Werkstoffe des Leichtbaus II Moderne Leichtbauwerkstoffe für den Flugzeug- und Automobilbau, den Schienenverkehr sowie den allg. Maschinenbau Prof. Dr.-Ing. Hans-Werner Zoch Dr.-Ing. Axel v. Hehl Wintersemester IWT Bremen Werkstofftechnik 1 Werkstoffe des Leichtbaus II (WiSe) Inhalt Vorlesung „Werkstoffe des Leichtbaus II“ 0. Einführung (Kap. 4 und 5, Teil I) 6. Stähle 7. Aluminium und Aluminiumlegierungen 8. Titan und Titanlegierungen 9. Magnesium und Magnesiumlegierungen 10. Polymere 11. Verbundwerkstoffe und Werkstoffverbunde IWT Bremen Werkstofftechnik 2 Vorlesung „Werkstoffe des Leichtbaus II“ Werkstoffe des Leichtbaus II (WiSe) Leichtbau als interdisziplinäre Ingenieurwissenschaft Festigkeitslehre Konstruktionslehre Leichtbau Werkstofftechnik 1 mm Fertigungstechnik IWT Bremen Werkstofftechnik 4. Leichtbauwerkstoffe im Überblick 3 Werkstoffe des Leichtbaus II (WiSe) 4. Leichtbauwerkstoffe im Überblick Bindungsarten → Kovalente Bindung: → Metallische Bindung: Kovalente Bindung • Äußere Elektronen sind zwischen den Atomrümpfen frei beweglich und halten den Kristall zusammen • z.B. Kristalle aus Fe, Al, Ti, Mg, … • Bei Reaktion teilen sich die Bindungspartner die an der Bindung beteiligten Elektronen (Elektronenpaarbindung) • Stark gerichtete Hauptvalenzbindung • z.B. Diamant, Graphit und Moleküle wie Cl2, H2, CO2, C2H4 … Sekundäre Bindung Metallische Bindung Ionische Bindung → Ionische Bindung: • Bei Reaktion eines Metalls mit einem Nichtmetall werden Elektronen vom Metall auf das Nichtmetall übertragen (Kation bzw. Anion) • Elektrostatische Bindung • z.B. Kristalle aus NaCl, FeO, Al2O3, … IWT Bremen Werkstofftechnik 4. Leichtbauwerkstoffe im Überblick → Sekundäre Bindungen: • Schwache intermolekulare Bindungen wie DipolDipol-Bindungen (VAN DER WALS Bindungen) und Wasserstoffbrücken 4 Werkstoffe des Leichtbaus II (WiSe) → Polymere: Werkstoffkategorien → Metallische Werkstoffe: • I.d.R. weniger starke Bindung wie die kovalente oder die ionische • Wegen frei beweglichen Elektronen hohe elektr. Leitfähigkeit und Wärmeleitfähigkeit • Wegen der ungerichteten Bindung bilden sich dichte Atompackungen in der Kristallstruktur aus • Hohe Duktilität durch Abgleiten der dichtest gepackten Ebenen ohne Änderung des Bindungszustandes Metallische Bindung Kovalente Bindung Polymere Metalle Keramiken • Starke kovalente Bindungen der Makromoleküle in Kettenrichtung (starke Anisotropie der Festigkeit) • Zwischen den Molekülketten wirken 1 bis 2 Zehnerpotenzen schwächere DipolBindungen (Nebenvalenzkräfte) • Dipolkräfte sind entfernungs- und temperaturabhängig • Daher geringer E-Modul, geringe Warmfestigkeit, hohe Tieftemperatursprödigkeit • Ungeordnet verknäulte mit niedriger bzw. regelmäßige angeordnete Molekülketten mit hoher Dipolbindungsdichte • Gute chemische Beständigkeit, elektrische und thermische Isolationseigenschaften Sekundäre Bindung Ionische Bindung → Keramische Werkstoffe: • Mischform aus kovalenter und ionischer Bindung • Bindung mit starken Bindungskräften, die sich ausdrücken in hohem E-Modul, hoher Härte, hohem Schmelzpunkt, hoher chem. Resistenz • Wegen der Abhängigkeit der Bindungsstabilität von der atomaren Geometrie (http://www.keramverband.de/brevier_dt/10/10_1.htm) (Ausrichtung, Atomabstand) sind Keramiken sehr spröde IWT Bremen Werkstofftechnik 4. Leichtbauwerkstoffe im Überblick 5 Werkstoffe des Leichtbaus II (WiSe) Technische Werkstoffe → Metalle und Legierungen Leichtbauwerkstoffe • • • • Eisen und Stahl Aluminium und Aluminiumlegierungen Titan und Titanlegierungen Magnesium und Magnesiumlegierungen Metalle und Legierungen z.B. Stahlcord verstärkte Reifen → Polymere • Thermoplaste (z.B. PE, PP, PEEK**) • Duromere (z.B. Epoxidharze) • Elastomere (z.B. Gummi) Polymere z.B. Stahlbeton Hybride Werkstoffe* → Keramiken Keramiken und Gläser z.B. CFK, GFK, Faserkeramiken • Silikate (Me[SixOy]) • Oxide (z.B. Al-, Ti-, Mg-Oxide) • Nichtoxide (z.B. Carbide, Nitride, Boride) *Verbundwerkstoffe, Werkstoffverbunde und Multimaterialsysteme **Poly-Ether-Ether-Keton IWT Bremen Werkstofftechnik (Quelle: Ashby , Engineering Materials 1) 4. Leichtbauwerkstoffe im Überblick 6 Werkstoffe des Leichtbaus II (WiSe) Leichtbauwerkstoffe Bedeutsamkeit für technische Anwendungen Verarbeitete Masse Verarbeitetes Volumen Wertschöpfung (Quelle: Degischer, Lüftl: http://www.wiley-vch.de/publish/dt/books/bySubjectMS00/ISBN3-527-32372-4/?sID=lilsrihjhsscf6ob2chjtqbk77) IWT Bremen Werkstofftechnik 4. Leichtbauwerkstoffe im Überblick 7 Werkstoffe des Leichtbaus II (WiSe) Technische Werkstoffe 1. → Metalle und Legierungen Leichtbauwerkstoffe • • • • 3. Eisen und Stahl Aluminium und Aluminiumlegierungen* Titan und Titanlegierungen* Magnesium und Magnesiumlegierungen* Metalle → Hybride Werkstoffe* und • Verbundwerkstoffe Legierungen • • 2. (z.B. CFK, GFK, MMC) Werkstoffverbunde Multimaterialsysteme Hybride Werkstoffe → Polymere* • Thermoplaste (z.B. PE, PP, PEEK) • Duromere (z.B. Epoxidharze) • Elastomere (z.B. Gummi) Polymere → Keramiken Keramiken und Gläser • Silikate (Me[SixOy]) • Oxide (z.B. Al-, Ti-, Mg-Oxide) • Nichtoxide (z.B. Carbide, Nitride, Boride) *Vorlesung „Werkstoffe des Leichtbaus II“ (Quelle: Ashby , Engineering Materials 1) IWT Bremen Werkstofftechnik 4. Leichtbauwerkstoffe im Überblick 8 Werkstoffe des Leichtbaus II (WiSe) → Literaturhinweise: • Michael F. Ashby, David R H Jones: Engineering Materials 1. Butterworth-Heinemann Verlag, 2005 • H.-P. Degischer, S. Lüftl: Leichtbau, WILEY-VCH Verlag, 2009 IWT Bremen Werkstofftechnik 4. Leichtbauwerkstoffe im Überblick 9 Werkstoffe des Leichtbaus II (WiSe) 5. Metallische Leichtbauwerkstoffe Dichtespezifische Unterteilung Leichtmetalle Schwermetalle Leichtbauwerkstoffe - Eisen (Fe) IWT Bremen Werkstofftechnik 7,85 g/cm³ 5. Metallische Leichtbauwerkstoffe 10 Werkstoffe des Leichtbaus II (WiSe) Mechanisches Verhalten metallischer Werkstoffe Einordnung Steifer und fester Zug-(/Druck-)stab → Metallische Werkstoffe: • Steifigkeit ist im wesentlichen abhängig von dem metallischen Grundwerkstoff • Festigkeit lässt sich durch Legierungszusätze, Umformung und (Wärme-)Behandlung etc. in weiten Bereichen einstellen → Faserverbundkunststoffe → Polymere (Quelle: Ashby) IWT Bremen Werkstofftechnik 5. Metallische Leichtbauwerkstoffe 11 Werkstoffe des Leichtbaus II (WiSe) Mechanisches Verhalten metallischer Werkstoffe Elastizität: →Elastizitätsmodul: σ Spannungs-Dehnungs-Beziehung (HOOKE‘sches Gesetz): σ= E ⋅ ε σF ,RRp e E (Quelle: Degischer/Lüftl) IWT Bremen Werkstofftechnik 5. Metallische Leichtbauwerkstoffe 12 Werkstoffe des Leichtbaus II (WiSe) Mechanisches Verhalten metallischer Werkstoffe Plastizität: →MOHR‘scher Spannungskreis bei einachsiger Zugbelastung F F σ= A τ = τmax = F σ σ σn = 2 σ2 =σ3 =σmin =0 σ 2 2⋅α α Schubspannungshypothese nach TRESCA für den Beginn des plastischen Fließens: σ1 =σmax =σ 2 ⋅ τmax = σmax − σmin ≥ σF Hauptnormalspannungen σ α= 