HKS - Universitätsklinikum des Saarlandes

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Hyperkinetische Störungen (HKS)
Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitäts- Störungen
(ADHS)
Dr. F.W. Paulus
Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und
Psychotherapie
Universitätsklinikum des Saarlandes
Homburg
Hyperkinetische Störungen
• Leitsymptome:
– Unaufmerksamkeit
(Aufmerksamkeitsstörung,
Ablenkbarkeit)
– Überaktivität (Hyperaktivität,
motorische Unruhe)
– Impulsivität
Definitionen
• Hyperkinetische Störungen (HKS):
• Diagnose nach ICD-10
• Symptome aus allen drei Bereichen erforderlich
• Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitäts-Störungen (ADHS):
• Diagnose nach DSM-5
• Symptome aus allen drei Bereichen nicht erforderlich
Definition ICD-10
•
•
•
•
•
Früher Beginn: vor 6.LJ
abnormes Ausmaß, bezogen auf Entwicklungsstand
situationsübergreifend
andauernd
nicht durch andere Ursachen bedingt
Klassifikation ICD-10 (F90)
• Einfache Aktivitäts- und
Aufmerksamkeitsstörung
(F90.0)
• Hyperkinetische Störung des
Sozialverhaltens (F90.1)
• Sonstige/NNB hyperkinetische
Störung (F90.8/F90.9)
• Aufmerksamkeitsstörung ohne
Hyperaktivität
(F98.8)
• Aufmerksamkeitsdefizit,
Hyperaktivität, Impulsivität
• Hyperkinetische Störung plus
Störung des Sozialverhaltens
• Restkategorien
• Keine Hyperaktivität
ICD-10: Unaufmerksamkeit
• Mind. 6 Symptome (mind. 6 Monate):
–
–
–
–
–
–
–
–
unaufmerksam bei Details, Schularbeiten
Aufmerksamkeit wird nicht aufrechterhalten
hören scheinbar nicht bei Ansprache
folgen nicht, erfüllen nicht Aufgaben
können Abläufe nicht organisieren
vermeiden ungeliebte Arbeiten
ablenkbar von externen Stimuli
häufig vergesslich
ICD-10: Überaktivität
• Mind. 3 Symptome (mind. 6 Monate):
– fuchteln mit Extremitäten, winden auf Sitz
– verlassen ihren Platz
– laufen häufig herum, klettern exzessiv
– häufig unnötig laut
– anhaltende exzessive motorische Aktivitäten
ICD-10: Impulsivität
• Mind. 1 Symptom (mind. 6 Monate):
– platzen mit Antwort heraus
– können nicht in Reihe (ab)warten
– unterbrechen und stören andere
– reden exzessiv ohne Rücksicht
• Diagnose HKS:
– Symptome AUS ALLEN DREI BEREICHEN
(Unaufmerksamkeit, Überaktivität,
Impulsivität)
Klassifikation DSM-5
•Drei Subtypen (Präsentationen):
– Vorwiegend unaufmerksam
– Vorwiegend hyperaktiv-impulsiv
– Mischtyp
•Beginn vor Alter von 12 Jahren
•Diagnose weiter gefasst als HKS (ICD):
•Items NICHT aus allen drei Bereichen
Prävalenz
• Fragebögen:
• DSM:
• ICD-10:
10-20%
5-10%
1-2%
• HKS (ICD) = auffälligstes Fünftel ADHD (DSM)
• USA: 3% (1,5 Millionen) Kinder/Jugendliche 5-18 Jahre
werden medikamentös behandelt
• Weltweite Prävalenz: ca. 5%
Polanczyk, G., De Lima, M. S., Horta, B. L., Biederman, J., & Rohde, L. A. (2007). The worldwide prevalence of ADHD: A systematic review and
metaregression analysis. American Journal of Psychiatry, 164(6), 942-948. doi:10.1176/appi.ajp.164.6.942
Verlauf
• Säuglinge:
– irritierbar, Regulationsprobleme
• Kleinkinder:
– umtriebig, impulsiv, Regelprobleme, Wutanfälle
• Schulkinder:
– Vollbild (mit Störung des Sozialverhaltens) deutlich bei
kognitiven Anforderungen, klinische Vorstellung
• Jugendliche:
– Zurückbilden der Hyperaktivität, Persistenz der
Aufmerksamkeitsdefizite, Impulsivität, Leistungsprobleme
• Erwachsene:
– Substanzmissbrauch, dissoziale Störungen
ADHS und Schule
Verlauf
• Geschlechtsverhältnis:
– Jungen : Mädchen = 3 : 1
• Chronisch-persistierend vom Kindesalter:
– bei 2/3 ins Jugendalter
– bei Jugendlichen: 5-fach höheres Risiko für
Substanzmissbrauch, dissoziale, delinquente, andere psych.
