Vorlesung Spektroskopie – Sommersemester 2001 – Prof. Dr. W. Knoche 1.1. Wiederholung Klassische Physik Mechanik Die Lage und Gestalt eines Moleküls aus N Atomen kann durch die 3N Koordinaten der beteiligten Atome angegeben werden. Die Bewegung des Moleküls ist entsprechend durch 3N Geschwindigkeitskomponenten der Atome festgelegt. Die Anzahl der Freiheitsgrade ist die Anzahl verallgemeinerter Koordinaten, die zur Festlegung von Lage und Gestalt des Moleküls angegeben werden müssen, also 3N. Transformation der 3N Atom-Koordinaten auf 3N Molekül-Koordinaten: ! Die Lage des Schwerpunkts ( rS ) wird durch 3 Koordinaten eindeutig bestimmt. Auf die ! ! Translation des Moleküls (Geschwindigkeit vS = d rS / dt ) entfallen also 3 Freiheitsgrade. Die Orientierung des Moleküls im Raum kann durch die Angabe von 3 Winkeln ( Ψ , Φ, Θ ) festgelegt werden, die z. B. die Lage der 3 Hauptträgheitsachsen bezüglich eines äußeren Koordinatensystems definieren (bei linearen Molekülen genügen 2 Winkel). Auf die Rotation des Moleküls (Winkelgeschwindigkeiten ωΨ, ωΦ, ωΘ) entfallen daher ebenfalls 3 Freiheitsgrade (bei linearen Molekülen 2 Freiheitsgrade). Die Abstände zwischen den Atomen werden bei nichtlinearen Molekülen durch (3N-6), bei linearen Molekülen durch (3N-5) innere Koordinaten beschrieben. Auf die Schwingungen (zeitliche Änderungen der inneren Koordinaten) entfallen daher (3N-6) bzw. (3N-5) Freiheitsgrade. Translation (eindimensional in x-Richtung) Masse: m = ∑ mi Rotation (um eine Trägheitsachse Winkel Φ) Trägheitsmoment: IΦ = ∑ mi ⋅ ri 2 i i ri : Abstand von der Rotationsachse Lage des Schwerpunkts: ∑ mi (x i − xS ) = 0 Orientierung: Φ i Geschwindigkeit: vx = dx dt Winkelgeschwindigkeit: ωΦ = dΦ = 2πν Φ dt νφ: Rotationsfrequenz Impuls: Kraft: px = m ⋅ vx Drehimpuls: dp x dt Drehmoment: Fx = Translationsenergie: 1 E x = m ⋅ v 2x 2 J Φ = IΦ ⋅ ω Φ MΦ = dJ Φ dt Rotationsenergie: 1 2 EΦ = IΦ ⋅ω Φ 2 1 Vorlesung Spektroskopie – Sommersemester 2001 – Prof. Dr. W. Knoche ! Der Ortsvektor des Schwerpunkts rS wird bestimmt durch ! ! ! ! ! ∑ mi (ri − rS ) = 0 bzw. ∫ ρ (r ) (r − rS ) dV = 0 i ! bei einer Anordnung von Punktmassen mi an Orten ri bzw. einer Massenverteilung mit ! Massendichte ρ (r ) . Schwingungen lassen sich häufig näherungsweise durch harmonische Schwingungen beschreiben. Für diese gilt ein lineares Kraftgesetz (Hookesches Gesetz), das für ein zweiatomiges Molekül aus Atomen der Massen mA und mB im Abstand x = ( x A − x B ) folgende Form hat: Fx = −k ( x − xe ) mit xe als Gleichgewichtsabstand der Atome und k Kraftkonstante. Daraus folgt für die potentielle Energie: V ( x) = V ( x = xe ) - x - xe ∫ Fx dξ = 0 1 2 k ⋅ ( x − xe ) 2 Aus Newtons Gesetz folgt die Schwingungsgleichung k ( x − xe ) = − µ d 2 ( x − xe ) dt 2 oder x − xe = X 0 ⋅ sin (ω t ) mit der Winkelfrequenz ω = k / µ und der reduzierten Masse µ = mA m B mA + m B Für mehratomige Moleküle werden die Normalschwingungen gesucht, für die gilt k ⋅ρ = − µρ ⋅ d2ρ dt 2 mit den Normalkoordinaten ρ und den zugehörigen reduzierten Massen µρ. Gleichverteilungstheorem: 1 kT .