SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Wissen: Aula Ich bin ich Das Rätsel des Bewusstseins Von Matthias Eckold Sendung: Sonntag, 8. Oktober 2017, 8.30 Uhr Redaktion: Ralf Caspary Produktion: SWR 2017 Online-Teaser: Hirnforscher und Philosophen können das Bewusstsein zwar phänomenologisch beschreiben, aber nicht hinreichend erklären. Matthias Eckoldt versucht, sich diesem Phänomen anzunähern. Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. MANUSKRIPT Ansage: Heute mit dem Thema: „Ich bin Ich – Das Rätsel des Bewusstseins“. Noch immer haben Hirnforscher und Philosophen großen Respekt vor dem Bewusstsein, sie können es zwar phänomenologisch ganz gut beschreiben, aber nicht hinreichend erklären. Hinzu kommt, dass so etwas wie Bewusstsein oder Selbstbewusstsein in den Innenraum des Subjekts führen und sich der objektiven Perspektive, dem wissenschaftlichen Zugriff verschließen. Matthias Eckoldt, Wissenschaftsjournalist und Buchautor, versucht sich diesem Phänomen anzunähern. Matthias Eckoldt: Beginnen wir grundsätzlich und stellen die Frage: Wie konnte Bewusstsein überhaupt entstehen? Das heißt, wie war es möglich, dass an einem durch nichts ausgezeichneten Punkt am Rande einer eher durchschnittlichen Galaxie die Funken des Geistes zu sprühen begannen? Warum fühlte es sich hier plötzlich nach etwas an, in einem Universum zu sein, wo doch das gesamte Universum aus gewaltigen Massen fühlloser Materie besteht, die keinerlei Sinn für ihre eigene Existenz hat? Oder anders gefragt: Wenn die Atome, aus denen die uns bekannte Materie besteht, keine bewussten Zustände kennen, wieso haben dann einige wenige Organismen bewusste Zustände ausgebildet, obwohl sie doch ihrerseits aus nichts anderem als Atomen aufgebaut sind? Im menschlichen Körper setzt sich dieses Paradoxon fort: Warum laufen die allermeisten Prozesse wie Verdauung, Blutkreislauf und selbst das Schalten der Neurone im Hirn ohne Bewusstseinsbeteiligung ab, während Gedanken und Zähne schmerzen können? Möglicherweise werden wir die Antworten auf diese Fragen niemals finden. Aber das hält uns beileibe nicht davon ab, Bewusstsein zu erleben. Doch mit diesem Umstand kommt nur noch eine weitere Eigentümlichkeit ins Spiel. Denn obwohl uns allen eine im Großen und Ganzen gesehen gleiche Welt gegeben ist, empfindet sie jeder doch anders – aus der Perspektive seines Bewusstseins, des Ichs, der ersten Person. Das macht die Erforschung des Phänomens für die Naturwissenschaft schwierig, wenn nicht gar aus prinzipiellen Gründen unmöglich. Denn die Naturwissenschaften treten mit dem Anspruch auf, objektiv gültige Zusammenhänge zu erfassen. Sie beobachten die Welt der Dinge also nur so, wie sie sich faktisch darstellt, nicht, wie sie subjektiv erlebt wird. Dementsprechend hat sich für diese Sichtweise der Begriff Dritte-Person-Perspektive eingebürgert, im Gegensatz zur subjektiven Sicht der Ersten-Person-Perspektive. Die Dritte-Person-Perspektive bereitet den Naturwissenschaften keine Probleme, solange es um die Welt der Dinge geht. Sobald aber die empirischen Wissenschaften das Bewusstsein erkennen will, stellt sich die Differenz zwischen Erster- und Dritter-Personen-Perspektive als unüberwindbar dar, was der USamerikanischen Philosophen Joseph Livine in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts mit dem Begriff der Erklärungslücke zwischen der Ersten-PersonPerspektive und der Dritten-Person-Perspektive fasste. Zwar könne, so Livine, gezeigt werden, dass neuronale Prozesse mit mentalen, also geistigen Prozessen einhergingen, doch warum dem so ist, bleibt unerklärt. Vom Philosophen Michael Pauen stammt ein aktueller Vorschlag, wie die Lücke zwischen Erster- und Dritter-Personenperspektive