anwesenheit der Mutter erheblich gestört.
Grundsätzlich wurden die InterviewpartnerInnen zu Beginn des Interviews auf Sinn, Ziel und
Gegenstand
der
Befragung
hingewiesen.
Die
Zusicherung
einer
absoluten
Anonymitätswahrung war für viele überhaupt die Grundbedingung, sich auf das Interview
einzulassen.
107
5.3. Die Untersuchungsmethode
Im Sinne einer empirisch ausgerichteten Arbeit wurden qualitative leitfadengestützte
Interviews durchgeführt. Mithilfe dieser Methode war es möglich, mit den Jugendlichen in eine
persönliche, vor allem aber situativ flexible Kommunikationssituation zu treten.
5.3.1. Das Interview
• Begrifffsbestimmung
In der etymologischen Herleitung des im 20.Jh. aus dem englischsprachigen in den
deutschsprachigen Raum gelangten Wortes ‘Interview’ stößt man auf das französische
‘entrevue’ was so viel bedeutet wie ‘verabredete Zusammenkunft’ bzw. unter Heranziehung
des dazugehörigen Verbes ‘entrevoir’, ‘einander kurz sehen’ oder ‘sich begegenen’ (vgl.
Lamnek Bd.2 1995, 35). In der wissenschaftlichen Begriffsbestimmung sind einige der
transportierten Vorstellungsinhalte wiederzufinden, die sich aus der Herleitung des Wortes
ergeben.
Das Interview ist eine Gesprächssituation, die bewußt und gezielt von den Beteiligten
hergestellt wird - verabredete Zusammenkunft -, damit einer Fragen stellt, die vom anderen
beantwortet werden (vgl. Lamnek Bd.2 1995, 36). Die Intentionen, die zur Herbeiführung eines
Interviews führen, können im wissenschaftlichen Konnex unterschiedlich sein. Lamnek (vgl.
Bd.2 1995, 38) unterscheidet dahingehend in ermittelnde und vermittelnde Interviews. In
vermittelnden Interviews steht die informierende und beeinflussende Kommunikation im
Vordergrund. Häufig geht es darum, eine Erkenntnis- oder Bewußtseinsveränderung auf
Seiten des Befragten herbeizuführen. Ermittelnde Interviews verfolgen im Gegensatz dazu
das Ziel, den Interviewern durch die Befragung von ausgewählten Person bestimmte
Informationen bereitzustellen. Die ermittelnden Interviews lassen sich in drei Untergruppen
einteilen. Unterschieden wird in das informatorische, das analytische und das diagnostische
Interview. Die in den Sozialwissenschaften gemäß dieser Einteilung am häufigsten
verwendete Form ist das analytische Interview.
„Das analytische Interview versucht vor allem, soziale Sachverhalte zu erfassen. Der
Forscher oder der Interviewer analysiert und beschreibt die Äußerungen des Befragten
aufgrund theoretischer Überlegungen und Konzepte. Hier erfolgt, wie der Name schon sagt,
die Analyse der Äußerungen im Interview aus der Basis theoretisch - hypothetischer
Gedanken im Sinne von Hypothesenprüfung“ (Lamnek Bd.2 1995, 39).
108
• Das qualitative Interview
Aufgrund
vom
methodologischen
Unterschied
quantitativer
und
qualitativer
Forschungsparadigmen, festgehalten am Differenzierungsmerkmal der Standardisierung des
verwendeten Interviewleitfadens, läßt sich das in dieser Arbeit verwendete Interview zwischen
diesen beiden Ansätzen positionieren. Der Interviewleitfaden entsprach den Kriterien eines
halb - standardisierten Leitfadens. Während bei standardisierten Befragungen ein detailliert
ausgearbeiteter Fragebogen verwendet wird, in dem sowohl die Formulierung als auch die
Reihenfolge der Fragen fixiert ist, hat die interviewführende Person in einer halb standardisierten Befragung die Möglichkeit, die Reihenfolge und die Formulierung der Fragen
im wesentlichen selbst zu bestimmen (vgl. Lamnek Bd.2 1995, 40f). Die Gegenposition
dieser beiden Formen nimmt das offene Interview ein. Der Interviewführende arbeitet hier
ohne Fragebogen oder festes Frageschema, maximal anhand eines Rahmenthemas, über
das man sich frei unterhält.
Im halb - standardisierten Interview werden Inhalte ‘subjektiver Theorien’ rekonstruiert. Das
bedeutet, daß Personen ausgewählt werden, von denen man annehmen kann, daß sie
bezüglich des Untersuchungsgegenstandes ein mehr oder weniger komplexes - subjektives Wissen besitzen. Mit der Befragung werden subjektive Theorien des Befragten über den
Untersuchungsgegenstand rekonstruiert (vgl. Flick 1996, 100). Im Zusammenhang mit der
vorliegenden Arbeit bedeutet ‘subjektive Theorien’, daß die befragten Jugendlichen eine mehr
oder weniger reflektierte Theorie über ihr ‘Jungsein’ ausgebildet hatten, welches im Zuge der
Interviews ausformuliert und offen dargelegt würde. Der verwendete Leitfaden war nach
thematischen Schwerpunkten aufgebaut. Der Leitfaden wurde durch theoriegleitete Fragen
ergänzt die sich an der verwendeten Literatur zum Thema orientierten. Die Fragen waren
‘offen’ formuliert und eröffneten den InterviewparterInnen die Möglichkeit, aus ihrem
verfügbaren Wissen frei zu antworten bzw. zu erzählen.
„Die Offenheit des Vorgehens wird durch den narrativen Charakter der Befragung, die dem
Befragten viel Freiraum zur eigenen Betonung wichtiger Themenbereiche läßt, gewährleistet“
(Lamnek Bd.2 1995, 55). „Die darin formulierten Zusammenhänge dienen im Interview dazu,
das nicht unmittelbar verfügbare, implizite Wissen der InterviewpartnerInnen zu explizieren“
(Flick
1996,
101).
Diese
Fragen
sind
als
‘Angebote’
formuliert,
die
von
den
InterviewpartnerInnen aufgegriffen oder abgelehnt werden können, je nachdem, ob sie der
subjektiven Theorie entsprechen oder nicht (vgl. Flick 1996, 101). Es hat sich in diesem
Zusammenhang herausgestellt, daß vor allem einige der älteren InterviewpartnerInnen
Interesse an verwendeter Literatur bspw. über den ‘ländlichen Raum’ oder über
‘Jugendkulturen’ gezeigt hatten.
109
War
zu Beginn der Interviews und vor allem beim Erstinterview noch eine erhebliche
Verhaftung am Leitfaden zu spüren, so ergab sich im Verlauf der nachfolgenden Gespräche
doch eine gewisse Loslösung vom Leitfaden. Es wurde zunehmend selbstverständlich,
während der Interviews zu entscheiden, in welcher Reihenfolge die Fragen gestellt werden
sollten, ob Fragen vielleicht schon ausreichend beantwortet worden waren, ob es notwendig
war, detaillierter nachzufragen oder nach Ausschweifungen der InterviewpartnerInnen diese
wieder an den Leitfaden zurückzuholen.
Aufgrund dieser Spielräume bei der konkreten
Gestaltung der Interviews schlägt Flick (1996, 113) - wie gesagt - den Begriff des ‘
teilstandardisierten Interviews’ vor.
Der Rückgriff auf ein ‘teilstandardisiertes Interview’ hat sich auch deswegen gut bewährt, weil
durch die offene Gestaltung der Interviews einerseits der Zugang zu individuellen
Erfahrungswelten geschaffen und andererseits die Möglichkeit der Vergleichbarkeit und der
Strukturierung der gewonnen Daten erreicht werden konnte.
Zusammengefassend läßt sich nun festhalten, daß folgende Elemente für eine
Charakterisierung der qualitativen Interviews notwendig sind:
• Sie sind mündlich - personal.
• Die Interviewsituation erfordert eine
situative Anpassung der Fragen. Standardisierte
Formen der Befragung sind nicht geeignet.
• Die Fragen werden offen gestellt.
• Der Interviewstil ist neutral bis weich.
• Im Hinblick auf die Absicht der Interviewer wird das Gespräch eher vermittelnd geführt.
Ermittelnde Interviews sind aber durchaus auch zulässig.
• Das qualitative Interview wird in Form einer Einzelbefragung durchgeführt (vgl. Lamnek
Bd.2 1995, 59f).
• Methodologische Kriterien des qualitativen Interviews
Methodologische Kriterien der qualitativen Sozialforschung können auch für qualitative
Interviews herangezogen werden. Es gehört zu den wesentlichen Aufgaben der
Sozialforschung, den Versuch zu unternehmen, die soziale Wirklichkeit zu erfassen, indem
man sie rekonstruiert. Bedeutungsstrukturen sozialen Handelns werden zum theoretischen
Ausgangspunkt und zum methodologischen Leitfaden der Sozialforschung (vgl. Lamnek Bd.2
1995, 61). Das Interview, eine Methode der qualitativ - empirischen Sozialforschung, bietet die
Möglichkeit der sprachlichen Erfassung von Bedeutungsmustern der ausgewählten sozialen
Wirklichkeit. Im Interview hat die befragte Person die Gelegenheit, anhand der eigenen
sprachlichen Kompetenzen ein Bild der eigenen sozialen Wirklichkeit zu zeichnen. Die
110
wesentlichen methodologischen Kriterien der qualitativen Sozialforschung lassen sich kurz
wie folgt beschreiben:
• Prinzip der Offenheit:
Etwaige theoretische Vorstrukturierungen des Forschungsgegenstandes werden vom
Interviewer
zurückgestellt.
Unvorhersehbare
Informationen
bilden
während
der
Interviewsituation das Forschungsthema. Das bedeutet für das qualitative Interview, daß
durch den Verzicht auf eine Vorstrukturierung oder Standardisierung der Fragen eine
Bedeutungsstrukturierung durch den Befragten möglich wird.
• Prinzip der Kommunikativität:
Das qualitative Interview gehorcht diesem Prinzip, weil es sich um eine mündlich - personale
Kommunikation handelt. Der Interviewer muß sich an die Sprache des Befragten anpassen.
• Prinzip der Prozeßhaftigkeit:
In der qualitativen Sozialforschung wird der Forschungsprozeß als Kommunikationsprozeß
verstanden: Daraus ergibt sich, daß das qualitative Interview, in dem durch Agieren und
Interpretieren Deutungs- und Handlungsmuster wechselseitig produziert und modifiziert
werden, besonders dafür geeignet ist, um diese zu erfassen.
• Prinzip der Flexibilität:
Qualitative Formen der Datensammlung sind veränderbar in ihrer Durchführung. Der Verzicht
auf konstruierte standardisierte Erhebungsinstrumente läßt es zu, die Gestaltung des
Interviews im wesentlichen erst durch die Befragungssituation entstehen zu lassen (vgl.
Lamnek Bd.2 1995, 60-64).
• Prinzip der Natürlichkeit:
Das Untersuchungsfeld der qualitativen Sozialforschung ist die ‘natürliche Welt’. Daher sollte
die Interviewsituation für den Interviewpartner der natürlichen Alltagssituation auch möglichst
angepaßt
sein.
Verwendete
Sprachkodes
und
Kommunikationsregeln
sollten
der
Alltagskommunikation nahe kommen. Diese Bedingungen sollten dem Interviewer möglichst
bewußt bleiben, denn natürlich ist die Interviewsituation auch in der qualitativen Befragung in
hohem Maße ungewöhnlich und der alltagsweltlichen Kommunikation nur annähernd ähnlich
(vgl. Lamnek Bd.2 1995,201).
111
Aus methodologischer Sicht gelten diese Kriterien, unabhängig vom ausgewählten Typus des
Interviews, für alle qualitativen Interviews.
5.4. Der Interviewleitfaden
Bevor ich auf die Auswertung der Interviews eingehen werde, soll der Interviewleitfaden
vorgestellt werden. Die Zusammensetzung des Leitfadens basiert auf der verwendeten
Literatur und dem persönlichen Interesse am Gegenstand der Untersuchung. Der Leitfaden
garantiert hinsichtlich seines inhaltlichen Aufbaues eine Orientierungshilfe. Unter diesem
Aspekt ist von einem ‘teilstandardisierten’ Interview zu sprechen während die Abfolge der
Fragen aber keinen verbindlichen Charakter annahm. Grundsätzlich sollte erreicht werden,
daß die Interviewsituation einem natürlichen, sich sukzessive entwickelnden Gespräch
gleicht. In den Formulierungen der konkreten Fragen war es immer wieder notwendig, auf die
individuelle Interviewsituation einzugehen.
Die flexible Handhabung des Leitfadens und damit auch die Entscheidung für eine konkrete
Fragestellung, bewirkt
eine Reduktion der Vielfalt und damit die
Strukturierung des
untersuchten Gegenstandes (vgl. Flick 1996, 65). Außerdem wird dadurch erreicht, daß die
Themen nicht immer in derselben Reihenfolge angesprochen werden, da manche Punkte
nicht in einen Zusammenhang mit dem Interesse und der sozialen Wahrnehmung der
Lebenswelt der Befragten gebracht werden können (vgl. Lamnek Bd.2 1995, 113).
• Aufbau des Interviewleitfadens
1. Fragenbereich: ‘Land - ländlicher Raum’
Fragen in diesem Bereich sollen:
a. die persönliche, individuelle Sicht und die Eigendefinition des ‘Lebensraumes’ Land
widerspiegeln.
b. die Wahrnehmung und Sichtweise ländlicher Regionen als Lebenswelt erfassen.
2. Fragenbereich: ‘Jugend’
In diesem Fragenblock geht es darum,:
a. den individuellen Zugang zum Begriff ‘Jugend’ zu formulieren und eine eigene Definition
des Begriffes zu bilden.
b. Die eigene Wahrnehmung dieses Lebensabschnittes auszuformulieren.
3. Fragenbereich: ‘Jugend und ländlicher Lebensraum’
Während die ersten beiden Bereiche eher dazu dienen sollten, sich mit den beiden
Hauptbegriffen - Jugend und ländlicher Raum - des Interviews auseinanderzusetzen, ist der
dritte Teil dem eigentlichen Thema zugeordnet. Hier geht es darum, anhand von aus der
112
Literatur gewonnenen
Fragestellungen die jeweils individuelle Wahrnehmung der
Lebensitutation ‘Jugend’ in einer ländlichen Lebensumwelt zu hinterfragen bzw. von den
Jugendlichen ein Bild ihrer Wahrnehmung zu erhalten.
Die Fragen gruppieren sich hier um folgende Aspekte:
Wie wird das Jungsein im ländlichen Raum erlebt? Läßt sich eine Brücke zum selbst
gewählten Jugendbegriff bilden? Welche Ressourcen und Defizite hinsichtlich einer
eigenständigen
jugendkulturellen
Verortung
und
sozialen
Freisetzung
nehmen
die
Jugendlichen in ihrem Lebensumfeld wahr? Welche Rolle spielt der ländliche Alltag als
äußerer Rahmen für die Umsetzung gegenwärtiger jugendkultureller Interessen, Neigungen
und Bedürfnisse?
Die inhaltliche Aufarbeitung konzentriert sich auf folgende Bereiche (vgl. S.82ff; dort sind die
hier verwendeten Dimensionen bzw. in der Folge erläutert):
a. Freizeit - Welche Möglichkeiten der Freizeitgestaltung bieten sich an? Wie wird das
traditionelle Freizeitangebot Verein bzw. Jugendverein von den befragten
Jugendlichen
wahrgenommen
und
genutzt?
Bieten
die
Bereiche
der
Freizeitgestaltung die Möglichkeiten zur jugendkulturellen Freisetzung im Rahmen
der ländlichen Lebenswelt?
b. Ausbildung - Welche Berufsperspektiven eröffnen sich für die befragten
Jugendlichen nach Abschluß der Schule? Wie nehmen sie ihre Rolle als
SchülerInnen im ländlichen Kontext wahr? Gibt es hinsichtlich ihrer subjektiven
Wahrnehmung
Unterschiede
in
der
dörflichen
Anerkennung
durch
die
Erwachsenenwelt zwischen jugendlichen Lehrlingen und Schülern?
c. Mobilität - Mobilität gilt als Zauberwort für ländliche Regionen. Welche
Lebensbereiche
(Freizeitgestaltung,
Berufsausbildung
...)
werden
dadurch
geprägt?
d. Kontakt zwischen Jugendlichen und Erwachsenen - Wie gestaltet sich das
Generationsverhältnis zwischen Jugendlichen und Erwachsenen im dörflichen
Zusammenleben und in den Familien? Wie gehen Erwachsenen mit modernen
Wünschen und Anregungen Jugendlicher um?
113
e. Wünsche - Welche Wünsche bezüglich des Jungsein in ländlichen Regionen gilt
es auszuformulieren? Welche Erwartungen und Träume in Bezug auf die konkrete
Lebenssituation?
Für das Probeinterview wurde ausgehend vom Leitfaden ein Fragenkatalog entwickelt,
welcher den Verlauf des Interviews unterstützen sollte. Auszugsweise werden nachfolgend
einige der Fragen wiedergegeben:
• Fragenkatalog
1. Land
„ Was ist nach Deiner persönlichen Definition ‘Land’ ?“
„ Wenn von ‘Land’ die Rede ist werden Bilder wie Ruhe, Erholung, Idylle, Leben in Harmonie
und Dorfgemeinschaft, Menschen in Tracht und Landwirtschaft produziert. Was bedeutet
‘Land’ für Dich?“
„ Gibt es Kriterien, die das ‘typisch Ländliche’ beschreiben?“
„ Wenn Du an Dein Dorf (Gemeinde) denkst - wie würdest Du Fremden das Leben in dem
Ort beschreiben?“
„ Wodurch ist der Alltag in Deinem Ort bestimmt?“
„ In der Literatur zum Thema ländlicher Raum finden sich immer wieder Beschreibungen
ländlicher Lebensmilieus als inflexibel und konfliktunfähig. Ländliche Lebensmilieus werden
gekennzeichnet durch eine Unfähigkeit
im Umgang mit Neuem und Fremden, durch
unzeitgemäße Festhaltung an Traditionellem charakterisiert. Kannst Du zu diesen
Beschreibungen etwas sagen?“
2. Jugend
„ Was ist für Dich Jugend - Wie lautet Deine eigene, persönliche Definition?“
„ Wodurch ist die Jugend der Gegenwart im besonderen ausgezeichnet - vielleicht im
Vergleich zur Jugend Deiner Eltern?“
„ In den Medien werden Jugendliche gelegentlich als abgeklärt, haltlos, desinteressiert an
gesellschaftlichen und politischen Geschehnissen, konsumorientiert usw. beschrieben. Wie
bewertest Du diese Aussagen?“
3. Jugend und Land
„ Wie erlebst Du Dein Jungsein in einer ländlichen Region?“
114
„ Der ländliche Alltag als äußerer Rahmen für Deine Lebensbedingungen - Wie kannst Du
darin Deine Interessen, Deine Lebensträume, Deine Lebensentwürfe ... entwickeln? Paßt der
Rahmen für Dich oder gibt es Schwierigkeiten?“
„ Ist das ‘Land’ für Dein Jungsein Defizit oder Ressource?“
„ Glaubst Du, daß Jugendliche anderswo in ihren Möglichkeiten der Lebensgestaltung einen
Vorteil haben?“
„ Welche Möglichkeiten der Freizeitgestaltung hast Du?“
„ Verbringst Du Deine Freizeit im Ort oder bist Du in Deiner Freizeit auch in Deiner Region der Umgebung unterwegs?“
„ Mobilität gilt als Zauberwort im ländlichen Raum - welche Bedeutung hat das Wort für Dich?“
„ Was machst Du in Deiner Freizeit - hast Du die Möglichkeit spontan das zu tun wozu Du
Lust hast?“
„ Sind in Deinem Freundeskreis Schüler und Lehrlinge vertreten?“
„ Bist Du in einem Verein oder verbringst Du Deine Freizeit mit Freunden?“
„ Glaubst Du, daß Vereine eine Möglichkeit sind, sich leichter in das Dorfleben der
Erwachsenen einzugliedern?“
„ Wie glaubst Du nehmen Erwachsene Deiner Umgebung Deine Interessen, Dein Jungsein
wahr? Wie sehen Erwachsene in Deinem Ort Jugendliche?“
„ Du bist SchülerIn - wie stellst Du Dir die Zukunft nach Beendigung der Schule vor? Kannst
Du Dir vorstellen in der Region (Bezirk) eine Arbeit zu finden?“
„ Ist das Erlangen der Matura das Tor zum Abschied vom Land ...?“
„ Wenn Du die Möglichkeit hättest drei Wünsche zu äußern, die Dein Jungsein am Land
betreffen - was würdest Du Dir spontan wünschen?
Gerade für das Probeinterview hat es sich als vorteilhaft erwiesen, den Fragekatalog als
Unterstützung zu verwenden. Die Interviewunerfahrenheit konnte dadurch etwas gemildert
werden.
5.5. Kategorien für die Auswertung
Die Kategorien zur Auswertung der Interviews sind im wesentlichen aus der Literaturarbeit
dieser Arbeit abzuleiten und wurden unter Bezugnahme auf diese Ergebnisse der
Literaturrechere formuliert. Die inhaltliche Ausrichtung der Fragen in den Interviews sollten der
Darstellung der theoretischen Überlegungen dienlich sein. Nach Lamnek (Bd.2 1995, 64)
sollen die Aussagen des Interviews die zu Grunde liegenden Theorien darstellen. Im
Auswertungsprozeß werden die gewonnen Aussagen einer Explikation unterzogen.
115
Die drei Einzelbereiche Land, Jugend und Jugend im ländlichen Raum werden zu einer
übergeordneten
Kategorie
‘Ländlicher
Raum
als
Lebenswelt
für
Jugendliche’
zusammengefaßt.
Daraus ergeben sich folgende Auswertungskategorien:
a. Wahrnehmung des dörflichen Lebens mit Mustern sozialer Kontrolle,
Normen, Regeln, Traditionen; Bedingungen zur Integration in den Lebensraum;
Hierarchiestrukturen
in
der
Dorfgemeinschaft;
Wahrnehmung
des
Geschlechterverhältnisses.
Vermittelt das Dorfmilieu Geborgenheit, soziale Rückversicherung oder
Kontrolle und Verhaltenszwang ?
b. Wahrnehmung von Brüchen und Widersprüchen im ländlichen Alltag.
Wie wird mit Konfrontationen des Modernen mit dem Traditionellen
umgegangen?
Wo
werden
Widersprüche
zwischen
Modernem
und
Traditionellem fühlbar?
c. Wahrnehmung der Möglichkeiten zur individuellen Lebensgestaltung und bewältigung.
Wie sind ‘regionale Rahmenbedingungen’, ‘regionale Optionen’, ‘Formen der
Aneignung’ im Freizeit-, Berufs- und Ausbildungsbereich gestaltet? Welche
unterschiedlichen Formen der Nutzung dieser Bedingungen sind hinsichtlich
des ‘Geschlechtsunterschiedes’ zu erfahren?
d. Wahrnehmung als eigenständige Sozialgruppe mit Ansprüchen und
Problemen.
Wie wird das Erwachsenwerden im dörflich - ländlichen Kontext erlebt? Wie
gestalten sich Kontakte mit der Erwachsenenöffentlichkeit? Wie läßt sich das
Generationsverhältnis
beschreiben?
Wie
lassen
sich
die
dörfliche
Erwachsenenorientierung und die regionale Jugendorientierung koordinieren?
Welche Möglichkeiten zur Umsetzung jugendkultureller Interessen und Stile
können ‘vor Ort’ in Anspruch genommen werden? Welche Unterschiede in der
Lehrlings- und Schülersituation treten aus der Sicht der SchülerInnen zutage?
116
e. Auseinandersetzung der Jugendlichen mit den spezifischen Bedingungen
des Aufwachsens in einer ländlichen Region.
Welche ‘persönlichen Konsequenzen’ werden geschlossen? Findet eine
kreative Auseinandersetzung mit den Lebensbedingungen des Jungseins im
ländlichen
Raum
statt?
Welche
Möglichkeiten
einer
schöpferisch,
selbstinitiativen Auseinandersetzung mit dem Lebensraum gibt es? Wie wird
Jungsein zwischen den Optionen des ‘Bleibens und sich Arrangierens’ oder
‘Weggehens’ aus der Region eingeordnet? (vgl. Abschnitt 4.3.f. in dieser
Arbeit).
Die inhaltlichen Überlegungen zu diesen Kategorien sind in dem angegebenen Abschnitt
dieser Arbeit zu finden.
117
6. Auswertung der Interviews
6.1. Die Inhaltsanalyse
Der Begriff Inhaltsanalyse ist eine Übersetzung des englischen content analysis, eines
unangefochtenen und weitverbreiteten Begriffs, der im Vergleich zu alternativ verwendeten
Begriffen wie Aussagenanalyse, Textanalyse oder gar Bedeutungsanalyse umfassender ist,
so daß sämtliche dazu gehörige Verfahren unter dem Begriff der Inhaltsanalyse
zusammengefaßt werden können (vgl. Merten 1995, 14).
Der
Begriff
Inhalt
ist
Kommunikationsinhalte
in
sozialwissenschafltichen
festgelegt,
soweit
sich
Forschungsansätzte
diese
durch
auf
geeignete
Aufzeichnungsverfahren (schriftliches Protokoll, Tonband) protokollieren lassen.
Wenn man die historische Entwicklung der Inhaltsanalyse betrachtet, kann man annehmen,
daß mit dem Aufkommen der Massenpresse in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein
Impuls zu ihrer Einführung gegeben wurde. Die Analyse New Yorker Zeitungen von Speed
(1893) gilt als die älteste Inhaltsanalyse. Hier ging es um den Vergleich mehrerer Zeitungen
über einen bestimmten Zeitraum, wobei das Interesse Speed’s auf die Veränderung der
Berichterstattung von Themen in New Yorker Zeitungen gerichtet war. Max Weber referierte
im Jahr 1910 auf dem ‘Ersten Deutschen Soziologentag’ über die Soziologie des
Zeitungswesens und entwickelte Vorstellungen zur Inhaltsanalyse von Zeitungen, die für die
deskriptive Phase charakteristisch sind. Weber wies darauf hin, daß es sich zum damaligen
Zeitpunkt erst um quantitative Inhaltsanalysen handelte und daß solche Untersuchungen
durch qualitative Ansätze ergänzt werden müßten (vgl. Merten 1995, 39).
Mit
dem
Auftreten
anderer
Medien
neben
der
Presse
entstanden
neue
Anwendungsmöglichkeiten der Inhaltsanalyse. Neben den quantitativ - deskriptiven Analysen,
die für Film und Radio verwendet werden, erhob sich die Frage nach der optischen Wirkung
der Inhalte. Es wurden Analysen gefordert, die diese Wirkungen untersuchten, womit die
deskriptive Phase überholt war. Zum anderen war man auch dazu übergegangen, von
inhaltsinternen auf inhaltsexterne Merkmale zu schließen. Für diese Phase kann die Analyse
von Garth genannt werden (1916). Garth erarbeitete die Reflexionshypothese, welche besagt,
daß eine relativ konstante Berichterstattung zu bestimmten Themen ein konstantes Lese Interesse
118
bewirkt.
Diese
Phase
war
auch
begleitet
von
einer
Messung
des
‘Sensationalismus’, womit die Wirkung des Inhalts diverser Tageszeitungen auf die öffentliche
Meinung in Erfahrung gebracht werden sollte.
Lasswell, der ‘Vater der Inhaltsanalyse’, interessierte sich von Beginn an für den Grad der
Aufmerksamkeit, den Personen, Gruppen, Massen oder Organisationen bestimmten
Symbolen und deren Kommunikatoren entgegenbringen. Unter Rückgriff auf Erkenntnisse der
politischen Psychologie beschäftigte er sich mit der Wirkung von Propaganda. Er definierte
Propaganda als „Technik zur Beeinflussung menschlichen Handelns durch die Manipulation
von Symbolen“. In seinen Analysen erweiterte Lasswell die quantitative Aufzählung um eine
qualitative Dimension, indem er bei jeder Nennung eines bestimmten Symbols zusätzlich die
Bewertungsrichtung dieses Symbols anhand einer Ordinalskala mitcodieren ließ (vgl. Merten
1995, 40). Lasswell bekam 1939 von der amerikanischen Regierung den Auftrag, die Leitung
der Abteilung zur Analyse von Propaganda [wartime communication] zu übernehmen. In
dieser Funktion konnte er neue Ansätze, Techniken und Problemlösungen gewinnen und
rasch bleibende Anerkennung erzielen.
1941 kann als Geburtsjahr der Inhaltsanalyse bezeichnet werden. Im August des Jahres fand
an der Universität von Chicago eine Konferenz über Massenmedien statt. Lasswell, Waples,
Berelson und Lazersfeld nahmen unter anderen daran teil. Berelson/Waples legten (1941)
eine Studie zur Anwendung der Inhaltsanalyse auf das Wahlverhalten vor; Lazersfeld
referierte zur Inhaltsanalyse von Radiosendungen. Im Jahr 1948 veröffentlichte er zusammen
mit Berelson eine Anleitung zur Inhaltsanalyse. Dieses Werk gilt als Grundlage für das erste
Lehrbuch zur Inhaltsanalyse (Berelson 1952).
Die breite Verwendung des Begriffes ‘content analysis’ erfolgte ab dem Jahr 1941. Arbeiten
von Osgood (1954) zeichnen sich durch ein verschärftes Methodenbewußtsein und neue
Anwendungsgebiete und Verfahren der Inhaltsanalyse aus. Mit der Analyse verbaler und nichtverbaler Inhalte wird der Geltungsbereich der Inhaltsanalyse erheblich erweitert, vor allem um
den Bereich der psychologischen Fragestellungen.
Nachfolgende wissenschaftliche Arbeiten beschäftigeten sich mit der Frage, was mit
Methoden der Inhaltsanalyse analysiert werden könne bzw. wo die Grenzen der
Inhaltsanalyse liegen.
Krippendorff (1969) lieferte hierzu einen wichtigen Beitrag. In der Beantwortung der Frage,
was die Inhaltsanalyse nicht sei, betonte er aus theoretischer Sicht, daß Ergebnisse von
119
Inhaltsanalysen ambivalent seien, solange es nicht gelingt, den selektiven Zugriff, der durch
den Kontext des Inhalts und durch das Ziel der Analyse aufgezwungen wird, explizit zu
machen. Hier geht es hauptsächlich um das Inferenzproblem, die Notation von Texten verbaler und nonverbaler Inhalte - und schließlich um die weitere elektronische
Datenverarbeitung für Zwecke der Inhaltsanalyse. Diese Schwerpunkte werden auch in
gegenwärtigen Diskussionen gesetzt, wobei die theoretischen Anstrengungen vor allem der
Erforschung der Struktur von
Kommunikationsprozessen und dabei insbesondere der
Selektivität aller Kommunikation gelten (vgl. Merten 1995, 46).
• Ziel und Aufgabe der Inhaltsanalyse
Die Aufgabe der Inhaltsanalyse ist es, Rückschlüsse von sprachlichem Material auf
nichtsprachliche Phänomene zu ziehen (vgl. Lamnek Bd.2 1995, 172) oder, wie es Langridge
(1994, 15) formulierte, vorliegende Texte hinsichtlich ihrer inhaltlichen Prioritäten zu ordnen.
Dazu ist es notwendig, das im Text befindliche Wissen zu sichten. Um diesen Schritt zu
vollziehen, müssen signifikante Merkmale eines Dokumentes ermittelt werden. Dieser
Vorgang wird als Inhaltsanalyse bezeichnet. Inhaltsanalysen beschäftigen sich längst nicht
nur mit der Analyse des Inhalts von Kommunikation (vgl. Mayring 1995, 11).
In der Sozialforschung ist die Inhaltsanalyse eine Methode mit der Intention, alltägliche
Wissensverarbeitung in einen wissenschaftlichen Kontext zu bringen.
„Der intuitive Vorgang des Sprachverstehens wird zum Zweck einer wissenschaftlichen
Analyse explizit gemacht, systematisiert und objektiviert“ (Lamnek Bd.2 1995, 172).
Menschen drücken mit dem, was sie sprechen und schreiben Absichten, Einstellungen und
Situationsdeutungen, ihr Wissen und ihre stillschweigenden Annahmen über ihre Umwelt aus.
Diese Ausdrucksweisen sind von dem sozio - kulturellen System, dem sie angehören,
geprägt. Die Äußerungen spiegeln nicht nur die Persönlichkeit des Menschen wider, sondern
auch Merkmale der ihn umgebenden Gesellschaft: institutionalisierte Werte, Normen, sozial
vermittelte Situationen usw. Die Analyse von sprachlichem Material erlaubt aus diesem
Grund,
Rückschlüsse
auf
die
betreffenden
individuellen
und
gesellschaftlichen
nichtsprachlichen Phänomene zu ziehen (vgl. Lamnek, 1995, 172).
Die Methoden der Inhaltsanalyse können einem quantitativen oder einem qualitativen Ansatz
Folge leisten. Die qualitative Form der Inhaltsanalyse ist am interpretativen Paradigma
orientiert.
120
„Die Inhaltsanalyse dient im qualitativen Paradigma der Auswertung bereits erhobenen
Materials, und das heißt, sie dient der Interpretation symbolisch - kommunikativ vermittelter
Interaktion in einem wissenschaftlichen Diskurs“ (Lamnek Bd.2 1995, S.173).
Mayring, an dessen Methode der qualitativen Inhaltsanalyse sich die Auswertung der
Interviews orientiert, kommt anhand der Herausarbeitung der Spezifika der Inhaltsanalyse als
sozialwissenschaftliche Methode zu einer Zielformulierung:
„Zusammenfassend
will
also
Inhaltsanalyse
Kommunikation
analysieren;
fixierte
Kommunikation analysieren; dabei systematisch vorgehen; das heißt regelgeleitet vorgehen;
das heißt auch theoriegeleitet vorgehen; mit dem Ziel, Rückschlüsse auf bestimmte Aspekte
der Kommunitkation zu ziehen“ (Mayring 1995, 13).
6.2. Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring
Den theoretisch - methodischen Hintergrund der Auswertungsstrategie bildete die qualitative
Inhaltsanalyse. Dabei lehnt sich das Verständnis von qualitativer Inhaltsanalyse nicht an die
strengen Kriterien der qualitativen Sozialforschung an, in der die „qualitative Inhaltsanalyse als
Auswertungsstrategie von zum Zweck der Analyse erstellter oder zufällig entstandener
Dokumente ohne a priori formulierter theoretischer Analysekriterien“ verstanden wird (Lamnek
Bd.2 1995, 197). Die Form der Auswertung beruht in weitestgehendem Maße auf dem von
Mayring getragenen Verständnis der qualitativen Inhaltsanalyse.
„Die qualitative Inhaltsanalyse unterscheidet sich von der quantitativen Inhaltsanalyse nur
dadurch, daß sie nicht oder in Teilbereichen nicht quantifiziert. Ansonsten ist sie wie die
quantitative Datenerhebung: vorher theoretisch entwickelte Analyseeinheiten, - dimensionen
und -kategorien werden auf zufällig entstandene und ausgewählte Dokumente angewandt“
(Lamnek Bd.2 1995, 197).
Mayring geht es nicht um die Konzeptionierung einer Alternative zur quantitativen
Inhaltsanalyse. Das Anliegen seines Ansatzes ist, eine Methodik systematischer Interpretation
zu entwickeln, die an den in jeder Inhaltsanalyse notwendig enthaltenen qualitativen
Bestandteilen ansetzt. Diese Bestandteile werden durch Analyseschritte und Analyseregeln
systematisiert und überprüfbar gemacht. Quantitative Schritte lassen sich hier einbauen,
haben aber einen geringeren Stellenwert als in quantitativen Analysemethoden.
Das Verfahren von Mayring untersucht die manifesten Kommunikationsinhalte, also
Aussagen von Befragten, die diese bewußt und explizit von sich geben. Die qualitative
Inhaltsanalyse wird oftmals gleichgesetzt mit der Hermeneutik, wie sie bspw. in der
121
Literaturwissenschaft verwendet wird. Zweifelsohne läßt sich die qualitative Inhaltsanalyse
methodologisch von der Hermeneutik her begründen: die Behauptung, sie sei eher intuitiv,
wenig systematisch und nachvollziehbar, ist nicht unbedingt zulässig (vgl. Lamnek Bd. 1
1995,71f.).
6.2.1. Die Technik der qualitativen Auswertung nach Mayring
Die qualitative Inhaltsanalyse nach P. Mayring wurde im Rahmen eines Forschungsprojektes
‘Kognitive Kontrolle in Krisensituationen: Arbeitslosigkeit bei Lehrern’ (vgl. Mayring 1995, 42f.)
anhand übertragener Protokolle offener Interviews erarbeitet und in ihrem Ablauf durch eine
detaillierte Beschreibung verfestigt.
• Ablauf der Analyse von Texten nach Mayring
1. Festlegung des Materials. In diesem Schritt erfolgt die Auswahl der Interviews bzw. der für
die Fragestellung interessanten Teile des Textes.
2. Analyse der Erhebungssituation - Wie ist das Material zustande gekommen? Welche
wesentlichen Faktoren haben die Interviewsituation geprägt? (vgl. Abschnitt .5.2.)