“ 2 D.h. jeder in Ort, Impuls etc. quadratische Term in der Energiefunktion trägt zur Energie des 1 Ensembles mit kT pro Molekül bei. 2 „Im thermischen Gleichgewicht enthält ein quadratischer Freiheitsgrad die Energie 2 Vorlesung Spektroskopie – Sommersemester 2001 – Prof. Dr. W. Knoche Wellengleichung: Für stehende Wellen A = A0 sin(2π x / λ )sin(ω t ) Für fortlaufenden Wellen A = A0 sin[ω (t − x / c)] A0 : Amplitude, λ : Wellenlänge, ω : Winkelfrequenz, c: Phasengeschwindigkeit der Welle Braggsche Beziehung: Beugung an Kristallgittern n ⋅ λ = 2 ⋅ d ⋅ sinθ d: Netzebenenabstand, θ : Glanzwinkel, n=1,2,... 3 Vorlesung Spektroskopie – Sommersemester 2001 – Prof. Dr. W. Knoche 1.2. Versagen der klassischen Physik Schwarzkörperstrahlung, Wärmekapazitäten bei tiefen Temperaturen und Linienspektren von Atomen und Molekülen können durch die klassische Physik nicht erklärt werden. Weitere klassisch unverständliche Phänomene: Photoelektrischer Effekt (Herauslösen von Elektronen aus Metallen durch Licht) Ekin = h ⋅ν − Φ Me kinetische Energie der Photoelektronen, Φ Me : Austrittsarbeit führt zur Energie des Photons: E = h⋅ν Mit h = 6.626 ⋅10-34 Js, Plancksche Konstante. Compton-Effekt (Streuung von Röntgenstrahlen an nahezu freien Elektronen) λ −λ' = h me ⋅ c (1 − cos θ ) Wellenlängendifferenz zwischen einfallender und gestreuter Strahlung ist winkelabhängig h ist die Comptonwellenlänge des Elektrons me ⋅ c führt zum Betrag des Impulses des Photons: ! h p= p = λ Der Betrag des Drehimpules des Photons (Spinquantenzahl 1) folgt aus spektroskopischen Messungen: J = 2 h =" 2 2π Relativistische Masse des Photons: m = E , c2 Ruhemasse: m0=0. 4 Vorlesung Spektroskopie – Sommersemester 2001 – Prof. Dr. W. Knoche Schwarzkörperstrahlung Schwarzer Körper: Hohlraum (mit Volumen V), dessen Wände sich im thermischen Gleichgewicht mit der elektromagnetischen Strahlung im Hohlraum befinden. Jede mögliche stehende Welle repräsentiert einen quadratischer Freiheitsgrad, der daher nach der klassischen Theorie (Schwingungen zählen doppelt) mit kT zur Inneren Energie beiträgt. Anzahl δN der orthogonalen stehenden Wellen im Bereich λ bis λ + δλ δN = 8πV ⋅ δλ λ4 Daraus folgt die Energie im Wellenlängenbereich λ bis λ + δλ δE = 8πV ⋅ kT ⋅ δλ λ4 und für die Energiedichteverteilung ( ρ ist stets als positive Größe definiert) die „UVKatastrophe“ dρ 1 δE 8π kT = lim = 0 δλ → dλ V δλ λ4 Planck: (1900): Die Energie einer Welle mit der Frequenz ν kann nur die Werte E = v ⋅ hν = v⋅h⋅c λ mit v = 1, 2, 3,... annehmen. Daraus folgt für die mittlere Energie einer Welle der Wellenlänge λ ελ hc = ⋅ λ ∑ v ⋅ xv ∑ xv mit x = e − hc λkT für die Energie der Schwarzkörperstrahlung im Bereich λ bis λ + δλ δE = hc ⋅ λ ∑ v ⋅ xv ∑ xv ⋅ 8πV δλ λ4 für die Energiedichteverteilung dρ 8π h c = ⋅ dλ λ5 e − hc λ kT 1− e hc − λ kT = ελ δ N mathematischer Hinweis: ∑ v ⋅ xv ∑ xv = x 1- x 5 Vorlesung Spektroskopie – Sommersemester 2001 – Prof. Dr. W. Knoche 1.4. Beschreibung von Materie durch Wellen Teilchenstrahlen (Elektronen, Protonen, Wasserstoffmoleküle) zeigen Interferenzeffekte, d.h. Materie hat auch Wellencharakter. Die