zu überbrücken sei. Für Pauen ist es nicht unbedingt erwiesen, dass nur weil bewusste Erfahrungen einen subjektiven Charakter haben, auch das Wissen über diese bewussten Erfahrungen subjektiven Charakter haben muss. Seine Hoffnung ist, die Erklärungslücke zu minimieren, indem man objektives, also naturwissenschaftlich gehärtetes Wissen, über bewusste Erfahrungen erarbeitet. So könnte man beispielsweise ein detailiertes System der Beschreibung von Schmerzen entwickeln, das einerseits mit subjektiver Erfahrung und andererseits mit objektiven neuronalen Erregungsmustern gespeist wird. Auf diese Weise könnte Wissen über die subjektive Schmerzerfahrung objektiviert werden. Der stete Fortschritt der Neurowissenschaften würde dann sogar eine Überlegenheit dieses objektiven Wissens am Horizont erscheinen lassen. Denn Schmerzen zu haben und Schmerzen zu beschreiben sind zwei völlig unterschiedliche Vorgänge. Und bei der Beschreibung ist derjenige, der die Schmerzen verspürt, nicht unbedingt im Vorteil. Das wird jeder bestätigen, der schon einmal mit Beschwerden beim Physiotherapeuten war. Auf die Frage, wie genau der Schmerz sich äußere, ist man oft um eine Antwort verlegen. Und die differenzierende Nachfrage, ob es eher ein Ziehen, ein Reißen, ein Stechen oder ein Drücken sei, was einem da Beschwerden bereite, ist nicht unbedingt eine Erklärungshilfe und führt nach meiner Erfahrung oft zu der Antwort, dass der Schmerz ein Mix aus diesen Beschreibungsangeboten sei. Überhaupt ergaben Untersuchungen des Phänomens der Introspektion, also der Schau nach Innen, erstaunliche Ergebnisse. Man bat Probanden einzuschätzen, wie stark die Neigung anderer Personen zu Vorurteilen sei. Durch die Bank schätzen die Versuchspersonen ein, dass die anderen relativ viele Vorurteile hatten. Befragte man die Probanden jedoch nach den eigenen Vorurteilen, so fanden sie kaum welche. Da es sehr unwahrscheinlich ist, dass aus einem Zufall heraus ausgerechnet solche Probanden untersucht wurden, die tatsächlich weniger Vorurteile als der Rest der Menschheit hat, sprechen Psychologen aufgrund dieser Untersuchungen von der sogenannten Introspektionsillusion. Sicheres Wissen von sich selbst aufgrund der privilegierten Position zu bekommen, die es einem ermöglicht, in sich hineinzuschauen, scheint illusionär. Denn was weiß man von sich selbst schon? Ist man nicht oft genug überrascht oder verletzt, wenn einem ein Freund eine unangenehme Wahrheit über sich selbst plausibel machen kann. Mit einem Bonmot der Sportreporterlegende Werner Hansch könnte man es so ausdrücken: Man geht oft in sich, doch findet man dort selten jemanden vor. Auch wenn uns Phänomene wie die Introspektionsillusion daran gemahnen, dass wir oft Schwierigkeiten mit der realistischen Selbsteinschätzung haben, ändert das letztlich nichts an der Erklärungslücke zwischen Erster- und Dritter-PersonenPerspektive. Denn wenn wir Wissen über unsere eigenen inneren Zustände, über unsere subjektiven Empfindungen erlangen wollen, wechseln wir ja von der ersten Person, die empfindet und denkt, in die dritte Person, die über diese Zustände etwas in Erfahrung bringen und sprachlich ausdrücken will. Die Erklärungslücke wird also weder durch das Training introspektiver Fähigkeiten, noch durch die avanciertesten neurowissenschaftlichen Methoden aus der Welt zu schaffen sein. Denn Erleben ist etwas grundsätzlich anderes als darüber zu sprechen. Zwar versuchen wir ständig, unsere innere Erlebniswelt mitzuteilen, das jedoch kann nicht über den Umstand hinwegtäuschen, dass niemand meine Schmerzen zu fühlen und meine Gedanken zu denken vermag. Den tiefen Graben zwischen Erster- und Dritter-Person-Perspektive spürt man nur zu oft an und in sich