45° σn F τ τmax σF , R p F σ= A Re F E ε IWT Bremen Werkstofftechnik 5. Metallische Leichtbauwerkstoffe 13 Werkstoffe des Leichtbaus II (WiSe) Mechanisches Verhalten metallischer Werkstoffe Plastizität: →Schubspannung verursacht in günstig orientierten, gleitfähigen Gitterebenen Versetzungsbewegungen F τ σn F Günstig orientierte Gleitebenen F F →Versetzungsbewegung führt zur Verlängerung (plastische Deformation) des Zugstabes (Quelle: Haasen, 1994) IWT Bremen Werkstofftechnik 5. Metallische Leichtbauwerkstoffe 14 Werkstoffe des Leichtbaus II (WiSe) Mechanisches Verhalten metallischer Werkstoffe Plastizität: →Versetzungen sind Träger der plastischen Deformation (Gestaltänderung, Formänderung) Achtung: Verformung = ungewollte Deformation Umformung = gewollte Deformation Beispiel: Gleiten einer Stufenversetzung Gleitebene (Quelle: Bargel/Schulze) IWT Bremen Werkstofftechnik 5. Metallische Leichtbauwerkstoffe 15 Werkstoffe des Leichtbaus II (WiSe) Mechanisches Verhalten metallischer Werkstoffe Plastizität: →Hauptgleitebenen sind die dichtest gepackten Ebenen im Kristallaufbau, da hier nur eine geringe Schubspannung für Versetzungsgleiten (innere „Reibung“) notwendig ist τ τ τ τ →Hauptgleitrichtung ist die Richtung, bei der die geringste Schubspannung auf der Hauptgleitebene für Versetzungsgleiten (innere „Reibung“) aufzubringen ist →Hauptgleitsysteme bestehen also aus Hauptgleitebenen und Hauptgleitrichtungen (Quelle: Bargel/Schulze) IWT Bremen Werkstofftechnik 5. Metallische Leichtbauwerkstoffe 16 Werkstoffe des Leichtbaus II (WiSe) Mechanisches Verhalten metallischer Werkstoffe Plastizität: →Die Anzahl der im Kristall zur Verfügung stehenden Hauptgleitsysteme ist abhängig von der Kristallstruktur a a a a a a a a c a Krz-Kristallstruktur Kfz-Kristallstruktur Hex-Kristallstruktur (c/a >1,63) 6 Hauptgleitebenen mit je 2 Hauptgleitrichtungen = 12 Hauptgleitsysteme 4 Hauptgleitebenen mit je 3 Hauptgleitrichtungen = 12 Hauptgleitsysteme 1 Hauptgleitebene mit je 3 Hauptgleitrichtungen = 3 Hauptgleitsysteme z.B. α-Eisen, ferritische Stähle, z.B. γ-Eisen, austenitische z.B. Magnesium (c/a=1,63) β-Titan Stähle, Aluminium →Die Anzahl zur Verfügung stehenden Hauptgleitsysteme bestimmt die plastische Deformationsfähigkeit eines Werkstoffs (min. 5 unabhängige Systeme für ein beliebige plasische Deformation) IWT Bremen Werkstofftechnik 5. Metallische Leichtbauwerkstoffe Hex-Kristallstruktur (c/a<1,63) 3 Haupt- + 9 Nebengleitsyst. z.B. α-Titan (c/a=1,58) (Quelle: Gottstein) 17 Werkstoffe des Leichtbaus II (WiSe) Festigkeitssteigernde Mechanismen Klassifizierung: →Der Beginn des plastischen Fließens sowie der Verfestigungsverlauf in Kristallen aus technischen Legierungen wird durch verschiedene Mechanismen beeinflusst →Diese Mechanismen basieren auf Wechselwirkungen von Versetzungen mit Hindernissen und führen zu einer Erhöhung der Versetzungsdichte und steigern damit die Festigkeit und Härte Versetzungshindernis Räuml. Dimension 0 1 2 3 Festigkeitssteigender Mechanismus Steuerbarkeit Herstellprozess Gelöste interstitielle oder substitutionelle Fremdatome MK: Mischkristallverfestigung Konzentration u. Größe gelöster Fremdatome Schmelzmetallurgisches Legieren Versetzungen untereinander VS: Versetzungsverfestigung (Kaltverfestigung) Versetzungsdichte (Kalt-) Umformung KG: Korngrenzverfestigung (Feinkornhärtung) (mittlere) Korngröße Art der Hindernisse Korngrenzen Ausscheidungen oder Dispersoide T: Teilchenverfestigung (Ausscheidungs- bzw. Dispersionshärtung) Schematische Veränderung der Fließgrenze σF und der Duktilität A σF A σF cFA A ρ VS Volumenbruchteil, Größe u. Abstand verteilter Teilchen Warmumformung, TMB, Kaltumf. mit Rekristall.