Wellenlänge von Teilchen ist nach de Broglie: λ = h p Für Teilchen gilt Heisenbergs Unbestimmtheitsrelation: δ px ⋅ δ x ≥ " 2 Die Wellenfunktion des Teilchens wird durch die Lösung der Schrödingergleichung erhalten (hier zeitunabhängige Schrödingergleichung): − "2 2 ∇ ψ + Vψ = Eψ 2m mit ∇2 = ∂2 ∂2 ∂2 + + ∂ x2 ∂ y2 ∂ z2 Die Aufenthaltswahrscheinlichkeit eines Teilchens im Volumenelement δτ ist nach Born: Aufenthaltswahrscheinlichkeit = ψ ⋅ψ * ⋅ δ τ mit der Normierung: ∫ ψ ψ dτ = 1 * ψ muss folgende Bedingungen erfüllen: 1. ψ muss eindeutig und endlich sein ( ψ ist sonst nicht normierbar). 2. ψ muss zweimal nach x, y und z differenzierbar sein (d.h. auch: ψ muss stetig sein und die 1. Ableitung von ψ muss stetig sein). Die Schrödingergleichung kann unter bestimmten Randwertbedingungen gelöst werden; diese führen zu erlaubten Funktionen ψ i (Eigenfunktionen) und erlaubten Werten der Energie Ei (Eigenwerte). Für V = const. ist die Lösung der eindimensionalen, zeitunabhängigen Schrödingergleichung: 1. für V > E ψ = A ⋅ exp(kx) + B ⋅ exp (− kx) 2. für V < E ψ = A ⋅ exp(ikx) + B ⋅ exp(−ikx) bzw. ψ = A '⋅ sin(kx) + B '⋅ cos(kx) (k reell) 6 Vorlesung Spektroskopie – Sommersemester 2001 – Prof. Dr. W. Knoche 2. Anwendung der Schrödingergleichung 2.1. „Teilchen im Kasten“ " 2 d 2ψ + Vψ = Eψ 2m dx 2 eindimensionaler Kasten − für 0 < x < L ist V=0 ⇒ ψ = A ⋅ sin(nπ x / L) für x ≤ 0 und x ≥ L ist V=∞ ⇒ ψ = 0 Daraus folgt die Quantelung der Energie: n2h2 En = 8mL2 mit n=1, 2, 3, ... Es gibt eine Nullpunktsenergie (n=1) h2 E = 8mL2 ψ Die Wellenfunktionen und Energieeigenwerte für den dreidimensionalen Kasten lassen sich analog aus der Schrödingergleichung durch Separation der Variablen x, y und z berechnen. 7 Vorlesung Spektroskopie – Sommersemester 2001 – Prof. Dr. W. Knoche 2.2. Tunneleffekt Bei der oben angegebenen Lösung ist die 1. Ableitung von ψ an den Stellen x = 0 und x = L nicht stetig, d.h. die Lösung der Schrödingergleichung ist nicht erlaubt. Die Ursache dafür liegt darin, dass sich ein unendlich hohes Potential nicht realisieren lässt. Realistisch ist: für 0 < x < L ist V=0 für -D ≤ x ≤ 0 und L ≤ x ≤ L + D ist V = V0 mit V0 > E Dann ist für L ≤ x ≤ L + D ψ = B ⋅ exp(− ρ x) für x ≤ 0 ψ = B ⋅ exp( ρ x) für 0 < x < L ψ = A ⋅ sin(nπ x / L + ϕ ) mit ρ = 2m (V − E) "2 0 0 L L+D x→ |← D →| Obwohl die Energiebarrieren V0 (Wände) höher als die Gesamtenergie E des Teilchens sind, ist die Aufenthaltswahrscheinlichkeit außerhalb des Kastens von null verschieden. Das Teilchen druchtunnelt die Wände. 8 Vorlesung Spektroskopie – Sommersemester 2001 – Prof. Dr. W. Knoche 2.3. Harmonischer Oszillator Schrödingergleichung (zwei Massen ! reduzierte Masse) − " 2 ∂ 2ψ 1 + kx 2ψ = Eψ 2 2µ ∂ x 2 V ψ5 Ev = (v + 1/ 2) "ω 0 ω = ψ4 k µ 0 ψ3 v = 0, 1, 2, 3... 