selbst in Momenten, in denen man Mühe hat, seinem Gegenüber einen Gedanken zu entwickeln, der sich unausgesprochen im Inneren noch ganz klar anfühlte. Der US-amerikanische Philosoph Thomas Nagel fand für den Zusammenhang von Bewusstsein und individueller Erlebniswelt eine griffige Formel: Immer, wenn es für einen Organismus auf irgendeine Weise ist, dieser Organismus zu sein, wenn es sich also irgendwie anfühlt, dann verfügt er über Bewusstsein. Das gilt ebenfalls für Tiere. Sobald sie ein Gefühl für sich selbst entwickeln, werden aus einfachen Reflexmaschinen fühlende Wesen. Man kann dann nicht umhin, ihnen mentale Zustände zuzubilligen. Wie aber soll man herausfinden, ob es sich für ein Tier in irgendeiner Weise anfühlt, dieses Tier zu sein? Dazu müsste man wiederum die Erste-Personen-Perspektive dieses Wesens einnehmen, was aber aus prinzipiellen Gründen unmöglich ist. Nagel veranschaulichte die Unzugänglichkeit der Empfindung einmal, indem er seine Leser einlud, sich vorzustellen, wie es ist, eine Fledermaus zu sein: Man hätte Flughäute an den Armen, würde mit dem Mund Insekten fangen, die Umwelt mit einem System reflektierter Ultraschall-Signale wahrnehmen und würde den Tag kopfunter an den Füßen hängend in einer Dachkammer verbringen. Die Vergegenwärtigung dieser Rahmenbedingungen macht rasch deutlich, dass es uns beim besten Willen nicht gelingen wird, uns in eine Fledermaus hineinzuversetzen und uns erfahrbar zu machen, wie es ist, eine Fledermaus zu sein. Wenn wir aber nicht herausbekommen können, wie es ist, ein bestimmter Organismus zu sein, sollten wir Vorsicht walten lassen, Tieren Bewusstsein abzusprechen und sie auszurotten oder mit industrieller Effektivität zu kasernieren und abzuschlachten. Man kann nicht wissen, ob andere Tiere Bewusstsein haben, streng genommen kann man es nicht einmal von anderen Menschen mit Bestimmtheit sagen, nur von sich selbst. Für uns Menschen drückt sich der Status des Bewusstseins in der sprachlichen Formel des Ichs aus. Wenn es sich – ganz im Nagel’schen Sinn – nicht anfühlen würde, ein Mensch zu sein, könnte man auch nicht von sich reden und brächte das Wort Ich nicht über die Lippen. Aber was ist mit Affen, mit Fledermäusen, mit Bienen, mit Amöben? Zumindest von Menschenaffen können wir mit einiger Sicherheit sagen, dass sie über ein Bewusstsein ihrer selbst verfügen, dass es sich also irgendwie anfühlen muss, dieser Organismus zu sein. Das fand der US-amerikanische Psychologe Gordon Gallup heraus. Er ließ junge Schimpansen eine zeitlang mit Spiegeln spielen. Dann narkotisierte er seine Versuchstiere und malte den betäubten Affen einen gut sichtbaren Punkt auf die Stirn, etwas oberhalb des Auges, und einen zweiten über das Ohr auf der anderen Seite. Dann ließ er sie wieder aufwachen und gab ihnen einen Spiegel. Was würden sie tun? Die Schimpansen schauten in den Spiegel und begannen sogleich, die beiden Punkte zu untersuchen und entfernten sie schließlich. Der Nachweis eines solchen Spiegelbewusstseins gelang schließlich auch bei anderen Affenarten wie Bonobos und Orang-Utans. Gorillas hingegen bestanden den Spiegeltest nicht. Ebenso wenig wie Hunde, Katzen, Kaninchen und Kleinstkinder, die jünger als 18 Monate sind. Dass es sich anfühlt, ein bestimmter Organismus zu sein, dieser exklusive, von außen nicht erfahrbare Zustand der ersten Person wird auch als Qualia oder als phänomenales Bewusstsein bezeichnet. Phänomenales Bewusstsein beschreibt im philosophischen Diskurs die Erlebnisqualität des Bewusstseins. Um nachzuvollziehen, was phänomenales Bewusstsein ausmacht, stelle man sich vor, dass man eines morgens aufwacht und die Welt nur noch schwarz-weiß sieht. Dann hätte man eine entscheidende