Kognitive Verhaltenstherapie mit Kindern

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PAUL STALLARD
mit Kindern und
Jugendlichen
V e r l a g
REIHE
KOMMUNIKATION
• NLP
für Lehrer
FACHBUCH • Kognitive
Verhaltenstherapie
Kognitive
Verhaltenstherapie
Ein Arbeitsbuch
Junfermann
Kog nitive Ve r h a lte ns th e ra pie : t heo ret i s c he U r s p r ü n ge, B ehan d l u n g s p r i n z i p i en u n d - tec hn i ken · 19
1.6 Die zentralen Komponenten kognitiv-verhaltenstherapeutischer
Interventionen
Aufgrund der mannigfaltigen Einflüsse, die zur Entwicklung der Kognitiven Verhaltenstherapie beigetragen
haben, ist es nicht überraschend, dass mit dem Begriff heute eine große Bandbreite an Behandlungstechniken
und -strategien bezeichnet wird, die in je unterschiedlicher Aufeinanderfolge und Kombination praktiziert
werden. Die spezifischen Komponenten des Verfahrens sollten nach Maßgabe der Problemformulierung ausgewählt werden; sie gibt den Fokus und die Art des Programms vor. Die Interventionen müssen auf die
spezifischen Probleme und die individuellen Bedürfnisse des Kindes zugeschnitten sein; das heißt, sie dürfen
nicht auf pauschale Weise, sozusagen „nach Einheitsrezept“, zum Einsatz kommen. Diese Flexibilität, die an
sich begrüßenswert ist, hat jedoch auch Verwirrung gestiftet, weil mitunter nicht ganz klar ist, welche Interventionen KVT-spezifisch sind und welche nicht.
Die Verfahren, die unter dem Oberbegriff Kognitive Verhaltenstherapie empfohlen werden, weisen in Bezug
auf ihre Gewichtung der kognitiven bzw. behavioralen Interventionen beträchtliche Unterschiede auf. Mitunter ist es tatsächlich schwierig, die kognitive Komponente überhaupt zu erkennen. So fokussieren zum
Beispiel Interventionen für Kinder und Jugendliche mit Zwangsstörungen vorwiegend auf das Verhalten.
Sie betonen Psychoedukation, Angstmanagement, graduelle Exposition und Reaktionsprävention (March,
1995). Die kognitive Komponente kommt dabei im Allgemeinen nur in extrem begrenztem Umfang zum
Tragen, mitunter lediglich in Form einer einzigen Gruppe kognitiver Strategien (zum Beispiel positive Selbstgespräche oder Selbstinstruktionstraining).
Auch wenn die jeweilige Betonung kognitiver und behavioraler Elemente ebenso wie die spezifischen Behandlungskomponenten variieren können, sind die meisten der folgenden Komponenten feste Bestandteile
von KVT-Programmen.
Formulierung und Psychoedukation
Eine Grundkomponente aller kognitiv-verhaltenstherapeutischen Programme betrifft die Information der
Patienten über den Zusammenhang zwischen Gedanken, Gefühlen und Verhalten. Im Laufe dieses psychoedukativen Prozesses sollen sie gemeinsam mit dem Therapeuten ein klares Verständnis der Beziehung zwischen Denken, Fühlen und Handeln / Verhalten entwickeln.
Kontrolle der eigenen Gedanken
Eine Schlüsselaufgabe ist die Identifizierung häufiger Kognitionen und Denkmuster. Die Kontrolle der eigenen Denkweise kann sich zum Beispiel auf Grundüberzeugungen, negative automatische Gedanken oder
dysfunktionale Annahmen konzentrieren sowie auf das Erkennen „brisanter“ Situationen (Situationen, die
eine starke emotionale Veränderung auslösen oder übertrieben negative oder selbstkritische Gedanken aktivieren). Das kognitive Dreieck (vgl. Abb. 1.3) dient als hilfreicher Ansatzpunkt für die Strukturierung und
Organisation von Informationen und für die Beurteilung der Gedanken, die Kinder und Jugendliche über
sich selbst, ihre Welt und über das, was sie tun, hegen.
