Strategien für hoffnungslose Fälle

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THERAPIE & PROTHETIK I FOKUS
Fokusthema
Parodontologie
Parodontale Regeneration fortgeschrittener Defekte
Strategien für
hoffnungslose Fälle
Ein Beitrag von PD Dr. Stefan Fickl
Zahnerhalt im Grenzbereich stellt eine anspruchsvolle chirurgische Technik
dar, die von unterschiedlichen klinischen Faktoren, zum Beispiel patienten-,
defekt- und verfahrensbezogenen Faktoren abhängig ist. Gerade bei der
Kontrolle dieser technischen und biologischen Faktoren ist die Regenera­tion
auch von ausgedehnten parodontalen Defekten insbesondere um einwurzelige Zähne möglich.
Indizes: GTR-Therapie, Parodontalchirurgie, Regeneration
Fragen zum Patientenfall
Worin lagen die Herausforderungen
beim vorliegenden Fall?
PD Dr. Stefan Fickl: Prinzipiell lag die Schwierigkeit in der fragwürdigen Prognose
des Brückenankers 22. Würde dieser Zahn extrahiert werden, müsste eine komplett
neue Lösung der Regio 21 und 22 angestrebt werden. Im Detail ist jedoch häufig das
Weichgewebe das große Problem. Gerade nach chirurgischen Eingriffen neigt das
Weichgewebe zur Rezession. Dies kann durch den zusätzlichen Einsatz von autologen Bindegewebstransplantaten vermieden werden.
Wie sehen Sie die Prognose des Zahns?
Prinzipiell ist die Prognose des Zahns als gut einzuschätzen. Wissenschaftliche Daten zeigen, dass solche Zähne in über 90 Prozent der Fälle über fünf Jahre parodontal stabil sind. Außerdem ist eine implantatgetragene Lösung bei Verlust des Zahns
nach wie vor möglich.
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THERAPIE & PROTHETIK
Mit der Einführung der dentalen Implantologie haben sich die Behandlungskonzepte für schwer parodontal geschädigte
Zähne gewandelt. In diesem Zusammenhang wird der fragliche Zahn häufig durch
ein „vorhersagbareres“ Implantat ersetzt.
Aufwendige und teilweise technisch hoch
sensitive Verfahren zum Erhalt dieser
Zähne, zum Beispiel GTR-Techniken,
werden nicht angewandt.
Durch den „Implantologiehype“ geht
manchmal unter, dass sich auch die Erfolgsraten der parodontalen Regeneration in den vergangenen Jahrzehnten
dramatisch verbessert und die Komplikationsraten verringert haben, sodass heute
viele parodontal schwer vorgeschädigte
Zähne erhalten werden können. Gerade die Gruppe um Cortellini und Tonetti
konnte diese Komplikationsanfälligkeitsrate durch eine Serie von Publikationen
deutlich reduzieren, in dem sie einer
evidenzbasierten Strategie folgten [3].
Dieses in 15 Jahren entwickelte Konzept
beruht auf der Kontrolle von patienten-,
defekt- und verfahrensabhängigen Faktoren, zum Beispiel eine optimale individuelle Patientensituation durch suffiziente
Vorbehandlung mit geringen Plaque- und
Blutungsindizes und ohne Nikotinabusus.
Zudem scheint besonders die Anwendung
verfeinerter OP-Techniken in Verbindung
mit minimalinvasiven Lappenpräparationen ein Schlüsselelement für vorhersagbare parodontale Regeneration bei
minimaler Komplikationsrate zu sein.
Kompletter primärer interdentaler Lappenschluss und folgende primäre Heilung
konnten bei der Anwendung mikrochirurgischer Techniken auf über 90 % der Fälle
gesteigert werden [2,3,14].