Störungen
– niedrigere Schulbildung
– Bei 1/3 ins Erwachsenenalter (Vollbild)
Komorbidität
• Oppositionelle Verhaltensstörungen
• Störung des Sozialverhaltens
• Depressive Störungen
• Angststörungen
50%
30-50%
10-40%
20-25%
• Lern-/Teilleistungsstörungen
10-25%
• Ticstörungen/Tourette-Syndrom
bis 30%
Diagnose des HKS
• Klinische Diagnose:
• psychopathologisch definiertes Syndrom,
basierend auf:
– Anamnese, Beobachtung, Exploration,
psychopathologischen Befund
– Fragebögen (Eltern, Jugendliche, Lehrer)
– Testpsychologie
– körperlichem Befund, EEG
– kein Labortest möglich
Differenzialdiagnose
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•
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•
Entwicklungsbedingte Hyperaktivität
Störungen des Sozialverhaltens
Angststörungen
Affektstörungen
reaktive Hyperaktivität: Spannung/Konflikte
Deprivations-/Bindungsstörungen
Organische Psychosyndrome
geistige Behinderung
Autismus, Psychosen
Ätiologie
• Neurotransmitter: Unterfunktion des
dopaminergen Systems; frontale Hirnregion
• Neurobiologie: hirnorganische Risiken, z.B. bei
Frühgeburt, niedriges Geburtsgewicht
• Teratogene Effekte: Nikotin, (Alkohol)
• psychosoziale Umweltfaktoren
• Nahrungsallergien: Subgruppen
• Toxine: Pb, etc.
Ätiologie
•
•
•
•
•
Genetik
Familienuntersuchungen: Geschwister 2-3x höher
Zwillingsstudien: Konkordanzraten 81% (MZ) zu 29% (DZ)
Heritabilität 70-80%
Adoptionsstudien: Erhöhte Raten von HKS bei biologischen
Eltern
• Molekulargenetik:
– Kandidatengene: Dopamin-4 Rezeptor Gen, Dopamin Transporter
Gen (DAT 1)
Therapie des HKS
• Deutsche Leitlinien:
–
–
–
–
–
–
–
Aufklärung und Beratung
Elterntraining
Intervention in Kindergarten/Schule
Kognitive Therapie
Pharmakotherapie
Diät (selten)
Behandlung von komorbiden Störungen
Therapie des HKS
• Aufklärung und Beratung
– der Eltern wird immer durchgeführt
– des Kindes kann etwa ab dem Schulalter in
altersadäquater Form vorgenommen werden
– der Erzieher und Lehrer wird mit Einverständnis der Eltern
immer dann durchgeführt, wenn im Kindergarten/in der
Schule behandlungsbedürftige Symptome auftreten
Therapie des HKS
• Aufklärung und Beratung der Eltern, Lehrer,
Bezugspersonen:
– Informationen hinsichtlich der Symptomatik, der
vermuteten Ätiologie und des vermutlichen Verlaufes
sowie der Behandlungsmöglichkeiten
– Beratung hinsichtlich pädagogischer Interventionen zur
Bewältigung konkreter Problemsituationen
Therapie des HKS
• Aufklärung und Beratung der Eltern, Lehrer,
Bezugspersonen
– positive Zuwendung bei angemessenem Verhalten
– angemessene Aufforderungen und Grenzsetzungen in
einer eindeutigen Weise
– angemessene negative Konsequenzen bei
auffälligem/unerwünschtem Verhalten
– Bei Beratung der Eltern müssen die konkreten
familiären Bedingungen und Belastungen
berücksichtigt werden
Elternratgeber/training
Therapie des HKS
• Kognitive Therapie des Kindes/Jugendlichen:
– zur Verminderung von impulsivem und unorganisierten
Aufgabenlösungen und/oder zur Anleitung des
Kindes/Jugendlichen zur Modifikation des
Problemverhaltens
