Fachorgan des Sanitätsdienstes der Bundeswehr 59. Jahrgang - Heft 8 - 20. August 2015 Wehrmedizinische Monatsschrift Herausgegeben durch das Bundesministerium der Verteidigung Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie e. V. WMM_8_U1.indd 1 07.08.15 11:10 Unser Leitbild Sanitätsdienst der Bundeswehr Wir sind aktive Soldatinnen und Soldaten, zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Reservediestleistende des Sanitätsdienstes. Wir schützen und erhalten die Gesundheit der uns anvertrauten Patientinnen und Patienten. Wir leben und handeln nach den ethisch-moralischen Werten unseres demokratischen Rechtstaates und des huminitären Völkerrechtes. Wir folgen den geltenden Standards und dem aktuellen Stand der Wissenschaft Wir nutzen unsere Waffen im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht ausschließlich zur Verteidigung unserer Patientinnen und Patienten und zum eigenen Schutz. Wir fördern durch offene Kommunikation, vertrauensvollen Umgang miteinander, kurze Entscheidungswege und Stärkung der Eigenverantwortung die Motivation und Arbeitszufriedenheit des einzelnen Mitarbeiters. Wir arbeiten mit unseren militärischen und zivilen Partnern zusammen, in Deutschland, international, weltweit. Wir sind stolz auf die Leistungen des Sanitätsdienstes der Bundeswehr. Wir leisten einen entscheidenden Beitrag zur Einsatzbereitschaft, Einsatzfähigkeit und Auftragserfüllung der Bundeswehr. Wir sind der Sanitätsdienst der Bundeswehr. WMM_8_U2.indd 1 07.08.15 11:10 229 Sehr geehrte Leserinnen und Leser, liebe Kameradinnen und Kameraden, als neuer Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr freut es mich, dass ich mich mit der ersten in meiner Amtszeit erscheinenden Ausgabe unserer Wehrmedizinischen Monatsschrift an Sie wenden kann. Dieses gilt umso mehr, als mit dem Heft 8/2015 ein wichtiger erster Schritt in Richtung auf die Neugestaltung der „Truppenzeitung WMM“ getan wird. Zum ersten Male erscheinen wissenschaftliche Beiträge, die ein formales Peer Review durchlaufen haben – eine wichtige Voraussetzung für die zukünftige Repräsentanz unseres Sanitätsdienstes in nationalen und internationalen wissenschaftlichen Informationssystemen. Insbesondere unser akademischer Nachwuchs kann damit für die eigene wissenschaftliche Arbeit auf erfahrene Gutachter zurückgreifen, die sich dabei vor allem als kameradschaftliche Mentoren sehen. Wir verfügen mit unserem Sanitätsdienst über ein einzigartiges Versorgungssystem. Der Wirkverbund im Zentralen Sanitätsdienst, aber auch in den Sanitätsdiensten der Teilstreitkräfte und der Streitkräftebasis erfährt eine überaus hohe Wertschätzung. Aus den Einsätzen gewonnene und sorgfältig mit wissenschaftlichen Methoden evaluierte Erkenntnisse finden zunehmendes Interesse auch in den zivilen medizinischen und pharmazeutischen Fachgesellschaften. Mit der Publikation von Beiträgen in einer eigenen Zeitschrift haben wir dabei die einmalige Chance, alle Angehörigen des Sanitätsdienstes, unsere „Reservisten“ sowie eine große Zahl ziviler Einrichtungen zu erreichen und approbationsübergreifend Wissen zu vermitteln. Die ersten Beiträge mit Peer Review, die in dieser Ausgabe der WMM erscheinen, beleuchten aus dem breiten Spektrum der Wehrmedizin die Facetten Klinik, Ausbildung und Forschung. Die daran anschließende umfassende Analyse der medizinischen Versorgung der Deutschen Mittelmeerkräfte 1914 - 1918 macht deutlich, dass das Befassen mit der Geschichte der Wehrmedizin uns auch für heutige und zukünftige Einsätze wichtige Hinweise geben kann. Die von Oberstarzt Dr. Funke vorgestellten Ideen und Vorgaben zur Weiterentwicklung der WMM, von denen einige bereits realisiert wurden, zeigen einen Weg auf, der allen Angehörigen des Sanitätsdienstes eine Plattform bietet, auf der sie sich austauschen können. Ich erwarte von allen Vorgesetzten, dass sie Publikationen ihrer Mitarbeiter in unserer WMM nachdrücklich unterstützen. Die Angehörigen der Gesundheitsfachberufe fordere ich auf, sich mit ihrem ganz speziellen Fachwissen an der Gestaltung der WMM zu beteiligen – auch als Ausdruck meiner Wertschätzung ihrer fachlichen Leistungen. Und nicht zuletzt würde ich mich ganz besonders darüber freuen, wenn weiterhin auch Beiträge aus dem zivilen Bereich den Weg in die Redaktion fänden. Ich danke den „Machern“ unserer WMM für die auf dem Weg in die Zukunft geleistete Arbeit und wünsche Ihnen allen viel Freude beim Lesen dieses Heftes. Ihr Dr. Michael Tempel Generaloberstabsarzt Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr Inhaltsverzeichnis ISSN 0043-2156 Heft 8/59. Jahrgang August 2015 Editorial 229 Tempel, M. Originalia Sammito, S., Schlattmann, A., Felfe, J., et al.: Betriebliches Gesundheitsmanagement im Geschäftsbereich 230 des Bundesministeriums der Verteidigung – Wissenschaftliche Begleitung eines ehrgeizigen Projektes Willy, C., Kern, E.-M., Kehe, K., Weller, N. Strukturierung und Evaluation der Chirurgischen Weiterbildung innerhalb der Bundeswehrkrankenhäuser – Update 2015 236 Kasuistik Schreyer C., Willms A., Schaaf S., Schwab R. Eine außergewöhnliche Ursache des penetrierenden Thoraxtraumas: Hydrauliköldurchschuss des linken Lungenoberlappens 244 Geschichte der Wehrmedizin Machalett, G., Finke, E.-J. Die medizinische Versorgung der Deutschen Militärmission in Vorderasien 1914 - 1918 248 Aus den Fachgebieten Jänig, C., Laumann, S., Karg, M., Köster, M. Einsatz im Rahmen der Bordfacharztgruppe: Konventionelle Appendektomie an Bord der Fregatte KARLSRUHE 259 Raab, D. 263 Fünf Strategien zur Prävention einer Sekundärkaries – Von der Verringerung des Randspaltes bis zum Kupferzement Funke, S. Weiterentwicklung der WMM 266 Aus dem Sanitätsdienst 270 Truppenärtzliche Praxis 276 Wehrmedizinische Kurzinformation 278 Tagungen und Kongresse 279 Buchbesprechungen Mitteilungen der DGWMP e. V. 269, 283 284 Titelbild: Anlässlich der Übergabe des Kommandos über den Sanitätsdienst der Bundeswehr auf der Festung Ehrenbreitstein, Koblenz, angetretene Ehrenformation Bildquelle: PIZ SanDstBw Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 229 07.08.15 13:40 230 Originalia Aus der Task Force Betriebliches Gesundheitsmanagement des Kommandos Sanitätsdienst der Bundeswehr (Führung: Generaloberstabsarzt Dr. M. Tempel, Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr), der Abteilung Führung Streitkräfte II 6 im Bundesministerium der Verteidigung (Abteilungsleiter: Vizeadmiral H. Lange) und den an der wissenschaftlichen Evaluierung beteiligten Instituten Betriebliches Gesundheitsmanagement im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung – Wissenschaftliche Begleitung eines ehrgeizigen Projektes Occupational health management in the ministry of defense – scientific steering of a comprehensive project Stefan Sammito1,2; Andreas Schlattmann3; Jörg Felfe4; Karl-Heinz Renner5; Jens Kowalski6; Michael Stein6; Gertrud Winkler7; Ulrike Arens-Azevedo8; Christian Krauth9; Ute Latza10; Dirk Densow1; Oliver Maria Erley11; Dirk-Matthias Rose2 Zusammenfassung Summary Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) hat sich in den letzten Jahren zum Erhalt und zur Steigerung der Leistungsfähigkeit und Gesundheit der Arbeitnehmer sowie zur Attraktivitätssteigerung der Arbeitgeber etabliert. Seit dem 01.01.2015 wird im Rahmen einer Erprobungsphase BGM im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung eingeführt. Diese Erprobungsphase wird von acht Hochschulinstituten wissenschaftlich begleitet. Es soll eine Vorstellung der Online- und Paper-Pencilbefragung im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung sowie ein Ausblick auf die Datenauswertung und die weitere Einbindung wissenschaftlicher Erkenntnisse in eine anschließende Ausbreitung des BGM über die Erprobungsdienststellen hinaus gegeben werden. Hierbei wird auf die Datenerhebung im Kontext unterschiedlicher Erprobungsdienststellen und die geplante Auswertungsstrategie eingegangen. Die Nutzung moderner Technologien, hier die Durchführung einer webbasierten Onlinebefragung, stellt eine geeignete Maßnahme dar, um schnell, kostengünstig – insbesondere bei der großen Anzahl der Mitarbeiter (>10 000) – eine wissenschaftliche Ist-Erhebung zu erhalten. Die Auswertung der ersten Befragungswelle, insbesondere der Rücklaufquoten, wird zeigen, ob die im Rahmen der Vorbereitung und Durchführung ergriffenen Maßnahmen zu einer möglichst hohen und – auf die Dienststellen bezogen – vergleichbaren Verteilung der Teilnahme der Mitarbeiter geführt haben. Schlüsselwörter: Betriebliches Gesundheitsmanagement, Gesundheitsförderung, Stressprävention, Militär, Bewegung, Ernährung 1 2 3 4 5 Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr, Abteilung A (Abteilungsleiter: Admiralarzt Dr. Stephan Apel) Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (Institutsleiter: Prof. Dr. Stephan Letzel) Department für Sportwissenschaft der Universität der Bundeswehr München (Departmentsprecher: Prof. Dr. Dieter Hackfort) Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der Helmut-SchmidtUniversität/Universität der Bundeswehr Hamburg (Leiter: Prof. Dr. Jörg Felfe) Department für Psychologie, Professur für Differentielle und Diagnostische Psychologie der Universität der Bundeswehr München (Leiter: Prof. Dr. Karl-Heinz Renner) Occupational health management (OHM) has been established over the last years to improve or enhance performance ability and health of employees and to improve attractiveness of the employers. Since January 1, 2015 OHM has been implemented in the area of responsibility of the German Federal Ministry of Defense. Eight universities are involved in the scientific evaluation of this pilot scheme. This paper presents the methods of the survey of all employees, the used analysis and the integration of these results in the future expansion of the OHM amongst the Federal Armed Forces. The challenges of the survey methods and the analysis in the context of the different participating departments of this pilot scheme are described. The use of modern technology (web based survey tool) is a suitable measurement method for a fast and also cost-effective survey, especially in regard to the great number of employees (>10,000). Particularly, the response rate to the web-based questionnaire of the first survey will indicate whether all taken mea­ sures have been effective to achieve a high participant quota as an indicator of the degree of acceptance amongst the involved employees. Keywords: occupational health management, health promotion, stress prevention, military, activity of daily life, nutrition 6 Streitkräfteamt, Gruppe Angewandte Militärpsychologie und Forschung (Amtschef: Generalmajor Werner Weisenburger) 7 Fakultät Life Sciences der Hochschule Albstadt-Sigmaringen (Dekan: Prof. Dr. Andreas Schmid) 8 Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, Fakultät Life Sciences, (Dekan: Prof. Dr. Claus-Dieter Wacker) 9 Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung der Medizinischen Hochschule Hannover (Direktorin: Prof. Dr. Ulla Walter) 10 Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, FG 3.1 “Prävention arbeitsbedingter Erkrankungen” (Leiterin: Prof. Dr. Ute Latza) 11 Bundesministerium der Verteidigung, Führung Streitkräfte (FüSK) II 6 (Abteilungsleiter: Vizeadmiral Heinrich Lange) Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 230 07.08.15 13:40 S. Sammito et al.: Betriebliches Gesundheitsmanagement im Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung Einleitung Betriebliche Gesundheitsmanagementmaßnahmen (BGM-Maßnahmen) haben sich in den letzten Jahren zum Erhalt und Steigerung der Leistungsfähigkeit der Arbeitnehmer und zur Attraktivitätssteigerung der Arbeitgeber etabliert. Insbesondere im Kontext des demographischen Wandels gewinnt BGM zunehmend an Bedeutung [1, 7]. Dies trifft gleichermaßen für Industrie- und Dienstleistungsbereiche, wie auch auf den Arbeitgeber Bundeswehr zu. Gerade die hohen psychophysischen Herausforderungen mit Dienst im Heimatland und in den Einsatzgebieten [8, 16] erfordern ein hohes Maß an Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Motivation von jedem Einzelnen. Im Kontext zunehmender Zivilisationskrankheiten wie Hypertonus, Diabetes mellitus und Übergewicht [10], deren zunehmendes Auftreten bei potenziellem Nachwuchs [13, 17], verbunden mit der ständigen Zunahme stressbedingter Ausfalltage [9], führen zu Herausforderungen für den Erhalt der Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten und der Gewinnung von geeignetem Nachwuchs. Mit dem Konzept „Betriebliches Gesundheitsmanagement“ für den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) [2] wurde vor dem Hintergrund der Forderung einer hohen Einsatzbereitschaft der Bundeswehr und der Fürsorgeverpflichtung des Dienstherrn bzw. Arbeitgebers „die Notwendigkeit einer Gesundheitsprävention und -förderung für alle Angehörigen des Geschäftsbereichs BMVg“ festgestellt. Auf Basis einer systematischen, bedarfs- und zielorientierten und sukzessiven Einführung und Anpassung von Maßnahmen eines BGM sollen die physische und psychische Gesundheit und Leistungsfähigkeit aller Mitarbeiter im Geschäftsbereich (militärisch wie zivil) erhalten bzw. gefördert werden und die Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeber im Rahmen der Initiative „Bundeswehr in Führung - Aktiv. Attraktiv. Anders.“ gesteigert werden. Um nachhaltig zu sein, ist es zwingend notwendig, den tatsächlichen Bedarf zu erfassen und die Maßnahmen entlang der vor- Abb. 1: Verteilung der Erprobungsdienststellen 231 handenen Ressourcen bedarfsgerecht zu entwickeln. Aus diesem Grund ist es unerlässlich, auch wenn vieles schon bekannt zu sein scheint, eine Erprobung durchzuführen. Dazu wurden elf Dienststellen ausgewählt, die hinsichtlich ihres jeweiligen Auftrages und vor allem ihrer personellen Zusammensetzung für die Diversität der Bundeswehrdienststellen repräsentativ sind (siehe Abbildung 1). Daraus sind Erkenntnisse zu gewinnen, die für die weitere Implementierung in anderen Dienststellen hilfreich sind. Aufgrund des hohen personellen Einsatzes einerseits und der hohen Bedeutung für den Einzelnen anderseits, sollten die Entscheidungen hierzu evidenz-basiert getroffen werden. Dazu wurde im Auftrag des BMVg eine Forschungskooperation von acht Hochschuleinrichtungen geschaffen, um eine zeitgleiche wissenschaftliche Evaluierung der Einführung durchzuführen. Begleitet wird diese Forschungskooperation durch die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) - Ressortforschungseinrichtung im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS). Die BAuA bringt umfangreiche Erkenntnisse und fundierte empirische Daten zur Entwicklung von Arbeit und Gesundheit der Beschäftigten in das Evaluierungsvorhaben ein. Spezifisch beteiligt sie sich mit einem Forschungsprojekt zur Evaluierung der Tätigkeit und Wirksamkeit der BGM-Koordinatoren (Projektnummer: F2370; Erläuterungen zu Aufgaben und Ausbildung der BGM-Koordinatoren finden sich im Kapitel „Vorbereitung und Durchfüh­ rung der Befragung“). Mit der Evaluierung sollen mit Blick auf den Roll-out folgende Ziele verfolgt werden: • Systematische Erfahrungsaufbereitung aus der Erprobungsphase; • Machbarkeit und Wirkung der Maßnahmen abschätzen; • Stärken und Schwächen identifizieren, sowie Chancen und Ri­ siken erkennen; • Klärung, was bei einem bundeswehrweiten Roll-out zu beachten ist. Dazu sollen unter anderem folgende Fragestellungen beantwortet werden: • Machbarkeit: Wie gut funktioniert die praktische, organisatorische Umsetzung? • Akzeptanz: In welchem Umfang und von welchen Beschäftigtengruppen werden die Angebote genutzt? • Nachhaltigkeit: Wie groß sind Interesse bzw. Bedarf an einer Fortsetzung? • Gesundheit: Wie wirken sich die Maßnahmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF-Maßnahmen) auf das individuelle Gesundheitserleben aus? • Bundeswehr: Wie wirken sich die BGF- Maßnahmen auf Commitment, Arbeitgeberattraktivität und die Zufriedenheit aus? • Bedingung: Welche förderlichen und hinderlichen Rahmenbedingungen beeinflussen die Teilnahme bzw. Akzeptanz der BGF-Angebote? • Differenzierung: Systematische Erfahrungsaufbereitung nach Dienststellen, Mitarbeitergruppen, Maßnahmen, etc. Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 231 07.08.15 13:40 232 S. Sammito et al.: Betriebliches Gesundheitsmanagement im Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung Bei der Evaluation kommen unterschiedliche Zugänge und Methoden zum Einsatz: • Standardisierte Online-Befragung: zu Beginn und am Ende der Pilotphase (Federführung: Universitätsmedizin Mainz); • Qualitative Interviews: strukturierte Interviews mit „Stakeholdern“: Betriebsärzte, Dienststellenleiter, BGM-Koordinatoren, Truppenpsychologen mit ausgewählten Teilnehmern zu Beginn und zum Ende der Pilotphase (unter anderem Helmut-Schmidt Universität Hamburg und Streitkräfteamt, Gruppe Wehrpsychologie); • Teilevaluationen zu einzelnen Maßnahmenpaketen: Bewegung, Stressprävention, Schlafcoaching, Ernährung. Methoden Beginnend mit dem 01.01.2015 wurde aus dem BMVg von hierfür speziell ausgebildeten BGM-Koordinatoren an elf ausgewählten Dienststellen eine Erprobungsphase gestartet. Die Erprobungsdienststellen wurden so ausgewählt, dass die im Zuständigkeitsbereich des BMVg vorkommende Breite der Zusammensetzung von Mitarbeitern (Soldaten und zivile Mitarbeiter) und die Unterschiedlichkeit von Dienststellen (zum Beispiel Verwaltung und militärischer Kampfverband) während der Erprobungsphase repräsentiert werden. Im Folgenden sollen die Onlinebefragung präsentiert sowie ein Ausblick auf die Datenauswertung und die weitere Einbindung wissenschaftlicher Erkenntnisse in eine Ausbreitung des BGM über die Erprobungsdienststellen hinaus gegeben werden. Dabei hat jedes Fachgebiet seine eigenen „Tools“. Insbesondere für die geplante adressatengerechte Bedarfsanalyse ist die Befragung jedes einzelnen Mitarbeiters von hohem Wert. Für die hier vorgestellte Befragung der Mitarbeiter liegen ein positives Votum der Ethikkommission des Landes-Rheinland-Pfalz, eine positive Stellungnahme des Datenschutzbeauftragen des Kommandos Sanitätsdienst der Bundeswehr (Kdo SanDstBw) sowie eine Zustimmung des Gesamtvertrauenspersonenausschusses und des Hauptpersonalrates beim BMVg vor. Es ist unter der Forschungsnummer E/U2AD/ED003/ EF555 bei der Sanitätsakademie der Bundeswehr registriert und wird vom BMVg finanziell gefördert. Entwicklung des Fragebogens Teil I und II Aufbauend auf einem webbasierten Befragungstool wurden zu Beginn (Februar/März 2015) und zum Ende der Erprobungsphase (Juni 2015) in zwei Befragungswellen die Mitarbeiter der Erprobungsdienststellen gebeten, freiwillig und anonym an der Befragung teilzunehmen. Hierzu wurde durch das Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, basierend auf Vorerfahrungen mit Onlinebefragungen bei Lehrkräften und pädagogischen Fachkräften des Landes Rheinland-Pfalz [3, 4], eine webbasierte Onlineplattform geschaffen. Diese wurde aus datenschutzrechtlichen Gründen auf dem Server der Universitätsklinik Mainz hinterlegt, wodurch ein hohes Maß an Sicherheit für die erhobenen Daten gewährleistet werden kann. Im Rahmen mehrerer Workshops und elektronischer Abstimmungsrunden wurde gemeinsam mit den Forschungspartnern ein Fragebogen entwickelt, welcher zum einen noch überschaubar und in 15 - 20 Minuten ausfüllbar ist, zum anderen möglichst viele Facetten des BGM abdecken soll (Arbeitssituation, Gesundheit, Stress, Bewegung, Ernährung und Arbeitgeberattraktivität) sowie zusätzlich einige soziodemographische Daten zwingend umfassen musste. Im Zuge der Erstellung des Fragebogens wurde schnell erkannt, dass lediglich durch Splittung der Ist-Erhebung auf beide Befragungswellen ein den Mitarbeitern vom Umfang noch zumutbarer Fragebogen vorgegeben werden konnte. Fragen zu Aspekten, bei denen kurzfristige Veränderungen zu erwarten sind, wurden zu beiden Zeitpunkten erhoben. Fragen zur Teilnahme an BGM-Maßnahmen und deren Einschätzung wurden in die zweite Befragungswelle gelegt. Aufgrund der Fristen im Rahmen der Mitwirkung der Beteiligungsgremien, konnte der ursprünglich geplante Starttermin der ersten Befragungswelle im Anschluss an die im Januar stattfindenden Kick­Off­Veranstaltungen der BGM­Koordinatoren nicht gehalten werden, wodurch es zu einer Verschiebung der ersten Befragung in die Monate Februar und März 2015 kam. Tabelle 1 zeigt die Zusammenstellung der Themen in den beiden Befragungswellen. Der Großteil der Fragen kann auf einer Tab. 1: Übersicht über die Themeninhalte der ersten und zweiten Befragungswelle 1. Befragungswelle Ernährung (5 Items) Bewegung und körperliche Leistungsfähigkeit (8 Items) Arbeitssituation, -platz, -verhalten (36 Items) Gesundheit (29 Items) Lifestyleverhalten (2 Items) Gesundheitsverhalten (5 Items) [6] Stresserleben (3 Items) [15] Commitment (5 Items) [5] Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeber (8 Items) Teilnahmebereitschaft an BGM-Maßnahmen (3 Items) Soziodemographische Daten (13 Items) 2. Befragungswelle Ernährung (7 Items) Bewegung und körperliche Leistungsfähigkeit (3 Items) Arbeitssituation, -platz, -verhalten (1 Item) Gesundheit und Krankheitstage (8 Items) Commitment (5 Items) [5] Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeber (8 Items) Information, Interesse und Hindernisgründe zur Teilnahme an BGF-Maßnahmen (16 Items) Individuelle Teilnahme und Zufriedenheit an/mit den BGF-Maßnahmen (15 Items) Stellenwert der Gesundheit (2 Items) Achtsamkeit (4 Items) Arbeitsverhalten und Lebensstil (2 Items) Arbeitsplatzmerkmale (6 Items) Stress (6 Items) Denk- und Handlungsweisen (7 Items) Soziodemographische Daten (13 Items) Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 232 07.08.15 13:40 S. Sammito et al.: Betriebliches Gesundheitsmanagement im Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung 233 4­, 5­ oder 6­stufigen Likertskala beantwortet werden, wobei die Angaben „keine Aussage“ und „trifft für mich nicht zu“ durchgängig bei jeder Frage zur Verfügung gestellt werden. Bei der Zusammenstellung der Items wurde, soweit möglich, auf wissenschaftlich erprobte Instrumente und Skalen zurückgegriffen. Darüber hinaus werden Freitexteinträge, sowie, wo immer möglich, vorgegebene Antwortoptionen (zum Beispiel männlich / weiblich) angeboten. Im Zuge eines Vortestes zur Verständlichkeit und Beantwortbarkeit der Fragebögen, konnte das angepeilte Zeitmaß von 15 - 20 Minuten Dauer für die Beantwortung der Fragen verifiziert sowie die zielgruppenspezifi­ sche Frageformulierung weiter verbessert werden. Vorbereitung und Durchführung der Befragung Im Rahmen von Kick-Off-Veranstaltungen im Januar und der ersten Februarhälfte 2015 wurden durch die BGM-Koordinatoren in den Erprobungsdienststellen die Mitarbeiter bei zentralen Informationsveranstaltungen auf die geplanten Maßnahmen hingewiesen und die Ansprechpartner und der Ablauf des BGM-Erprobungsprojektes vorgestellt. Bei den BGM-Koordinatoren handelt es sich um Truppenoffiziere mit einem abge­ schlossenen Studium der Sportwissenschaften, die für jeweils eine der Erprobungsdienststellen ab Dezember 2014 als VorortAnsprechpartner und Koordinator zu Verfügung standen. Im Vorfeld wurden diese zusätzlich während eines mehrwöchigen Lehrganges an der Sportschule der Bundeswehr in Warendorf eingewiesen und zum Fachsportleiter Gesundheitssport ausgebildet. Ihre Aufgaben während der Erprobungsphase sind die Koordination, Erfassung und die Durchführung von BGF-Maßnahmen in den jeweiligen Erprobungsdienststellen. Sie stellen zugleich für den Dienststellenleiter und für Vorgesetzte, wie auch für alle Mitarbeiter und Soldaten die Ansprechstelle für Maßnahmen im Rahmen der Erprobungsphase dar. In diesem Zusammenhang wurden die beiden geplanten Befragungswellen vorgestellt und eine erste Einweisung in die Nutzung der Onlineplattform durchgeführt. Hierzu wurden den BGM-Koordinatoren Musterpräsentationen zur Verfügung gestellt, um eine einheitliche Informationsweitergabe sicherzustellen. Zusätzlich wurden für jede Dienststelle dienststellenbezogene Flyer erarbeitet (Abbildung 2), welche diese erste Einweisung im Rahmen der Kick-Off-Veranstaltung unterstützen sollten. Da – um die Anonymisierung der Befragung sicherzustellen – weder IP-Adressen noch personenbezogene Login-Daten genutzt werden sollten, jedoch eine spätere Subanalyse auf Dienststellen- und gegebenenfalls Abteilungsebene (bei mindestens 10 Teilnehmern) möglich sein sollte, wurde im Vorfeld für jede Dienststelle eine spezielle Dienststellen­Identifikati­ onsnummer (ID) erstellt, die im Normalfall aus einem Buchstaben (für die Dienststelle) und einer arabischen Nummerierung (für die Abteilung) bestand. Sollte die Dienststelle in ihrer Gesamtheit keine weitere Abteilungsunterteilung zulassen (zum Beispiel Verpflegungsamt der Bundeswehr bzw. Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr, Standort Lahnstein), so wurde lediglich ein Buchstabe für die Dienststelle als ID hinterlegt (Abbildung 3). Darüber hinaus bedurfte es der Eingabe einer gemeinsamen Zugangskennung und eines Passworts durch die Mitarbeiter, um Manipulationen Abb. 2: Informationsschreiben zum Hintergrund und zur Durchführung der ersten Befragungswelle Abb. 3: Dienststellencodierung, hier am Beispiel des Panzergrenadierbataillon 391 und/oder bewusste Falscheingaben durch Personen außerhalb der Erprobungsdienststellen zu vermeiden. Diese Information wurde unter anderem im Rahmen der Kick-Off-Veranstaltungen und auf den dienststellenbezogenen Flyern den Mitarbeitern zur Verfügung gestellt. Ein zu Beginn der Befragung von den Mitarbeitern selbst zur erstellender individueller Code konnte auf freiwilliger Basis eingegeben werden, um eine spätere Verknüpfung der Angaben aus der ersten Befragungswelle mit denen aus der zweiten Befragungswelle zur ermöglichen (Zeitschiene der Befragungen siehe Abbildung 4). Der Code wurde in Anlehnung an Empfehlungen des Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit und des Hessischen Datenschutzbeauftragten [14] gebildet. Die Befragung sollte möglichst online stattfinden, jedoch stand nicht für alle Mitarbeiter an den elf Erprobungsdienststellen ein Internetzugang zur Verfügung. Daher wurde ergänzend eine digital erfassbare Paper-Pencil-Version erstellt und über Kdo SanDstBw den BGM-Koordinatoren zur Verteilung vor Ort zur Verfügung gestellt. Auswertung Parallel zur Datenerfassung wurde durch die Universität Mainz wöchentlich ein Lage-Update über die Teilnahmequoten, mögliche auftretende Unstimmigkeiten (zum Beispiel gehäuft falsche oder fehlende Dienststellen-ID, gehäufte Abbrüche während der Befragung und gegebenenfalls gehäuftes Abbrechen vor Beantwortung des gesamten Fragebogens) erstellt. Dieses Lage-Update wurde den BGM-Koordinatoren zur Verfügung Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 233 07.08.15 13:40 234 S. Sammito et al.: Betriebliches Gesundheitsmanagement im Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung und insbesondere bei der großen Anzahl der Mitarbeiter (>10 000) eine wissenschaftliche Ist-Erhebung zu erhalten. Onlinebefragungen wurden erfolgreich in einer Reihe von Untersuchungen in verschiedenen wissenschaftlichen Fachgebieten eingesetzt [3, 4, 11]. Abb. 4: Geplante Zeitschiene der ersten und zweiten Befragungswelle gestellt, so dass jederzeit ein Sachstand über die laufende Befragung in den einzelnen Erprobungsdienststellen zur Verfügung stand, und bei Auftreten von systematischen Eingabefehlern bei Bedarf durch zusätzliche Schulungen oder Informationsveranstaltungen nachgesteuert werden konnte. Darüber hinaus wurde durch die Erfassung weiterer Kenngrößen (zum Beispiel Verlauf der Teilnehmerraten, Erhebung der Art der Informationsweitergabe und andere mehr) die Möglichkeit geschaffen, im Sinne eines „lessons learned“ für die zweiten Befragungswelle und für die ab 2016 geplante weitere Etablierung des BGM im Geschäftsbereich des BMVg Erkenntnisse zu sammeln, um zukünftig eine noch bessere und effektivere Datenerhebung zu erreichen. Mit Abschluss der Onlinebefragung zum 31.03.2015 wurden die, im Rahmen der Paper-Pencil-Befragung erhobenen Fragebögen in der Datenbank ergänzt und eine erste dienststellenbezogene Auswertung bis Ende April 2015 durchgeführt. Diese Auswertung wurde den einzelnen BGM-Koordinatoren zur Verfügung gestellt, um ggf. gemeinsam mit der Leitung der Dienststelle erkannte Schwerpunkte zu besprechen und darauf abgestimmte BGM-Maßnahmen zu initiieren. Diskussion Die Einführung des BGM an elf Erprobungsdienststellen im Geschäftsbereich des BMVg stellt nicht nur aufgrund der Vielschichtigkeit von BGM, sondern insbesondere aufgrund der sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen an den einzelnen Erprobungsdienststellen eine große Herausforderung dar. Die hierbei vorgesehene Erprobungsphase von insgesamt lediglich sechs Monaten ist darüber hinaus eine zeitliche Vorgabe, die eine schnelle und vor allem verlässliche wissenschaftliche Begleitung notwendig macht. Die Nutzung moderner Technologien, hier die Durchführung einer webbasierten Onlinebefragung, stellt eine geeignete Maßnahme dar, um schnell, kostengünstig Diesen Vorteilen steht als Nachteil gegenüber, dass es nur bedingt möglich ist, Selektionseffekte auszuschließen. Es ist anzunehmen, dass insbesondere Gruppen, die den Maßnahmen des BGM offen gegenüberstehen, verstärkt an Befragungen und Maßnahmen teilnehmen [12]. Hierdurch kann es zu einem Verzerrungseffekt in den Antworten und damit zu einer insgesamt eher positiven Gesundheitserhebung kommen. Lediglich ein Vergleich zwischen der Gruppe der Teilnehmer in ihrer Zusammensetzung (Geschlecht; Zivilbediensteter versus Soldat) lässt einen Vergleich mit den jeweiligen Gesamtangaben bei den Erprobungsdienststellen zu, um so unter Umständen auch statusbedingte Gruppen der Nicht­Teilnehmer zu identifizieren. Hier­ aus kann jedoch noch keine Aussage über deren potenzielles Antwortverhalten abgeleitet werden. Durch die Nutzung eines webbasierten Befragungstools im ansonsten freien Internet wäre eine Beeinflussung von dritter Sei­ te durch das Ausfüllen des Fragebogens prinzipiell denkbar. Durch die zu Beginn der Befragung notwendige Eingabe einer Benutzer-ID und eines Passworts konnte dies weitestgehend verhindert werden. Da jedoch aufgrund der notwendigen Anonymisierung nur ein ubiquitäres Passwort möglich war, ist eine Beeinflussung nicht völlig auszuschließen. Insgesamt ist davon auszugehen, dass mit den Maßnahmen zur sicheren Datenablage der Antworten, dem Verzicht auf eine, auf den eingebenden Mitarbeiter zurückführbare IP-Adresse und der Wahl eines eigenen Probandencodes zur Verknüpfung der ersten und zweiten Befragungswelle in Anlehnung an Empfehlungen des Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit und des Hessischen Datenschutzbeauftragten [14] das höchstmögliche Maß an Sicherheit und Anonymisierung bei gleichzeitiger wissenschaftlicher Mach- und Auswertbarkeit erreicht werden konnte. Die Auswertung der ersten Befragungswelle – insbesondere der Rücklaufquoten – wird zeigen, ob die im Rahmen der Vorbereitung und Durchführung ergriffenen Maßnahmen zu einer möglichst hohen und auf die Dienststellen bezogenen gleichmäßigen Verteilung der Teilnahme der Mitarbeiter geführt haben. Diese Aspekte sind bei der Interpretation der gewonnen Daten zu berücksichtigen. Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 234 07.08.15 13:40 S. Sammito et al.: Betriebliches Gesundheitsmanagement im Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung Kernaussagen • Betriebliche Gesundheitsmanagementmaßnahmen (BGMMaßnahmen) haben sich in den letzten Jahren zum Erhalt und zur Steigerung der Leistungsfähigkeit und der Gesundheit der Arbeitnehmer und zur Attraktivitätssteigerung der Arbeitgeber etabliert. • Seit dem 01.01.2015 wird im Rahmen einer Erprobungsphase an elf Erprobungsdienststellen BGM im Geschäftsbereich des BMVg eingeführt. • Acht Hochschulinstitute begleiten wissenschaftlich die Erprobungsphase. • Im Rahmen einer Ist-Erhebung werden mittels wiederholter Online- und Paper-Pencil-Befragungen bei mehr als 10 000 Mitarbeitern die Themenkomplexe Arbeit, Bewegung, Ernährung und Stress erhoben. • Das vorliegende Methodenpapier fokussiert auf die Erarbeitung und die Durchführung der beiden geplanten Befragungswellen. Interessenkonflikte Sammito, Densow und Erley sind aktive Sanitätsoffiziere. Schlattmann, Felfe und Renner sind als wissenschaftliche Zivilangestellte bzw. Beamte im Ressortbereich des BMVg tätig. Schlattmann, Felfe, Renner, Winkler, Arens-Azevedo, Krauth und Rose erhalten Forschungsmittel aus dem BMVg. 235 6. Franke F, Felfe J: Diagnose gesundheitsförderlicher Führung – Das Instrument „Health oriented Leadership“. In Badura B et al. (Hrsg.). Fehlzeitenreport 2011. Berlin: Springer Verlag 2011: 3-13 7. Hadler C: Betriebliches Gesundheitsmanagement in der Praxis. Präv Gesundheitsf 2010; 5: 203-214 8. Knapik JJ, Reynolds KL, Harman E: Soldier Load Carriage: Historical, Physiological, Biomechanical and Medical Aspects. Mil Med 2004; 169: 45-56 9. Kordt M: DAK-Gesundheitsreport 2013. DAK-Gesundheit, Hamburg, Februar 2013 10. Kurth BM: Erste Ergebnisse aus der „Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland“ (DEGS). Bundesgesundheitsbl 2012; 55: 980-990 11. Leyk D, Erley O, Ridder D, Leurs M, Rüther T, Wunderlich M, Sievert A, Baum K, Essfeld D: Age-related Changes in Marathon and Half-Marathon Performances. Int J Sport Med 2007; 28: 513517 12. Leyk D, Rohde U, Hartmann ND, Preuß PH, Sievert A, Witzki A: Ergebnisse einer betrieblichen Gesundheitskampagne - Wie viel kann man erreichen? Dtsch Arztebl Int 2014; 111: 320-307 13. McLaughin R, Wittert G: The obesity epidemic: implications for recruitment and retention of defence force personnel. Obes Rev 2009; 10: 693-699 14. Metschke R, Wellbrock R: Datenschutz in Wissenschaft und Forschung. Berliner Beauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit, 3., überarbeitete Auflage, Berlin: Druckerei Conrad GmbH 2002 Ethikfragen Für die hier vorgestellte Befragung der Mitarbeiter liegt ein positives Votum der Ethikkommission des Landes-Rheinland-Pfalz, eine positive Stellungnahme des Datenschutzbeauftragen des Kdo SanDstBw und eine Zustimmung des Gesamtvertrauenpersonenausschusses und des Hauptpersonalrates beim BMVg vor. 15. Mohr G, Rigotti T, Müller A: Irritation scale for the assessment of work-related strain. Oxford: Hogrefe 2009 Literatur Manuskriptdaten: 1. Eingereicht: 18.06.2015 Revidierte Fassung angenommen: 04.07.2015 2. 3. Altenhöner T, Köhler M, Philippi M, Alaze F: Maßnahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements. Präv Gesundheitsf 2014; 9: 3-9 BMVg: Konzept Betriebliches Gesundheitsmanagement. Berlin, 6.12.2013 Dudenhöffer S, Claus M, Schöne K, Adams J, Beutel T, Rose DM, Letzel S: Gesundheitsbericht der Lehrkräfte und Pädagogischen Fachkräfte in Rheinland-Pfalz – Schwerpunkt: Infektionsschutzbelehrung (Schuljahr 2012 / 2013). Universitätsmedizin Mainz, Institut für Lehrergesundheit am Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, Mainz, 2014 4. Dudenhöffer S, Schöne K, Letzel S, Rose DM: Gefährdungsbeurteilung in der Schule: Ergebnisse zur individuellen Arbeitssituation und dem Gesundheitsempfinden der Lehrkräfte. In: Dokumen­ tation zur 53. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin e. V. (DGAUM), 13.-16. März 2013 in Bregenz. Hrsg: DGAUM, 2013: 101-103 5. Felfe J, Franke F: Commit. Verfahren zur Erfassung von Commitment gegenüber der Organisation, dem Beruf und der Beschäftigungsform. Bern: Verlag Hans Huber 2012 16. Sammito S, Hödel U: Sport im Einsatz aus sanitätsdienstlicher Sicht – Am Beispiel CAMP MARMAL, Masar-E-Sharif. Wehrmed Mschr 2010; 54: 123-125 17. Yamane G: Obesity in civilian adults: potential impact on eligibility for U.S. military enlistment. Mil Med 2007; 172: 1160-1165 Zitierweise: Sammito S, Schlattmann A, Felfe J, et al.: Betriebliches Gesundheitsmanagement im Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung – Wissenschaftliche Begleitung eines ehrgeizigen Projektes. Wehrmedizinische Monatsschrift 2015; 8: 230 - 235 Für die Verfasser: Flottillenarzt Dr. Stefan Sammito Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr Unterabteilung I Andernacherstraße 100, 56070 Koblenz Email: [email protected] Der Beitrag wird im Internet unter www.wehrmed.de veröffentlicht. Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 235 07.08.15 13:40 236 Aus der Abteilung Unfallchirurgie/Orthopädie, Septisch-Rekonstruktive Chirurgie1 (Leitender Arzt: Oberstarzt Prof. Dr. C. Willy) des Bundeswehrkrankenhauses Berlin (Chefarzt: Flottenarzt Dr. K. Reuter), der Fakultät für Wirtschafts- und Organisationswissenschaften2 (Dekan: Universitätsprofessor Dr. T. Hartung) der Universität der Bundeswehr München (Präsidentin: Professor M. Niehus) und dem Direktorat Wissenschaft und Fähigkeitsentwicklung Sanitätsdienst3 (Direktor: Generalarzt Dr. N. Weller) der Sanitätsakademie der Bundeswehr München (Kommandeurin: Generalstabsarzt Dr. E. Franke) Strukturierung und Evaluation der chirurgischen Weiterbildung innerhalb der Bundeswehrkrankenhäuser – Update 2015 Design and evaluation of the postgraduate military surgeons training program in German Armed Forces military hospitals – update 2015 Zum Gedenken an den 10. Todestag von Oberstarzt Professor Dr. Heinz Gerngroß Christian Willy2, Eva-Maria Kern2, Kai Kehe3 und Norbert Weller3 Zusammenfassung Summary Verwundungen in militärischen Konfliktsituationen gehen mit Verletzungsmustern einher, die in aller Regel in der zivilen ärztlichen Versorgung in Ausprägung und Art selten bis gar nicht gesehen werden. In einer Zeit der zunehmenden Subspezialisierung ist es erforderlich, dass der im Auslands­ einsatz arbeitende Chirurg eine breite Kenntnis auf verschiedenen Gebieten der Chirurgie erwirbt und erhält. In der aktuellen globalen Sicherheitslage können aber auch zivile Einrichtungen Ziele terroristischer Gewalt sein, was mit dem Auftreten von Explosionsverletzungen (improvisierte Sprengfallen, Bombenanschläge) einhergehen kann. So muss man sich heute im Extremfall auch in der Heimat auf „kriegsähnliche“ Verletzungsmuster einstellen. Daher sind Kenntnisse zur Behandlung dieser Verletzungen und deren Training für den Militär- wie auch für den zivilen Chirurgen von Bedeutung. Um Chirurgen der Bundeswehr bestmöglich auf die autonome Einsatzversorgung vorzubereiten und hierfür auszubilden, wurde ein sogenanntes „DUO-plus“-Ausbildungskonzept entwickelt, mit dem der angehende Chirurg zunächst zum Facharzt für Allgemeine Chirurgie und dann wahlweise zum Facharzt für Orthopädie/Unfallchirurgie, Viszeral-, Gefäß- oder Thoraxchirurgie beziehungsweise zum plastischen Chirurgen weitergebildet wird. Weitere Inhalte der Weiterbildung sind ein Neurotrauma-, ein Einsatzchirurgie- und ein gefäßchirurgischer Notfallkurs. Mit erfolgreichem Abschluss des Kompetenzerwerbs zum Sanitätsoffizier „Einsatzchi­ rurg“ wird diese Bezeichnung zeitlich befristet zuerkannt. Der Erhalt dieser Kompetenz erfordert die regelmäßige Tätigkeit in den genannten Facharztkompetenzen, in denen der Chirurg nicht arbeitstäglich eingesetzt ist. Derzeitige Haupt­ anstrengung ist es, modernen Anforderungen eines Qualitätsmanagements genügend, ein im chirurgischen Routinealltag praktikables Verfahren für den Kompetenzerwerb/-erhalt und die Evaluation dieser Maßnahme zu entwickeln. Schlüsselworte: Einsatzchirurgie, Militärchirurgie, militärchirurgisches Weiterbildungsprogramm Military conflicts are leading to injury patterns and diseases that are rarely seen in patients treated in the civilian health systems. The high grade of specialization among surgeons requires a broad spectrum of surgical skills that has to be achieved and maintained by deployed military surgeons. Regarding to global security aspects even civilian facilities can become targets of acts of terrorism leading to blast injuries by improvised explosive devices or bomb attacks – leading to patients with similar injuries as observed in military conflicts even in our homeland. Therefore knowledge about the treatment of those injuries as well as the training of their treatment is highly important for surgeons in the civilian health system as well. To train and prepare military surgeons of the German Armed Forces in the best way for stand-alone deployments a so called “DUO-plus” training concept was developed. This means that all military surgeons achieve the qualification as a general surgeon before they start their specialists training in trauma surgery / orthopedics, abdominal - , thoracic- , vascular- or plastic surgery. A basic training in neuro-traumatology, an emergency course in vascular surgery and a special course in surgical treatment principles on deployment are part of the training. If passing all training parts successfully the expertise as a “Combat Ready Military Surgeon” (“Einsatzchirurg”) is approved for a limited time. Depending on his own specialization a military surgeon has to repeat a catalogue of training procedures in the other above mentioned surgical fields. This paper describes the quality management procedures which were started to integrate this training and its evaluation process into daily clinical routine. Keywords: deployment surgery, military surgery, military surgeon training program Einleitung Oberstarzt Professor Dr. Heinz Gerngroß (1947 - 2005) war der erste Chirurg der Bundeswehr, der 1990 im Rahmen des „Neuen Aufgabenspektrums“ der Bundeswehr „in den Einsatz“ ging Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 236 07.08.15 13:40 C. Willy et al.: Strukturierung und Evaluation der chirurgischen Weiterbildung innerhalb der Bundeswehrkrankenhäuser 237 (Kambodscha). Noch knapp eineinhalb Jahrzehnte später leitete sches Fachpersonal im Ergebnis ebenso gewährleistet ist wie er im Jahre 2004 die Klinik in Kunduz (Afghanistan) im Raheine hochwertige Inlandsversorgung im System der Bundesmen des ISAF-Einsatzes. Die in seinen Einsätzen gemachte Erwehrkrankenhäuser, die in die reguläre zivile medizinische fahrung, aber auch das breite Spektrum seiner eigenen WeiterKrankenversorgung voll eingebunden sind. Angesichts der gebildung zum Chirurgen und Unfallchirurgen, trugen entscheimeisterten und weiter zu bewältigenden immensen Herausfordend zur Prägung der von ihm mitgestalteten Weiterbildungsderungen der Einsatzmedizin kann man annehmen, dass zivile struktur in seiner Heimatklinik, dem Bundeswehrkrankenhaus Standards hier nicht allein das Maß der Versorgungsgüte sein Ulm, bei. Seinen ganzen Einfluss verwandte er darauf, gegen können, da eine Kompatibilität nicht gegeben ist. Vor dem Hineine zu frühe Spezialisierung des jungen Chirurgen zu wirken tergrund der hohen internationalen Reputation des deutschen und vielmehr eine anfängliche Breite zu fordern und zu ermögSanitätsdienstes kann ein Benchmarking nur im Vergleich mit lichen. Um hier auch nachhaltig einen klaren und für alle transanderen Sanitätsdiensten befreundeter Nationen erfolgen. Dies parenten Weg aufzubauen, arbeitete er innerhalb des Sanitätsdienstes sehr eng mit dem seinerzei- Tab. 1: Liste der chirurgischen Schlüsselkompetenzen, die vor dem Hintergrund der tigen Ausbildungsreferat im Führungsstab des Auslandserfahrungen als wichtig beurteilt wurden; abgestimmt wurden die Erfahrungen mit den publizierten Inhalten der vorwiegend US-amerikanischen Literatur und den Sanitätsdienstes im Ministerium der Verteidi- notfallchirurgischen Kernfähigkeiten (core skills), die im „Definitive Surgical Trauma gung, aber auch berufspolitisch sehr aktiv mit Care“ (DSTC™)-Kursmanual [2] definiert wurden. dem Referenten des Weiterbildungsreferates der Einsatzchirurgisch relevantes Wissen: Theorie und Praxis Bundesärztekammer zusammen. Dadurch prägte er wesentlich das heutige Weiterbildungskon- Theorie Darmanastomose und Darmresektion mit zept des Einsatzchirurgen. Einwirkung von Waffen, Ballistiklehre Handnaht Von Professor Gerngroß wurde seinerzeit immer Schuss- und Splitter-, Minenverletzungen Magenteilresektion Kocher’sches Manöver wieder gefordert, die Evaluation der Weiterbil- Intensivtherapie der Verbrennung Transfusionsmedizin Naht des Duodenums dungsqualität wissenschaftlich zu unterstützen Drainage an Verletzung ableitender – ein von ihm formuliertes Ziel, das heute (end- Diagnostik Gallenwege, Pankreas lich) Gestalt annimmt. Der nachfolgende Bei- Sonographische Notfalldiagnostik Mobilisation des Pankreas trag soll die aktuelle Situation kurz darstellen Pringle’sches Manöver und wird uns wissen lassen, dass der Trauma-Management Nephrektomie Gerngroß’sche Geist mit dem bisher schon Erar- Schwerstverletztenversorgung (ISS: >16) Harnblasennaht Ureterdarstellung, Drainage beiteten sicherlich noch nicht ganz zufrieden Cystofix-Anlage wäre, wir jedoch auf einem guten und im inter- Schädel-Kopf-Hals Proktologischer Notfall nationalen Vergleich sicherlich sogar auf einem Schädeltrepanation, Craniotomie Blutstillung im Mittelgesicht sehr guten Weg sind. Septische Chirurgie des Hals- und Gefäßverletzung Vorbemerkt soll sein, dass die Einsatzrealität des Rachenraumes Indikationsstellung zur Gefäßligatur Sanitätsdienstes der Bundeswehr auch heute be- Tracheotomie Gefäßnaht stimmt wird durch Aufgaben der internationalen Drainage cervicaler Ösophagusverletzung Arterio-arterieller Shunt, temporär Veneninterposition, Patchplastik Konfliktverhütung und Krisenbewältigung mit Zugang zur proximalen Carotis interna, einem hierfür breiten Spektrum möglicher mili- externa und communis Extremitäten tärischer Operationen der Land-, Luft- und SeeThorax Notfalleingriffe der Handchirurgie streitkräfte. Hinzu kommen nun potenziell kurzLegen Thoraxdrainage Sehnenverletzungen an der Hand fristige Einsätze wie zum Beispiel GeiselbefreiThorakotomie Fixateur externe an langen Röhrenknoungen deutscher Bundesbürger oder auch die Sternotomie chen Unterstützung ziviler Organisationen bei globa- Naht des Lungenparenchyms Darstellung des N. radialis an Oberarm len Gesundheitsherausforderungen. Aktuelles Atypische Lungengeweberesektion Oberschenkelamputation Beispiel (2014) ist die „Ebola-Hilfe“ in Westaf- Versorgung Myokard-, Perikardverletzung Unterschenkelamputation rika. Aus diesen Rahmenbedingungen, zu denen Drainage thorakaler Ösophagusverletzung auch die steigenden Anforderungen an Qualität Körperstamm Ruhigstellung Wirbelsäulenfraktur und Wirtschaftlichkeit im zivilen Gesundheits- Abdomen Anlegen Beckenzwinge/Fixateur externe wesen, gesetzliche Regelungen sowie Vorgaben Laparotomie Splenektomie Blutstillung in Sakralhöhle („packing“) der Beschlussgremien der gemeinsamen Selbstverwaltung, der Standesvertretungen („Kam- Lebermobilisation Lebernaht Weichteilverletzung mern“) oder der Fachgesellschaften gehören, Intraabdominelles Packing (Leber, Weichteildebridement, ergeben sich zwangsläufig Konsequenzen für Retroperitoneum, ...) Vakuumversiegelungstherapie das zukünftige Anforderungsprofil der Chirur- Versorgung einer Zwerchfellverletzung mesh-graft-Transplantation gen in der Bundeswehr und damit für ihre Fort- Anus-praeter Anlage Kompartmentdiagnostik, -therapie und Weiterbildung. Diese gelingt nur dann auf- Offene Bauchbehandlung Escharotomie bei Verbrennung tragsgemäß, wenn die unterschiedlichen zivilen Peritonealabszess Drainage Gynäkologie und militärischen Entwicklungslinien zu einer Appendektomie OP bei Extrauteringravidität strukturierten Weiterbildung verbunden werden, Cholecystektomie Hysterektomie so dass die Leistungserbringung für Soldaten im Leistenhernien-Operation Auslandseinsatz durch qualifiziertes chirurgi- Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 237 07.08.15 13:40 238 C. Willy et al.: Strukturierung und Evaluation der chirurgischen Weiterbildung innerhalb der Bundeswehrkrankenhäuser gilt als Fernziel in analoger Weise auch für die zu erwerbenden (Kern-)Kompetenzen („core skills“) von (Einsatz-)Chirurgen. Das Aufgabenspektrum des Einsatzchirurgen Die Chirurgen des Sanitätsdienstes müssen während eines Auslandseinsatzes ein sehr breites fachliches Spektrum kompetent abdecken [8, 9]. So setzt eine adäquate einsatzchirurgische Versorgung die Beherrschung aller lebensrettenden Notfallmaßnahmen der Facharztkompetenzen der Thorax-, Viszeral, Gefäß- und Unfallchirurgie voraus. Zusätzlich sind auch praktische Fähigkeiten im Bereich der Neurochirurgie, Mund-Kiefer-Ge- Abb. 1: Möglicher Weiterbildungsgang: Basisweiterbildung (Beispiel): sichtschirurgie, Ophthalmologie, Urolo- • 1/2 Jahr Station der Klinik für Allgemeine, Viszeral- und Thoraxchirurgie, 1/2 Jahr Interdisziplinäre gie und Gynäkologie sowie ausreichende Notfallaufnahme, 1/2 Jahr Station der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie, 1/2 Jahr IntenKenntnisse über die Behandlung der Ver- sivstation (Abteilung Anästhesie und Intensivmedizin),. brennungskrankheit und Maßnahmen • Sonografie­Basiskurs (zertifiziert von der Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin­ der chirurgischen Intensivmedizin erfor- DEGUM) am Bundeswehrkrankenhaus®Ulm, • Advanced Trauma Life Support (ATLS )-Kurs, derlich. Diese breite chirurgische Kom• Basiskurs Osteosynthese der Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthese (AO), petenz kann aufgrund der limitierten per- • Abschluss der Fachkunde Rettungsmedizin (optional Zusatzweiterbildung Notfallmedizin); sonellen Ressource „chirurgisch tätiger • im Anschluss an die an die Verwendung in einer regionalen Sanitätseinrichtung, in der Regel 6 - 12 Sanitätsoffizier“ nicht in allen Einsätzen (-18)-monatige Rotation zwischen den Fächern Viszeralchirurgie/Thoraxchirurgie (insgesamt 18 durch Teambildung erreicht werden Monate), Orthopädie/Unfallchirurgie (18 Monate) und Gefäßchirurgie (12 Monate), (zum Beispiel Stationierung eines OP- • DEGUM­zertifizierter Sonografie­Aufbaukurs.; Teams mit drei Fachärzten für Orthopä- Dann erfolgt zweite Facharztausbildung; der Status „Sanitätsoffizier Einsatzchirurg“ wird die/Unfallchirurgie, Viszeralchirurgie zuerkannt nach zusätzlicher obligater Teilnahme am Einsatzchirurgie-Kurs (einwöchiger Kurs, life und Gefäßchirurgie). Diese Art des tissue, Körperspender, alternativ DSTC™-Kurs; Modul 1), Gefäß-Notfall-Naht-Kurs (dreitägig, „Kompetenzsplittings“ würde durch eine englisch oder deutsch, perfundierte Körperspender-Gefäße; Modul 2) und Neurotraumatologie-Kurs Einsatzzeitdauer von dann 3 - 4 Monaten/ (einwöchig, Körperspender, OP-Hospitation, Videoübertragung; Modul 3). Möglich ist zudem ein fakultatives Modul 4, in dem – derzeit in Südafrika – die Versorgung penetrierender Verletzungen im Jahr den Betrieb im Heimatkrankenhaus Rahmen einer dreimonatigen Hospitation gelehrt wird. empfindlich behindern und, bezogen auf den Einzelnen, zu einer nicht durchhalteteur externe“ gesehen oder selbständig implantiert, hat nie eifähigen Individualbelastung führen. Somit ist es erforderlich, nen Gips angelegt, nie eine komplizierte Fraktur versorgt oder dass der einzelne Chirurg in der Bundeswehr über Kompetenzen hierbei assistiert – ein für den Einsatzchirurgen denkbar unfür lebens- und Gliedmaßen erhaltende Notfalleingriffe verfügt günstiger Kompetenzaufbau! Die Flexibilität der Weiterbil(= Einsatzchirurg), die über die Inhalte der jeweils für ihn gültidungsordnung geht dabei so weit, dass die zeitlichen Mindestgen Weiterbildungsordnung der einzelnen chirurgischen Fachgevoraussetzungen eines angehenden Facharztes für Viszeralchirbiete hinausgehen (Tabelle 1). urgie zwar theoretisch bei nur drei Jahren in der eigenen Fachrichtung liegen, aber auch volle fünf der insgesamt sechs Jahre ausschließlich im Fach Viszeralchirurgie zugebracht werden Weiterbildung zum Einsatzchirurgen können. Ebenso denkbar ist es, dass ein Facharzt für OrthopäZivile Rahmenbedingungen für die Weiterbildung die und „Unfall“-Chirurgie keine Expertise in der Behandlung des Schädelhirn-, des Thorax- und des Bauchtraumas entwiDie für Einsatzchirurgen erforderliche militärchirurgische Weickeln kann – also genau für die Situationen, in denen ein Unfallterbildung von Sanitätsoffizieren der Bundeswehr muss auch opfer lebensgefährlich verletzt sein wird. den Gegebenheiten und zukünftigen Entwicklungen der zivilen Krankenhauslandschaft und den aktuellen offiziellen Vorgaben der Weiterbildungsordnung (WBO) genügen. Diese birgt für eine breite Ausbildung sowohl Chancen, als auch Risiken. Auf der einen Seite wird von Beginn an ein sehr gezieltes Heranbilden von Spezialisten ermöglicht, auf der anderen Seite wird Grundlegendes nicht erlernt. Trotz „common trunk“ hat der zukünftige Facharzt für Viszeralchirurgie innerhalb seiner sechsjährigen Weiterbildungszeit möglicherweise nie einen „Fixa- Weiterbildungsinhalte des Militär- und EinsatzchirurgieKurskonzeptes – kein Weg zur Omnipotenz! Militärchirurgisch relevant sind die Facharztkompetenzen Viszeral-, Gefäß-, Unfall-, Thoraxchirurgie sowie die Allgemeinchirurgie. Um die erforderliche breite chirurgische Kompetenz entwickeln zu können, wird der Weiterbildungsgang für einen Bundeswehr-Chirurgen nach dem sogenannten Modell „DUO Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 238 07.08.15 13:40 C. Willy et al.: Strukturierung und Evaluation der chirurgischen Weiterbildung innerhalb der Bundeswehrkrankenhäuser plus“ (idealtypisch: 1. Facharzt: Allgemeine Chirurgie + 2. Facharzt: Viszeralchirurgie oder Orthopädie/Unfallchirurgie oder Gefäßchirurgie, „DUO“) um zusätzliche obligate Kurse („plus“) erweitert (Abbildung 1). Seit Anfang 2010 wird zudem die fakultative Teilnahme an einer 3-monatigen Hospitation in Südafrika (RSA) angeboten, bei der vor allem Kenntnisse über penetrierende Verletzungen vermittelt werden. Ziel der Weiterbildung zum Einsatzchirurgen ist nicht der omnipotente Generalist (also der „Alleskönner“), sondern ein Chirurg, der sowohl die gesamtchirurgischen Notfallsituationen, als auch die Basischirurgie für den Einsatz und die humanitäre Hilfe beherrscht, jedoch zusätzlich im Interesse des eigenen Werdeganges und des Heimatkrankenhauses auch zu einem Spezialisten in (s)einer chirurgischen Disziplin weitergebildet wird. Dies ermöglicht es ihm, im Einsatz alle lebensgefährdenden chirurgischen Notfallsituationen der verschiedenen Fächer zu erkennen und zu behandeln. Zusätzlich kann er auch komplexere Problemsituationen einer Lösung zuführen [10, 11]. Vorgaben für den Kompetenzerhalt Nach Erreichen der zunächst noch bundeswehrinternen Qualifikation „Einsatzchirurg“ ist die intensive operative Tätigkeit im eigenen Fachgebiet unabdingbar. Der dauerhafte Erhalt der Notfallkompetenzen komplementärer chirurgischer Teilbereiche erfordert eine regelmäßige Tätigkeit in den Gebieten, in denen der Einsatzchirurg nicht arbeitstäglich eingesetzt ist, sowie die regelmäßige Wiederholung der drei einsatzrelevanten Kursmodule. Evaluation der Weiterbildung Grundsätzliche Bedeutung Zweifellos gibt es, wie überall, mehr oder weniger große Qualitätsunterschiede zwischen (konkurrierenden) Kliniken in Bezug auf die Weiterbildung. Eine Evaluation eben dieser Qualität und das letztlich unvermeidliche Bekanntwerden der entsprechenden Ergebnisse könnten dann zur Folge haben, dass die Kliniken mit „schlechter“ Weiterbildung (gar) keinen Nachwuchs mehr bekommen. Aber dürfen uns solche Überlegungen daran hindern, unsere Ausbildungsqualität zu evaluieren? In Zeiten einer omnipräsenten evidenzbasierten Medizin ist es nach Auffassung der Autoren unabdingbar, auch eine daten- und evidenzbasierte Lehre zu etablieren. Eine wissenschaftliche Basis sollte nicht nur den klinischen Alltag in der Behandlung des Patienten bestimmen, sondern darüber hinaus auch dazu dienen, die Aus- und Weiterbildung des Chirurgen zu optimieren. Ohne Daten und deren strukturierte statistische Auswertung ist dies nicht möglich, was im Umkehrschluss letztlich in einer suboptimalen Behandlung des Patienten resultiert. Die Erarbeitung eines strukturierten Weiterbildungskonzeptes und Weiterbildungscurriculums „Einsatzchirurgie“ bedingt somit die Notwendigkeit einer validen quantitativen und qualitativen Erfassung der Qualität der eigenen Weiterbildungsaktivität (Prozessqualität) und auch des Ergebnisses aller „Bemühungen“ – der Qualität der Ausgebildeten (Ergebnisqualität). Gezielte Gestaltung und Steuerung der Weiterbildung bedürfen darüber hinaus im Vorfeld einer systematischen Analyse der Weiterbildungsprozesse sowie der Etablierung eines systematischen Prozessmanagements [6]. Dieses ermöglicht: 239 • die Objektivierung der eigenen Qualität (Kontrolle), • das Einführen eines evidenzbasierten Weiterbildungskonzepts in die chirurgische Lehre, • die Analyse des Weiterbildungsbedarfes (Ressourcenbegründung gegenüber dem Kostenträger, Chance für Weiterentwicklung durch Ressourcenbündelung), • die Begründung von Investitionen in das Weiterbildungssystem Bundeswehrkrankenhaus, • die Definition von Steuerungsparametern für die Entwicklung des einsatzbezogenen chirurgisch operativen Kompetenzerwerbs, • die Vergleichbarkeit von Weiterbildungsstätten (Benchmarking) und Weiterzubildenden sowie • die Standardisierung der Weiterbildungsqualität (Zuverlässigkeit und Berechenbarkeit für die Gestellung multinationaler Teams). Entscheidend wird in der nahen Zukunft jedoch sein, Parameter zu definieren, mit deren Hilfe man den Erfolg von Weiterbildungsmaßnahmen und die Qualität der Weiterbildung objektiv und ohne Rückgriff auf Surrogat-Parameter, wie Lernbedingungen, Internetzugangsmöglichkeit und Arbeitszeit, evaluieren kann. Eine erste Pilotstudie, die die Praktikabilität einer Selbst­ evaluation ausgebildeter Fachärzte für Chirurgie (teilweise mit ein bis zwei weiteren chirurgischen Facharztbezeichnungen) untersuchte, zeigte den Wert auch einer solchen „subjektiven“ Bewertung des Weiterbildungsergebnisses (Abbildungen 2 bis 4). Evaluation der Weiterbildung – Nächste Schritte In einer eng verzahnten wissenschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der Sanitätsakademie der Bundeswehr, den chirur­ gischen Kliniken in den Bundeswehrkrankenhäusern, der Universität der Bundeswehr München (Professur für Wissensmanagement und Geschäftsprozessgestaltung) und dem Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr werden derzeit im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie zum Qualitätsmanagement in der Ausbildung im Sanitätsdienst der Bundeswehr unter anderem weitere „alltagstaugliche“ Kriterien der Weiterbildungsqualität definiert. Diese werden für die in Abbildung 5 dargestellten Qualitätsdimensionen ermittelt. Dazu gehört aber auch, die im „Weiterbildungssystem Bundeswehrkrankenhaus“ häufig bestehenden Störgrößen in den Prozessabläufen zu identifizieren. Das sind beispielsweise mangelnde OP-Kapazitäten oder Personalengpässe. Im Folgenden werden mögliche Beispiele kurz angesprochen, welche im derzeit durchgeführten Forschungsvorhaben „Wissenschaftliche Entwicklung eines Qualitätsmanagementsystems (QMS) für die Ausbildung im Sanitätsdienst der Bundeswehr unter Berücksichtigung anerkannter konzeptioneller Modelle der Dienstleistungsqualität“ erarbeitet wurden [5]. Das vor Ort angebotene Spektrum an Operationen im Verhältnis zu den im Weiterbildungskatalog geforderten Operationen oder die Anzahl der Fachärzte in Vollzeit sowie die Anzahl der Operationen im Verhältnis zur Anzahl der Weiterzubildenden (Bezugszeitraum: Jahr) sind beispielsweise wichtige Indikatoren (Kennzahlen) für die Potenzialqualität einer weiterbildenden Klinik. Ganz besonders interessant könnte hier die Definition von Trigger-Operationen sein, das heißt von „Kenn-Operationen“, die für „interessante“, breit weiterbildende Kliniken – wie die Bundeswehrkrankenhäuser – markant sind. Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 239 07.08.15 13:40 C. Willy et al.: Strukturierung und Evaluation der chirurgischen Weiterbildung innerhalb der Bundeswehrkrankenhäuser 240 Abb. 2: Schulungsbedarf (blaue Linie) und Lehrpriorität (rote Linie) in den Schlüsselkompetenzen (1-93) der Tabelle 1 (siehe oben). Berechnet im Rahmen einer Pilotstudie zur Untersuchung der Praktikabilität einer Selbstevaluation von 21 Einfach- und Doppelfachärzten des Sanitätsdienstes. Schulungsbedarf: Ergebnis einer Abfrage nach dem Schulungsbedarf in der Schlüsselkompetenz (ja / nein). Lehrpriorität: (orientiert an einer dimensionslosen Skala 0-100); Ergebnis einer Abfrage und Berechnung auf der Basis einer Faktorenbildung von Schulungsbedarf (ja/nein) x Bedeutung der Schlüsselkompetenz (sehr wichtig/wichtig/weniger wichtig/eher unwichtig) x Wissenslevel (kann ich gut/wird eher klappen/wäre mir eher unsicher/sehr unsicher). Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 07.08.15 13:40 WMM 8_Umbruch.indd 240 Abb. 3: Lehrpriorität in den Schlüsselkompetenzen der Tabelle 1 (siehe oben), geordnet in absteigender Reihenfolge der Höhe der Lehrpriorität (orientiert an einer dimensionslosen Skala 0-100); Berechnung siehe Abbildung 2 07.08.15 13:40 WMM 8_Umbruch.indd 241 241 C. Willy et al.: Strukturierung und Evaluation der chirurgischen Weiterbildung innerhalb der Bundeswehrkrankenhäuser Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 242 C. Willy et al.: Strukturierung und Evaluation der chirurgischen Weiterbildung innerhalb der Bundeswehrkrankenhäuser Abb. 4: Lehrpriorität in den Schlüsselkompetenzen, geordnet in absteigender Reihenfolge, als TOP 25 der Kompetenzen. Die Analyse (orientiert an einer dimensionslosen Skala von 0­100) zeigt die Möglichkeit der Identifizierung des potentiellen Hauptfokus der Lehraktivität. Anzumerken ist, dass diese Analyseart vollkommen unabhängig von der Ausrichtung der Thematik für jeden (chirurgischen) „Schulungsbetrieb“ genutzt werden kann. Links ist die ursprüngliche Nummer der jeweiligen Kompetenz aufgeführt. Für die Bewertung der Prozessqualität könnten daneben die durchschnittliche Dauer bis zur Anerkennung der ATN1 Einsatzchirurgie (8084000) – und damit als bundeswehrinterne Zertifizierung die Anerkennung einer Kompetenz ­, die Anzahl der durchgeführten Morbiditäts- und Mortalitäts-Konferenzen oder der besuchten externen Fortbildungsveranstaltungen pro Weiterzubildendem herangezogen werden. Im Rahmen der „Kompetenzorientierung“ und der Vorbereitung auf Einsatzaufgaben ist letztlich aber die Ergebnisqualität – mit ihren Perspektiven „Output-“ und „Outcome-Qualität“ – von ganz wesentlicher Bedeutung. Indikatoren für die Bewertung der Dimension Output kann unter anderem das in Großbritannien bereits auch in der zivilen Weiterbildung verpflichtende „Procedure Based Assessment“ liefern, das für Trainee und Tutor gleichermaßen erfolgt. Dies könnte ergänzt werden durch die Anzahl der durchgeführten Trigger-Operationen pro Weiterzubildendem (einzelne von der Konsiliargruppe Chirurgie definierte, hoch­einsatzrelevante Operationen; zum Beispiel 5 - 10 verschiedene Prozeduren pro chirurgischem Fachgebiet). 1 ATN = Ausbildungs- und Tätigkeitsnummer; Kennzeichnungssystem der Bundeswehr für erworbene Qualifikationen Um darüber hinaus eine Einschätzung des Outcomes vornehmen zu können, sind zwei zusätzliche Evaluationsschritte in der Diskussion: • Fremd-Evaluation des Chirurgen nach Erwerb des zweiten Facharztes durch einen Beauftragten für die einsatzchirurgische Weiterbildung und die Weiterbildungsbefugten in Hinblick auf die tatsächliche Qualität am Patienten im potenziellen Einsatz oder • Selbst-Evaluation des Chirurgen nach Erwerb des zweiten Facharztes, inwieweit er durch die Facharztweiterbildungen auf die Gegebenheiten seiner Tätigkeit im Einsatz (vor dem Hintergrund seiner bisherigen Einsatzerfahrung) vorbereitet wurde. Die finale Abstimmung und endgültige Festlegung der Kriteri­ en sowie der Kennzahlen zu deren Messung sind derzeit noch Gegenstand der abschließenden Untersuchungen im Forschungsvorhaben QMS in der Ausbildung im Sanitätsdienst der Bundeswehr. Zusammenfassung und Schlussbemerkungen Vor dem Hintergrund der fachlichen Anforderungen an einen Militärchirurgen, die sich aus den Einsatzerfahrungen der letzten zwei Jahrzehnte und den zugrunde liegenden zivilen berufs- Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 242 07.08.15 13:40 C. Willy et al.: Strukturierung und Evaluation der chirurgischen Weiterbildung innerhalb der Bundeswehrkrankenhäuser 243 menden Spezialisierung gegenüberstehen und berücksichtigen wollen, dass auch im zivilen Umfeld Ärzte in gewissen Szenarien für die Notfallversorgung auf einer sehr breiten fachlichen Basis gefordert sein können. Dieses könnte zum Beispiel im Rahmen humanitärer Hilfe, bei Terroranschlägen, Großschadenslagen oder Katastrophen in Metropolgegenden sein, wie wir sie ja leider durch Bombenanschläge beim Boston-Marathon 2013 [1, 4] oder in der Londoner U-Bahn 2005 [7] erleben mussten. Es wird also darauf ankommen, die dargestellten Fähigkeiten substanziell und Abb. 5: Qualitätsdimensionen: bei der Evaluierung der Weiterbildung zu betrachtende Qualitätsdimensi- nachhaltig zu fördern und gegebenenfalls auch nicht nur auf den onen, in Anlehnung an Donabedian [3]. Bereich der Bundeswehr zu beschränken. Nur so können wir robust gegen Schwankungen der politischen Vorgaben ableiten lassen, wurde ein zukünftiges Risikoperzeption sein und die künftigen Einsatzchirurgen verWeiterbildungsprogramm für den chirurgisch tätigen Sanitätsnünftig ausbilden. Das gebietet die Verantwortung gegenüber offizier erarbeitet. Nach Erörterung des Vorhabens bei der Bun­ unseren anvertrauten Patienten, gegenüber unseren chirurgisch desärztekammer und der Gemeinsamen Weiterbildungskomtätigen Kameraden – und das gebietet uns auch das Andenken mission (Berufsverband der Deutschen Chirurgen e. V., chiruran den großen Militärchirurgen Oberstarzt Prof. Dr. Gerngroß. gische Fachgesellschaften) wurde das hier vorgestellte Weiterbildungskonzept Mitte des Jahres 2009 durch den Inspekteur Kernaussagen des Sanitätsdienstes der Bundeswehr angewiesen. Somit ist es für den in Weiterbildung befindlichen Chirurgen der Bundes­ • In militärischen Konfliktsituationen zu beobachtende und wehr derzeitig grundsätzlich verpflichtend, zwei Facharztkom­ zu versorgende Verletzungsmuster werden in zivilen petenzen zu erwerben. In das „DUO plus“-Modell werden zuKliniken in Deutschland selten gesehen. sätzlich Wissensanteile anderer operativer Fachgebiete sowie • Ein Chirurg im Auslandseinsatz muss zur Beherrschung militärfachliche Inhalte integriert. Bei Erreichen der erforderlialler lebensrettenden Notfallmaßnahmen über Erfahrunchen Kompetenzen wird die bundeswehrinterne Bezeichnung gen in der Thorax-, Viszeral, Gefäß- und Unfallchirurgie „Einsatzchirurg“ offiziell zuerkannt. Die Anerkennung ist be­ verfügen. Das „Duo-Plus“-Ausbildungskonzept für schränkt auf einen Zeitraum von fünf Jahren, in denen festgeEinsatzchirurgen trägt dieser Notwendigkeit Rechnung. legte Kurse und Qualifikationen für einen Kompetenzerhalt • Die Qualität von Ausbildung und Kompetenzerhalt der wiederholt werden müssen, um dann eine erneute Anerkennung Einsatzchirurgen muss durch geeignete Evaluationsverzu erhalten. Unbenommen von dem in der Regel geplanten Einfahren überprüft und weiterentwickelt werden. satz als „Solist“ besteht selbstverständlich immer die Möglich• Derzeitige Herausforderung ist es, ein wissenschaftlich keit, lageabhängig ein bereits vor Ort arbeitendes Team durch fundiertes Evaluationskonzept hierfür zu erarbeiten. weitere chirurgische Kollegen mit komplementären Facharztkompetenzen zu verstärken. Um dies zu gewährleisten, erfolgt • Ein daraus abgeleitetes Qualitätsmanagementsystem für die Einplanung des chirurgischen Einsatzpersonals gezielt Einsatzchirurgen wäre vor dem Hintergrund zunehmender durch den Einsatzbeauftragten der Konsiliargruppe Chirurgie. Sub- und Superspezialisierung in der Chirurgie sowohl im Das derzeit in Entwicklung befindliche Qualitätsmanagement zivilen Bereich für die Sicherstellung einer flächendecken­ kann zukünftig das Weiterbildungsmodell Einsatzchirurgie im den chirurgischen Notfallversorgung (nicht nur in Kata„Gerngroß’schen Sinne“ wissenschaftlich begleiten, um die strophenlagen) als auch für die Optimierung multinationanotwendigen Ansatzpunkte zur kontinuierlichen Qualitätsverler Einsatzteams in der NATO nutzbar. besserung zu identifizieren. Überlegungen, die angestellt werden müssen, um auch zukünftig bei zunehmender Sub- und Superspezialisierung eine breite Acknowledgment chirurgische Notfallkompetenz eines chirurgisch tätigen Sanitätsoffiziers in besonderen Situationen – wie zum Beispiel im Dieser Beitrag ist im Zusammenhang mit dem ForschungsproRahmen eines Auslandseinsatzes – zu gewährleisten, sollten jekt „Wissenschaftliche Entwicklung eines Qualitätsmanagejedoch nicht alleine auf den rein militärischen Bereich bementsystems (QMS) für die Ausbildung im SanDstBw unter schränkt bleiben. Auch der zivile Bereich wird sicherlich kriBerücksichtigung anerkannter konzeptioneller Modelle der tisch dem fachlich und juristisch begründeten Weg der zunehDienstleistungsqualität“ (M/SABX/DA006) entstanden. Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 243 07.08.15 13:40 244 C. Willy et al.: Strukturierung und Evaluation der chirurgischen Weiterbildung innerhalb der Bundeswehrkrankenhäuser Literatur 1. Biddinger PD et al.: Be prepared – the Boston Marathon and mass-casualty events. N Engl J Med 2013; 23;368(21):1958-1960 2. Boffard KD: Manual of Definitive Surgical Trauma Care. 2nd Edi­ tion. Appendix D (DSTCTM course – core surgical skills). London, UK: Hodder, Arnold; 2007 3. Donabedian, A: Evaluating the quality of medical care. Milbank Mem Fund Q Health Soc 1966; 44:176-206 4. Gates JD et al.: (2014) The initial response to the Boston marathon bombing: lessons learned to prepare for the next disaster. Ann Surg 2014; 260(6):960-966 5. Kern E-M: Zwischenbericht zum Forschungsprojekt „Wissenschaftliche Entwicklung eines Qualitätsmanagementsystems (QMS) für die Ausbildung im SanDstBw unter Berücksichtigung anerkannter konzeptioneller Modelle der Dienstleistungsqualität“ (M/SABX/DA006), 2015 6. Kern E.-M. (Hrsg.): Prozessmanagement individuell umgesetzt: Erfolgsbeispiele aus 15 privatwirtschaftlichen und öffentlichen Organisationen. Berlin Heidelberg: Springer Gabler 2012 7. Patel HD et al.: Pattern and mechanism of traumatic limb amputations after explosive blast: experience from the 07/07/05 London terrorist bombings. J Trauma Acute Care Surg 2012;73(1):276-281 8. Willy C: Deployment advanced surgical education curriculum for the German military medical service. Z Orthop Unfall 2008;146(6): 691-692 9. Willy C, Völker HU, Steinmann R, Engelhardt M: Patterns of injury in a combat environment - 2007 update. Chirurg 2008; 79(1): 66-76 10. Willy C, Gutcke A, Klein B, Rauhut F et al: The educational program for modern military surgeons. Unfallchirurg 2010;113(2): 114-121. 11. Willy C, Hauer T, Huschitt N, Palm HG: „Einsatzchirurgie“-experiences of German military surgeons in Afghanistan. Langenbecks Arch Surg 2011;396(4): 507-522 Manuskriptdaten: Eingereicht: 12.05.2015 Revidierte Fassung angenommen: 06.07.2015 Zitierweise: Willy C, Kern E-M, Kehe K, Weller N: Strukturierung und Evaluation der Chirurgischen Weiterbildung innerhalb der Bundeswehrkrankenhäuser – Update 2015. Wehrmedizinische Monatsschrift 2015; 8: 236- 244 Für die Verfasser: Oberstarzt Professor Dr. med. Christian Willy Leitender Arzt der Abteilung Unfallchirurgie / Orthopädie, Septisch-Rekonstruktive Chirurgie am Bundeswehrkrankenhaus Berlin Scharnhorststr. 13, 10115 Berlin E-Mail: [email protected] Der Beitrag wird im Internet unter www.wehrmed.de veröffentlicht. Kasuistik Aus der Klinik für Allgemein-/Viszeral- und Thoraxchirurgie (Direktor: Prof. Dr. med. R. Schwab) des Bundeswehrzentralkrankenhauses Koblenz (Generalarzt Dr. med. M. Zallet) Eine außergewöhnliche Ursache des penetrierenden Thoraxtraumas: Hydrauliköldurchschuss des linken Lungenoberlappens A quite extraordinary cause of penetrating thorax trauma: High pressure injection injury of the left upper lobe with hydraulic fluid Christof Schreyer, Arnulf Willms, Sebastian Schaaf, Robert Schwab Zusammenfassung Dieser Fallbericht beschreibt erstmals eine thorakale Penetrationsverletzung durch einen Hydraulikölstrahl. Dank unmittelbarer minimalinvasiver operativer Versorgung unter Verzicht auf Resektion von Lungengewebe konnte ein unkomplizierter Heilungsverlauf ohne funktionelles Defizit er­ reicht werden. Hochdruckstrahlverletzungen betreffen häufig die Hände sowie Gesicht und Augen. Problematisch sind zum einen akute mechanische, toxische und thermische Ge- webeschäden und zum anderen spätere Komplikationen durch Infektion, Vernarbung und Fremdkörperreaktionen. Aufgrund der oftmals unscheinbaren Eintrittswunden, die die darunter liegende Gewebeschädigung maskieren können, sind die umgehende operative Exploration, ein gründliches Wunddébridement sowie Drainageeinlage oder offene Wundbehandlung prognosebestimmend. Schlüsselworte: Penetrierendes Thoraxtrauma, Hydrauliköl, Schussverletzung, VATS, minimalinvasive Chirurgie, Berufsunfall Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 244 07.08.15 13:40 C. Schreyer et al.: Eine außergewöhnliche Ursache des penetrierenden Thoraxtraumas Summary For the first time we report a case of a thoracic high­pressure injection injury caused by hydraulic fluid. Due to immediate surgical intervention without resection of lung tissue the postoperative course was uneventful and no functional impairment persisted. Mostly, high-pressure injection injuries affect the hands and the oculofascial region. Acute tissue damage occurs due to the mechanical, toxic and thermal effects of the injected material and late complications are caused by infection, scarring/fibrosis and foreign body reac­ tion. The entry wound is usually unimpressive and leads to underestimation of the actual tissue damage underneath. Hence, immediate surgical inspection, debridement and drainage or open wound therapy is mandatory to improve the prognosis. Keywords: Penetrating thorax trauma, hydraulic fluid, bul­ let wound, VATS, minimally invasive surgery, industrial injury 245 fert. Zuvor kam es im Rahmen der Demontage der unter hohem Druck stehenden Hydraulikleitung eines Baggers durch den Verunfallten zu einem penetrierenden Thoraxtrauma nach Absprengung eines Ventilstücks. Klinik In der klinischen Untersuchung zeigte sich inspektorisch eine 4 x 3 cm große penetrierende Thoraxverletzung mit Verbrennungen II. Grades links parasternal (Abbildung 1) ohne feststellbare Austrittssverletzung am Rücken. Links-apikal war das Atemgeräusch vermindert, die Herztöne waren rein, rhythmisch und ohne pathologische Geräusche. Noch am Unfallort wurde eine Thoraxdrainage gelegt, die bis zur Aufnahme nur wenig venöses Blut gefördert hatte. Die Notfallsonographie (FAST1) und der Bodycheck im Rahmen des Primary Survey (ATLS®2) waren ansonsten unauffällig. Labordiagnostisch zeigten sich keine Auffälligkeiten, insbesondere kein Hb-Verlust und eine normwertige Gerinnung. Sämtliche Einzelteile des Ventils konnten am Unfallort asserviert werden, so dass die Verletzung allein durch das unter hohem Druck stehende Hydrauliköl verursacht worden war. Einleitung Im Zuge der Industrialisierung begann 1795 mit dem von Joseph Bramah entwickelten hydromechanischen Antrieb der Einsatz hydraulischer Systeme im Maschinenbau. Auf Grund der damit möglichen Vervielfachung der Antriebskräfte ergab sich eine ungeahnte Effektivitätssteigerung im Arbeits- und Produktionsprozess, so dass die Hydrauliktechnik heute breite Anwendung bei allen Arten von Arbeitsmaschinen und Fahrzeugen findet.[1] Soldaten der Bundeswehr sind tagtäglich bei Einsatz, Übung und Instandhaltung mit Hydrauliktechnik aller Art und den resultierenden Gefahren konfrontiert. Daher ist die Kenntnis von Verletzungsmechanismen, Pathophysiologie, möglicher Schädigungsmuster und Therapieprinzipien die Grundlage einer effektiven Behandlung und damit Voraussetzung für eine komplikationslose Rekonvaleszenz ohne Funktionsdefizit unter Erhal­ tung von Lebensqualität und Dienstfähigkeit des Soldaten / der Soldatin. Das Statistische Bundesamt verzeichnete im Jahre 2013 1 307 Todesfälle durch Thoraxverletzungen (ICD S20-29), was einem Anteil von 0,5 % entspricht [2]. Mehrheitlich kommen stumpfe Thoraxtraumata vor. Lediglich 5 - 15 % entfallen auf penetrierende Thoraxtraumata [3]. Hochdruckstrahlverletzungen durch Flüssigkeiten und Gase sind generell selten und betreffen meist die obere Extremität. So kommt in etwa eine Hochdruckverletzung auf 600 Handverletzungen [4]. Meist sind Männer mit einem Durchschnittsalter von 35 Jahren betroffen [5]. In Deutschland ist das penetrierende Thoraxtrauma per se selten und insbesondere Hochdruckstrahlverletzungen des Brustkorbs bilden eine Rarität. Der vorliegende Fall beschreibt erstmals ein penetrierendes Thoraxtrauma durch einen Hydraulikölstrahl. Fallbericht Anamnese Ein 17-jähriger Patient wurde intubiert, beatmet und kreislaufstabil durch den Rettungsdienst in den Schockraum eingelie- Abb. 1: Schockraum: 4 x 3 cm große, penetrierende Thoraxverletzung mit Verbrennungen II. Grades links parasternal ohne feststellbare Austrittssverletzung am Rücken CT-Thorax Die CT-Diagnostik zeigte eine sagittal verlaufende perforierende Verletzung des Lungenoberlappens links mit einer tiefreichenden Weichteilverletzung der ventralen Thoraxwand (Abbildung 2). Das Herz und die großen mediastinalen Gefäße waren unbeeinträchtigt. Ein Fremdkörper konnte auch CT-morphologisch ausgeschlossen werden. Operative Therapie Es wurde die Indikation zur notfallmäßigen Thorakoskopie (Video-Assisted Thoracic Surgery = VATS) links und zum Débridement im Bereich der Thoraxwand gestellt. Intrathorakal zeigten sich ein trübes, teils koaguliertes Gemisch aus Blut und Hydrauliköl sowie relevante Schmutzeinsprengungen mit Weichteilläsionen im Bereich der ventralen Eintrittswunde 1 FAST = Focused Assessment with Sonography for Trauma ATLS® = Advanced Trauma Life Support 2 Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 245 07.08.15 13:40 246 C. Schreyer et al.: Eine außergewöhnliche Ursache des penetrierenden Thoraxtraumas durchgeführt. Nach einer ausgiebigen Lavage des Thorax wurde eine Thoraxdrainage (24 Charrier) neu angelegt und der Weichteildefekt unter Einlage einer Redon-Drainage schichtweise primär verschlossen. In der Histologie wurden Anteile von Pleura parietalis, quergestreifter Muskulatur, Haut- und Unterhautgewebe mit jeweils frischen Nekrosen, florider Entzündungsreaktion sowie Ein­ sprengungen faserigen schwärzlichen Fremdmaterials beschrieben. Der postoperative Verlauf war unkompliziert, die Thoraxdrainage wurde am 8. postoperativen Tag entfernt; sie wurde in diesem Fall etwas länger als üblich belassen, um bei Zeichen einer infektiösen Komplikation schnellstmöglich mit einer Antibiose reagieren zu können. Der Patient konnte am 10. postoperativen Tag beschwerdefrei und mit gutem kosmetischem Ergebnis (Abbildung 5 und 6) entlassen werden. Eine Erwerbsminderung lag nach Abschluss der Rekonvaleszenz erfreulicherweise nicht vor. Abb. 2: CT-Thorax: Sagittal verlaufende perforierende Verletzung des Lungenoberlappens links (Abbildung 3). Die dorsale Thoraxwand wies lediglich eine pleurale Läsion auf. Im linken Lungenoberlappen bestätigte sich die ventrodorsale Perforationsverletzung mit begleitender relevanter Einblutung, jedoch ohne Anhalt für eine aktive Blutung oder eine Fistelung (Abbildung 4). In der Annahme, dass sich der Lungenoberlappen im Verlauf erholen würde und da das endgültige Ausmaß der Lappenschädigung durch das Hydrauliköl erst im Verlauf zu beurteilen war, wurden operativ primär ein ausgiebiges thorakoskopisches Débridement der Thoraxhöhle sowie ein Weichteildébridement Ergebnis der Literaturrecherche Eine Medline gestützte Recherche mit Eingabe der Suchbegriffe „high-pressure injection injury“ erbrachte 369 Treffer. Die Mehrzahl publizierter Reviews und Case Reports behandelt Extremitätenverletzungen sowie vereinzelt okulofaziale Verletzungen. Es konnte kein Fallbericht einer thorakalen Penetrationsverletzung durch Hydrauliköl gefunden werden. Diskussion Dieser Fall beschreibt erstmals eine thorakale Penetrationsverletzung durch einen Hydraulikölstrahl. Im vorgestellten Fall zeigte sich neben der kutanen Verbrennung und der verschmutzten Eintrittswunde eine langstreckige Perforationsverletzung des linken Lungenoberlappens, ohne dass Fistelungen oder aktive Blutungen bestanden. Der restliche Oberlappen sowie der Abb. 3: Tiefreichende Schmutzeinsprengungen, Weichteilläsionen und Verbrennung II. Grades im Bereich der ventralen Eintrittswunde Abb. 4: Thorakoskopie: Perforation und Einblutung im linken Lungenoberlappen Abb. 5: Kosmetisches Ergebnis 14 Tage postoperativ Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 246 07.08.15 13:40 C. Schreyer et al.: Eine außergewöhnliche Ursache des penetrierenden Thoraxtraumas Abb. 6: Röntgen-Thorax 14 Tage postoperativ mit geringem, links-basalen Residualerguss und minimaler Verdichtung im linken Oberfeld (Narbenbildung im Rahmen der Heilungskaskade) Unterlappen stellten sich als vollständig intakt dar. Es konnte auf ein resezierendes Verfahren verzichtet werden. Der Heilungsverlauf war unkompliziert, so dass keine funktionellen Einschränkungen und ein zufriedenstellendes kosmetisches Ergebnis resultierten. Penetrierende Verletzungen durch unter Hochdruck stehende Flüssigkeiten oder Gase kommen, wie im vorliegenden Fall, als Arbeitsunfälle oder auch im Heimwerkerbereich vor [6]. Den Injektionsverletzungen gemein ist die oft kleine Eintrittswunde mit ausgedehnter darunter liegender Gewebeschädigung, die häufig zunächst unterschätzt wird, weshalb die Patienten nicht selten erst nach Tagen ärztlich vorstellig werden [6]. Aufgrund der zunächst okkulten Schäden und der späteren Komplikationen werden für Extremitätenverletzungen Amputationsraten von 15 - 40 % berichtet [5, 7]. Prognostisch relevant sind hierbei vor allem die Art des der injizierten Stoffes und die Dauer bis zum chirurgischen Débridement. Für Dieselkraftstoff und Lösungsmittel / Verdünner werden höhere Amputationsraten (55 - 70 %) als für Hydrauliköl (15 - 20 %) angegeben [5]. Hogan et al. wiesen in einer Metaanalyse nach, dass die Amputationsraten der Finger auf 58 % bzw. 88 % stiegen, wenn mehr als 6 h bis zur OP vergingen beziehungsweise gar nicht débridiert wurde [5]. Ein ähnlich linearer Zusammenhang wurde für das funktionelle Outcome und die Arbeitsfähigkeit beschrieben [6]. Hydraulikkreisläufe in Baumaschinen arbeiten mit Drücken zwischen 30 und 300 bar [8]. Der bei Unfällen resultierende Strahl ist also durchaus geeignet, gesunde Haut zu durchdringen. So berichten Hart et al., dass das Integument bereits ab einem Druck von 100 psi (etwa 7 bar) perforiert wird [9]. Wenn die Flüssigkeit die Cutis durchbrochen hat, breitet sie sich – 247 dem Weg des geringsten Widerstands folgend – in der Subcutis, den Faszienlogen, der Skelettmuskulatur oder entlang von Sehnenscheiden in zentrifugaler Richtung aus [8, 10]. Zusätzlich erwärmt sich das Hydrauliköl im normalen Betrieb auf 60 80°C, wodurch Verbrennungen zusätzlich zur mechanischen Schädigung resultieren. Weiterhin muss grundsätzlich von einer bakteriellen Kontamination der Wunde ausgegangen werden. Daher sollte neben der aktiven bzw. passiven Tetanusimmunisierung eine Breitbandantibiose bedacht werden [6]. Hogan et al. wiesen in 41 % der Fälle eine bakterielle Kontamination der Resektionspräparate und Wunden nach [5]. Die Gewebeschädigung verläuft typischerweise zweiphasig: Auf die akute Phase mit Nekrose und Infektion folgt eine chronische Phase mit Inflammation und Fremdkörperreaktion [11]. Die lokale Wirkung von Hydrauliköl und Schmierfetten ist überwiegend weniger toxisch als von Farben, Lösungsmitteln und Verdünner. Die initiale Nekrose ist weniger ausgeprägt und die chronische Phase zeigt überwiegend fibrosierende, granulomatö­ se Reaktionen und die Bildung abgegrenzter Ölzysten [4, 10]. Die einzige Therapie bei Injektion unphysiologischer Stoffe stellen das umgehende chirurgische Débridement, die ausgiebige Wundspülung mit isotonischer wässriger Lösung und die Einlage einer Wunddrainage dar [5, 6]. Das Resektionsausmaß hängt vom Befund, der Wundkonfiguration und dem injizierten Stoff ab. Bei unkomplizierten Stoffen wie Wasser (Hochdruckreiniger) und Luft (Kompressor) ohne Anhalt für eine relevante Kontamination kann auch eine primär konservative Therapie indiziert sein [12]. Von fetthaltigen bzw. öligen Agenzien geht im Rahmen der Hochdruckstrahlverletzung auch ein systemisches Risiko für eine Lipidpneumonie aus [13]. Harris et. al. berichten von einer inguinalen Verletzung durch eine Fettspritze, im Rahmen derer Schmierfett in die Leiste injiziert wurde und Anschluss an die V. femoralis fand. Einige Tage später wurde bei dem Patienten eine Lipidpneumonie mit respiratorischer Alteration diagnostiziert [13]. Dies unterstreicht die Gefahr, die äußerlich häufig recht unscheinbaren Verletzungen durch den Hochdruckstahl und den injizierten Stoff zu unterschätzen. Folgerungen / Kernaussagen • Bei Verletzungen durch Hydrauliköl resultieren thermomechanische Kombinationsverletzungen, die einer umgehenden chirurgischen Exploration und Sanierung bedürfen, um okkulte Verletzungen und Spätkomplikationen wie tiefe Wundinfektionen und Fremdkörperreaktionen durch das injizierte Material zu verhindern. • Auch bei einer noch so harmlos erscheinenden durch einen Hochdruckstrahl verursachten Wunde muss eine sorgfältige chirurgische Diagnostik veranlasst werden, um durch ein frühzeitiges operatives Vorgehen schwerwiegende Folgeschäden zu verhindern. • Durch ein frühzeitiges thorakoskopisches Vorgehen – bei ausreichender minimal-invasiver thoraxchirurgischer Expertise des Operateurs – kann unter Verzicht auf Resektion von Lungengewebe ein unkomplizierter Heilungsverlauf ohne funktionelles Defizit erreicht werden. Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 247 07.08.15 13:40 248 C. Schreyer et al.: Eine außergewöhnliche Ursache des penetrierenden Thoraxtraumas Literatur 1. Backé W. Grundlagen der Ölhydraulik. Aachen: Institut für hydraulische und pneumatische Antriebe und Steuerungen der RWTH Aachen; 1974 10. Henrichs WD, Helwig EB. Grease gun granulomas. Mil Med. 1986;151(2):78-82 11. Smith TE, Canady JW, Jons CD. Cervicofacial high-pressure hydraulic injection injury. Report of a case. Arch Otolaryngol. 1982;108(7):452-453 2. Statistisches Bundesamt . Todesursachenstatistik. https://www. gbe-bund.de/oowa921-install/servlet/oowa/aw92/WS0100/_ XWD_PROC?_XWD_2/2/XWD_CUBE.DRILL/_ XWD_30/D.946/25377; abgerufen am 22.04.2015. 2015 12. Peters W. High-pressure injection injuries. Can J Surg. 1991;34(5):511-513 13. Harris AM, Orgee J, Holdsworth J, Hinson FL. Pneumonitis following grease gun injury. Injury. 2004;35(12):1303-1305 3. Koizumi T, Imamura N, Aruga N, et al. Successful treatment of penetrating chest injury caused by a crossbow. Tokai J. Exp. Clin. Med. 2014;39(2):64-68 4. Kohli N. High-pressure injection injury in a furniture repairman--an outwardly minor injury with the potential for a devastating outcome. J. Occup. Environ. Med. 2009;51(9):1105-1107 5. Hogan CJ, Ruland RT. High-pressure injection injuries to the upper extremity: a review of the literature. J Orthop Trauma. 2006;20(7):503-511 6. Peters G, Learch T, White E, Forrester D. High-pressure paint gun injury: clinical presentation and imaging findings. Emerg Radiol. 2014 7. McCarthy J, Trigger C. High-pressure Injection Injury with Molten Aluminum. West J Emerg Med. 2014;15(2):120-121 8. Creaser D. High-pressure injection injuries. Occup Health (Lond). 1987;39(11):344-345 9. Hart RG, Smith GD, Haq A. Prevention of high-pressure injection injuries to the hand. Am J Emerg Med. 2006;24(1):73-76 Bildquelle: Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz Manuskriptdaten: Eingereicht: 26.04.2015 Revidierte Fassung angenommen: 17.07.2015 Zitierweise: Schreyer C, Willms A, Schaaf S, Schwab R: Eine außergewöhnliche Ursache des penetrierenden Thoraxtraumas: Hydrauliköldurchschuss des linken Lungenoberlappens. Wehrmedizinische Monatsschrift 2015; 8: 244-248 Für die Verfasser: Oberstarzt Dr. med. Christof Schreyer Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Abteilung für Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie Rübenacher Straße 170, 56072 Koblenz, D Email: [email protected] Der Beitrag wird im Internet unter www.wehrmed.de veröffentlicht. Geschichte der Wehrmedizin Die medizinische Versorgung der Deutschen Militärmission in Vorderasien 1914 - 1918 Medical support of the German military mission in Near East 1914 - 1918 Gerd Machalett und Ernst-Jürgen Finke Zusammenfassung Im Ersten Weltkrieg war die Front in Vorderasien nur ein Nebenkriegsschauplatz. Deshalb sind Angaben zur sanitätsdienstlichen Versorgung der deutschen Militärkontingente, bestehend aus der Mittelmeer-Division (MMD) und deutsch-österreichischen Heeresverbänden, mit zuletzt 25 000 Soldaten rar. Zu Beginn der Kampfhandlungen waren die osmanische Armee und deren Sanitätsdienst den Anforderungen eines modernen Maschinenwaffenkrieges noch nicht gewachsen. Daher musste der deutsche Sanitätsdienst, der vor allem durch die MMD gestellt wurde, bereits 1915 die Verwundeten und Kranken der eigenen Truppen sowie der osmanischen Streit- kräfte versorgen und später auch die seuchenhygienische Versorgung gewährleisten. Als wehrmedizinisch bedeutsam erwiesen sich im Kriegsverlauf Fleck­ und Rückfallfieberepidemien, Malaria, Cho­ lera und Typhus. Die Ausfälle durch Kriegsseuchen lagen weit höher als diejenigen durch Verwundungen. Der Sanitätsdienst der Deutschen Militärmission etablierte die Diagnostik, Therapie und Prophylaxe von Infektionskrankheiten, stellte Desinfektionsanlagen bereit und überwachte die Abfall- und Fäkalienbeseitigung, die Impfungen und den Schutz der Truppen vor endemischen Infektionskrankheiten. Die Armeen im Taurusgebiet und in Mesopotamien erhielten ein mobiles Labor, das teilweise in Eisenbahnwaggons unterge- Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 248 07.08.15 13:40 G. Machalett et al.: Die medizinische Versorgung der Deutschen Militärmission in Vorderasien 1914 - 1918 bracht war. Auf dem Sinai und in Palästina wurden mobile Felduntersuchungsstationen mit angeschlossenem Seuchenlazarett eingesetzt. Die Deutsche Militärmission wurde dabei durch Gesundheitsämter im damaligen Konstantinopel und Jerusalem unterstützt. Während der Militärmission gewann der deutsche Sanitätsdienst wertvolle Erkenntnisse und Erfahrungen für spätere Einsätze unter ähnlichen geographischen und klimatischen Bedingungen. Schlüsselwörter: Erster Weltkrieg, Vorderasien, Osmanisches Reich, Deutsche Militärmission, Mittelmeer-Division, sanitätsdienstliche Versorgung, Seuchenbekämpfung. Summary During World War I the Near East front has been considered as a secondary theatre. Thus data on the medical support of the German military mission consisting in the Mediterranean division (MMD) and German-Austrian army formations with approximately 25.000 soldiers are rare. At the beginning of the combat activities the Ottoman army and its medical service could not met the demands for a modern war employing automatic weapons, yet. Therefore the medical service, based mainly on the MMD, as early as 1915 provided medical care and later on additional epidemic control not only for its own troops but also for the Ottoman armed forces. During the war epidemics of spotted fever, relapsing fever, malaria, cholera, typhoid fever and dysentery became important factors causing far higher casualty numbers than war injuries. The German medical service provided diagnostics, treatment, and prophylaxis of infectious diseases, established facilities for disinfection, vaccinations, and protection of troops against endemic infections, and supervised the disposal of wastes and feces. A mobile railroad based laboratory was provided to the troops in the Taurus region and Mesopotamia. In Sinai and Palestine mobile field investigation stations with attached epidemic hospitals were established. The German military mission was supported by health offices located in Constantinople und Jerusalem. During the mission German medical service acquired valuable expert know­ ledge and experience – useful for medical support in other areas under similar geographical and climatic conditions. Keywords: World War I, Near East, Ottoman Empire, German military mission, Mediterranean Division, medical support, epidemic control. Einführung Für die Darstellung der sanitätsdienstlichen Versorgung deutscher Truppen auf den Kriegsschauplätzen an den Grenzen des Osmanischen Reiches im Ersten Weltkrieg liegt keine breite Quellenbasis vor. Neben den Kriegsverlusten der verschiedenen Archive (insbesondere dem Brand des Heeresarchivs in Potsdam) ist als weiterer Grund die Einstufung als „Nebenkriegsschauplatz“ anzusehen. Der überwiegende Teil aller verfügbaren Publikationen stammt aus den 1930er Jahren und um- 249 fasst Übersichtsarbeiten - zum Teil von persönlichen Erinnerungen geprägt - sowie den dreibändigen „Sanitätsbericht über das deutsche Heer (Deutsches Feld- und Besatzungsheer) im Weltkriege 1914/1918 (Deutscher Kriegssanitätsbericht 1914/1918)“. Erst seit den 1990er Jahren erschienen weitere Veröffentlichungen, die sich unter Anwendung historisch-kritischer Methoden mit dem Thema auseinander setzen [1, 2, 3, 4, 5, 30, 34]. Diese sehr umfangreichen Arbeiten können hier nur zum Teil berücksichtigt werden, bieten aber interessierten Lesern weitere detaillierte Einblicke. Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, ausgewählte Schwerpunkte und Probleme der medizinischen Versorgung – insbesondere im Hinblick auf die Gewährleistung einer wirksamen Infektionskontrolle – der Angehörigen der Deutschen Militärmission, speziell der Mittelmeer-Division (MMD), darzustellen. Ausdrücklich stehen dabei die sanitätsdienstlichen und medizinischen Inhalte im Vordergrund, während kultur-, wirtschaftsund geopolitische Motivationen sowie historische Hintergründe nur schlaglichtartig zur Kontextualisierung beleuchtet werden. Politische Ausgangslage Am Vorabend des Ersten Weltkrieges beherrschte das Osmanische Reich zwar immer noch den Landblock zwischen Indischem Ozean, Mittelmeer und Kaspischem Meer, hatte aber seit dem 17. Jahrhundert durch nahezu durchgehend andauernde Kämpfe und innere Konflikte zwischen den verschiedenen Ethnien des Vielvölkerstaates den größten Teil seiner afrikanischen, europäischen und asiatischen Gebiete verloren [29]. Insbesondere der Erste Balkankrieg im Jahre 1912 führte zum Verlust osmanischer Gebiete auf dem Balkan an Serbien, Bulgarien, Griechenland und Montenegro. Aus Sicht der osmanischen Regierung war eine Bewahrung der Integrität beziehungsweise ein Wiederaufstieg des Reiches nur mit starken europäischen Mächten möglich. Nach gescheiterten Gesprächen mit Russland und Frankreich führten Bündnisverhandlungen mit Deutschland schließlich am 2. August 1914 zur Unterzeichnung des geheimen Bündnisvertrages zwischen dem Deutschen und dem Osmanischen Reich [29]. Nach Ausbruch der Kampfhandlungen standen sich in Europa das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn als verbündete Mittelmächte, denen sich im Laufe des Krieges das Osmanische Reich und Bulgarien anschlossen, und die aus Großbritannien, Frankreich und Russland bestehende Entente mit ihren Alliierten gegenüber. Die Aktivitäten der Mittelmächte zielten darauf ab, im britischen Einflussbereich liegende regionale Erdölfelder anzugreifen sowie den Suezkanal zuerreichen, was zur Unterbindung des Schiffsverkehrs und des Nachschubs mit resultierender Schwächung der Entente-Mächte geführt hätte [6, 7]. Während die deutsche Regierung das Osmanische Reich als „Gegengewicht zu Russland“ etablieren wollte [8] und auf einen sofortigen Kriegseintritt zur Bindung feindlicher Kräfte drängte [29], lagen die osmanischen Interessen vor allem in Persien und Transkaukasien. Dies musste zwangsläufig ebenfalls zur Kollision mit russischen Interessen führen. Belastend für das deutsch-osmanische Bündnis war die innenpolitische Situation im Osmanischen Reich: Zwischen Befürwortern eines Anschlusses an die Mittelmächte oder die Entente entstand ein Patt, verbunden mit der Gefahr, dass die Regierung in Konstan- Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 249 07.08.15 13:40 250 G. Machalett et al.: Die medizinische Versorgung der Deutschen Militärmission in Vorderasien 1914 - 1918 tinopel ihre vertraglich mit dem Deutschen Reich eingegangenen Bündnispflichten ablehnen könnte. Hauptziel der Entente war die Sicherung strategisch wichtiger Schiffsverbindungen durch die Dardanellen und den Suezkanal, die nach Blockierung der Ostsee durch Schiffe der kaiserlich-deutschen Marine die einzigen Nachschublinien zwischen den Westalliierten und Russland waren. Militärische und sanitätsdienstliche Ausgangslage Bereits im Dezember 1913 [29] begann eine deutsche Militärmission, bestehend aus Militärberatern, Waffen- und Eisenbahnbauspezialisten (letztere für den Bau der „Bagdadbahn“) auf Wunsch des Osmanischen Reiches mit ihrer Tätigkeit [6, 8, 9, 10]. Im ersten Kriegsjahr beschränkte sich die sanitätsdienstliche Unterstützung auf Angehörige der Freiwilligen Krankenpflege, während ab Herbst 1915 deutsche Sanitätseinrichtungen in und um Konstantinopel entstanden [29]. Nach der Kriegserklärung durch die Entente an das Osmanische Reich wurde die Deutsche Militärmission schrittweise personell und materiell zu einem Expeditionskorps (Pascha I und Pascha II) und der Heeresgruppe F (Jildrim) – letztere auch als „Deutsches Asienkorps“ bezeichnet – ausgebaut [31]. Während das deutsche Kontingent Anfang 1915 aus lediglich 400 Mann bestand, betrug sein Umfang Ende August des gleichen Jahres bereits 6 000 Soldaten und 600 Offiziere. Die sanitätsdienstliche Versorgung der Korps stellten unter anderem deutsche Sanitätskompanien, Feld- und Kriegslazarette sicher [29]. Bis Kriegsende waren etwa 25 000 deutsche Soldaten, davon 68 Sanitätsoffiziere, in Syrien, Palästina, Konstantinopel, auf der Halbinsel Gallipoli und an anderen Orten im kleinasiatischen und nordpersischen Raum im Einsatz [2]. Diese Kräfte standen während der gesamten Kämpfe unter dem Kommando der deutschen Generalität, die sich aber dem osmanischen Oberbefehl unterzuordnen hatte. Otto Liman von Sanders, zunächst Chef der Militärmission [7], übernahm als osmanischer Marschall das Kommando über das I. Armeekorps in Konstantinopel und befehligte ab März 1915 die 5. Armee mit zirka 60 000 Mann während der Verteidigung der Gallipoli-Front gegen die Streitkräfte der Entente [9, 10]. Mit Limans Stabschef, Bronsart von Schellendorf, und Freiherr von der Goltz als Berater des Oberbefehlshabers dienten weitere deutsche und österreichische Offiziere in Kommandopositionen der osmanischen Armee [9]. Allerdings traten im Kriegsverlauf unterschiedliche strategische Zielstellungen und Spannungen zwischen der osmanischen Armeeführung und dem deutsch-österreichischen Offizierskorps auf, welche die einheitliche Kriegsführung erschwerten [6]. Zusätzlich zu den deutsch-österreichischen Landstreitkräften traf am 10. August 1914 die MMD, im Kern aus dem großen Großen Kreuzer GOEBEN und dem Kleinen Kreuzer BRESLAU bestehend, unter dem Kommando von Admiral Wilhelm Souchon in den Dardanellen ein [29]. Die Schiffe der MMD wurden nach Umbenennung in die osmanische Flotte eingegliedert und nahmen bereits am 29. Oktober 1914 an einer Seeoperation gegen russische Schwarzmeerhäfen teil [7], wobei Souchon weiterhin der deutschen Seekriegsleitung unterstellt blieb [29]. Das osmanische Heer bestand aus drei Armeen mit 13 Korps, die 1914 eine Friedensstärke von 300 000 Mann und 8 000 Offi- zieren aufwiesen. Bis 1916 wuchs die Armee auf 1 Million Mann auf [6]. Die Kampfkraft der osmanischen Truppen bewerteten die europäischen Mächte als relativ niedrig [11]. Als Ursachen werden unter anderem angesehen [1, 2, 5, 7, 10, 11]: • soziale und ökonomische Rückständigkeit, • hohe Staatsverschuldung und Reformstau aufgrund der Balkankriege, • ungünstige hygienisch-epidemische Situation aufgrund eines unterentwickelten Gesundheitswesens und gravierender Hygienemissstände, • u nbedeutende Rüstungsindustrie, • n iedriger Stand des Verkehrswesens, • hohe Abhängigkeit bei der Bewaffnung und Ausrüstung von deutschen Lieferungen, • erhebliche innere religiöse und ethnische Spannungen im osmanischen Vielvölkerstaat (unter anderem Armenier, Griechen) und • geringes Bildungsniveau der Soldaten, bedingt durch weit verbreitetes Analphabetentum. Nicht nur das Heer, sondern auch das osmanische Sanitätswesen, dessen Chef, Suleiman Numan Pascha, an der Kaiser-Wilhelm-Akademie in Berlin ausgebildet worden war, hatte mit den bereits geschilderten Problemen zu kämpfen [9]. Das osmanische Heeressanitätswesen war kaum in der Lage, den Anforderungen eines modernen Krieges gerecht zu werden und bedurfte dringend der Unterstützung seiner Verbündeten [7, 10, 12]. In diesem Zusammenhang ist besonders der bayerische Sanitätsoffizier und Hygieniker Georg Mayer zu nennen, welcher sich bereits vor Kriegsbeginn für die Umgliederung des osmanischen Sanitätswesens in Sanitätskompanien, Feldund Kriegslazarette nach deutschem Vorbild eingesetzt hatte. Dieses Vorhaben konnte nur teilweise umgesetzt werden [2, 10], wie auch die Zusammenarbeit oft nur in den Führungsebenen funktionierte. Nachschub- und Versorgungsfragen wurden durch die Bürokratie erheblich erschwert und in den letzten zwei Kriegsjahren regelrecht sabotiert [13]. Die Schiffsärzte der MMD arbeiteten im Interesse der deutschen Marineangehörigen von Beginn an eng mit der Marinemedizinalabteilung des osmanischen Marineministeriums zusammen [9]. Bis zum Aufbau eigener ortsfester Sanitätseinrichtungen konnten vorübergehend osmanische Ressourcen wie Impfstoffe, Verbandmittel, Bettenkapazitäten, Laboratorien und ähnliches genutzt werden [9]. Bis zum Eintreffen der ersten deutschen Sanitätsformationen erfolgte die medizinische Versorgung der deutschen Soldaten ausschließlich durch den Sanitätsdienst der MMD unter Leitung des deutschen Flottenarztes der türkischen Flotte, Heinrich Trembur [9, 13]. Im weiteren Verlauf des Jahres 1914 mussten zusätzlich kriegswichtige Objekte und Personengruppen wie • Arbeiterbataillone in der Wüste, • Eisenbahnbautrupps an der Bagdadbahn, • Bergwerksarbeiter in den Kohle- und Borax-Gruben (Salten, Tschair, Ajasma), • Arbeiter im Gartenbau und im Fischfang (Kara-Su) und • Rekrutendepots in Angora sanitätsdienstlich betreut werden [2, 10, 14]. Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 250 07.08.15 13:40 G. Machalett et al.: Die medizinische Versorgung der Deutschen Militärmission in Vorderasien 1914 - 1918 251 Der Kriegsverlauf bis Oktober 1918 und die Frontverläufe sind in Abbildung 1 dargestellt. Am 18. März 1915 versuchten britische und französische Kriegsschiffe, die Dardanellen zu durchbrechen. Nach Scheitern des Angriffs von See landeten an der Küste der Halbinsel Gallipoli am 25. April 1915 starke Landstreitkräfte, deren größtes Kontingent aus 75 000 britischen Soldaten bestand [11]. Es wurde später durch das etwa 100 000 Mann umfassende Australian-New Zealand Army Corps (ANZAC) unterstützt [11]. Die monatelangen erbitterten Kampfhandlungen der Gallipoli-Schlacht gehörten zu den wichtigsten und verlustreichsten des Krieges in Vorderasien [11]. Trotz eines erheblichen Einsatzes an Kräften und Mitteln gelang den alliierten Verbänden der Durchbruch durch die osmanische Küstenverteidigung nicht [6] – ein Übergang der Front zum Stellungskrieg war die Folge (Abbildung 2). Tabelle 1 gibt einen Überblick über Verlustzahlen der beteiligten Kampfparteien und zeigt die Härte der Kämpfe und enormen Anforderungen an den osmanischen Sanitätsdienst bei bis zu 17 000 Verwundeten an einem Tag [16]. Als im Herbst 1915 der direkte Landweg von Deutschland nach Konstantinopel aufgrund der Niederlage Serbiens frei war und Abb. 2: Die Dardanellenoperation der Entente 1915 bis 1916 [6] infolge des Kriegseintritts Bulgariens auf der Seite der Mittelmächte eine neue Front im Norden Griechenlands entstand, musste die Landungsoperation der Entente auf Gallipoli aufgegeben werden. Daraufhin konnte sich auch der deutsche Heeressanitätsdienst mit eigenen Sanitätsformationen an der medizinischen Versorgung der Soldaten beteiligen. Hierbei sind folgende ab 1915 eingeleiteten Aktivitäten erwähnenswert [10]: • Einrichtung eines Feldlazaretts in Bigali mit Desinfektions-, Entlausungsanstalt und Infektionsabteilung in sogenannt Doecker-Baracken1 für während der Kämpfe auf Gallipoli verwundete Deutsche und Österreicher, • Evakuierung türkischer Verwundeter und Kranker auf zwei Lazarett- und vier Krankenschiffen nach Konstantinopel, • Abordnung von Rudolf Collin (33) als „Oberster Sanitätsoffi­ zier“ der Deutschen Militärmission ab 19.12.1915, Abb. 1: Kriegsverlauf in Vorderasien 1914 bis 1918 [6]. 1 Doecker-Baracken wurden Anfang der 1880er Jahre durch den dänischen Rittmeister Johann Gerhard Clemens Doecker entworfen und als leichte Sanitäts- und Lazarettbaracken genutzt. Sie bestanden aus kostengünstig vorgefertigten Teilen (Holzskelettbau, standardisierte Wandelemente), die mit den verfügbaren Transportmitteln an beliebige Einsatzorte verlegt und in wenigen Stunden zusammengebaut werden konnten [32]. Die Doecker-Baracke diente später als Prototyp für den Bau von Häftlingsbaracken im KZ Buchenwald [32]. Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 251 07.08.15 13:40 252 G. Machalett et al.: Die medizinische Versorgung der Deutschen Militärmission in Vorderasien 1914 - 1918 Tab. 1: Offizielle Verlustzahlen für den Dardanellen­Feldzug, nach [11] Land Tote Verwundete Gesamt Osmanisches Reich 55 000 111 000 166 000 Großbritannien (einschl. Dominions) 32 000 88 000 120 000 Frankreich 3 700 19 600 23 300 Gesamt 90 700 218 600 309 300 • Eröffnung eines Etappenlazaretts in Konak mit Apotheke, Laboratorium und Infektionsabteilungen ebenfalls in DoeckerBaracken, • Aufstellung des ersten Etappensanitätsdepots für die materielle Versorgung der türkischen und deutschen Sanitätseinrichtungen und einer zahnärztlichen Abteilung in Konstantinopel (später folgten weitere Etappensanitätsdepots unter anderem in Aleppo, Damaskus, Nazareth und Bagdad), Abb. 3: Deutscher Sanitätstrupp beim Bergen und Abtransport Verwundeter im Sankra [17] • Erweiterung des bakteriologischen Laboratoriums der Marine und Einweisung der zukommandierten deutschen Sanitätsoffi­ ziere in Diagnostik und Behandlung wichtiger Infektionskrankheiten, • Einsatz deutscher Beratender Hygieniker in den osmanischen Armeen zur Seuchenbekämpfung (Fleck­ und Rückfallfieber, Malaria, Amöbenruhr, Pappatacifieber, Cholera) und • Einrichtung von Polikliniken in Aleppo, Homs, Messudie und Jerusalem für die medizinische Versorgung der Bewohner. Versorgung Verwundeter Der improvisierte Abtransport von Verwundeten, die in den vorderen Sanitätseinrichtungen nur unzureichend versorgt werden konnten, erfolgte mit Passagierdampfern ohne ausreichende Verpflegung und ärztliche Begleitung [18]. Erreichten sie nach drei Tagen die Etappenlazarette in Konstantinopel, befanden sich die Patienten aufgrund der meist schon infizierten Wunden in einem schlechten körperlichen Zustand. In den türkischen Lazaretten machte sich das Fehlen ausgebildeter Krankenpflegekräfte bemerkbar. Zwar versuchte der türkische Halb­ mond (dem Deutschen Roten Kreuz vergleichbar), Pflegerinnen zu mobilisieren, aber zumeist übernahmen unerfahrene oder nicht ausgebildete Soldaten pflegerische Tätigkeiten [16]. Abb. 4: Deutsches Sanitätspersonal beim Transport Verwundeter in Tragekörben auf Kamelen [11] Obwohl einige Chirurgen der osmanischen Armee in Berlin ausgebildet worden waren, reichten die Kapazitäten bei dem Massenanfall von Verwundeten zu Beginn der Landungsoperation der Entente nicht aus. Der Sanitätsdienst der MMD unterstützte ab Beginn der Dardanellenoperation, ab Herbst 1915 zusammen mit Sanitätsformationen des deutschen Asienkorps, die osmanischen Militärärzte mit Chirurgen, Operations- und Bettenkapazitäten sowie Sanitätstrupps für die Bergung und den Abtransport Verwundeter (Abbildungen 3, 4 und 5). Einen ungefähren Einblick in Verletzungsmuster, Behandlungsspektrum und Schwierigkeiten bei der Verwundetenversorgung geben Berichte der eingesetzten Chirurgen und Hygieniker [12, 14, 16, 18]: Abb. 5: Personal des deutschen Sanitätsdienstes beim Verwundetentransport in Palästina [11] • Charakteristische Verletzungen waren durch Handgranaten und Minen verursachte penetrierende Wunden mit großen • Als Narkosemittel diente ausschließlich Chloroform, während Lokalanästhetika generell nicht zum Einsatz kamen. Wundhöhlen, infizierte Gelenkverletzungen, komplizierte Knochenbrüche und Weichteilblutungen. Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 252 07.08.15 13:40 G. Machalett et al.: Die medizinische Versorgung der Deutschen Militärmission in Vorderasien 1914 - 1918 • Von den 8 000 durch deutsche Chirurgen versorgten Verletzten starben 70 % während der Behandlung an Infektionen. Häufigste Todesursachen waren Sepsis (32 %), Gasphlegmone (20 %) und Tetanus (18 %). Erschwerend kam hinzu, dass die Isolierung septischer Fälle nicht möglich war. • I nfizierte Gelenkbrüche oder andere ausgedehnte Extremitätenverletzungen wurden durch Amputationen oder Exartikulationen behandelt. Amputationen durften nur nach einem Konsilium mit Ärzten der osmanischen Armee vorgenommen werden. Abdominaloperationen waren ausgesprochen selten, da Bauchverletzte das Lazarett zumeist nicht mehr lebend erreichten. • Die MMD-Einrichtungen verfügten über etwa 400 Betten. Für die in der Tasch Kyschl-Kaserne eingesetzten und aus vier Chirurgen und acht Sanitätskräften bestehenden deutschen Chirurgenteams wurde die chirurgische Bettenzahl von 1 500 auf 3 000 erhöht. Unterstützung erhielten die Ärzte von Ehefrauen deutscher und österreichischer Diplomaten und Militärangehöriger, die sich als Pflegerinnen freiwillig meldeten. Seuchenbekämpfung Im weiteren Verlauf des Krieges wurde deutlich, dass der Schwerpunkt des deutschen Sanitätsdienstes auf der Seuchenbekämpfung zu liegen hatte, da personelle Ausfälle durch epidemisch auftretende Infektionskrankheiten weit über denen durch Verwundungen lagen [1, 9, 10, 14]. Bereits im Zweiten Balkankrieg 1913 hatte eine Choleraepidemie, bei der etwa 30 000 bulgarischen Soldaten erkrankten, einen wesentlichen Einfluss auf den Kriegsverlauf [9]. Behörden, Gesundheitswesen und die Armeen des Osmanischen Reiches waren in keiner Weise auf Seuchenszenarien vorbereitet. Die seuchenhygienische Situation sowie der Gesundheitszustand der Zivilbevölkerung und Soldaten auf dem Kriegsschauplatz galten teilweise als „besorgniserregend“ [14]. Dazu trugen auch die Vertreibung und der Massenmord an der armenischen Bevölkerung aus dem Nordosten des Osmanischen Reiches ab ­April 1915 wesentlich bei. Abgesehen von einem detaillierten Bericht über „Die Armeniergreuel“ [35] des bereits erwähnten bayerischen Sanitätsoffiziers Dr. Georg Mayer und den auch heute noch eindrucksvollen Tagebuch- und Lichtbildzeugnissen des als Krankenpfleger im Stabe des Feldmarschalls von der Goltz eingesetzten Sanitätssoldaten und Schriftstellers Dr. Armin Theophil Wegner [36] wurden diese Aktionen von den meisten Angehörigen des deutschen Sanitätsdienstes in ihren späteren Veröffentlichungen nur selten erwähnt und wenn - wie aus den im Jahre 1935 publizierten Berichten von Marineärzten der MMD zu sehen - nie als Genozid reflektiert. So bezeichnete Ernst August Metge, der am Euphrat eingesetzt war, es als „Kriegsgreuelpropaganda des Feindbundes, dass es nur dem armenischen Volksteil bei der Verschickung sehr schlecht ergangen sei“ [19]. Außerdem sollen „die Armenier Aufständische gewesen sein“ und die Türken hätten die Progrome und Vertreibungen aus „kriegsgebotener Selbsterhaltung“ verübt [19]. Als einziger hoher deutscher Offizier wandte sich Liman von Sanders - allerdings nicht aus humanitären, sondern militärpolitischen Erwägungen - gegen die Verfolgung der Armenier. Der Hygieniker Peter Mühlens beklagte aus rein fachlicher Sicht die 253 Folgen der „Armenierwanderungen“, da die großen, teilweise bis nach Aleppo gelangenden Transporte die Verbreitung von Seuchen begünstigten und die „hygienische Ordnung“ auf den Etappenstraßen gefährdeten [14]. In der Tat soll die Zahl der Krankheits- und Todesfälle in den „Flüchtlingstransporten“ und „späteren Massenquartieren“ sehr hoch gewesen sein, weil dafür keinerlei hygienische Vorkehrungen getroffen wurden [14]. In einer Meldung an Djemal Pascha warnte Mühlens vor den Folgen der nach Süden ziehenden „Seuchentransporte“ der Armenier [20]: „Falls es nicht gelingen sollte, die Zuwanderung der massenhaft ….infizierten Armenier in das Armeegebiet aufzuhalten, so werden diese bald die ganzen Etappen und die Armee mit Flecktyphus, Dysenterie, Cholera, usw. verseuchen.