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Formulierung und Psychoedukation
Den Zusammenhang zwischen Gedanken, Gefühlen und Verhalten verstehen
KOGNITIONEN
Gedanken kontrollieren
Identifizieren von:
• negativen automatischen Gedanken,
• Grundüberzeugungen/Schemata und
• dysfunktionalen Annahmen
Kognitive Verzerrungen und Defizite identifizieren
• Häufige dysfunktionale Kognitionen,
Annahmen und Grundüberzeugungen
• Muster der kognitiven Verzerrungen
• Kognitive Defizite
Gedanken bewerten
• Überprüfen und Bewerten von Kognitionen
• Kognitive Umstrukturierung
• Entwicklung einer ausgewogeneren Denkweise
Neue kognitive Fertigkeiten entwickeln
• Ablenkung, positive Tagebücher, positive Selbstgespräche
und Mut machende Selbstgespräche
• Selbstinstruktionstraining, folgerichtiges Denken,
Fertigkeiten der Problemlösung
EMOTIONEN
VERHALTEN
Die eigenen Aktivitäten kontrollieren
• Verbindungen herstellen zwischen Aktivität,
Gedanken und Gefühlen
• Das Aufrechterhalten von Verstärkern identifizieren
Ziele planen
• Ziele identifizieren und verabreden
Ziele setzen
• Übungsaufgaben
• Angenehme Aktivitäten häufiger unternehmen
• Zeitpläne für Aktivitäten neu anpassen
Affektive Edukation
• Zwischen Grundgefühlen unterscheiden
• Körperliche Symptome identifizieren
Affekte kontrollieren
• Gefühle mit Gedanken und Verhalten
in Verbindung bringen
• Gefühlsintensität anhand einer Skala bewerten
Affektmanagement
• Neue Fertigkeiten (z. B. Entspannungstechniken,
Wutmanagement)
Verhaltensexperimente
• Vorhersagen/Annahmen überprüfen
Allmähliche Exposition/Reaktionsprävention
Erlernen neuer Fertigkeiten/Verhaltensweisen
• Rollenspiel
• Lernen am Vorbild
• Üben
Verstärkung und Belohnungen
Selbstverstärkung, Sternchen zur Belohnung, Kontingenzverträge
Abbildung 1.3: Das kognitive Dreieck
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Identifizierung kognitiver Verzerrungen und Defizite
Durch die Kontrolle der eigenen Gedanken lassen sich häufig auftretende negative oder dysfunktionale Kognitionen sowie irrationale Grundüberzeugungen oder Annahmen identifizieren. Dieser Prozess schärft die bewusste Wahrnehmung spezifischer kognitiver Verzerrungen (zum Beispiel der Übertreibung alles Negativen,
der einseitigen Konzentration auf Negatives usw.), kognitiver Defizite (zum Beispiel der Fehlinterpretation
sozialer Signale oder eingeschränkter Problemlösungsfähigkeiten) und ihrer Auswirkungen auf Stimmung
und Verhalten.
Gedanken bewerten und alternative kognitive Prozesse entwickeln
Auf die Identifizierung dysfunktionaler kognitiver Prozesse folgen das systematische Überprüfen und Bewerten dieser Annahmen und Überzeugungen und das Erlernen alternativer kognitiver Fertigkeiten – ein weiterer
Schritt hin zur Entwicklung eines ausgewogenen Denkens oder zur kognitiven Umstrukturierung. Dieser Prozess kann zum Beispiel durch die Suche nach neuen Informationen oder Hinweisen, die die eigenen Überzeugungen widerlegen, oder durch die Übernahme der Perspektive eines anderen Menschen erfolgen. Im
Anschluss daran werden dysfunktionale Überzeugungen bearbeitet und revidiert.
Der Bewertungsprozess dient als Gelegenheit, alternative, ausgewogenere und funktionalere Kognitionen zu
entwickeln, die Schwierigkeiten anerkennen, gleichzeitig aber auch Stärken und Erfolge würdigen.
Erlernen neuer kognitiver Fertigkeiten
Zu den Behandlungszielen zählt häufig auch das Erlernen neuer kognitiver Fertigkeiten, die eine große Bandbreite abdecken können: Ablenkung, positive Selbstgespräche, Selbstinstruktionstraining, folgerichtiges Denken
und Problemlösungsfertigkeiten.