Dieses Verfahren scheint jedoch Limitationen bei mehrwurzeligen und insbesondere schwer furkationsgeschädigten
Zähnen aufzuweisen. Die parodontale Regeneration von Molaren mit Furkationsbefall ist nach wie vor ein schwieriges klinisches Vorgehen und zeigt eine geringe
Vorhersagbarkeit bei hohem operativem
Aufwand. Jepsen und Mitarbeiter verdeutlichten in einer Metaanalye, dass nur vier
von 58 behandelten Furkationen durch
GTR-Techniken komplett geschlossen
werden konnten [8]. Die Extraktion und
Implantation bei schwer furkationsbefal-
lenen Zähnen, bei denen durch andere
Maßnahmen keine Entzündungsfreiheit
herzustellen ist, kann daher in diesen Indikationen klinisch sinnvoll sein.
Ganz anders sieht die Situation jedoch bei
einwurzeligen Zähnen aus. Hier zeigen
klinische Studien und Übersichtsarbeiten
klar auf, dass sogar hoffnungslose Zähne
durch eine umfangreiche parodontale
Behandlung auch langfristig erhaltungswürdig sind [1,5]. Dies ist auch deswegen
von Bedeutung, da sich gerade in letzter
Zeit in der wissenschaftlichen Literatur
herausstellt, dass Patienten mit einer
parodontalen Vorgeschichte ein deutlich höheres Risiko für periimplantäre
Entzündungen aufweisen [11]. Ziel dieses Fallberichts ist es, Möglichkeiten der
parodontalen Therapie um einwurzelige
Zähne aufzuzeigen und die Erfahrung des
Autors zur Verbesserung der Vorhersagbarkeit dieser häufig komplexen Eingriffe
darzustellen.
für eine komplikationslose Einheilung
des regenerativen Materials mit geringer
postoperativer Schrumpfung [6].
Grundsätzliche Überlegungen
Verbesserung der Wundheilung
Gerade bei ausgedehnten parodontalen
Defekten muss eine großflächige chirurgische Darstellung erfolgen. Lange Zeit wurde gänzlich auf vertikale Entlastungsinzisionen verzichtet und horizontal über die
Nachbarzähne entlastet. Dies führte häufig zu einer hohen Traumatisierung der
Lappen während des Abhaltens insbesondere bei tiefen Defekten. Nach Erfahrung
des Autors eignet sich in diesen Fällen
eine singuläre vertikale Entlastungsinzision, die leicht konvergierend gestaltet ist,
deutlich besser zur Darstellung des Operationsfelds. Durch den Verzicht auf die
normal übliche zweite Entlastungsinzi­
sion wird die Blutversorgung des Lappens
kaum eingeschränkt und die Wundheilung
begünstigt.
Trotzdem muss die Blutversorgungssituation und die Heilungstendenz dieser
Lappen als kritisch eingeschätzt werden.
Daher sollten zur weiteren Verbesserung
der Wundheilung lokale Adjuvantien
angewendet werden. Am besten wissenschaftlich dokumentiert sind SchmelzMatrix-Proteine [12] oder ein autologes
thrombozytenreiches Plasma [4]; beide
können nachweislich die Heilung beschleunigen und verringern die Wundheilungsdauer. Ein ebenfalls interessanter Ansatz
Über die vergangenen Jahrzehnte haben sich einige kritische Aspekte bei der
GTR-Therapie von parodontalen Defekten
herausgestellt. Zusätzlich zu den wissenschaftlich gut dokumentierten Erfolgsfaktoren wie Entzündungsfreiheit, Defektkonfiguration und Wahl des geeigneten
regenerativen Mediums [13] können die
folgenden Überlegungen Schlüsselfaktoren bei der Regeneration ausgedehnter
parodontaler Defekte sein.
Mikrochirurgische Arbeitsweise
Die Anwendung eines mikrochirurgischen Konzepts kann gerade bei paro­
dontalchirurgischen Eingriffen von
großer Bedeutung sein, da hier häufig
Lappen mit geringer Blutversorgung in
ästhetisch kritischen Bereichen, zum
Beispiel im Papillenbereich, gehoben
und wieder readaptiert werden müssen.