-Glühung Wärmebehandlung, mechan. Legieren, Pulvermetallurgie A σF dKG σF A fT (Quelle: Degischer/Lüftl, Bleck, Weißbach) IWT Bremen Werkstofftechnik 5. Metallische Leichtbauwerkstoffe 18 Werkstoffe des Leichtbaus II (WiSe) Festigkeitssteigernde Mechanismen Wirkungsbreite: σF = σ0 + ∆σ VS + ∆σKG + ∆σMK + ∆σT σ0 = Spannung zur Bewegung einer Versetzung in einem ansonsten ungestörten Einkristall (sog. „Reibspannung“) ΔσKG = Korngrenzenverfestigung ΔσMK = Mischkristallverfestigung ΔσT = Teilchenverfestigung Festigkeit log σ ΔσVS = Versetzungsverfestigung VS Gehalt an Hindernissen (Quelle: Bergmann 1989) IWT Bremen Werkstofftechnik 5. Metallische Leichtbauwerkstoffe 19 Werkstoffe des Leichtbaus II (WiSe) Festigkeitssteigernde Mechanismen Reibspannung σ0 : →Die Reibspannung ist die Fließgrenze in Kristallen eines reinen Metalls (ohne durch Legieren hinzugefügte Fremdatome) bei einachsiger Belastung →Das bei Erreichen der Reibspannung beginnende plastische Fließen (plastische Formänderung) ist gekennzeichnet durch einige wenige Versetzungen, die den einzelnen Kristall nahezu ungestört durchlaufen können →Die Reibspannung enthält die sogenannte PEILERLS-Spannung (kritische Schubspannung bei 0 K) und berücksichtigt zusätzlich die durch Temperatur und Formänderungsgeschwindigkeit hervorgerufenen Abhängigkeiten →Sie wird oftmals auch als kritische Schubspannung bezeichnet „PEILERLS-Berg“ (Quelle: Gottstein, Bleck) IWT Bremen Werkstofftechnik 5. Metallische Leichtbauwerkstoffe 20 Werkstoffe des Leichtbaus II (WiSe) Festigkeitssteigernde Mechanismen Versetzungsverfestigung ΔσVS : →Durch das gleichzeitige Behindern und Erzeugen von Versetzungen steigt die Versetzungsdichte in dem unter Spannungsbelastung stehenden Kristall stetig an →Bei Rücknahme der Belastung bildet sich gegenüber der ursprünglichen Fließgrenze einen neue, höhere Fließgrenze heraus →Die mit der Versetzungsverfestigung verbundene Erhöhung der Fließgrenze um ΔσVS ist somit durch die im Kristall vorliegende Versetzungsdichte ρVS nach der Entlastung bestimmt: σ σF = σ0 + ∆σ VS Polykristall (kubisch) mit : ∆σ VS = α1 ⋅ G ⋅ b ⋅ ρ VS Rm σF σB ∆σ VS Rp σR0e und : ρ VS ϕ AB ∆σ VS σ0 VS A VK ρ VS (wobei α1 : Konstante, G : Schubmodul, b : Betrag des Burgers − E Ag l ∑ = σF Vektors, lVS : Versetzungslänge, VK : Kristallvolumen) εϕ Typische Versetzungsdichten: - 1012 cm-2 (kaltumgeformt) - 108 cm-2 (rekristallisationsgeglüht) →Nicht nur die plastische Deformation bewirkt eine Erhöhung der Versetzungsdichte, sondern auch die martensitische Umwandlung von Stahl (-> später mehr) (Quellen: Bleck, Gottstein) IWT Bremen Werkstofftechnik 5. Metallische Leichtbauwerkstoffe 21 Werkstoffe des Leichtbaus II (WiSe) Festigkeitssteigernde Mechanismen Korngrenzenverfestigung ΔσKG : →ΔσKG spiegelt die Erhöhung der Fließgrenze im Polykristall eines reinen Metalls bei einachsiger Belastung aufgrund der Behinderung der Versetzungsbewegung durch Korngrenzen wider →Korngrenzen stellen für Versetzungen unüberwindbare Hindernisse dar →Je feiner die Korngröße ist, desto stärker wirkt die Behinderung der Versetzungsbewegung, desto stärker kommt es zur Verfestigung der Kristallite (sog. Feinkornhärtung) →Die mit der Korngrenzverfestigung verbundene Erhöhung