3. Formale Charakterisierung des Materials - Wie wurde das Material erhoben? Wie wurde
es aufbereitet? Auf welche Weise wurden die aufgezeichneten Protokolle in eine
schriftliche Form umgewandelt? Die Interviews wurden mit einem Tonbandgerät
aufgenommen und in eine einheitliche maschinegeschriebene Form transkripiert. Die
Interviews wurden nicht im Dialekt verschriftlicht. Neben einer rein sprachlichen
Wiedergabe wurde im Transkript lediglich auf Sprechpausen oder Unterbrechungen des
Sprechverlaufes Rücksicht genommen.
4. Festlegung der Analyserichtung anhand der Texte - Was möchte man eigentlich
herausinterpretieren?
5. Theoriegeleitete Differenzierung der Fragestellung. Dabei ist es wichtig, die Fragestellung
der Analyse im voraus genau zu klären. Theoretisch muß die Fragestellung an den
bisherigen Forschungsgegenstand gebunden sein und in Unterfragestellungen differenziert
werden können. Daraus ergibt sich die Festlegung auf eine der drei, von Mayring
vorgeschlagenen Analysetechniken:
1. Zusammenfassende
2. Explizierende
3. Strukturierende Inhaltsanalyse.
4. Festlegung der Analyseeinheiten - In dieser Phase werden entsprechend der Auswahl der
Analysetechnik die Textteile des Interviewprotokolls bestimmt, die ausgewertet werden
122
sollen. Ebenso werden in dieser Phase die Analyseeinheiten festgelegt. Mayring
unterscheidet hier in:
Kodiereinheit - sie ist der kleinste Materialbestandteil, der ausgewertet werden darf,
d.h., der minimale Textteil, der unter eine Kategorie fallen kann.
Als wesentlichstes Kennzeichen gilt die Verwendung von Kategorien, die häufig aus
theoretischen Modellen abgeleitet sind: Kategorien (vgl. Kapitel 5.3.1. i. d. A.) werden
an das Material herangetragen, überprüft und gegebenenfalls verändert. Ziel ist dabei
die Reduktion des vorhandenen Textmaterials (vgl. Flick 1996, 212).
Kontexteinheit - sie ist der größte Textbestandteil, der unter eine Kategorie fallen kann.
Auswertungseinheit
-
sie
bestimmt,
welche
Textteile
jeweils
nacheinander
ausgewertet werden sollen.
7. Eigentliche Durchführung der Analyse des Materials mittels eines der qualitativen
inhaltsanalytischen Verfahren.
8. Interpretation der Ergebnisse hinsichtlich der Fragestellungen. Die Ergebnisse werden in
Richtung der Hauptfragestellung interpretiert (vgl. Flick 1996, 212).
• Validierung
Maryring (1995, 103) übt an den klassischen Gütekriterien (Reliabilität, Validität), wie sie im
Kontext der quantitativen Sozialforschung verwendet werden, bezüglich ihrer Tauglichkeit für
die inhaltsanalytische Forschung Kritik. Er empfiehlt sechs andere Gütekriterien für die
qualitative
Sozialforschung,
nämlich:
‘Verfahrensdokumentation,
argumentative
Interpretationsabsicherung, Regelgeleitetheit, Nähe zum Gegenstand, kommunikative
Validierung und Triangulation’ (Lamnek Bd.1. 1995, 156).
1. Bei qualitativem Vorgehen bedarf es einer weitergehenden Verfahrensdokumentation, d.h.
einer detaillierten Darstellung des Vorgehens, damit der Forschungsprozeß intersubjektiv
nachprüfbar wird.
2. Da bei qualitativer Sozialforschung die Analyse eher explikativ und nicht reduktiv erfolgt,
müssen die z.T. sehr umfangreichen Interpretationen so dokumentiert werden, daß ein
intersubjektiver
Nachvollzug
gewährleister
ist.
Eine
argumentative
Interpretationsabsicherung ist als Gütekriterium schon deshalb wichtig, weil qualitative
Sozialforschung aus quantitativer Perspektive häufig Willkür oder Beliebigkeit unterstellt
wird.
3. Regelgeleitetheit ist Mayring wichtig. Qualitative Forschung muß sich an bestimmte
Verfahrensregeln halten, weshalb es notwendig ist, das Material systematisch zu
123
bearbeiten. Mayring beschreibt den Abkauf der Analyse von Texten (vgl. Abschnitt 6.2.1. i.
d. A.).
4. Die Nähe zum Gegenstand ist in der qualitativen Forschung ein methodologisches
Grundprinzip. Es muß daher überprüft werden, ob sich die Forschung auf die natürliche
Lebenswelt der Betroffenen ausrichtet und ob deren Interessen und Relevanzsysteme
einbezogen sind.
5. Mit dem Kriterium der kommunikativen Validierung wird die Rückkopplung der
Interpretationen an die Befragten verlangt. Durch die Konfrontation der Befragten mit den
Deutungen des Forschers können, ‘vor allem was die Absicherung der Rekonstruktion
subjektiver Bedeutungen angeht, aus dem Dialog wichtige Argumente zur Relevanz der
Ergebnisse’ gewonnen werden.
6. Die Triangulation als Gütekriterium ist weit gefaßt und meint verschiedene Methoden,
Theorieansätze, Interpreten und Datenquellen, die dazu herangezogen werden,
Phänomene umfassender, abgesicherter und gründlicher zu erfassen (vgl. Lamnek Bd.1.
1995, 156f.).
Im Rahmen dieser Arbeit wurden die Interpretationen in erster Linie nach dem Kriterium der
kommunikativen Validierung auf ihre Gültigkeit hin überprüft. Allen InterviewpartnerInnen wurde
in einem ersten Schritt ein Transkript des Interviews mit meinen Vorannahmen bezüglich der
Interpretation zugesandt. Es bestand für alle die Möglichkei, die Transkription und die
Vorinterpretation zu beurteilen, bzw. die eigene Meinung offen darzulegen. In einem weiteren
Schritt wurde mit einigen InterviewpartnerInnen die endgültige Interpretation der Auswertung
diskutiert.
124
• Zusammenfassende Inhaltsanalyse
„In der zusammenfassenden Inhaltsanalyse wird das Material paraphrasiert, wobei weniger
relevante Passagen und bedeutungsgleiche Paraphrasen gestrichen (erste Reduktion),
ähnliche Paraphrasen gebündelt und zusammengefaßt werden (zweite Reduktion). Dies stellt
eine Kombination der Reduktion des Materials durch Streichungen mit einer Generalisierung
im Sinne der Zusammenfassung auf einem höheren Abstraktionsniveau dar“ (Flick1996, 213).
„Ziel der Inhaltsanalyse ist es, das Material so zu reduzieren, daß die wesentlichen Inhalte
erhalten bleiben, durch Abstraktion einen überschaubaren Corpus zu schaffen, der immer
noch Abbild des Grundmaterials ist“ (Mayring 1995, 54).
Die Methode der zusammenfassenden Inhaltsanalyse läßt sich gut auf Vorarbeiten stützen.
Die jeweiligen Abstraktionsebenen der Zusammenfassung werden genau festgelegt und im
Anschluß daran schrittweise verallgemeinert, wobei durch die Zusammenfassung ein immer
höherer Abstraktionsgrad erreicht wird.
• Arbeitsschritte der zusammenfassenden Inhaltsanalyse
1. Paraphrasierung - Wenig inhaltstragende Textstellen werden gestrichen, bestehende
Textstellen werden auf eine einheitliche Sprachformel gebracht, grammatikalische
Kurzformeln werden herangezogen.
2. Generalisierung auf das Abstaraktionsniveau - Paraphrasierte Textstellen werden auf ein
Abstraktionsniveau gebracht, wobei aber die ursprünglichen Inhalte in den neu formulierten
enthalten sein müssen. Liegen Paraphrasen bereits über dem Abstarkationsniveau, sind
diese so zu belassen.
3. Erste
Reduktion
-
Bedeutungsgleiche
Paraphrasen
werden
gestrichen,
wenig
inhaltstragende Textstellen nicht weiter beachtet. Einzelne inhaltstragende Paraphrasen
können übernommen werden.
4. Zweite Reduktion - Paraphrasen mit ähnlichem Gegenstand und ähnlichen Aussagen
werden zu einer Paraphrase gebündelt. Paraphrasen mit verschiedenen Aussagen
werden zu einem Gegenstand zusammengefaßt (vgl. Mayring 1994, 57).
Während der Arbeitsschritte der Reduktion und Paraphrasierung lohnt es sich, in
Zweifelsfällen theoretische Vorannahmen zuhilfe zu nehmen (vgl. Mayring 1994, 58).
125
Anhand des Fragebereiches ‘Jugend’ möchte ich eine Demonstration der Arbeitsschritte
vornehmen. Der folgende Ausschnitt bezieht sich auf das Interview N. N ist ein 19-jähriger
BORG Schüler. Das Interview findet in der elterlichen Wohnung von N im März 1997 statt. Die
Atmosphäre während des Interviews ist sehr entspannt. Rasch erhält das Interview einen
anregenden, spannenden Gesprächscharakter. Das offensichtliche Interesse und die
Aufmerksamkeit des Interviewpartners lassen die Interviewdauer von ca. 1 Stunde in der
Retrospektive
relativ
kurz
erscheinen.
Von
N
bekomme
ich
im
Zuge
eines
Validierungsgespräches die Rückmeldung, daß er sehr zum Nachdenken angeregt wurde,
weil er sich das erstemal ‘mit der Situation befaßt hat, in der er da lebt’: ‘Da hab’ ich ja echt
nachdenken müssen bevor ich geredet habe’. N erzählt mir noch, daß er im Zuge des
Interviews mit anderen SchulkollegInnen ins Gespräch gekommen sei. Die Neugier auf das,
was andere gesagt haben könnten, habe einige Gespräche ausgelöst. Mit einigen sei er so
zum erstenmal richtig ins Gespräch gekommen. ‘Ich habe vorher gar nicht gewußt, daß es
Leute in meiner Klasse gibt, die auch ähnlich empfinden wie ich. Schade, daß man erst vor
der Matura so was merkt’.
• Interviewausschnitt
Datum: 30.03.1997
Ort: Elterliche Wohnung Interviewpartner
Zeit: 14.00 -15.10
Interviewerin: Maria-Elisabeth Weber
Interviewpartner: Schüler, Borg, 19 Jahre
Index: [-]:
Kurze Sprechpause
[---]:
Kurze Verzögerung durch störende Intervieweinflüsse
[...]:
Kurze Verzögerungen im Sprechverlauf (Denkpausen, ect. )
N:
Interviewpartner
I:
Interviewerin
(...)
I: Vielleicht hier zum Bereich Jugend. Was hast Du für eine persönliche Definition von
Jugend? Wie definierst Du diesen Lebensabschnitt?
N: Jugend? Also das hat irgendwie so einen romantischen Anklang, also wenn man einmal
davon ausgeht, daß das so der Zeitabschnitt des Teenagers ist, dann glaube ich, daß die
Jugend der Zeitabschnitt ist, wo man mehr Halt braucht als in einer anderen Zeit. Also in der
Kindheit hat man ein gewisses Selbstbewußtsein, man ist emotional nicht so verwirrt wie in
der Jugend. In der Jugend ist man doch mit so vielen neuen Sachen konfrontiert, es kommen
so viele Problem hinzu, die man eigentlich schwer bewältigen kann und gerade da braucht
126
man eigentlich den gewissen Halt, den man andererseits von den Eltern beziehen könnte, der
aber andererseits auch abgelehnt wird, weil man einfach erwachsen wird und weil man das
spürt, weil man dann die als Autoritätsperson sieht und sich dann grundsätzlich von den
Eltern fernhält, emotional. So gesehen ist für mich die Jugend eine extrem problematische
Zeit, finde ich. Gerade da sollte von anderen Leuten ein Feingefühl der Jugend gegenüber
gezeigt werden.
I: In Zeitschriften, Artikeln heißt es immer wieder, die Jugend, besonders jetzt in der
Gegenwart, am Ende der 90er, ist haltlos, exponiert, zynisch, hedonistisch, konsumorientiert
usw. Die Jugend ist die Generation der Widersprüche, was sagst Du zu diesen Kriterien?
Wie weit kannst Du Dich mit solchen identifizieren?
M: Man kann sagen, also wenn man die Jugendlichen rein äußerlich betrachtet, also so die
Jugendkulturen, kann man eigentlich auf dieses Resultat hinkommen, aber sonst klingt das
viel zu radikal und zwar deswegen, weil man vieles vergißt dabei. Da man einfach vergißt,
daß man einfach in der Jugend viel weniger Halt hat und viel orientierungsloser ist, gerade da
einfach das Verständnis bräuchte und so grobe Zuschreibungen stimmen einfach nicht.
[---]
I: Du hast vorhin ‘Widersprüche’ innerhalb der Jugendlichen angedeutet. Kann es nicht auch
so sein, daß diese Widersprüche nicht auch Ausdruck der Gesellschaft an sich sind?
M: Ja, sicher spiegelt sich einiges bei den Jugendlichen wider, das von den Erwachsenen
gelebt wird. Ich könnte jetzt kein Beispiel geben, aber ich glaube es ist einfach die
Konfrontation mit dem Erwachsenwerden, das heute problematisch ist (...)
127
• Demonstration der Arbeitsschritte
Fall
N
*
Seite
*
108
N
108
N
108
N
108
N
108
Nr.
Paraphrase
Generalisierung
Reduktion
313 Jugend hat so einen
romantischen Anklang,
vor allem so der
Zeitabschnitt des
Teenagers, es ist ein
Zeitabschnitt wo man
mehr Halt braucht, man
hat nicht mehr das
Selbstbewußtsein wie in
der Kindheit, man ist
emotional verwirrt, man
ist mit vielen neuen
Sachen konfrontiert, es
kommen so viele
Probleme die man
eigentlich nur schwer
bewältigen kann, gerade
da braucht man den Halt,
den könnt man von den
Eltern beziehen, lehnt es
aber ab, weil man
einfach Erwachsen wird
und die als
Autoritätsperson sieht,
sich dann grundsätzlich
emotional von den Eltern
fernhält,
Jugend romantischen
Anklang wenn man
Jugend als Zeitabschnitt
des Teenagers sieht,
• Jugend:romanti
sch‘Teenager’
314 ist eine extrem
problematische Zeit,
gerade da sollte von
anderen Leuten ein
Feingefühl gegenüber
der Jugend gezeigt
werden
315 wenn man Jugendliche
rein äußerlich betrachtet,
also die Jugendkulturen,
ist es zu radikal, weil
man vieles vergißt,
extrem problematische
Zeit,
Feingefühl von anderen
Leuten sollte gezeigt
werden,
Zeitabschnitt wo man
mehr Halt braucht,
Selbstbewußtsein der
Kindheit ist nicht
vorhanden, emotional
verwirrt,
Konfrontation mit neuen
Eindrücken, Problemen,
schwer zu bewältigen,
• Jugend:
braucht mehr
Halt emotional
verwirrt,
weniger Selbstbewußtsein,
• Konfrontation
mit Vielzahl
von Neuem und
Problemen,
• Halt von
Halt von den Eltern könnte
Autoritätsperso
man brauchen, wird aber
nen wird
abgelehnt, weil
einerseits
Erwachsenen als
gebraucht,
Autoritätsperson gesehen
andererseits
werden,
abgelehnt,
grundsätzliche emotionale • emotionale
Fernhaltung von Eltern,
Fernhaltung
von Eltern als
Grundsatz,
316 man hat einfach weniger weniger Halt, ist
Halt, ist orientierungsorientierungslos und
loser, man braucht
braucht Verständnis,
Verständnis
317 Gesellschaft spiegelt
sich in Jugendlichen
wider, Konfrontationen
• Jugend:extrem
problematische
Zeit
• Feingefühl
anderer Leuten
fehlt,
• Reduzierung
auf äußerliches
Erscheinungsbi
ld erfaßt
Jugend nicht
vollständig,
• Jugend:orientie
r-ungslos,
braucht
Verständnis,
• Jugend:spiegelt
Gesellschaft
• Erwachsenwer
den schwierig
Seitenangaben und Nummerierungen beziehen sich auf die Reihenfolge in der Gesamtauswertung
128
Auf Grund der erfolgten Reduzierung lassen sich die Aussagen des Jugendlichen
folgenderweise zusammenfassen:
‘Jugend wird vom Interviewpartner als schwieriger Lebensabschnitt gesehen. Das in der
Kindheit aufgebaute Selbstbewußtsein verschwindet im Jugendalter. Die Konfrontation mit
einer Vielzahl von neuen Eindrücken und die Bewältigung dieser löst Verwirrung und
Orientierungslosigkeit aus. Emotionale Verwirrung und Unsicherheit verlangen nach mehr
Halt und Unterstützung. Die Möglichkeit, den nötigen Rückhalt durch die Eltern zu erhalten,
wird aber abgelehnt, weil Eltern- wie andere Erwachsene auch - als Autoritätspersonen
gesehen werden. Man versucht sich einerseits von Erwachsenen emotional fernzuhalten,
erwartet aber auch ihr Feingefühl und Verständnis für die Schwierigkeiten in diesem
Lebensabschnitt. Die Reduktion Jugendlicher auf die vorgetragenen Schlagwörter und auf
das äußere Erscheinungsbild wird vom Interviewpartner abgelehnt, weil diese nicht dazu
ausreichen, den Lebensabschnitt Jugend als Ganzes zu erfassen. Das Erwachsenwerden ist
in der gegenwärtigen Gesellschaft schwierig.’
In einem ersten Auswertungsdurchgang wurden alle transkribierten Interviews nach diesem
Schema ausgewertet. D.h. jedes Interview wurde hinsichtlich inhaltstragender Textstellen
durchgearbeitet, diese Textstellen wurden in den Raster Paraphrasierung übertragen, darauf
folgten Generalisierung und Reduktion. Das so gewonnene reduzierte Textmaterial konnte
nun zusammengefaßt und interpretiert werden.
6.3. Interpretation des reduzierten Textmaterials nach Mayring
Wertet man die Aussagen der Jugendlichen bezüglich der Eingangsfrage ‘Was ist für Dich
Land - ländlicher Raum?’ aus, kommt man auf nachstehende Ergebnisse:
In einer ersten, undifferenzierten Stellungnahme zur Frage antworten fast alle Jugendlichen
aus dem Blickwinkel des ‘alten Dorfes’. Ländlicher Raum wird mit kleinen, abgelegenen
Dörfern und einer Überzahl von in der Landwirtschaft beschäftigten Menschen gleichgesetzt.
Daß dieses Bild aber keineswegs mehr gültig ist, machen erst anschließende
Betrachtungsweisen klar, als es darum ging, das eigene Dorf die eigene Familie als Beispiel
für die Beschreibung ländlicher Regionen heranzuziehen. Unter Berücksichtigung dieser
Aspekte ergab sich ein Bild des ländlichen Raumes, das sich wie folgt beschreiben läßt:
‘Land’ wird als Raum mit schlechten infrastrukturellen Bedingungen wahrgenommen. Dieser
Aspekt bezieht sich nicht nur auf mangelnde oder fehlende Verkehrsverbindungen und
Einkaufsmöglichkeiten,
sondern
vor
allem
auf
die
fehlenden
Möglichkeiten
der
Berufsausübung in einer näheren Umgebung. Viele Elternteile, hier vor allem die Väter,
pendeln über weite Strecken, um ihren Beruf auszuüben. Auch die Jugendlichen selbst
pendeln zum Teil erhebliche Strecken, um in die Schule zu kommen. Pendeln wird auch als
129
die Notwendigkeit gesehen, weite Distanzen in Kauf zu nehmen, um Bedürfnisse stillen zu
können. E, eine 20-jährige Interviewpartnerin, antwortet auf die Frage, wie sie ‘Land’ definieren
würde mit: ‘Langweilig, ja langweilig, mehr fällt mir dazu nicht ein’. Langeweile bezieht sich
hier in erster Linie auf die fehlenden Angebote im Freizeit- und Kulturbereich und auf die
geringe Möglichkeit, ‘Neues, Anderes’ kennenzulernen - weil im Dorf ‘immer das gleiche
Traditionelle passiert’. In dieser Erst- oder Einstiegsfrage erhalte ich immer wieder die
Antwort, Land sei mit geringer Anonymität gleichzusetzen, mit dem negativen Phänomen
‘Jeder kennt jeden’. Dieser Punkt läßt sich allerdings auch in ein positives Licht rücken, wenn
man sich die dadurch möglichen ‘gemütlichen’ Zusammenkünfte bei Dorffesten oder
Nachbarschaftstreffen ins Bewußtsein ruft. In diesem ersten Zugang ging es allerdings noch
nicht um eine nähere Auseinandersetzung mit diesen Aspekten, sondern lediglich um eine
erste persönliche Definition von ‘Land’. Dabei werden kritische Anmerkungen häufig: ‘die
Leute sind konservativ, die Leute sind einfacher und haben auch ein einfaches Denken, die
Leute wollen keinen Fortschritt’ oder wie es M, ein 19-jähriger Interviewpartner formuliert hat: ‘
... es ist halt ziemlich öd das Leben, ... Landleben ist mehr altertümlich kann man sagen’.
Positiv bewertet wird von allen InterviewpartnerInnen ‘Land’ als Lebensraum mit viel Natur.
Das Leben in und mit der Natur wird als Möglichkeit gesehen, Streß und Hektik
auszugleichen. In diesem Zusammenhang heißt es bei J, einem 20-jährigen HTL- Schüler
auch: ‘Land ist, wo einfach nicht so viele Leute sind, wo das Leben ein bißchen langsamer ist.
Es ist gemütlicher und es ist ein besserer Kontakt zur Umwelt, zu Tieren, zu Menschen, das
ist für mich total wichtig’.
Mit einer Auswertung der Antworten unter Berücksichtigung der gewählten Kategorien ist bei
den Jugendlichen eine differenzierte
Sichtweise dessen, was ländlicher Raum ist,
festzustellen.
• Kategorie a: ‘Wie nehmen die Jugendlichen das dörfliche Leben wahr?’ (vgl. Abschnitt
5.5.)
Das
in
der
Dorfgemeinschaft
organisierte
dörfliche
Leben
vermittelt
einerseits
gesellschaftlichen Rückhalt und Sicherheit, andrerseits kontrolliert und reglementiert es das
Leben der Jugendlichen. Neben den gewachsenen und vertrauten Strukturen wie
freundschaftlichen Nachbarschaftsverhältnissen sind es Bereiche der existierenden sozialen
Kontrolle, des Dorftratsches, des Mißtrauens (Jugendlichen gegenüber), des Neides
(SchülerInnen gegenüber), der räumlichen und geistigen Enge (die sich in geringer Mobilität
bzw. fehlender Toleranz ausdrückt), die von den Jugendlichen thematisiert werden. Um in
einem Dorf leben zu können ist es notwendig, ‘so zu leben wie es das jeweilige Dorf verlangt’:
130
Die Integration in die Dorfgemeinschaft ist wichtig und kann nur dann stattfinden, wenn man
den Kontakt zu den Dorfbewohnern nicht ablehnt und sich aktiv an den Veranstaltungen und
am Dorfleben beteiligt. Aktive Beteiligung heißt, daß man bei ortsüblichen Festen in
irgendeiner Form in der Organisation mithilft. Frauen werden dazu eingeteilt, für das ‘leibliche
Wohl’ (Kuchenbacken, Arbeit in den Küchen) zu sorgen, während Männer die ‘körperlich
anstrengenderen’ Arbeiten übernehmen. Beteiligung am Dorfleben bedeutet Integration. Das
eigene Verhalten muß dem der Dorfgemeinschaft angeglichen werden, wobei die
Verhaltensregeln zwar nicht ausformuliert sind, aber implizit für jeden im Dorf Bedeutung
haben. Diese Verhaltensregeln und Normen ergeben sich aus langen, gewachsenen
Traditionen.
‘Die
Dorfgemeinschaft
ist
einfach
ein
langzeitig
gewachsener
sehr
enger
Gesellschaftsbereich, das kann man nicht nur negativ sehen’ (Interviewpartner N, 19 Jahre).
Bestimmte politische und religiöse Denkrichtungen prägen die jeweilige Gemeinschaft in ihrer
spezifischen Erscheinungsform. ‘Im Dorf bildet sich eine allgemeine Vorstellung, Regel, Moral
und Ethikvorstellung bezüglich des Zusammenlebens aus’ (Interviewpartner N, 19 Jahre). Vor
allem Bereiche wie Religion - Kirche, Familie - Partnerschaft - Kinder, Arbeit - Beruf rühren
an eine erhöhte Sensibilität der Dorfbewohner. Von den dörflichen Sanktionierungsmitteln wie
Dorftratsch oder Vereinsausschluß wird bei Verstoß gegen diese Regeln Gebrauch gemacht.
‘Mein Onkel hat sich scheiden lassen, der hat dann wegziehen müssen, also es ist viel über
ihn geredet worden. Es ist wichtig, keine Skandale zu verursachen, halt so ganz normal zu
leben, normal eben. Immer schön brav den Lebensrhythmus einhalten ...’ (Interviewpartnerin
A, 15 Jahre), ‘ ... es gibt eben selten Scheidungen, das gibt es auf dem Land selten oder es
wird vertuscht. Daß jeder glücklich ist, ist eher unwahrscheinlich ...’ (Interviewpartnerinnen
C&D, 16 Jahre). Vor allem die weiblichen Interviewpartner sprechen den Bereich der
Partnerschaft und des Zusammenlebens, der stark von traditionellen Vorstellungen geprägt
ist, verstärkt an. Häufig erwähnen die Mädchen, daß sie mit Meinungen konfrontiert werden
wie: ‘Männer sollen die höhere Bildung und Stellung erhalten’ oder ‘Frauen sind den
Stellungen des Mannes zugeordnet’. ‘Töchter sollen gute Hausfrauen werden, Burschen sind
immer bevorzugt, da wird akzeptiert, daß die in die Schule gehen. Mädchen müssen arbeiten,
Kinder kriegen, einen Mann finden, Hausbauen, gute Hausfrauen sein. Es gibt
unterschiedliche Verhaltenserwartungen an Männer und Frauen’ (Interviewpartnerin F, 18
Jahre). Frauen sind noch stärker von den traditionellen Klischees ‘Ehe - Kinder - Haushalt’
belastet. Für Frauen gibt es weniger Möglichkeiten, sich mit Freundinnen zu treffen, während
Männer ihre Gemeinschaftlichkeit in Vereinen, politischen Vertretungen und Gasthäusern
haben können. Männer dominieren den öffentlichen ländlichen Raum:’ ... für die erwachsenen
Männer ist es sicher normal, man muß da einfach mitgehen. Die Männer sind da wirklich
131
jeden Tag im Buschenschank, jeden Tag haben die zuviel getrunken, wenn du da mitmachst
ist man integriert, man muß eben mitmachen, was da gemacht wird’ (Interviewpartner H, 15
Jahre) ‘Echt typisch ist, mir ist aufgefallen, es gibt echt wenige Familien wo Vater und Mutter
getrennt so richtige Freunde haben, mit denen sie über alles echt reden können. Es gibt viel
zu wenige Frauen am Land, die Freundinnen haben, es gibt auch weniges, wo die sich treffen
können, um so zu reden, so was gibt’s nicht’ ( Interviewpartnerinnen C&D, 16 Jahre).
Familien mit Kindern haben einen hohen Stellenwert in der Dorfgemeinschaft, wobei Familie
die traditionelle Form der Ehe meint und voreheliches Zusammenleben von der
Dorfgemeinschaft kaum wohlwollend aufgenommen wird. Ebensowenig akzeptiert bzw.
Grund genug, von den dörflichen Gerüchten vereinnahmt zu werden, sind ‘Probleme mit
unehelichen Kindern’. ‘Bei unehelichen Kindern ist das so, das wird eher unter den Teppich
gekehrt, da sagt man, das könnte eine blöde Nachrede geben im Dorf, also tu’ ich mich ruhig
verhalten, damit es keiner weiß, weiß es wer, muß ich eben heiraten ...’ (Interviewpartner L,
18 Jahre). Heirat geht traditionellterweise Hand in Hand mit ‘der richtigen Arbeit’ und dem
‘netten Eigenheim’. Die Akzeptanz im Dorf ist ungleich höher, wenn man neben der Familie
mit Kindern ein schönes - selbst geschaffenes - Haus vorweisen kann. Daß sich gerade
Jungfamilien mit dieser Verpflichtung der‘Normalität’ in finanzielle Engpässe begeben, wird im
allgemeinen nicht diskutiert, weshalb sich die meisten dem Druck der öffentlichen Meinung
unterwerfen. ‘Haus, Familie, Arbeit ist typisch für das Leben da’ (Interviewpartnerin E, 20
Jahre). Wenn man diese ‘Hürden’ überwunden hat, ist man auch in das dörfliche
Erwachsenenleben integriert.
Im Bereich der Religion und Kirche sind Abweichungen ebenso starken Sanktionen
ausgesetzt. ‘Ich meine Firmung und so, es würde niemanden einfallen zu sagen - ich gehe
nicht zur Firmung - das ist eben Tradition’ (Interviewpartnerinnen C&D, 16 Jahre).
Der Besuch des sonntäglichen Gottesdienstes hat einen hohen Stellenwert im dörflichen
Normalitätsgefüge. Gerade hier ergeben sich für Jugendliche immer wieder Konflikt- und
Streitpunkte mit den Eltern. In die Kirche zu gehen, nur weil es ‘ungeschriebenes Gesetz’ ist,
wird von den Jugendlichen nicht akzeptiert. Der ‘ritualisierte’ Gottesdienstbesuch ist
‘langweilig’ und der Pfarrer als ‘nicht hinterfragte Autorität’ wird von den Jugendlichen nicht
mehr ohne weiters akzeptiert. Zu den traditionellen religiösen Aktivitäten der Kirchengemeinde
wie z.B. dem Maibeten (Marienanbetung im Mai) oder dem Feldbeten (Beten für eine gute
Ernte) fehlt den Jugendlichen weitestgehend der für ihr Leben relevante Zugang. Die religiöse
Weltanschauung nur im ‘richtigen Glauben, dem Katholizismus’ auszudrücken, wird
abgelehnt. ‘ ... der Katholizismus, wenn man die Kirche meidet, sich irgendwelchen anderen
religiösen Vorstellungen hingibt, kriegt man das auf jeden Fall zu spüren im Dorf’
(Interviewpartner N, 19 Jahre), ‘Kirche und so, wenn man nicht in die Kirche geht, kommt
132
schon eine Vermutung auf, die glauben nicht an Gott oder so. Es ist ein Muß in einem kleinen
Ort, daß man in die Kirche geht’ (Interviewpartnerin K, 15 Jahre). Andererseits unterliegen die
Kirchenbesuche einer strengen Kontrolle. Die Gruppe der ‘ständigen’ Besucher kennt sich
besonders gut und schenkt den ‘neuen Gesichten’ die gelegentlich dazu kommen, die
entsprechende Aufmerksamkeit. ‘ ... die Kirche eben, wo man am Sonntag hingeht oder eben
nicht hingeht ist so ein Bereich. Die Leute kennen sich, die da immer sind, die sind wie eine
eingeschworene Gemeinde, da fällt es sofort auf, wenn da Leute hingehen, die da nie
hingehen’ (Interviewpartner J, 20 Jahre). Verbindliche religiöse Traditionen gibt es auch im
Bereich von Tod und Sterben. Die ‘Tradition sagt’, daß man im Trauerjahr ‘schwarz zu gehen
hat’ und sich nicht am geselligen Leben beteiligen darf.
Der bereits erwähnte Dorftratsch ist zum einen das gefürchtetste Mittel der Sanktionierung,
zum anderen aber auch Bereichen der Verbundenheit. Wer sich daran beteiligen kann, ist in
das Dorf integriert, wer über das dörfliche Geschehen mitreden kann, ist ‘aktiv am Leben’
beteiligt. Schließlich: ‘ ... mit dem Dorftratsch bleibt man zusammen, über irgend etwas muß
man ja reden ...’ (Interviewpartnerin A, 15 Jahre). Am Dorftratsch sind Frauen und Männer
beteiligt. Während Frauen Gelegenheiten des Alltags wahrnehmen und dabei über allfällige
Vorkommnisse reden, haben Männer viel eher die Möglichkeit, sich am Abend oder in der
Freizeit zu treffen. ‘Der Alltag ist sehr regelhaft, Frauen gehen in der Früh einkaufen, reden
und schimpfen über die, die nicht dabei sind ...’ (Interviewpartnerin F, 18 Jahre), ‘ ... da gibt’s
eben die Schnapsabende (Kartenspiel) der Männer, da wird eben alles getratscht. Es wird
getratscht bis zum geht nicht mehr ...’ (Interviewpartner H, 15 Jahre). Wichtig ist die
Beteiligung an der ‘Gerüchteküche’, eine Nichtbeteiligung deutet darauf hin, selbst etwas zu
verbergen. ‘ ... vor allem das Tratschen, es ist unglaublich, was getratscht wird, welche
Gerüchte in die Welt gesetzt werden, wenn du da mitmachst bist du sofort eingehaut, wenn
du da nicht mitmachst, wird sofort über dich geredet. Meine Mutter ist nicht so, daß sie immer
mit den Dorffrauen mitmacht. Am Anfang war das so, daß da wirklich herumgetratscht wurde,
jetzt ist es besser. Meine Mutter ist froh, wenn sie von der Arbeit kommt, niemanden sieht,
möchte abschalten, .... die hat keine Zeit zum Tratschen’ (Interviewpartnerin G, 15 Jahre).
Gerede und Gerüchte sind permanent vorhanden. ‘Es wird immer über Leute geredet, man ist
nicht anonym. Es ist schon super, wenn so die Geschichten rennen, das ist wie stille Post’
(Interviewpartnerin E, 20 Jahre). Auslöser für das Einsetzen der Kontrollmechanismen sind
bereits geringe Anlässe: ‘Es klingt vielleicht böse, aber man kann nicht einmal Luft holen,
ohne daß es nicht der ganze Ort weiß. Es darf dich zwar nicht stören, weil so verdammt viel
getratscht wird ...’ (Interviewpartnerin F, 18 Jahre). ‘In meinem Dorf ist es so, wenn man raus
geht und auf die Straße spukt, weiß das am nächsten Tag jeder. Wenn das einer sieht, wird
getratscht ...’ (Interviewpartner H, 15 Jahre). Um Konflikte weitgehend zu vermeiden, wird
133
man sich entweder den Meinungen des Dorfes anschließen, oder eigene Verhaltensmuster
der Konflikt- und Problemlösung entwickeln, um dem Gerede zu entgehen. Die Strategie
dabei lautet: ‘Nichts nach außen dringen, zu lassen’: Sobald bspw. familiäre Konflikte nach
außen dringen liefert man sich der Gerüchteküche aus. Hier die Wogen wieder zu glätten
bedarf besonders langer Geduld. ‘ ... wenn was aufbricht, kommt man sofort ins Gerede. Bei
mir zu Hause ist ein ziemliches Durcheinander, da wird eben ziemlich viel über uns geredet,
das merkst du extrem stark ...bei Konflikten innerhalb der Familie wird geschaut, daß die nicht
an die Öffentlichkeit kommen, obwohl jeder darüber Bescheid weiß, wird sicher nie direkt
darüber geredet ... es wird nie richtig über Probleme oder so etwas geredet, nur immer so
unwesentlich, die trauen sich nicht, das ist typisch’ (Interviewpartnerinnen C&D, 16 Jahre).
‘Bei Problemen wird versucht, alles zu vertuschen und so. Streit - wenn’s der Nachbar hört ist
es das Schlimmste, nach außen darf nichts dringen und trotzdem wissen alle alles ...’
(Interviewpartnerin A, 15 Jahre). Der Umgang mit Konflikten erfolgt gewissermaßen nach der
‘Vogel-Strauß-Methode’ (Interviewpartnerin E, 20 Jahre). ‘ ... so dieses Wegsehen, ich meine,
es wissen zwar alle, aber keiner tut etwas irgendwie, bis dann eben wirklich einer kommt, der
dann auszuckt oder sonst irgend etwas, bevor irgendwie nichts passiert ist, wird auch nichts
gemacht, bis dahin schaut man eben weg, sagt nichts ... wenn aber was nach außen kommt,
brodelt es in der Gerüchteküche ... ’ (Interviewpartnerin E, 20 Jahre). Die kleinräumige
Struktur der Dörfer bietet genug Möglichkeiten, andere zu beobachten und somit über jede
Veränderung Bescheid zu wissen. ‘Etwas zu verheimlichen ist schwierig, weil man die Leute
öfter trifft und weil sich die Leute mehr mit den anderen beschäftigen ...’ (Interviewpartner J;
20 Jahre). Um zu vermeiden, daß andere etwas erfahren könnten ist man ‘gezwungen’, die
heile Familienidylle vorzuspielen. ‘.. es wird ziemlich vermieden, daß andere Leute etwas
erfahren. Wenn man das auf die Familie bezieht, wird die heile Familie vorgespielt, allen
geht’s gut, es ist nicht so, daß man es verheimlichen kann, eben weil man die selben Leute
einfach viel öfter trifft, weil die Leute eben viel mehr wissen über den anderen, weil man sich
am Land viel mehr mit dem anderen beschäftigt ...’ (Interviewpartner J, 20 Jahre). Differenzen
im dörflichen Leben sind deswegen so stark, weil keine Anonymität gewährleistet werden
kann. ‘Natürlich gibt es in einem Dorf Haß und Streit, da kommt es eben viel stärker zum
Vorschein, weil einfach keine Anonymität ist, man sieht sich ständig und da ist es auch
schwerer, die Verhältnisse zu wahren’ (Interviewpartner N, 19 Jahre). Dieses ‘sich mit
anderen beschäftigen’ und das ‘Wissen über die anderen’ beinhaltet aber auch positive
Aspekte. Allerdings vertreten die Jugendlichen auch die Meinung, daß es abseits von
traditionellen Lebensmustern möglich ist, Konflikte wirklich zu lösen und nicht nur ‘Gerüchte
hinter dem Rücken der anderen zu verbreiten, nicht nur anstehende Probleme unter den
Tisch zu kehren’. ‘ ... in einem freundschaftlichen Rahmen eines Gespräches kann man das
134
aber schon durchsetzen. Der Nachbar von nebenan, der äußerlich so primitiv erscheint, ist
ein Mensch, mit dem man gut reden kann. Man muß sich nur die Zeit nehmen und mehr auf
die Leute eingehen. Konflikte sind eben eher verdeckt. Es gibt Leute, die das vielleicht gar nie
einsehen werden, die darauf beharren, auf ihre Meinung; die zu überzeugen, daß es auch
anders gehen kann, ist nicht leicht. Wenn man mit jemandem redet, wo kein
gesellschaftlicher Druck des Dorfes vorhanden ist, kann man leichter Sachen besprechen’
(Interviewpartner N, 19 Jahre).