– Ist bei Kindern ab dem Schulalter durchführbar
– Eine ausschließliche Behandlung mit
Selbstinstruktionstraining oder Selbstmanagement ist im
Allgemeinen nicht hinreichend erfolgsversprechend
Bisherige S1 Leitlinien abgelaufen
S3 Leitlinien in Bearbeitung
• Amerikanische Leitlinien
Clinical Guideline ADHD:
American Academy of Pediatrics
Woidrach, 2011
• Amerikanische Leitlinien:
• Diagnostik für alle Kinder im Alter mit 4-18 Jahren
mit typischer Symptomatik empfohlen
• Diagnostik komorbider Störungen
• Kinder und Jugendliche mit ADHS: chronische
Störung mit besonderen Bedürfnissen
Clinical Guideline ADHD:
American Academy of Pediatrics
Woidrach, 2011
• Therapie bei Vorschulkindern (4-5 Jahre):
• Evidenz-basierte Elterntrainings: Mittel der ersten Wahl
• Medikation: bei Persistenz der Symptome (trotz Training) und
mittlere bis schwere Beeinträchtigung
– Methylphenidat: off-label, aber mittlere Evidenz für
Wirksamkeit und Sicherheit
– (D-Amphetamin: off-label (USA: label), aber Evidenz nicht
ausreichend für Empfehlung bei Vorschulkindern)
– Keine andere Medikation empfohlen
Soziale Folgen der ADHS im Vorschulalter
Belastende Elternbeziehung
Elterlicher Stress
Funktionales elterliches Coping
Probleme mit Gleichaltrigen
Probleme mit Lehrern/Erziehern
Suspendierung vom Kindergarten
Leistungsprobleme
Verletzungen
Dreyer, 2006; Lahey et al., 1998; Greenhill et al., 2006; Harpin, 2005
Parent-Child Interaction Therapy (PCIT)
McNeil u. Hembree-Kiggin, 2010; Thomas 2007
• Strukturierte Kurzzeittherapie (10-16 Sitzungen)
• Fokus auf die Eltern-Kind-Interaktion im Vorschulalter
von 2 bis 7 Jahren
• Integration von operanten verhaltenstherapeutischen
und spieltherapeutischen Zugängen
•
•
•
•
•
Zwei Ziele:
1. Beziehungsaufbau
2. Management des Verhaltens (VT)
Hauptindikationen:
externalisierendes, oppositionelles, verweigerndes,
aggressives Verhalten, ADHS
• Metaanalyse: mittlere bis starke Effektstärken von 0.61
bis 1.45
Parent-Child Interaction Therapy (PCIT)
Parent-Child Interaction Therapy (PCIT)
Clinical Guideline ADHD:
American Academy of Pediatrics
Woidrach, 2011
• Therapie bei Schulkindern (6-11 Jahre):
• Verhaltenstherapie (durch Eltern und/oder Lehrer)
• Medikation: Stimulanzien, Atomoxetin
• Therapie bei Jugendlichen (12-18 Jahre):
• Medikation: Stimulanzien, Atomoxetin
• Verhaltenstherapie
Pharmakotherapie des HKS
• Stimulanzien:
• Mittel der ersten Wahl
• Effektstärken: bei Vorschulkindern 0,4-0,8, bei Schulkindern
0,6-1,2
– Methylphenidat (Ritalin, Medikinet, Equasym, Concerta)
– D-Amphetamin (Attentin)
– Lys-Dexamphetamin (Elvanse)
• Keine absoluten Kontraindikationen
• Relative Kontraindikationen:
– Anfallsleiden, reduzierte Hirnkrampfschwelle
– Tics oder Familienanamese von Tics
– Medikamenten/Drogenmissbrauch im unmittelbaren Umfeld des
Jugendlichen oder durch den Jugendlichen selbst
Stimulanzien
• Positive Effekte bei 70% unter MPH
• (90% bei MPH und D-Amphetamin)
• Primäre Effekte:
– Reduktion der Hypermotorik
– Verlängerung der Aufmerksamkeitsspanne
– Andere kognitive Effekte: bei Kurzzeitgedächtnis, usw.