“ In der Tat breiteten sich diese Infektionskrankheiten rasch epidemisch in der osmanischen Armee und in der Etappe aus [13, 14], was die Einbeziehung der Zivilbevölkerung in Entlausungen und Absonderungsmaßnahmen wie Isolierung oder Quarantäne in „Seuchenlagern“ notwendig machte [1]. Besonders sind hier die Aktivitäten von Ernst Rodenwaldt in Smyrna hervorzuheben. Der niedrige Durchimpfungsgrad der Soldaten (lediglich deutsche Militärangehörige verfügten über einen ausreichenden Impfschutz gegen Pocken, Cholera und Typhus sowie das Sanitätspersonal ab 1916 gegen Fleckfieber [9]) und Vertuschungsversuche von Krankheitsfällen in den Einheiten durch Offiziere und Mannschaften erschwerten die Seuchenbekämpfung [12, 14]. Lediglich in Einheiten, deren Truppenführer die Notwendigkeit der Seuchenbekämpfung erkannten, beispielsweise Liman von Sanders oder Kemal Pascha (Kommandeur der 4. Armee und späterer Begründer der modernen Türkei), konnten seuchen­ hygie­nische Maßnahmen greifen [1]. Zur Durchsetzung dieser Maßnahmen wurden zahlreiche Hygieniker der MMD, beispielsweise die Sanitätsoffiziere Heinrich Trembur, Carl Hegler, Carl Stade, E. Bentheim und - wie bereits erwähnt - Peter Mühlens, gezielt an den Schwerpunkten der Kampfhandlungen in Palästina und Anatolien, im Taurus-Gebiet sowie in Mesopotamien eingesetzt [1, 14]. Vielfach wurden tropenmedizinisch und militärhygienisch erfahrene Ärzte als Berater eingesetzt. Zu erwähnen sind hier der arabische Mediziner Abyad im Seuchenlazarett Hafir-el-Anscha und die deutschen Sanitätsoffiziere Ernst Rodenwaldt in der 5. Armee sowie Wilhelm His und Victor Schilling im Taurusgebiet [1, 9, 12, 14]. Ihr Wissen und Können erwiesen sich an den verschiedenen Seuchenherden von unschätzbarem Wert. Die Hauptaufgaben des deutschen Sanitätsdienstes bestanden in Folgendem [9, 10, 12, 14, 21, 22]: • Überwachung des Gesundheitszustandes des Militärs und der Zivilbevölkerung im Kampfgebiet der Truppen und im Hinterland, • Behandlung ziviler Patienten mit Infektionskrankheiten und Durchführung von Impfungen der Zivilbevölkerung gegen Typhus und Cholera zur Eindämmung von Seuchen im Kampfgebiet, • Ermittlung, Bekämpfung und Verhütung von Infektionskrankheiten, Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 253 07.08.15 13:40 254 G. Machalett et al.: Die medizinische Versorgung der Deutschen Militärmission in Vorderasien 1914 - 1918 • Durchführung und Kontrolle hygienischer Maßnahmen in den „Rekrutensammel-Depots“ in Aleppo und Damaskus, fieberinfizierten betrug die Sterblichkeit trotz Behandlung 2 bis 5 % [14]. • Einrichtung von Verpflegungs­ und Krankensammelstellen, Orts- bzw. Seuchenlazaretten mit bakteriologischen Untersuchungsstellen sowie Feldlaboren an wichtigen Verkehrspunkten, In Vorderasien wurden mit 3,7 % (2. Kriegsjahr), 10,7 % (3. Kriegsjahr) und 5,1 % (4. Kriegsjahr) der Erkrankungen die höchsten Anteile an der Gesamtzahl aller Fleckfieberfälle im deutschen Heer während des Ersten Weltkriegs verzeichnet [21]. Eines der prominentesten Opfer war der Kommandeur der 3. osmanischen Armee, Freiherr von der Goltz, der am 19.4.1916 in Bagdad dieser Infektionskrankheit erlag [10]. In der kalten Jahreszeit dominierten die von Wanzen (Rückfallfieber) und Kleiderläusen (Fleckfieber) übertragenen Krankheiten. Dage­ gen traten in der warmen Jahreszeit vor allem die fäkal-oral und durch Fliegen (Cholera, Ruhr, Typhus) sowie durch Mücken (Malaria) übertragenen Seuchen in den Vordergrund [14]. • hygienische Überwachung (Säuberung und Reinhaltung) der Truppenunterkünfte sowie Bekämpfung von Läusen, Wanzen, Fliegen und Moskitos, • Schädlingsbekämpfung durch Bade- und Entlausungszüge, • Abfall-, Urin- und Fäkalienbeseitigung bei den militärischen Verbänden, • Überwachung der Verpflegung und Skorbutprophylaxe, • Reinigung und Desinfektion der Eisenbahnwaggons, Sanitätskraftwagen, Verpflegungs­ und Sanitäreinrichtungen sowie Unterkünfte durch spezielle Desinfektionskommandos, • Schutzimpfungen, Malariaprophylaxe (Chinin, Moskitonetze und -stiefel), • Sondertransport Infektionskranker in speziell ausgewiesenen Eisenbahn- und Sanitätskraftwagen und • Etablierung von Soldaten- und Genesungsheimen (zum Beispiel in Bagdad). Das Seuchenspektrum im Kampfgebiet Als wichtigste Seuchen auf dem vorderasiatischen Kriegsschauplatz galten Fleck­ und Rückfallfieber, Malaria und fä­ kal-oral übertragbare Erkrankungen wie Cholera, Typhus abdominalis, Paratyphus und Ruhr [1, 10, 14, 21, 23, 34]. Eine ausführliche Darstellung des Fleckfiebergeschehens, der Ursachen und medizinischen Folgen sowie ihrer Auswirkungen auf die Kampfhandlungen auf dem vorderasiatischen Kriegsschauplatz findet sich bei Werther [34]. Erste Fleckfieberepidemien traten bereits 1914/15 im Bereich der 5. Armee bei den Kämpfen im Taurus-Gebiet auf. Die Verluste, vor allem beim medizinischen Personal, sollen so hoch gewesen sein, dass jeweils nur noch ein Arzt pro Regiment beziehungsweise für 200 Lazarettbetten verfügbar war [14]. 1915 wurden von der Palästinafront bereits 549 Fleckfieberfälle mit einer Letalität von 51,4 % und eine Rückfallfieberepidemie mit 7,8 % Letalität gemeldet [14]. Zeit­ weise waren in der 4. Armee Rückfallfiebererkrankungen 10mal häufiger als Fleckfieberfälle. Bei den 3 000 bis 4 000 Rückfall­ Während einer Choleraepidemie vom Mai 1916 bis Dezember 1917 erkrankten in Palästina und Mesopotamien 16 460 Soldaten der 2. Armee, von denen 8 506 (etwa 50 %) verstarben [14]. Choleraerkrankungen traten bei der osmanischen Bevölkerung bis Ende des Krieges regelmäßig auf. Amöbenruhr wurde in Syrien und Mesopotamien bei kleineren Epidemien von der Zivilbevölkerung auf die Truppen übertragen [12, 14]. Mit 4,4 % (1915/16), 9,2 % (1916/17) und 1,0 % (1917/18) aller Erkrankungen war der Anteil dieser Seuche auf dem vorderasiatischen Kriegsschauplatz am höchsten [24]. Erhebliche Ausfälle verursachte die Malaria, die in Vorderasien als „Volksseuche“ weit verbreitet war [10, 22]. Viktor Schilling [zitiert bei 14] berichtete 1916 aus dem Taurusgebirge und Aleppo von 825 frischen Malariafällen mit einer Letalität von 1,82 %. Häufigste Malariaform (76,1 %) war die Malaria tropica [22, 25]. Zur Behandlung und Prophylaxe kam Chinin zum Einsatz. Mit Moskitonetzen, die aber unzureichend schützten, und durch Abdichtung von Regenwasserzisternen und Trockenlegung der Brutreservoire der Anophelesmücke (Tümpel, Teiche und andere stehende Gewässer) versuchte man, die Malaria bereits vor Ausbreitung zu bekämpfen. Auch während der Sinaikämpfe dominierte die Malaria das Infektionsgeschehen in den deutschen Truppen (Tabelle 2). Pocken, Lepra, „Orientbeule“ und Fünftagefieber traten nur vereinzelt auf und spielten daher epidemiologisch keine Rolle [10]. Über Erkrankungen an Brucellose, Rotz, Pest, Tularämie oder Milzbrand wurde nicht berichtet [10, 23]. Erwähnenswert ist jedoch das Pappataci-Fieber, das von Sandmücken (Phlebotomus pappatasi) übertragen wird. So wurde über Ausbrüche im Juni 1915 an einigen Frontabschnitten der Gallipoli-Halbinsel Tabelle 2: Übersicht der wichtigsten Krankheiten in den deutschen Truppenteilen während der Sinaikämpfe (01.06. - 31.08.1917) [10, S. 805] Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 254 07.08.15 13:40 G. Machalett et al.: Die medizinische Versorgung der Deutschen Militärmission in Vorderasien 1914 - 1918 und im August 1916 auch im Taurus- und Amanusgebiet berichtet [10, 18]. Größere Probleme bereitete die Tuberkulose, die in der Zivilbevölkerung durch katastrophale Wohnbedingungen weit verbreitet war und in erheblichem Maße auch in die Truppe eingeschleppt wurde [9]. Ein weiteres Gesundheitsproblem war das endemisch verbreitete Trachom, für dessen Behandlung ein deutscher Augenarzt an Schwerpunkte des Ausbruches kommandiert wurde [13, 26]. Der vorderasiatische Kriegsschauplatz war zusätzlich durch eine hohe Morbidität venerischer Krankheiten (125,6/1 000) belastet (Tabelle 2) [10, 27]. Durch zwangsweise Schließung der Bordelle in Konstantinopel breiteten sich Geschlechtskrankheiten unkontrolliert über das Land aus. Diagnostik und Therapie von Syphilis und Gonorrhoe bildeten in Konstantinopel und anderen Großstädten einen besonderen Schwerpunkt [14]. Seuchenhygienische Maßnahmen Einen hohen Stellenwert hatte die Ungezieferbekämpfung. Dabei mussten die klimatischen Besonderheiten in Vorderasien und ihr Einfluss auf die Entwicklung der Überträger berück­ sichtigt werden. In heißen und trockenen Sommern trat üblicherweise eine Fliegenplage auf, im Winter entwickelten sich Wanzen und Flöhe in den warmen Unterkünften. Die Voraussetzungen für Entlausungen von Bekleidung und Ausrüstung, Truppenunterkünften und Eisenbahnwaggons galt es aber erst zu schaffen, da von osmanischer Seite vor Kriegsausbruch keinerlei Vorkehrungen getroffen wurden [14]. Weitere Aufgaben waren, wie bereits erwähnt, Lebensmittelkontrolle, Skorbutprophylaxe bei den Bauarbeitereinheiten und im Rahmen von Wüsteneinsätzen sowie in den großen Rekrutensammelstellen die Eindämmung der Vermehrung von Skabies [13]. Neben bereits geschilderten Maßnahmen versuchte man, durch Organisation der Fäkalien- und Leichenbeseitigung, Krankheitsübertragungen durch Fliegen zu verhindern. Zur Isolierung infizierter Patienten wurden Seuchenlazarette an den Marsch­ und Nachschubstraßen eingerichtet, denen oft ein bakteriologisches Labor angeschlossen war [10]. Als Pflegekräfte konnten in Palästina deutsche Boromäer-Schwestern aus Jerusalem gewonnen werden [14]. Abb. 6: Bakteriologisches Feldlaboratorium in einem Palmenhain der Sinaihalbinsel, August 1916 [13] 255 Labordiagnostik Für die mikrobiologisch-serologische Diagnostik stand dem deutschen Sanitätsdienst das bakteriologische Untersuchungsamt in Konstantinopel zur Verfügung [10, 25]. Hier waren in Ausnahmefällen auch klinisch-chemische und sonstige diagnostische Untersuchungen sowie eine begrenzte Produktion von Impfstoffen gegen Cholera, Typhus und Paratyphus A möglich [14, 25]. In Jerusalem wurde am internationalen Hygieneinstitut eine deutsche Malariastation eröffnet [10, 26]. Hier fungierte das schon im Jahre 1913 von Mühlens gegründete Gesundheitsamt als „hygienische Zentrale“ der 4. Armee in Palästina, Mesopotamien und auf der Sinaihalbinsel [14]. Die erheblichen Entfernungen der stationären Einrichtungen zu den Frontverläufen machten den Aufbau beweglicher bakteriologischer Feldlaboratorien (auch als Seuchenlaboratorien oder Felduntersuchungsstationen bezeichnet) für die 4. und 5. Armee mit angeschlossenen Quarantänestationen und Seuchenlazaret- Abb. 7: Inneres eines Laboratoriumswagens (bakteriologischer Arbeitsplatz) [22] Abb. 8: Inneres eines Laboratoriumswagens mit Brutschrank [22] Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 255 07.08.15 13:40 256 G. Machalett et al.: Die medizinische Versorgung der Deutschen Militärmission in Vorderasien 1914 - 1918 ten notwendig [22]. Bei Vorstößen auf den Sinai und zum Suezkanal wurden Feldlaboratorien mit angeschlossenen Lazaretten unter anderem an folgenden Orten errichtet: Ibne, Gaza, Nables, el Arisch, Aleppo, Adana und Damaskus (Abbildung 6). Besondere Bedeutung sollte das bewegliche bakteriologische Feldlaboratorium für die Seuchenschwerpunkte der 3. Armee in Anatolien, im Taurus und in Mesopotamien [13, 22] erlangen. Dazu waren ein bakteriologisch-serologisches Labor, die Desinfektionsabteilung, Küche, Elektro- und Kühlaggregate sowie Personalunterkünfte fest in Eisenbahnwaggons eingebaut (Abbildungen 7 und 8), während Laborgeräte und Materialien in 20 Kisten („Münchner Feldlaboratorium“) mitgeführt wurden [9, 22]. Abb. 9: Personal des Laboratoriums vor dem Wohnwagen [22] Diese Einrichtung wurde auf Initiative von Trembur beschafft, durch Souchon am 7.11.1916 an das osmanische Kriegsministerium offiziell übergeben und erst 1919 aus Bosanti abgezogen [22]. Abb. 10: Gesamtkrankenzugang an Krankheiten bei der Truppe des deutschen Feldheeres auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen während der vier Kriegsjahre nach Monaten und ‰ K. (K.= Gesamtzahl der zum Kriegsdienst Einberufenen) [28]; die wellenförmige Kurve zeigt die Krankenzugänge von Oktober 1915 bis Juni 1918 für die Türkei auf dem vorderasiatischen Kriegsschauplatz. Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 256 07.08.15 13:40 G. Machalett et al.: Die medizinische Versorgung der Deutschen Militärmission in Vorderasien 1914 - 1918 Das Laborpersonal bestand aus einem Arzt, einem Zoologen, sechs Marinesoldaten, einem Sanitätshauptmann (als Dolmetscher) und zwei Sanitätssoldaten der osmanischen Armee (Abbildung 9) [22]. Das bakteriologische Feldlaboratorium befand sich von November 1916 bis zum Kriegsende im November 1918 in Angora und Bosanti im Einsatz. Insgesamt wurden 18 000 Proben, vorwiegend aus den Lazaretten der 3. Armee, der Rekrutensammelstelle Masafirhane und der poliklinischen Beratungsstelle in Angora, untersucht [22]. Morbiditäten Die Auswertung der Sanitätsberichte des Ersten Weltkrieges zeigt, dass die Gesamterkrankungszahlen auf dem vorderasiatischen Kriegsschauplatz während der drei Kriegsjahre (191618) generell über dem Durchschnitt des deutschen Feldheeres lagen [23]; in den Sommermonaten überstiegen sie den Durchschnitt sogar um ein Vielfaches (Abbildung 10). Ähnliches traf auch für die Zugänge an übertragbaren Krankheiten zu. Während diese im deutschen Feldheer an der Ostund Westfront zwischen 38,3 und 188,6 ‰ der Durchschnitts-Iststärke pro Jahr betrugen, erreichten sie auf dem vorderasiatischen Kriegsschauplatz zwischen 277,6 - 872,1 ‰ pro Jahr [23]. Die Zugänge von Kranken mit ausgewählten Infektionskrankheiten in den deutschen Lazaretten während dieses Zeitraums sind in Tabelle 3 aufgeführt. Tab. 3: Krankenzugänge in die Lazarette der deutschen Kontingente auf dem vorderasiatischen Kriegsschauplatz (zusammengestellt nach Angaben von [23]) Krankheit Typhus Malaria Ruhr venerische Krankheiten Kriegsjahr* Fallzahl ‰ der Iststärke 1. - - 2. 20 14,6 3. 115 26,6 4. 368 37,1 1. - - 2. 122 89,2 3. 2 819 651,2 4. 1 822** 183,7 1. - - 2. 141 103,1 3. 426 98,4 4. 247 24,9 1. - - 2. 142 103,8 3. 362 83,6 4. 1 536 154,9 * 1. Kriegsjahr: August 1914 - Juli 1915; 2. Kriegsjahr: August 1915 - Juli 1916; 3. Kriegsjahr: August 1916 - Juli 1917; 4. Kriegsjahr: August 1917 - Juli 1918; ** 1/3 der Fälle: Malaria tropica 257 Ergebnisse des Einsatzes des deutschen Sanitätsdienstes Der Sanitätsdienst der Deutschen Militärmission erbrachte auf dem vorderasiatischen Kriegsschauplatz bis zur Rückführung über die besetzte Ukraine mit über 25 000 Militärangehörigen (einschließlich osmanischer Unterstützungskräfte) einen wesentlichen Beitrag für die militärischen Kampfhandlungen, den Kohle- und Boraxabbau (für die Produktion optischer Gläser bei Zeiss Jena), die Holzkohleherstellung (für die Pulverproduktion), die Lebensmittelindustrie und den Fischfang [14]. Als besondere Leistung muss die antiepidemische und hygienische Arbeit gewürdigt werden, die entscheidend dazu beitrug, die Ausbreitung von Infektionskrankheiten in die Truppe zu begrenzen und die Kampfkraft der Soldaten zu erhalten. Nicht von ungefähr stellte Mühlens daher fest, dass die „Kriegshy­giene einen wesentlichen Bestandteil der Kriegstaktik“ bildet [20]. Nicht zuletzt ermöglichten es die Erkenntnisse und Erfahrungen auf dem Kriegsschauplatz im Nahen Osten, die Organisation der Seuchenbekämpfung in den beteiligten Armeen schon während des Krieges zu optimieren. Einige der damals als sinnvoll erachteten Prinzipien, Maßnahmen und Einrichtungen, wie zum Beispiel die gezielte Immunprophylaxe oder der Einsatz von Desinfektions-, Schädlingsbekämpfungs- und Quarantänekommandos sowie beweglichen bakteriologisch-serologischen Laboratorien, haben in den Sanitätsdiensten moderner Streitkräfte bis heute ihre Gültigkeit nicht verloren. Sie dienten unter anderem als Vorbild für die spätere Entwicklung von Feldlaboren in Faltkoffern des Medizinischen Dienstes der Nationalen Volksarmee, der „Mobilen“ (MSE) und auch der neuen „Luftbeweglichen Sanitätseinrichtungen“ (LSE) des Sanitätsdienstes der Bundeswehr. Das Wirken des deutschen Sanitätsdienstes auf dem vorderasiatischen Kriegsschauplatz ist somit heute nicht nur aus historischer Sicht interessant. Bildquelle: siehe Literaturverweise Literatur 1. Eckart WU: Medizin und Kolonialimperialismus in Deutschland 1884-1945, Ferdinand Schöningh, Paderborn, 1997 2. Eckart WU: Medizin und Krieg. Deutschland 1914-1924. Ferdinand Schöningh, Paderborn, 2014; 319-325 und 501ff 3. Becker H: Äskulap zwischen Reichsadler und Halbmond. Sanitätswesen und Seuchenbekämpfung im türkischen Reich während des Ersten Weltkriegs. Murken-Altrogge, Herzogenrath, 1990 4. Wulf S: Jerusalem – Aleppo – Konstantinopel. Der Hamburger Tropenmediziner Peter Mühlens im Osmanischen Reich am Vorabend und zu Beginn des Ersten Weltkriegs. LIT, Münster; 2005 5. Mangold-Will S: Begrenzte Freundschaft. Deutschland und die Türkei 1918-1933. Wallstein, Göttingen, 2013 6. Otto H, Schmiedel K: Der Erste Weltkrieg - Ein militärhistorischer Abriss. Militärverlag der DDR, Berlin, 1977; 158-165, 280-285, 341-346 7. Strachon H: Der erste Weltkrieg. Eine neue illustrierte Geschichte. C. Bertelsmann, München 2004; 127-139 8. Strachon H: ibid: S. 131 9. Trembur H: Ärztliche Tätigkeit in der Türkei bei der Mittelmeerdivision während des Weltkrieges. In: Vor 20 Jahren. Zweite Folge. Von den Dardanellen zum Sues. Mit Marineärzten im Weltkrieg Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 257 07.08.15 13:40 258 G. Machalett et al.: Die medizinische Versorgung der Deutschen Militärmission in Vorderasien 1914 - 1918 durch die Türkei. Hrsg.: Schriftleitung der Deutschen Medizinischen Wochenschrift. Georg Thieme, Leipzig 1935; 9-67 10.Der deutsche Sanitätsdienst auf dem türkischen Kriegsschauplatz (Deutsche Militärmission in der Türkei, Unternehmen gegen den Suezkanal, Nildirim). In: Heeres-Sanitätsinspektion des Reichkriegsministeriums: Sanitätsbericht über das deutsche Heer (Deutsches Feld- und Besatzungsheer) im Weltkriege 1914/1918 (Deutscher Kriegssanitätsbericht 1914/1918). II. Band: Der Sani­täts­ dienst im Gefechts- und Schlachtenverlauf im Weltkriege 1914/1918. E. S. Mittler & Sohn, Berlin 1938; 799-809 11. Reichsarchiv (Hrsg.); Schlachten des Weltkrieges in Einzeldarstellungen. Bd. 16: Der Kampf um die Dardanellen 1915. Gerhard Stolling, Oldenburg i. O./Berlin 1927; 14-42 12.Rosenberger W: Sanitätsdienst beim Oberkommando der Meerengen, Abteilung in den Dardanellen. In: Vor 20 Jahren. Zweite Folge. Von den Dardanellen zum Sues. Mit Marineärzten im Weltkrieg durch die Türkei. Hrsg.: Schriftleitung der Deutschen Medizinischen Wochenschrift. Georg Thieme, Leipzig 1935; 8991 13.Hegler C: Drei Jahre beratender Hygieniker und Kliniker in der Sinaiwüste. In: In: Vor 20 Jahren. Zweite Folge. Von den Dardanellen zum Sues. Mit Marineärzten im Weltkrieg durch die Türkei. Hrsg.: Schriftleitung der Deutschen Medizinischen Wochenschrift. Georg Thieme, Leipzig 1935; 165-182 14.Mühlens P: Vier Jahre Kriegshygiene in der Türkei und auf dem Balkan. In: Vor 20 Jahren. Zweite Folge. Von den Dardanellen zum Sues. Mit Marineärzten im Weltkrieg durch die Türkei. Hrsg.: Schriftleitung der Deutschen Medizinischen Wochenschrift. Georg Thieme, Leipzig 1935; 141-160 15.[6]: 284 16.Zschech B: Das deutsche Marine-Sanitätskommando in den türkischen Kriegslazaretten in Konstantinopel. In: In: Vor 20 Jahren. Zweite Folge. Von den Dardanellen zum Sues. Mit Marineärzten im Weltkrieg durch die Türkei. Hrsg.: Schriftleitung der Deutschen Medizinischen Wochenschrift. Georg Thieme, Leipzig 1935; 126140 17.Der Weltkrieg im Bild: Der Weltkrieg im Bild, Berlin-Oldenburg 1927, 341 18.Hiltmann E: Mit den Maschinengewehren der Mittelmeerdivision an der Front auf Gallipoli. In: In: Vor 20 Jahren. Zweite Folge. Von den Dardanellen zum Sues. Mit Marineärzten im Weltkrieg durch die Türkei. Hrsg.: Schriftleitung der Deutschen Medizinischen Wochenschrift. Georg Thieme, Leipzig 1935, 112-125 19.Metge EA: Ausschnitte vom Euphrat. In: Vor 20 Jahren. Zweite Folge. Von den Dardanellen zum Sues. Mit Marineärzten im Weltkrieg durch die Türkei. Hrsg.: Schriftleitung der Deutschen Medizinischen Wochenschrift. Georg Thieme, Leipzig 1935; 161-164 20.[14]: 158 21.Marinemedizinalamt des Oberkommandos der Kriegsmarine (Hrsg.): Überblick über den gesamten Kriegssanitätsdienst auf den einzelnen Seekriegsschauplätzen der Deutschen Marine. In: Kriegssanitätsbericht über die Deutsche Marine 1914-1918. I. Band Marinesanitätsdienst im Kriege. E. S. Mittler und Sohn, Berlin 1939; 154-177 22.Bentmann E. Das bewegliche Seuchenlaboratorium für Anatolien. In: Vor 20 Jahren. Zweite Folge. Von den Dardanellen zum Sues. Mit Marineärzten im Weltkrieg durch die Türkei. Hrsg.: Schriftleitung der Deutschen Medizinischen Wochenschrift. Georg Thieme, Leipzig 1935; 210-234 23.Heeres-Sanitätsinspektion des Reichkriegsministeriums: III. Abschnitt: Die Erkrankungen. In: Sanitätsbericht über das deutsche Heer (Deutsches Feld- und Besatzungsheer) im Weltkriege 1914/1918 (Deutscher Kriegssanitätsbericht 1914/1918). III. Band: Die Krankenbewegung bei dem Deutschen Feld- und Besatzungsheer. E. S. Mittler & Sohn, Berlin 1934; 66-67, 87-91, 118, 127, 127 24.Hoffmann W: Cholera. In: Schjerning O v, Hoffmann W (Hrsg.): Handbuch der Ärztlichen Erfahrungen im Weltkrieg 1914/1918. Bd. VII, A. Barth, Leipzig 1922; 387-403 25.Stade C: Das bakteriologische Untersuchungsamt der Mittelmeer-Division in Konstantinopel 1916-1918. In: Vor 20 Jahren. Zweite Folge. Von den Dardanellen zum Sues. Mit Marineärzten im Weltkrieg durch die Türkei. Hrsg.: Schriftleitung der Deutschen Medizinischen Wochenschrift. Georg Thieme, Leipzig 1935; 183190 26.Koenig G: Augenärztliche Tätigkeit bei der Mittelmeerdivision in Konstantinopel 1915-1918. In: Vor 20 Jahren. Zweite Folge. Von den Dardanellen zum Sues. Mit Marineärzten im Weltkrieg durch die Türkei. Hrsg.: Schriftleitung der Deutschen Medizinischen Wochenschrift. Georg Thieme, Leipzig 1935; 252-256 27.Drigalski W: Geschlechtskrankheiten. In: Schjerning O v, Hoffmann W (Hrsg.): Handbuch der Ärztlichen Erfahrungen im Weltkrieg 1914/1918. Bd. VII, A. Barth, Leipzig, 1922; 586-609 28.[23]: 88 29.Mühlmann C: Das deutsch-türkische Waffenbündnis im Weltkriege. Koehler & Amelang, Leipzig 1940 30.Hirschfeld G, Krumeich G, Renz I (Hrsg): Enzyklopädie Erster Weltkrieg. Ferdinand Schöningh, Paderborn 2014 31.Lorey H: Der Krieg in den türkischen Gewässern. 1. Bd: Die Mittelmeer-Division. E. S. Mittler & Sohn, Berlin 1928 32.Kirfe F: Zum Beitrag der Vermessung bei der Bewahrung historischer Geschehnisse (am Beispiel des ehemaligen Häftlingslagers in der Gedenkstätte Buchenwald). https://www.htw-dresden.de/fileadmin/userfiles/geo/Labore/Labor_Photogrammetrie_Fernerkundung/PDF/Diplomarbeit_Thomas_Kirfe.pdf (letzter Aufruf:14.07.2015) 33.Soytürk M: Deutsche Militärärzte, die im ersten Weltkrieg im Türkischen Heer tätig waren, berichten. https://de.scribd.com/ doc/80987994/aerzte1wk-1 (letzter Aufruf: 18.07.2015) 34.Werther T: Fleckfieberforschung im Deutschen Reich 1914 - 1945. Untersuchungen zur Beziehung zwischen Wissenschaft, Industrie und Politik unter besonderer Berücksichtigung der IG Farben. 2004. http://archiv.ub.uni-marburg.de/diss/z2008/0157/pdf/dtw. pdf (letzter Aufruf: 15.07.2015) 35.Mayer G: Die Armeniergreuel 1914/1915. Abschrift o.D. BayHStA Abt IV, Handschriftensammlung 36.Wegner AT: Die Austreibung des armenischen Volkes in die Wüste. Ein Lichtbildervortrag. Wallstein Verlag, Göttingen 2011 Danksagung: Die Autoren danken Herrn Oberfeldarzt Dr. André Müllerschön, Sanitätsversorgungszentrum Neubiberg, für seine umfassende Unterstützung beim Lektorat der Arbeit. Manuskriptdaten: Eingereicht: 07.02.2015 Revidierte Fassung angenommen: 21.07.2015 Zitierweise: Machalett G, Finke EJ: Die medizinische Versorgung der deutschen Militärmission in Vorderasien 1914 – 1918. Wehrmedizinische Monatsschrift 2015; 8: 248-258 Für die Verfasser: Oberstarzt a. D. Dr. Ernst-Jürgen Finke Thorner Str. 9 80993 München E-Mail: [email protected] Der Beitrag wird im Internet unter www.wehrmed.de veröffentlicht. Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 258 07.08.15 13:40 259 Aus den Fachgebieten Aus der Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin1 (Direktor: Oberstarzt Dr. H. Lischke) und der Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie2 (Direktor: Oberstarzt Prof. Dr. A. Markewitz) des Bundeswehrzentralkrankenhauses Koblenz (Chefarzt: Generalarzt Dr. M. Zallet), der Fregatte KARLSRUHE3 (Kommandant: Fregattenkapitän C. Clausing) des 4. Fregattengeschwaders (Kommandeur: Fregattenkapitän T. Marx) und der Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin4 (Direktor: Oberstarzt Dr. G. Hölldobler) des Bundeswehrkrankenhauses Hamburg (Chefarzt: Generalarzt Dr. J. Hoitz), Einsatz im Rahmen der Bordfacharztgruppe: Konventionelle Appendektomie an Bord der Fregatte KARLSRUHE Christoph Jänig1, Stephan Laumann2, Michael Karg3, Markus Köster4 Zusammenfassung Der Artikel beschreibt das Versorgungskonzept einer Bordfacharztgruppe als Teil der Konzeption des Sanitätsdienstes zur Versorgung von erkrankten bzw. verwundeten Soldaten. Es wird über eine offen durchgeführte Appendektomie berichtet, welche während des Transits durch den Indischen Ozean an Bord der Fregatte KARLSRUHE durchgeführt wurde. Dieser viszeralchirurgische Routineeingriff zeigt exemplarisch, welche Besonderheiten bei operativen Eingriffen auf Kriegsschiffen im Vergleich zum Krankenhausalltag bestehen. Die während der Patientenversorgung gemachten Erfahrungen und identifizierten Fallstricke werden ange­ sprochen und mögliche Lösungswege aufgezeigt. Der Beitrag gibt Denkanstöße zur Weiterentwicklung der einsatzvorbereitenden Ausbildung von Personal des Marinesanitätsdienstes sowie der zukünftigen Mitglieder von Bordfacharztgruppen. Schlüsselworte: Bordfacharztgruppe, maritime Medizin, Crew Ressource Management, Appendektomie Keywords: Naval forward surgical team, maritime medicine, crew ressource management, appendectomy entsprechend qualifiziertes Personal sichergestellt werden konnte, wurde für diese Etappe eine Bordfacharztgruppe, bestehend aus je einem Facharzt Chirurgie und Anästhesie, einem Fachkrankenpfle­ ger Anästhesie/ Intensivmedizin sowie einer Zahnärztin eingeschifft. Damit sollte im Ausnahmefall auch die Durchführung notfallchirurgischer Eingriffe sichergestellt werden. Die Morbidität und Mortalität operativer Eingriffe an Bord von Kriegsschiffen wird in der vorliegenden Literatur als gering angegeben [1]. Allerdings wurde bei den ausgewerteten Untersuchungen naturgemäß nur eine kleine Fallzahl erreicht. Dabei scheinen aber die Erfahrungen in diesem Bereich international einheitlich in die gleiche Richtung zu gehen [2], so dass nach gegenwärtigem Stand der Wissenschaft von der Richtigkeit dieser Aussage ausgegangen werden kann. Nicht vergleichbar sind aufgrund der großen infrastrukturellen Unterschiede die Daten von Lazarettschiffen der US Navy, welche im Rahmen humanitärer Aktionen zahlreiche operative Eingriffe durchführen. [3, 4]. Auch die Zahlen von Role-2-Einrichtungen in Trägerkampfgruppen sind aufgrund der räumlichen, personellen und materiellen Ausstattung nur indirekt vergleichbar, jedoch nicht widersprechend [5]. Fallbeschreibung Einleitung Die Situation an Bord Das Schiffslazarett der Fregatte KARLSRUHE (Klasse 122) besteht aus einem Behandlungsraum (Abbildung 1), einer Pati- Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr sollen auch im Einsatz im Falle einer Erkrankung oder Verletzung eine Behandlung erfahren, die im Ergebnis die gleiche Qualität besitzt, wie dieses bei einer Behandlung im Inland der Fall wäre. Diese Maxime des Sanitätsdienstes der Bundewehr gilt auch für die Besatzungen von Schiffen und Booten der Marine. Als Teil des „Einsatz- und Ausbildungsverbandes 2015“ der Deutschen Marine trennte sich die Fregatte KARLSRUHE auf einer Teilstrecke vom übrigen Verband und fuhr als sogenannter Einzelfahrer durch den Indischen Ozean, um Hafenbesuche in Indien und dem Oman durchzuführen. Da auf dem Transit durch den Indischen Ozean eine notfallchirurgische Versorgung infolge der großen Entfernungen zu Küstenstädten an Bord nur über Abb.1: Der Behandlungsraum der Fregatte KARLSRUHE Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 259 07.08.15 13:40 260 C. Jänig et al.: Einsatz im Rahmen der Bordfacharztgruppe entenkammer sowie einem Sanitärraum und der Schreibstube. Diese Räumlichkeiten sind der „Arbeitsplatz“ des bordeigenen Sanitätspersonals, welches zu diesem Zeitpunkt aus dem Schiffsarzt, einem Sanitätsmeister und zwei Sanitätsunteroffi­ zieren bestand und die truppen-/schiffsärztliche Versorgung der Besatzung sicherstellte. Der Schiffsarzt ist regelhaft Weiterbildungsassistent in einem patientennahen Fach (in unserem Fall Chirurgie) und besitzt spezielle Fortbildungen als Taucher- und Fliegerarzt, sowie die Qualifikation als Notarzt (mindestens Fachkunde Rettungsme­ dizin). Der Schifffahrmedizinische Assistent, im Bordleben in der Regel „Sanmeister“ genannt, ist ausgebildeter Rettungsassistent (zukünftig Notfallsanitäter), ist gleichzeitig Tauchmedizinischer Assistent und besitzt in der Regel weitere Qualifikati­ onen wie die Fachkunde Strahlenschutz. Die Sanitätsunteroffi­ ziere sind Rettungssanitäter und Taucherarztgehilfen.1 Die eingeschiffte Zahnärztin nutzte den Aufenthalt an Bord, um den aktuellen Zahnstatus (Dental Fitness Classification, DFC) der Besatzungsmitglieder zu erheben und notwendige zahnärztliche Behandlungen durchzuführen. Die anderen Mitglieder der Bordfacharztgruppe standen als sogenannte „Dauerwächter“ durchgehend (24/7) für die Durchführung eventuell notwendiger operative Eingriffe bereit, unterstützten im Schiffslazarett und waren im Übrigen jedoch nur beim Gefechts- und Rollendienst eingebunden. französischen Trägerkampfgruppe zu bestimmen, um die Patientin gegebenenfalls auf den Flugzeugträger zu überstellen, da dieser eine Role-2-Einrichtung betreibt. Die Möglichkeit eines Transfers an Land und die Versorgung im Rahmen von HostNation-Support schied von vornherein aufgrund der großen Entfernung zum nächsten Festland aus. Da unter konservativ-symptomatischer Behandlung die klinische Symptomatik progredient war und eine kurzfristige Verlegeoption nicht zur Verfügung stand, erfolgte gegen Mittag die Entscheidung zur Durchführung der offenen Appendektomie an Bord der Fregatte KARLSRUHE. Der Eingriff konnte – abgesehen von einer verlängerten Operationsdauer – problemlos durchgeführt werden. 