Bewusstseinsqualität eingebüßt, nämlich die der Farbeindrücke. Wenn wir alle Bewusstseinsqualitäten verlieren würden, also nicht nur keine Farben mehr sehen würden, sondern auch keine Töne mehr hören könnten, keine Körperempfindungen und keine Emotionen mehr hätten, dann wäre unser phänomenales Bewusstsein vollständig weg. Der phänomenale Aspekt des Bewusstseins ist es letztlich, der uns zu empfindenden und erlebenden Wesen macht. Der Philosoph Markus Gabriel hat demonstriert, was auf der anderen Seite reines phänomenales Bewusstsein wäre: ein reines ungeordnetes, unstrukturiertes Bombardement, wie man es möglicherweise erlebt, wenn man eine Überdosis LSD eingenommen hat. Also Musik ohne jegliche Melodie, Farben ohne Strukturen. Damit wird klar, dass Bewusstsein noch einen zweiten Aspekt braucht, um in der Weise kohärent zu werden, wie wir es erleben. Dieser zweite Aspekt nennt sich intentional und drückt den Umstand aus, dass es Bewusstsein nicht an sich gibt, sondern Bewusstsein immer Bewusstsein von etwas ist. Weder einen Schmerz noch einen Gedanken oder die Wahrnehmung eines Stuhls gibt es an sich, sondern es ist immer der konkrete Schmerz eines Menschen, der in dessen Bewusstsein auftaucht. Genau so wie der konkrete Gedanke und die konkrete Wahrnehmung eines Gegenstandes erst durch ein Bewusstsein ermöglicht wird, das seinerseits auf den Gegenstand oder den Schmerz gerichtet ist. Rein intentionales Bewusstsein wäre nun Bewusstsein ohne jedes Erleben. Um sich das vorzustellen, könnte man an eine Lichtschranke denken. Wenn eine Lichtschranke darauf reagiert, dass jemand durch die Tür gehen möchte, registriert sie, dass jemand da ist, erlebt aber gar nichts dabei. Gabriel weist darauf hin, dass die Trennung von intentionalem und phänomenalem Bewusstsein, so sehr sie durch die beiden Begriffe auch nahegelegt wird, in die Irre führt. Das, was die Begriffe jeweils bezeichnen, gibt es im Bewusstsein nicht isoliert, sondern nur verschränkt miteinander. Die Vorstellung also, es gäbe im Bewusstsein ein intensives phänomenales Erleben, das im zweiten Schritt von einem intentionalen Bewusstseinsmodul abgescannt und strukturiert wird, ist schlicht falsch. Beide Aspekte des Bewusstseins sind in jedem Moment miteinander verbunden. Dieser Umstand ist besonders im Hinblick auf die Neurowissenschaft bemerkenswert, die diese beiden Aspekte gern auseinanderreißt, wenn sie nach Hirnregionen sucht, die einzelne Leistungen vollbringen. In dieser Perspektive wird das Hirn erforscht, als wäre es ein modulares System, in dem jede Funktion nach Bedarf zugeschaltet werden kann. Diese Vorstellung greift zumindest auf der Ebene der Bewusstseinsprozesse zu kurz. Die Intuition legt nahe, dass es irgendwo im Gehirn ein Zentrum geben muss, das die Entscheidungsgewalt hat, die einzelnen Zentren des Hirns zu aktivieren und das dann alle Informationen zusammenfasst. Das wäre der dann der Ort, an dem Bewusstsein entsteht, der neurophysiologische Sitz des Ichs gewissermaßen. Hirnforscher wie der international renommierte Wolf Singer berichten jedoch von ihrer Überraschung, dass sie, wenn sie in die Gehirne hineinschauen, einen solchen Ort nicht finden. Die einzelnen Funktionen des Hirns sind offensichtlich nicht fein säuberlich verteilt wie die Module im Computer oder wie die Abteilungen in einer größeren Institution. Vielmehr treffen die Hirnforscher auf ein weit verzweigtes System verschiedenster Netzwerke, an denen immer wieder andere Neurone beteiligt sind. Ein gewaltiges Wirrwarr, das gerade nicht von einer ordnenden Hand dirigiert und befehligt wird. Daher führt es bei der neurowissenschaftlichen Untersuchung des Bewusstseins sicher in eine Sackgasse, den phänomenalen und den intentionalen