der Fließgrenze um ΔσKG ist somit durch die im Kristall vorliegende (mittleren) Korngröße bestimmt: σ Polykristall (kubisch) σRFm ∆σ VS + ∆σKG Rp σR0e σB σF = σ0 + ∆σ VS + ∆σKG mit : ∆σKG = k HALL-PETCH-Gleichung dKG (wobei k : Korngrenzenwiders tand, dKG : mittlerer Korndurchmesser) E σF σ0 A ∆σ VS dKG ϕ →Die Korngrenzverfestigung ist der einzige Mechanismus, der neben der Steigerung der εϕ A A Festigkeit auch zugleich stets zu einer Erhöhung der Duktilität führt g B (Quellen: Bleck, Gottstein) IWT Bremen Werkstofftechnik 5. Metallische Leichtbauwerkstoffe 22 Werkstoffe des Leichtbaus II (WiSe) Festigkeitssteigernde Mechanismen Mischkristallverfestigung ΔσMK : →Die mit der Mischkristallverfestigung verbundene Erhöhung der Fließgrenze um ΔσMK ist neben der Konzentration cFA der anwesenden Fremdatome somit bestimmt durch • die Verzerrung des Gitters durch die Fremdatome (ausgedrückt durch den mit der Fremdatomkonzentration veränderten Gitterparameter a) • Die Änderung der Versetzungsenergie durch die Fremdatome (ausgedrückt durch den mit der Fremdatomkonzentration veränderten Schubmodul G) σ Polykristall (kubisch) σF = σ0 + ∆σ VS + ∆σKG + ∆σMK mit : ∆σMK = α2 ⋅ G ⋅ c σRFm ∆σ VS + ∆σKG + ∆σ σBMK Rp σR0e E ϕ σF n FA ∆σMK k2 σ0 d(lna) d(lnG) und= : α2 + k1 ⋅ dc dc FA FA (wobei cFA : (atomare) Fremdatomkonzentration) A cFA →DabeiAwird angenommen, dass sich die beweglichen Versetzungen mit unbeweglichen εϕ A Fremdatomen in Wechselwirkung treten →Bei höheren Temperaturen können interstitielle Fremdatome den Versetzungen aber durchaus während der Deformation folgen (PORTEVIN-LE-CHATELIER-Effekt) g B (Quellen: Bleck, Gottstein) IWT Bremen Werkstofftechnik 5. Metallische Leichtbauwerkstoffe 23 Werkstoffe des Leichtbaus II (WiSe) Festigkeitssteigernde Mechanismen Teilchenverfestigung ΔσT : →Im Allgemeinen ist die mit der Teilchenverfestigung verbundene Erhöhung der Fließgrenze um ΔσT bestimmt durch • die Größe der Teilchen (ausgedrückt durch den Radius der Teilchen rT) und • die Menge der Teilchen (ausgedrückt durch den Volumenbruchteil fT der Teilchen) σ σF σF = σ0 + ∆σ VS + ∆σKG + ∆σMK + ∆σT Polykristall (kubisch) Rm σF ∆σ VS + ∆σKG + ∆σσMK + ∆σT 3 2 ∆σT,S ~ γ ⋅ fT ⋅ rT B Rp σR0e ∆σT σ0 A mit : ∆σT = E ϕ Ag AB rT , fT σF εϕ ∆σT,U= G ⋅ b ⋅ fT rT ∆σT σ0 A rT , fT (Quellen: Bleck, Gottstein) IWT Bremen Werkstofftechnik 5. Metallische Leichtbauwerkstoffe 24 Werkstoffe des Leichtbaus II (WiSe) Festigkeitssteigernde Mechanismen Teilchenverfestigung ΔσT : →Dispersionshärtung: • Die bei der sogenannten Dispersionshärtung in die Matrixstruktur eingebrachten Teilchen (Dispersoide) sind i.d.R. weder schneidbar noch plastisch deformierbar, weshalb hier allein der Teilmechanismus „Teilchenumgehen“ zum Tragen kommt σF ∆σT = ∆σT,U σ0 A rT , fT • Durch Dispersionshärtung lassen sich beachtliche Festigkeitssteigerungen erzielen • Je größer der Dispersionsgrad f ist, desto größer wird dieser Effekt T rT • Das Dispergieren erfolgt z.B. durch • mechanisches Legieren der Schmelze (z.B. Sprühkompaktieren von Nano-Partikel haltigen Aluminium-Matrix-Composites) oder durch • Sintern von Pulvermischungen (z.B. pulvermetallurgische Herstellung von Sinterstählen mit hohen Anteilen an Carbiden) (Quellen: Bleck, Gottstein, Weißbach) IWT Bremen Werkstofftechnik 5. Metallische Leichtbauwerkstoffe 25 Werkstoffe des Leichtbaus II (WiSe) Festigkeitssteigernde Mechanismen Teilchenverfestigung ΔσT : →Ausscheidungshärtung: • Während bei