Die geringe Anonymität bietet auch die nötigen Voraussetzungen für Nachbarschaftshilfe und
Freundschaftsdienste. Gerne wird anderen Mithilfe angeboten oder von ihnen in Anspruch
genommen, dennoch lautet das Motto auch hier: ‘... sei schön ruhig, sei aber trotzdem schön
freundlich, aber sei nicht zu freundlich. Man ist eben hilfsbereit. Die Freundlichkeit darf aber
ein gewisses Maß nicht überschreiten, man darf sich nirgends zu viel einmischen, da ist dann
schon mehr die Anonymität, man will eben keine Nachrede in der Gemeinde’ (Interviewpartner
L, 19 Jahre).
Die hier beschriebenen, im Dorf wirksamen eigenwilligen Kontrollstrukturen beruhen nach
Meinung der Jugendlichen auf der Tatsache, daß ein Großteil der Dorfbewohner der ‘älteren
Generation’ angehört. ‘In meinem Dorf sind sicher über 50% der Bewohner über 50 oder 60
Jahre alt, die wollen keine Konflikte, die wollen sich nicht mehr verändern’ (Interviewpartnerin
B, 15 Jahre) oder ‘Es ist eben traditionsmäßig, daß die Älteren im Dorf das Sagen haben ..
die haben ganz andere Vorstellungen, die haben so das ‘Scheuklappendenken’, alles so wie
immer ...’ (Interviewpartnerin E, 20 Jahre). Aber: ‘Die Regeln sind sicher vorhanden,
unausgesprochen. Ich glaube aber, man kann sie durchbrechen. Man wird akzeptiert, wenn
man das gemacht hat. Es geht aber nicht so schnell’ (Interviewpartner N, 19 Jahre). Es
scheint so, als seien Verhaltensweisen und Werte, die natürlich auf ein jahrzehntelanges
Zusammenleben hindeuten, im ländlichen Raum noch immer von Gültigkeit. Die Jugendlichen
sind mit zu schützenden Traditionen und Lebensformen einerseits und mit neuen innovativen
Lebensmustern und urbanen Einflüssen andererseits konfrontiert. Der Umgang mit diesen
Eindrücken soll im folgenden ausgewertet werden.
• Kategorie b: ‘Wie nehmen Jugendliche Widersprüche und Brüche im ländlichen Alltag
wahr?’ (vgl. Abschnitt 5.5.)
Die kritisch reflexive Auseinandersetzung der Jugendlichen mit ‘ihrem ländlichen Alltag’ im
Hinblick auf die Transformierung ländlicher Lebenswelten war erstaunlich. Die dem
Landleben zugeschriebenen Klischees und die untrennbar damit verbundenen Werte wie
Konservatismus, Traditionalismus, Brauchtum, Glaube und Bauernstolz (vgl. Bockhorn 1993,
13) wurden einer sensiblen und sorgfältigen Prüfung auf Gültigkeit unterzogen. Einheitlich
135
wurde festgestellt, daß diese Klischees dazu dienen, sich hinter ihnen zu verstecken, sie zu
einer Scheinrealität hochzustilisieren und im Zusammenhang mit dem Tourismus gekonnt zu
vermarkten. ‘Ruhig ist es nicht mehr. Ich wohne direkt im Weinviertel der Steiermark, da sind
viele Touristen, ruhig ist es da nicht mehr. Die Leute tun Dinge nur mehr, um die Touristen zu
unterhalten, und da kommt eigentlich der Bürger, der da wohnt, zu kurz’ (Interviewpartnerin A,
15 Jahre).
Letztendlich aber stellen die Klischees eine Möglichkeit dar, sich der Realität nicht stellen zu
müssen, sich der Eigenverantwortung und dem eigenständigen Nachdenken über regionale
Probleme und Defizite zu entziehen. Mangel an Kritikfähigkeit, Manipulation durch
unreflektierte Konsumströmungen, Bewahrung überkommener Hierarchien waren und sind
die Folge (vgl. Bockhorn 1993, 13).
Einheitlich wurde bemerkt, daß ‘Modernes’ in der Definition des ländlichen Alltagslebens
vorwiegend materielle Güter und den Zugang zu materiellen Ressourcen meint.
Statussymbole des Wohlstandes gestalten das moderne Bild des Landes. Der Lebensstil
jedoch ist ein anderer. Traditionelles, soziale Kontrolle, Regeln wirken aber unbewußt weiter.
‘Das Traditionelle wird unbewußt ausgeübt, die Landmenschen wollen Stadtmenschen sein,
aber die schaffen das nicht. Man kann zwar materielle Dinge dem Stadtmenschen
nachmachen, aber die anderen Leute in Ruhe lassen, das gibt’s nicht. Nur das Materielle
macht den Menschen nicht modern’ (Interviewpartnerin F, 18 Jahre). ‘Das Moderne wird mit
dem Auto, dem Computer, dem Handy, dem Materiellen ausgedrückt. Mit so was ist man wer,
damit rennt man herum’ (Interviewpartnerin M, 15 Jahre). ‘Das Moderne wird über das
Materielle ausgedrückt, man geht halt einkaufen in die Stadt aber eigentlich ist alles wie es
war’ (Interviewpartner H, 16 Jahre). J, 20 Jahre meint: ‘ Ich würde das Land nicht als total
rückständig hinstellen, so ist es nämlich nicht. Ich weiß nicht, ob es jetzt noch so total arg ist,
aber in den 70er und 80er Jahren war es noch total so. Jetzt hat man den Fernseher, die SatSchüssel, das größere Auto, also so Statussymbole. Man sieht nicht mehr nur den Bauern in
der Lederhose oder sonst irgend etwas, sondern man verfügt auch über die Technik, über
Strom. Obwohl es natürlich vom Lebensstil her ein kompletter Unterschied ist. Also es sind
vielleicht die gleichen Zeichen da, aber es funktioniert irgendwie anders. Es wird der
Unterschied kleiner glaube ich’. ‘... man richtet sich auf einem gehobenen Level ein. Zwei
Autos, Luxusgüter, jeder kann sich alles leisten und die Ansprüche erfüllen’ (Interviewpartner
L, 19 Jahre). ‘Modern’ ist der ländliche Raum auch dann, wenn sich Industriebetriebe und
Produktionsstätten in den Regionen ansiedeln. Vielfach wird dabei aber ein Faktum
übersehen, wie Interviewpartner L zu Recht bemerkt, daß ‘ die merken (Industriebetriebe) da
krieg’ ich billige Arbeiter, da spar ich Geld, die arbeiten für jeden Preis, daß sie eben Arbeit
haben, weil die keinen Beruf gelernt haben’. Wird das Dorf zum Lieferanten billiger und williger
136
Arbeitskräfte, tauchen schnell Probleme räumlicher, ökonomischer und sozialer Natur auf.
Unter dem Druck, Arbeitsplätze in den Regionen zu schaffen, wird häufig zu wenig auf
spezifische regionale Bedingungen geachtet. Hier wäre eine Kultur der Widerständigkeit
angebracht, die sich an den regionalen Strukturen orientiert, sich auf demokratische Werte
besinnt, sich den Mechanismen des politischen Mißbrauchs entzieht und somit an der
Gestaltung des eigenen Lebensraumes mitwirkt (vgl. Bockhorn 1993, 13).
Wie von den Jugendlichen treffend beobachtet, bleiben moderne Ausdrucksformen dieser Art
nur
an
der
Oberfläche
des
Zusammenlebens
wirksam,
während
tiefgreifende
Veränderungsvorstellungen und Erneuerungsideen, wie sie gerade von jungen Menschen
gewünscht und ausformuliert werden, wenig Anklang finden. ‘ Veränderungen machen sich
vor allem im emotionalen Bereich bemerkbar, wenn man spezielle Interessen hat, stößt man
auf Widerstand, wird verlacht, nicht ernst genommen. Dann sieht man die Leute mit ihrem
Konsumverhalten, das kann einen emotional bedrücken da kann man eine richtige Wut
bekommen’ (Interviewpartner N, 19 Jahre). ‘ Man kann nicht mehr sagen, es ‘funktioniert’ am
Land, weil man ‘eh modern ist. Ich treffe immer wieder Leute, die komplett fertig sind, die nur
weg wollen, weil sie es nicht aushalten, eben weil es arg ist, weil man gleich alles zurück
bekommt, wenn man etwas ein bißchen anders macht’ (Interviewpartner J, 20 Jahre). Der
gesellschaftliche Druck, den eine Dorfgemeinschaft auf den einzelnen ausüben kann, ist
auch durch ‘moderne Weichenstellungen’ nicht aus der Welt zu schaffen. Durch subjektive
Aufwertungsstrategien versucht man , mit den Brüchen der Zeit umzugehen. ‘Wir sind nicht
rückständig, wir sind modern’ lautet die Parole. ‘Es sind zwar keine großen Risse mehr da,
aber da ist einmal sehr viel ein Bessermachen, daß man sich selbst als besser fühlt, wenn
man am Land wohnt. Man sagt zwar, wir sind gleichwertig wie ihr in der Stadt, was aber
überhaupt nicht stimmt’ (Interviewpartner L, 19 Jahre).
Die Umstrukturierung im Bereich der Landwirtschaft, der Produktions- und Wirtschaftsform
ländlicher Regionen, wurde in dieser Arbeit bereits mehrmals angesprochen. Nun soll es
darum gehen, diese Aspekte in der Wahrnehmung der Jugendlichen zu untersuchen. Die
Landwirtschaft ist längst nicht mehr die primäre Einnahmequelle ländlicher Regionen. Für
viele der Interviewpartner ist der Bezug dazu nur über Großeltern oder Verwandte
herzustellen. ‘Überhaupt nicht jeder arbeitet in der Landwirtschaft. Ich komme zwar von einer,
habe aber überhaupt keine Ahnung davon. Die meisten haben Verwandte, Großeltern oder so
mit einem Bauernhof, also von irgendeiner Seite hast du immer noch Verbindungen’
(Interviewpartnerinnen C&D, 16 Jahre). Für das Zusammenleben im Dorf hat die
landwirtschaftliche Vergangenheit dennoch eine Bedeutung. ‘ ... es gibt einmal das
Bauerndorf, das ist ganz was eigenes. Die creme de la creme, die Oberschicht, die führen
sich auf, ... das ist Tradition, das war schon immer so, das ändert sich nicht so schnell, das
137
sind die, die politisch mitreden.’ (Interviewpartnerin B, 16 Jahre). Dieses ‘Bauerndorf’ bildet
auch den Kern ländlicher Gemeinden, an deren Rändern die Zugezogenen, Jüngeren wohnen
Der Dorfkern ist gewöhnlich Familien mit traditionellem langen Bezug zum Dorf vorbehalten.
‘Es gibt ein Dorf und das ist eben schon länger, dann ist da die Hauptstraße. Wenn man an
der Hauptstraße wohnt, ist man schon was Besseres, da sind eben die Jüngeren, die
Nachkommen, von denen zum Teil die meisten auch auswärts arbeiten. Ich meine, da sieht
man sich auch nicht mehr so als die Leute im Dorf. Im Dorf wohnen eben die Älteren und an
der Straße ist die Neubausiedlung’ (Interviewpartnerin E, 20 Jahre). Die Bewohner der
Neubausiedlungen stehen teilweise in einer losen Verbindung zum Dorfkern und weisen auch
untereinander eine geringere Kontaktdichte als die Bewohner des Dorfkerns auf. Die
Orientierung richtet sich hier vermutlich - nicht nur bezüglich der Arbeit - eher nach außen.
Die InterviewpartnerInnen bewerten diese Tendenzen auf folgende Weise: ‘ Die traditionelle
Dorfstruktur ist so nicht mehr gegeben. Alles ist irgendwie vermischt. Die meisten sind ja weg
aus der Landwirtschaft und haben eine Arbeit gesucht. Im Dorf (Dorfkern) haben die Älteren
den Bauernhof aufgelöst und leben jetzt von der Pension’ (Interviewpartnerin E, 20 Jahre).
Interviewpartnerin B, 16 Jahre, formuliert diesen Umstand aus ihrer subjektiven
Wahrnehmung heraus so: ‘ Da gibt es eben die Bauern und da gibt es die normalen Leute,
die nur am Wochenende da sind die unter der Woche arbeiten, die Pendler sind. Die sind da
nicht so richtig drinnen, die sind so mehr mit der Familie und so’. Durch das Pendlerwesen
gehen auch gewisse soziale Bezüge wie das Zusammensitzen im Dorf verloren. ‘Bei den
Pendlern stelle ich mir das so vor, wenn die heimkommen, wollen sie was anderes nicht
mehr tun, die sind müde und wollen ausrasten. Da geht schon ein bißchen verloren, was
früher war, was gemütlich macht, zusammensitzen, so tratschen. Wo zusammenkommen,
daß ist in unserem Dorf nicht mehr so, da geht schon was verloren’ (Interviewpartnerin A, 16
Jahre).
Häufig
kompensieren
aber
gerade
Pendler
diesen
‘Dorfentzug’
durch
überdurchschnittliches Engagement in Vereinen und Organisationen. Männer und Väter
widmen häufig einen Großteil der anfallenden Freizeit dem Fußballverein, der Feuerwehr oder
ähnlichem. Frauen, denen weitgehend die Möglichkeit der Vereinsmitgliedschaft fehlt, bringen
in dieser Zeit das Eigenheim auf Hochglanz oder versorgen den Hausgarten.
Die häufig als typisch für ländliche Gemeinschaften beschriebene Hierarchisierung des
Dorfes ist für die befragten Jugendlichen nicht mehr von zwingender Gültigkeit. Vormals
angesehene Bürger wie der Arzt, der Lehrer, der Pfarrer, der Feuerwehrhauptmann, der
Bürgermeister, der größte Bauer haben keinen unangefochtenen Anspruch auf Autorität
mehr.
‘ Früher war das so, wie ich klein war, da war im Dorf der große Bauer, der hatte das Sagen.
Jetzt ist das Geld das Wichtige.’ (Interviewpartnerin E, 20 Jahre). Dennoch befinden sich
138
Repräsentanten einer öffentlichen Funktion ungleich mehr im Licht der Dorföffentlichkeit, was
ihren Verhaltensspielraum gleichzeitig kleiner und größermacht. ‘Mein Vater hat so kleine
Ämter, jetzt gefällt das den Leuten nicht mehr so, weil bei uns zu Hause so ein
Durcheinander ist, die hätten schon gerne, daß er abgesetzt wird, weil er einfach nicht mehr
dem entspricht, also er fällt irgendwie aus der Reihe. Er entspricht einfach nicht mehr dem,
also eben so der normalen Familie’ (Interviewpartnerinnen C&D, 16 Jahre).
Fremdem und Neuem wird zu Beginn meist mit Skepsis und Mißtrauen begegnet. ‘ Meine
Mutter hat wieder mit der Arbeit begonnen, hat eine Ausbildung gemacht, sich total verändert,
so flippig und so. Von der Seite der Älteren ist gekommen, ‘die spinnt komplett, die armen
Kinder’ usw. Sie läßt sich aber nichts sagen von den anderen. Sonst wird man ja verrückt
wenn man versucht, nichts falsch zu machen unter dem Motto: Was könnten die anderen
denken oder sagen?’ (Interviewpartnerin E, 20 Jahre). Das Verhältnis zwischen Männern und
Frauen ist in zaghafter Veränderung begriffen, vor allem Frauen der jüngeren Generation
wollen sich aus den traditionellen Erwartungen des Dorfes bezüglich Familie, Haus und Hof
lösen. Trotzdem akzeptieren ‘alte Generationen die neuen Generationen überhaupt nicht,
zeitweise. Andere stellen sich aber auch locker darauf ein, sagen es ist einfach was Neues,
das ist einfach so. Die meisten sagen aber was soll’s. Es wird schon besser’
(Interviewpartnerin G, 15 Jahre). ‘ Die Leute haben eben Angst vor Neuem’ (Interviewpartner
H, 16 Jahre). ‘ Es ist halt für die Leute nicht so einfach, sich da umzustellen, wenn da neue
Einflüsse sind, wenn da was Fremdes kommt. Es erinnert irgendwie an eine Familie, wenn
da jemand neuer dazu kommt. ... Es ist schwierig, mit neuen Sachen zu kommen, weil es ein
so gewachsenes Gefüge ist’ (Interviewpartner N, 19 Jahre).
Für die Jugendlichen ergeben sich aus diesen Punkten einige Schwierigkeiten. Traditionelle
und Moderne Aspekte sind oft ineinander verflochten. Diese Relation bleibt häufiger
unartikuliert, während noch immer von der inneren Kohärenz und Schlüssigkeit der
traditionellen Bezugssystems ausgegangen und das Wissen darüber vorausgesetzt wird.
‘Die Jugend ist deswegen erschwert, weil Traditionelles mit Modernem vermischt und nicht
richtig ausgesprochen wird. Es gibt Sachen, die traditionell sind, die werden nie
ausgesprochen, werden einfach vorausgesetzt. Wenn du aber merkst, daß es eigentlich
nicht mehr so ist, dann Donnerwetter, dann ist es schwierig’ (Interviewpartnerin E, 20 Jahre).
• Kategorie c: ‘Wie nehmen Jugendliche Möglichkeiten der individuellen Lebensgestaltung
und -bewältigung wahr?’ (vgl. Abschnitt 5.5.)
Eine Auseinandersetzung mit dieser Frage läßt sich gut mit der Aussage einer
Interviewpartnerin (F, 18 Jahre) einleiten. ‘... Jugendliche müssen einige Kompromisse
139
eingehen, wenn man am Land leben will ...’. Auf welche Kompromisse, Anforderungen und
Möglichkeiten der individuellen Lebensgestaltung lassen sich aus den Aussagen der
Jugendlichen schließen? Wie gehen sie mit ihrer jeweiligen Lebenssituation um? Um sich mit
diesen Punkten auseinanderzusetzen, lohnt es sich, den Bereich der Schul/Berufsausbildung
vom Freizeitbereich zu trennen, wobei es natürlich immer wieder Überschneidungen gibt.
Im Bereich der Ausbildung, im konkreten Fall der Schulausbildung mit Matura bewegen sich
die InterviewpartnerInnen im Spannungsverhältnis zwischen ländlich - traditioneller und
moderner Berufsorientierung (vgl. Böhnisch/Funk 1989, 241). Die InterviewpartnerInnen
werden in ihren Rollen als SchülerInnen immer wieder mit einem traditionell ländlichen
Arbeitsethos konfrontiert. Dieses Arbeitsethos hat seine Wurzeln in der Vorstellung, ‘Arbeit’
beziehe sich auf körperliche Anstrengung und nicht auf geistige, körperlich wenig
beanspruchende Tätigkeit. ‘ Viele sagen noch immer, wer nicht arbeiten will, geht Lernen (in
die Schule), die spinnen, die sind faul, die sind jahrelang von den Eltern abhängig. Dann
erreichen die doch nichts, wissen nicht, was sie arbeiten sollen’ (Interviewpartnerin F, 18
Jahre) oder ‘Die, die lernen, hören, ‘was tun die blöd am Schreibtisch sitzen, blöd schreiben
oder rechnen, das ist ja keine Arbeit’. Ich glaube, das Handwerk ist bei uns mehr angesehen
als das Studium’ (Interviewpartner L, 19 Jahre). Die SchülerInnen sind demzufolge in ihrer
subjektiven Wahrnehmung auch mit Vorurteilen konfrontiert, die aus ihrem ‘nur - Schüler Sein’ resultieren. ‘Wenn man eine höhere Schule besucht, erzeugt man viele Vorurteile. Die
sagen alle, wir bilden uns ein sowieso was Besseres zu sein als die Lehrlingskinder. Die, die
in eine höhere Schule gehen, mögen die hier nicht’ (Interviewpartnerin B, 16 Jahre), ‘Lehrlinge
sind schon ziemlich skeptisch den Schülern gegenüber’ (Interviewpartnerinnen C&D, 16
Jahre), ‘Wenn man in die Schule geht, ist man sowieso faul, dann will man nicht arbeiten.
Schüler und Studenten lösen auch noch Vorurteile aus, weil sie sich komisch anziehen, die
Haare färben und eben die bösen Kinder. Die wohnen einfach daheim, essen gratis. In der
Früh in die Schule, sitzen dort oder nicht, eher locker eben. Man muß selber schauen, daß
man was macht, selbst bestimmen, wie schnell man etwas tut, daß man fertig wird, man
kalkuliert eben herum, als Lehrling kann man das so nicht’ (Interviewpartnerin E, 20 Jahre).
Die befragten SchülerInnen nehmen bewußt wahr, daß Lehrlinge ‘besser in die dörfliche’
Erwachsenenwelt passen. Sie arbeiten und verdienen ihr eigenes Geld. Die ‘verlängerte
Jugendphase’ der SchülerInnen ist für viele - vor allem für die ältere Generation -noch nicht
vertraut genug, was vorgefertigte und wenig reflektierte Vorurteile zur Folge hat. Wenn
Lehrlinge eine Lehrstelle in der näheren Umgebung bekommen, zeigen sie, so meinen die
Jugendlichen, einen höheren Bezug zur Region. ‘Natürlich wird man, allein weil man Geld
verdient, schon erwachsener hingestellt. Die Leute sagen ‘jetzt kennst du dich aus, weißt, wie
man Geld verdient, weißt, daß nicht mehr alles so einfach ist. Aber wenn man eine Lehre
140
macht, kommt man nicht mehr so leicht weg, auch wenn man es nicht aushält ist man froh,
eine Stelle zu haben’ (Interviewpartner J, 20 Jahre). ‘Lehrlinge entsprechen dem traditionellen
Erwachsenenbild. Das ist irgendwie ein Vorwand, um Gleichgesinnung zu propagieren. Wenn
einer Lehrling ist, tanzt er nicht mehr aus der Reihe, von dem ist nichts zu befürchten, daß
der sich einmischen könnte, der kann den eigenen Vorstellungen nicht im Wege sein.
Deswegen fassen Lehrlinge in der Dorfgemeinschaft leichter Wurzeln’ (Interviewpartner N, 19
Jahre). Trotzdem bleibt festzuhalten: ‘Es besteht eine gewisse Abneigung gegen Leute, die
durch ihre geistigen Fähigkeiten, durch ihre Interessen dazu berufen sind z.B. Akademiker zu
werden oder einen höheren Beruf anzugehen. Es besteht sicher eine Abneigung, ein
Mißtrauen, übertölpelt zu werden aus dem Gefühl heraus ‘der hat studiert, der kann das
sicher besser, der will mir das klar machen’, das ist irgendwie ein Mangel an
Selbstbewußtsein’ (Interviewpartner N, 19 Jahre).
Abgesehen von diesen Vorurteilen sind die SchülerInnen aber vor allem mit den bestehenden
oder fehlenden ‘regionalen Optionen’ konfrontiert, die der angestrebte Maturaabschluß mit
sich bringen wird. Wie weit ermöglicht also die regionalspezifische Berufspalette den
Jugendlichen die Aussicht auf eine chancenreiche berufliche Lebensverwirklichung in der
Region bzw. muß diese Frage nicht ohnehin außerhalb der Region beantwortet werden?
Die im Bezirk bestehenden ‘regionalen Optionen’ werden von allen Jugendlichen als irrelevant
bezeichnet. Die einzig verwirklichbare Möglichkeit liegt für einen Großteil der SchülerInnen
darin, die Schule gut zu bewältigen, um dann die Region verlassen zu können, weil keine
adäquaten beruflichen Möglichkeiten vorhanden sind. ‘Es ist sowieso so, daß wir dann, wenn
wir fertig sind mit der Schule - ich kenne keinen Schüler der sagen würde, daß er dableiben
will nach der Schule, es wollen alle nur weggehen, schauen, daß wir die Jahre irgendwie
runterdrehen bis zur Matura und dann weg. Matura ist so ‘endlich raus und weg’. Das ist
einmal gut, und in der Stadt ein neues Leben aufbauen, weg vom Dorf’ (Interviewpartnerin B,
16 Jahre). Eine Berufsausbildung im Bezirk scheint für die meisten nicht vorstellbar, nicht nur
weil ein Großteil angibt, nach der Matura studieren zu wollen, sondern weil die
Arbeitsmarktsituation generell als schwierig eingestuft wird. Mobilität und der Mut, die Region
zu verlassen, ist für die befragten Jugendlichen deshalb selbstverständlich. ‘Man muß flexibel
sein, weil vor der Haustüre, da gibt’s keine Arbeit, da muß man schauen wo man was kriegt,
man muß eben bereit sein, wenn man eine Arbeit will, dann muß man weggehen und mobil
sein’ (Interviewpartnerin E, 20 Jahre). ‘Es gibt begrenzte Möglichkeiten da im Bezirk, da gibt’s
eben keine Möglichkeiten, schade, und wenn man nicht bereit ist zu pendeln dann ist es
schwierig. Für viele ist es schwierig, aus dem Kaff herauszukommen, weil die denken ‘ich bin
da geboren, jetzt soll ich da weg, da muß ich alles hinter mir lassen’. Heute ist es aber überall
schwierig’ (Interviewpartnerin M, 15 Jahre). Für Mädchen hat der
bildungsspezifische
141
Aspekte eine darüber hinausgehende Tragweite. Mädchen betonen, daß der Schulbesuch für
sie eine Möglichkeiten darstellt, die traditionellen Geschlechtsrollenzuschreibungen zu
überwinden. Berufliche Eigenständigkeit und die Ausübung eines ‘interessanten und
abwechslungsreichen Berufes’ gehören zu den Zielvorstellungen der meisten. ‘Für Mädchen
war es früher schwieriger, weil da hat man weiter weg müssen (um zur Schule zu gehen), die
Geldmittel haben gefehlt. Mädchen, das war eher so die Frau hinter dem Herd und kochen
und so. Heute kenne ich auch Beispiele, wo das noch so ist, wo der Vater bestimmt hat, was
die Tochter tun muß. Ein Mädchen, die ist jünger als ich, deren Vater hat gesagt ‘du mußt in
die Haushaltungsschule gehen’, die war echt gescheit, lauter Einser, die hat das tun müssen’
(Interviewpartnerin A, 16 Jahre). ‘Ich meine, jetzt haben die Mädels überhaupt schon ein
bißchen die Möglichkeit, in die Schule zu gehen, früher, da hat man mit achtzehn Kinder
gekriegt und hat geheiratet’ (Interviewpartnerin F, 18 Jahre) oder ‘In meinem Freundeskreis ist
es normal, daß man das macht, was man machen will. Es ist egal auch Mechanikerin oder
so was. Generell ist es schon noch eher so Hausfrau, Kinderkriegen, hinter den Herd oder
eben Verkäuferin, Friseuse oder so was, eher die leichten nicht anstrengenden Berufe, also
Werkzeug, das ist prinzipiell nichts für Mädchen, nur für Männer. Kinder, Haushalt, das ist für
die Frauen. Das ist echt arg’ (Interviewpartnerin M, 15 Jahre). Der Schulbesuch wird dannach
als Schritt gesehen, sich aus der gesellschaftlich determinierten und schwer auflösbaren
Rolle der Hausfrau und Mutter leichter lösen zu können und einen eigenständigen beruflichen
Weg einzuschlagen.
Der Bereich der Freizeitgestaltung eröffnet für Jugendliche eine weitere Möglichkeiten zur
individuellen Lebensgestaltung. Die spontane Antwort lautet fast einstimmig: ‘Es ist fad, es ist
nichts los, es ist so wenig Angebot, wir können nichts machen in der Freizeit’. Durch
konkretes Nachfragen entsteht dann aber doch ein etwas weiter gefaßtes Bild der
Freizeitmöglichkeiten. Skizziert die erste spontane Antwort den Eindruck vollkommener
Eintönigkeit des jugendlichen Freizeitlebens, wird mit einer zweiten Kollektivaussage der
Eindruck erweckt, es handle sich um eine Gruppe extrem sportlicher Jugendlicher. ‘In der
Freizeit kann man nichts machen, na ja, man kann sporteln’ (Interviewpartnerin B, 16 Jahre).
Sport scheint die einzige Möglichkeit zu sein, die Freizeit sinnvoll zu verbringen, wobei Sport
in diesem Zusammenhang als sportliche Betätigung im Vereinsumfeld verstanden wird.
Hinter ‘Sportverein’ verbirgt sich im ländlichen Umfeld in erster Linie aber der Fußballverein,
womit für Mädchen zumindest diese Variante der sportlichen Freizeitbetätigung nicht relevant
ist. Sport als Freizeitaktivität ist für viele Jugendliche aber auch mit Aktivitäten im Sommer
und Frühjahr verbunden. Radfahren, Schwimmen, Tennisspielen - Sportarten, die nicht
unbedingt im Verein ausgeübt werden müssen und vor allem in jedem noch so kleinen Ort
praktiziert werden können. ‘Im Sommer ist es toll hier, sonst ist es echt fad. Da kann man
142
echt nichts unternehmen. Sport kann man viel machen im Sommer und Frühling, wenn man
draußen was unternehmen kann’ (Interviewpartnerin G, 15 Jahre). ‘Banale Sachen wie Tennis
kann man überall machen, ausgefallene Dinge gibt’s nicht so da’ (Interviewpartner J, 20
Jahre). ‘Im Sommer ist es einfach. Da geht man ins Bad eben oder Fußballspielen. Im Winter
ist es trostlos, da können wir überhaupt nichts machen. Man kann ins Gasthaus gehen, aber
das geht ins Geld’ (Interviewpartner L, 19 Jahre). Grundsätzlich, so lautet der Tenor vor allem
der älteren InterviewpartnerInnen, kann man in der Freizeit alles machen, was man machen
möchte. Denn die Gegenfrage auf ‘Was machst Du in Deiner Freizeit?’, lautet: ‘Was macht
man in der Stadt mit seiner Freizeit, außer daß einem fad ist?’ (Interviewpartnerin E, 20
Jahre). Natürlich ist Freizeitangebot in Form von Kino, Theater ect. in weit geringerem
Ausmaß vorhanden, aber für die Gestaltung der persönlichen Freiräume ist auch ein
spezielles Interesse für etwas und die Gabe, herauszufinden wo und wie man dieses
Interesse umsetzten kann, erforderlich.
‘Interessen sind das Wichtigste, und am Land mußt du erst schauen, wo die Möglichkeiten
sind, wo irgend etwas ist, das du machen kannst, wo Leute sind die dich interessieren, dort
mußt du dann hinkommen. Es wird schon in Kauf genommen, für speziellere Sachen in der
Freizeit auch weiter zu fahren. Natürlich geht bei vielem eben Zeit verloren, weil man wohin
fahren muß, weil man abhängig ist davon, wohin zu kommen. Unmobile sind auf
Unterstützung angewiesen. Da ist man extrem abhängig, man ist angewiesen auf Eltern, auf
Freunde mit einem Auto’ (Interviewpartner J, 20 Jahre). Attraktive Freizeitangebote (bspw.
Kinobesuch in der nächsten Stadt) sind in ihrer Durchführung daran gebunden, ob man mobil
ist, ein Auto hat oder gute Verkehrsverbindungen vorhanden sind. Für die meisten älteren
InterviewpartnerInnen ist Mobilität kaum mehr ein Problem, fast alle besitzen den
Führerschein und sind somit nicht mehr unweigerlich auf die örtlichen Freizeitangebote
angewiesen. Die jüngeren sind zumeist darauf angewiesen, die Angebote vor Ort
anzunehmen, auch wenn ‘schon alles fad ist, auch wenn nie etwas passiert, weil immer das
Gleiche ist, weil man immer wieder die gleichen Leute trifft’. ‘Als Vierzehnjähriger kommt man
nirgendwo hin, man sitzt den ganzen Tag daheim, jammert, das hält kein Mensch mehr aus
...’ (Interviewpartner J, 20 Jahre). ‘Vorher haben wir uns gedacht, jetzt haben wir noch kein
Auto, es ist egal, wir bleiben eben noch da, nehmen wir das, was die Stadt (Radkersburg)
uns bietet, aber dann so schnell wir möglich weg’ (Interviewpartner L, 19 Jahre). ‘Die
Jüngeren sind noch eher fröhlich haben noch mehr Lebensgeist, so daß sie es noch leichter
aushalten daheim, sich mit irgendwelchen Leuten unterhalten und so, wenn man achtzehn
ist, wo es realer wird, daß man weiter wohin fahren kann, braucht man das dringend’
(Interviewpartner N, 19 Jahre). Herumfahren, Unterwegssein ist ein wichtiger Lebens- und
Freizeitaspekt in ländlichen Regionen, dieses Ergebnis der Literaturstudie läßt sich auch
143
eindeutig auf die Situation der Jugendlichen in der Untersuchungsregion übertragen. ‘... in der
Freizeit fahren wir herum im Bezirk, sonst irgendwohin, aber Hauptsache dorthin, wo mehr
geboten wird als da, alles ist besser ...’ (Interviewpartner L, 19 Jahre). Die Mobilität ist nicht
nur im Zusammenhang mit der Freizeitgestaltung wichtig, sondern dient auch dazu,
Freundschaften zu pflegen. Alle Jugendlichen geben an, den Freundeskreis über die Schule
zu bilden. Diese Schulkameraden sind wiederum aus der ganzen Region. Häufig werden die
Freizeitaktivitäten direkt im Anschluß an den Schultag durchgeführt. ‘Meistens gehen wir
irgendwo in ein Lokal Kaffee trinken, sonst sitzen wir einfach zu Hause herum und sehen
fern. Wir haben keine Bekannten mit einem Führerschein oder Auto, können uns nur auf die
Eltern verlassen, daß die uns wohin bringen’ (Interviewparterinnen C&D, 16 Jahre). Generell
fehlen Bereiche der Freizeitgestaltung, die es den Jugendlichen ermöglichen würden, sich im
Rahmen ihrer Interessen wirklich zu engagieren und sich aber nicht gleichzeitig in Vereinen
(Jugendvereinen) organisieren zu müssen. ‘Ich kann mich nicht engagieren für Dinge, die
mich interessieren, daß ist echt ein Problem. Ich schreibe gerne, da geht nichts weiter,
solange ich als Jugendliche hier bin, ist es absolut nicht möglich. Es gibt einfach nichts, es
gibt nichts, wenn jemand etwas gerne tut, sozial sich engagieren mit irgendwelchen
Jugendlichen irgend etwas tun. Es ist alles schwierig oder ‘entweder man ist bei der
Landjugend (Verein) oder man ist gar nichts’ (Interviewpartnerin B, 16 Jahre).