Untersuchungen weisen nach, dass durch
eine papillenerhaltende Schnittführung
primäre Wundheilung vorhersagbar erzielt werden kann, ganz im Gegensatz zu
traditionellen Techniken, zum Beispiel
einem modifizierten Widman-Lappen
[10,7]. Primäre Wundheilung ist eine
der entscheidenden Voraussetzungen
Verwendung von autologen
Bindegewebstransplantaten
Trotz verfeinerter Lappentechniken
muss gerade bei umfangreichen und
tiefen parodontalen Defekten mit einer
massiven postoperativen Weichgewebsschrumpfung gerechnet werden. Dies
kann das regenerative Ergebnis negativ
beeinflussen und sorgt in der Folge für
eine geringe Patientenakzeptanz dieses
Eingriffs, Wurzelhypersensitivitäten sowie Schwierigkeiten bei der suffizienten
Mundhygiene in diesem Bereich. Durch
die zusätzliche Anwendung von sub­
epithelialen Bindegewebstransplantaten
scheint eine Stabilisierung des Blutkoagulums zu erfolgen und kann die postoperative Weichgewebsschrumpfung nahezu
ausgeglichen werden.
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1 Ausgangssituation nach parodontaler Vorbehandlung I 2 Tiefe Sondierungstiefe an Zahn 22 I 3 Die radiologische Situation zeigt einen
vertikalen Knochendefekt
04
05
4 Nach der Aufklappung zeigt
sich der vertikale Knochen­
defekt mit einer bukkalen De­
hiszenzbildung I 5 Applikation
eines xenogenen Knochener­
satzmaterials in Verbindung mit
einer nativen Kollagenmembran
06
sind Hyaluronsäurepräparate [9]. Diese
synthetischen Materialien zeigen eine gute
Verbesserung der Wundheilung, sind kostengünstig und besitzen keinerlei Risiken,
da sie aus synthetischer Herstellung sind.
Immobilisierung der betroffenen Zähne
Eines der Grundprinzipien der Regeneration im Körper ist die Stabilisierung der
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07
Wunde. Wikesjö et al. konnten klar zeigen,
dass es immer zu einer Ausbildung eines
langen Saumepithels kommt, wenn das
nach Wundverschluss gebildete Fibrinnetzwerk künstlich gestört wird. Dies kann
verhindert werden, wenn das Blutkoagulum stabilisiert gehalten wird [15]. Gerade
bei parodontaler Regeneration kommt es
durch den betreffenden Zahn, der auf-
6 Zusätzliche Verwendung
eines autologen Bindegewebs­
transplantats I 7 Definitiver
Nahtverschluss
grund der Vorschädigung häufig größere
Lockerungen aufweist, zu ständiger Bewegung auf das gebildete Blutkoagulum.
Es ist daher wichtig, die zu behandelnden
Zähne rigide mittels Säure-Ätz-Technik
und, wenn nötig, weiteren stabilisierenden
Maßnahmen, zum Beispiel Polyethylen­
fasern, mit den Nachbarzähne für wenigstens sechs Wochen zu schienen.
THERAPIE & PROTHETIK
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8 Die Röntgenkontrolle veranschaulicht die Auffüllung des Defekts I 9 & 10 Komplikationslose Heilung nach sieben Tagen
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Falldarstellung
Ein 60-jähriger Patient stellte sich im
Rahmen der regulären unterstützenden
Parodontaltherapie (UPT) zum jährlichen
Parodontalbefund mit einer tiefen Sondierungstiefe mesial von Zahn 22 vor (Abb. 1
und 2). Die radiologische Situation zeigte einen tiefen vertikalen Knochendefekt
(Abb. 3). Eine Lockerung war aufgrund
der Brückenversorgung nicht vorhanden.