der Dispersionshärtung nur der Teilmechanismus „Teilchenumgehen“ stattfindet können bei der Ausscheidungshärtung beide Teilmechanismen in Abhängigkeit vom Teilchenradius zum Tragen kommen ∆σT ∆σT,U ∆σT,U für ∆σT,U ≤ ∆σT,S ∆σT,S ∆σT = ∆σT,S für ∆σT,S ≤ ∆σT,U rT • Die Natur wählt stets den leichteren Weg, weshalb bei kleinen Teilchen das Teilchenschneiden und bei (auch schneidbaren) größeren Teilchen das Teilchenumgehen der günstigere Mechanismus ist • Ausscheidungshärtung erfolgt z.B. • bei Aluminiumlegierungen durch Lösungsglühen, Abschrecken und Warmauslagern, • bei Stahl z.B. durch sogenanntes „Bakehardening“ oder durch eine TMB (Quellen: Bleck, Gottstein) IWT Bremen Werkstofftechnik 5. Metallische Leichtbauwerkstoffe 26 Werkstoffe des Leichtbaus II (WiSe) Festigkeitssteigernde Mechanismen Teilchenverfestigung ΔσT : →Schematischer Verlauf der Ausscheidungshärtung über die Zeit: Teilchenabstand rT Teilchenabstand (freie Versetzungslänge) (freie Versetzungslänge) fT rT fT rT tA ∆σT 1 2 Bereich 1: Teilchenschneiden • Nach Inkubationszeit beginnt aus dem übersättigten Mischkristall das Wachstum der Teilchen an den gebildeten Keimstellen • Mit fortschreitender Entmischung wächst der Radius rT und ebenfalls der Volumenbruchteil fT der Teilchen, wodurch der Abstand der Teilchen immer weiter sinkt • Noch werden die Teilchen von Versetzungen bevorzugt geschnitten Bereich 1: Teilchenumgehen • Die Entmischung ist abgeschlossen, weshalb der Volumenbruchteil der Teilchen sich nicht mehr verändert tA Kohärente Teilkohärente Inkohärente Aussch. Aussch. Aussch. • Die Teilchen beginnen zu koagulieren (Triebkraft: Minimierung der Teilchengrenzflächennergie) • Große Teilchen wachsen auf Kosten kleiner, weshalb der Teilchenradius zu und die Anzahl der Teilchen abnimmt (Mechanismus: OSTWALD-Reifung) • Der Teilchenabstand nimmt wieder zu, wodurch die freie Versetzungslänge wieder größer wird und die Teilchen nun bevorzugt umgangen werden • Der Festigkeitszuwachs nimmt wieder ab (sog. Überalterung) Kohärente Aussch. Teilkohärente Aussch. IWT Bremen Inkohärente Aussch. Werkstofftechnik 5. Metallische Leichtbauwerkstoffe (Quellen: Bleck, Gottstein) 27 Werkstoffe des Leichtbaus II (WiSe) Entfestigungsmechanismen Kategorisierung: →Durch plastischen Deformation steigt die in den Werkstoff eingebrachte Versetzungsdichte und damit die Festigkeit und Härte (vgl. Versetzungsverfestigung) →Der Abbau der Versetzungsdichte und damit die Entfestigung des Werkstoffs ist unter bestimmten thermischen Rahmenbedingungen möglich Kornwachstum σF →Die zeitliche Folge der Entfestigungsmechanismen ist: • Erholung (RV) X : rekristllisierter Gefügeanteil χ : Leitfähigkeit χ • Rekristallisation (RX) XRX • Kornwachstum (KW) RX →Der deformierte Werkstoff ist grundsätzlich nicht im thermodynamischen Gleichgewicht, den ein physikalisches System durch Minimierung der inneren Energie stets anzustreben versucht →Bei niedrigen Temperaturen bleibt dieser ungleichgewichtige Zustand nur deshalb erhalten, weil die im Werkstoff blockierten Versetzungen untereinander im mechanischen Gleichgewicht stehen →Diese mechanische Stabilität lässt sich durch thermische Aktivierung der Versetzungsbewegung überwinden, wodurch entfestigende Wechselwirkungen der Versetzungen möglich werden. (Quellen: Bargel/Schulze, Gottstein) IWT Bremen Werkstofftechnik 5. Metallische Leichtbauwerkstoffe 28 Werkstoffe des Leichtbaus II (WiSe) Entfestigungsmechanismen Erholung (RV): →Bei höheren Temperaturen wird nicht nur die Versetzungsbewegung aktiviert, es gelingt den Versetzungen außerdem die Gleitebenen zu wechseln. Dies geschieht durch • Quergleiten von Schraubenversetzungen, • Klettern von Stufenversetzungen. →Hierdurch werden Wechselwirkungen zwischen den Versetzungen begünstigt und somit zur • Auslöschung von Versetzungen „umgekehrten“ Vorzeichens (Annihilation), • Umordnung durch Besetzung energetisch günstigerer Positionen. →Während bei der Annihilation die Versetzungsdichte reduziert wird, führt die Umordnung zu einer Konzentration der Versetzungen auf Positionen übereinander (sog. Kleinwinkelkorngrenzen (KWKG) ), so dass Zwischenräumen mit versetzungsarmen Subkörnern entstehen →Aufgrund der polygonen Anordnung dieser KWKG (zu einer zellenartige Substruktur) innerhalb eines Kornes wird dieser Umordnungsvorgang auch Polygonisation genannt (Quellen: Bargel/Schulze, Gottstein) IWT Bremen Werkstofftechnik 5. Metallische Leichtbauwerkstoffe 29 Werkstoffe des Leichtbaus II (WiSe) Entfestigungsmechanismen Rekristallisation (RX): →Bei der Erholung verändert sich der Gefügeaufbau im Gegensatz zur Rekristallisation nicht, sie schafft allerdings zumeist erst die Voraussetzung für Korn erneuernde Rekristallisation →Denn bei der Polygonisation kann es innerhalb eines Kornes zur Vereinigung von KWKG kommen, wodurch die Desorientierung dieser Subkorngrenzen zu „echten“ Korngrenzen (sog. Großwinkelkorngrenzen (GWKG)) führen kann →Bildet eine solche GWKG die Grenze zwischen einem versetzungsarmen und einem versetzungsreichen Bereich und hat der versetzungsarme Bereich (Subkorn) eine Mindestgröße, entsteht an dieser Stelle ein Ausgangspunkt (Keim) für die nun beginnende Rekristallisation GWKG RX-Keim →Die GWKG wölbt sich aus und bewegt sich als Rekristallisationsfront durch das versetzungsreiche Gebiet hindurch und „verzehrt“ dabei die Versetzungen auf (starke Entfestigung) (Quellen: Bargel/Schulze, Gottstein) IWT Bremen Werkstofftechnik 5. Metallische Leichtbauwerkstoffe 30 Werkstoffe des Leichtbaus II (WiSe) Entfestigungsmechanismen Rekristallisation (RX): →Breiten sich allseitig Rekristallisationsfronten aus und hat die Rekristallisation schließlich nach Ablauf einer genügend langen (Glüh-)Dauer t das Gefüge zu 100% erfasst, ist ein vollkommen neues, nahezu vollständig entfestigtes Gefüge entstanden σF RV RX XRX KW 100% RX-Keim T = const tRX0 Verfestigtes Gefüge tRX1 t Vollkommen rekristallisiertes Gefüge (XRX=100%) →Das neue, entfestigte Gefüge hat nicht mehr die gleiche Korngröße und Kornform des ursprünglichen, verfestigten Gefüges →Die rekristallisierte Korngröße hängt ab von: • Verfestigungsgrad (und Korngröße) des ursprünglichen Gefüges • (Glüh-)Temperatur und (Glüh-)Dauer (Quellen: IFW Ilmenau, Bargel/Schulze, Gottstein) IWT Bremen Werkstofftechnik 5. Metallische Leichtbauwerkstoffe 31 Werkstoffe des Leichtbaus II (WiSe) Entfestigungsmechanismen Rekristallisation (RX): →Ziele einer Rekristallisationsbehandlung sind • die Verbesserung der Verarbeitungseigenschaften durch Entfestigung (z.B. der Umformbarkeit oder der Tiefziehfähigkeit) • Verbesserung der Gebrauchseigenschaften durch Kornfeinung (z.B. der Duktilität und Zähigkeit sowie die Fähigkeit des Gefüges bei plastischer Deformation zur Korngrenzverfestigung) →Während das erste Ziel auch durch eine Erholungglühbehandlung erreichbar ist, lässt sich das zweite Ziel nur durch eine Rekristallisationsbehandlung