Aspekt methodisch zu trennen. Die Neurowissenschaften treten derzeit bei der Erforschung des Bewusstseins auf der Stelle, wenn sie nach den sogenannten neuronalen Korrelaten des Bewusstseins suchen. Denn dieses Konzept läuft auf einen schlichten Parallelismus hinaus. Man lässt die Probanden bestimmte Bilder wahrnehmen oder bittet sie, sich an bestimmte Ereignisse ihres Lebens zu erinnern oder Rechenaufgaben zu lösen. Dabei registrieren die Hirnforscher im Magnetresonanztomographen die jeweiligen neuronalen Aktivitätsmuster. Mit dieser Herangehensweise wird man schließlich bestenfalls sagen können, welche Areale und welche Netzwerke aktiv sind, wenn vom menschlichen Gehirn eine bestimmte Bewusstseinsleistung erbracht wird. Aber man wird auf diese Weise nicht die Funktionen ergründen können, die zur Bildung von Bewusstsein führen, und schon gar nicht wird man etwas über den Inhalt und die Struktur des Bewusstseins erfahren. Das Sammeln der neuronalen Korrelate des Bewusstseins ist in etwa so, als würde man ein detailreiches Buch schreiben, ohne die Sprache zu beherrschen. Besonderheit dieses Buches wäre allerdings, dass nicht nur der Schreiber, sondern niemand die Sprache kennt, in der es geschrieben ist. Letztlich kann man in einem grundsätzlichen Sinne fragen, ob die Neurowissenschaft mit der Untersuchung der materiellen Gesetzmäßigkeiten überhaupt Aussagen über das Bewusstsein machen kann. Was soll die Aufklärung der Funktionsweise beispielsweise von Ionenkanälen beim Ablauf neuronaler Prozesse letztlich anderes erklären, als eben die neurochemische Grundlage dieser Vorgänge? Mit der Methode der Neurochemie kann man nur naturwissenschaftliche Prozesse erklären. Das Bewusstsein untersteht jedoch keinen naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten, sondern seinen eigenen. Und nur weil die Neurowissenschaft auch das Phänomen des Bewusstseins untersucht, heißt das ja nicht, dass Bewusstsein der Beschreibungslogik der Neurowissenschaften folgt. Die Logik der Gedanken in Goethes Faust ist eine völlig andere als die Logik der neurochemischen Beschreibungen von Ionenkanälen. Deswegen ist es genauso unsinnig, neuronale Vorgänge mit Goethes Poetik beschreiben zu wollen wie umgekehrt. Der französische Philosoph und Naturforscher René Descartes brachte bereits im 17. Jahrhundert logische Schärfe in die Debatte um den zwar in jedem Menschen offensichtlichen, bei genauerem Nachdenken jedoch verwirrenden Zusammenhang zwischen Geist und Materie. Bei ihm hieß das noch Leib und Seele, später dann Sein und Bewusstsein, noch später Gehirn und Bewusstsein beziehungsweise Gehirn und Geist. Descartes sieht das entscheidende Kriterium der gegenständlichen Welt in seiner Ausdehnung und findet dafür die Bezeichnung res extensa, die ausgedehnte Substanz. Das Gegenstück dazu bildet bei ihm die res cogitans, die denkende Substanz. Sie verfügt offensichtlich über keinerlei räumliche Ausdehnung, denn einen Gedanken kann man nicht verorten. Er ist überall und nirgends. Mit dieser strikten Trennung geistiger und materieller Wesenheiten handelt sich Descartes – und mit ihm das abendländische Nachdenken über das Bewusstsein – nun jedoch ein gravierendes, unlösbares Problem ein: Wenn res cogitans und res extensa zwei ihrem Wesen nach getrennte Substanzen sind, wie ist es dann zu erklären, dass sie miteinander wechselwirken und sich sogar gegenseitig beeinflussen? Descartes behauptet, dass die Zirbeldrüse im Gehirn die Kraft besäße, diese Wechselwirkung zu leisten. Diese durch nichts gedeckte Spekulation scheint bereits seinen Zeitgenossen fragwürdig. Seit die Steuerung des SchlafWachrhythmus durch die Produktion von Melatoinin in der Zirbeldrüse aufgeklärt ist, klingt