Die Frage nach der Möglichkeit der Freizeitgestaltung im Rahmen eines Vereines vorwiegend der traditionellen Jugendvereine ‘Katholische Jugend’, ‘Landjugend’ - hat
interessante Ergebnisse gezeigt. Keiner der interviewten Jugendlichen gab an, in einem
dieser Jugendvereine zu sein. Die Gründe, die angegeben wurden, waren argumentativ sehr
vielschichtig. Vereine sind Institutionen, die der Integration in den dörflichen Alltag dienlich sind
und daher vorwiegend von Lehrlingen in Anspruch genommen werden, da diese eher als
SchülerInnen im Ort bleiben. ‘Der Verein ist irgendwie Eintritt ins Dorf, wenn du da nicht dabei
bist, heißt es, daß du weggehen willst. Ich kenne keinen Schüler, der drinnen ist und
weggehen will. Die anderen festigen sich da, weil sie da bleiben werden, weil sie da ein Leben
aufbauen werden’ (Interviewpartnerin B, 16 Jahre). ‘Ich könnte zur Landjugend, da sind aber
nur Lehrlinge drinnen, da ist dann der Konflikt Lehrlinge und Schüler. Da sind eben keine
Schüler drinnen, dann ist das auch nichts für mich’ (Interviewpartnerin A, 16 Jahre). Nicht nur
diese Gründe sind ausschlaggebend für das Fernbleiben vom Vereinsleben, sondern auch
der Mangel an engagierten Führungskräften und interessantem Angebot. ‘Es hat einmal eine
Jugendgruppe gegeben mit einem Kaplan, der hat echt viel gemacht. Jetzt ist eben überhaupt
nichts mehr da. Der Kaplan war super, der war mit uns Snowboarden, Pizza essen, der hat
echt viel gemacht’ (Interviewpartnerinnen C&D, 16 Jahre). ‘Die Landjugend organisiert zwar
immer irgendein Fest oder so Aktionen, das deckt sich aber nicht wirklich mit meinen
144
Wünschen. Wenn man in so einem Verein ist, hat man immer Leute, lernt das Leben in der
Gemeinschaft. In der Landjugend sind aber eher Lehrlinge, die besuchen keine
weiterführende Schule’ (Interviewpartnerin E, 20 Jahre). ‘Vereine, wirklich so für Jugendliche,
gibt’s wenig. Junge ÖVP, Landjugend, die sind aber eher am Sterben, denke ich mir, weil die
sind eher so parteiisch’ (Interviewpartner J, 20 Jahre). ‘Vereine spielen für mich persönlich
keine Rolle, die interessieren mich einfach nicht. Die ganzen Vereine sind irgendwie so
geprägt, wenn sie unter dem Titel Jugendvereine laufen, daß sie mich nicht interessieren. Ich
habe mich immer dagegen gestellt. Die zeigen einmal äußerlich Verständnis, also zu den
Sachen, individuelleren Gedanken und so, aber die katholischen Vereine haben offensichtlich
einen Erziehungsgedanken dahinter, der kann so nicht akzeptiert werden von einem
Jugendlichen’ (Interviewpartner N, 19 Jahre). Die Hauptkritik richtet sich also auf das Angebot,
den ‘Konflikt Lehrlinge/Schüler’, die parteipolitische Prägung und das nicht wirklich
vorhandene Verständnis für gegenwärtige jugendkulturelle Interessen. Auch das Vereinsleben
abseits der Jugendvereine ist für die interviewten Jugendlichen von relativ geringem Interesse,
weil hier vorwiegend das Erwachsenenpublikum angesprochen wird. Die am häufigsten
genannten Vereine wie Feuerwehr, Eisstockschützenverein, Kameradschaftsbund und
Jagdverein wecken kaum Interesse bei den Jugendlichen. Von den Mädchen wird aber im
Zusammenhang mit Vereinen auch die ‘traditionell männliche Ausrichtung’ kritisiert. Vereine
sind - bis auf einige politische oder kirchliche Frauenvereine - traditionelle Männerwelten.
‘Vereine sind eher nur für Männer oder Burschen, wie eben der Fußballverein. Für Frauen gibt
es weniger Angebote, wenn, dann stricken’ (Interviewpartnerin A, 16 Jahre). Zugeständnisse
von Seiten der Männer exsitieren nach Aussage einer Jugendlichen nur pro forma: ‘Ja, da
gibt’s auch die Möglichkeit, nur macht das keiner. Ich habe da einmal mit einem gestritten,
das ist so ein alteingesessener Feuerwehrschriftführer, der hat gemeint, wenn Mädchen zur
Feuerwehr dazu gehen würden, würden die eher so den Verwaltungskram übernehmen. Das
Tun und Wirken ist eher den Burschen überlassen. Ich hab’ gefragt, warum? Ich meine der
war wirklich so null-acht-fünfzehn eingestellt, der hat gesagt, die sind eben stärker, die halten
mehr aus’ (Interviewpartnerin E, 20 Jahre).
Vereine sind offensichtlich nicht mehr jene sozio - kulturellen Milieus, in denen Möglichkeiten
der individuellen Entfaltung gesucht werden. Während in der Jugendforschung vielfach
darüber diskutiert wird, daß an die Stelle der Vereinsmitgliedschaft die Zugehörigkeit zu
unterschiedlichen ‘Szenen’ getreten ist, kann dies für die befragten Jugendlichen nicht ohne
weiteres geltend gemacht werden. Wohl ist das Wissen über unterschiedliche ‘Szenen’ und
über das Entstehen diverser Lifestyls und Trends über Konsum-, Medien- und Musikmärkte
vorhanden, dennoch ist die aktive Mitgestaltung vor Ort nicht so leicht. Die Vorstellung, daß
sich in kleinen ländlichen Dörfern eine Vielzahl unterschiedlicher ‘Szenen’, wie sie uns aus
145
Städten bekannt ist, bewegt, entspricht nicht der Realität. ‘Im Dorf, da gibt’s keine so richtigen
Szenen, da gibt’s keine Gruppen, aber wir treffen uns in der Schule meistens nachher’
(Interviewpartnerin A, 16 Jahre). ‘Man ist immer eine Einmann - Gruppe, es gibt zu wenige
Jugendliche in einem passenden Alter. Es ist eher vermischt und es gibt nicht so die
Möglichkeiten, daß man es sich so richtet, könnte wie in der Stadt’ (Interviewpartnerin E, 20
Jahre). ‘Jugendszenen gibt’s da nicht, weil nicht so viele Jugendliche da sind, in Leibnitz ist
das schon möglich, da ist schon mehr los’ (Interviewpartnerin B, 16 Jahre). Ungeachtet, weil
es in den Wohndörfern zu wenig Jugendliche der selben Altersgruppe gibt, um das, was die
Jugendlichen mit ‘Szene’ meinen, zu bilden, ergibt sich für sie aus den Kontakten und
Freundschaften durch die Schulen so etwas wie eine ‘überregionale Szene’. Hier schafft man
sich die idealisierte Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe. Man hört dieselbe Musik,
trägt daßelbe Outfit, findet eine ähnliche Orientierung, wohingegen im dörflichen Kontext
wenig davon stattfindet. Die Bedeutung dieser Zugehörigkeit wird durch die Aussage eines
Jugendlichen unterstrichen: ‘Wenn man sich irgendwo einordnet, kann man sich mit der
Gruppe identifizieren, da ist man von einer anderen Gruppe total weit weg. Jeder möchte
einfach irgendwo dazugehören, man hat dann einen Bereich mit seinen Leuten, macht was
zusammen und hat einen Rückhalt, das geht so in die Richtung Familie, man ist nicht
irgendwo allein’ (Interviewpartner J, 20 Jahre). Freunde mit gleichen Interessen findet man
dort, wo man viel Zeit verbringt. ‘Freunde sind dort wo man sich am meisten aufhält, das ist
bei mir eben die Schule’ (Interviewpartner J, 20 Jahre). Die Nichtachtung jugendkultureller
Interessen - abseits von organisierten Vereinsaktivitäten - ist für die befragten Jugendlichen
spürbar und wird auch ausformuliert.
Die Jugendlichen würden sich mehr alternative Möglichkeiten wünschen, die Freizeit zu
gestalten, etwa in Form von Räumen oder Jugendzentren, die in ihrer Benutzung nicht an
Vereine oder Institutionen gebunden sind. Diese Treffpunkte und Gelegenheitsstrukturen
sollten vor allem auch für jene offenstehen, die nicht so mobil sind und die Möglichkeit bieten,
‘jugendkulturelle Trends’ (Inlineskaten, Basketball zu spielen) zu leben oder einfach nur
Freunde zu treffen.
Allerdings ist den Jugendlichen klar, daß gerade im Ausbleiben von infrastrukturellen
Besserungen ein gewisses Potential zu jugendlicher Freisetzung und Rebellion liegt: ‘Was
macht man in seiner Freizeit? Mhm? Man kann, es gibt ein paar Gleichgesinnte mit denen
man etwas macht, mit denen kann man dann Musik hören oder sich einfach ein bißchen
herumtreiben, kann man sagen. Es ist irgendwie ein gewisser Reiz dabei sich mit denen
gegen alles ein bißchen aufzulehnen, das ist das Positive dabei, also das jugendliche Erleben
das da dabei ist, also das Lebensgefühl an sich, das ist es irgendwie, das dann ein bißchen
146
verstärkt wird, in dem man rebelliert sozusagen. Das ist der positive Aspekt der Freizeit im
ländlichen Raum’ (Interview N, 19 Jahre).
• Kategorie d: ‘ Wie gelingt die Wahrnehmung der Jugendlichen als eigene Sozialgruppe
mit Ansprüchen und Problemen ?’ (vgl.Abschnitt 5.5.)
Wenn
in
einigen
Ausführungen
dieses
Kapitels
auch
Überschneidungen
mit
vorangegangenen entstehen können, ist es dennoch notwendig, die Aussagen der
Jugendlichen bezüglich ihrer Wahrnehmung als ‘Sozialgruppe’ zu untersuchen.
Die
Definition als eigenständige Sozialgruppe zeigt Verbindungen mit dem System dörflicher
Integrations- und Segregationsmuster in die jeweilige Erwachsenenwelt. Vor allem aber geht
es hier um den Umgang mit den vorhandenen Lebensbedingungen und den Mechanismen
der ‘Welt - und Selbstwahrnehmung’ (vgl. Böhnisch/Funk 1989, 203). Unter Berücksichtigung
der in unterschiedlicher Art und Weise getätigten Aussagen der Jugendlichen läßt sich die
Behauptung vertreten, daß sich die befragten Jugendlichen eindeutig als ‘Sozialgruppe
SchülerInnen’ wahrnehmen. Es gilt nun, gezielt die spezifische Rolle jugendlicher
SchülerInnen im ländlichen Kontext zu analysieren. Diese Einschränkung ist insofern wichtig,
weil sich für SchülerInnen im Vergleich zu Lehrlingen unterschiedliche Möglichkeiten von
Integration in die dörfliche Erwachsenenwelt auftun, die letztendlich auch einen Einfluß auf
die Selbstbestimmung haben. Es scheint, als verlaufe die Konstituierung als eigenständige
Sozialgruppe in einem kontinuierlichen Prozeß der Konfrontation der eigenen Rolle als
SchülerIn mit der dörflichen Gesellschaft. SchülerInnen entsprechen durch die Verlängerung
der Jugendphase nicht den vertrauten Statuspassagen ländlichen Erwachsenwerdens. Das
Hineinwachsen in die Erwachsenenwelt durchläuft traditionellerweise die Stationen
Berufsausbildung - Verein - Heirat - Familie. Der verlängerte Schulbesuch verzögert diese
Abfolge nicht nur, sondern setzt auch gänzlich neue Impulse für die Jugendlichen. Die
Integrationsträger
Vereinszugehörigkeit und
Verbindlichkeit traditioneller Lebensbezüge
spielen für die interviewten Jugendlichen, wie bereits in Ausführungen der vorherigen
Kategorien gezeigt worden ist, keine verbindliche Rolle mehr.
Welche Ansprüche stellen nun Jugendliche an die Erwachsenenwelt? Welche Probleme
werden von den Jugendlichen ausformuliert?
Die Aussage einer Interviewpartnerin skizziert ein negatives Bild dieser Wechselbeziehung:
‘Jugendliche werden als Minderheit gesehen, die man halt nicht ändern kann. Da muß man
auch nichts ändern, da ist auch nichts geplant’ (Interviewpartnerin B, 16 Jahre). Es ist vor
allem das geringe Interesse und Engagement Erwachsener für die Vorlieben Jugendlicher,
das von den InterviewpartnerInnen beklagt wird. Die Jugendlichen bemerken zwar, daß sie bedingt durch die verlängerte Schulausbildung - mehr Freiraum haben, sich zu entfalten - (die
147
Haare bunt färben, verrückte Kleidung tragen, sich zumindest äußerlich von den
Erwachsenen abgrenzen) - als vergleichsweise gleichaltrige Lehrlinge, daß sich deshalb
aber auch mehr Reibeflächen
mit der dörflichen Öffentlichkeit bilden. Die durch
Äußerlichkeiten formal zur Schau getragene Demonstration des Jungseins ist nämlich der
sicherste Weg, in die Mühle der dörflichen Kontrolle zu geraten. Gerade dieses
Unverständnis, warum Jugendliche ‘anders’ aussehen möchten, erschwert den Weg zur
Definition einer eigenständigen Sozialgruppe. ‘Wenn man immer nur hört von irgendwelchen
Leuten, was man falsch macht, wie man ausschaut, was man tut; daß man einfach nicht
leben kann wie man will, sondern irgendwer weist dich immer zurecht, ... dann will man weg’
(Interviewpartner J, 20 Jahre). ‘Die Leute sind eher schockiert über die Jugend. Wenn jemand
so ausgeflippt ist, wird der schon abgestempelt, die kannst du schon vergessen. Man
versteht einfach nicht, warum wir so sind; die sagen alle, wir sind alle so verblödet von den
Drogen, vom Fernsehen, die haben wenig Verständnis’ (Interviewpartnerin M, 15 Jahre). ‘Es
ist zwar vieles schon toleranter. Man braucht aber noch ziemlich gute Nerven, denn wenn
irgendwer aus der Reihe fällt, wird arg geredet. Die können dich fertig machen. Es muß
einem vieles egal sein, dann geht vieles’ (Interviewpartnerinnen C&D, 16 Jahre). Die
Repression das ‘Anders-Seins’ durch die Dorfbewohner führt manchmal zur bewußten
Provokation derselben: ‘Ich habe eine Zeit gehabt, echt, da hab’ ich immer das Gegenteil
gemacht von dem, was erwartet wird, damit sie über mich reden. Ich habe mich ganz
verrückt angezogen, dann ist es schon umgegangen ...’ (Interviewpartnerin E, 20 Jahre). Die
Jugendlichen merken auch an, daß ihre Bereitschaft zu konstruktiver Mitarbeit im dörflichen
Alltag auf wenig Anerkennung gestoßen ist. ‘Wir haben z.B. die Idee gehabt, eine aus dem
Dorf und ich, daß wir eine Gemeindezeitung machen und andere Gedanken rein bringen und
so, alles ein bißchen bunter zu machen und ja ich muß sagen, wir sind auf Widerstand
gestoßen, massivsten’ (Interviewpartner N, 19 Jahre). ‘Viele Erwachsene denken, die werden
schon erwachsen werden, da brauchen wir nichts machen’ (Interviewpartnerin K, 15 Jahre)
oder ‘Mein Großvater war lange Bürgermeister, der hat extrem wenig getan für die Jugend,
das hat sich halt fortgesetzt bis jetzt. Wir wollen z.B. ein Jugendzentrum, so was ist bei uns
schon einmal strikt abgelehnt worden. Es ist eben eine Frage des Geldes, da baut man lieber
was anderes als was Sinnvolles für die Jugendlichen. Die (Gemeinde) sagt, da fehlt das
Geld, das können wir uns nicht leisten und das wird ja nicht angenommen. Ich glaube aber,
das stimmt eher nicht, angenommen wird es sicher. Die Palette von Jugendlichen reicht von
14 bis 22, 23 Jahre’ (Interviewpartner L, 19 Jahre). ‘... Bürgermeister in ländlichen Regionen
interessieren sich einfach nur für das Althergebrachte und wollen das auch konservieren. ...
die wollen da sicher nichts riskieren, einfach aus dem Grund, weil sie keinen persönlichen
Nutzen in den Veränderungen sehen. .. Es kommt aber immer darauf an, ob der mehr auf die
148
Gesellschaft Wert legt, auf seine Stellung oder mehr auf die weite Sicht, also auch an die
Zukunft denkt, oder tiefer denkt einfach’ (Interviewpartner N, 19 Jahre). Diese Äußerungen
lassen die Vermutung zu, daß die Wahrnehmung als eigene Sozialgruppe im dörflichen
Kontext von den Jugendlichen viel eher durch ‘Segregation’ als durch ‘Integration’ erlebt wird.
Das Ignorieren von Ideen und Wünschen Jugendlicher und die ständige Kritik an ihrem
Äußeren deuten darauf hin, daß die von den Jugendlichen gestellten Ansprüche und
Forderungen als eigenständige Sozialgruppe weitgehend ignoriert werden. ‘... nicht akzeptiert
würde ich schon sagen, .... wenn man merkt, daß man respektiert wird, hat man eigentlich
eine größere Verbundenheit, wir kommen uns eher vernachlässigt vor ...’ (Interviewpartner L,
19 Jahre). ‘Schuld’ daran sind die ‘konservativen Gedanken’, die vor allem ältere Generationen
gegenüber Jugendlichen vertreten. Jugendliches Aufbegehren und dementsprechende
Ausdrucksformen finden wenig Verständnis. ‘... als Jugendlicher soll man sich ruhig
verhalten, arbeiten, Schule gehen, sonst ruhig sein ...’ (Interviewpartner L, 19 Jahre). Viele
Konflikte sind ‘Generationskonflikte’, ‘ ... die Älteren, die Nachkriegsgeneration ist eben der
Meinung, daß die Jugend so die Zeit ist, wo man sich ausspinnt, dann beginnt der Ernst des
Lebens ... Der ist eben Lehre, gescheiter Beruf, Heirat, Kinderkriegen, Hausbauen, das war’s
dann. Wenn man das nicht hat, ist man ein Spinner. Ja, die haben eben die Meinung von uns,
wenn man in die Schule geht, dann ist man sowieso faul ... ‘ (Interviewpartnerin E, 20 Jahre).
Im Spannungsverhältnis dieser fast schon traditionellen Vorwürfe und der Erkenntnis, daß
gerade der Schulbesuch ein Weg der individuellen sozialen Freisetzung sein kann, gilt es,
sich einen Platz im dörflichen Milieu zu schaffen. Das sozialisatorische Element des
dörflichen Milieus hat für die Jugendlichen einen hohen Stellenwert, auch wenn es zusehends
von
‘überregionalen’ ‘globaleren’ Sozialisationselementen - vermittelt durch Bildung,
Berufsfindung und Freizeitinteressen - überlagert wird. Das dörfliche Sozialerleben in seiner
sozio - kulturellen Dimension der sozialen Verortung und Statusfindung ist im ländlichen
Raum noch immer von Bedeutung, wenn für Jugendliche auch spürbare Schwierigkeiten
daraus entstehen können (vgl. Böhnisch/Funk 1989, 205). Interviewpartner N, 19 Jahre,
formuliert diese folgendermaßen: ‘ ... sehr früh ist man eigentlich noch gewillt, eher das
Gleichgewicht zu finden zwischen der Sympathie zu den Menschen im ländlichen Raum,
Bereich und zwischen der Einbringung der eigenen Ideen, irgendwann ist es dann schon
anders, wenn man auf Unwillen stößt, auf Taubheit irgendwie, auf Scheuklappen. Daß man
dann irgendwann, ganz brutal, also einfach heraus schreit was einen bedrückt irgendwie ...
Der Widerstand in einem selbst gegen das Rundherum wächst einfach auch immer mehr
und ich glaube das Beste ist einfach, wenn man das wirklich durchsetzt, man kommt
irgendwann drauf, daß es auch Leute gibt, die einen verstehen wollen und irgendwann ist
man dann auch erwachsen genug, daß man sagt, gut, die verstehen das einfach nicht, ...’.
149
Nicht nur die in den vorangegangen Kategorien angesprochene ‘realistische Einschätzung’
der nicht vorhandenen Arbeits- und Berufsmöglichkeiten, sondern auch die Nicht - Akzeptanz
ihrer Interessen läßt die Jugendlichen also dazu übergehen, ihre Orientierungspunkte
außerhalb des dörflichen Milieus anzusiedeln. Die Wahrnehmung als eigenständige
Sozialgruppe ist durchzogen mit Brüchen in der Welt- und Selbstwahrnehmung geprägt.
Jugendliche schätzen sich selbst ein und lokalisieren sich in der Auseinandersetzung mit
Einschätzungen ihrer Umwelt: Die Beurteilung ihrer Leistungsfähigkeit, wie Akzeptanz und
Zuneigung von Seiten der Dorfbewohner sind dabei wichtige Bezugspunkte.
Die Jugendlichen verfügen über eine realistische Einschätzung ihres Bewegungspielraumes
zwischen sozialen Chancen und sozialer Kontrolle. ‘Wir wollen anerkannt werden, daß man
eben akzeptiert wird, daß wir etwas anderes machen wollen als die älteren Generationen, wir
probieren das aus, machen was anderes, geht es gut, o.k., geht es nicht gut, macht es auch
nichts. Aber die Anerkennung fehlt uns eben, dafür gibt’s das Dorfgetratsche ....’
(Interviewpartnerin K, 15 Jahre). Vor allem sollte in diesem Zusammenhang eines nicht
übersehen werden: ‘Es gibt eine ziemliche Landflucht von Jugendlichen. Es wird sicher
verschwiegen, man will eben den Anschein erwecken, für die Jugend wird ‘eh was getan, die
fühlen sich ‘eh wohl, was aber so sicher nicht stimmt ...’ (Interviewpartner L. 19 Jahre).
An dieser Stelle soll zur letzten Kategorie übergeleitet werden, in der es abschließend um die
persönliche
Auseinandersetzung
der
Jugendlichen
mit
ihren
spezifischen
Lebensbedingungen geht.
• Kategorie e: ‘Welche persönlichen Konsequenzen werden gezogen? Findet eine kreative
oder resignative Auseinandersetzung mit den Lebensbedingungen des Jungseins im
ländlichen Raum statt?’ (vgl. Abschnitt 5.5.)
Das im Rahmen der bisherigen Kategorien skizzierte Bild legt den Schluß nahe, die Zukunft
der Jugendlichen könne nur abseits des dörflichen Umfeldes liegen. Hier muß allerdings
beachtet werden, daß die Orientierung ‘zu oder weg’ vom Lebensraum sehr stark damit
zusammenhängt, welchen Status die Jugendlichen auf dem Land innehaben. Obwohl alle
InterviewpartnerInnen der Meinung waren, ihr Status als SchülerInnen trage nicht gerade zur
allgemeinen Wertschätzung bei, wird die häufig zu Beginn der Interviews getätigte Aussage,
‘nach der Matura so schnell als möglich weg zu wollen’, in der abschließenden
‘Wunschfrage’ von vielen relativiert und nur von einigen wenigen verstärkt. Die
Abschwächung der ‘Weggeh - Option’ durch eine ‘Zurückkomm - Option’ ist vor allem auf die
hohe Bewertung der Lebensqualität zurückzuführen. Nach einer Ausbildung in der Stadt,
einem Auslandsaufenthalt oder ähnlichem wollen viele wieder auf das Land zurückziehen vor
150
allem im Zusammenhang mit einer Familiengründung. ‘Nach dem Studium möchte ich wieder
hier leben, weil ich am Land aufgewachsen bin. Ich bin nicht für die Stadt geboren’
(Interviewpartnerin A, 16 Jahre). ‘Ich kann mir vorstellen, wenn ich einmal Karriere gemacht
habe, daß ich dann zurück aufs Land ziehe, aber ich weiß nicht, ob ich direkt hierher zurück
komme ...’ (Interviewpartnerin C, 16 Jahre). Von den vielen, die zurück ‘aufs Land ziehen
wollen’, möchte niemand ‘zurück in das heimatliche Dorf’. Interviewpartnerin F, 19 Jahre
meint dazu: ‘Ich möchte gerne auf dem Land wohnen, wegen der Natur, aber nicht wegen der
Leute, ich weiß wie die sind. Ich möchte gerne ganz abgeschieden irgendwo alleine in einem
Haus leben und nichts mit den anderen zu tun haben’.
Das Wissen um die Kontrollmechanismen und die Enge, die dörfliche Lebenswelten mit sich
bringen, läßt bei den Jugendlichen eine alternative Definition von ‘Leben auf dem Land
entstehen’: Sie möchten auf dem Land leben, wenn ‘ich trotzdem schnell in der Stadt bin’
(Interviewpartnerin C&D, 16 Jahre), wenn ‘ich einen großen Garten habe und ein Auto, damit
ich einfach leichter in die Stadt kommen kann’ (Interviewpartnerin E, 20 Jahre), wenn ‘ich in
einer Großstadt arbeiten kann, aber noch eine Zuflucht ins ruhige Leben habe’
(Interviewpartner L, 19 Jahre). In einem funktionsräumlichen Definitionszusammenhang
bedeuten diese Aussagen, daß der Stellenwert des ländlichen Raumes für die Jugendlichen
in seiner Funktion als Erholungsraum liegt. Die Jugendlichen möchten in der Stadt arbeiten
und am Land, in ländlichen Regionen leben. ‘Ich meine, es wird sicher so sein, daß ich schon
eher in der Stadt wohnen werde und so und ab und zu meine Eltern am Wochenende
besuche, um mich zu erholen und so’ (Interviewpartnerin E, 20 Jahre) oder ‘Am Wochenende
wenn ich von allem genug habe, komme ich her und gehe spazieren und mache was, zu
dem ich in der Stadt nicht kommen würde’ (Interviewpartnerin C&D, 16 Jahre), ‘... es ist für
mich kein Abschied, ich möchte am Land leben, da muß ich eben in Kauf nehmen, daß ich
pendle ... ‘ (Interviewpartner J, 20 Jahre). ‘Land’ hat als Natur- und Erholungsraum für die
Zukunft einen hohen Stellenwert für die Jugendlichen. Der Wunsch wegzugehen beinhaltet in
erster Linie die Suche ‘nach städtischen Orientierungen’: einmal anders leben zu können und
das nachzuholen, was bis dahin verwehrt blieb. Der Wunsch, ‘später einmal wieder am Land
zu leben - also nach Studium oder Berufsausbildung wieder in den ländlichen Raum
zurückzukehren, beinhaltet unbewußt die Hoffnung, die ländliche Normalität durch den
beruflichen Status umgehen zu können, mit dem das Beibehalten städtischer Lebens- und
Orientierungsformen legitimiert werden soll.
Die auf die Gegenwart bezogenen Wünsche und Vorstellungen sind dagegen sehr resignativ
und eindeutig dorfabgewandt. Die Jugendlichen beklagen durchwegs, daß es zu wenig
Angebote gibt, um die Freizeit zu gestalten, zu wenig Möglichkeiten, sich abseits von
Vereinsstrukturen zu treffen. Vor allem für jüngere, noch nicht ‘mobile Jugendliche’ seien zu
151
wenig Treffpunkte vorhanden, die ohne große organisatorische Anstrengungen zu erreichen
sind. Diese Äußerungen müssen mit großer Sorgfalt untersucht werden, denn, wie bereits in
der dritten Kategorie festgestellt,
unterscheiden sich die jüngeren und älteren
InterviewpartnerInnen in der Formulierung von Wünschen entscheidend: Gerade die
‘unmobilen Jüngeren’ beklagen das mangelnde Freizeitangebot, weil sie auf die Aktivitäten vor
Ort angewiesen sind und noch nicht im gewünschten Ausmaß an der ‘Erkundigung’ der
Region teilnehmen können. Der vor allem von der jüngeren Gruppe formulierte Wunsch nach
einem ‘Raum’, den man selbst nach eigenen Interessen gestalten kann, ist deswegen sehr
ernst zu nehmen. Dieser Raum soll dazu dienen, irgendwo ungestört Kaffee trinken zu
können - ohne wie im Dorfgasthaus dafür vielleicht vorhaltende Blicke zu ernten - oder um
‘einen ordentlichen Proberaum für die Band’ zu haben, wie Interviewpartner H, 16 Jahre
meint. Es soll ein Raum sein, den die Jugendlichen selbst gestalten können. Sie wünschen
sich Bürgermeister, zu denen sie gehen können, und ‘daß die Sachen auch verwirklicht
werden, wenn sie was versprechen und nicht immer nur sagen, ja wir werden schauen, wir
werden was tun, bis die was tun, sind schon alle wieder weg’ (Interviewpartnerin K, 15 Jahre).
Einzelne Jugendliche haben die Erfahrung gemacht, daß ihre Vorschläge von den
zuständigen Erwachsenen nicht ernst genommen werden. Eindrücke dieser Art schüren
das Bedürfnis, so schnell wie möglich ‘weg zu wollen’ . ‘Ich weiß nicht mehr genau, aber wir
haben ganz fleißig Unterschriften gesammelt und dann zur Gemeinde gebracht, die haben
das so lächerlich gefunden, daß wir irgendwas haben wollen, die haben das dann nie
erwähnt. Wir haben sogar einen Gemeinderat, der für die Jugend zuständig ist, der kümmert
sich überhaupt um nichts, wenn da Vorschläge kommen, fällt das gleich wieder unter den
Tisch, keinen interessiert, was wir wollen’ (Interviewpartnerinnen C&D, 16 Jahre). Daraus
entstehen tendenziell pessimistische Haltungen wie die einer 16 jährigen Interviewpartnerin:
‘... ja, es gibt eben zwei Möglichkeiten für die Jugendlichen, entweder weggehen oder
dableiben, ... als Schüler hat man sowieso nur die Möglichkeit, daß man weggeht, ... es wird
sich nicht viel ändern und ich hab’ einfach nicht so die Kraft, das ich sage, ich bleibe da, ich
will da etwas ändern. Ich will das einfach nicht, ich will einfach nur weg, das ist bei den
meisten so, die wollen nichts ändern, wir wollen nur weg, deswegen wird sich auch nie etwas
ändern, so wird das bleiben’ (Interviewpartnerin B).
Der Ansatz zur kreativen Auseinandersetzung mit dem eigenen Lebensraum liegt darin, daß
die Jugendlichen versuchen, ihr Mitspracherecht einzufordern und die Vor- und Nachteile des
ländlichen Lebensraumes sehr differenziert gegeneinander abwägen. Viele schließen nicht
aus, ‘später einmal wieder in einer ländlichen Region’ leben zu wollen, wenn auch gleichzeitig
nicht auf die Vorteile des städtischen Lebens verzichtet werden soll. Die Resignationen in der
Auseinandersetzung mit der Dorfwelt resultiert vor allem aus der Vielzahl von Vorurteilen, mit
152
denen gerade SchülerInnen konfrontiert werden und aus der Unmöglichkeit, sich im
Gemeinschaftsverband der ländlichen Lebenswelt als eigenständige Sozialgruppe erleben und ausleben zu können. Allerdings sehen manche diese schwierige Ausgangsposition auch
als konstruktiven Reibebaum: ‘..., ich glaube, daß es grundsätzlich schwierig ist für
Jugendliche, sich zurechtzufinden im ländlichen Raum oder sich gegen diese konservativen
Strömungen zu behaupten, und ich glaube, daß es das Wichtigste ist, die Jugend mit allen
Nuancen zu durchleben - auch im ländlichen Bereich. Erfahrungen zu sammeln und
irgendwann zu versuchen, sich geistig auf eine gewisse Ebene hin zu entwickeln und dann,
wenn man stabil genug ist, dann wirklich versuchen, Harmonie zu schaffen da zwischen den
Menschen, weil geistig verstehen sich die wenigsten, kann man sagen’ (interviewpartner N,
19 Jahre).
153
7. Exkurs: Qualitative Inhaltsanalyse mit dem Computer
Die Inhaltsanalyse eignet sich mit ihrem systematischen Vorgehen besonders für eine
Umsetzung am Computer, schreibt Mayring (1994, 94). Dieser Satz, dazu auch das Angebot
einer Lehrveranstaltung am Institut mit dem Titel ‘Das Interview in der sozialpädagogischen
Forschung’ haben mich neugierig gemacht, mich zusätzlich, nach dem mehr oder weniger
abgeschlossenen ‘manuellen’ Auswerten des Interviewmaterials noch auf die Anwendung
einer computerunterstützten Methode der Auswertung zu versuchen. Dabei wurde ein
bestimmtes Textverarbeitungsprogramm zur Gewinnung von ‘spezifischen Daten’ aus der
Menge des Textmaterials, verwendet.
In den letzten Jahren hat bei der Analyse von Daten ein technischer Wandel begonnen, der
auch mit dem Einzug des Computers in die qualitative Forschung zusammenhängt. Spezielle
Entwicklungen
in
der
qualitativen
Forschung
und
generell
auch
Veränderungen
sozialwissenschaftlicher Arbeit durch PCs und Textverarbeitungsprogramme haben zu
diesem Trend geführt. Flick (1996, 273) meint, daß sich dadurch auch gravierende
Veränderungen der qualitativen Forschungspraxis ergeben werden. Diese ‘gravierenden
Veränderungen’ können aber nur für die Forschungspraxis spezieller Softwareprogramme
zutreffen, die die üblichen, mittlerweile unzureichenden Textverarbeitungsprogramme (z.B.
WORD, WORD PERFECT ect.) ersetzen sollen. In meinem Fall wurde für die Transkription
der Interviews und für die ‘manuelle Auswertung’ ebenfalls der PC verwendet. Die üblichen
Textverarbeitungsprogramme mit ihren hilfreichen Funktionen wie dem Ausschneiden, dem
Verschieben einzelner Textpassagen, dem Schreiben von Anmerkungen mit geteiltem
Bildschirm, der Verwendung von Tabellenfunktionen usw. reichen dazu aus, um bspw. eine
zusammenfassende Inhaltsanalyse durchzuführen. Dennoch können spezielle Programme
die Auswertungsschritte bei der Analyse qualitativer Daten erleichtern, vereinfachen und
beschleunigen oder andere Möglichkeiten der Darstellung eröffnen. Zudem lohnt es sich
immer, sich mit neuen Methoden der Datenverarbeitung vertraut zu machen. Flick (1996,
276) hat eine Reihe von Schlüsselfragen gesammelt, die vor der Entscheidung für die
Verwendung eines Programmes wesentlich sein können:
- Um welchen Typ von Computerbenützer handelt es sich? Anfänger oder Hacker? Für
Anfänger können anspruchsvolle Programme in ihrer Anwendung eine Überforderung
darstellen.
- Für welches Projekt der Forschung soll ein bestimmtes Programm verwendet werden?
Steht das Verhältnis von Aufwand für die Einarbeitung in das Programm, den sonstigen
Vorbereitungen und dem Gewinn an Zeit und Daten in einer angemessenen Relation?
154
- Welche Art der Analyse ist geplant? Welche Ansprüche werden an die Präsentation der
Daten gestellt? Wie ist das Interesse am Kontext der Daten?
- Wie umfangreich ist das Datenmaterial?
- Reicht der vorhandene PC in seiner Kapazität für das jeweilige Programm aus oder muß
ein neues Gerät angeschafft werden?
Wenn man diese Fragen auf den ‘Forschungsbereich der Diplomarbeit’ umlegt, wird man
sicherlich eher zum Schluß kommen, sich nicht für die Anwendung eines speziellen
Programmes zu entscheiden, zumindest dann nicht, wenn man den Umfang des
Datenmaterials beachtet und auch nicht, wenn kein geeigneter PC zur Verfügung steht und
dieser erst angeschafft werden müßte. Im Rahmen der Diplomarbeit ist es mir vor allem
darum gegangen, Erfahrungen im Umgang mit einem speziellen Programm zu gewinnen,
auch wenn dafür vielleicht ein gewisser zeitlicher Aufwand in Kauf genommen werden mußte.
7.1. ATLAS/ti
Dieses Programm wurde an der TU/Berlin im Rahmen eines interdisziplinären Arbeitskreises
(Psychologie, Informatik, Linguistik) entwickelt. ATLAS/ti steht für ‘Archiv für Technik,
Lebenswelt und Alltagssprache’. Die Arbeitsgruppe um Muhr nahm eine Bedarfsanalyse für
PC-unterstützte Textinterpretation bei deutschen Forschungsinstituten vor und konstruierte
danach ein Programm für die Bedürfnisse des Verfahrens des theoretischen Kodierens nach
Strauss und Glaser, der Globalauswertung nach Leggewie und der qualitativen Inhaltsanalyse
(vgl. Mayring 1994, 97). Das Programm fügt sich nach seinen inhaltlichen Möglichkeiten in die
Gruppe der ‘Programme mit kodebasierter Theoriebildung’. Diese Programme unterstützen
zusätzlich die Theoriebildung dadurch, daß sie nicht nur Schritte und Operationen auf der
Ebene des Textes (Zuordnung einer oder mehrerer Textstellen zu einem Kode), sondern
auch auf einer zweiten, der konzeptuellen Ebene (Beziehung zwischen Kodes, Ober- und
Unterkategorien, Kategoriennetze) unterstützen (Flick 1996, 277). Die Netzwerk - Bildung ist
in dieser Programmgruppe durch die Darstellung von Begriffsnetzen, Kategorienetzen und
unterschiedlichen
Möglichkeiten
der
Visualisierung
von
Relationen
zwischen
den
Bestandteilen gewährleistet. Die erste Version von ATLAS/ti war im DOS-Format konzipiert
und 1993 für den öffentlichen Gebrauch fertiggestellt. Die Forschergruppe hat seitdem viele
Anstrengungen in die Weiterentwicklungen des Programms gesteckt, um die Anwendung zu
erleichtern. Die neueste und aktuellste Version ist nicht mehr im DOS-Format. Das ‘neue’
ATLAS/ti für WINDOWS zeichnet sich im Vergleich zum vorhergehenden durch eine
wesentlich benutzerfreundlichere Anwendung aus,
wenn auch alle Hilfsangaben und
abrufbaren Begleittexte in Englisch verfaßt sind.
155
• Der Arbeitsprozeß mit ATLAS/ti
Aus einem Primärtext (Primary Documents) - den transkribierten und im ASCII-Format
gespeicherten Interviews und den dazugehörigen Interpretationen bzw. Kodierungen - wird
am Bildschirm eine hermeneutischen Einheit (Hermeneutic Unit) gebildet. Im Begleittext des
Programmes heißt es: ‘ATLAS/ti can be sketched as creating a project, an idea container,
which is meant to enclose your data, all your findings, codes, memos, structurs under a
single name. We call this project object a Hermeneutic Unit’ (Introducing ATLAS/ti for
WINDOWS 1997). Die Primärtexte mit allen Kodes und Kommentaren können mittels
verschiedener Fenster auf dem Bildschirm abgerufen werden. Das Programm bietet eine
Reihe von Funktionen an, die in Form von Symbolen auf dem Bildschirm abrufbar sind
(Suchen, Kopieren, Ausschneiden, Kodevergabe, Vernetzungsfunktionen ect.). Neben der
Suche nach Wortfolgen im Text und der Zuordnung von Kodes ist vor allem die Darstellung
von Kodes, Kategorien und Kodefamilien in Begriffsnetzwerken (Network Editor) hilfreich.