Nach eingehender Vorbehandlung erfolgte die Aufklappung und Darstellung der
knöchernen Defektsituation mittels eines
modifizierten Papillenerhaltungslappens
sowie einer vertikalen Entlastungsinzision im distalen Bereich. Es zeigte sich
ein tiefer zweiwandiger infraalveolärer
Defekt (Abb. 4). Die Regeneration wurde
im vorliegenden Fall mit einem xeno­
genen Knochenersatzmaterial (Bio-Oss,
Geistlich Biomaterials) und einer nativen
11 Nach vier Jahren zeigen sich gesunde parodontale Verhältnisse
mit geringer postoperativer Rezession, … I 12 … eine Reduktion
der Sondierungstiefe … Kollagenmembran (Bio-Gide, Geistlich
Biomaterials) durchgeführt (Abb. 5). Zur
Vermeidung von postoperativen Weichgewebsrezessionen wurde zusätzlich ein
sub­epitheliales Bindegewebstransplantat
im bukkalen Bereich eingelegt, welches
mit einem Hyaluron­säure­prä­parat (Hya­
dent, Regedent) konditioniert wurde
(Abb. 6). Der Nahtverschluss erfolgte
atraumatisch mit einer nicht-resorbierbaren, monofilen Naht (Abb. 7). Der
Heilungsverlauf gestaltete sich unproblematisch mit primärer Wundheilung
im für die Regeneration wichtigen interproximalen Bereich (Abb. 8 bis 10). Nach
vier Jahren zeigt sich eine gut ausgeheilte
Situation mit geringem Gewebsverlust im
Vergleich zur Ausgangssituation und einer
Reduktion der Sondierungstiefe (Abb. 11
und 12). Das radiologische Bild zeigt eine
Auffüllung des ehemaligen parodontalen
Defekts (Abb. 13).
13 … sowie die Auffüllung des parodontalen
Defekts
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THERAPIE & PROTHETIK I FOKUS
Fazit
Trotz des vorhersagbaren Erfolgs von
implantatgetragenem Zahnersatz ist der
Erhalt fraglicher Zähne nach wie vor eine
wichtige Therapiemöglichkeit. Gerade
bei einwurzeligen Zähnen haben sich die
Techniken stark verbessert, sodass heute
ähnliche Erfolgsraten wie mit Implantatfixturen erzielt werden können.
Es besteht kein Interessenskonflikt.
Literaturverzeichnis unter
www.teamwork-media.de/literatur
Der Autor
PD Dr. Stefan Fickl absovierte von 1998
bis 2003 das Studium der Zahnmedizin
an der Friedrich-Alexander-Universität in
Erlangen-Nürnberg. Die Promotion erfolgte
im Jahr 2004 an derselben Universität.
Im selben Jahr war er als Assistenzarzt
in der Privatpraxis von Dr. Wolfgang Fickl
tätig. Von 2004 bis 2007 nahm Dr. Fickl am
Postgraduiertenprogramm zum Spezialisten für Parodontologie bei Dres. Bolz,
Wachtel, Hürzeler, Zuhr teil. Seit 2007
ist er Spezialist für Parodontologie der
Deutschen Gesellschaft für Parodontologie
und übt seit 2007 den Tätigkeitsschwerpunkt Implantologie (DGI) aus. Von 2007
bis 2009 war Dr. Fickl Assistant Professor
am Department of Periodontology and
Implant Dentistry (Direktor: Dr. D. Tarnow),
New York University, New York. Im Jahr
2008 wurde ihm der NYU International
Fellowship Award (Biomet 3i) und der Implantatforschungspreis der DGP verliehen.
Seit Oktober 2009 ist Dr. Fickl Oberarzt an
der Abteilung für Parodontologie (Leiter:
Prof. Dr. Ulrich Schlagenhauf) der JuliusMaximilians-Universität Würzburg. Im Jahr
2011 erfolgten dort die Habilitation und
die Erteilung der Venia Legendi. Dr. Fickl ist
stellvertretender Vorsitzender der APW,
Ressortleiter Bereich Parodontologie im
Journal teamwork, im Beirat zahlreicher
Fachzeitschriften, internationaler Referent
in den Bereichen Implantologie und Parodontologie sowie Verfasser von mehr als
50 Publikationen und Buchbeiträgen.
Kontakt
PD Dr. Stefan Fickl
Oberarzt
Abteilung für Parodontologie
in der Poli­klinik für Parodontologie
und Zahnerhaltung
Universitätsklinikum Würzburg
Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Pleicherwall 2
97070 Würzburg
Fon +49 931 20172530
[email protected]
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FIRMA
Hyaluronsäurepräparat
Hyadent
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Bio-Oss
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