erreichen, da nur mit letzterer eine kornfeinende Gefügeveränderung möglich ist: Zeitpunkt tRX0 (XRX=0%) Zeitpunkt tRX1 (XRX=100%) T = const dKG RV RX-Keim RX ϕ↑ tRX0 Zeitpunkt t>tRX1 XRX KW 100% Kornwachstum ϕ↑ tRX1 ist zu vermeiden !!! t (Quellen: IFW Ilmenau) IWT Bremen Werkstofftechnik 5. Metallische Leichtbauwerkstoffe 32 Werkstoffe des Leichtbaus II (WiSe) Entfestigungsmechanismen Rekristallisation (RX): →Möglichkeiten der Rekristallisationsbehandlungen • nach der Kaltumformung durch Rekristallisationsglühen • während der Warmumformung z.B. durch „temperaturgeregeltes Walzen“ oder im Rahmen einer „thermomechanischen Behandlung“ (TMB) →Während die Rekristallisationsglühung im wesentlichen die Rücknahem der Kaltverfestigung und ggf. die Einstellung bestimmter Texturen (Vorzugsorientierung der Werkstoffeigenschaften) zum Ziel hat, haben das temperaturgeregelte Walzen und die TMB in erster Linie eine mit der Kornfeinung verbundenen Festigkeitssteigerung (Korngrenzverfestigung) bei zugleich hohen Duktilitäts- und Zähigkeitseigenschaften zum Ziel. (Quellen: IFW Ilmenau) IWT Bremen Werkstofftechnik 5. Metallische Leichtbauwerkstoffe 33 Werkstoffe des Leichtbaus II (WiSe) Prozesse zur Beeinflussung des Festigkeitsverhaltens Beispiel Schmelzmetallurgie: ∆σMK ↑ ( ∆σT ↑) (Quellen: Henrichshütte, Dillinger Hütte) IWT Bremen Werkstofftechnik 5. Metallische Leichtbauwerkstoffe 34 Werkstoffe des Leichtbaus II (WiSe) Prozesse zur Beeinflussung des Festigkeitsverhaltens Beispiel Warmbandherstellung: ∆σKG ↑ ( ∆σ VS ↓) ∆σKG ↑ ( ∆σ VS ↓) IWT Bremen Werkstofftechnik ∆σT ↑ ( ∆σ VS ↑) ∆σT ↑ ( ∆σ VS ↑) 5. Metallische Leichtbauwerkstoffe (Quellen: SMS Meer, Salzgitter) 35 Werkstoffe des Leichtbaus II (WiSe) Prozesse zur Beeinflussung des Festigkeitsverhaltens Beispiel Kaltbandherstellung: ∆σKG ↑ ∆σ VS ↓ ∆σ VS ↑ ∆σKG ↑ ∆σ VS ↓ ∆σ VS ↑ ∆σ VS ↑ ∆σ VS ↑ IWT Bremen Werkstofftechnik ∆σT ↑ ∆σ VS ↓ 5. Metallische Leichtbauwerkstoffe (Quellen: SMS Meer, Salzgitter, Voest Alpine) 36 Werkstoffe des Leichtbaus II (WiSe) Prozesse zur Beeinflussung des Festigkeitsverhaltens Beispiel Strangpressen: ∆σ VS ↑ (Quellen: SMS Meer, Hiller) IWT Bremen Werkstofftechnik 5. Metallische Leichtbauwerkstoffe 37 Werkstoffe des Leichtbaus II (WiSe) Prozesse zur Beeinflussung des Festigkeitsverhaltens Beispiel Sprühkompaktieren: Forschungsvorhaben: Warmfeste und ultraleichte Al-Basislegierungen durch hohe Anteile nanoskaliger Mg2Si-Ausscheidungen crucible ∆σT ↑ tundish N2 gas atomizer N2 spray cone deposit substrate Source: Mahle GmbH X 400 450 RT X 400 Stress [MPa] 350 X 300 350 200°C 25 µm 250 200 150 300°C 100 X 50 Examples B22 T6: 22 mass-% Mg2Si 0 0 IWT Bremen Werkstofftechnik 5 10 Strain [%] 15 Stress [MPa] 450 X 300 X 250 200 RT 200°C 25 µm 250°C X 270°C 150 X 100 50 300°C Examples B30 T6: 30 mass-% Mg2Si 0 0 5 10 Strain [%] 5. Metallische Leichtbauwerkstoffe 15 38 Werkstoffe des Leichtbaus II (WiSe) → Literaturhinweise: • H.-P. Degischer, S. Lüftl: Leichtbau, WILEY-VCH Verlag, 2009 • H.J. Bargel, G. Schulze: Werkstoffkunde. Springer-Verlag, 2008 • G. Gottstein: Physikalische Grundlagen der Materialkunde. Springer-Verlag, 2007 • W. Bleck: Werkstoffprüfung in Studium und Praxis. Verlag Mainz Wissenschaftsverlag Aachen, 1999 • W. Weißbach: Werkstoffkunde. Vieweg-Teubner-Verlag, 2010 • http://www.lbm.mw.tum.de/fileadmin/JavaAnim/mohrspannung.htm IWT Bremen Werkstofftechnik 5. Metallische Leichtbauwerkstoffe 39 Werkstoffe des Leichtbaus II (WiSe)