Hinter dem Titel des Buches lässt sich ein religiöses Werk vermuten. Dass dem nicht so ist, sollte man jedoch gleich wissen, wenn man den Verfasser liest. Horst-Eberhard Richter ist ein bekannter Psychotherapeut, der sich vor allem mit psychosomatischen Krankheiten befasst. Sein bevorzugtes Sujet ist, dass sich die psychische Gesundheit der Menschen sehr stark auf das Gesellschaftssystem auswirkt. Fehlentwicklungen in der heutigen Zeit führt er dabei auf mittelalterliche Ereignisse zurück. Im Wege einer gewissen Säkularisierung begannen die Zweifel an der Existenz Gottes. Die Furcht von Gott verlassen zu werden, hat dazu geführt, dass der Mensch seine eigene narzisstische Omnipotenz angestrebt hat. Richter liefert dazu einen historischen Rückblick über diese Entwicklung in der Philosophiegeschichte, aber auch in der Psychoanalyse. Im Übermenschen von Nietzsche kommt der nachmittelalterliche Traum, sich die göttliche Allmacht anzueignen, am besten zum Ausdruck. Weil jedoch dessen Philosophie in den Nationalsozialismus mündete, waren anschließend Freud und Marx die neuen Hoffnungsträger, die seit dem Mittelalter angestrebte Omnipotenz zu verwirklichen. Das Streben nach Allmacht führte schließlich zu einer Technisierung der Welt. Schon frühzeitig hat Descartes den Kopf zum führenden Zentrum erklärt und dabei das Herz zurückgedrängt. Dies verstärkte noch Spinoza, der durch eine Abkehr von den Emotionen, von denen wir abhängig sind, die totale Abhängigkeit des Ichs erreichen wollte. Nun kam plötzlich eine Rollenverteilung der Geschlechter ins Spiel. Den Frauen wurden die Gefühle und somit auch die Selbstzweifel übertragen, der Mann konnte – befreit von diesem Ballast – seinen Macht- und Größenwahnsfantasien nachgehen. In der Romantik kam wieder Hoffnung für die Frauen auf, wurde doch die weibliche Gefühlstiefe idealisiert. Dies geschah jedoch nicht, um die Frau aufzuwerten: Der Mann wollte sich die Sensibilität und Gefühlstiefe der Frau aneignen, um seine eigene psychische Unvollkommenheit zu überwinden. Für unser heutiges Zusammenleben zieht Richter daraus den Schluss, dass Männer zugunsten der Frauen ihre Führungsansprüche abtreten müssen, damit die Frau vermehrt ihre Sichtweise in die Gesellschaft einbringen können. Das Streben nach narzisstischer Omnipotenz brachte auch mit sich, dass man das Leid aus der Welt schaffen wollte. Zunächst suchte man für jedes Leid einen äußeren Verursacher, der - und somit das Übel - vernichtet werden sollte, z. B. Hexen, später das Weltjudentum, der Weltkommunismus oder der kapitalistische Staatsapparat. Richter spannt den Boden von der Hexenverfolgung hin zum Nazideutschland, wo man eigene Minderwertigkeits- und Schuldgefühle auf die zu bekämpfenden Vertreter des Bösen, nämlich Träger des Weltjudentums, Träger minderwertigen Erbgutes usw. abwälzte. Auch die projektiven Dämonisierungen in den politischen Auseinandersetzungen der Gegenwart zeigen, dass die innere Nähe unseres Denkens zu Teufelsaustreibungen tatsächlich noch besteht. Deshalb propagiert Richter die Umerziehung, in der wir uns den Mut aneignen, uns als unvollkommen zu akzeptieren und uns mit unserer eigenen Schwäche auszusöhnen. Das Omnipotenzstreben der Menschen hat zu einer hierarchisch aufgebauten Gesellschaft geführt. Diese Hierarchie wirkt sogar in Liebesbeziehungen hinein: So wie Gott über dem Menschen steht, so steht der Mann über der Frau. Ziel einer besseren Gesellschaft muss es deshalb sein, dass diese hierarchischen Strukturen überwunden werden und sich die Menschen durch Empathie auf die Stufen ihrer Mitmenschen stellen. In einer solidarischen Gesellschaft wären wir vom Gotteskomplex geheilt. (ks)