Emotionale Edukation
Die meisten Programme arbeiten auch mit der emotionalen Edukation. Sie zielt darauf, basale Emotionen –
Wut, Angst oder Traurigkeit – zu identifizieren und voneinander zu unterscheiden. Häufig konzentrieren sich
die Interventionen auf die mit diesen Gefühlen einhergehenden physiologischen Veränderungen (trockener
Mund, schweißnasse Hände, beschleunigter Herzschlag), um dem Kind zu helfen, seine eigenen, unverwechselbaren Gefühlsäußerungen bewusster wahrzunehmen.
Affekte kontrollieren
Das Beobachten intensiver oder dominanter Gefühle kann die Identifizierung von Zeitpunkten, Orten, Aktivitäten oder Gedanken erleichtern, die mit angenehmen bzw. unangenehmen Gefühlen assoziiert sind. In der
Therapie wird mit Bewertungsskalen gearbeitet, um die Intensität eines Affekts in Alltagssituationen und in
den Sitzungen zu bestimmen. Diese Skalen dienen als objektive Kontrolle der Performanz und der erzielten
Veränderungen.
Affektmanagement
Therapien für Störungen, die mit hohen Arousalgraden einhergehen – u. a. Angststörungen, Phobien und
Posttraumatische Belastungsstörungen –, beinhalten gewöhnlich auch ein Entspannungstraining, etwa die
progressive Muskelentspannung, das kontrollierte Atmen oder beruhigende Imaginationsübungen.
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Eine verbesserte bewusste Wahrnehmung des individuellen Affektmusters ermöglicht es, Präventionsstrategien auszuarbeiten. Wenn ein Kind bewusst zu registrieren vermag, dass sich Wut in ihm aufbaut, kann es
die Affektentwicklung in einem frühen Stadium unterbrechen und einen Aggressionsausbruch verhindern.
Ziele setzen und Aktivitäten neu planen
Das Festlegen von Zielen ist ein inhärenter Bestandteil sämtlicher kognitiv-verhaltenstherapeutischer Programme. Die Gesamtziele / allgemeinen Ziele der Therapie werden gemeinsam vereinbart und so definiert,
dass Fortschritte objektiv beurteilt werden können. Die Übertragung von Fertigkeiten aus den Therapiesitzungen ins Alltagsleben wird durch Arbeitsaufträge, die zwischen den Sitzungen zu erledigen sind, systematisch unterstützt. Das Erreichen spezifischer Zielvorgaben wird regelmäßig überprüft; auf diese Weise
können sich Patient und Therapeut ein Bild von den erzielten Fortschritten machen.
Zielvorgaben umfassen beispielsweise die Intensivierung von Aktivitäten, die die Stimmung verbessern; eine
weitere Möglichkeit besteht darin, den Alltag neu zu organisieren, sodass Aktivitäten, die starke negative
Gefühle wecken, verhindert oder eingeschränkt werden.
Verhaltensexperimente
Die Kognitive Verhaltenstherapie beruht auf einem Prozess der angeleiteten Entdeckung, in dem Annahmen
und Gedanken infrage gestellt und überprüft werden. Unter Umständen kommen dabei auch Verhaltensexperimente zum Einsatz. Mit ihrer Hilfe lässt sich herausfinden, ob Vorhersagen tatsächlich eintreffen oder
sich nicht bewahrheiten.
Exposition
Der Prozess der graduellen Exposition trägt dazu bei, schwierige Situationen oder Vorstellungen zu meistern. Er ist Teil fast aller KVT-Programme. Zunächst definieren Therapeut und Patient die problematischen
Situationen; daran anschließend wird die Aufgabe auf kleine Einzelschritte heruntergebrochen, die dann
hierarchisch, nach aufsteigendem Schwierigkeitsgrad, angeordnet werden. Beginnend mit der am wenigsten
schwierigen Aufgabe, wird das Kind – entweder in vivo oder in Form einer Imaginationsübung – Schritt
für Schritt durch die Hierarchie hindurchgeleitet. Sobald es einen Schritt erfolgreich bewältigt hat, folgt der
nächste, bis schließlich auch das Problem mit dem höchsten Schwierigkeitsgrad gemeistert wurde.