sie geradezu absurd. Aber die Frage bleibt: Wenn man von der kausalen Geschlossenheit der Welt ausgeht, in der jeder materiellen Wirkung eine materielle Ursache vorausläuft, wie sollen dann nichträumliche, nicht-materielle Zustände wie Gedanken materielle Wirkungen verursachen? Wäre es nicht geradezu ein Akt der Magie, wenn der Gedanke, meine Hand zu bewegen, die tatsächliche Bewegung meiner Hand verursachen würde? Die Philosophie schlägt sich fortan mit dem Thema herum und entwickelt ein breites Spektrum an Lösungsversuchen, bei denen der Prozess der Wechselwirkung entweder vom Geist her gedacht wird, das wäre dann der Idealismus, oder von der Materie her, weswegen man diese Richtung auch Materialismus nennt. Eine hochinteressante Lösung des Leib-Seele-Problems schlägt der zeitgenössische Philosoph Johannes Wagemann vor. Er sieht Bewusstsein als ein eigenes Organ an und weist nach, dass es als solches die wesentlichen Charakteristika eines Organs erfüllt: Es ist erstens ein Teilsystem des Gesamtorganismus Mensch, so wie Leber, Herz und Niere auch, nur im Unterschied zu diesen handelt es sich beim Bewusstsein nicht um ein materielles Organ. Es erfüllt zweitens eine eigene, durch kein anderes Organ zu leistende Funktion. Die Funktion des Bewusstseins als einem nichtkörperlichen Organ besteht darin, Sinnzusammenhänge herzustellen. In dieser Funktion ist das Organ Bewusstsein eng mit dem Gehirn verbunden. Wagemann betont diesen Zusammenhang noch, indem er davon spricht, dass Gehirn und Bewusstsein verschränkt sind. Das Gehirn markiert in seiner Konzeption eine Grenze zwischen Mensch und Welt, es katapultiert den Menschen aus der Welt heraus, indem es erst einmal Chaos schafft. Aus der Gleichförmigkeit der Welt erzeugt das Gehirn ein wildes Sammelsurium ungeordneter Reize und liefert somit die Grundlage für die Tätigkeit des Bewusstseins. Das Bewusstsein fügt nämlich das vom Gehirn Zerlegte in einer eigenen Ordnung zusammen. Diese Ordnung ist dann genau das, was man unter Sinn versteht. Ein sinnhafter Zusammenhang, eine sinnhafte Strukturierung, die letztlich selbstbezüglich ist, weil sie wiederum nur mit Bewusstsein zu verstehen ist. Deshalb sind die Sinnzusammenhänge des Bewusstseins lediglich aus der Logik des Bewusstseins heraus zu begreifen und nicht – wie vorhin bereits gesagt – aus der neuronalen Logik des Gehirns, mit der sich die Neurowissenschaft beschäftigt. Der Vorschlag Wagemanns, das Bewusstsein als eigenes Organ zu begreifen, muss noch den Praxistest bestehen. Der unbedingte Vorteil dieses Modells liegt jedoch in der klaren Abgrenzung der Funktion des Bewusstseins, die ohne den Kategorienfehler der Neurowissenschaften auskommt. Denn während die Neurowissenschaft vergeblich darauf hofft, durch die Analyse materieller Prozesse mentale Vorgänge zu verstehen, wird hier Mentales dem Bewusstsein und Materielles dem Gehirn zugeordnet. Somit fällt das Leib-Seele beziehungsweise Gehirn-Bewusstseins-Problem nicht mehr ins Gewicht. Vor diesem Hintergrund wird eine Stimme aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wieder hörbar. Sie ertönte aus den Reihen der Naturwissenschaftler und mahnte die angesichts ihrer Erfolge auf allen Gebieten sehr selbstbewussten Kollegen zur Demut. Der Begründer der Elektrophysiologie, Emil du-Bois Reymond, legte dar, dass Bewusstsein aus seinen materiellen Bedingungen heraus nicht erklärbar ist und sein wird, denn den Atomen als den Grundbausteinen sei ihre Struktur und Anordnung selbst vollkommen gleichgültig. Er dekretierte: Ignoramus et ignorabimus – Wir wissen es nicht, und wir werden es nicht wissen. Im 20. Jahrhundert verhallte die Stimme von du-Bois Reymond wieder. Besonders die Entwicklung einer