Kodierungen, gebildete Kodefamilien ect. lassen sich über Schnittstellen, die im Programm
eingebaut sind, einfach zu SPSS und anderen Programmen weiterleiten (Flick 1996, 278).
‘ATLAS/ti is comparing data segments differently or equally codes, assigning more files to the
project. It’s organising primary documents, codes and memos using families. Building
semantic, propositional or terminological networks from codes you created in the first phase.
This networks together with your codes, super codes, and memos, are cornerstones of the
emerging theory. The ATLAS/ti workbench offers a multitude of tools to accomplish all of the
tasks above - except the finding of relevant text passages!’ (vgl. Introducing ATLAS/ti for
WINDOWS 1997).
• Arbeitsprotokoll
Nach der Auswertung mit ATLAS/ti sollte es möglich sein, Antworten auf spezifische Fragen
zu erhalten. Ich wollte herausfinden, inwieweit sich bspw. Mädchen von Burschen in ihrer
Wahrnehmung der ‘sozialen Kontrolle’ unterscheiden, welche Unterschiede es in Aspekten
der Mobiltät zwischen den jüngeren und älteren InterviewpartnerInnen gibt, ob es
Unterschiede in der Wahrnehmung der jugendkulturellen Freisetzung zwischen Mädchen und
Burschen gibt usw. Die Ergebnisse sind in Abschnitt 7.2 zusammengefaßt. Für die
Benutzung der Interviewtexte im ATLAS/ti mußten alle - jedes der Interviews ergab einen
eigenen - Primärtexte auf ein bestimmtes Format zurecht gerichtet werden (rechter Rand auf
5.5 cm einstellen, eine Schriftgröße zwischen 12 und 14) und schließlich im ASCII-Code
unter dem Dateityp ‘Nur Text mit Zeilenwechsel’ gespeichert werden. Im Programm ATLAS/ti
(
im
Geisteswissenschaftlichen
Rechenzentrum
‘gewilab’
unter:
Programme
-
ScientificSoftware - Atlas\ti für windows 95 zu finden) wurden die Primärtexte als
156
hermeneutische Einheit unter einem bestimmten Namen gespeichert (HE: kernöl). Nach
diesen Arbeitsschritten konnte mit der ‘eigentlichen’ Arbeit fortgefahren werden. Alle ‘Primary
Documents’ (insgesamt 12 ) wurden mit Kodes versehen, was insgesamt eine Anzahl von
40 Kodes ergab. Die gewählten Kodenamen stellten evidente Kürzel dar. Eine wesentliche
Bedeutung erhielten diese Kodes in der Bildung von Kodefamilien. Als Kodes fungierten
bspw. Kürzel wie: ‘motischule’ = Motivation für den Schulbesuch oder ‘tradbruch’ =
Traditionsbruch bzw. Auflösung und
Veränderung des ländlichen Alltags. Neben der
Kodierung (codes) und dem Erstellen von Kodefamilien (code families) wurden in einem
weiteren Arbeitsschritt relevante Variablen (Geschlecht, Alter, Region) für die Auswertung
erstellt. Die Variablen erhält man über die Funktion ‘Textbase Selection’: ‘Choosing
TextbaseSelection opens another window which shows primary documents in the lower left
pane and primary text families in the upper left. A primary text familie can be used like nominal
variables, it is easy to preselect all interviews with male interviewees aged between twenty and
thirty from small towns’ (vgl. Introducing ATLAS/ti for Windows 1997). Für die Gewinnung von
neuem Datenmaterial konnten im ATLAS/ti die Variablen mit den Kodefamilien verknüpft und
in der Folge zur weiteren deskriptiven Bearbeitung verwendet werden. Während in der ersten
Auswertung das Datenmaterial mehr oder minder im Ganzen vorlag, konnte nun eine
differenzierte Betrachtung vorgenommen werden. Zur illustrativen Darstellung war es
möglich, allfällige Verknüpfungen von Kodes, Kodefamilien ect. mittels des ‘Network Editor’
aufzuzeigen. Das so gewonnene Material kann zur weiteren Verarbeitung entweder in ein
Texverarbeitungsprogramm (WORD) oder in ein Statistikprogramm (SPSS) geleitet werden.
Aufgrund der geringen Anzahl der Interviews wurde auf eine weitere Verarbeitung mittels
SPSS verzichtet.
• Kodes
In alphabetischer Reihenfolge:
‘arbeit’ - ‘bildungsmob’ - ‘bräuchekirchect.’ - ‘dorfgem’ - ‘dorftratsch’ - ‘eltunt’ - ‘erwachswelt’ ‘freizeit’ - ‘fremdes’ - ‘freundregion’ - ‘freundeskreis’ - ‘führerschein’ - ‘geschlunt’ - ‘integrdorf’ ‘jugall’ - ‘jugverein’ - ‘klischee’ - ‘konfliktlös’ - ‘konfjugdorf’ - ‘landall’ - ‘landjug’ - ‘lehrlinge’ ‘lehrschülunt’ - ‘mitsprache’ - ‘mobilität’ - ‘motischul’ - ‘nachteilall’ - ‘normkodex’ ‘privates/öffentl’ - ‘raum’ - ‘region’ - ‘schüler’ - ‘stadtjug’ - ‘szenen’ - ‘tradbruch’ - ‘vereine’ ‘verhakodex’ - ‘wünsche’ - ‘zukudorf’ - ‘zukunft’ .
Zugegebenerweise erscheinen 40 Kodes vielleicht etwas zu viel, aber die intensive
Beschäftigung mit den Interviews und deren
Inhalten hat letztendlich diese Anzahl
erforderlich gemacht. Beispielsweise mögen ‘raum’ und ‘region’ für Außenstehende die selbe
Bedeutung haben. Der Kode ‘raum’ wurde bei konkreten Äußerungen, z.B. für die
157
Formulierung des Wunsches nach einem eigenen Raum als Treffpunkt für Jugendliche
abseits
von
Vereinsverbindungen
verwendet.
‘raum’
steht
für
Treffpunkt,
Bude,
Jugendzentrum und der gleichen. ‘region’ steht als Kode für Wahrnehmungen, die sich auf
‘über das Dorf hinausgehende’ Inhalte beziehen. e
‘ ltunt’ bezieht sich auf Aussagen, die
Unterschiede in der Erziehung durch die Eltern betrafen, ‘erwachsenenwelt’ hingegen kodiert
die Wahrnehmung der ‘gesamten Erwachsenenwelt’. n
‘ ormkodex’ steht für Normen und
Regeln, die nicht expliziet vorgeschrieben sind, aber das Verhalten und das Zusammenleben
unbewußt beeinflussen. v‘ erhaltenskodex’ beschreibt die bewußten Verhaltensmuster, die
das Alltagsleben regeln. Es erscheint mir als wichtig; mit den gewählte Kodes ein logisch
nachvollziehbares Gerüst zu bilden. In einer Zusammenarbeit mit einer zweiten Person wäre
es sicher nötig gewesen, strikte Kriterien für die Bildung der Kodes hinzuzufügen.
• Kodefamilien
Nach abgeschlossener Kodierung der Primärtexte (primary text) wurden Kodefamilien
gebildet. Insgesamt wurden 9 Kodefamilien erstellt und für die weitere Bearbeitung verwendet.
Die Kodefamilien ergaben sich aus Zusammensetzungen der einzelnen Kodes.
Über einen Ausdruck der Datenliste erhält man folgende Erklärungen:
‘Represent code families as computed variables:
compute KF1 = K2 + K13 + K22 + K23 + K32 ...’ (vgl. SPSS Syntax file generated by
ATLAS/ti HE: kernöl).
In alphabetischer Reihenfolge heißen die Kodefamilien:
‘bildung’ - ‘dorf’ - ‘freisetzung’
- ‘mobilität’ - ‘modernisierung’ - ‘perspektive’ - ‘richtlinien’ -
‘situation’ - ‘soziale kontrolle’.
KF1 ‘bildung’ setzt sich aus folgenden Kodes zusammen:
‘bildungsmob’
(Bildungsmobilität),
‘gschlunt’
(Geschlechtsunterschied),
‘lehrlinge’,
‘lehrschülunt’ (Lehrling - Schülerunterschied), ‘schüler’.
KF2 ‘dorf’:
‘arbeit’, ‘dorfgem’, ‘dorftratsch’, ‘fremdes’, ‘geschlunt’, ‘integradorf’ (Mechanismen und
Strukturen der Integration in die Dorfgemeinschaft), ‘konfliktlös’.
KF3 ‘freisetzung’:
‘freizeit’, ‘jugendverein’, ‘raum’, ‘verein’.
KF4 ‘mobilität’:
‘führerschein’, ‘mobilität’.
158
KF5 ‘modernisierung’:
‘klischee’, ‘nachteilall’, ‘tradbruch’.
KF6 ‘perspektive’:
‘wünsche’, ‘zukunftdorf’, ‘zukunft’.
KF7 ‘richtlinien’:
‘bräuchekircheect.’, ‘normkodex’, ‘verhakodex’.
KF8 ‘situation’:
‘freundeskreis’, ‘jugall’, ‘konfjugdorf’, ‘landjug’, ‘region’, ‘schüler’.
KF9 ‘soziale kontrolle’:
‘dorftratsch’, ‘geschlunt’, ‘integrdorf’, ‘konfliktlös’, ‘normkodex’, ‘privates/öffentl’, ‘verhkodex’,
‘schüler’.
Die so gewonnen Kodefamilien sind in Anlehnung an die (Abschnitt 5.5.) in dieser Arbeit
gebildeten Kategorien der Auswertung erstellt worden.
• ‘Primary document families’ als Variablen
Mittels der Funktion ‘Textbase Selection’ wurden aus den ‘primary text families’ sogenannte
Variablen (primary document families) ausgewählt.
‘Represent primary document families as IF variables:
IF (PD = 2 or PD = 3 or PD = 4 or PD = 7 or PD = 8 or PD = 10 or PD = 11) PF = 1.
Variable Labels PF1 ‘PF alter<18’ ...’ (vgl. SPSS Syntax file generated by ATLAS/ti HE:
kernöl).
PF1 ‘alter < 18’
IntrviewpartnerInnen: A, B, C&D, G, H, K, M.
PF2 ‘alter > 18’
InterviewpartnerInnen: E, F, J, L, N.
PF3 ‘männlich’
Interviewpartner: H, J, L, N.
PF4 ‘weiblich’
Interviewpartnerinnen: A, B, C&D, E, F, G, M, K.
PF5 ‘region < mureck’
InterviewpartnerInnen: A, B, F, G, H, L.
PF6 ‘region > mureck’
InterviewpartnerInnen: C&D, E, J, K, M, N.
159
Diese Variablen wurden für die Auswertungen herangezogen. Weitere Unterteilungen z.B. in
‘männlich >/< 18’ oder ‘weiblich >/< 18’ wurden nicht mehr berücksichtigt, weil die Stichprobe
dafür zu klein gewesen wäre. Grundsätzlich ermöglicht das ATLAS/ti aber fast alle möglichen
Varianten, was vor allem für größere Stichproben interessante Ergebnisse bringen kann.
• Verknüpfungen ‘PF * KF’
In diesem Arbeitsschritt wurden einige Verknüpfungen vorgenommen. Das so erhaltene
Material wurde im Anschluß einer Interpretation unterzogen. Dabei handelt es sich in erster
Linie um die Herausarbeitung geschlechtsspezifischer Unterschiede. Die einzelnen
Verknüpfungen lassen sich im wesentlichen den beschriebenen Kategorien der Auswertung
zuordnen.
Unter Berücksichtigung der Kategorien ‘a’ und ‘b’ (vgl. Abschnitt 5.5.) lassen sich
nachstehende Verknüpfungen interpretieren:
1:PF*KF: ‘dorf * männlich’
2:PF*KF: ‘dorf * weiblich’
3:PF*KF: ‘richtlinien * alter > 18’
4:PF*KF: ‘richtlinien * alter < 18’
5:PF*KF: ‘soziale kontrolle * männlich’
6:PF*KF: ‘soziale kontrolle* weiblich’
7:PF*KF: ‘modernisierung
8:PF*KF: ‘modernisierung
* region < mureck’
Beispiel einer Verknüpfung:
* region > mureck’
1:PF*KF: ‘dorf * männlich’ = ‘arbeit’, ‘dorfgemeinschaft’,
‘dorftratsch’, ‘fremdes’, ‘geschlunt’ (Geschlechtsunterschied), ‘lehrlinge’, ‘lehrschülunt’
(Lehrling - Schülerunterschied), ‘schüler’ * Interviewpartner: H, J, L, N. (Die Aufschlüsselung
der PF (primary document families) und KF (kodefamilien) sind in den vorhergehenden
Arbeitsschritten dokumentiert).
Es soll also festgestellt werden, ob es in der Wahrnehmung des dörflichen Lebens (Mustern
sozialer Kontrolle, Normen, Regeln ect.) und in der Wahrnehmung von Brüchen und
Widersprüchen im ländlichen Alltag Unterschiede zwischen weiblichen, männlichen, älteren
und jüngeren InterviewpartnerInnen bzw. zwischen Jugendlichen aus unterschiedlichen Teilen
der Untersuchungsregion gibt.
Weitgehend unter dem Gesichtspunkt der Kategorien ‘c’, ‘d’ und ‘e’ (vgl.Abschnitt 5.5.) lassen
sich folgende Verknüpfungen interpretieren:
9:PF*KF: ‘bildung * männlich’
160
10:PF*KF: ‘bildung * weiblich’
11:PF*KF: ‘situation * männlich’
12:PF*KF: ‘situation * weiblich’
13:PF*KF: ‘freisetzung * männlich’
14:PF*KF: ‘freisetzung * weiblich’
15:PF*KF: ‘mobilität * alter > 18’
16:PF*KF: ‘mobilität * alter < 18’
17:PF*KF: ‘perspektive * alter > 18’
18:PF*KF: ‘perspektive * alter < 18’
Hier richtet sich die Auswertung auf Unterschiede hinsichtlich der Geschlechtsunterschiede
in den Möglichkeiten der individuellen Lebensgestaltung und der Freisetzung als
Sozialgruppe.
Ebenso
werden
die
Formulierungen
von
Zukunftsperspektiven
der
Jugendlichen bezüglich der unterschiedlichen Alterszugehörigkeit herausgearbeitet.
7.2. Beschreibung des durch ATLAS/ti gewonnenen Textmaterials
• PF*KF: ‘dorf * männlich’
vs.
PF*KF: ‘dorf * weiblich’
In der Wahrnehmung der ländlichen Lebenswelt ‘Dorf’ zeigen sich kaum Unterschiede
zwischen weiblichen und männlichen Interviewpartnern. Möglicherweise haben sie in ihrer
Rolle als SchülerInnen eine ähnliche Wahrnehmung des Dorflebens ausgebildet. Dorftratsch,
Konfliktlösungsmuster oder das Wesen der Dorfgemeinschaft werden von den Jugendlichen
in ähnlicher Weise interpretiert, wenn auch die Emotionalität weiblicher Interviewpartnerinnen
etwa im Bereich der Konfliktlösung und des Dorftratsches wesentlich höher ist. Burschen
sind hier pragmatischer: Den Dorftratsch ‘gibt es eben’ und Konflikte werden einfach ‘nicht
gelöst’. Auf Probleme wird ‘irgendwie’ reagiert und Konfliktlösungen sind für ‘Außenstehende
eher nicht zu verstehen’; wenn es Probleme gibt, werden die ‘halt vertuscht und unter den
Tisch gekehrt’. Obwohl die weiblichen Aussagen einen ähnlich pragmatischen Ansatz haben,
wird häufig angesprochen, daß gerade dieses latente Vorhandensein von Konflikten und
Widersprüchen, gepaart mit dem Fehlen einer adäquaten Öffentlichkeit zu Anspannungen,
und Leidensdruck führen kann. Irgendwann ‘hält man es einfach nicht mehr aus’ und man
möchte ‘ausbrechen’. Die omnipräsente soziale Kontrolle, die Tabuisierung von Problemen,
und der ständige Normalitätsdruck werden von Mädchen nicht so selbstverständlich
hingenommen.
Mechanismen
des
Dorftratsches
werden
von
den
weiblichen
Interviewpartnern viel sensibler wahrgenommen als von den Burschen: Daß etwa nie direkt
über jemanden gesprochen wird, daß Informationen immer nur über Dritte weitergeleitet
werden, daß es typische Gesprächsformen gibt wie z.B.: ‘Ich sage nur ..., ich habe gehört,
aber ich würde es nie sagen ..., ich weiß es nicht genau, aber ich glaube der/die hat das
gesagt ... usw. Vor allem aber spüren Mädchen Geschlechtsunterschiede und deren
Konsequenzen im dörflichen Leben viel stärker als Burschen, die keine Angaben darüber
machen. Mädchen erleben, daß die ‘Stellung der Frau noch irgendwo unter dem Mann’ liegen
161
soll. Die Konfrontation mit ‘gestandenen Einstellungen und traditionellen Meinungen’ ist für
Mädchen nach wie vor aktuell. Frauen sind ‘so für hinter den Herd, Kinder und so’, während
die Männer die höheren Ausbildungen machen können. Der Prozeß der Integration in die
Dorföffentlichkeit wird interessanterweise geschlechtsspezifisch unterschiedlich erfaßt:
Während die Mädchen die scheinbar ‘orthodoxen’ Stationen der Integration aufzählen wie z.B.
‘richtigen Beruf, Versorgung einer Familie, eines Haushaltes, etwas für die Gemeinschaft tun,
...’, sind die Burschen der Meinung, es sei notwendig, sich so zu verhalten, wie die
erwachsenen Männer leben’. Man muß mit ‘denen einfach mitgehen’ - nämlich zum
‘Buschenschank’ und ‘dort mitmachen’. Wenn man mit der Männerwelt mithalten kann, ist
man integriert, - vorausgesetzt, man kann daneben auch ‘Familienleben vorzeigen, das
funktioniert’. Das eigene Verhalten wird demnach an das kollektive ‘Lebensritual’ angepaßt.
Diese Darstellung jugendlich - männlicher Sozialisation läßt vorsichtig die These formulieren,
daß die ‘Frage des Aufwachsens und Lebens von Burschen in ländlichen Regionen die Frage
nach ihrem Standort in den dörflichen Männerwelten ist’ (vgl. Wahl 1991, 255) und zwar auch
dann, wenn sie nicht direkt an den dominiert männlichen Dorföffentlichkeiten teilnehmen, was
auf alle Interviewpartner zutrifft. Die Dorföffentlichkeit, die einerseits in den formellen und
informellen Arbeitszusammenhängen (Handwerker, handwerkliche Schwarzarbeit) und
andererseits in der traditionellen Männerwelt (Vereine, Stammtische) besteht, ist vorwiegend
der männlichen Integration dienlich (vgl. Wahl 1991, 256). Die Einbindung in das informelle
Netzwerk über Väter und männliche Bekannte ist wahrscheinlich so groß, daß zumindest ein
partielles Hineinwachsen in die traditionelle Männerwelt gewährleistet ist. Für Mädchen fehlen
diese informellen Gelegenheitsstrukturen weitgehend. Unverbindliche und offene Treffpunkte
für Frauen gibt es in ländlichen Gemeinden vielfach nicht, weil
Frauen in Vereinen
zahlenmäßig unterlegen oder meistens nur über ihre Ehemänner integriert sind, um für ‘das
leibliche Wohl zu sorgen’ und um Putz- und Bedienungstätigkeiten zu übernehmen (vgl. Wahl
1991, 257).
• PF*KF: ‘richtlinien * alter > 18’
vs.
PF*KF: ‘richtlinien * alter < 18’
Generell ist beobachtbar, daß die älteren InterviewpartnerInnen einen differenzierten Zugang
zu Problemen dörflichen Zusammenlebens finden: Sie haben eine sehr klare Vorstellung
darüber
entwickelt,
was
es
heißt,
mit
unterschiedlichen
Normvorstellungen
und
Verhaltensrichtlinien zu leben. Sie sind in der Lage, einzelne Punkte kritisch zu reflektieren
und diesen Gültigkeit für ihr Verhalten und ihre Vorstellungen abzuwiegen. Die jüngeren
InterviewpartnerInnen zeigen eine noch eher undifferenzierte Zugangsweise, was aber nicht
heißt, daß sie keine kritische Reflektion über Notwendigkeit einzelner Verhaltensmuster und
Normen aufbringen. Für sie geht es wahrscheinlich noch eher darum, sich mit den
Gegebenheiten zu arrangieren bzw. sich auf offene Konfrontationen einzulassen, wenn
162
Verhaltensrichtlinien übertreten werden. Die Wahrnehmung von Normen, Regeln und
Tradtionen - vor allem in religiösen Bereichen -, die entweder ‘offenen oder geschlossenen
Charakter’ haben, ist bei beiden Gruppen gegeben. Bei den jüngeren InterviewpartnerInnen
geht es allerdings verstärkt darum, Möglichkeiten des ‘Sich - Widersetzens’, zu entwerfen. ‘ ...
normal heißt einfach unauffällig sein. Bei jedem Menschen in dem Dorf einschleimen und
immer höflich und nett, wie es nur geht, sein ...’ (Interviewpartnerin M, 15 Jahre). Man gewinnt
den Eindruck, daß Normen, Verhaltensmuster und Traditionen nur als ‘Spaßverderber’
wahrgenommen werden. ‘Nichts darf man ..., immer muß man ...’ an irgend etwas denken,
sich an irgend etwas halten oder an kirchlichen Bräuchen teilnehmen, die man nicht mehr
versteht, weil der Bezug zum eigenen Leben fehlt (bspw. Maibeten, Feldbeten).
Demgegenüber glauben die älteren Jugendlichen, daß kirchliche Bräuche trotz ihrer
unreflektierten Ritualisierung und Normen und Regelsysteme trotz ihres starren Charakters
doch auch positive Effekte mit sich bringen. Traditionelle Strukturen werden als
bedeutungsvoll erkannt: Das Wissen um die Unmöglichkeit menschlichen Zusammenlebens
ohne ein wie auch immer ausgerichtetes Ordnungssystem ist vorhanden. Man weiß, daß das
Leben in der Gemeinschaft einfach angenehm sein kann, wenn man den Verhaltensmustern
entspricht. Gleichzeitig bedeutet ein Verstoßen dagegen, daß man mit Schwierigkeiten zu
rechnen hat. ‘Gewisse Normen, Regeln sind festgesetzt, wie man sich eben verhalten darf.
Für den einzelnen ist das gar nicht so schlecht, weil da weiß man ja, wie man sich verhalten
soll. Es ist ja so was wie eine Verhaltensrichtlinie, dann lebe ich auch einfach so. Ich komme
nicht ins Gerede und das kann ja auch recht angenehm sein’ (Interviewpartnerin E, 20 Jahre).
Ganz ähnlich äußert sich dazu auch Interviewpartner J, 20 Jahre und Interviewpartner N, 19
Jahre: ‘Aber irgendwie sind diese Vorschreibungen, Normen, Traditionen ja auch so etwas
wie Orientierungshilfen. Ich weiß, daß ich ganz ruhig leben kann, wenn ich keine grünen
Haare habe, ..., wenn ich grüne Haare habe, muß ich eben
163
damit rechnen, daß ich von jedem daraufhin angesprochen werde. Dann wird es einfach
schwieriger für mich’, ‘Ja, es gibt gewisse politische, politische ist jetzt vielleicht übertrieben,
aber ideologische und religiöse Denkrichtungen, die eben total vorherrschen in einem Dorf,
und da aus der Reihe zu tanzen ist eben, wenn man ein ruhiges Leben führen will, dann sollte
man das vermeiden’. Das Erkennen des normativen Regelwerkes bewirkt aber nicht, daß
sich die Jugendlichen sich mit den vorhandenen Regeln zufrieden geben. Viele der
bestehenden Normen, Verhaltensmuster, Bräuche müßten ihre Meinung nach auf ihre
aktuelle Bedeutung und Gültigkeit für die Gemeinschaft überprüft werden.
• PF*KF: ‘soziale kontrolle * männlich’
vs.
PF*KF: ‘soziale kontrolle* weiblich’
Mechanismen der sozialen Kontrolle haben unumstrittenerweise auf den Verhaltensspielraum
aller interviewten Jugendlichen einen großen Einfluß, dem es nur schwer zu entkommen
gelingt. Der geschlechterspezifische Unterschied besteht darin, daß Mädchen in einem
höheren Ausmaß von sozialer Überwachung betroffen sind als Burschen. Burschen können
schon allein aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit leichter dem Druck der Öffentlichkeit
entkommen. Männern wird unverkennbar ein weiterer Verhaltensspielraum zugesprochen als
Frauen: So werden etwa Kavaliersdelikte ( bspw. Alkoholisiertsein in der Öffentlichkeit,
zuspät nach Hause kommen ect.) bei Burschen schulterklopfend und vielleicht sogar mit
heimlicher Anerkennung verziehen, während Mädchen bei gleichem Vergehen schwer in
Verruf geraden würden. Als Mädchen sollte man sich am besten ‘nichts erlauben, weil das
dann zum größten Getratsche wird’. In ihrer Rolle als SchülerInnen treffen sich die
Ansprüche, die vom Dorf an die Jugendlichen gestellt werden, allerdings wieder, denn mit
dieser Einschränkung darf oder soll man sich weder als Mädchen noch als Bursche zu
auffällig verhalten. Schließlich ‘kann man noch nichts (man arbeitet nicht) und ist noch nichts
(abhängig von den Eltern)’. Erlaubt man sich zudem als Schülerin, mittels ‘jugendkultureller
Trends’ (Piercing, Tätowierung, bunten Haaren ect.) Aufmerksamkeit zu erregen, setzen die
definierten Ausschlußmechanismen ein: Man widersetzt sich trotzdem den ‘Verboten’: ‘Ein
Schock, nein also meine Eltern, die waren ziemlich geschockt. Ganz am Anfang, weil jetzt
habe ich wirklich schon viele Haarfarben hinter mich gebracht, jetzt ist es schon normal. Es
ist wirklich so, daß ich ganz lange Haare gehabt habe und so ausgesehen habe wie ein
braves Landmäderl, ich kann das nicht anders sagen, mich hat dieses Klischee schon so
angezipft. Ich wollte einfach eine Veränderung. Ich meine, ich habe es meinen Eltern ‘eh nicht
gesagt, ich habe sie vor das vollendete Resultat gestellt. Sie waren ziemlich, ich weiß nicht
wie ich sagen soll, ich meine, meine Eltern sind ‘eh ziemlich locker, aber trotzdem waren sie
ein bißchen ‘erstaunt’ und
164
haben gemeint, was werden die Verwandten sagen, die Oma, da darfst du so nicht hin! Bei
meiner Oma kommt noch immer: mein Gott, wie du aussiehst, was werden die Leute
denken!’ (Interviewpartnerin C, 15 Jahre).
• PF*KF: ‘modernisierung
vs.
PF*KF: ‘modernisierung
* region < mureck’
* region > mureck’
Der spezifische regionale Aspekt ist im weitesten Sinne schon mit der Behandlung der
Kategorie ‘b’ abgedeckt worden; dennoch ist es aufschlußreich, einen Blick auf die
unterschiedlichen Wohnregionen der Jugendlichen zu werfen. Eine Unterteilung nach
Regionen läßt sich in zwei Gruppen einteilen: Jene Jugendlichen, die mit der Variable ‘region
< mureck’ abgedeckt sind, kommern aus abgelegenen Gemeinden, aus dem südöstlichsten
Teil des Bezirkes oder aus kleinen Gemeinden im Umland der Bezirkshauptstadt Bad
Radkersburg. Die der Variablen ‘region > mureck’ zugeordneten Jugendlichen kommen aus
der Stadt Mureck oder aus Gemeinden, die direkt an der Bahnlinie ‘Spielfeld/Straß Radkersburg liegen. Die zuletzt genannte Region verfügt über eine günstigere Anbindung an
den infrastrukturell besser organisierten Bezirk Leibnitz. Vor allem aber ist die Verbindung zur
Landeshauptstadt Graz viel greifbarer. Für Jugendliche aus dieser Region ist das Gefühl des
‘abgeschnitten-Seins’ auch weniger stark ausgeprägt. Wenn es im eigenen Dorf eng wird,
besteht immerhin die Möglichkeit, nach Leibnitz oder Graz auszuweichen. Darüber hinaus
sind diese Gemeinden viel stärker von ‘außerlandwirtschaftlichen Einflüssen’ geprägt. Ein
Großteil der Erwachsenen arbeitet nicht in der Landwirtschaft, sondern pendelt täglich mit
dem Zug oder mit dem Auto nach Graz oder Leibnitz.
Die Jugendlichen nehmen die offensichtliche Zweiteilung der Bevölkerung wahr: Im Dorfkern
wohnen die ‘Alteingesessenen’, während sich am Dorfrand - an der Hauptstraße - eine
Neubausiedlung gebildet hat. Hier wohnen vorwiegend jüngere Familien, Zugezogene, die
wenig Kontakt mit dem eigentlichen Dorf haben. Daraus ergibt sich zum einen eine geringere
Verbindlichkeit dem ‘typisch Ländlichen’ gegenüber, andererseits aber auch eine sehr
kritische Betrachtung der Folgen dieser ‘Vermischung’ und ‘Überlappung’ des ländlichen
Raumes. Der ‘Ausdruck des Modernen über Materielles’ wird von den Jugendlichen immer
wieder zur Sprache gebracht. Es ist dennoch bezeichnend, daß viele der Jugendlichen aus
dieser Region für sich in Erwägung ziehen, nach Abschluß einer Ausbildung wieder am Land
zu wohnen, weil in dieser Region an den Annehmlichkeiten sowohl des Lebens in der Stadt
als auch des Lebens am Land teilgenommen werden kann. Jugendliche aus der ‘region <
mureck’ erleben demgegenüber eher negativen Austausch mit dem ‘Modernen’. Im
Vordergrund steht für sie das Erleben einer Defizitärsituation, die es
165
durch demonstratives ‘Mithalten-Können’ wettzumachen gilt. Jugendkulturelle Interessen, so
betonen die Jugendlichen, werden trotzdem ausgelebt, auch wenn es sich um ein ‘eher
verstecktes Leben’ handelt und man ständigen Konfrontationen mit traditionellen
Vorstellungen ausweichen möchte. Zwischen Modernisierungstendenzen und traditionellen
Strukturen scheint ein noch tiefer Abgrund zu klaffen: Folgen der Veränderungen des
ländlichen Raumes z.B. der eigene Vater als Wochenpendler werden einerseits beklagt:
‘durch die Pendler geht ein bißchen was verloren von dem, was früher war, so daß man was
gemütlich macht, zusammensitzt ... so irgend etwas’. Gleichzeitig stellen die Jugendlichen
aber fest, daß Traditionelles auch nur mehr für die Touristen’ gemacht wird und ‘der eigene
Bürger hier ein bißchen zu kurz kommt’. Aus den Aussagen der Jugendlichen läßt sich auf
eine leichte Unsicherheit im ‘richtigen’ Umgang mit dem Moderenen schließen. Für einen
Großteil der Jugendlichen steht allerdings fest, daß sie sowieso weggehen und in der Stadt
das ‘richtige Leben beginnen’.
• PF*KF: ‘bildung * männlich’
PF*KF: ‘bildung * weiblich’
Abgesehen von der ‘geschlechterübergreifenden’ Gemeinsamkeit, die sowohl Burschen als
auch Mädchen in ihrer Rolle als Schüler in einem anscheinend ständigen Legitimationszwang
gegenüber der etablierten, traditionellen Dorföffentlichkeit stehen läßt, muß darauf geachtet
werden, daß für Mädchen der Besuch einer höheren Schule einen anderen Stellenwert hat als
für Burschen. Für letztere besteht zumindest über einen handwerklichen Beruf (‘wenn man
betoniert
wie
ein
Einser’)
die
Möglichkeit,
im
dörflichen
Milieu
Ansehen
und
Selbstverwirklichung zu erlangen, und das um einiges leichter als für Mädchen. Die
Schulausbildung und das eventuell nachfolgende Studium sollen einen ‘Beruf bringen, in dem
ich mich verwirklichen kann, in dem ich viel Neues kennenlerne und das wird nicht sein, wenn
ich hier nicht rauskomme’ (Interviewpartnerin G, 15 Jahre). ‘Die Matura ist die Möglichkeit, den
‘Töchter sollen gute Hausfrauen werden’ - Denken zu entkommen’ (Interviewpartnerin F, 19
Jahre). Die Verankerung im Bildungsprozeß erlaubt es den Mädchen, Einblick in die
gesellschaftliche Benachteiligung von Frauen auf dem Land zu gewinnen. Für Mädchen geht
es aber nicht nur darum, ‘die traditionellen verfestigten Rollenerwartungen’ zu überwinden,
sondern auch darum, die nötige ‘Flexibilität zu erlangen, weil vor der Haustüre bekommt man
ja sowieso keinen Beruf mehr, man muß bereit sein, weiter weg zu gehen’ (Interviewpartnerin
E, 20 Jahre). Damit treffen sich ihre Erwartungen an die eigene berufliche Zukunft mit jenen
der Burschen. Die Ausbildung soll ein gewisses Maß an Flexibilität bringen, um gerüstet dafür
zu sein, daß man ‘sowieso lange Wege in Anspruch nehmen muß, bis man was findet’.
166
• PF*KF: ‘freisetzung * männlich’ PF*KF: ‘freisetzung * weiblich’
Die Variable ‘freisetzung’ meint in diesem Zusammenhang primär die Möglichkeiten der
Freizeitgestaltung. Zwar wurde dieser Aspekt schon in der Auswertung der Kategorien ‘c’ und
‘e’ hinlänglich behandelt: die geschlechtsspezifische Perspektive gilt es aber noch
einzunehmen, meinen doch einige Burschen selbst, daß es für Mädchen schwieriger sein
müsse, ‘etwas in der Freizeit’ zu machen als für sie selbst. Der Sportsektor und die damit
verknüpfte Vereinstätigkeit in ländlichen Regionen läßt sich zumeist auf den Fußballverein
reduzieren. Den Mädchen ist hierbei der ‘aktiv - sportliche Zugang’ verwehrt: bleibt nur die
‘passive Anteilnahme’ als Zuschauerinnen diverser Austragungen. Wie bereits erwähnt ist die
Gestaltung der Freizeit sehr stark an Möglichkeiten der Mobilität und der damit verbundenen
Erkundung des regionalen Umfeldes gebunden. Auch dies bezüglich scheinen Burschen eher
im Vorteil zu sein als Mädchen. Burschen verfügen generell schneller über ein eigenes
Fahrzeug bzw. können eher das Auto der Eltern benützen. Mädchen sind häufiger auf
Mitfahrgelegenheiten angewiesen und können ihre Freizeitaktivitäten weniger ‘spontan’
gestalten. Es überrascht daher nicht, daß es vor allem Mädchen sind, die sich einen eigenen
Raum, zur Freizeitgestaltung wünschen. Dieser Raum soll vor allem so gelegen sein, daß
man ihn unabhängig von notwendigen Mitfahrgelegenheiten jederzeit erreichen kann.
Mädchen interessieren sich auch stärker für kulturelles und soziales Engagement in ihrer
Freizeit, wenn dieses auch nicht unbedingt an traditionelle Vereinsstrukturen gebunden sein
soll. Daß mit einer Verbesserung des Angebotes noch nicht alles getan ist, wissen die
Jugendlichen: Wenn man persönliche Interessen hat, ist es auch möglich, im ländlichen
Bereich sinnvoll die Freizeit zu gestalten. Man darf sich eben nur nicht erwarten, daß ‘alles
gleich um die Ecke ist’ (Interviewpartner J, 20 Jahre).
• PF*KF: ‘mobilität * alter > 18’
vs.
PF*KF: ‘mobilität * alter < 18’
Mobilität ist zweifelsohne das ‘Zauberwort’ für Jugendliche in ländlichen Regionen. Während
der Umstand der eigenen Mobilität - erreicht durch den Führerschein und die Möglichkeit, von
den Eltern ein Auto auszuborgen für die älteren Interviewpartner - bereits fixer Bestandteil
ihrer Lebensgestaltung ist, warten die jüngeren sehnsüchtig auf das begehrte Symbol der
‘Freiheit’. Die älteren Jugendlichen betonen die mit dem Führerschein verbundenen Vorteile:
Endlich hat man die ‘Perspektive, auf die man schon mit fünfzehn hin lebt’, erreicht
(Interviewpartner L, 19 Jahre). Die erlangte Mobilität gewährt den Jugendlichen für einige
Stunden, oder für einen Abend, aus der Enge des dörflichen Lebens auszubrechen. Wenn
man jünger ist, meinen viele der älteren Jugendlichen, halte man es noch leichter aus im
Dorf, sei noch eher zufrieden mit dem, was geboten wird. Sobald aber
167
mit vorschreitendem Alter die Chance auf den Führerschien reeller wird, steigt auch das
Bedürfnis, auszubrechen.
• PF*KF: ‘perspektive * alter > 18’ vs.