• Sekundäre Effekte:
– Verbesserung der Eltern-Kind-Interaktion
– Verbesserung der sozialen Beziehungen mit Gleichaltrigen
– Verringerung des aggressiven und impulsiven Verhaltens
Stimulanzien
• Wirkung von Stimulanzien:
•
•
•
•
Zentrale Wirkung nicht eindeutig geklärt
Präfrontaler Kortex: exekutive Funktionen
Neurotransmitter: Dopamin/Noradrenalin
Bindung an Dopamintransporter: Erhöhung der
Dopaminkonzentration im synaptischen Spalt
Stimulanzien
• Standardpräparate MPH:
– Rasche Resorption: Wirkung nach 30 Minuten
– Gipfel: nach 1-3 Stunden, zwei Dosen (morgens und
mittags)
• Retardpräparate MPH:
– Ähnliche Wirkung
– Wirkung später: nach 90 Minuten, hält ca. 8 Stunden
– Gipfel später: nach 3 Stunden, eine Dosis morgens
– Bessere Compliance
Stimulanzien
• Dosierung von Standard MPH:
–
–
–
–
–
–
–
Anfangsdosis: 5mg morgens
Steigerung in 5mg Schritten über 2-4 Wochen:
Übliche Dosen: 2x5mg, 2x10mg, max. 40-60 mg
Maximal 0,8 mg/kg KG/d
Erhaltungsdosis festlegen
Wirkung beurteilen
Nebenwirkungen erfassen: Puls, RR, Länge, Gewicht
• Dosierung von Retard MPH:
– Eine Dosis morgens
– Langsame Steigerung von 5-10mg bis max. 0,8mg/kg KG/d
Stimulanzien
• Keine Abhängigkeit
• MPH-Behandlung reduziert Suchtgefahr um die
Hälfte
• Kein sicherer Hinweis auf Verminderung der
Krampfschwelle, aber: EEG zur Routine, Epilepsie
mit Antiepileptika einstellen
• Psychotische Symptome bei Überdosierung
Stimulanzien
• Nebenwirkungen:
– Leichte NW: Bei 4-10% der Kinder, bilden sich
meistens zurück
– Ernste NW: bei 1: 10.000
Stimulanzien
• Nebenwirkungen:
– Schlafstörungen
– Verminderter Appetit
– Unspezifische gastrointestinale Beschwerden
– Reizbarkeit
– Erhöhte Herzfrequenz
– Erhöhter Blutdruck
– Sozialer Rückzug
– Depressive Verstimmung
– Auslösung von Tics
– Schwindel
– Übelkeit, Obstipation
– Subgruppen: Reduktion von Gewicht und Länge
Pharmakotherapie des HKS
• Weitere Medikamente:
• Präsynaptische-Noradrenalin-Wiederaufnahme Hemmer:
Atomoxetin
• Guanfacin (Antisympathotonika)
• Neuroleptika:
• Bei komorbiden Tics: Tiaprid (auch in Kombination mit
Stimulanzien)
• Bei impulsiv-ungesteurtem Verhalten: Neuroleptika
Weitere Therapieoptionen
• Neurofeedback
– Erste Studien zeigen Effekte
– Viel Aufwand
• Omega-3-Fettsäuren
– Kleine Effekte, nicht so
stark wie MPH
Zusammenfassung
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HKS und ADHS: unterschiedliche Diagnosen
Häufige Störungen
Ungünstige Langzeitprognose
Frühe Diagnose erforderlich
• Effektive Hilfen für Kinder und Jugendliche mit HKS/ADHS
vorhanden
• Vorraussetzung: exakte Diagnose, spezifische Therapie
• Beratung und Verhaltenstherapie allein oft nicht
ausreichend
• Pharmakotherapie wichtiger, hocheffektiver Baustein
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