Maschine, die so vieles besser kann als der Mensch, nahm dem Erkenntnispessimismus den Wind aus den Segeln. Wenn man Computer bauen konnte, die sogar das hochkomplexe Schachspiel besser beherrschten als der menschliche Weltmeister, schien man auf dem richtigen Weg, um auch das Rätsel des Bewusstseins mit naturwissenschaftlichen Mitteln zu lösen, indem man entweder eine künstliche Intelligenz mit den markanten menschlichen Eigenschaften kreierte oder die Entstehung des Bewusstseins aus der immer besseren Kenntnis der Neurone und ihrer Verschaltungen heraus zu erklären vermochte. Beides ist trotz jährlicher Verdopplung der Computerleistungen und der Entwicklung bildgebender Verfahren nicht gelungen, so dass der 1994 von dem australischen Philosophen David Chalmers geprägte Begriff vom schwierigen Problem des Bewusstseins bis heute Gültigkeit hat. Nach seiner Unterscheidung tun sich mit der Frage nach dem Bewusstsein zwei Probleme auf: das einfache, bei dem es um die Erklärung von Verhalten geht, und das schwierige, das die Entstehung subjektiver Erfahrung aus physikalischen Prozessen zum Gegenstand hat. Obwohl letzteres auf den herkömmlichen Wegen der Neurowissenschaft nicht nur schwierig, sondern geradezu unmöglich scheint, überraschen Hirnforscher immer wieder mit Experimenten, deren Ergebnisse unserer Intuition völlig zuwider laufen. So bat der deutsch-britische Hirnforscher John-Dylan Haynes seine Probanden, sich zu einem selbstgewählten Zeitpunkt für das Drücken eines Knopfes in ihrer rechten oder in ihrer linken Hand zu entscheiden. Währenddessen untersuchte Haynes ihre Hirnaktivität mit funktioneller Magnetresonanztomografie. Um die Zeitmessung zu ermöglichen, wurden den Porbanden auf einem Bildschirm Buchstaben gezeigt, die jede halbe Sekunde wechselten. Sie sollten sich dann den Buchstaben merken, den sie sahen, als sie sich entschieden, die Handlung durchzuführen. Die Entscheidung für den rechten oder den linken Knopf fiel nun eine halbe bis eine Sekunde vor der eigentlichen Bewegung. Was zu erwarten war. Überraschenderweise aber fand Haynes Hirnaktivität, die schon sieben Sekunden früher anzeigte, wie sich der Proband entscheiden würde. Das heißt, das Gehirn besitzt Informationen über eine Entscheidung, die jemand erst sieben Sekunden später zu fällen glaubt. Dieser Versuch hat einen Vorläufer. Der US-amerikanische Physiologe Benjamin Libet hatte bereits Anfang der achtziger Jahre das merkwürdige Hinterherhinken des Bewusstseins nachweisen können. Damals waren es jedoch lediglich 300 Millisekunden, die die bewusste Entscheidung auf sich warten ließ, so dass Mess-Ungenauigkeiten als Erklärung dieses Phänomens infrage kamen. Aber sieben Sekunden sind beim besten Willen nicht wegzudiskutieren. Was aber bedeutet das? Während Hirnforscher aufgrund der Befunde dazu neigten, dem Menschen den freien Willen abzusprechen, weil sich das Bewusstsein offensichtlich erst nachträglich Handlungen zurechnet, die das Gehirn längst entschieden hatte, waren Philosophen an dieser Stelle vorsichtiger – man könnte auch sagen genauer –, denn die Aufgabe der Philosophie ist es, nach den Grundlagen und Prinzipien unseres Wissens zu fragen. So lautet die erste philosophische Frage, ob man von der Entscheidung für das Drücken eines Knopfes auf die hochkomplexen Prozesse schließen kann, die mit dem freien Willen verbunden sind? Dabei geht es nicht nur um die Simplizität der Handlung des Knopfdrückens, sondern auch um den Kontext, in dem der Versuch stattfindet. Denn letztlich trifft der Proband im Hirnscanner überhaupt keine freie Willensentscheidung, da er ja von vornherein weiß, dass er sich für den einen oder den anderen Knopf entscheiden soll. Die einzige Freiheit, die