PF*KF: ‘perspektive * alter < 18’
Bezüglich ihrer Zukunftsperspektiven tendieren die Jugendlichen beider Altersgruppen, wenn
auch mit einigen Einschränkungen, wie bereits in Kategorie ‘e’ dargestellt wurde, generell weg
vom ländlichen Raum. Die älteren Jugendlichen haben bereits konkretere Vorstellungen über
diesen ‘Abschied’; für sie stehen der ‘notwendige Ortswechsel’ nach der Matura und konkrete
Pläne wie ein Studium in der Stadt oder ein Aufenthalt im Ausland im Vordergrund. In der
Gruppe der jüngeren Jugendlichen ist die Perspektive des Weggehens noch wesentlich
vager, wird deshalb allerdings nicht weniger vehement verfochten. ‘... bei jüngeren ist der
Wunsch, wirklich vom Land weg zu gehen, teilweise ganz stark ausgebildet, für viele ist das
‘weg’ einfach ein Lebensmotto ...’ (Interviewpartner J, 20 Jahre). Die Möglichkeit, später
‘wieder am Land zu leben’ wird von ihnen fast kategorisch ausgeschlossen, während in der
Gruppe der Älteren eine mögliche Rückkehr zumindest vorstellbar ist - wenn auch nicht
unbedingt in denselben Ort, aus dem sie kommen.
Auch hinsichtlich der von ihnen ausformulierten Wünsche lassen sich Differenzierungen
zwischen den älteren und jüngeren Jugendlichen treffen. Wünschen sich die jüngeren
Jugendlichen - ohne konkrete Angaben darüber machen zu können - unisono, daß einfach
‘mehr los ist’, es ‘einfach mehr Möglichkeiten gibt, etwas zu machen’, formulieren die älteren
Jugendlichen sehr präzise ihre Wunschvorstellungen
aus. Sie wünschen sich, daß es
möglich wird, ein individuelles Leben in ländlichen Regionen zu führen, daß den Jugendlichen
mehr Aufmerksamkeit und Mitsprache geboten wird, daß Jugendliche in ihren Bedürfnissen
ernst genommen werden. ‘... Man muß vor allem die Regungen fördern, die Gemeinschaft
zum Ziel haben, also auch Gedanken, die sich einfach über berufliche und gesellschaftliche
Gedanken hinwegsetzen und die einfach emotional verbinden, das muß man fördern, glaube
ich’ (Interviewpartner N, 19 Jahre).
168
8. Résumé
Ausgehend von theoretischen Überlegungen zur Lebenslage Jugendlicher in ländlichen
Regionen wurde mit dem empirisch - praktischen Teil der Versuch unternommen, sich ‘vor
Ort’ mit ausgewählten Themenbereichen der leitenden Fragestellung anzunähern. Mit der
Fragestellung
sollte
ein
Zusammenhang
zwischen
den
geänderten
Lebens-
und
Produktionsbedingungen in ländlichen Regionen und dem Strukturwandel der ‘Lebensphase
Jugend’ erfaßt werden.
Der Umgestaltungsprozeß in ländlichen Regionen, der durch zunehmende Veränderungen im
Erwerbssektor
‘Land-
und
Forstwirtschaft’
und
regionalpolitische
Maßnahmen
(Gemeindezusammenlegungen, Schaffung regionaler Versorgungs- und Behördenzentren) in
den letzten 40 Jahren forciert wurde, konnte dörfliche Traditionen des Zusammenlebens, der
Geselligkeit, der sozialen Kontrolle und Normengebung im wesentlichen nicht verändern. Eine
der Konsequenzen dieser Entwicklung ist das Bestehen von traditionellen und modernen
Lebensformen und -inhalten in unzusammenhängenden Verbindungen. Traditionelles und
Modernes sind in einem losen Nebeneinander, in formlosen Überlappungen existent, wobei
sich lediglich indirekte Wechselbeziehungen ausmachen lassen. Ein Beispiel dafür ist das
Festhalten an Vereins- und Dorfritualen statt des Versuchs, dörfliche Traditionen des
Zusammenlebens und der Geselligkeit neu zu interpretieren und in ihrer eigenen Qualität zu
modernisieren (vgl. Stein, 1991, 15).
Jugend ist gegenwärtig durch eine Vielfalt von Lebenslagen, Lebensformen und Lebensstilen
gekennzeichnet. Jugendliche leben gleichzeitig in der Familie, in der Schule, in der
Gleichaltrigengruppe; sie leben im feinmaschigen Netz einer erweiterten Sozialrealität, in
einer symbolischen Bedeutungswelt und in einer Konsum- und Medienwelt. In den letzten
Jahren hat sich die Eindeutigkeit eines sinnstiftenden Mittelpunkts, der einst durch Familie,
Schule oder Freundeskreis hierarchisierbar war, aufgelöst. Der frühere normativ geregelte
Bedeutungshintergrund jugendlicher Lebensbedingungen ist in der Pluralisierung und der
damit gekoppelten Auflösung traditioneller Sozialformen und Lebenswelten abhanden
gekommen (vgl. Ferchoff, 1995, 7).
Jugendliche in ländlichen Regionen, in dieser Arbeit die Gruppe jugendlicher Gymnasiasten,
leben in einer zweigeteilten Welt der Wahrnehmung. Einerseits sind sie Partizipienten der
erweiterten Möglichkeiten und Gestaltungsräume ihrer Umwelt, die durch die Einbeziehung
der gesamten Region als Lebensraum entstanden sind, andrerseits bleiben sie an die
Verbindlichkeiten dörflicher Muster des Zusammenlebens gebunden. Als Jugendliche sind sie
interessiert an neuen Formen des jugendkulturell inszenierten Umgangs mit Medien, Mode
169
und Konsum. Als BewohnerInnen eines bestimmten Dorfes sind sie an die Möglichkeiten der
Umsetzung ihrer jugendkulturellen Interessen und Neigungen im konkreten dörflich ländlichen Milieu gebunden. In ihrer Rolle als SchülerInnen repräsentieren sie neue Formen
des Aufwachsens im ländlichen Gefüge. Die Installierung regionaler Schulzentren hat dazu
geführt, daß eine größere Zahl junger Menschen den Besuch weiterführender schulischer
Einrichtungen in Anspruch nimmt als vielleicht noch 10 bis 20 Jahre zuvor. Bis dahin war der
Besuch weiterführender Schulen eher der Ausnahmefall und in erster Linie männlichen
Jugendlichen vorbehalten (HTL, kirchliche Gymnasien). Durch das Pendeln zwischen ‘zwei
Welten’ - der Schule und dem Dorf - entsteht eine gesteigerte Sensibilität für die Brüchigkeit
ländlicher Lebenswelten, zumal ihre eigene Jugendphase eine Lebensform darstellt, wie sie
im durchschnittlichen Dorfmilieu lange Zeit nicht erfahrbar war und für die es noch wenig
Möglichkeiten der Interpretation gibt. Die durch schulische Ausbildung verlängerte
Statuspassage ‘Jugend’hat im traditionell ländlichen Verständnis von Jugend noch keinen
gefestigten Stellenwert erlangt. Der daran gekoppelt Weg der moderne Berufsorientierung
muß sich im Gegensatz zur ländlich - traditionellen Arbeitsorientierung erst durchsetzen.
Mechanismen der Integration in die dörfliche Erwachsenenwelt orientieren sich an ländlich traditionellen Formen der Aufwachsbedingungen (Schule - Lehre - Verein - Heirat). Ähnlich
verhält es sich im Bereich der jugendkulturell inizierten Freizeitgestaltung abseits
vereinsgebundener Gegebenheiten. Die Chance, neue jugendkulturelle Umgangsformen vor
Ort umzusetzen sind zum Großteil nicht gegeben. Das bedeutet für die Jugendlichen konkret,
daß sie einer ständigen Konfrontation von traditionellen mit innovativen Lebensmustern und
Formen ausgesetzt sind. Für die Jugendlichen geht es vor allem darum, in der dörflichen
Lebenswelt, wie in den eigenen Vorstellungen kompromißfähig zu werden und damit die
bestmöglichen Bedingungen für das Aufwachsen im dörflichen Milieu zu schaffen. Bei den
interviewten Jugendlichen liegt dieser Kompromiß in einer starken ‘Außenorientierung’: für die
Umsetzung jugendkultureller Interessen und Vorstellungen wird weniger das eigene Dorf in
Anspruch genommen, sondern vielmehr das gesamte regionale Nahfeld. Damit wird
zumindest die zwingende Enge des dörflichen Milieus kurzfristig überwunden. Darüber hinaus
schließt der Begriff ‘Außenorientierung’ mit ein, daß die Verwirklichung beruflicher Ziele,
Wünsche und Vorstellungen eindeutig außerhalb der ländlichen Region positioniert wird und
das nicht nur deshalb, weil die eigene Region keine Möglichkeiten bietet, diese umzusetzen.
Allerdings wird der Grad der Außenorientierung von einer Vielzahl von Faktoren beeinflußt.
Zum einen spielt die Geschlechtszugehörigkeit der Jugendlichen eine wesentliche Rolle, zum
anderen werden die häufig fehlenden Möglichkeiten einer Mitbeteiligung am öffentlichen Leben
in den Gemeinden und die infrastrukturelle Situation des dörflichen Lebensmilieus als Gründe
angeführt. Für Mädchen geht es primär darum, durch den Bildungsweg aus dem gängigen
170
weiblichen Rollenbild des ländlichen Raumes auszubrechen. Jugendliche, denen Gelegenheit
zur Mitsprache geboten wird und die die Anteilnahme der Erwachsenen an jugendkulturellen
Ausdrucksformen spüren, wenden sich deutlich weniger stark vom ländlichen Raum ab.
Ähnlich verhält es sich bei Jugendlichen, die aus Regionen mit besserer infrastrukturellen
Anbindung an den Verdichtungsraum kommen. Die Forderung der Jugendlichen geht
eindeutig in Richtung mehr Möglichkeiten zur Mitsprache und Mitgestaltung des
Lebensmilieus und in Richtung zielführender Auseinandersetzung mit
nach wie vor
vorhandenen Normen, Tradition und Verhaltensrichtlinien.
Abschließend muß betont werden, daß sich ein erwarteter Zusammenhang zwischen dem
allgemeinen Strukturwandel der Jugendphase und den jeweiligen Lebensbedingungen
ländlicher Regionen mit darin enthaltenen Veränderungs- oder Beharrungsmustern (und den
daraus entstehenden Schwierigkeiten für Jugendliche) bestätigt hat. Es ließen sich einige
direkte Verbindungen zu den in der Literaturarbeit gefundenen Thesen (Böhnisch, Kárás/Rögl
ect.) herstellen. Die Auseinandersetzung mit dem Thema - im vorliegenden Fall vor allem in
Form von Literaturarbeit aber auch in direktem Austausch mit den Jugendlichen - hat gezeigt,
daß es einen großen Nachholbedarf im Bereich der Jugendforschung gibt. Das primäre
Interesse an urbanen Jugendkulturen vernachlässigt den Blick auf die spezifische Situation
Jugendlicher in ländlichen Regionen, die keineswegs mit der Situation Jugendlicher in
urbanen Regionen gleichzusetzen ist.
171
9. Anhang
• Begleitfragebogen
Hallo!
Vor Dir liegt ein Fragebogen in dem ich Dir einige allgemeine Fragen zu Deiner Person stellen möchte.
Deine Antworten bleiben völlig anonym. Dein Name wird auf dem Fragebogen nicht aufscheinen. Er dient
lediglich dazu, das nachfolgende Interview zu ergänzen. Ich möchte mit Dir ein Gespräch über Deinen
Alltag, Deine Freizeit, Deine Interessen und die Möglichkeiten, das in Deinem Lebensumfeld auch
umzusetzen, führen.
Danke im voraus!
1.] Wie alt bist Du?
13
2.] Bist Du ...?
¨
¨
männlich
weiblich
3.] Wie wohnst Du derzeit?
4.] Du hast Geschwister ...?
o ständig bei Deiner Familie
Bruder
o ja 13
o nein
o ständig mit anderen [Wohngemeinschaft]
Schwester
o ja 13
o nein
o ständig im Heim
5.] Deine Geschwister sind ...?
o unter der Woche mit anderen, am Wochenende o älter
zu Hause
o unter der Woche im Heim, am Wochenende zu o jünger
Hause
6.] Welche Schulen und Ausbildungen hast Du abgeschlossen,
Du abgebrochen? (Bitte nur Zutreffendes ankreuzen)
o
a.) Volksschule
abgeschlossen
o
b.) Hauptschule
abgeschlossen
o
c.) Polytechnischer Lehrgang
abgeschlossen
o
d.) Lehre
abgeschlossen
o
e.) Fachschule
abgeschlossen
o
g.) Allgemeinbildende Höhere Schule
abgeschlossen
o
f.) Berufsbildende Höhere Schule
abgeschlossen
o
h.) Universität
abgeschlossen
7.] Welche Personen gehören zu Deiner Familie?
Hast Du ...?
a.) Vater
o ja o nein
b.) Mutter
o ja o nein
172
Bruder 13
Bruder 13
Schwester
13
Schwester
13
besuchst Du derzeit oder hast
o
derzeit
o
derzeit
o
derzeit
o
derzeit
o
derzeit
o
derzeit
o
derzeit
o
derzeit
o
abgebrochen
o
abgebrochen
o
abgebrochen
o
abgebrochen
o
abgebrochen
o
abgebrochen
o
abgebrochen
o
abgebrochen
Wohnt bei Dir...?
o ja o nein
o ja o nein
c.) Stiefvater
d.) Stiefmutter
e.) Bruder
o ja o nein
o ja o nein
o ja 13
o nein
f.) Schwester
o ja 13
o nein
g.) Großmutter
o ja 13
o nein
h.) Großvater
o ja 13
o nein
i.) Verwandte
l
o ja
o ja
o ja
nein
o ja
nein
o ja
nein
o ja
nein
o ja
nein
o nein
o nein
13
o
13
o
13
o
13
o
13
o
8.]
Welche
höchste
abgeschlossene 9.]
Welche
höchste
abgeschlossene
Schulbildung hat Deine Mutter?
Schulbildung hat Dein Vater?
o Volksschule
o Hauptschule
o Fachschule
o Lehre
o Höhere Schule mit Matura
o Berufsbildendes Studium (z.B. PÄDAK)
o Universitätsstudium
10.] Welchen Beruf hat Deine Mutter?
o Volksschule
o Hauptschule
o Fachschule
o Lehre
o Höhere Schule mit Matura
o Berufsbildendes Studium (z.B. PÄDAK)
o Universitätsstudium
11.] Welchen Beruf hat Dein Vater?
o Arbeiterin
o Facharbeiterin
o Angestellte/Beamtin
o Leitende Angestellte/Beamtin
o Selbständig/Freiberuflich/Unternehmerin
o Landwirtin
o keinen
12.] Ist Deine Mutter derzeit ...?
o Arbeiter
o Facharbeiter
o Angestellter/Beamter
o Leitender Angestellter/Beamter
o Selbständig/Freiberuflich/Unternehmer
o Landwirt
o keinen
13.] Ist Dein Vater derzeit ...?
o in Ausbildung
o in Karenz
o halbtägig berufstätig
o ganztägig berufstätig
o Hausfrau
o Pensionistin/Rentnerin
o arbeitslos
14.] Deine Geschwister ...?
o
o
o
o
o
o
o
in Ausbildung
in Karenz
halbtägig berufstätig
ganztägig berufstätig
Hausmann
Pensionist/Rentner
arbeitslos
Bruder
o
sind noch in einer Schulausbildung o ja
o
(Pflichtschule...)
o besuchen eine höhere/berufsbildende Schule
o ja
o
o besuchen eine mittlere/berufsbildende Schule
o ja
o
o sind in einer Lehre
o ja
o
o arbeiten bereits in einem Beruf
o ja
o
o absolvieren ein Universitätsstudium/FHS oder o ja
o
dgl.
15.] Um zur Schule/Lehrstelle ... zu kommen, mußt Du täglich,
o 0-10km
nein
Schwester
o ja
o nein
nein
nein
nein
nein
nein
o
o
o
o
o
ja
ja
ja
ja
ja
o
o
o
o
o
nein
nein
nein
nein
nein
wöchentlich .... fahren?
[ Mit der täglichen/wöchentlichen Fahrstrecke ist
jeweils eine Stecke gemeint, wöchentlich meint
z.B. Montag Anreise, Freitag Abreise...]
o
o wöchentlich
173
o 10-30km
o 30-50km
o 50-70km
o 70-100km
o mehr als 100km
täglich
o
täglich
o
täglich
o
täglich
o
täglich
o
täglich
o wöchentlich
o wöchentlich
o wöchentlich
o wöchentlich
o wöchentlich
16.] Wohnst Du in einem Dorf ...?
o in einem Dorf?
o in einem Markt?
o in einer Kleinstadt?
Die Ergebnisse des Fragebogens sind unter Punkt ‘5.1. Die Untersuchungsgruppe’ zu finden.
•
Transkription der Interviews B und N
Im folgenden sollen zwei der durchgeführten Gespräche vorgestellt werden. Interviewpartner N gehört zur
Gruppe der ‘älteren’ Interviewpartner, Interviewpartnerin B zur Gruppe der ‘jüngeren’. N wohnt in der
‘region > mureck’, B in der ‘region < mureck’. Die beiden Interviews sind in der Unterschiedlichkeit der
eingenommenen Positionen exemplarisch und veranschaulichen die in den Auswertungen dargestellten
Problemfelder.
Transkription Interview B:
Datum: 13.02. 1997
Ort:
Bundesoberstufenrealgymnasium
Zeit:
8.55- 9:40
Interviewer:
Maria - Elisabeth Weber
Interviewpartnerin: Schülerin, BORG, 16 Jahre
Index: [-]:
[---]:
[...]:
B:
I:
Kurze Sprechpause
Kurze Verzögerung durch störende Intervieweinflüsse
Kurze Verzögerungen im Sprachverlauf (Nachdenkpausen ect.)
Interviewpartnerin
Interviewer
Interviewverlauf:
I: Für die Diplomarbeit, das Thema kennst Du, habe ich drei Fragenbereiche vorbereitet. Im ersten geht
es darum zur, `Jugend´ allgemein etwas zu erfahren, der zweite ist eher `landspezifisch´ aufgebaut und
der dritte Teil ist der konkrete Teil `Jugend am Land ´. Zum ersten Bereich, habe ich mir gedacht, werde
ich einfach einmal ein paar Schlagwörter vorlesen, mittels welcher versucht wird, Jugend zu
`beschreiben´, und die auch im Unterricht vorher gefallen sind. Vielleicht kannst Du dann dazu kurz
Deine Gedanken sagen.
Gut, immer wieder wird, vor allem wenn es darum geht `die Jugend der 90er´ zu definieren, behauptet,
sie sei zynisch, rauschhaft, radikal, exponiert, hedonistisch, konsumorientiert, verwirrt, ruhelos [...]. Wie
ist Deine persönliche Sicht der Jugend, wie definierst Du Jugend?
B: Ja, also einmal schnell leben, alles schnell irgendwie, also Freundschaften und so sind schwierig,
finde ich, und kompliziert. Überhaupt Jugend ist sowieso kompliziert, wir werden komplizierter, ja so.
174
I: Könntest Du mit den Schlagwörtern, die vielleicht überspitzt sind, etwas anfangen ?
B: Ja, also eher nicht, na ja ich meine, zwischendurch schon. Ich meine es stimmt schon, daß sich die
Jugend nicht mehr so gerne berühren läßt mit Sachen, also überhaupt, persönlich nicht mehr so gerne
berühren läßt, so überhaupt von allen Bereichen, Familie, Freund, Freundinnen, es ist alles so, eben so
wenig wie möglich sich berühren lassen und so.
I: Glaubst Du, daß Jugendkulturen, die Jugend der Gegenwart, vollsteckt mit Widersprüchen?
B: Also, das glaube ich schon.
I: Und daß, das vielleicht auch Reaktionen auf Widersprüchlichkeiten in der Gesellschaft sein könnten?
B: [...] Mhm, ja, schon. Ich meine, es gibt eigentlich in der Erwachsenengesellschaft alle Widersprüche,
also dann spiegelt, dann ist das bei der Jugend auch so. Das ist dann eine Gegenreaktion oder so.
I: Wenn Du jetzt versuchen könntest, so wesentliche Unterschiede zwischen Deiner Jugend und der
Jugend Deiner Eltern herauszufinden, was fällt Dir dann ein?
B: Mhm, so ganz spekulativ? Mmh, ja wir haben einmal mehr Rechte, also überhaupt können wir uns
mehr erlauben und haben mehr Konsumgüter. Ja, und einfach mehr Chancen überhaupt im Leben.
I: Im Vergleich zu Deinen Eltern?
B: Ja schon, weil, wenn man die Berufsausichten ansieht. Meine Eltern sind von ihren Eltern noch
beeinflußt worden und so, die haben gesagt, das und das mußt du machen und so. Das ist heute ja
überhaupt nicht mehr.
I: Mmh, mmh, ja - ich glaub so im Hinblick auf die Zeit, vielleicht sollten wir auf den zweiten Bereich
übergehen, auch wenn das jetzt ein großer Sprung sein kann. Mich würde interessieren: Was ist für Dich
`ländlicher Raum´ oder wie beschreibst Du ‘das Land’?
B: Ja ich meine, [lacht], das ist so 2000 Einwohner oder so irgendwas, kleine Dörfer eben. Ich meine der
ganze Bezirk ist für mich `Land´, ich meine Radkersburg, die Stadt, ist ja auch Land.
I: Der Bezirk Radkersburg zählt zu den ‘ländlichsten Regionen’ Österreichs.
B: [lacht] Also das kann ich mir ja echt vorstellten, [lacht].
I: Was ist so - das typische Ländliche?
B: Ja, ich meine, daß die Leute ziemlich einfach sind, einfach denken, also nicht, keine Veränderungen
wollen, und das ist für mich irgendwie die Definition von Land. Na ja, eben nichts verändern wollen in
ihrem Leben da, alles soll so bleiben wie es war und das die Jugend so ziemlich keine Chancen hat.
I: Gut, wenn so von Land die Rede ist, da gibt es auf der einen Seite sofort Bilder wie - Ruhe, Idylle,
Erholung usw., und auf der anderen Seite gibt’s so Feststellungen wie - Leben am Land ist Inflexibilität,
Konfliktunfähigkeit, Unfähigkeit im Umgang mit Fremdem und Neuem. Typische Zuschreibungen sind
auch: Am Land zu leben bedeutet in der Landwirtschaft zu arbeiten, eine große Familie zu haben, vor
allem eine gute Dorfgemeinschaft, keine Anonymität [...]. Also, durchaus sehr konträre Stellungnahmen was sagst Du zu diesen Gegenüberstellungen?
B: Ja, ich meine es ist alles ein bißchen. Weder das eine stimmt ganz noch das andere stimmt ganz.
Also, die ältere Generation die ist halt schon so. Ich meine, wenn man so denkt, in meinem Dorf, da
sind sicher über 50%, 50 oder 60 Jahre oder so, da stimmt das schon so, die wollen keine Konflikte
haben und wollen sich nicht mehr verändern, aber die brauchen das nicht mehr oder so. Mit der
Dorfgemeinschaft ist das was anderes. Ich meine ich selber bin da überhaupt nicht drinnen, es
interessiert mich einfach nicht. Ich meine es ist alles so scheinheilig irgendwie.
175
I: Scheinheilig?
B: Ich meine, es heißt zwar , daß die sich gegenseitig immer helfen wollen, aber die ganze Zeit gehen
die auf irgend jemanden los. Ich meine, es heißt zwar, es ist so schön, wenn man keine Anonymität hat,
aber manchmal ist es dann schon so, wenn man jemanden nur nicht grüßt, weiß das am nächsten Tag
schon das ganze Dorf. Mha, das ist so [...]
I: Gibt’s da so einen Verhaltenskodex, welchen man einhalten muß?
B: Eindeutig ja, ich meine [...].
I: Wie nimmst Du den wahr oder wo legst Du den fest?
B: Ja, ich meine, so von mir - es ist sehr schwierig einmal wenn man in eine höhere Schule geht, weil
man damit schon einmal sehr viele Vorurteile erzeugt. Ich habe das schon bemerkt, so was sollte man
gar nicht glauben. Also, es wissen sowieso alle, daß die, die in höhere Schulen gehen, daß wir uns alle
etwas ein bilden, daß wir was viel besseres als die Lehrlingskinder sind und also, ja das ist, nein, ah.
Es heißt immer, wenn Du in eine höhere Schule gehst, bildest Du Dir ein, daß Du etwas besseres bist,
und das haben die mir auch schon öfters gesagt.
I: Warum kommen solche Sätze [...]?
B: Ja, nein, ich glaube teilweise wollen die eben nicht, daß die Leute rauskommen. Ich meine, die wollen
das gar nicht so genau sehen. Sie wissen zwar, daß sie nicht so, daß es die große weite Welt da
draußen gibt und das ist ein bißchen schwierig. Die haben auch Angst davor, daß da jemand kommen
könnte, sie vor den Kopf stoßen könnte, sagt es gibt noch etwas anderes als hier. Es ist wirklich
irgendwie Angst. Es ist so mit den höheren Schülern, die mögen die einfach nicht mehr sehen.
I: Also, könnte man sagen, es gibt wirklich so etwas wie Rivalität zwischen Schülern und anderen
Jugendlichen?
B: Ja sowieso, unter Lehrlingen und Schülern ist das ‘eh so.
I: Dazu hätte ich ein Frage. Da gibt’s jetzt anscheinend gegensätzliche Haltungen, Interessen zwischen
Lehrlingen, Schülern. Gibt’s da einen Unterschied in der Wahrnehmung von Lehrlingen und in der
Wahrnehmung von Schülern durch die Erwachsenen im Dorf?
B: Also, die sind schon höher angesehen bei den Erwachsenen. Ja, weil die eben schon Geld verdienen,
niemandem mehr auf die Nerven fallen, weil sie nicht so, nein weil sie sich selber schon mehr in die
Gesellschaft eingliedern im ländlichen Bereich, weil wir sind mehr so, ja nicht so.
I: In die Erwachsenengesellschaft? Mmh, wie schaut die aus - oder was muß man da haben, um dabei
zu sein? Was glaubst Du ist so das Typische dafür, daß man von den Erwachsenen als erwachsen
angesehen wird, welche Punkte muß man da erreichen - oder was ist so das typisch normale
Erwachsene. Was ist da wichtig um am Land leben zu können?
B: Arbeit, vielleicht eine Wohnung, ein bestimmtes Alter muß man sowieso haben, unter 16 wirst du
sowieso noch als Kind angesehen, das ist sowieso schwierig alles, da in die Gesellschaft
reinzukommen. Die akzeptieren, also wenn du so nur daherkommst, und so neue Ansichten,
akzeptieren die dich sicher nie, also dann wenn du uralt bist mit 30 Jahren oder so. Ja, und einmal Geld,
das ist einmal wichtig und etwas tun.
I: `Etwas tun´ heißt, arbeiten?
B: Ja, Beruf einmal. Wir sind, wir wissen nicht, ob wir überhaupt einmal einen Beruf kriegen, und wenn
dann sicher einmal mit 25 oder so, das ist dann auch nicht sicher [...].
I: Das heißt, Geld und ein Beruf ist schon einmal was Wichtiges, um am Land zu leben?
176
B: Ja, und es muß einfach alles stimmen. Die Wellenlänge zwischen den Leuten. Ich meine, man kann
nicht daher kommen und [-] und über politische Themen, kann man nur so, eben nicht anfangen, nur so
über irgend etwas reden. Es ist eine ziemlich schwarze Gesellschaft da, irgendwie, ich meine in meinem
Dorf sind z.B. 60% Schwarze.
I: Mit ‘Schwarze’ meinst Du die Partei?
B: Mhm, ja, da muß man politisch auch erst richtig sein.
I: In ländlichen Lebenswelten, in einem Dorf - wann glaubst Du ist man da ‘normal’, also so, daß man
nicht auffällt?
B: Ja, einmal der Beruf, dann ein Freund, ein normales Aussehen, normal anziehen, keine ausgeflippten
Haare, so irgendwie. Dann vielleicht später einmal die eigene Wohnung, und Kinder und so irgendwie.
I: Das ist wichtig?
B: Ja, das ist wichtig und die Stellung der Frau ist irgendwo unter dem Mann, vor allem die alten Leute
sehen das so. Bei den jüngeren ist es nicht mehr so kraß, aber es wird sich so ganz nicht so schnell
ändern.
I: Also, eine eigene Wohnung, ein Beruf ist wichtig. Wenn man keine Arbeit hat, wie ist man dann
angesehen?
B: Ja, also es gibt total verschiedene Leute, es gibt Leute in meinem Dorf, die haben keine Arbeit und
sind da trotzdem angenommen.
I: Warum ist das so?
B: Ja, ich weiß es nicht. Das ist, weil sie am Land da drinnen sind, im Dorf. Und weil sie, also wenn
man nämlich nicht, ich weiß nur von verschiedenen Familien, die nicht im Dorf drinnen sind, also sich von
der Gesellschaft da irgendwie abwenden, also über die wird dann halt viel geredet. Es ist eben wichtig,
daß man da drinnen ist. Wenn man nämlich nicht drinnen ist, ist man sowieso schon einmal unten
durch.
I: Drinnen sein - Kannst Du das vielleicht konkretisieren?
B: Ja, daß man mit den Leuten fortgeht und also sich treffen und ich meine, da sind immer so Dorffeste
und Veranstaltungen, wenn man da hingeht und mit den Leuten redet, und nicht in irgendeiner Ecke
sitzen oder so, teilnehmen an dem, was da passiert.
I: Also sich beteiligen an dem, was das Dorfleben bietet. Heißt das dann auch, daß man irgendwie auch
den Einblick ins Privatleben der Familie geben soll?
B: Ja, das schon.
I: Gibt’s dann überhaupt so eine Grenzziehung zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen im Dorf oder ist das nicht ‘eh schon das Gleiche?
B: Mmh, nein, nicht ganz - aber es ist sicher ein bißchen verschwommen, total. Ich meine, die Leute
mischen sich überall ein, das ist [lacht], das geht mir so auf die Nerven. Eben wenn man z.B. jemanden
nicht grüßt oder so irgend etwas. Ich meine, das geht ja niemanden etwas an, oder?
I: Aber man läuft damit gleich Gefahr, zum Dorfgespräch zu werden?
B: Ja, genau - oder wenn sich einer von den Jugendlichen die Haare färbt, dann ist man am nächsten
Tag, dann heißt es gleich `totaler Asozialer´. Das ist echt schlimm irgendwie.
177
I: Vielleicht sollten wir da gleich übergehen zum Teil `Jugend am Land´. Was heißt jetzt dann Jungsein
am Land für Dich?
B: Ja, genau da ist es jetzt so: Man muß zwischen zwei Gruppen unterscheiden - eben Lehrlinge und
Schüler. Da ist schon ein großer Unterschied:
I: Gut, dann denke ich mir, machen wir zuerst so Deine Situation durch, Du bist Schülerin - dann
vielleicht kurz auch auf die Situation der Lehrlinge bezogen.
B: Ja, ich meine, [-].
I: Vielleicht so: Was heißt es für Dich konkret: `Jungsein´ - Du sagst es gibt Unterscheidungen, aber
wenn Du so den ländlichen Alltag als Rahmen für Dein Leben, Deine Interessen hast, wo kannst Du Dein
Jungsein hingeben?
B: Also für Schüler ist es da sowieso nur schwer, so mit der Zukunft da und so. Es ist so, daß wir dann
weggehen, wenn wir fertig sind mit der Schule. Ich kenne eigentlich gar keinen Schüler, der sagen
würde, daß er dableiben will nach der Schule. Ich meine, es wollen alle weggehen, eigentlich, schauen,
daß wir die Jahre da irgendwie runterdrehen, bis zur Matura, runter und dann weg.
I: Ist das für Dich schon so der Weg, das Jungsein hier, Matura, endlich, raus und weg?
B: Ja, schon - ich meine es ist so.
I: Ist das mit einer Wehmütigkeit verbunden?
B: Also nein, wehmütig bin ich ehrlich gesagt nicht. Ich meine, ich sehe das eher nüchtern, vielleicht
meine Freunde, aber die gehen ‘eh alle auch weg. Das ist nicht das Problem - ja, vielleicht für die
Familie, aber die sehe ich ‘eh am Wochenende und für das Dorf - mit denen hab’ ich sowieso nie etwas
zu tun.
I: Ist so unter der Perspektive Land für Dein Jungsein ein Defizit oder vielleicht auch Ressource?
B: Ich kann mich da nicht engagieren für Dinge, die mich interessieren, also das ist schon einmal echt
ein Problem. Ich meine, ich schreibe gerne und daß da irgend etwas weitergehen würde, solange ich da
Jugendliche bin, ist absolut nicht möglich. Es gibt einfach nichts, es gibt nichts. Wenn ich in Graz wäre,
wäre das ganz anders. Oder wenn z.B. irgendwer gerne irgend etwas tut, sozial sich engagieren oder mit
irgendwelchen Jugendlichen irgendeine Gruppe, oder so, das ist alles ein bißchen schwierig.
I: Mhm, [--] Gut, jetzt sind wir ein bißchen unterbrochen worden - also für Deine Interessen, für Dein
Engagement gibt’s hier nichts?
B: Nein und ich meine, es ist auch, also meine beste Freundin, die ist eine ganz gute Malerin, die kann
ganz gut malen, die hat ein Talent, aber die will eben nicht aus dem Dorf raus. Das ist ihr Problem, weil
die geht in einer Stadt zu Grunde, ja und ‘halt ihr Talent ist ‘halt verschwendet, weil sie wird da nie etwas
weiterbringen.
I: Kann man sagen, daß für Deine Wahrnehmung Land eher `Defizit´ ist, weil Du Deine Interessen hier
nicht entwickeln kannst?
B: Ja, weil man kann sich nicht, ich meine, man kann, wenn man ein Familienmensch ist, kann man da
schon aufgehen auf dem Land. Aber ich meine, es ist, wenn man ein bißchen ‘was weiterbringen will,
Karriere machen, dann ist da ‘halt nichts. Wenn man Familienmensch ist, ist es super, wenn man auf so
etwas steht dann geht’s irgendwie, aber [...].
I: Mhm, bei Dir ist das nicht so der Fall?
B: Nein.
178
I: Vielleicht, ganz konkret ein paar Fragen zum Freizeitbereich: Was machst Du, was kannst Du in
Deiner Freizeit machen? Bist Du da in einem Verein [...]?
B: Nichts, na ja [...]
I: Frage zu den Vereinen: Wenn Du Dich interessieren `würdest´, gibt’s - außer den Jugendvereinen gibt’s Vereine, wo Jugendliche sich beteiligen können?
B: Nein, eigentlich nicht. Ich meine, man kann irgend etwas sporteln oder so.
I: Wer kann `sporteln´ ?
B: Ja, es gibt schon manchmal so Vereine, wo man könnte, aber die kümmern sich auch nicht so um
Jugendliche, deswegen sind auch nicht viele Jugendliche dort.
I: Was gibt’s da in Deinem Ort konkret?
B: Also, bei uns ‘eh nichts, außer vielleicht den Turnverein für die Frauen, sonst muß man nach Mureck
oder Deutsch Goritz. Es ginge dann schon, aber ich bin ‘eh nicht sportlich.
I: Gibt’s überhaupt neben den Fußballvereinen Sportvereine, wo Frauen, Mädchen auch sportlich sein
können?
B: Ja, sicher schon, Tennis.
I: Wenn Jugendliche jetzt in so ‘Erwachsenenvereinen’ sind, ist es dann leichter, in die Erwachsenenwelt
zu kommen?
B: Ja, schon, kann sein, irgendwie. [lacht] - Nein, ich meine, ich könnte zur Landjugend gehen, aber da
ist eben das Problem, daß da nur die Lehrlinge drinnen sind und da ist wieder der Konflikt Lehrlinge
Schüler. Da sind eben keine Schüler drinnen, dann ist das nichts für mich.
I: In der Landjugendgruppe in Deinem Ort?
B: Mhm, ja, und sonst in der Freizeit? Treffe ich Freunde, wir gehen ein bißchen fort.
I: Und wenn ihr fort geht - Wo geht ihr da hin, gibt’s da so ums Eck irgendein Lokal?
B: [lacht] - Ja, entweder in Radkersburg nach der Schule oder so, aber sonst? Ja, so, jetzt ist z.B.
Ballzeit, da gehen wir so auf irgendwelche Bälle, da gibt’s solche für Jugendliche auch. Es ist ziemlich
ein geringes Angebot, aber dort sind immer viele Leute.
I: Wenn ihr euch so am Wochenende trefft - und ihr wollt ganz spontan etwas unternehmen, was könnt
ihr dann da machen?
B: [lacht] - Also spontan geht da sowieso nie etwas!
I: Warum nicht?
B: Na ja, eben wegen dem Fahren. Ich meine, es haben schon manche den Mopedführerschein und so,
aber den Führerschein haben die wenigsten und auch nicht das Geld dazu, also, da müssen wir uns
immer irgendwohin bringen lassen und das ist dann das Problem.
I: Mhm, ist dann so das Ziel der `eigene Führerschein´ , ein Auto zu haben das Zauberwort für Dich, weil
Du dadurch mobiler wirst. Bedeutet das etwas für Dich?
179
B: Ja, schon, aber bei uns ist das auch nicht so, weil wir gehen dann ‘eh fort, wenn wir achtzehn sind.
Ich meine, machen werden wir ihn schon, aber es ist nicht mehr so, also wenn man ihn mit sechzehn
machen könnte, wäre das schon besser.
I: Und sonst, was gibt’s sonst noch so in Deiner Freizeit?
B: Ja, [lacht], die Katholische Jugend gäbe es noch, aber sonst? Na ja, in Mureck gibt’s jetzt auch so
ein Freizeitdings, so ein Jugendzentrum, aber dort war ich noch nie, na ja. Ich meine, unter der Wochen
geht bei den Schülern sowieso nichts, da ist ‘eh der Lernstreß und das alles.