36 Stunden postoperativ entwickelte die Patientin Zeichen eines Pneumothorax. Eine differenzialdiagnostisch in Erwägung gezogene Lungenembolie bei positiver Familienanamnese, durchgemachtem operativem Eingriff und postoperativer Immobilisation konnte an Bord nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden. Daher erhielt die Patientin neben einer Thoraxdrainage (Abbildung 2) parallel eine Antikoagulation mit niedermolekularem Heparin in volltherapeutischer Dosierung. Am fünften postoperativen Tag erfolgte über Mormugao, Indien, die Repatriierung der Patientin mittels StratAirMedEvac2 Der Fall An einem Sonntagmorgen stellte sich eine 24-jährige Soldatin mit seit dem Vorabend bestehenden Unterleibsschmerzen vor. Bei der Patientin bestanden sonst keine relevanten Vorerkrankungen, Allergien waren nicht bekannt, sie war bis zu diesem Zeitpunkt nicht voroperiert. Anamnestisch war ein Onkel an einer posttraumatischen Lungenembolie verstorben. Anamnese und körperlicher Untersuchungsbefund, ergänzt um eine Sonographie des Abdomens und eine Laboruntersuchung (14 500 Leukos/µl), sprachen für eine akute Appendizitis. Aufgrund der besonderen Situation an Bord, die naturgemäß nicht die Voraussetzungen eines deutschen Krankenhauses bieten kann, wurde zunächst geprüft, ob eine Verlegung der Patientin präoperativ möglich war. Hierzu wurde der Kommandant des Schiffes über den notwendigen Eingriff informiert und gebeten, mögliche Optionen zu prüfen. Eine Überlegung war, auf Gegenkurs dem Einsatzgruppenversorger (EVG) BERLIN entgegen zu laufen, um dort den Eingriff durchzuführen, da die infrastrukturellen Voraussetzungen aufgrund des auf dem EVG eingeschiffter Marineeinsatzrettungszentrums (MERZ) mit ebenfalls vorhandenen Bordfacharztgruppe für einen Eingriff besser waren. Weiterhin wurde versucht, die Position einer 1 Auf Grund des erheblichen Aufgabenumfangs des Sanmeisters wird seit dem 1.5.2015 auf den Fregatten und EGV an Stelle eines der beiden Unteroffizier ein Bootsmann (Rettungsasssitent / Notfallsanitäter) eingesetzt, um den Qualitätsanforderungen der modernen Medizin auch an Bord gerecht werden zu können. Die Ausbildung des an Bord eingesetzten Sanitätspersonals wird zurzeit neu geordnet und gestrafft. Darüber hinaus sind mit dem Konzept „Sanitätsdienstliche Unterstützung im maritimen Umfeld“, das zur Zeit erarbeitet wird, weitere Verbesserungen zu erwarten. Hier gibt es einen kontinuierlichen Dialog zwischen der Abteilung Marinesanitätsdienst des Marinekommandos und den Konsiliargruppen des Sanitätsdienstes. Abb. 2: Patientin in der „Intensiv-Koje“, versorgt mit Thoraxdrainage samt improvisiertem Wasserschloss und Vakuumsystem 2 STRATAIRMEDEVAC = Strategic Aeromedical Evacuation (strategischer Lufttransport von Patienten, das heißt. Transport aus dem Einsatzgebiet in das Heimatland oder ein anderes Land außerhalb des Einsatzgebietes, in der Regel in eine Einrichtung der Behandlungsebene 4 zur endgültigen Behandlung) Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 260 07.08.15 13:40 C. Jänig et al.: Einsatz im Rahmen der Bordfacharztgruppe ins Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, von wo sie nach weiteren fünf Tagen in die ambulante Weiterbehandlung entlassen werden konnte. Eine Lungenembolie wurde ausgeschlossen, das Erstereignis eines Spontanpneumothoraxes bestätigt. Das operative Setting Die größte Herausforderung bezüglich des operativen Eingriffs an Bord einer Fregatte besteht primär nicht in der technischen Durchführung der Operation durch den Operateur, auch wenn diese durch schweren Seegang erheblich erschwert sein kann, sondern in den personellen, infrastrukturellen und materiellen Rahmenbedingungen, da Kriegsschiffe originär nicht für den OP-Betrieb konzipiert sind. Während die Anästhesiemöglichkeiten – Facharzt für Anästhesie und Fachkrankenpfleger – in der personellen Ausstattung der Situation in einem deutschen Krankenhaus entspricht, sieht dies für den Bereich der OP-Gruppe gänzlich anders aus. In der Konzeption ist vorgesehen, dass der Schiffsarzt, unabhängig von seiner ursprünglichen klinischen Verwendung, als erster Assistent des Chirurgen fungiert. Der eingeschiffte Zahnarzt übernimmt bei Bedarf die Rolle des zweiten Assistenten. Der Sanitätsmeister, welcher über eine Basisausbildung als Instrumenteur verfügt, nimmt diese Funktion auch intraoperativ wahr. Der zweite Sanitätsunteroffizier sowie der Sanitätsgast fungieren als Springer, um gegebenenfalls fehlendes Material aus den auf dem Schiff verteilten Lasten holen zu können, falls dieses zusätzlich benötigt wird. Das Material, welches der Bordfacharztgruppe zur Verfügung gestellt wird, muss zusätzlich zur Ausstattung des Schiffslazaretts vor Auslaufen an Bord genommen werden. Der genaue Inhalt ist zentral in einer Liste festgelegt. Weiterhin werden Blutprodukte (20 Erythrozytenkonzentrate, Blutgruppe 0, Rhesusfaktor negativ) kurzfristig per Lufttransport aus Deutschland zugeführt. Grundsätzlich steht dem Chirurgen eine umfangreiche Ausstattung zur Verfügung. Da diese Ausstattung im Routinebetrieb seitens des Personals des Schiffslazaretts jedoch nicht benötigt wird, wird es in der Regel direkt nach Übernahme in den Lasten des Schiffs verstaut. Eine nähere Beschäftigung mit dem Material findet somit erst bei der Bestandsaufnahme durch den Chi­ rurgen vor der ersten Verwendung statt. Ein routinierter Umgang und/oder eine sichere Identifikation der Materialien sind durch das Stammpersonal nur eingeschränkt möglich. Dies hat unter Umständen zur Folge, dass – obwohl sie eingelagert sind – benötigte Artikel nicht gefunden werden, da sie nicht korrekt identifiziert werden können. In unserem Fall wurden diverse Verbrauchsmaterialien, zum Beispiel vorhandene Inzisionsfolien, erst postoperativ gefunden. Ebenso ist eine Kontrolle auf Vollständigkeit des Materials nur schwer möglich, wenn dieses dem Überprüfenden nicht vertraut ist. So war zwar das Schlauchsystem für das Wasserschloss der Thoraxdrainage vorhanden, jedoch nicht die dazu gehörigen Flaschen. Das anästhesiologisch benötigte Material entspricht größtenteils der Notfallausstattung des Schiffslazaretts. Da im Rahmen der Zertifizierung seegehender Einheiten sowie zum Kompe­ tenzerhalt der Besatzung regelmäßig auch „Notfallpatienten“ im Rahmen des Rollen- und Gefechtsdienstes eingespielt werden, bestehen die oben genannten Probleme hier nur in geringem Maße. Weiterhin erfolgt die Anwendung durch klinisch im Umgang damit erfahrenes Personal, was wiederum zu einer Reduktion der Problematik beiträgt. 261 Die materielle Ausstattung des Schiffslazaretts und insbesondere der Bordfacharztgruppe kann den entsprechenden Vorschriften und in einer Übersicht auch dem Artikel von Fohr entnommen werden, welcher ausführlicher die Situation an Bord beschreibt [6]. Zuletzt ist die Infrastruktur des Schiffslazaretts zu beachten. Es herrschen enge räumliche Verhältnisse, welche trotz der Bewegungsmöglichkeiten des OP-Tisches nur unwesentlich beeinflusst werden können. Mobile, höhenverstellbare Beistelltische für den Instrumenteur existieren nicht und die vorhandenen Absauggeräte sind Notfallabsauggeräte und nicht mit Geräten mit zentraler Vakuumversorgung in Krankenhaus-OP-Sälen vergleichbar. Eine weitere Besonderheit liegt darin, dass die verwendeten Geräte und Materialien seefest gelagert werden müssen, da Seegang und Ruderlagen Einfluss auf die Schiffsbewe­ gungen haben (Abbildung 3). Abb. 3: Intraoperative Situation. Das Instrumentarium liegt „seefest“ auf den Unterschränken des Behandlungsraumes. Diskussion Operationen an Bord von Kriegsschiffen im Friedensbetrieb sind ein seltenes Ereignis. Sie sind prinzipiell nicht mit operativen Eingriffen vergleichbar, welche in auf Schiffen befindli­ chen Role-2-Behandlungseinrichtungen durchgeführt werden, da der personelle, materielle und infrastrukturelle Ansatz völlig verschieden ist. Daher fließen neben der medizinischen Indikation noch andere Faktoren maßgeblich in die Nutzen-Risiko-Abwägung mit ein. So muss präoperativ abgeschätzt werden, ob ein konservatives Vorgehen mit zeitnaher Repatriierung möglich ist, da die Ressourcen des Schiffes (zum Beispiel Sauerstoff, Verbandmaterial, OP-Siebe, intensivmedizinische Möglichkeiten und so weiter) grundsätzlich limitiert sind. Allerdings darf aber unter dem Blickwinkel der Patientensicherheit ein notwendiger Eingriff nicht unnötig verzögert werden. Weiterhin muss mit möglichen Komplikationen gerechnet werden, welche gegebenenfalls weitere Ressourcen erfordern und im schlimmsten Fall nicht vor Ort therapiert werden können. Neben den oben genannten Besonderheiten der infrastrukturellen Bedingungen trägt in diesem Setting ein weiterer Faktor entscheidend zum Gelingen des Gesamtprozesses bei: (Clinical) Crew Ressource Management (CRM). Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 261 07.08.15 13:40 262 C. Jänig et al.: Einsatz im Rahmen der Bordfacharztgruppe Das eingesetzte Team hat in aller Regel in der gegebenen Zusammensetzung noch nie gemeinsam eine Operation durchgeführt. Die Teammitglieder kommen aus unterschiedlichen Dienststellen und weisen einen unterschiedlichen Ausbildungsstand auf. Das in Krankenhäusern vorhandene operationstechnische Fachpersonal steht nicht zur Verfügung und seit der Grundlagenausbildung des Sanitätsmeisters sind unter Umständen schon mehrere Jahre vergangen. So ist das Wissen im Team sehr asymmetrisch verteilt, was dementsprechend Auswirkung auf die Interaktion hat. Dies bedeutet, dass eine umfassende Vorbereitung erfolgen muss. Zunächst muss der Chirurg sich bewusst machen, welche Verbrauchsmaterialien und Instrumente er benötigt und diese zusammen mit dem Personal des Schiffslazaretts aus den Lasten holen, da oft nur er die entsprechenden Materialien erkennt. Anschließend muss das Material steril vorbereitet werden. Dies beinhaltet unter Umständen, dass nochmals eine Personaleinweisung in das sterile Anreichen von Materialen, das richtige Anlegen der sterilen OP-Kleidung oder die chirurgische Händedesinfektion vorgenommen werden muss. Hier hilft es im Rahmen der sogenannten „Cross-Competence“, das Anästhesie-Team mit einzubinden, welches aus dem klinischen Alltag solche Maßnahmen gewöhnt ist. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass alle Mitglieder des Teams stets Auffälligkeiten ansprechen, damit mögliche Fehler aufgedeckt werden. Gerade in Bezug auf die Sterilität muss vorher explizit verdeutlicht werden, dass es keine „Strafe“ gibt, wenn man sich oder einen Gegenstand unsteril macht, dass man es jedoch auf jeden Fall mitteilen muss. Insgesamt ist hier auf eine strikte „no blame, no shame“-Kultur zu achten. Weiterhin wurden im vorliegenden Fall Abläufe, welche sonst parallel laufen, bewusst und geplant nacheinander abgearbeitet, damit zum einen mehr Personalressourcen zur Verfügung standen und zum anderen dem limitierten Platzangebot Rechnung getragen wurde. Daraus resultierte dann zwar eine längere Prozessdauer, was aber zu einer höheren Patientensicherheit führte. Zuletzt muss auf eine klare Kommunikation mit einer einheitlichen Sprache sowie geschlossenen Kommunikationskreisläufen geachtet werden. Eventuell müssen Instrumente vor OP-Beginn nochmals benannt werden, damit sie später auf Anforderung richtig angereicht werden. Intraoperative Prozeduren müssen vor dem Eingriff erläutert und unter Umständen demonstriert werden. Schlussfolgerung Der vorliegende Fallbericht beschreibt die erfolgreiche Durchführung einer offenen Appendektomie an Bord einer Fregatte der Klasse 122. Er betrachtet die besondere Nutzen-Risiko-Abwägung präoperativ sowie die alternativen Handlungsoptionen. Operationen an Bord von Kriegsschiffen unterliegen den oben genannten Einflüssen und stellen hohe Anforderungen an die interdisziplinäre Zusammenarbeit. Ein Team-Training in den Simulationsräumen des Schifffahrtmedizinischen Instituts der Marine (SchiffMedInst) könnte sowohl der Stammbesatzung des Schiffslazaretts, als auch dem eingeschifften Personal der Bordfacharztgruppe durch die Vermittlung von „Lessons learned“ bisheriger medizinischer Maßnahmen an Bord dienen und zusätzliche Handlungssicherheit bringen. Ein solches Team-Training sollte regelmäßig obligatorisch durchgeführt werden, um mit Infrastruktur, Material und Personalansatz vertrauter zu werden. Unabhängig davon unterstreicht auch dieser Fallbericht, dass das Konzept der Bordfacharztgruppe dazu geeignet ist, den Soldaten im Einsatz eine im Resultat gleichwertige Versorgung wie in Deutschland zukommen zu lassen. Dies ist nicht nur für den betroffenen Soldaten wichtig, sondern – dies zeigten die Reaktionen der Besatzung – auch eine Beruhigung für alle Soldaten an Bord und trägt weiter zum guten Ansehen des Sanitätsdienstes in der Truppe bei. Kernaussagen 1. Operationen an Bord von Kriegsschiffen sind selten. 2. Morbiditäts- und Mortalitätsraten von Operationen an Bord von Kriegsschiffen sind gering. 3. Eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit sowie eine geschlossene, eindeutige Kommunikation sind entscheidend für das Gelingen des Gesamtprozesses. 4. Ein Teamtraining sollte sowohl für die Stammbesatzung als auch für die Mitglieder der Bordfacharztgruppen vor der Einschiffung regelmäßig erfolgen. 5. Lessons identified/ learned sollten in einer zentralen Da­ tenbank erfasst, ausgewertet und den betroffenen Personenkreisen frei zugänglich gemacht werden. Literaturverzeichnis 1. 2. 3. Fohr W: Der Anästhesist in der Bordfacharztgruppe. Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2010; 3 Fontana M, Lucha P, Snyder M, Liston W: Surgery aboard ship: Is it safe?. Mil Med 199; 164 (9): 613-615 Kabanov MIu, Manuĭlov VM, Solov’ev IA, Pleskach VV, Soroka AK, Kolunov AV: Delivery of surgical care on naval ships: formation, developement and current stage. Voen Med Zh 2014; 335(2): 45-51 4. Jensen S, Tadlock MD, Douglas T, Provencher M, Ignacio RC Jr: Integration of Surgical Residency Training With US Military Humanitarian Missions. J Surg Educ, pp. . pii: S19317204(14)00333-X. doi: 10.1016/j.jsurg.2014.12.004. [Epub ahead of print], Jan 2015 5. Fisher RA, Dunn WD: Peacetime surgery in the aircraft carrier battle group. Mil Med 1990; 155(7): 332-334 Faulk JF, Hanly MA: Tales from the sea: critical care nurses serving aboard the USNS Comfort and USNS Mercy. Crit Care Nurse 2013; 33(4): 61-67 6. Bildquellen: Abb. 1 und 3: Flottillenarzt Dr. Jänig, Koblenz Abb. 2: Hauptbootsmann Markus Köster, Hamburg Für die Verfasser: Flottillenarzt Dr. Christoph Jänig BundeswehrZentralkrankenhaus Koblenz E-Mail: [email protected] Der Beitrag wird im Internet unter www.wermed.de veröffentlicht. Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 262 07.08.15 13:40 263 Aus der Zahnarztgruppe des Sanitätsversorgungszentrums am Standort des Sanitätsunterstützungszentrums Hammelburg (Leiter: Oberstarzt Dr. Michael Uhl) Fünf Strategien zur Prävention einer Sekundärkaries – Von der Verringerung des Randspaltes bis zum Kupferzement Daniel Raab Zusammenfassung Nach wie vor stellt Sekundärkaries die Hauptursache für Misserfolge in der Kronen- und Brückenprothetik dar. Eine Ursache dafür – das Vorhandensein eines Randspaltes – lässt sich mit den derzeit vorhanden technischen Möglichkeiten jedoch nicht komplett vermeiden. Neben den allgemein anerkannten Kariespräventionsstrategien, wie Verzicht auf süße Zwischenmahlzeiten, mechanische Plaqueentfernung und Fluoridierung – die allerdings alle die Mitarbeit des Patienten erfordern –, stellt die Verwendung von bakteriziden kupferhaltigen Befestigungszementen einen interessanten – patientenunabhängigen – Ansatz zur Prävention der Sekundärkaries dar, der weiter untersucht werden sollte. Stichworte: Sekundärkaries, Zucker, Fluoridierung, Prävention, Kupferzement Keywords: secondary caries, sugars, fluoridation, preven­ tion, copper cement heilkunde (DGZMK) [2] wird ein Randspalt unter 100 µm empfohlen [2]. Dem Erreichen dieses Zieles sind allerdings technische Grenzen gesetzt, die im Herstellungsprozess einer laborgefertigten Restauration -wie zum Beispiel einer Vollgusskrone - liegen. Die Arbeitsschritte Abformung, Modellherste­ llung, Modellierung in Wachs, Einbetten in feuerfeste Einbettmasse, Ausgießen, Ausbetten, Ausarbeiten und Polieren enthalten zahlreiche mögliche Fehlerquellen. Dabei ist es nicht so, dass man einen Fehler mit einem anderen kompensieren könnte. Mit jedem Arbeitsschritt wird die Streuung der Ergebnisse größer [3]. Es verwundert daher nicht, dass bei retrospektiven Untersuchungen an extrahierten Zähnen teilweise erhebliche Randspaltbreiten festgestellt werden konnten (Tabelle 1). Tab. 1: Durchschnittliche Randspaltbreiten bei extrahierten Zähnen Einleitung Eine der häufigsten Ursachen für einen Misserfolg in der Kronen- und Brückenprothetik stellt die Sekundärkaries dar. Unter Sekundärkaries versteht man dabei neue kariöse Defekte im Randbereich zahnärztlicher Restaurationen [1]; meistens bedingt durch Plaqueablagerung im und am Randspalt. Die Mikro­organismen der Plaque – vor allem Streptokokken – können dann niedermolekulare Kohlenhydrate der Nahrung zu Säuren verstoffwechseln. Diese senken den pH-Wert unter einen kritischen ph-Wert (5,2 - 5,7 für Zahnschmelz bzw. 6,2 6,7 für Zahnzement und Wurzeldentin) und der Zahn wird demineralisiert. Strategien zur Vermeidung von Randkaries Im Folgenden werden in einer kurzen Übersicht fünf wesent­ liche Strategien zur Vermeidung einer Sekundärkaries vorgestellt: Strategie 1: Verringerung des Randspaltes Um eine mögliche Plaqueablagerung an Restaurationsrändern zu verhindern oder zumindest zu verringern, sollte daher ein möglichst glatter Übergang zwischen Zahn und Restauration angestrebt werden; der Randspalt sollte dabei möglichst klein sein. Die Angaben über zulässige Größen des Randspaltes von Kronen und Brücken schwanken dabei von 50 - 300 µm [2]. Von der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kiefer- Autor Jahr Durchschnittlicher Randspalt in µm ERDMANN [4] 1972 260 DÜSTERHUS [5] 1980 90 – 230 MARXKORS [6] 1980 130 SPIEKERMANN [7] 1986 382 DONATH UND ROTH [8] 1987 482 Mit neueren Methoden wie zum Beispiel der digitalen Abformung von präparierten Kronenstümpfen und einer Kronenherstellung durch CAD/CAM1-Verfahren können zwar inzwischen geringere Randspaltwerte erreicht werden [30]. In einer vergleichenden Untersuchung zwischen mit dem Lava™ Chairside Oral Scanner C.O.S. (3M Espe, St. Paul/Minnesota) und durch konventionelle Polyätherabformung hergestellten Restaurationen wurde ein durchschnittlicher Randspalt von 61.08 μm (±24.77 μm) bei digitaler Abformung und ein durchschnitt­ licher Randspalt von 70.40 μm (±28.87 μm) bei konventioneller Abformung festgestellt [30]. Bei einer subgingivalen Lage der Präparationsgrenze stößt die digitale optische Abformung jedoch an ihre Grenzen [31]. Während ein plastisches Abformmaterial bei einer konventionellen Kronenstumpfabformung in den subgingivalen Bereich gepresst werden und dadurch in einem gewissen Maße auch Gewebe, dass die Präparationsgrenze überlagert, verdrängt werden kann, lässt sich durch optische digitale Verfahren nur das 1 CAD (computer aided design) CAM (computer aided manufactring): Design des Zahnersatzes am Bildschirm, nachdem die Situation nach Präparation „eingescannt“ wurde; der daraus erstellten Datensatz steuert dann einen Fräsautomaten, der die Prothetik herstellt Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 263 07.08.15 13:40 264 D. Raab: Fünf Strategien zur Prävention einer Sekundärkaries „abformen“ beziehungsweise digitalisieren, was man sieht. Licht, das für eine digitale Abformung notwendig ist, besitzt – trotz Dualismus von Welle und Teilchen – keine „Gewebe verdrängenden“ Eigenschaften. Bei einem durchschnittlichen Bakteriendurchmesser von 0,2 2,5 µm [9] ist zudem deutlich zu erkennen, dass mit den zur Zeit vorhandenen technischen Möglichkeiten kein so kleiner Randspalt erzielt werden kann, der eine Bakterienanlagerung und damit Sekundärkaries sicher verhindert. Strategie 2: Verzicht auf süße Zwischenmahlzeiten Um zu verhindern, dass die im Randspalt verbliebenen Bakterien niedermolekulare Kohlenhydrate zu organischen Säuren, wie Milchsäure, umwandeln und damit zur Entstehung einer Sekundärkaries beitragen, ist ein Verzicht auf süße Zwischenmahlzeiten sinnvoll. Der Zusammenhang zwischen Zuckerkonsum und Kariesentstehung ist heute allgemein anerkannt und durch epidemiologische Untersuchungen [10, 11], klinische Studien wie die Vipeholm- [12], Hopewood-House- [13] oder die Turku-Studien [14], Plaque-pH- [15] und Plaque-pH-Telemetrie-Studien [16], bestätigt. Allerdings ist ein Verzicht auf süße Zwischenmahlzeiten relativ schwierig umzusetzen. Zum einen enthalten viele Nahrungsmittel, wie zum Beispiel Tomatenketchup, „versteckte Zucker“ (vergleiche Tabelle 2) und zum anderen empfinden viele Patienten einen Verzicht auf süße Zwischenmahlzeiten als eine unverhältnismäßig hohe Einschränkung der Lebensqualität. Karies und Sekundärkaries wird dabei von vielen Patienten in Kauf genommen. Tab. 2: Versteckte Zucker (Gehalt in Gramm pro 100 g verzehrbaren Anteils); modifiziert nach [17] Lebensmittel Gesamtzuckergehalt (Glukose, Fruktose, Saccharose) Apfelsaft Cornflakes Fruchtjoghurt Mehrkornbrötchen Müsli-Riegel Tomatenketchup Vollkorn-Müsli mit Trockenobst 7,7 7,3 11,2 0,4 29,0 23,4 64,4 Strategie 3: Mechanische Plaqueentfernung Eine andere Strategie zur Prävention der Sekundärkaries beruht darauf, die säureproduzierenden Beläge zu entfernen. Allgemein haben sich dazu Zahnbürste mit Zahnpasta und Zahnseide bewährt. Allerdings stellt dabei der Restaurationsrand einer Krone oder Brücke eine Kariesprädilektionsstelle dar, die einer mechanischen Plaqueentfernung kaum zugänglich ist. Beim Vergleich der Größe einer Zahnbürstenborste (180 - 250 µm) mit der Größe des zulässigen Randspaltes einer Krone (< 100 µm) wird deutlich, dass eine effektive Reinigung nicht möglich ist. Zudem ist eine kontinuierliche Mitarbeit des Patienten erforderlich. Die Tatsache, dass ein überkronungsbedürf- tiger Zahn vorliegt, deutet allerdings häufig darauf hin, dass die Mundhygiene bisher eher vernachlässigt wurde. Strategie 4: Regelmäßige Fluoridierung Das gleiche gilt für die Fluoridierung; auch hier spielt die Mitarbeit des Patienten eine entscheidende Rolle. Anders als früher angenommen, kommt der präeruptiven Wirkung von Fluorid eine untergeordnete Rolle zu. Zwar führt ein hoher Plasmafluoridspiegel während der Zahnentwicklung zu einer Optimierung der Mineralisation und tierexperimentell zu einer geringeren Fissurentiefe [17]; die kariesprotektive Wirkung von Fluorid erfolgt aber vor allem posteruptiv. Es wird dabei zwischen der Wirkung auf Zahnhartsubstanzen und der Wirkung auf orale Mikroorganismen unterschieden. Bei der lokalen Applikation von Fluorid auf Zahnschmelz kommt es zu einer initialen Auflösung des Schmelzminerals und einer Repräzipitation von Kalziumfluorid und Fluorapatit. Aus diesem Niederschlag kann dann Fluorid in den Zahn diffundieren und an freie Bindungsstellen der Kristalloberflächen im Zahnschmelz binden oder sich unspezifisch in die Kristallhülle einlagern. Dadurch wird – zeitlich begrenzt – die Demineralisation gehemmt und die Remineralisation gefördert [1, 18, 19, 20, 21]. Ebenfalls zeitlich begrenzt ist die Wirkung auf orale Mikroorganismen, wobei vor allem der Hemmung des Enzyms Enolase eine entscheidende Bedeutung zukommt [1, 18, 19, 20, 21]. Aufgrund der zeitlich begrenzten Wirkung wird empfohlen, Fluorid häufig lokal in kleinen Dosen zu verwenden [22]. Allerdings ist dafür eine gute Compliance des Patienten notwendig. Strategie 5: Verwendung von Kupferzement als Befestigungsmaterial Eine von der Compliance des Patienten unabhängige Methode zur Prävention der Sekundärkaries stellt die Verwendung eines kupferhaltigen Befestigungszements dar. Kupfer wirkt dabei – wie auch andere Metallionen – bakterizid. Im Gegensatz zu Quecksilber ist Kupfer jedoch nicht primär toxisch, sondern als essentielles Spurenelement sogar für viele Stoffwechselvorgänge im menschlichen Organismus notwendig. So ist Kupfer zum Beispiel im menschlichen Serum Bestandteil einer Oxidase, deren physiologische Bedeutung noch unklar ist. In den menschlichen Erythrozyten befindet sich ein blauer kristallisierbarer kupferhaltiger Eiweißkörper, der wahrscheinlich die Histamintätigkeit beeinflusst. Kupfer ist zudem als Spurenelement für die Erythropoese bedeutsam. Der tägliche Bedarf für den menschlichen Organismus beträgt etwa 2 mg [23]. Die bakterizide Wirkung von Kupfer war bereits vor 4 000 Jahren bei den Ägyptern bekannt; dort wurden zum Beispiel Wunden mit einer Mischung aus Kupferspänen, Honig und Kuhfett behandelt. Die bakterizide Wirkung von Kupfer wird auch heute noch in der Medizin beziehungsweise Hygiene genutzt: So ist durch die Verwendung von Kupferoberflächen und Türklinken eine deutliche Reduktion des Mikroorganismus Staphylococcus aureus in Krankenhäusern zu erreichen [24]. In der Zahnmedizin findet Kupferzement vor allem als Unterfüllungs- und Befestigungszement Verwendung. Es handelt sich dabei um ein Pulver bestehend aus Zinkoxid, Magnesiumoxid und Kupferrhodanid, das mit der Flüssigkeit o-Phosphor­ säure angerührt wird und in der Mundhöhle chemisch aushärtet. Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 264 07.08.15 13:40 D. Raab: Fünf Strategien zur Prävention einer Sekundärkaries Der Einfluss von Kupferzement auf das Wachstum von Streptococcus mutans konnte von FOLEY und BLACKWELL [25] nachgewiesen werden. In einer in vitro Studie zeigte Kupferzement im Vergleich zu einem konventionellen Glasionomerzement, Zinkoxidphosphatzement und Polykarboxylatzement die höchste bakterizide Effektivität. Dieses Ergebnis wurde auch in einer in vivo Studie bestätigt, in der die gleichen Autoren [26] eine signifikant höhere Reduktion von Streptococcusus mutans an kariösem Dentin bei Verwendung von Kupferzement im Vergleich zu Glasionomerzement feststellten. Zudem konnten WHEELDON et al [27] nachweisen, dass die antibakterielle Wirkung von Kupfer nicht durch organisches Material beeinflusst wird, was bei vielen anderen Desinfektionsmitteln ein großes Problem darstellt [28, 29]. Fazit Die Verhinderung einer Sekundärkaries stellt nach wie vor eine Herausforderung für die Zahnmedizin dar. Es wäre ideal, wenn alle aufgezeigten zielführenden Strategien in jedem Fall parallel zum Einsatz kämen. Sorgfältige Präparation und qualitative hochwertige Herstellung der Prothetik sowie die Verwendung von Kupferzement mindern das Risiko. Die Anleitung zur Prophylaxe und der Motivation des Patienten zur Einhaltung einer guten Mundhygiene sind ebenfalls wichtige zahnärztliche Maßnahmen – ob diese auch erfolgreich sind, entscheidet sich allerdings nicht in der truppenzahnärztlichen Praxis, sondern ist allein in die Hand des Patienten gegeben. Kernaussagen • Sekundärkaries ist nach wie vor ein Problem bei zahnärztlichen Restaurationen. • Der Verringerung des Randspaltes zur Vermeidung von Plaqueablagerungen sind technische Grenzen gesetzt. • Der Verzicht auf zuckerhaltige Zwischenmahlzeiten und die mechanische Plaqueentfernung scheitern häufig an der unzureichenden Mitwirkung des Patienten. • Die präeruptive Wirkung regelmäßiger Fluoridierung spielt nur eine untergeordnete Rolle. • Kupferzement als Befestigungsmaterial wirkt bakterizid und kann als vom Patienten unabhängige zahnärztliche Maßnahme zur Vermeidung einer Sekundärkaries wirksam beitragen. Literaturverzeichnis 1. Hellwig E, Klimek J, Attin T: Einführung in die Zahnerhaltung. ed 3, München, Jena: Urban und Fischer Verlag 2003 2. Wichmann M: Kronen und Brücken. Wissenschaftliche Stellungnahme der DGZMK 1999 3. Wöstmann B: Passgenauer Zahnersatz durch Standardisierung. KETTENBACH JOURNAL 2008; 2: 4-5 4. 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Verfasser: Oberfeldarzt Dr. Daniel Raab Sanitätsversorgungszentrum Hammelburg Rommelstraße 31, 97762 Hammelburg E-Mail: [email protected] Der Beitrag wird mit dem vollständigen Literaturverzeichnis im Internet unter www.wehrmed.de veröffentlicht. Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 265 07.08.15 13:40 266 Aus dem Presse- und Informationszentrum des Sanitätsdienstes der Bundeswehr (Inspekteur: Generaloberstabsarzt Dr. Michael Tempel) Weiterentwicklung der Wehrmedizinischen Monatsschrift Sven M. Funke Zusammenfassung Fachliche Neuordnung Die Wehrmedizinische Monatsschrift (WMM) ist die einzige eigenständige, dezentrale Truppeninformation eines Organisationsbereiches der Bundeswehr. Aus den Vorgaben des Herausgebers, Erfahrungen der alltäglichen Arbeit, Reaktionen der Leserinnen und Leser sowie Anregungen aus der Autorenschaft entstand ein Konzept zur Weiterentwicklung der „Truppenzeitschrift WMM“. Dieses beinhaltet fachliche, redaktionelle und inhaltliche Anpassungen, vor allem aber auch die Einführung eines „Peer Review“-Verfahrens mit dem Ziel der Listung auf nationalen und internationalen Publikationsplattformen. Mit dieser Qualitätsinitiative soll die herausragende fachliche Expertise der Angehörigen des Sanitätsdienstes auch nach außen dokumentiert und wertgeschätzt werden. Außerdem können dadurch neben Sanitätsstabsoffizieren auch Offiziere und Fachunteroffiziere des Sanitätsdienstes sowohl als Autoren, als auch als Leserschaft gewonnen werden. Damit soll die WMM mittelfristig zu dem deutschsprachigen Fachorgan für einsatz- und wehrmedizinische Themen werden. Zielsetzung Die in der WMM veröffentlichten Beiträge zeichnen sich regelmäßig durch eine besondere einsatz- und wehrmedizinische Relevanz aus. Vor dem Hintergrund der in den verschiedenen Auslandsmissionen der Streitkräfte gewonnenen, umfangreichen Erfahrungen stellt dieser fachliche Schwerpunkt ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen Publikationen aus dem Bereich der Katastrophenmedizin dar. Zur Steigerung der Akzeptanz der fachlichen Inhalte der Zeitschrift wurde ein „Peer Review“-Verfahren eingeführt; die ersten Beiträge, die diese Prüfung durch zwei unabhängige Gutachter bestanden haben, finden sich in dieser Ausgabe. Grund­ sätzlich wird dabei ein Gutachten durch einen aktiven Sanitätsstabsoffizier erstellt, das zweite durch zivile (in der Regel) Hochschullehrerinnen/-lehrer, Institutsleiter oder Chefärzte großer Kliniken, die auch „Peer Reviews“ für andere nationale und internationale wissenschaftliche Magazine durchführen. In Abstimmung mit den Leitern der Konsiliargruppen konnten zwischenzeitlich für nahezu alle Fachgebiete „Peers“ gewonnen werden, die sich bereit erklärt haben, Reviews von Beiträgen für die WMM durchzuführen. Die Publikation einer ausreichenden Anzahl von auf diese Weise „qualitätsgesicherten“ Artikeln ist eine Voraussetzung für eine Berücksichtigung in Suchmaschinen und damit letztendlich für deren Erscheinen in entsprechenden Plattformen, wie MedLine®. Weiterhin besteht die Möglichkeit, eine webbasierte zertifizier­ te Weiterbildung zu etablieren, wie man sie zum Beispiel im Deutschen Ärzteblatt findet. Hier sind noch Fragen bezüglich der zu nutzenden Plattform (Internet-Bundeswehr oder externes Hosting) und anzuwendenden Verfahren (Datenschutz, Validierung, Zuerkennung Fortbildungspunkte) zu klären. Schlüsselwörter: Truppenzeitschrift, Weiterentwicklung, Qualitätssicherung, Peer Review-Verfahren, Medizinische Datenbanken. Einführung/Hintergrund Die Wehrmedizinische Monatsschrift (WMM) wird durch das Presse- und Informationszentrum des Sanitätsdienstes der Bundeswehr im Auftrag des Presse- und Informationsstabes im Bundesministerium der Verteidigung herausgegeben. Nachdem das Erscheinen der spezifischen Publikationen der Teilstreit­ kräfte Heer, Luftwaffe und Marine eingestellt und in den zentralen Medien der Bundeswehr zusammengeführt wurde, ist die WMM die letzte verbliebene eigenständige dezentrale Truppeninformation aller Organisationsbereiche der Bundeswehr. Sie erscheint im 59. Jahrgang (davon im 50. Jahrgang unter der Bezeichnung Wehrmedizinische Monatsschrift) mit 10 Ausgaben pro Jahr, einer Obergrenze von 500 Seiten pro Jahrgang und hat derzeit eine Auflage von 8 000 Exemplaren. Im Rahmen seiner letzten Reservedienstleistung beim Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr hat der amtierende Schriftleiter der WMM, Oberstarzt a. D. Dr. Peter Mees, ein Konzept zur Weiterentwicklung erarbeitet. Die vorgeschlagenen Anpassungen/Veränderungen berücksichtigen die Erfahrungen der alltäglichen Arbeit, Reaktionen der Leserinnen und Leser, Anregungen aus der Autorenschaft, Vorstellungen des Inspekteurs des Sanitätsdienstes der Bundeswehr sowie Rahmenbedingungen des Herausgebers. Abb. 1: Übersicht über die Sparten der WMM, für die Beiträge eingesandt werden können; * = Artikel mit Peer-Review Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 266 07.08.15 13:40 S. M. Funke: Weiterentwicklung Ihrer Wehrmedizinischen Monatsschrift Neue Gliederung der WMM Zur Erreichung der dargestellten Ziele Anpassung wird die WMM fachlich neu geordnet. Bestimmt wird dieser Prozess vorrangig durch die Umsetzung des „Peer Review“-Verfahrens und die „Öffnung“ für Publikationen aus dem Kreis der Offiziere und Fachunteroffiziere im Sanitätsdient. Zukünftig sind entsprechend folgende Sparten vorgesehen, die allerdings nicht in jeder Ausgabe alle vorhanden sein müssen: Artikel mit Peer Review • Originalarbeiten, wie Studien, Ergebnisse aus der Laborforschung, Befragungen, andere (experimentelle) Arbeiten, und so weiter; • „Wehrmedizinische Leitlinien“1, in denen Feststellungen zum klinischen oder ambulanten Vorgehen bei spezifischen wehrmedizinischen Fragestellungen systematisch entwickelt werden. Diese sind für die zertifizierte Weiterbildung geeignet; • Übersichten mit umfassenden Analysen und Darstellungen aktueller Literatur zu Erkrankungen, Symptomenkomplexen, Behandlungen, Diagnosen, und so weiter. Diese sind für die zertifizierte Weiterbildung geeignet; • Fallberichte über Einzeldarstellungen aus Klinik oder Praxis mit kritischer Bewertung und Diskussion; • Ergänzt werden diese Formate bedarfsabhängig durch Sonderformen, zum Beispiel für den Bereich der Medizingeschichte. Aus den Fachgebieten • Kurzübersichten mit Analyse und Darstellung aktueller Literatur zu einer Erkrankung / einem Symptomenkomplex , Diagnose und Behandlung, und so weiter; • Fallbeispiele als Berichte über einen oder mehrere Fälle aus Klinik oder Praxis mit kritischer Bewertung und Diskussion; • Erfahrungsberichte mit Darstellungen von Hospitationen, Erprobungen von Verfahren oder Materialien, Truppenversuchen, Anwendungsbeobachtungen, und so weiter. Diese Sparte ist besonders geeignet auch für Angehörige der Gesundheitsfachberufe; • Berichte über Technik, Methoden und Verfahren, in denen Behandlungs-/ Untersuchungsmethoden, medizinisches Gerät und/ oder Material umfassend vorgestellt/ verglichen, Gesetze/ Vorschriften oder ähnliches erläutert werden oder auch über praktische Erfahrungen – besonders im Einsatz – berichtet wird. Diese Sparte ist besonders geeignet auch für Angehörige der Gesundheitsfachberufe; • Ergänzt werden auch diese Formate bedarfsabhängig durch Sonderformen, zum Beispiel für den Bereich der Medizingeschichte. 1 Hierbei handelt es sich noch um einen Arbeitsbegriff; Ziel ist es, analog zu den etablierten Leitlinien, die wehrmedizinisch abgeleitete Evidenz für von diesen abweichende Untersuchungs-, Behandlungs- und Begutachtungsverfahren aufzuzeigen (Beispiel: Begutachtung von Kraftfahrern für die Nutzung von Nachtsichtbrillen, die es im zivilen Bereich nicht gibt). Eine Erörterung des Themas ist für die nächste Tagung der Konsiliargruppenleiter vorgesehen. 267 Die fachliche Qualität berücksichtigt sowohl akademische Beiträge von Sanitätsstabsoffizieren, als auch fachlich-technische Themen von Angehörigen der Gesundheitsfachberufe. Beiträge in dieser Sparte sollen auch eine approbationsübergreifende Information im Sanitätsdienst sicherstellen. Wehrmedizinische Kurzinformationen • Fachdienstliche Kurzmitteilungen aus den (Fähigkeits-)Kommandos des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, zum Beispiel mit Hinweisen zu Sanitätsmaterial, neuen Verfahren, geänderten Impfweisungen und so weiter; • „Für Sie gelesen“ mit Kurzfassungen von Artikeln/ Veröffentlichungen zu Themen aus Wehr-, Flug- und/ oder Schifffahrtmedizin und anderen wehrmedizinisch relevanten Fachgebieten; diese Sparte ist besonders geeignet auch für Angehörige der Gesundheitsfachberufe; • Hinweise auf Veröffentlichungen im Internet, bei der NATO und bei anderen Streitkräften mit „Summaries“. Truppen(zahn)ärztliche Praxis • Ärztliche/ Zahnärztliche Beiträge aus den regionalen Sanitätseinrichtungen und Fachuntersuchungsstellen im Sinne der Darstellung „Best Practice“ beziehungsweise „Lessons Learned“ in Bezug auf die Behandlung/ Begutachtung; • Beiträge aus dem Veterinärwesen/ der Wehrpharmazie und Lebensmittelchemie, wie Hinweise zur Seuchenabwehr, Lebensmittelhygiene, „Antibiotic Stewartship“, zum Betrieb von Sanitätsgerät, zu technischen Hilfestellungen und ähnlichen Themen. Hier werden sowohl akademische Beiträge von Sanitätsstabsoffizieren, als auch Artikel zu fachlich-technischen Themen von Angehörigen der Gesundheitsfachberufe berücksichtigt; • Qualitätssicherung und Betriebsoptimierung, wie Beiträge zu Qualitätsstandards in Untersuchungsprozessen (zum Beispiel Durchführungsbeschreibungen für Belastungs-EKG, Audiometrie, Sehtest, Lungenfunktion), praktischen Hinweisen zum Betrieb – „tägliches Leben“ (zum Beispiel Assistenz bei ärztlichen/ zahnärztlichen Maßnahmen, Impfungen, Organisation der Sprechstunde, Versand von Laborproben, o.ä.); diese Beitragsform ist vorrangig für Angehörige der Gesundheitsfachberufe vorgesehen. Aus dem Sanitätsdienst • Fachbeiträge, wie Berichte über die Zertifizierung von Dienststellen des Sanitätsdienstes der Bundeswehr (Kliniken/ Zentren, Institute, ...), neue Verfahren/ Methoden in Bundeswehrkrankenhäusern/ (Zentral-)Instituten des Sanitätsdienstes der Bundeswehr (neue Röntgentechnik, Analyseverfahren, ...), (Groß-)Veranstaltungen mit Öffentlichkeitswirkung (abgestimmt mit der Zeitschrift „Wehrmedizin und Wehrpharmazie“), Vorstellung neuer Ausbildungsverfahren und vieles mehr. Hier sollen außerdem auch ausgewählte Artikel aus dem Internet-Auftritt des Sanitätsdienstes der Bundeswehr („sanitaetsdienst-bundeswehr.de“) veröffentlicht werden; • Personalia, wie Promotionen und Habilitationen von sowie wissenschaftliche Auszeichnungen und Preise für Angehörige Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 267 07.08.15 13:40 268 S. M. Funke: Weiterentwicklung Ihrer Wehrmedizinischen Monatsschrift des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, „runde“ Geburtstage (ehemalige General- und Admiralärzte, Leitende Zahnärzte/ Veterinäre/Apotheker der Bundeswehr), Nachrufe (ehemalige Inspekteure/Inspekteurinnen, General-/Admiralärzte). Aus Forschung und Wissenschaft • Kurzberichte aus der sanitätsdienstlichen Forschung, zum Beispiel zu neuen oder laufenden Projekten, Zwischenergebnissen von Studien/ experimentellen Untersuchungen, Probandensuche, und so weiter. Je nach Umfang ist alternativ auch eine Veröffentlichung in der Rubrik „Aus den Fachgebieten“ möglich; • Aus der NATO, wie Neuerscheinungen wissenschaftlicher Reports (zum Beispiel aus dem STO-HFM-Panel), Einrichtungen neuer medizinischer Research Task Groups (einschließlich Teilnehmersuche), „Call for Papers“ für Symposien/ Workshops/ Specialist Meetings; • Ausschreibungen wissenschaftlicher Wettbewerbe, wie zum Beispiel für den Heinz-Gerngroß-Förderpreis der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie e. V. (DGWMP), Paul-Schürmann-Preis, Ambroise-Paré-Preis im Auftrag der Chiefs of Medical Services in NATO (COMEDS). Tagungen und Kongresse • Tagungsberichte über Fachveranstaltungen des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, Tagungen/Kongresse der DGWMP (zum Beispiel DGWMP-Jahreskongress, Tagungen in Damp, Kloster Banz, ...), nationale Kongresse/Tagungen mit Beteiligung von Angehörigen des Sanitätsdienstes der Bundeswehr (zum Beispiel Deutscher Chirurgentag mit Arbeitsgemeinschaft Einsatzchirurgie, Deutscher Zahnärztetag), internationale Kongresse/Tagungen mit Beteiligung von Angehörigen des Sanitätsdienstes der Bundeswehr (zum Beispiel AMSUS, FDI-Kongress, ...), NATO-Symposien/Workshops, und so weiter; • Veröffentlichungen von Abstracts und Postern. Buchbesprechung(en) Vorstellung einsatz-/wehrmedizinisch relevanter Neuerscheinungen aus Klinik und Praxis. Perspektiven Vorrangiges Ziel der gemeinsamen Bemühungen von Schriftleitung und Presse- und Informationszentrum des Sanitätsdienstes der Bundeswehr ist eine zukünftig deutlich bessere und nachdrücklichere Wertschätzung der fachlichen Qualität, des Einsatzwillens und der Leistungsbereitschaft sowohl der Sanitätsstabsoffiziere, als auch der Angehörigen der Gesundheitsfachberufe im Sanitätsdienst. Dazu gehört insbesondere, dass mit der schon erfolgten Einführung des Peer Review-Verfahrens und der angestrebten Listung in relevanten Fachdatenbanken ein positives Feedback seitens der Autorinnen und Autoren erwartet wird. Dieses ist vor allem als Anerkennung der geleisteten wissenschaftlichen Arbeit zu verstehen. Hierzu gehört selbstverständlich auch, dass alle Fachvorgesetzten aufgefordert sind, in ihren Zuständigkeitsbereichen geeignete Autorinnen und Autoren sowie interessante Themenbereiche zu identifizieren und diese für ein derartiges Engagement zu werben. Die Verstärkung des fachlichen Schwerpunktes bei der Truppeninformation führt gleichzeitig zu einer deutlicheren Abgrenzung der WMM zu der ebenfalls vom Sanitätsdienst der Bundeswehr unterstützten Zeitschrift „Wehrmedizin und Wehrpharmazie“ (WMWP) des Beta-Verlages. Während der WMM das Privileg auf fachliche Themen zufällt, haben beide Zeitschriften eine Schnittmenge im Bereich der fachdienstlichen Inhalte. Der WMWP bleiben hingegen die truppendienstlichen Kernpunkte vorbehalten. Durch diese Ausrichtung soll mittelfristig die WMM zu der deutschsprachigen Fachzeitschrift für einsatz- und wehrmedizinische Themen werden. Die Einführung des Peer Review-Verfahrens, die entsprechende Ausrichtung der Inhalte der WMM sowie die damit verbundene nationale und internationale Wahrnehmung der fachlichen Kompetenz wird hierfür ebenfalls eine nachhaltige Unterstützung bieten. Dazu gehört auch die seitens des Presse- und Informationsstabes beim Bundesministerium der Verteidigung gebilligte Erhöhung der Ausgabenzahl auf elf pro Jahr ab dem 60. Jahrgang (2016). Wann wir letztendlich für die WMM einen Impact Factor erreichen, ist derzeit noch ungewiss – aber sicher ist, dass es noch länger dauert, wenn wir uns jetzt nicht auf den Weg machen. Schlusspunkt Das vorgestellte Konzept wurde durch den vormaligen Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, Generaloberstabsarzt a. D. Dr. Ingo Patschke, Ende April 2015 gebilligt. Mitteilungen der DGWMP e. V. • Nachrichten aus der Gesellschaft, wie Ankündigungen, Ausschreibungen, Mitgliederbrief, und so weiter; • Geburtstage von Mitgliedern (für den Folgemonat). Einzelheiten (Formate/Umfänge) sind den Autorenhinweisen (www.wehrmed.de) zu entnehmen. Verfasser: Oberstarzt Dr. Sven M. Funke Leiter des Presse- und Informationszentrums des Sanitätsdienstes der Bundeswehr Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr Falckenstein-Kaserne Von-Kuhl-Straße 50, 56070 Koblenz E-Mail:[email protected] Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 268 07.08.15 13:40 269 Buchbesprechungen „Den Gegner retten? Militärärzte und Sanitäter unter Beschuss“ E-Journal Ethik und Militär, Ausgabe 2015/1, jetzt online E-Journal „Ethik und Militär“ Verlag: Zentrum für ethische Bildung in den Streitkräften (ZEBIS), Hamburg ISSN-Nr.: 2199-4129 www.ethikundmilitaer.de www.ethicsandarmedforces.com Die dritte Ausgabe des E-Journal „Ethik und Militär“ in 2015 greift unter dem Titel „Den Gegner retten? Militärärzte und Sanitäter unter Beschuss“ ein profilgebendes Kernthema des Sani­ tätsdienstes auf. Dem Leser sei empfohlen, die Lektüre mit dem Beitrag des Inspekteurs des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, Generaloberstabsarzt Dr. Ingo Patschke, zu beginnen. Die „Betriebssanitäter der Bundeswehr“ müssen in der fordernden Situation der Patientenpriorisierung dem guten Ruf des Sanitätsdienstes der Bundeswehr gerecht werden, der maßgeblich auf der Versorgung von Kameraden gründet. Damit ist ein Angehöriger des Sanitätsdienstes in seinem Entscheidungsrational nicht neutral. Eine Entscheidungslogik der „Kameraden zuerst“ steht im Widerspruch zu den Kriterien einer zivilen Patientensichtung. Dies greift die E-Journal-Ausgabe insgesamt vorbildlich auf. Unter der Bezeichnung der „Military Medical Ethics“ (MME) oder der Wehrmedizinethik werden vorrangig zwei Positionen diskutiert: (1) Behandlung ohne Ansicht des Verletzten oder (2) Bevorzugte Behandlung von Kameraden und anderen Personengruppen. Diese Frage der Begründung von Fürsorge gegenüber Kameraden zulasten anderer Patienten zieht sich wie ein roter Faden durch die Ausgabe des Journals. Dabei entwickelt Patschke die Abweichung von der Individualmedizin und neutralen Patientenbewertung unter anderem aus der Einsatzverpflichtung und der geänderten Bedeutung des humanitären Völkerrechts. In historischer Betrachtung betont Oberfeldarzt Professor Dr. Ralf Vollmuth (Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Potsdam) die Notwendigkeit zur medizinethischen Schulung und Ausbildung der Angehörigen des Sanitätsdienstes, um für „gefährliche und unangenehme Tätigkeiten“ gerüstet zu sein. Die „Bindung unter Kampfgefährten“ ist für Professor Dr. Michael Gross (Universität Haifa, Israel) eine militärische Notwendigkeit. Dieser kommunitaristische, auf Gruppen gerichtete, Ansatz ist Ausdruck einer Fürsorgeverpflichtung, die für Gross aber nicht absolut gesetzt werden darf. Dr. Paul Bouvier (Internationales Komitee vom Roten Kreuz, Genf) fordert einen ethischen Imperativ, der medizinisches Per- sonal unabhängig von Politik und Militär handeln lässt. Für ihn darf medizinische Hilfe kein Mittel für strategische, politische oder geheimdienstliche Ziele werden, wenn nicht Sanitätspersonal zum Werkzeug werden will. Als Bollwerk gegen diese Vereinnahmung betont er Menschlichkeit, Unparteilichkeit, Unantastbarkeit und funktionale Unabhängigkeit. Ein Highlight stellt eine aktuelle kanadische Studie dar. Diese weist nach, dass militärmedizinische Fachkräfte von kontextund berufsspezifischen Ethikschulungen stark profitieren kön­ nen, da sie in sehr unterschiedlichen Umgebungen und Konflik­ ten arbeiten. Dabei können divergierende Einflüsse und Wahr­ nehmungen der verschiedenen Akteure auf die ethischen Prinzipien diskutiert werden. Positiv bleibt festzuhalten, dass das E-Journal mit seinen ausgewiesenen nationalen und internationalen Autoren die Debatte inspiriert. Die Suche nach dem Profil des Sanitätsdienstes unter Einsatzbedin­ gungen wurde 2009 durch Konferenzen an der Führungsakademie der Bundeswehr, Hamburg, unter Beteiligung von ausgewiesenen Medizinethikern begonnen. Berufsethisch geschieht Entscheiden und Handeln im Sanitätsdienst der Bundeswehr zwischen den skizzierten Polen des waffenlosen Dienstes und der vollumfänglichen Fähigkeit zur Teilnahme an Kampfhandlungen. Eine Behandlung „im Rahmen freier Kapazitäten“ kann bedeuten, diese Kapazitäten zur Verfügung stellen zu müssen. Ein Verlegen ins lokale Gesundheitssystem wird je nach Schweregrad eine palliative, terminale Sedierung fordern, wenn derartige Intensivkapazitäten außerhalb des Lazaretts nicht zur Verfügung stehen. Als Zwischenergebnis kann festgehalten werden, dass die unter allen Bedingungen stattfindende Gleichbehandlung von Ver­ letzten in der modernen Einsatzarmee inzwischen eher als romantisierende Vorstellung des Auftrags des Sanitätsdienstes wahrgenommen wird. Die gezielte Ungleichbehandlung aus Gründen der Solidarität, des Beistands ist und bleibt mit der Konzeption des Utilitarismus verbunden, bei dem aus Fürsorge nach dem Nutzen für den Patienten, eine Gruppe oder eine noch größere Bezugsgemeinschaft gefragt wird. Sensibilität in ethischen Konfliktsituationen und Kenntnis der Begründungsansätze für Handeln muss Ausbildungsziel der Angehörigen des Sanitätsdienstes der Bundeswehr bleiben, damit transparente, verantwortbare und angemessene Entscheidungen getroffen werden. Dieses E-Journal gibt dabei wertvolle Hilfestellung. Verfasser: Kapitänleutnant d. R. Dr. phil. Arnd T. May Zentrum für Angewandte Ethik Recklinghausen (www.ethikzentrum.de) E-Mail: [email protected] Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 269 07.08.15 13:40 270 Aus dem Sanitätsdienst Aus dem Sanitätsdienst Generaloberstabsarzt Dr. Ingo Patschke trat in den Ruhestand Im Rahmen eines Appells auf der Festung Ehrenbreitstein in Koblenz übergab am 14. Juli 2015 der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Volker Wieker, das Kommando über den Sanitätsdienst der Bundeswehr von Generaloberstabsarzt Dr. Ingo Patschke an Generalstabsarzt Dr. Michael Tempel. Die Bundesministerin der Verteidigung, Frau Dr. Ursula von der Leyen, fand beim anschließenden Empfang sehr persönliche Worte für den scheidenden Inspekteur. Abb. 1: Der Generalinspekteur der Bundeswehr mit neuem und altem Inspekteur des Sanitätsdienstes beim Appell Festung Ehrenbreitstein gehört zu den ältesten Wehranlagen Deutschlands. Und vor dieser Kulisse darf ich heute den Kommandowechsel im jüngsten Organisationsbereich der Bundeswehr vollziehen.“ Wieker dankte Dr. Patschke für seine Verdienste, insbesondere im Rahmen der Neuausrichtung der Bundeswehr. „Das Erreichte ist Verpflichtung für den Nachfolger“, so Wieker. Dem „Neuen“ wünschte der Generalinspekteur „viel Kraft, Freude und Gottes Segen“. Beim anschließenden Empfang, den die Bundesministerin der Verteidigung vor dem Großen Zapfenstreich für den scheidenden Inspekteur gab, wandte sich Frau Dr. von der Leyen in einer sehr persönlichen Rede an Dr. Patschke. Er habe schon 1987 beim Generalstabslehrgang an der Führungsakademie der Bundeswehr als sehr sympathischer „Paradiesvogel“ gegolten, als einer der „Halbgötter in Weiß“ unter Panzermännern, Pionieren, Infanteristen und Artilleristen. Aber er habe es geschafft, dort nach kurzer Zeit Brücken zu bauen und sich als extrem hilfsbereiter Teamplayer zu erweisen. Die Ministerin ließ Dienstzeit und Karriere von Dr. Patschke Revue passieren und sprach dabei wichtige Stationen wie seine Zeit als Austauschoffizier in San Antonio, Texas, die Zeit der Wiedervereinigung, in der Dr. Patschke als Bataillonskommandeur in Perleberg Verantwortung trug, und auch seine Verwendung im Einsatzführungskommando in Potsdam an. In diese Zeit fielen die Anschläge des 11. September, das Attentat auf den Bus in Kabul und die Tsunami-Katastrophe im Jahre 2004. Abordnungen aus den unterstellten Einheiten und Dienststellen des Sanitätsdienstes, Fahnenabordnungen der Sanitätsdienste der Vereinigten Staaten von Amerika , des Königreichs der Niederlande und der Französischen Republik waren auf der Festung Ehrenbreitstein angetreten, um vor zahlreichen geladenen Gästen aus dem In- und Ausland dem Wechsel an der Spitze des Sanitätsdienstes der Bundeswehr beizuwohnen. Musikalisch wurde dieses Ereignis durch das Heeresmusikkorps Koblenz begleitet. Mit den Worten „Ich melde mich ab!“ beendete Generaloberstabsarzt Dr. Patschke seine Abschiedsrede beim Appell. Seine 42-jährige Dienstzeit war mit tiefgreifenden Umbrüchen gespickt, fielen doch das Ende des Kalten Krieges, die Wiedervereinigung, die ersten Auslandseinsätze und zuletzt die Neuausrichtung der Bundeswehr in diese Zeit. Er gab auch zu, dass es ihm schwerfalle, sich von seiner Truppe zu lösen, auch wenn er genügend Zeit gehabt hätte, sich auf diesen Moment vorzubereiten. Mit besonderem Stolz verwies Dr. Patschke auf das neue Selbstverständnis des Sanitätsdienstes der Bundeswehr. Es sei ihm eine Herzensangelegenheit gewesen, dieses am Ende seiner Dienstzeit noch auf den Weg gebracht zu haben. Er wies aber auch auf die sicherheitspolitischen Risiken, wie Pandemien, Völkerwanderungen, Terrorismus und insbesondere die Folgen des demografischen Wandels und der gestiegenen Qualitätsan­ forderungen im Gesundheitssektor hin, die als Herausforderungen auf den Sanitätsdienst der Bundeswehr zukommen werden. Bevor der Generalinspekteur den Kommandowechsel vollzog, richtete er sein Augenmerk auf den Veranstaltungsort: „Die Abb. 2: Die Bundesministerin der Verteidigung bei ihrer Ansprache anlässlich des Empfangs Mit den Worten: „Lieber Herr Patschke, trotz dieser beeindruckenden Karriereleiter, die ich gerade beschrieben habe, sind Sie kein militärischer Medizinalrat geworden. Sie sind im Herzen immer Arzt geblieben. Ein Mensch, der anderen helfen möchte und dafür auch über die Akten hinweg guckt. Und gleichzeitig ein überzeugter Soldat. Ein Freund der Truppe, ein echter Kümmerer, auch mit goldenen Sternen auf der Schulter.“ zeichnete Frau Dr. von der Leyen ihr persönliches Bild vom scheidenden Inspekteur des Sanitätsdienstes. Und sie endete mit den Worten: „Es war mir eine Ehre und Freude, mit einem solchen Kollegen zusammenarbeiten zu dürfen!