0 ψ2 ψ0 = N0 ⋅ e − y2 2 0 ψ1 0 ψ0 ψ 20 = N 20 ⋅ e − y 2 mit y2 = x 2 ⋅ mω " 0 9 Vorlesung Spektroskopie – Sommersemester 2001 – Prof. Dr. W. Knoche 2.4. Starrer Rotator a) Rotation einer Masse m im Abstand r um raumfeste Achse Schrödingergleichung in Zylinderkoordinaten mit V=0: − " 2 ∂ 2ψ ⋅ = Eψ 2mr 2 ∂φ 2 Normierte Eigenfunktionen ψ = 1 ⋅ eimlφ 2π mit ml = 0, ± 1, ± 2, ... Energie-Eigenwerte: " 2 m2l E = 2I Drehimpuls-Eigenwerte: J z = ml " b) Freie Rotation im Raum Lösung der Schrödingergleichung in Kugelkoordinaten mit V = 0 ergibt "2 El = l (l + 1) 2I mit l = 0,1, 2... Bahndrehimpuls-Betrag J = l (l + 1) " Bahndrehimpuls z-Komponente J z = ml " Energie mit ml = 0, ± 1, ± 2,...± l 2.5. Spin Stern-Gerlach Versuch Elementarteilchen haben einen Spin S (einen Eigen-Drehimpuls, der kein Bahndrehimpuls ist), für den gilt s(s +1) " Spin-(Drehimpuls-)Betrag S = Spin-(Drehimpuls-)z-Komponente S z = ms " mit ms = s, s − 1, ..., − s Die Spinquantenzahlen der Elementarteilchen sind Proton s=½ Neutron s=½ Elektron s=½ Photon s=1 10 Vorlesung Spektroskopie – Sommersemester 2001 – Prof. Dr. W. Knoche 3. Struktur und Spektren von Atomen 3.1. Wasserstoffatom Schrödingergleichung − "2 2 e2 1 ∇ψ − ⋅ ψ = Eψ 2µ 4πε 0 r Da V nur von r abhängt, können in Kugelkoordinaten die Variablen (Abstand r und zwei Winkel θ , φ ) separiert werden. Entsprechend besteht die Wellenfunktion aus einem Radialanteil (nur vom Abstand abhängig) und den Kugelflächenfunktionen (von den Winkeln abhängig) ψ ( x, y, z ) → ψ (r ,θ , ϕ ) = R(r )Y (θ , ϕ ) Daraus folgt für die Energie En = − µe 4 1 ⋅ 2 2 2 2 32 π ε 0 " n mit n = 1, 2, 3... Außerdem ist der Bahndrehimpuls gequantelt und richtungsgequantelt. Damit führen die Randbedingungen zu 3 Quantenzahlen. Hauptquantenzahl n = 1, 2, 3, ... (Energie-Quantelung) Nebenquantenzahl l = 0, 1, 2 ...n-1 (Bahndrehimpuls-Quantelung) Magnetische Quantenzahl ml = 0, ±1, ±2 .. ±l (Richtungs-Quantelung) D.h. beim H-Atom hängt die Energie nur von n ab und En ist n2-fach entartet. Die Eigenfunktionen ψ (n, l , ml ) heißen Orbitale (es gibt nur ein Elektron im Wasserstoffatom). s-Orbital: l=0, p-Orbital: l=1, d-Orbital: l=2 etc. Die Ionisierungenergie (IE) entspricht dem Übergang von n = 1 auf n = ∞. IE = 1360 kJmol-1 oder 13,6 eV 11 Vorlesung Spektroskopie – Sommersemester 2001 – Prof. Dr. W. Knoche Für n = 1 (d.h. l = ml = 0) ist r ψ = − 1 a0 ⋅ e πa 30 und a0 = 4 πε 0 " 2 = 53 pm me ⋅ e 2 Bohr-Radius 12 Vorlesung Spektroskopie – Sommersemester 2001 – Prof. Dr. W. Knoche 4. Allgemeine Grundlagen der Spektroskopie 4.1. Allgemeines Die Wechselwirkung von Atomen und Molekülen mit Photonen wird beschrieben durch 1. Emission A 2 → A 1 + hν 2. Absorption A 1 + hν → A 2 3. Inelastische Streuung A1 + hν → A 2 + hν ′ ; ν ≠ ν ′ (Raman Streuung) 4. Elastische Streuung A 1 + hν → A 1 + h ν (Rayleigh Streuung) „virtuelles Niveau“ hν „virtuelles Niveau“ hν ′ hν hν Absorption hν hν Emission Raman Streuung Rayleigh Streuung Beispiele gebräuchlicher Spektroskopie-Methoden: Strahlung (Wellenlänge): Methode(n): Radiowellen (einige Kilometer bis Meter) NMR Mikrowellen (einige Zentimeter bis mm) Rotationsspektroskopie IR (einige Millimeter) Schwingungsspektroskopie UV-VIS (einige hundert Nanometer) Elektronenanregungsspektroskopie (und Rot.- und Vibr.-Raman), UPS Röntgenstrahlung (einige Pikometer) ESCA, XPS Gamma-Strahlung (einige Pikometer) Mößbauer-Spektroskopie 13