I: Und das Wochenende, in den Ferien [...] ?
B: Ja, ich meine, es gibt sonst ja nichts, ein bißchen weggehen, es gibt ja nichts.
I: Du hast schon angesprochen, daß diese Jugendvereine, die es da gibt, mit Lehrlingen ‘besetzt’ sind,
da ist kein Platz für euch, für die Schüler. Wir haben schon gesagt, die verdienen ihr eigenes Geld usw..
und passen die besser in die Erwachsenengesellschaft, so wie Erwachsene Jugendliche sehen? Was
ist das ‘Andere’ an dieser Gruppe?
B: Also, die tun sich schon leichter, weil die sehen, daß sie dort bleiben werden, also und wir werden
weggehen und deswegen haben die, glaube ich, doch schon einmal Probleme damit uns dort
aufzunehmen, weil die wissen: Die sind ‘eh bald weg.
I: Ist das Neid - oder so was?
B: Ja, teilweise schon. Ich meine, die wollen ja auch gar nicht weg. Ich meine, die haben eben Angst,
weil sie glauben, wir denken schlecht über die, dann tun die als Trotzreaktion sowieso nur schlecht über
uns herfahren und so.
I: Und Freundschaften, gibt’s die überhaupt nicht zwischen euch? Oder ist in jedem Bereich strikte
Trennung?
B: Ja, vielleicht vereinzelt schon. Aber es ist so, Schüler treffen sich mit Schülern, dann machen wir
etwas, die Lehrlinge sind auch untereinander. Ich meine, meine beste Freundin ist früher in die Schule
gegangen, jetzt ist sie Lehrling und die sehe ich eigentlich nie mehr.
I: Ist der Kontakt abgebrochen?
B: Ja, ich meine, ich wollte zwar nicht. Aber sie hat selber gesagt, es geht jetzt nicht mehr, ich meine
[...].
L: Liegt das jetzt an den Interessen, ich denke es entwickeln sich vielleicht konträre Interessen, oder ist
das eher so ein mit Vorurteilen behaftetes ‘nicht - zusammen - kommen’ Dürfen?
B: Ja, ich meine, es ist automatisch so, weil wir Schüler reden immer über die Schule und so, haben
dadurch einen ganz anderen Freundschaftskreis [--].
I: Entschuldige die Unterbrechung, ich habe, glaube ich gefragt, ob da nicht auch so Vorurteile eine Rolle
spielen? Ich meine, so im Hinblick auf die Kontakte der Erwachsenen im Dorf. Ich meine, da wird es ja
auch nicht nur Arbeiter geben, da gibt’s auch Arbeiter und andere im Dorf - wie treffen sich die, haben die
auch keinen Kontakt?
B: Vorurteile? Ja, ich meine, bei uns da gibt’s einmal das `Bauerndorf´, daß ist ganz was eigenes, da ist
die `crème de la crème , die Oberschicht, so führen die sich auch auf.
I: Die bestimmen, was im Dorf passiert, sind die zahlenmäßig noch in der Mehrheit?
B: [lacht] Nein. Nein, ich glaube, das ist Tradition, das war glaube ich schon immer so und es ändert
sich, glaube ich, nicht so schnell. Ja ich meine, es sind halt die, die politisch so mitreden im Dorf. Die in
180
der Gemeinde sind und so ein sch...., ok [lacht]. Und dann gibt’s eben die normalen Leute, ich meine,
die nur am Wochenende, ich meine, die unter der Woche arbeiten und nur am Wochenende nach Hause
kommen.
I: Also, Pendler?
B: Ja, die sind aber nicht so richtig drinnen. Ich meine, die sind manchmal drinnen, manchmal eben
nicht, die sind eben so die Familienmenschen, die sind so mehr mit der Familie.
I: Spürt man unter den Jugendlichen auch die traditionellen Vorhaltungen Pendler, Arbeiter, Landwirte?
B: Ja, man merkt, ich meine, das ist jetzt sicher ein Vorurteil, aber, also die Bauernkinder haben am
wenigsten Durchblick. Ich mein, die kriegen wohl einen ‘Sitz’ zu Hause. Aber mit denen komme ich am
wenigsten klar, die sind also total überheblich, und wollen wirklich absolut nichts mit den Schülern zu
tun haben, weil wir gehen weg, das ist für die echt nicht richtig.
I: Vielleicht fasse ich jetzt so einiges zusammen. Für Dich ist also das Erlangen der Matura der Weg in
die Stadt?
B: Weg von da, ja, das ist einmal gut. Dann vielleicht studieren oder so [...]. Mir einmal ein anderes
Leben aufbauen, weg von dem Dorf.
I: Dann, das zu machen, was Dich interessiert?
B: Ja, auf jeden Fall.
I: Wenn Du jetzt die Möglichkeit hättest, drei Wünsche zu äußern, die Dein Jungsein am Land betreffen,
was würde Dir dazu einfallen? Was sind für Dich wirklich wichtige Anliegen?
B: Ja, also, daß die Leute uns Schüler mehr akzeptieren, dann, daß es mehr Möglichkeiten zum
Weggehen gibt.
I: Was müßte es da geben?
B: Ja, ich weiß nicht, wenn wir z.B. weggehen, gibt es das `XY´, da muß man so 40 Minuten oder so
fahren, also alles ist weit von da entfernt. Ich meine, mehr Treffpunkte für Schüler und Lehrlinge
überhaupt. Dann, daß da nicht mehr so viele Konflikte wären zwischen Schülern und Lehrlingen, das
wäre schon ein Ziel.
I: Mhm, daß so dieses ‘ausgrenzende’ Denken überwunden wird?
B: Mhm.
I: Gibt’s Berührungspunkte zwischen euch - noch einmal gefragt?
B: Ja, ich meine, wir gehen zu den gleichen Veranstaltungen, aber da sind dann die Schülergruppen, da
die Lehrlingsgruppen, wir können untereinander nichts tun miteinander. Das ist, weil’s so wenige
Möglichkeiten gibt, laufen einem die Lehrlinge auch über den Weg.
I: Glaubst Du, gibt es so die Möglichkeit, daß sich so Szenen herausbilden [-]
B: [lacht]
I: Also, ich meine so Jugendszenen [-] ?
B: Nein, eher nicht. Ich meine, da ist so ein Haufen, der zusammen weggeht, der sich trifft, normale
Schüler und so. Ich meine in Leibnitz ist es schon was anderes, da gibt’s alles mögliche. Punks, Skins
und alles.
181
I: Warum ist das in Leibnitz so?
B: Na ja, weil Leibnitz schon ein bißchen größer ist, nicht mehr ‘Kleinstadt’ , schon ein bißchen größer.
Da ist einfach schon mehr, ich meine, es ist in Mureck auch schon mehr, da gibt’s auch schon ein
paar so radikale Gruppen, aber da in Radkersburg eben nicht.
I: Und - Radkersburg ist ja auch eine Stadt?
B: Na ja, es gibt eben nur das Borg, von der Berufsschule hört man sowieso nie was. In Mureck sind ja
auch schon mehr Schulen, Berufsschule, Kindergartenschule [...] unter dem Jahr ist da mehr los.
I: Glaubst Du, wird dort auch von den Erwachsenen mehr auf die Bedürfnisse der Jugendlichen reagiert
als hier in Radkersburg, in Deiner Schulstadt?
B: Ja, das auch. In Radkersburg ist das so, die machen das meiste Geld mit der Therme und mit den
Touristen. Das sind eben nur Leute über 40 und 50 Jahre, mit den Jugendlichen machen die kein
Geschäft. Deswegen gibt es da einfach nichts! Wenn man z.B. in die Stadt geht, wo geht man da hin?
Ja, gut, man setzt sich in ein Café, da gibt’s vielleicht zwei wo man hingehen kann, dann kann man noch
zum Libro gehen, dann ist man fertig. Ich meine, mehr gibt’s da einfach nicht.
I: Wie müßte das Angebot dann aussehen? Ich meine, abgesehen von mehr Lokalen, das alleine ist
auch nicht alles. Ich meine so, daß es Angebote gibt, wo Du als Jugendliche das Gefühl bekommst - die
nehmen mich auch als eigenständige Person wahr, und denken sich nicht nur, irgendwann werden die
schon erwachsen, da brauchen wir uns nichts überlegen?
B: Ja, in Radkersburg, also eher nicht. Da werden die Jugendlichen, da sind die sowieso eine Minderheit,
die sind ‘halt da und das kann man nicht ändern, da muß man nichts machen, da ist auch nichts
geplant. Ja, jetzt vielleicht wegen der Landesausstellung 1998. Ich meine, daß die da gerade das Thema
Jugendkultur haben, ist irgendwie ein blöder Witz, wenn die das nach Radkersburg bringen, also nach
Radkersburg, also dann schon, wenn man so denkt jeder 10. ist da vielleicht Jugendlicher, wenn
überhaupt, also ist dann schon ein bißchen witzig. Und eben, es gibt überhaupt nichts und die bringen
eine Landesausstellung zu dem Thema, also es ist schon komisch irgendwie. Aber ich meine, wenn es
wenigstens ein bißchen was geben würde. In Leibnitz wäre das schon was anderes, da ist das irgendwie
blöd. Die könnten da irgend etwas mit der Grenze machen, das wäre dann nicht so, also echt blöd.
I: Also, das Thema ‘Jugendkulturen’ ist für Dich nicht ganz o.k., so im Bezug auf das , was
jugendkulturell da möglich ist?
B: Ja, ich meine, vielleicht wollen die da ja irgend etwas machen, während der Dings, aber dann soll
vorher auch schon was sein [...].
I: Mhm, die Forderungen nach Mitsprache, wenn ihr jetzt in, sagen wir, Deinem Dorf zum Bürgermeister
geht und Ideen, die ihr habt, z.B. ihr wollt einen Treffpunkt haben, für eure Interessen, um euch treffen zu
können - was glaubst Du würde der Bürgermeister tun?
B: [lacht] Einen Lachkrampf würde der kriegen, nein, ich meine, es wäre gar nichts. Das wäre nie
möglich, es ist eben entweder Landjugend oder stirb, auf gut deutsch. Also entweder man ist bei der
Landjugend dabei oder man ist gar nichts. Landjugend, das ist bei uns so was wie Eintritt, irgendwie wird
man berechtigt im Dorf. Wenn du da nicht dabei bist, heißt das ‘eh, daß du weggehen wirst, weil ich
kenne keinen einzigen Schüler der da drinnen ist, der nicht weggehen will. Ich meine, die anderen
festigen sich da, weil sie da bleiben werden, weil sie da ein Leben aufbauen und deswegen einfach. Ich
meine das ist in meinem Dorf sicher ganz radikal, meine Freundin wohnt woanders, die haben eine
Landjugend die ist eher offen, das ist einfacher.
I: Also, Dein Dorf ist da ein Härtefall im Bezirk?
B: Ja, es ist so, wenn du in einem Kaff wohnst wo nichts ist, ist es eben schwieriger [...].
182
I: Dein Abschlußsatz zur Jugend am Land, Deine Zusammenfassung?
B: Ja, mmh, ja es gibt eben zwei Möglichkeiten für die Jugendlichen, entweder weggehen oder
dableiben, und das entscheidet dann, wie man sich entwickelt, also wenn man sagt man bleibt da als
Lehrling, dann ist man gleich anders, also von dem Sozialen, vom dem Rundherum, dann wächst man
anders auf auch irgendwie. Das legt sich schon früh fest, das merkt man auch schon in der Hauptschule,
wenn man da schon ein bißchen besser ist, ist man da schon ein bißchen am Rand, eine Randgruppe
irgendwie, das ist einfach so, automatisch.
I: Überspitzt: ‘Intellektuelle als Randgruppe’ - oder wie?
B: Ja, schon so, man hat da nur die Möglichkeit, daß man weggeht.
I: Wirkt sich das, glaubst Du, auch auf die Dörfer aus, wenn alle weggehen, die anstreben, etwas
Höheres, was auch immer das bedeutet, zu machen? Also, wenn die weggehen, die höhere
Ausbildungen machen?
B: Ja, mmh, es wird sich nicht viel ändern und aber ich hab’ nicht so die Kraft, daß ich sage, ich bleibe
da, ich will da etwas ändern. Ich will das einfach nicht, ich will einfach nur weg, das ist bei den meisten
so - die wollen nichts ändern, wir wollen nur weg, deswegen wird sich auch nie etwas ändern, so wird
das bleiben.
I: Gut, danke für das Gespräch, leider müssen wir ja aufhören, weil die nächste Stunde anfängt!
183
Transkription Interview N:
Datum:30.03 1997
Ort: Wohnzimmer der Elternwohnung des Interviewpartners
Zeit: 14.00 - 15.10
Interviewer: Maria - Elisabeth Weber
Interviewpartnerin: Schüler BORG, 19 Jahre
Index: [-]:
[---]:
[...]:
N:
I:
Kurze Sprechpause
Kurze Verzögerung durch störende Intervieweinflüsse
Kurze Verzögerungen im Sprachverlauf (Denkpausen ect.)
Interviewpartner
Interviewer
Interviewverlauf:
I: Gut, das Thema der Diplomarbeit, der Inhalt ist Dir so ungefähr bekannt. Vielleicht sollten wir dann
gleich einmal zu den Fragen übergehen. Du wächst hier im Bezirk Radkersburg auf, ein Bezirk, der nach
seinen Strukturen ein sehr ländlicher ist. Von dem Aspekt her, würde mich einmal interessieren, was für
Dich Land bedeutet, Land als Lebensraum, wie Du das definierst?
N: Ja, Land als Lebensraum ist für mich vor allem einmal in erster Linie Natur, weil ich ein sehr
‘natürlicher’ Mensch bin, irgendwie, von dem her auch einen starken Bezug habe zur Natur. Ich halte
mich auch oft im Freien auf und genieße es, durch einen Wald zu gehen oder so, das ist für mich
hauptsächlich Land. Was so gesellschaftliche Kriterien betrifft, ist für mich eher nebensächlich, ich
meine, ich versuche mit allen auszukommen und von irgendwelchen Klischeegedanken einfach
abzusehen, weil ich mir denke die Leute sind einfach irgendwie alle gleich, ob das am Land ist oder in
der Stadt. Im Grunde zumindest.
I: Dein Definitionszugang ist so die sagen wir ‘Naturdefintition’ . Ich lese Dir jetzt einige Schlagwörter vor,
mittels welcher ländliche Regionen immer wieder beschrieben werden. Land ist Ruhe, Idylle, Erholung.
Auf der anderen Seite heißt es, Land bedeutet in der Landwirtschaft zu arbeiten, Familienbetriebe,
intensive Familienbindungen, Harmonie, Dorfgemeinschaft, keine Anonymität usw. Aber es gibt auch
Zuschreibungen wie bspw. Inflexibilität, Konfliktunfähigkeit, Schwierigkeiten im Umgang mit Fremdem,
mangelnde Kenntnis der Individualität ect. Mich interessiert hinsichtlich dieser Kriterien, wie Du den
ländlichen Alltag beschreibst?
N: Also, ich fang einmal mit der Dorfgemeinschaft an, weil das ‘eh das Hauptsächliche ist. In der
Dorfgemeinschaft ist, was die Individualität betrifft gibt’s da sicher einen Mangel, es gibt da sicher eine
gewisse Inflexibilität, könnte man sagen, aber man sollte das auch nicht nur so negativ sehen, sondern
es ist einfach ein langzeitig gewachsener, sehr enger Gesellschaftsbereich, das Dorfleben, und es ist
‘halt für die Leute nicht so einfach, sich da umzustellen, wenn da neue Einflüsse sind, wenn da was
Fremdes kommt, daß heißt, es erinnert fast irgendwie an eine Familie, wenn da jemand dazu kommt
oder so. Natürlich gibt’s in einem Dorf auch Haß und Streit, das ist ganz logisch und das kommt da eben
viel stärker zum Vorschein, deshalb, weil einfach die Anonymität nicht so da ist wie in der Stadt. Wenn
man in eine Stadt kommt als Fremder oder so, spielt das im Grunde keine Rolle, weil mit dem redet man
nicht viel, oder? Und, sagen wir einmal so, da sieht man sich nicht täglich und kann einfach das gute
Verhältnis ‘wahren’ , leichter als im ländlichen Bereich, glaube ich.
I: Es wird immer behauptet, daß so Dorfgemeinschaften oder ländliche Lebensbereiche bestimmt sind
durch mehr oder weniger nicht ausformulierte, aber doch strikt vorhandene Verhaltensregeln, so Normen,
Regeln, Kontrollen, die nicht ausgesprochen sind, die aber jeder weiß.
N: Ja eben, es ist sicher sehr schwer, etwas Neues hineinzubringen in eine Dorfgemeinschaft, etwas
Ungewohntes. Es sind eben sicher solche Regeln vorhanden, unausgesprochen, und ich glaube aber,
man kann das durchbrechen, man wird auch akzeptiert, wenn man das gemacht hat, man muß das eben
im Laufe der Jahre durchsetzen, es geht eben sicher nicht so schnell.
184
I: Welche Lebensbereiche sind da stärker betroffen als andere? Also Bereiche, wo solche Normen und
Regeln einfach ganz stark sind?
N: Also, in unserem Bereich ist es eben hauptsächlich die Religiosität der Menschen. Das heißt, wenn
man irgendwie andersgläubig ist, geistig irgendwie eine andere Gesinnung hat, kann es so schwer
akzeptiert werden von den Leuten. Irgendwie kann man das aber in einem freundschaftlichen Rahmen, im
Rahmen eines Gespräches, kann man das aber schon durchsetzen. Irgendwie ist auch der Nachbar von
neben, der äußerlich so als primitiv vielleicht sogar erscheint, ein Mensch, und man kann auch mit dem
reden im Grunde, also man muß nur mehr eingehen auf die Leute und das irgendwie durchsetzen mit der
Zeit.
I: Kann es auch sein, daß gerade so diese Normen, Regeln verstärkt im Religiösen und dem Herum zu
finden sind, also Bereiche, die sehr durch Tradition geprägt sind, daß dort eben einfach so traditionelle
Werte und Grundhaltungen in ländlichen Regionen noch ganz verstärkt vorhanden sind, zumindest auf
einer Seite, obwohl man auf der anderen Seite im Zuge der Modernisierungen usw. ja doch vorgibt, und
es auch tatsächlich so ist, daß man auch am Land ein modernes und aufgeschlossenes Leben führt,
dieses auch demonstriert.
N: Ja, es ist sicher so, daß im ländlichen Bereich es viel schwieriger ist, mit neuen Vorstellungen zu
kommen, und ich glaube, daß es das gewachsene Gefüge so schwer macht. In der Stadt ist das
einfach ganz anders, weil im ländlichen Bereich werden kleinere Reibereien, können kleinere Reibereien
noch irgendwie ausgelebt werden. In der Stadt muß es gewissen Regeln geben, gesellschaftliche
Regeln, die, wo eben solche Sachen verhindert werden, größere Streitereien und so etwas. Also, das ist
auch ein wesentlicher Faktor bei der Entstehung der Anonymität in der Stadt, irgendwie. Ich glaube, daß
Konflikte am Land schon ausgetragen werden, eben auf einer anderen Ebene, daß es nicht so emotional
abläuft, einfach als Schutz der Gesellschaft irgendwie, damit das Ganze nicht zusammenbrechen kann.
I: Aber wie schauen dann in so einem Dorf, wenn Probleme vorhanden sind, wie schauen da dann so
typische Konfliktlösungen aus? Wie werden die dann gelöst, ich denke, da ist es doch eher so, nur nicht
reden darüber usw., also eher eine verdeckte Konfliktlösung als eine offene.
N: Ja, es läßt sich sicher nicht abstreiten, daß es in einem Dorf immer wieder Situationen gibt, also
Leute gibt, die das vielleicht gar nie einsehen werden, die darauf beharren auf ihren Meinungen, die zu
überzeugen, daß es auch anders geht, ist, natürlich ganz klar, nicht leicht. Nur, es stimmt schon, aber
man könnte auch sagen, es gibt auch andere Menschen mit denen man redet, also alleine, nicht unter
dem gesellschaftlichen Druck, der doch auch in einem Dorf vorhanden ist, daß man da dann auch solche
Sachen besprechen kann.
I: Was ist in einem ländlichen Lebensmilieu so ganz wichtig, um als ‘normal’ angesehen zu werden? Ich
denke mir, es gibt eben Richtlinien, die eingehalten werden müssen?
N: Ja, das stimmt schon. Es bildet sich eben so eine allgemeine Vorstellung in einem Dorf, die bildet
sich wie eine Regel, wie eine Vorschrift, eine allgemeine Moral und Ethikvorstellung. So was hat in
einem Dorf sicher einmal einen eher einfachen Charakter und das, ist auch das was man dann
Inflexibilität nennen würde.
I: Wie würde das dann konkret aussehen? Vielleicht an einem Beispiel?
N: Ein Beispiel? Was ist ganz konkret wichtig? Ja, ah? Ja, es gibt gewisse politische, vielleicht
politische ist jetzt vielleicht übertrieben, aber ideologische und religiöse Denkrichtungen, die eben total
vorherrschen in einem Dorf, und da aus der Reihe zu tanzen ist eben, wenn man ein ruhiges Leben
führen will, dann sollte man das vermeiden. D.h. z.B. bei uns ist der Katholizismus, ja und wenn man
z.B. die Kirche meidet und irgendwelche andere religiöse Vorstellungen hat, sich dem hingibt, oder sich
in der Hinsicht irgendwie von der katholischen Kirche abspaltet, dann kriegt man das auf jeden Fall zu
spüren im Dorf.
I: Wobei die Kirche aber auch allgemein, also so die Formen des Zusammenlebens prägt, also so im
Sinne von traditionellen Einstellungen [-]
185
N: Ja, das ist in unserem Bereich sogar sehr so.
I: Ich habe zu dem Punkt eine Studie gelesen, von Ilien und Jeggle, die in einem schwäbischen Dorf so
verschiedene Punkte gefunden haben, nach denen sich Hierarchien, Machtstrukturen herausbilden. Ganz
angesehen ist man, wenn man im traditionellen Erwerbssektor tätig ist, wenn man verheiratet ist, wenn
man katholisch ist, wenn man Kinder hat. Ganz weit unten waren geschiedene, alleinstehende Frauen,
Frauen mit Kindern, arbeitslose Männer, Protestanten usw. Wobei das religiöse Bekenntnis eben auch
vertauscht hätte sein können. Wenn Du diese Gedanken auf Dein Dorf umlegst, glaubst Du, daß es da
auch so Bewertungsmuster gibt?
N: Da bin ich mir ziemlich sicher, ganz sicher, das klingt auch ziemlich einleuchtend irgendwie, da sind
sicher Ähnlichkeiten zu dem Dorf hier vorhanden, man könnte eigentlich sagen ziemlich gleich sogar.
I: Aber das sind dann doch so Bereiche, wo es doch für Jugendliche recht schwierig werden kann?
N: Ja, auf jeden Fall.
I: Ich denke mir, daß die ja gerade auf Grund ihrer Einstellungen, Interessen, solche Muster leichter
durchschauen und auch in Frage stellen, weil es ja teilweise auch recht unehrlich ist: weil es kaum
Bereiche gibt, die, wie so ländliche Regionen, ‘Modernisierungswellen’ nicht ausformuliert haben, aber
doch demonstrieren - z.B. mit der vorhandenen Konsumbereitschaft - also wenn man kaufen kann, ist
man modern. Also Symbole der Modernität werden sehr demonstrativ hergezeigt, Häuser sind in den
70ern gleich gebaut worden, gleicher Stil, gleiche Resopal - Einbauküche, trotzdem sind aber
traditionelle Werte und Normen vorhanden. Wie wird so dieser Bereich von Jugendlichen durchschaut aufgrund der anderen Erfahrungen? Das ist jetzt sicher sehr überspitzt formuliert.
N: Da stimmt sicher einiges. Ich kann aber nur für mich persönlich sagen, daß sich das bei mir so im
emotionalen Bereich abgespielt hat, das Ganze. Ich habe z.B. eben ganz spezielle Interessen, da bin
ich von Anfang an auf Widerstand gestoßen, es ist verlacht worden, nicht ernst genommen worden.
Andererseits habe ich so das offensichtlich charakterlose Verhalten der Menschen gesehen, eben so
das Konsumverhalten, und es gibt sicher noch einige andere Sachen, die einem auffallen können. Nur,
ich kann nur von mir persönlich sagen, daß mich das vor allem emotional bedrückt hat, daß man da eine
richtige Wut kriegen kann gegen solche Menschen, und ich finde aber, es ist aber eines von den
Problemen, die es auf der Welt gibt, und die man überwinden muß können. Natürlich wäre das der
Idealzustand wenn man etwas verändern könnte, aber das ist einfach verdammt schwer in dem Bereich.
Das ist in der Stadt, wo sich alles mehr verläuft, eben eher egal, was man macht, hier ist das nicht so
einfach.
I: Vielleicht hier so zum Bereich Jugend. Was hast Du so für eine persönliche Definition von Jugend?
Wie definierst Du diesen Lebensabschnitt?
N: Jugend? Also das hat irgendwie so einen romantischen Anklang, also wenn man einmal davon
ausgeht, daß das so der Zeitabschnitt des Teenagers ist, dann glaube ich, daß die Jugend der
Zeitabschnitt ist, wo man mehr Halt braucht als in einer anderen Zeit. Also in der Kindheit hat man ein
gewisses Selbstbewußtsein, man ist emotional nicht so verwirrt wie in der Jugend. In der Jugend ist man
doch mit so vielen neuen Sachen konfrontiert, es kommen so viele Probleme hinzu, die man eigentlich
schwer bewältigen kann und gerade da braucht man eigentlich den gewissen Halt, den man andererseits
von den Eltern beziehen könnte, der aber andererseits auch abgelehnt wird, weil man einfach erwachsen
wird und weil man das spürt, weil man dann die als Autoritätsperson sieht und sich dann grundsätzlich
von den Eltern fernhält, emotional. So gesehen ist für mich die Jugend eine extrem problematische Zeit,
finde ich, da gerade da, sollte von anderen Leuten ein Feingefühl der Jugend gegenüber gezeigt werden.
I: In Zeitschriften, Artikeln heißt es immer wieder die Jugend, besonders jetzt in der Gegenwart, am Ende
der 90er, ist haltlos, exponiert, zynisch, hedonistisch, konsumorientiert usw. Die Jugend ist die
Generation der Widersprüche, was sagst Du zu diesen Kriterien? Wie weit kannst Du Dich mit solchen
Identifizieren?
186
N: Man kann sagen, also wenn man Jugendliche rein äußerlich betrachtet, also so die Jugendkulturen,
kann man eigentlich auf dieses Resultat hinkommen, aber sonst klingt das viel zu radikal und zwar
deswegen, weil man vieles vergißt dabei. Da man einfach vergißt, daß man einfach in der Jugend viel
weniger Halt hat und viel orientierungsloser ist, gerade da einfach das Verständnis bräuchte, und so
grobe Zuschreibungen einfach nicht stimmen.
[---]
I: Du hast vorhin ‘Widersprüche’ innerhalb der Jugendlichen angedeutet. Kann es nicht auch so sein, daß
diese Widersprüche nicht auch Ausdruck der gesellschaftlichen Zustände sind?
N: Ja, sicher spiegelt sich einiges bei den Jugendlichen wider, das von den Erwachsenen gelebt wird. Ich
könnte jetzt kein Beispiel geben, aber ich glaube, es ist einfach die Konfrontation mit dem
Erwachsenwerden, die heute problematisch ist.
I: Wenn Du das jetzt überträgst auf Deine Jugendsituation im ländlichen Bereich: Wie erlebst Du so Dein
Jungsein im ländlichen Raum, was gibt’s da für Möglichkeiten? Du hast gemeint, es gibt viele
jugendkulturelle Ausformungen, wie weit kann man da seine Interessen verwirklichen?
N: Ja, es ist natürlich so, was die Jugendgemeinschaft betrifft, ist es natürlich etwas problematischer,
eigene Ideen oder andere Ideen zu verwirklichen. Aber man muß eben, wenn man im ländlichen Bereich
aufwächst und eigene Ideen hat, individueller denkt, wenn man die eigene Jugend ausleben will, daß man
dann einfach irgendwie sicherer wird wenn man das durchlebt hat. Es muß eine gewisse
Selbstbehauptung da sein, ich glaube, im ländlichen Bereich erreicht man in der Hinsicht ein besseres
Selbstbewußtsein, glaube ich.
I: Wenn man das durchlebt?
N: Wenn man das richtig durchgemacht hat, kann man fast sagen.
I: Und was sind dann die Schwierigkeiten, gerade im ländlichen Raum, also wenn Du so den ländlichen
Alltag im Hintergrund hast, mit seinen Normen und Regeln, die man einhalten sollte. Es ist ja so, daß
gerade das Hinterfragen von Normen und Regeln den Lebensabschnitt Jugend prägt.
N: Man kann eigentlich, also sehr früh ist man eigentlich noch gewillt, eher das Gleichgewicht zu finden
zwischen der Sympathie zu den Menschen im ländlichen Bereich und zwischen der Einbringung der
eigenen Ideen, irgendwann ist es dann schon anders, wenn man auf Unwillen stoßt, auf Taubheit
irgendwie, auf Scheuklappen. Daß man dann irgendwann, ganz brutal, also einfach heraus schreit, was
einen bedrückt irgendwie, das kann auch sein. Der Widerstand in einem selbst gegen das Rundherum
wächst einfach auch immer mehr und ich glaube, das Beste ist einfach, wenn man das wirklich
durchsetzt , man kommt irgendwann drauf, daß es auch Leute gibt, die einen verstehen wollen und
irgendwann ist man dann auch erwachsen genug, und man sagt, gut, die verstehen es einfach nicht, die
sind einfach zu blöd teilweise.
I: Und was sind es dann für Leute die da eher mehr Verständnis zeigen für das, was ihr macht? Zeichnet
die irgendwas aus, haben die selbst andere Erfahrungen gemacht?
N: Es gibt sicher Menschen, eigentlich sind es eher noch jüngere Frauen, kann man sagen, die ein
größeres Verständnis aufbringen, von der männlichen Seite ist es eigentlich am ärgsten, da irgendwie
durchzukommen.
I: Also, so in der etablierten ländlichen Männerwelt ist das schwerer?
N: Ja, das kann man sagen.
I: Wenn Du jetzt so anschaust, Möglichkeiten der Lebensgestaltung, vielleicht so im Freizeitbereich,
welche Möglichkeiten hat man da, Freizeitinteressen auszuleben? Was macht man in seiner Freizeit?
187
N: Was macht man in seiner Freizeit? Mhm? Man kann, es gibt ein paar Gleichgesinnte, mit denen man
etwas macht, mit denen kann man dann Musik hören oder sich einfach ein bißchen herumtreiben, kann
man sagen und es ist dann irgendwie ein gewisser Reiz dabei, sich mit denen gegen das alles ein
bißchen aufzulehnen. Das ist das Positive dabei, also das jugendliche Erleben, das da dabei ist, also
das Lebensgefühl an sich, das ist es irgendwie, das wird dann noch ein bißchen verstärkt, indem man
rebelliert sozusagen. Das ist der positive Aspekt der Freizeit im ländlichen Raum.
I: Und gegen was rebelliert man dann?
N: Man rebelliert eigentlich hauptsächlich gegen die alten und eingefahrenen Vorstellungen der Leute.
Das wird eben sehr in die Freizeit eingebunden.
I: Was gibt’s dann so an Angeboten, wo man die Freizeit verbringen kann?
N: Na ja, man kann Sport betreiben auf jeden Fall. Es gibt in jedem Dorf einen Fußballplatz, in jedem
dritten Dorf gibt es einen Tennisplatz kann man sagen, daß ist eigentlich ganz praktisch. Man kann da
hauptsächlich auf Sport bezogen was machen, so geistige Sachen muß man eben zu Hause machen,
im Freundeskreis oder so.
I: Mhm, so die Möglichkeiten hinsichtlich eines Vereinsangebotes für die Freizeit? Wie sieht es da aus,
welche Vereine gibt’s da dann konkret?
N: Die Vereine im ländlichen Bereich, so für mich persönlich, spielen keine Rolle, weil sie mich einfach
nicht interessieren. Es gibt da die katholischen Jugend und die Feuerwehr, also die ganzen Vereine sind
irgendwie so geprägt, wenn sie unter dem Titel Jugendverein laufen, daß sie mich nicht interessieren, ich
habe mich immer dagegen gestellt.
I: Wie sind die geprägt?
N: Ja, die zeigen einmal äußerlich Verständnis, die Feuerwehr sicher nicht, also zu den Sachen
individuelleren Gedanken und so. Aber so die katholischen Vereine, da ist es offensichtlich, daß die
einen Erziehungsgedanken dahinter haben, und der kann da nicht so akzeptiert werden von einem
Jugendlichen. Da ist es schwer für einen Jugendlichen, weil der mit seinen Gedanken immer gegen eine
Wand rennt oder eben oft.
I: Vereinsmöglichkeiten sind für Dich überhaupt nicht relevant?
N: Nein, überhaupt nicht. Für jemanden, der anders denkt, vielleicht.
I: Wenn Du Dich mit Deinen Freunden triffst, irgendwann am Wochenende, und dann irgendwas spontan
machen wollt, ist es dann möglich, das dann auch so vor Ort zu tun oder muß man da dann auch in Kauf
nehmen, dafür weiter zu fahren?
N: Ja, es ist eben so, daß es wirklich sehr wenige Treffpunkte gibt, wo man wirklich die interessanten
Leute trifft, mit denen man über alles reden könnte zum Beispiel. So kann man sich, wenn im Dorf eine
Veranstaltung ist, mit den Leuten im Dorf treffen, man kann da auch versuchen, Spaß zu haben, einfach
sich zu amüsieren, das ist aber dann auch das Höchste.
I: Ein wesentliches Kennzeichen Jugendlicher im ländlichen Raum ist ihre Mobilität, z.B. ein Teil der
Freizeit geht dabei schon verloren, weil man irgendwo hinfährt, ständig auf der Suche ist, daß irgend
etwas los ist.
N: Ja, das stimmt sicher, also bei mir ist es auch so, ich muß auch wohin fahren am Wochenende. Ich
muß wohin fahren, daß ich irgendjemanden treffe, mit dem ich mich gut unterhalten kann, also mit dem
ich einen Spaß haben kann, da fahr ich auch so zehn, zwölf Kilometer.
I: Also, es ist ja dann leichter, wenn man einen Führerschein hat und etwas machen kann? Für die, die
jünger sind, heißt es sich was zu organisieren oder zu Hause vor Langeweile sterben?
188
N: Mhm, es ist ja so, daß die, die jünger sind, noch eher fröhlicher sind, noch mehr Lebensgeist haben,
daß die das noch leichter aushalten daheim, sich mit irgendwelchen Leuten unterhalten oder so. Für die
ist es noch leichter, ich glaube wenn man achtzehn ist, den Führerschein hat, wo es eben reeller wird,
daß man weiter wohin fahren kann, daß man das dann auch dringender braucht.
I: So der Bereich Berufe, Schule?
N: Da muß man einfach in Kauf nehmen, daß man weiter fahren muß.
I: Du machst jetzt dann die Matura, was heißt das für Dich?
N: Es wäre so, daß ich irgendwas arbeite, Geld verdiene, dann geht das schon leichter, daß ich
irgendwohin komme, so von wegen Benzin und so, das wäre die eine Möglichkeit, oder ich gehe eben
nach Graz. In einer größeren Stadt kann man sein Leben eben leichter verwirklichen, wenn man
Gleichgesinnte trifft.
I: Glaubst Du, ist es für Schüler und Studenten schwieriger im ländlichen Raum so die Jugendphase zu
durchleben bzw. wie sieht es für Lehrlinge aus, haben die andere Perspektiven und Erwartungen?
N: Lehrlinge? Haben sicher andere Perspektiven, für die meisten, die ich kenne zählt eigentlich das
Geldverdienen und es gibt eher wenige, die eigentlich wirklich was vorhaben für ihre Zukunft. Diejenigen
versuchen eben einen gewissen Status zu erreichen und sich von dort weg eben zu entfalten, die sind
aber eher die Minderheit.
I: Kann es auch sein, das die Lehrlinge in der Wahrnehmung der Erwachsenen ganz anders gesehen
werden als Schüler?
N: Es kann vorkommen. Es besteht so eine gewisse Abneigung gegen Leute, die durch ihre geistigen
Fähigkeiten, durch ihre Interessen dazu prädisponiert sind, z.B. Akademiker zu werden oder einen
höheren Beruf anzugehen. Da besteht sicher eine gewisse Abneigung, einfach vielleicht aus einem
gewissen Mißtrauen heraus, übertölpelt zu werden, aus dem Gefühl heraus, der hat studiert, der weiß
das sicher besser, der will mir das jetzt klar machen, irgendwie. Das ist aber irgendwie ein Mangel an
Selbstbewußtsein.
I: Entsprechen Lehrlinge eher dem Erwachsenen - Image, von dem her vielleicht weniger Konflikte haben,
eben weil sie schon Geld verdienen, so dem traditionelleren Bild entsprechen.
N: Ja, genauso ist es eigentlich. Ich glaube, das traditionelle Bild ist irgendwie ein Vorwand, um die
Gleichgesinnung zu propagieren irgendwie. Es heißt, wenn einer Lehrling ist, dann tanzt der nicht aus
der Reihe, von dem hat man nichts zu befürchten. Man hat nicht zu befürchten, daß der sich einmischen
könnte oder so, der kann den eigenen Vorstellungen nicht im Wege sein.