der Versuch ihm lässt, besteht in der Wahl des Zeitpunktes. Ist es da nicht selbstverständlich, dass sich das Hirn jenseits der Bewusstseinsebene bereits mit der Handlung beschäftigt, damit sie schließlich auch ausgeführt werden kann? Außerdem widerspricht es auch nicht der Freiheit des Willens, wenn Handlungsantriebe aus dem nichtbewussten Teil des Gehirns kommen. Wo sonst existieren denn Wünsche, Triebe und was Sigmund Freud sonst noch in das Reich des Unbewussten verbannt hat? Zur Person gehört ja das Unbewusste ebenso wie das Bewusstsein. Der freie Wille zeigt sich an genau der Stelle, wo die Wünsche ins Bewusstsein aufsteigen und man entscheidet, ob man ihm folgt oder nicht. Das Bewusstsein kann nach Abwägung aller ihm erreichbaren Faktoren immer noch ein Veto einlegen. Insofern sind die Versuche von John-Dylan Haynes keinesfalls eine Widerlegung des freien Willens. Vielmehr gestatten sie uns tiefe Einblicke in die Art und Weise, wie Handlungen zustande kommen. Eine gänzlich andere Perspektive auf das Bewusstsein hat die Künstliche-IntelligenzForschung. Für Experten des Faches wie den Wissenschaftstheoretiker Klaus Mainzer steht das Bewusstsein bei der Evolution der Intelligenz nicht im Vordergrund. Im Gegenteil wird der Weg der Intelligenzsteigerung über die digitalen Systeme gehen, die alle problematischen Aspekte des Bewusstseins wirkungsvoll ausschließen. So sind künstliche Intelligenzen nicht fehleranfällig, sind nicht durch Emotionen verunsicherbar und kennen keine Angst vor Schmerzen, weil sie keine Schmerzen kennen. So gesehen wird es kommenden Generationen wahrscheinlich schwer nachvollziehbar sein, wie sich ihre Ahnen dem Risiko aussetzen konnten, selbst ein Automobil zu steuern oder sich von einem menschlichen Chirurgen operieren zu lassen. Das mag stimmen und ist eigentlich auch nicht beunruhigend. Denn technische Systeme, die nach Lösungen von Problemen suchen, gibt es spätestens seit der Erfindung des Rades vor etwa siebentausend Jahren. Und wenn es verlässlicher ist, mit selbstfahrenden Autos herumzufahren, warum dann nicht? Allerdings ficht das das menschliche Bewusstsein nicht an. Der Mensch wird seine bewussten Fähigkeiten nicht dadurch verlieren, dass er Assistenzsysteme nutzt. Seine Verletzlichkeit, Empfindsamkeit und Schmerzanfälligkeit wird ihn auch weiterhin zu bewusster Reflexion der Gegebenheiten seiner Existenz befähigen. Aus diesem Grundverhältnis leitet sich das Menschenbild einer jeden Epoche ab. So gesehen ist die Frage nach dem Bewusstsein immer auch die Frage nach dem Selbstverständnis des Menschen. Selbst wenn die Science-fiction-Szenarien à la Terminator einst Wirklichkeit werden und uns die intelligenten Maschinen versklaven sollten, wird es Bewusstsein als Reflexionshorizont des Daseins geben. Dann hätte die Natur nicht umsonst an einem durch nichts ausgezeichneten Punkt am Rande einer eher durchschnittlichen Galaxie die Augen aufgeschlagen. ***** Dr. phil. Matthias Eckoldt, Jahrgang 1964, lehrt an der Berliner Freien Universität im Fachbereich Geschichte und Kulturwissenschaft. Er veröffentlichte zahlreiche Features, Essays und Hörspiele. Arbeitsgebiete: Systemtheorie der Massenmedien, Machtanalytik moderner Gesellschaften, Konstruktivistische Paradigmen, Moralphilosophie Bücher (Auswahl): – Eine kurze Geschichte von Gehirn und Geist – Woher wir wissen, was wir fühlen und denken. Pantheon, 2016. – Woanders ist auch Alltag: Auslandskorrespondenten über die Tücken in der Fremde (zusammen mit Matthias Baxmann). Verlag Bastei-Lübbe, 2014. – Kann das Gehirn das Gehirn verstehen? Gespräche über Hirnforschung und die Grenzen der Erkenntnis. Verlag Carl Auer, 2013. 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