Rollenspiel, Lernen am Modell und Übungen
Neue Fertigkeiten und Verhaltensweisen kann man auf vielerlei Weise erlernen. Das Rollenspiel gibt Kindern und Jugendlichen Gelegenheit, den Umgang mit schwierigen Situationen oder Herausforderungen, zum
Beispiel mit Hänseleien in der Schule, zu üben. Im Spiel können Kompetenzen identifiziert und alternative
Lösungen oder neue Fertigkeiten ausprobiert werden. Der Prozess der Verbesserung von Fertigkeiten unterstützt auch den Erwerb neuer Fertigkeiten und Verhaltensweisen. Die Gelegenheit, angemessenes Verhalten
an einem Modell, also an Vorbildern, zu beobachten, erleichtert es, neue Verhaltensweisen in der Vorstellung
einzuüben, bevor man sie im realen Leben selbst praktiziert.
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Verstärkung und Belohnung
Ein Eckpfeiler sämtlicher kognitiv-verhaltenstherapeutischer Programme ist die positive Verstärkung angemessener Verhaltensweisen. Dies kann in Form der Selbstverstärkung geschehen, zum Beispiel kognitiv
(„Gut gemacht, ich habe die Situation erfolgreich gemeistert“), konkret (zum Beispiel durch den Kauf einer
besonderen CD, die sich das Kind schon lange gewünscht hat) oder durch spezifische Aktivitäten (etwa ein
Entspannungsduftbad). Die positive Verstärkung durch andere Menschen, vor allem durch die Eltern oder
andere Bezugspersonen, ist für jüngere Kinder besonders wichtig. Sie kann durch Belohnungssternchen, Kontingenzverträge oder durch Token-Belohnungssysteme ergänzt werden.
„
„
Die Anteile und die Gewichtung von kognitiven und behavioralen Interventionen variieren zwischen den verschiedenen KVT-Programmen beträchtlich
Zu den Kernkomponenten zahlreicher KVT-Programme zählen:
– Kontrolle von Gedanken, Gefühlen und / oder Verhalten
– Psychoedukation und Problemformulierung
– Identifizierung, Infragestellung und Überprüfung von Kognitionen
– Entwicklung neuer kognitiver Fertigkeiten
– Erlernen alternativer Möglichkeiten der Bewältigung von Angst oder unangenehmen Gefühlen
– Erlernen neuer Verhaltensweisen
– Zielvorgaben und Arbeitsaufträge, die zuhause erledigt werden
– Positive Verstärkung
1.7 Wichtiger Hinweis zur empirischen Überprüfung der KVT mit Kindern
und Jugendlichen
Das wachsende Interesse an der Anwendung der Kognitiven Verhaltenstherapie für Kinder und Jugendliche
ist zu begrüßen, doch wir müssen anerkennen, dass die empirische wie auch die theoretische Basis für diese
Patientengruppe schmaler ist als für Erwachsene.
Empirischer Effektivitätsnachweis
Aktuellere Ergebnisse, die die Wirksamkeit der KVT bei Kindern und Jugendlichen bestätigen, sind zu finden
bei Schlarb und Stavemann (2011). Mehrere ältere Untersuchungen konnten die Effektivität der Kognitiven
Verhaltenstherapie zwar belegen, wurden aber mit freiwilligen Teilnehmern durchgeführt, die möglicherweise weniger gravierend beeinträchtigt waren als behandlungsbedürftige Kinder und Jugendliche (Weisz et al.,
1995). Studien über klinische Populationen, die unter Umständen auch multiple komorbide Störungen aufweisen, liegen in verhältnismäßig geringer Anzahl vor. Auch Replikationsstudien, die eine breitere Anwendbarkeit klar definierter KVT-Interventionen nachweisen könnten, wurden nur selten durchgeführt. Gleiches
gilt für randomisierte und kontrollierte Studien (Harrington et al., 1998; Kazdin & Weisz, 1998); empirische
Belege für die mittel- und langfristige Wirksamkeit der KVT fehlen (Graham, 1998). Kurzum, die Ergebnisse
randomisiert-kontrollierter Behandlungsstudien zeigen gewöhnlich, dass die Kognitive Verhaltenstherapie
effektiver ist als keine Intervention (Wartelistenkontrollgruppen). Dass die KVT anderen psychotherapeutischen Interventionen überlegen ist, konnte jedoch bislang nicht eindeutig nachgewiesen werden.
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