I: So gesehen ist es für Lehrlinge dann leichter, Wurzeln zu fassen in der Dorfgemeinschaft?
N: Das glaube ich schon.
I: So zwischen Schülern und Lehrlingen, gibt’s da Kontakt zwischen den beiden Gruppen? Oder sind das
eher zwei Gruppen?
N: Auf jeder Seite ist es so, daß es einen Teil gibt, der einfach dumm ist, das muß man sagen, sowohl
auf Seiten der Schüler als auch auf Seiten der Lehrlinge. Es gibt eben wenige, die zueinander Kontakt
suchen, diesen auch aufrecht halten. Da gehöre ich auch dazu, ich verstehe mich prächtig mit vielen
Lehrlingen, die sind auch total super.
I: Da spielen aber auch sicher viele Vorurteile eine Rolle [-]
N: Sicher, aber für mich und einige andere spielt das eben keine Rolle. Weil es mir egal ist, was der ist,
wenn ich einen emotionalen Bezug dazu habe.
189
I: Für Schüler und Studenten kann es sein, nicht nur weil sie ein geringes Berufsangebot vorfinden,
sondern auch weil dieses Mißtrauen ‘Schüler leisten nichts’ dazu führt, daß man leichter weggeht [-]
N: Auf jeden Fall ist ein gewisses Unverständnis da, ein Unwille, eben die Leute so zu nehmen, wie sie
sind, auch solche, die studieren, die andere Ideen haben, da wird es natürlich auch leichter, dorthin zu
gehen, wo man Gleichgesinnte hat.
I: Die Veränderung ländlicher Lebensregionen hat auch damit zu tun, daß die Leute vermehrt höhere
Schulen in Anspruch nehmen, von dem her dann auch Jugendliche da sind die den Lebensraum einfach
kritischer sehen. Gerade Jugendliche die eben in der Stadt zur Schule gehen, im Dorf am Wochenende
sind, daß die eben in einer Zwischenwelt aufwachsen, daß die ganz verstärkt das Lebensmilieu
durchdringen, es auch leichter durchschauen.
N: Mhm, auf jeden Fall glaube ich, daß Leute, die eine akademische Zukunft von sich erwarten und es
auch machen wollen, daß sie, wenn sie am Land aufwachsen, auf jeden Fall einen starken Bezug zum
Land haben, sie sehen aber beide Seiten dann, irgendwo erkennen sie aber die gesellschaftliche
Atmosphäre, die Wärme, die im ländlichen Bereich vorhanden ist, der Bezug zur Natur, zu ihren
ländlichen Wurzeln ist stark da, daß sie dann auch irgendwann zurückkommen, daß sie sich auch
durchsetzen gegen andere, primitivere Gedanken, daß sie es dann auch schaffen Harmonie
einzubringen, weil sie erwachsener sind, Harmonie schaffen zwischen solchen die andere Ideen schwer
akzeptieren können und solchen, die andere Ideen haben, so was muß langsam den ländlichen Raum
durchdringen, das ist ganz gut.
I: Wenn Du jetzt so die Möglichkeit hättest, das Jungsein im ländlichen Raum zu verändern, zu
verbessern, was wäre für Dich da so ganz wichtig?
N: Wichtig wäre vor allem, das Augenmerk weniger auf die berufliche Situation zu verlegen, auf das Geld
verdienen, auf die berufliche Zukunft. Ich glaube, man muß viel mehr Wert legen auf das
Zusammenleben, auf das Verständnis. Man muß vor allem die Regungen fördern, die Gemeinschaft zum
Ziel haben, also solche Gedanken, die sich einfach über berufliche und gesellschaftliche Gedanken
hinwegsetzen und die einfach emotional verbinden, die muß man fördern glaube ich.
I: Und so die Situation für Jugendliche, es ist eventuell sehr schwierig, in einem ländlichen Bereich als
Jugendlicher etwas durchzusetzen. Müßten da vielleicht die Erwachsenen den Jugendlichen, dem
Verhältnis mehr Augenmerk schenken? Es ist so, daß es in vielen Gemeinden nicht gelingt, der Jugend
das richtige Augenmerk zu verleihen, wenn, dann erst dann, wenn es darum geht, Wohnbaukredite zu
bekommen, um junge Familien zu bekommen. Es gibt Gebiete, wo nichts geboten wird für Jugendliche.
N: Ja, das ist schon so. Also ich muß aber sagen, eigentlich ist es fast ein Ding der Unmöglichkeit,
sich als Jugendlicher da durchzusetzen. Wir haben z.B. die Idee gehabt, eine aus dem Dorf und ich, daß
wir eine Gemeindezeitung machen und andere Gedanken rein bringen und so, alles ein bißchen bunter
zu machen, und ja, ich muß sagen, wir sind auf Widerstand gestoßen, massivsten.
I: Wer war das? Wer hat den Widerstand hervorgebracht?
N: Das sind einfach die Leute, ja es sind einfach die gesellschaftlichen Spitzen, es sind die, die im
Establishment an oberster Stelle stehen. Natürlich wenn man das so betrachtet, wie jetzt, sieht man wo
da der Wurm drinnen ist und von der Seite her müßte man eben einen Kleinkrieg riskieren.
I: Aber es müßte doch interessant sein, so wenn ich Bürgermeister bin, daß es Jugendliche gibt, die
sich engagieren?
N: Ja, ich glaube aber, die Bürgermeister in ländlichen Regionen interessieren sich einfach nur für das
Althergebrachte und die wollen das konservieren. Die schauen auf sich selbst auf das, was die Leute
sagen, die wollen da sicher nichts riskieren, einfach aus dem Grund, weil sie keinen persönlichen
Nutzen in den Veränderungen sehen. Die denken ich möchte Bürgermeister sein und eben der große
Macher in dem Dorf.
190
I: Aber die Regionen kämpfen damit, daß die Jugend reihenweise davon geht.
N: Ja, das ist eben ein Beweis dafür, daß eben die Verantwortlichen vieles nicht bedenken. Ich meine,
wenn ich Bürgermeister wäre, was nicht so leicht ist, weil ich dem Gesellschaftsbild nicht entspreche,
wenn ich es wäre, würde ich versuchen, die Jungen einzubinden. Es kommt aber immer darauf an, ob
der (Bürgermeister) mehr auf die Gesellschaft Wert legt, auf seine Stellung oder mehr auf die weite
Sicht, also auch an die Zukunft denkt, oder tiefer denkt einfach.
I: Für Dich so nach der Matura? Hast Du vor, dann wegzugehen?
N: Ja, eigentlich schon. Es ist so, daß ich schon lange einen Ortswechsel bräuchte, das ist aber eher
eine persönliche Angelegenheit, daß ich einfach schon, daß mich eben andere Länder interessieren.
Wenn ich wohin gehe, ins Ausland gehe werde ich, weil ich schon mehrere Male im Ausland war, nach
Skandinavien gehen. Aber eben woanders hin in Europa, ich muß das einfach auch sehen, ich kann
nicht ewig da bleiben.
I: Hast Du vielleicht einen Abschlußsatz? Zum Thema etwas das ich vergessen habe?
N: Ja, ich glaube, daß es grundsätzlich schwierig ist für Jugendliche, sich zurechtzufinden im ländlichen
Raum, oder sich gegen diese konservativen Strömungen zu behaupten und ich glaube, daß es das
wichtigste ist, die Jugend mit allen ihren Nuancen zu durchleben, auch im ländlichen Bereich.
Erfahrungen zu sammeln, irgendwann zu versuchen, sich geistig auf eine gewisse Ebene hin zu
entwickeln und dann, wenn man selbst stabil genug ist, dann wirklich zu versuchen, Harmonie zu
schaffen da zwischen den Menschen, weil geistig verstehen sich die wenigsten kann man sagen und
[-]
I: Was ist das Geistige?
N: Eben das Individuelle, das Politische eben. Auf der emotionalen Ebene ist es aber möglich, Harmonie
zu schaffen zwischen den Leuten.
I: Ist Land jetzt für Dich Ressource oder Defizit für Dein Jungsein?
N: Für mich persönlich? Also ich muß sagen ich möchte keine Minute missen von der Zeit da, in der ich
Jugendlicher bin, keine Minute und keine Sekunde. Allgemein sehe ich das eher positiv.
I: Danke für das Interview!
191
•
Exemplarische Darstellung der Auswertung nach Mayring
Fall
B
N
105
Nr.
3
20
Paraphrase
so 2000 Einwohner oder so
irgend etwas, kleine Dörfer,
der ganze Bezirk ist für
mich Land, die Leute sind
ziemlich einfach, denken
einfach, und wollen keine
Veränderungen in ihrem
Leben, alles soll so bleiben
wie es war, die Jugend hat
so ziemlich keine Chancen
Land als Lebensraum ist in
erster Linie Natur, ich bin
ein sehr natürlicher Mensch,
habe starken Bezug zur
Natur, bin oft im Freien,
genieße es, durch den Wald
zu gehen
Generalisierung
kleine Dörfer mit wenigen
Einwohnern,
einfache Leute, einfaches
Denken,
wenig Veränderungen,
keine Chancen für die
Jugend,
Land als Lebensraum ist
Natur,
Reduktion
Allgemeine
Wahrnehmung des
ländlichen Raumes
hinsichtlich der
Eingangsfrage:
•
•
•
•
11
256
also einmal schnell leben,
alles schnell irgendwie, also
Freundschaften und so sind
schwierig und kompliziert,
B
11
258
meine es stimmt schon,
daß die Jugend sich nicht
mehr so gerne berühren läßt
mit Sachen, überhaupt
Persönliches so von allen
Bereichen, Familie, Freund,
Freundinnen, so wenig als
möglich berühren lassen
Jugend läßt sich nicht gerne
von persönlichen Sachen
berühren,
in der Erwachsenengesellschaft gibt es alle
Widersprüche, dann
spiegelt das bei der Jugend
auch so, eine
Gegenreaktion oder so
Widersprüche der
Erwachsenengesellschaft
spiegeln sich in der Jugend,
•
Jugendkulturen als
Gegenreaktion,
•
Berufsaussichten sind von
Eltern noch beeinflußt
worden, das ist heute
überhaupt nicht so,
Elterngeneration in
Entscheidungen noch von
Eltern beeinflußt worden,
Gegenwart Jugend freier,
•
Jugend hat so einen
Jugend hat romantischen
•
B
N
11
12
108
259
260
313
kleine Dörfer,
Kleinstädte,
wenig
Veränderungen,
Jugend keine
Chancen
Lebensraum
Natur
habe sehr starken Bezug zur
Natur,
B
B
*
Seite
12*
Begriffsdefinition
Jugend:
• Jugend:
schnellebig,
kompliziert,
schwierig,
• Jugend: läßt sich
nicht gerne von
Persönlichem
berühren,
sich vom
Freundes- und Familienkreis
so wenig als möglich
berühren lassen,
•
Gesellschaft:
Widersprüche
zeigen sich in
Jugend
Jugendkultur
Gegenreaktion,
Eltern: noch
Beeinflussung in
Jugend
Jetzt ist Jugend
freier
Jugend:
Seitenzahlen und Zeilennummern beziehen sich auf die Angaben in der Gesamtauswertung
192
romantischen Anklang, vor
allem so der Zeitabschnitt,
des Teenagers, es ist ein
Zeitabschnitt wo man mehr
Halt braucht, man hat nicht
mehr das Selbstbewußtsein
wie in der Kindheit, man ist
emotional verwirrt, man ist
mit vielen neuen Sachen
konfrontiert, es kommen so
viele Probleme, die man
eigentlich nur schwer
bewältigen kann, gerade da
braucht man den Halt, den
könnte man von den Eltern
beziehen, lehnt es aber ab,
weil man einfache
erwachsen wird und die als
Autoritätsperson sieht, sich
dann grundsätzlich
emotional von den Eltern
fernhält,
Anklang, wenn man Jugend
als Zeitabschnitt des
Teenagers sieht,
romantisch
‘Teenager’
Zeitabschnitt, wo man mehr
Halt braucht,
Selbstbewußtsein der
Kindheit ist nicht vorhanden,
emotional verwirrt,
• Jugend:
mehr Halt
emotional
verwirrt,
weniger Selbstbewußtsein
Konfrontation mit neuen
Eindrücken, Problemen,
schwer zu bewältigen kann,
•
Halt von den Eltern könnte
man brauchen, wird aber
abgelehnt, weil Erwachsene
als Autoritätsperson gesehen
werden,
•
grundsätzliche emotionale
Fernhaltung von Eltern,
•
N
108
314
N
108
315
N
108
316
N
108
317
ist eine extrem
problematische Zeit, gerade
da sollte von anderen
Leuten ein Feingefühl
gegenüber der Jugend
gezeigt werden
wenn man Jugendliche rein
äußerlich betrachtet, also
die Jugendkulturen, ist es
zu radikal, weil man vieles
vergißt,
man hat einfach weniger
Halt, ist orientierungsloser ,
man braucht Verständnis
Gesellschaft spiegelt sich in
Jugendlichen wider,
Konfrontation mit dem
Erwachsen werden, das ist
heute problematischer
extrem problematische Zeit,
•
Feingefühl von anderen
Leuten sollte gezeigt werden, •
•
weniger Halt,
orientierungsloser und
braucht Verständnis,
•
•
•
Konfrontation mit
Vielzahl von
Neuem und
Problemen,
Halt von
Autoritätspersonen wird
einerseits
abgelehnt und
andererseits
gebraucht,
emotionale
Fernhaltung von
Eltern als
Grundsatz,
Jugend: extrem
problematische
Zeit,
Feingefühl von
anderen Leuten
fehlt,
Reduzierung auf
äußerliches
Erscheinungsbild
erfaßt Jugend
nicht vollständig,
Jugend:
orientierungslos
braucht
Verständnis,
Jugend:
spiegelt
Gesellschaft
Erwachsen
werden schwierig
193
K1: Wahrnehmung
des dörflichen
Alltages mit
spezifischen
Mustern ländlicher
Lebenswelten:
B
B
B
B
B
194
12
12
12
14
14
34
35
36
37
38
die ältere Generation ist halt
schon so, in meinem Dorf
sind sicher über 50% 50
oder 60 Jahre alt, die wollen
keine Konflikte, die wollen
sich nicht mehr verändern,
die brauchen das nicht mehr
so,
Großteil der Bewohner über
•
50 Jahre alt,
wollen Traditionelles erhalten,
Konflikte und Veränderungen
sind zu vermeiden,
•
ich bin selber nicht in der
Dorfgemeinschaft da
drinnen, es interessiert mich
einfach nicht, es ist alles so
scheinheilig,
nicht integriert in
Dorfgemeinschaft, kein
Interesse, empfinde sie als
sehr unehrlich,
•
die helfen sich zwar die
ganze Zeit immer, aber die
gehen immer auf irgend
jemanden los, es heißt zwar
immer, es ist so schön,
wenn man keine Anonymität
hat, manchmal ist es dann
schon so, wenn man
jemanden nicht grüßt, weiß
das am nächsten Tag das
ganze Dorf,
Hilfe ist zwar gegenseitig
immer vorhanden,
•
Hilfe gegenseitig
vorhanden,
trotzdem sind Konflikte
vorhanden,
•
jemanden nicht grüßen kann
als Verstoß gegen die
Dorfregeln gelten,
•
Konflikte
permanent
vorhanden aber
nicht
ausgesprochen
keine Anonymität
•
Sanktion: jemand
grüßt nicht,
am Land muß man drinnen
sein, wenn man sich von der
Gesellschaft irgendwie
abwendet, über die wird
dann halt viel geredet, es ist
wichtig, daß man drinnen
ist, wer nicht drinnen ist, ist
sowieso irgendwie unten
durch,
Integration, „drinnen sein“
ist am Land wichtig, um zu
vermeiden, daß über einen
geredet wird,
•
Integriert zu sein
ist notwendig, um
im Dorf leben zu
können,
man muß mit den Leuten
fortgehen, also sich treffen,
da sind so Dorffeste und
Veranstaltungen, wenn man
da hingeht und mit den
Leuten redet, und nicht in
irgendeiner Ecke sitzt, oder
so teilnehmen an dem, was
da passiert,
mit den Leuten Kontakt
halten,
an Veranstaltungen
teilnehmen, mit den Leuten
reden,
aktiv teilnehmen, sich nicht
abwenden ist wichtig für die
Integration,
•
wichtig für
Integration:
Kontakt zu
Leuten,
Aktive Teilnahme
am
Dorfgeschehen,
•
Anonymität nicht vorhanden,
viele Bewohner
sind über 50
Jahre alt
Konflikte und
Veränderungen
vermeiden
DG nicht
integriert,
DG wird als
unehrlich
empfunden
nicht „drinnen sein“ bedeutet
unten durch zu sein,
•
•
B
14
39
B
14
41
B
14
42
B
14
42
B
13
43
B
13
44
B
14
45
B
B
13
18
47
48
auch den Einblick ins
Privatleben geben,
es muß einfach alles
stimmen zwischen den
Leuten, man kann nicht
einfach daherkommen und
einfach irgend etwas
meinen,
man muß politisch richtig
sein,
wichtig ist die Stellung der
Frau irgendwo unter dem
Mann, vor allem die alten
Leute sehen das so, bei den
jüngeren ist das nicht mehr
so kraß, aber so ganz wird
es sich nicht ändern
Einblick ins Privatleben
wichtig
Basis zwischen den Leuten
muß stimmen,
•
•
Meinungen, [politisch ect.]
müssen abgestimmt sein,[auf
dörflichen Kontext]
Stellung der Frau der des
•
Mannes zugeordnet,
vor allem die Älteren sehen
•
den Status der Frau noch so,
für Jüngere nicht mehr so von
Bedeutung,
•
Normalität Erwachsenenwelt - richtet
sich nach:
Beruf
Freund [Beziehung ]
Aussehen [nicht zu
ausgeflippt und auffällig]
Normal ist eine Wohnung,
Wohnung [Eigenheim]
ein bestimmtes Alter haben, Alter
unter 16 wirst du sowieso
als Kind angesehen,
in die Erwachsenenwelt
Erwachsenenwelt lebt mit
hineinzukommen ist
eigenen Ansichten,
sowieso schwierig, so mit
Akzeptanz erst mit
den Ansichten akzeptieren
bestimmtem Alter
die sich sicher nie, wenn du neue Ansichten schwer
uralt bist, so mit 30, dann
akzeptiert
schon,
Geld zu haben ist einmal
Geld - materielle Werte sind
wichtig, später einmal eine
wichtig,
eigene Wohnung und Kinder Eigenheim und Kinder
und so irgendwie,
[Akzeptanz]
ein Beruf einmal, wir
Berufsausübung höher
Schüler wissen nicht
bewertet als der Status des
einmal, ob wir überhaupt
Schülers,
einmal einen Beruf kriegen, Schüler ungewisse Zukunft wenn, sicher einmal mit 25 Berufsausübung ist nicht klar
oder so, daß ist dann auch ersichtlich , vor allem erst
nicht sicher,
spät erwartbar,
•
es gibt einmal das
Bauerndorf, ganz was
eigenes, die creme de la
creme, die Oberschicht, die
führen sich auf, das ist
Tradition, das war schon
immer so, ändert sich nicht
so schnell, das sind die, die
•
Normal ist, wenn man einen
Beruf hat, dann einen
Freund, dann ein normales
Aussehen, normal
anziehen, keine
ausgeflippten Haare,
traditionelles Bauerndorf
[Landwirtschaftliche
Produktion] ist die
Oberschicht des Dorfes,
wird sich nicht so schnell
ändern, bestimmen das
politische Geschehen
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Privatleben nicht
verschließen
Basis ‘politische
Meinungen,
religiöse
Haltungen ect.’
auf dörflichen
Kontext
abstimmen
Bereich
Partnerschaft:
Frauen sind den
Männern
zugeordnet,
Sichtweise von
jüngeren
teilweise
durchbrochen
Status richtet
sich nach:
Beruf
Beziehungen
Aussehen
Eigenheim
bestimmtes Alter
Familie
respektive Kinder
Erwachsenenwelt
eigene Strukturen
und Richtlinien
materieller Status
ist von
Bedeutung,
Berufsausübung
höheren
Stellenwert als
Tätigkeit von
Schüler
Schülern
ungewisse
Zukunft
traditionelles
Bauerndorf stellt
Oberschicht,
bestimmt das
politische
Geschehen der
Dörfer,
195
B
18
50
politisch auch mitreden
da gibt es die normalen
Leute, die nur am
Wochenende da sind, die
unter der Woche arbeiten,
die Pendler, die sind da
nicht richtig drinnen, die
sind so mehr mit der
Familie,
Dorfgemeinschaft ist einfach
ein langzeitig gewachsener,
sehr enger
Gesellschaftsbereich, kann
man nicht nur negativ
sehen,
was die Individualität betrifft,
gibt es sicher einen Mangel,
eine gewisse Inflexibilität
könnte man sagen,
natürlich gibt es in einem
Dorf Haß und Streit, da
kommt es eben viel stärker
zum Vorschein, weil einfach
keine Anonymität ist,
‘normalen Leute’, die nur am
Wochenende im Dorf sind,
also Pendler nicht so im Dorf
integriert, stärkere
Familienorientierung als das
andere Dorf,
•
DG langzeitig gewachsener
Gemeinschaftsbereich,
•
DG: langzeitig
gewachsener
Gemeinschaftsbe
reich,
Individualität ist mangelhaft,
wenig flexibel gehandhabt,
•
Individualität hat
wenig Platz
Differenzen der Bewohner
kommen stärker zum
Vorschein, weil es keine
Anonymität gibt,
•
Differenzen sind
deswegen so
stark, weil keine
Anonymität
gewährleistet
werden kann,
Kontaktdichte
löst
Konfrontationen
aus
N
105
183
N
105
184
N
105
185
N
105
186
man sieht sich ständig und ständiger Kontakt ruft
da ist es auch schwerer, die ständige Konfrontationen
Verhältnisse zu wahren,
hervor,
N
106
187
in einem freundschaftlichen
Rahmen eines Gespräches
kann man das aber schon
durchsetzen, der Nachbar
von nebenan, der äußerlich
so primitiv erscheint ist ein
Mensch, mit dem man gut
reden kann, man muß mehr
eingehen auf die Leute,
Konfliktlösung ist eher
verdeckt,
gibt Leute, die es vielleicht
gar nie einsehen werden,
die darauf beharren, auf ihre
Meinung, die zu
überzeugen, daß es auch
anders gehen kann ist nicht
leicht,
wenn man mit jemandem
redet, wo kein
gesellschaftlicher Druck des
Dorfes vorhanden ist, kann
man leichter Sachen
besprechen,
Regeln sind sicher
vorhanden,
unausgesprochen, glaube
aber man kann sie
N
106
188
N
106
189
N
106
190
N
105
191
196
freundschaftlicher Rahmen
läßt es zu, auch mit dem
Nachbarn Probleme zu
diskutieren,
man muß sich Zeit nehmen
um die Leute zu verstehen,
•
•
Pendler - sind
nicht so sehr in
DG integriert,
Familienorientierung
•
Konfliktlösung im
freundschaftliche
n Rahmen,
abseits des
gesellschaftliche
n Drucks,
Konfliktlösung ist eher
versteckt,
•
verdeckte
Konfliktlösung
es gibt Leute, die am
Traditionellen verharren und
ihre Meinungen nicht so
schnell ändern,
•
Verharren in
traditionellen
Meinungen
verhindert
Veränderungen,
•
werden Regeln
durchbrochen, ist
Akzeptanz
möglich
in Gesprächen abseits des
gesellschaftlichen Drucks ist
es möglich, Probleme zu
diskutieren,
Regeln sind
unausgesprochenerweise
vorhanden,
durchbricht man sie einmal,
N
107
192
N
107
193
durchbrechen, man wird
akzeptiert wenn man das
gemacht hat, geht aber
nicht so schnell,
wenn man spezielle
Interessen hat, stößt man
auf Widerstand, wird
verlacht, nicht ernst
genommen,
dann sieht man Leute mit
ihrem Konsumverhalten, wie
sie das Traditionelle damit
umgehen, das charakterlose
Verhalten der Menschen
und einige andere Sachen
die einem auffallen können,
hat man die Möglichkeit,
akzeptiert zu werden,
mit speziellen, abweichenden •
Interessen stößt man auf
Widerstand, Desinteresse,
mit dem Konsumverhalten
wird versucht, das
Traditionelle zu umgehen,
•
das charakterlose Verhalten
der Menschen und andere
Sachen fallen einem aber
trotzdem auf,
emotional kann das
bedrücken,
empfinde Wut dabei,
•
•
•
•
•
spezielle
Interessen lösen
Widerstand und
Desinteresse
aus,
Konsumverhalten
soll das
Traditionelle
umgehen,
Verhalten bleibt
gleich,
N
108
194
das kann emotional
bedrücken, da kann man
eine richtige Wut
bekommen
N
106
195
Tradition häufig im Bereich
Religion und Familie,
N
107
196
N
105
197
Tradition ist hauptsächlich
die Religiosität der
Menschen,
die Kirche prägt das
Zusammenleben der
Menschen,
wenn man irgendwie
andersgläubig ist, irgendwie
anderer Gesinnung ist, wird
man schwer akzeptiert von
den Menschen,
anderer Glauben oder
Meinung wird schwer
akzeptiert,
•
bestimmte
politische,
religiöse
Denkrichtungen
sind
vorherrschend
es gibt politische,
ideologische und religiöse
Denkrichtungen, die eben
total vorherrschen in einem
Dorf, wenn man ein ruhiges
Leben führen will, darf man
da nicht aus der Reihe
tanzen, das sollte man
vermeiden,
bei uns der Katholizismus,
wenn man die Kirche
meidet, sich irgendwelchen
anderen religiösen
Vorstellungen hingibt, kriegt
man das auf jeden Fall zu
spüren im Dorf,
eine allgemeine Vorstellung
wie eine Regel, wie eine
Vorschrift, eine allgemeine
Moral und Ethikvorstellung,
sowas hat einfachen
Charakter und ist das, was
bestimmte politische,
religiöse Denkrichtungen
herrschen vor,
•
Leben ohne
Konflikte heißt
sich den
Meinungen
anschließen,
Katholizismus ist wichtig,
•
andere religiöse
Vorstellungen werden im Dorf
nicht ohne weiteres
akzeptiert,
Region:
Katholizismus,
N
107
198
N
107
199
N
107
200
Verhalten kann
Wut und
emotionale
Bedrückung
hervorrufen,
Tradition
Familie
Religion
Kirche prägt das
Zusammenleben,
will man ein ruhiges Leben
führen, sollte man nicht aus
der Reihe tanzen.
im Dorf bildet sich eine
allgemeine Vorstellung,
Regel, Moral und
Ethikvorstellung bezüglich
des Zusammenlebens
heraus,
•
Dorf: allgemeine
Vorstellung,
Regel, Moral und
Ethikvorstellung
bezüglich des
Zusammenlebens
197
man dann Inflexibilität nennt das bildet den Charakter, der
Inflexibilität des Dorfes,
N
N
107
105
201
248
N
106
250
N
108
251
N
108
252
198
wichtig ist, wenn man in
einem traditionellen
Erwerbssektor arbeitet, ein
gewisses Alter hat,
katholisch ist, Kinder hat,
ist man normal, verdächtig
ist jemand der ledig ist, ein
Kind hat, wo nicht genau
klar ist was der macht, nicht
katholisch ist,
es ist halt für die Leute nicht
so einfach, sich da
umzustellen, wenn da neue
Einflüsse sind, wenn da was
Fremdes kommt, es erinnert
irgendwie an eine Familie,
wenn da jemand dazu
kommt,
es ist schwierig, mit neuen
Sachen zu kommen, weil es
ein so gewachsenes Gefüge
ist,
es wäre der Idealzustand,
wenn man etwas verändern
könnte, aber es ist schwer
in dem Bereich, hier ist es
nicht so einfach,
Veränderungen machen
sich vor allem im
emotionalen Bereich
bemerkbar, wenn man
spezielle Interessen hat,
stößt man auf Widerstand,
wird verlacht, nicht ernst
genommen, dann sieht man
Leute mit ihrem
Konsumverhalten, das kann
einen emotional bedrücken,
da kann man eine richtige
Wut bekommen.
wichtig ist in der
Landwirtschaft zu arbeiten,
ein bestimmtes Alter zu
haben,
katholisch zu sein,
Kinder zu haben,
negativ: ledig, Kinder,
unklarer Beruf, nicht
Katholisch,
Umstellung auf neue
Einflüsse geschieht
langsamer,
•
•
•
•
•
•
,
prägend für das
Dorfes
Arbeit in der
Landwirtschaft,
bestimmtes Alter
Religion
Familie
Kinder
K2: Wahrnehmung
von Brüchen und
Widersprüchen im
ländlichen Alltag:
Neues ist ungewohnt,
•
Neues muß erst in ein
gewachsenes Gefüge
integriert werden
•
Langsame
Umstellung auf
Neues
Neues muß erst
in gewachsenes
Gefüge integriert
werden
Veränderungen wären
wünschenswert, aber sehr
schwer durchzuführen,
Veränderungen machen sich
im emotionalen Bereich
bemerkbar,
•
spezielle Interessen stoßen
auf Widerstand, man wird
nicht ernst genommen,
•
Konsumverhalten drückt die
Veränderung aus,
kann emotional bedrücken,
Wut kann entstehen
•
Veränderungen
im emotionalen
Bereich
bemerkbar
spezielle
Interessen
stoßen auf
Widerstand
Konsumverhalten
drückt
Veränderungen
aus
K3: Möglichkeiten
der individuellen
Lebenslage und bewältigung:
B
20
326
B
21
327
B
16
328
B
17
329
B
17
330
B
17
331
B
17
332
B
15
333
B
16
334
wenn du in einem Kaff
wohnst, wo nichts ist, ist es
eben schwieriger,
es gibt eben zwei
Möglichkeiten für
Jugendliche, entweder
weggehen oder dableiben,
das entscheidet, wie man
sich entwickelt, wenn man
sagt, man bleibt da als
Lehrling, ist man gleich
anders, also vom Sozialen,
vom Rundherum irgendwie,
man wächst irgendwie auch
anders auf,
in der Freizeit kann man
nichts machen, na ja man
kann sporteln,
ich treffe Freunde und wir
gehen ein bißchen fort ,
kleine Dörfer bieten wenig für
Jugendliche,
•
wenig Angebot
für Jugendliche,
Jugendliche haben die
Möglichkeit, zu bleiben oder
zu gehen,
Entscheidung fällt sehr früh,
•
Möglichkeit zu
bleiben oder zu
gehen,
Entscheidung
fällt nach
Pflichtschule,
Lebensbedingungen
verändern sich,
Lehrlinge bleiben
eher,
•
Lehrlinge bleiben eher,
Aufwachsbedingungen
verändern sich,
•
Freizeit bietet im sportlichen
Bereich mehr Möglichkeiten,
•
Freunde treffen und
weggehen,
•
wir treffen uns nach der
Schule, gehen in der
Ballzeit auf Bälle, es gibt
solche für Jugendliche, aber
es ist ein ziemlich geringes
Angebot, aber da sind
immer Leute
Treffpunkt nach der Schule,
Ballzeit bietet Möglichkeiten,
•
spontan kann man nie was
machen, wir müssen immer
organisieren wegen dem
Fahren,
unter der Woche haben die
Schüler einen Lernstreß, da
geht sowieso nichts,
es ist sowieso so, daß wir
dann fertig sind mit der
Schule, ich kenne keinen
Schüler, der sagen würde,
daß er dableiben will nach
der Schule, wollen alle nur
weggehen, schauen, daß
wir die Jahre irgendwie
runterdrehen bis zur Matura
runter und dann weg,
Matura ist so, endlich raus
und weg,
kaum spontane
Unternehmungen
Freizeitaktivitäten müssen
organisiert werden
Schüler sind unter der
Woche mit der Schule
beschäftigt,
Schüler tendieren eher dazu,
nach der Schule die Region
zu verlassen,
wenn man Karriere machen
will, etwas weiterbringen
Karrierewünsche können in
der Umgebung aus der Sicht
•
Angebot generell gering, man
trifft immer die selben Leute,
•
•
•
•
Sport als
Freizeitmöglichke
it,
mit Freunden
Freizeit
verbringen,
Schule
Treffpunkt,
Winter Ballzeit
Möglichkeit FZ
zu gestalten,
geringes
Angebot, immer
selben Leute
spontane
Unternehmungen
selten
FZ organisieren,
Schule dominiert
Woche,
•
Weggehen nach
Schule
•
Matura
Möglichkeit
Region zu
verlassen,
•
berufliche
Wünsche in der
Jahre bis zur Matura werden
‘irgendwie runtergedreht’
Matura ist eine Möglichkeit,
die Region zu verlassen,
199
will, ist da nichts,
B
19
335
B
17
336
B
17
337
N
108
435
N
109
436
N
110
440
N
110
441
N
200
111
442
der Schülerin kaum
umgesetzt werden,
Matura und dann weg, das
Matura als Möglichkeit, die
ist einmal gut, in der Stadt
Region zu verlassen,
ein neues Leben aufbauen, in der Stadt ein neues Leben
weg vom Dorf,
aufzubauen,
manche haben schon den
ohne Führerschein (=
Mopedführerschein, den
Mobilität) ist man sehr
Führerschein haben aber die abgängig,
wenigsten, nicht so das
Geld dazu, müssen uns
immer irgendwohin bringen mangelnde Mobilität ist ein
lasse, das ist dann ein
Problem,
Problem
Führerschein ist schon
wichtig, obwohl wir gehen
dann ‘eh fort mit achtzehn,
machen werden wir ihn
schon, aber es ist nicht
mehr so, wie wenn man ihn
mit sechzehn machen
könnte, das wäre es besser
was die
Jugendgemeinschaft betrifft,
ist es natürlich etwas
problematischer, eigene
Ideen oder andere Ideen zu
verwirklichen,
wenn man im ländlichen
Bereich aufwächst und
eigene Ideen hat,
individueller denkt, muß
man das ausleben, man
wird dann einfach irgendwie
sicherer, wenn man das
durchlebt hat, aber eine
gewisse Selbstbehauptung
ist wichtig um das zu
schaffen,
wenn man jemanden treffen,
will muß man am
Wochenende wohin fahren,
ich fahr sicher so zehn,
zwölf Kilometer,
die Jüngeren sind noch eher
fröhlich, haben noch mehr
Lebensgeist, sie halten es
noch leichter aus daheim,
unterhalten sich mit
irgendwelchen Leuten und
so, wenn man achtzehn ist,
wo es realer wird, daß man
weiter wohin fahren kann,
braucht man das dringend,
man muß in Kauf nehmen,
•
Region nicht
erfüllbar,
nach Matura in
der Stadt neues
Leben aufbauen,
•
Führerschein
Symbol für
Mobilität,
•
Problem
mangelnde
Mobilität,
•
mit sechzehn
wäre
Führerschein
schon optimal,
problematischer, eigene
Ideen und Interessen zu
verwirklichen,
•
schwierig eigene
Ideen/Interessen
zu verwirklichen,
wenn man eigene Ideen
durchlebt, erlangt man
Selbstsicherheit,
•
Ausleben der
Ideen schafft
Selbstsicherheit
•
Selbstvertrauen
ist notwendig
(Ausleben der
Konflikte)
wenn man jemanden treffen,
will muß man fahren,
•
Mobilität in der
Freizeit,
Jüngere halten es noch
leichter aus, können sich
noch leichter mit den Leuten
verstehen,
•
Jüngere
arrangieren sich
leichter mit
Bedingungen im
Ort,
•
Ältere: regionale
Ausrichtung,
Mobilität
Führerschein ist wichtig,
werden ihn machen, obwohl
Schüler mit achtzehn
weggehen werden,
mit sechzehn wäre
Führerschein wichtiger,
wenn man älter ist, muß man
wohin fahren,
•
daß man weiter fahren muß,
notwendig
201
N
N
202
113
113
438
439
grundsätzlich ist es für
Jugendliche schwierig, sich
zurecht zu finden im
ländlichen Raum, sich
gegen die konservativen
Strömungen zu behaupten
und ich glaube, daß es das
Wichtigste ist, die Jugend
mit allen Nuancen zu
durchleben, auch im
ländlichen Bereich,
Erfahrungen zu sammeln,
sich geistig zu entwickeln,
wenn man stabil genug ist,
kann man versuchen
Harmonie zu schaffen da
zwischen den Menschen,
geistig verstehen sich die
wenigsten, kann man
sagen,
für Jugendliche ist es am
Land schwieriger, weil viele
‘konservative Strömungen’
vorhanden sind,
möchte keine Minute
missen von der Zeit, in der
ich Jugendlicher bin, keine
Minute und keine Sekunde,
allgemein sehe ich das
positiv,
sehe es im allgemeinen
positiv, möchte keine Minute
missen,
•
Jungsein vs.
konservative
Strömungen
•
Jungseins mit
allen Nuancen
durchleben
Erfahrungen
sammel, sich
entwickeln und
versuchen,
Veränderungen
zu erwirken,
Jugend mit alles Nuancen
durchleben,
•
man muß auch im ländlichen
Bereich Erfahrungen
sammeln, sich geistig
entwickeln,
wenn man stabil ist, soll man
versuchen, zwischen den
Menschen Harmonie zu
schaffen,
•
Jungsein am
Land im
allgemeinen
positiv,
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