“ Bildquelle: Redaktion der Bundeswehr Verfasser: PIZ SanDstBw Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 270 07.08.15 13:40 Aus dem Sanitätsdienst 271 Unser Selbstverständnis - Der Menschlichkeit verpflichtet - Wir sind der Sanitätsdienst der Bundeswehr. Unser Kernauftrag ist es, die Gesundheit der Soldatinnen und Soldaten zu schützen, zu erhalten und wiederherzustellen. Wir versorgen im Einsatz entsprechend unserem Auftrag die deutschen Soldatinnen und Soldaten, die Soldatinnen und Soldaten unserer Partnernationen und alle uns anvertrauten Patientinnen und Patienten und setzen dafür notfalls unser Leben ein. Dabei ist unsere Maxime, die uns anvertrauten Soldatinnen und Soldaten weltweit so zu versorgen, dass das Ergebnis dem fachlichen Standard in Deutschland entspricht. Wir stellen im Inland die gesundheitliche Versorgung und Begutachtung nach den geltenden Standards und dem aktuellen Stand der Wissenschaft sicher. Im Falle von Großschäden und Katastrophen steht der Sanitätsdienst bereit, mit allen zur Verfügung stehenden Kräften und Mitteln den Betroffenen Hilfe zu leisten. Wir leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Einsatzbereitschaft, Einsatzfähigkeit und Auftragserfüllung der Bundeswehr. Wer sind wir? Wir aktive Soldatinnen und Soldaten, zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Reservedienstleistende der Sanitätsdienste aller Organisationsbereiche sind gemeinsam der „Sanitätsdienst der Bundeswehr“, ein integriertes militärisches Gesundheitssystem mit allen Fähigkeiten und Funktionalitäten zum Schutz, Erhalt und zur Wiederherstellung der Gesundheit der Soldatinnen und Soldaten sowie aller uns anvertrauten zivilen Patientinnen und Patienten. Wir tragen in diesem umfassenden Ansatz gleichermaßen Verantwortung für unsere Diensttiere. Was ist unsere besondere Leistung? Wir erbringen dazu in einem Disziplinen übergreifenden Ansatz alle dazu notwendigen medizinischen, zahnmedizinischen, vete- rinärmedizinischen, pharmazeutischen und lebensmittelchemischen Maßnahmen sowie Leistungen. Wir arbeiten hierzu partnerschaftlich mit anderen militärischen und zivilen Leistungserbringern zusammen. Wofür treten wir ein? Wir unterliegen sowohl den besonderen Verpflichtungen unserer Heilberufe als auch den Rechten und Pflichten als Soldatinnen und Soldaten. Wir sind bereit, soldatische und fachliche Verantwortung, Führung und Fürsorge zu übernehmen, aber auch Risiken für das eigene Wohlergehen in Kauf zu nehmen. Als Vorgesetzte sind wir militärische Führer, Ausbilder und Erzieher der uns unterstellten Soldatinnen und Soldaten. Was unterscheidet uns von anderen? Wir sind ein militärischer Dienst, der in besonderem Maße dem Auftrag der Menschlichkeit verpflichtet ist. Wir nutzen unsere Waffen im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht ausschließlich zur Verteidigung unserer Patientinnen und Patienten und zum eigenen Schutz. Worauf gründet sich unsere Tradition? Wir setzen uns mit der Geschichte von deutschen Sanitäts- und Veterinärdiensten auseinander und erkennen außergewöhnliche Leistungen und den Opfermut ihrer Angehörigen bei der Rettung von Menschen und der Erfüllung ihrer spezifischen Aufgaben an. Wir sind stolz auf die Leistungen des Sanitätsdienstes der Bundeswehr. In dieser Tradition sind wir unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, den soldatischen Tugenden und der Sorge um unsere Patientinnen und Patienten in bester Ausübung unserer fachlichen Professionalität verpflichtet. Selbstverständnis und Leitbild des Sanitätsdienstes der Bundeswehr wurden von Generaloberstabsarzt Dr. Patschke am 8. Juli 2015 in Kraft gesetzt. Der Befehl trägt den Zusatz: „Ich widme das Sebstverständnis des Sanitätsdienstes der Bundeswehr meinem Vorgänger im Amt, Herrn Admiraloberstabsarzt a. D. Dr. Karsten Ocker, in Erinnerung an sein Wirken für unseren Sanitätsdienst und die Entstehung dieses Dokumentes.“ Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 271 07.08.15 13:40 272 Aus dem Sanitätsdienst „Chirurgie – Faszination und Zukunft!“ Symposium und Kameraführungskurs für junge Chirurginnen und Chirurgen am Bundeswehrzentralkrankenhaus Zum ersten Mal fand am 17. und 18. April 2015 am Bundeswehrzentralkrankenhaus (BwZKrhs) in Koblenz ein Symposium statt, zu dem junge Chirurgen aus dem gesamten Bundesgebiet zur fachlichen Fortbildung und zum gemeinsamen Austausch eingeladen waren. Zielgruppe waren sowohl Assistenzärzte chirurgischer Kliniken der Bundeswehrkrankenhäuser, als auch ziviler Kliniken. Auf Initiative von Oberstarzt Prof. Dr. Robert Schwab, Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeralund Thoraxchirurgie, wurde das Symposium ins Leben gerufen. Ziel war es, die Attraktivität des Fachs unter dem Leitsatz „Chirurgie - Faszination & Zukunft!“ durch eine Kombination aus Fach- und Übersichtsvorträgen sowie praktischen Workshops den Teilnehmern näher zu bringen. Hintergrund war vor allem, dass die Bereitschaft junger Kollegen, sich unter den aktuellen Rahmenbedingungen für das Fach Chirurgie zu entscheiden, weit unter dem Versorgungsbedarf bleibt. Um dem entgegen zu wirken, sind die stetige Verbesserung der chirurgischen Weiterbildung und eine konsequente Nachwuchsförderung mit verbindlicher Karriereplanung im Fokus der Bestrebungen von Fachgesellschaften und Entscheidungsträgern. Das Symposium wurde daher als Gemeinschaftsprojekt der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie des BwZKrhs, der „Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft Militär- und Notfallchirurgie“ (CAMIN) und der „Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft: Junge Chirurgen“ (CAJC) organisiert, die beide Organe der „Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirugie“ (DGAV) sind. Der Kameraführungskurs am 17. April wurde von Privatdozent Dr. Andreas Kirschniak, Oberarzt der chirurgischen Universitätsklinik Tübingen und Leiter der Arbeitsgruppe „Chirurgische Technologie und Training“, organisiert und von Mitarbeitern seines Teams durchgeführt. Hier konnten die Teilnehmer an modernen Laparoskopiesimulatoren die wichtigsten Grundlagen der intraoperativen Kameraführung lernen und/oder ihre bereits vorhandenen Techniken verbessern. Im ersten Vortrags- und Diskussionsblock lag der Fokus auf der Vorstellung der Nachwuchsförderung und auf Karrieremöglichkeiten in der Chirurgie. Auch eine kritische Betrachtung des aktuellen Weiterbildungsmodells und die Optimierung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Chirurgie waren wichtige Themen, die viel Diskussionsstoff boten. Die zweite große Vortragsreihe beschäftigte sich mit dem aktuellen Stand der Notfallchirurgie: Zahlen und Fakten zum Polytraumamanagement in Deutschland, Therapiekonzepte zum schweren Abdominal- und Thoraxtrauma sowie Schuss- und Explosionsverletzungen wurden vorgestellt – um nur einige der spannenden Themen zu nennen, die hier von Referenten aus verschiedenen Fachabteilungen des BwZKrhs präsentiert wurden. Abb. 1: Am Schweinedarm lernen die Teilnehmer verschiedene chirurgische Nahttechniken. Die fachlichen Vorträge und Diskussionen wurden durch drei Workshop-Blöcke ergänzt, in denen die jungen Chirurgen ihre manuellen Fertigkeiten testen und erweitern konnten. Dazu wurden die Teilnehmer in Kleingruppen eingeteilt, welche jeden Workshop während des Symposiums gemeinsam durchliefen. Im „Workshop I“ konnten die Fertigkeiten beim laparoskopischen Operieren an drei in der Schwierigkeit gesteigerten Übungen geschult werden. Am Schweinedarm wurden im „Workshop II“ Anastomosetechniken sowohl per Handnaht, als auch mit Staplergeräten geübt. Im „Workshop III“ lag der Fokus auf dem „Focused Assessment with Sonography for Trauma“, kurz „FAST“. Beim Einstellen der richtigen Ebene mit Abb. 2: Oberfeldarzt Dr. A. Willms führt mit Workshopteilnehmern die Dichtigkeitsprobe einer Darmanastomose durch. Abb. 3: Überblick über die Workshops, welche im Rahmen des Symposiums angeboten wurden. Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 272 07.08.15 13:40 Aus dem Sanitätsdienst Abb. 4: Junge Chirurginnen lernen im Workshop das Nähen einer Dünndarmanastomose. 273 Abb. 6: Grundlegenden chirurgische Nahttechniken werden am Schweinepräparat geübt. praktischen Übungen. Besonders der Austausch mit Gleichgesinnten hat mir gut gefallen.“ So gelang es, die Chirurgie im Rahmen des Symposiums als ein perspektivenreiches und lebenswertes Berufsziel nachvollziehbar zu machen. Die Faszination des Fachs konnte mit jungen Kollegen geteilt werden, um sie in ihrem Berufsziel zu bestätigen. Aufgrund der hohen Teilnehmerzahl und den zahlreichen guten Rückmeldungen, ist die Planung einer Folgeveranstaltung in den kommenden Jahren sehr begrüßt worden. Ein abschließender Dank gilt daher allen Referenten und den Mitarbeitern der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie des BwZKrhs, ohne die diese gelungene Veranstaltung nicht möglich gewesen wäre. Abb. 5: In Kleingruppen testen die Teilnehmer ihre Fertigkeiten beim Laparoskopieren. dem Ultraschallkopf und der schnellen Beurteilung der sonografischen Bilder konnte sich hier jeder Teilnehmer beweisen. Die Resonanz auf das Symposium war durchweg positiv. Julia Landolt, Assistenzärztin in der Allgemeinchirurgie an den Seeberger Kliniken, bestätigte rückblickend: „Die Fahrt von Schleswig-Holstein nach Koblenz hat sich mehr als gelohnt! Insgesamt war es die perfekte Mischung aus Vorträgen und Bildquellen: Abb. 1 und 2: Oberfeldarzt Dr. Arnulf Willms, Koblenz Abb. 4 - 6: Flottillenarzt Dr. Carolin Weitzel, Kobenz Verfasser: Stabsarzt Christian Geis Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie Bundeswehrzentralkrankenhaus Rübenacherstr. 170, 56072 Koblenz E-Mail: [email protected] Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 273 07.08.15 13:40 274 Aus dem Sanitätsdienst Re-Zertifizierung als überregionales Traumazentrum der DGU Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz zum dritten Mal in Folge als Traumazentrum re-zertifiziert Koblenz, den 21.07.2015 Mit der durch die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) am 20. Juli 2015 überreichten Urkunde wurde bestätigt, dass sich das Bundeswehrzentralkrankenhaus (BwZKrhs) Koblenz unter Federführung des Direktors der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Oberstarzt Priv. Doz. Dr. Erwin Kollig, bereits zum dritten Male als überregionales Traumazentrum re­zertifi­ zieren konnte. Als Mittelpunkt des Traumanetzwerks Mittelrhein stellt das BwZKrhs gemeinsam mit den Partnerkliniken die Schwerstverletztenversorgung in der Region sicher. Großes Patientenaufkommen Im Jahre 2013 wurden im gesamten Traumanetzwerk 301 Schwerstverletzte registriert und behandelt. Davon wurden allein 101 im BwZKrhs aufgenommen. Hierbei lag die Verletzungsschwere der im BwZKrhs versorgten Patienten deutlich über der des lokalen Traumanetzwerks Mittelrhein. Dies spiegelt den Grundgedanken der Versorgung im Netzwerk wieder, da hier zwischen lokalen, regionalen und überregionalen Traumazentren unterschieden wird. Das erklärte Ziel aller Beteiligten ist, den Schwerstverletzten nach der Versorgung am Unfallort auf dem schnellsten Weg in das dafür am besten geeignete Krankenhaus zu verbringen. Dies funktioniert nur in einer erfolgreichen Kooperation auf Augenhöhe zwischen den teilnehmenden Kliniken und den Leitstellen des Rettungsdienstes in der Region. Vernetzte Standards Das BwZKrhs konnte sich jetzt als erste Klinik in der Region erfolgreich und wiederholt in der höchsten Versorgungsstufe als überregionales Traumazentrum re­zertifizieren. Um diesen ho­ hen Standard der Versorgungsqualität bei allen Arten von Verletzungen halten zu können, finden u.a. regelmäßig ­ unter Lei­ tung des stellvertretenden Direktors der Klinik, Oberfeldarzt Dr. Sebastian Hentsch - ATLS®-Weiterbildungskurse (Advanced Trauma Life Support) für alle im Schockraum tätigen Ärzte statt. Hieran nehmen regelmäßig auch Ärzte anderer Partnerkliniken teil. Die gemeinsamen Weiterbildungen sorgen auch für einen einheitlichen Standard innerhalb des Netzwerks. So sprechen alle an der Schwerstverletztenversorgung Beteiligten die gleiche Sprache und berücksichtigen die gleichen Prioritäten in der Behandlung. Aktive Präventionsarbeit In der Prävention von Unfällen ist das BwZKrhs ebenfalls aktiv. Zusammen mit neun anderen großen Traumazentren in Deutschland wurden bisher zwei Pilotveranstaltungen des sogenannten P.A.R.T.Y.-Programmes der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie durchgeführt. Mit dem Ziel „Prevent Alkohol and Risk Related Trauma in Youth” werden Schüler durch Präventionsspezialisten beispielsweise der Polizei und Medizinern geschult. Weiterhin haben sie Gelegenheit, mit Patienten zu sprechen, die bei Verkehrsunfällen verletzt wurden. Bestmögliche Behandlung Pünktlich zur Re­zertifizierung konnte der neu gestalteten Schockraum I in Betrieb genommen werden. Hier war ein neuer Hochleistungs-Computertomograph (CT) installiert worden. Mit diesem CT ist es möglich, innerhalb von drei bis fünf Minuten die komplette Bildgebung eines Schwerstverletzten durchzuführen. Dies verkürzt die Dauer der Notfalldiagnostik und die Zeit bis zum Beginn der operativen Versorgung deutlich. Abb. 1: Schockraum mit neuem Hochleitungs-CT (Bild: A. Weidner, Koblenz) Ausblick Schon mit der Übernahme der Urkunde begannen die Vorbereitungen auf die nächste Re­Zertifizierung. Dieser kontinuierli­ che Qualitätsprozess stellt sicher, dass Sanitätsoffiziere qualifi­ ziert sowohl zum Unfallchirurgen weitergebildet werden als auch die Kompetenz als Einsatzchirurg erwerben können. Verfasser: Oberfeldarzt Dr. Sebastian Hentsch Oberfeldarzt Priv. Doz. Dr. Axel Franke Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie, Wiederherstellungs-, Hand- und Plastische Chirurgie, Verbrennungsmedizin Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz E-Mail: [email protected] Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 274 07.08.15 13:40 Aus dem Sanitätsdienst 275 Habilitiert: Oberstabsveterinär Dr. Julia Riehm Oberstabsveterinär Dr. Julia Margarete Riehm, Fachtierärztin für Mikrobiologie und derzeit Laborleiterin Mikrobiologie in der Abteilung Veterinärmedizin am Zentralen Institut des Sanitätsdienstes der Bundeswehr in München hat sich am 13. Mai 2015 für das Fachgebiet Infektionsmedizin an der Ludwig-Maximilians-Universität in München habilitiert. Sie befand sich zu diesem Zeitpunkt als Leiterin des veterinärmedizinischen Labors GECON KFOR im Auslandseinsatz in Prizren, Kosovo. Frau Dr. med. vet. habil. Julia Margarete Riehm, geb. Franke, wurde 1975 in Fürth, Bayern geboren. Nach ihrem Schulabschluss 1995 in Erlangen, studierte sie an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München von 1996 bis 2001 Tiermedizin. Bereits ab dem vierten Semester arbeitete sie bis zur Approbation neben dem Studium wissenschaftlich auf dem Gebiet „Zellkultur und Virologie wechselwarmer Wirbeltiere“. Aus dieser Zeit und einem anschließenden Auslandsaufenthalt als Gastforscherin in den USA entstanden drei peer-reviewed Publikationen. Diese mündeten unmittelbar in ihre Promotionsarbeit mit dem Titel „Charakterisierung von reptilienpathogenen Paramyxoviren und Analyse des prokaryotisch exprimierten partiellen Fusionsgens“. Von 2005 bis 2007 folgte die Elternzeit für ihre beiden Kinder. Während dieses Zeitraums hatte Frau Dr. Riehm ihren Lebensmittelpunkt in Paris und übersetzte dort veterinärmedizinische Fachliteratur für den Elsevier-Verlag. Im Jahre 2007 entschied sich Frau Dr. Riehm für eine Verwendung im Sanitätsdienst der Bundeswehr. Unmittelbar nach der Grundausbildung an der Sanitätsakademie in München wurde Frau Dr. Riehm von 2008 bis 2014 am Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr in München verwendet. Sie beschäftigte sich hier intensiv mit hochpathogenen bakteriellen Zoonoseund Tierseuchenerregern wie Yersinia pestis (Erreger der Pest), Burkholderia mallei (Erreger des Rotz), Burkholderia pseudomallei (Melioidoseerreger), Brucella- und Clostridium-Spezies. Während dieser Arbeit sammelte sie umfangreiche Erfahrung im Labor der Sicherheitsstufe 3 (BSL-3). Die von ihr dort ausgeübten Tätigkeiten umfassten die Erreger-Isolierung, Kultur, Diagnostik und Stammsammlung, sowie Antibiotika-Resistenztestungen und MALDI TOF1. Im Januar 2012 schloss Frau Dr. Riehm ihre Zusatzqualifikation als Fachtierärztin für Mikrobiologie ab. Während der wissenschaftlichen Arbeiten zu ihrer Habilitation mit dem Titel „Phylo-geographische Analyse des hochpathogenen Zoonoseerregers Yersinia pestis“ reiste Dr. Riehm mehrfach in die für die Pest endemischen Länder Mongolei und 1 MALDI TOF (MS) = Matrix Assisted Laser Desorption Ionization Time of Flight Mass Spectrometry; in den 1980er Jahren entwickeltes Verfahren zur Ionisation von Molekülen, welches sich als besonders effektiv für die Massenspektrometrie von großen Molekülen und Polymeren sowie Biopolymeren (zum Beispiel Proteinen) erwiesen hat Madagaskar. Am „Institut Pasteur“, Antananarivo, Madagaskar, und dem „National Center for Zoonotic Diseases“, Ulan Bator, Mongolei, sammelte sie Forschungsmaterial für zahlreiche Publikationen und Vorträge. In weiteren Kooperationen mit dem „Center for Microbial Genetics and Genomics“, Northern Arizona University, Flagstaff, Arizona, USA, und der Bayerischen Staatssammlung für Anthropologie und Humangenetik konnten dabei Untersuchungen an 1500 Jahre alten Pestopfern durchgeführt werden. Neben der Erregerdiagnostik erlaubten die von Dr. Riehm entwickelten Verfahren zudem die Typisierung und den Hinweis auf den geographischen Ursprung des betreffenden Stamms. Diese Arbeiten brachten dem Institut für Mikrobiologie weltweites Renommee auf dem Gebiet der Pestforschung ein. Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang insgesamt 16 internationale Publikationen mit einem wissenschaftlichem Impact von addiert fast 80 Punkten. Die hohe Expertise, die Dr. Riehm im Bereich der Pest-Forschung aufbaute, führte auch dazu, dass das Institut für Mikrobiologie als Konsiliarlabor für Y. pestis benannt wurde. Ihre Expertise in der Lehre umfasst neben zahlreichen Einzelvorträgen den kontinuierlichen Unterricht in Lehrgängen an der Sanitätsakademie der Bundeswehr in München seit 2008. Seit 2012 unterrichtet sie zudem das von ihr ins Leben gerufene Wahlpflichtfach „Ausbruchsuntersuchung, Diagnostik und bio­ forensische Analysen bei bakteriellen Tierseuchenerregern“ an der LMU München. Die Sanitätsoffiziere Veterinär gratulieren gemeinsam mit allen Angehörigen des Sanitätsdienstes Oberstabsveterinär Dr. med. vet. habil. Julia Riehm zu dieser herausragenden wissenschaftlichen Leistung. Oberstveterinär Dr. Leander Buchner Leitender Veterinär der Bundeswehr Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 275 07.08.15 13:41 276 Truppenärztliche Praxis Damit Kommunikation gelingt … Gedanken zu einem besseren Miteinander in regionalen Sanitätseinrichtungen Im komplexen Alltag der in diesem Jahr neu aufgestellten regionalen Sanitätseinrichtungen haben die Aspekte Fachkompetenz sowie kommunikative und interaktive Kompetenz einen hohen Stellenwert. Denn Qualität und Effizienz der sanitäts­ dienstlichen Versorgung an den genannten Einrichtungen hängen im Wesentlichen von dialogischem Denken und Handeln ab. Ein für alle Beteiligten gemeinsam verbindliches Zielsystem ist wichtig, und es gilt, den ungehinderten Informationsfluss sicher zu stellen, Arbeitsabläufe kontinuierlich zu optimie­ ren, Vertrauen und Ausgeglichenheit zu „leben“ sowie Werte und Visionen zu vermitteln. Kommunikation ist ein raumgreifendes Schlagwort unseres Alltags. Alle sprechen davon – auch Führungskräfte – und meinen doch allzu oft nur die „Information“, die halbierte, die Einweg-Ausgabe echter (Zweiweg-)Kommunikation. Und weil wirklich „miteinander“ zu sprechen so schwierig ist, kann man in entsprechenden Seminaren „Techniken“ erlernen – ein kaum sinnvolles Bemühen, wenn man sich darauf beschränkt und die innere Haltung nicht berücksichtigt. Bei den Gesprächstechniken geht es primär um einfache Regeln, wie „sprich nicht über man – sage ich“, um Missverständnissen vorzubeugen, die durch die Verschiedenheit der Botschaften auf der Sach-, Appell-, Beziehungs- oder Selbstoffenbarungsebene entstehen können. Dabei geht es auf der Sachebene um Sachlichkeit, Verständlichkeit und analytisches Zuhören; auf der Appellebene um Absichten und Ziele, überzeugende Argumentation, Fragenstellen und fair lenken; auf der Beziehungsebene um aktives Zuhören, direktes Ansprechen von Gefühlen sowie Feedback geben und nehmen; und auf der Selbstoffenbarungsebene um das Senden von Ich-Botschaften und das Sagen der eigenen Meinung. Wie kann nun echte Kommunikation gelingen? Nur durch Respekt vor der Individualität sowie durch Empathie, Mitgefühl und Wertschätzung des anderen. Eine „dialogische“ Einstellung bedeutet, die grundsätzliche Unterschiedlichkeit zweier Menschen in Wahrnehmung und Bewertung anzuerkennen und zum Ausgangspunkt des Gesprächs zu machen. Es geht zunächst also darum, den Gesprächsbeitrag des anderen durch aufmerksames, wohlwollendes Zuhören besser zu verstehen. Ein Beitrag zur Vervollständigung des Gesamtbildes – eine Bereicherung. Information darf kein Machtinstrument, sondern muss Allgemeingut sein (Abbildung 1). Mehr Macht zu haben birgt – gerade in unserem hierarchischen System Bundeswehr – das Risiko, genau die Eigenschaften (wie zum Beispiel Empathiefähigkeit) zu verlieren, die für Führungskräfte entscheidend sind. Macht macht auch anfällig, die Ansichten anderer zu ignorieren oder misszuverstehen. Die zunehmende Abhängigkeit von elektronischen Kommunikationsmitteln verschärft diese Tendenz noch. Zielführend wäre daher ein Weg, der uns Macht mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbei- • Kommunikation ist nicht nur Informationsweitergabe, geht in beide Richtungen; • offene, ehrliche, authentische, und rechtzeitige Kommunikation; • Einrichten von Kommunikationsfluss­Standards: wer­was­ mit wem-wann-wie?; • Respekt vor der Individualität, Achtung, Empathie, Mitgefühl und Wertschätzung für den Anderen; • aufmerksames, aktives und wohlwollendes Zuhören, Bemühen um gegenseitiges Verständnis; • Durchführung regelmäßiger Besprechungen mit Besprechungspunkten und Protokoll; • Treffen eindeutiger Absprachen und zuverlässige Einhaltung; • fairer und loyaler Umgang miteinander; • wertfrei für andere im Sinne der Gesamtleistung mitdenken. Abb. 1: Information - Kommunikation tern und nicht Macht über diese gibt. Ersterer bedeutet, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der regionalen Sanitätseinrichtungen loyal, gerne und effektiv ihren Dienst leisten, weil sie merken, dass das, was sie tun, zum Erfolg der Einrichtung bzw. des Sanitätsdienstes der Bundeswehr insgesamt beiträgt. Dann haben sie das gleiche Bedürfnis wie der Dienstgeber. Eine zentrale Rolle nimmt dabei vor allem die interaktive Kompetenz als Ausdruck von Interesse, Verbundenheit und Anteilnahme ein. Denn Zuhören und Verständnis sind wesentlich: Wir alle möchten – mehr als alles andere – gehört werden, mehr noch, wir möchten verstanden werden für das, was wir zu sagen glauben, für das, von dem wir wissen, dass wir es gemeint haben. Bevor Probleme entstehen, bevor man zu bewerten oder eigene Vorstellungen zu präsentieren versucht, gilt es zu verstehen. Das ist ein starkes Prinzip von effektiver Interdependenz. Denn wenn man einander wirklich versteht, öffnen sich kreative Lösungen und dritte Alternativen die Tür. Unterschiede sind keine Stolpersteine für Kommunikation und Fortschritte mehr. Stattdessen werden sie zu Stufen zur Synergie. Eine dialogische Einstellung bezieht mithin andere Sichtweisen ein, grenzt diese nicht aus; sie lebt vom offenen kommunikativen Austausch und fördert Beschlüsse auf Grundlage eines breiten Konsenses. Sie konzentriert dann alle Energien auf das Umsetzen – und muss sich nicht am Durchsetzen aufreiben. Dialogisch führen heißt daher auf der Verhaltensebene: zum Gespräch einladen und die richtigen Fragen stellen, formal auf Gesprächssymmetrie achten, reversibel kommunizieren, möglichst viele Sichtweisen einbeziehen sowie mit breitem Konsens beschließen. Wann kann man sicher sein, dass es ein echter Dialog war? Wenn man aus dem Gespräch anders heraus kommt, als man hineinging. Ein echtes Gespräch ist wie ein Funke, den zwei Menschen schlagen, das heißt, es entflammt die Beteiligten. Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 276 07.08.15 13:41 Truppenärztliche Praxis Denn niemand hat alle Wahrheit für sich gepachtet. Der Monolog verkleinert, der Dialog erweitert das Weltbild. Rein persönliches Weiterkommen oder Ansehen kann und darf nicht (länger) Hauptzweck von Gesprächen sein. Es wäre gut, wenn wir Gespräche begännen und sie dazu benutzten, Gleichheit herzustellen, uns selbst Mut zu machen, uns zu öffnen und, was besonders von Nutzen ist, den Dienstalltag in den regionalen Sanitätseinrichtungen neu zu gestalten bzw. zu optimieren. Ich bin davon überzeugt, dass wir positive Veränderungen bewirken können, wenn wir insbesondere den täglichen Umgang miteinander verbessern. Ein gutes Gespräch ist letztlich ein Qualitätskriterium persönlicher Beziehungen, im privaten Bereich wie im dienstlichen Alltag. Es bringt Menschen und Ideen zusammen. Es bringt uns von Angesicht zu Angesicht mit Individuen und all ihrer menschlichen Vielschichtigkeit zusammen. Es ist eine Erfahrung, die demütig macht und daran gemahnt, in Frieden und in Gesundheit zu leben, während es so viel schreiende Ungerechtigkeit gibt, die aber auch jedes Mal große Hoffnungen macht, wenn es einem gelungen ist, ein Gespräch zu führen, das ein Gefühl allgemeiner Menschlichkeit und gegenseitiger Achtung vermittelt. Ohne gegenseitige Achtung kann es kein befriedigendes Gespräch geben. Achtung führt zu der Erkenntnis, dass der Andere die gleiche Würde besitzt. Denn unsere Gespräche erschaffen uns. Durch unser Reden oder unser Schweigen kann unser Selbst größer oder kleiner werden. Durch unser Reden oder unser Schweigen setzen wir einen anderen Menschen herab oder bringen ihn weiter, und wir verengen oder erweitern die Möglichkeiten zwischen uns. Wie wir unsere Stimme einsetzen, bestimmt die Qualität unserer Beziehungen im täglichen Dienstbetrieb, wer wir im dienstlichen Umfeld sind und wie dieses sein und werden kann. Zudem sind Freundlichkeit und Herzlichkeit gefragt. So meinte Mark Twain einmal: „Ich kann zwei Monate von einem netten Kompliment leben“. Und: „Freundlichkeit ist eine Sprache, die Taube hören und Blinde lesen können.“ Anforderungen an die Kommunikationsfähigkeit umfassen Wahrnehmungsfähigkeit, kognitive und emotionale Kontrolle, Perspektivenübernahme, Identitätsbehauptung und Rollendistanz sowie verbale und non-verbale Identität und Kompetenz. Beim dialogischen Denken und Handeln geht es um Selbstoffenbarung (einschließlich des Aussprechens aktueller Gefühle und klare Wunschäußerung), Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, Wahrhaftigkeit, Authentizität, Integrität, Klarheit, Gerechtigkeitsempfinden und Selbstbewusstsein sowie um Kongruenz zwi­ schen Handeln und Sein, um glaubwürdig und Vorbild sein zu können. Schließlich kann Kommunikation nur gelingen, wenn diese auf einem positiven Menschenbild und einem Klima des Vertrauens sowie der Menschlichkeit basiert. Vertrauen aufzubauen umfasst dabei insbesondere: Zeit haben für andere, Interesse an anderen zeigen, andere Menschen nicht abwerten, stets versuchen zu helfen, den Problemen anderer aufmerksam zuhören, uneingeschränkte Vertraulichkeit zusichern und Werturteile vermeiden (siehe auch Abbildung 2) Hier blüht der Mensch auf: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter regionaler Sanitätseinrichtungen, denen Handlungsspielräume für Eigenverantwortung und Engagement eröffnet werden, sind 277 • Fördern einer dialogisch angelegten, kompromissbereiten und konsensfähigen Grundhaltung; ergebnisorientierte und partnerschaftliche Dialogführung; • Interesse, Zeit, Verbundenheit, Anteilnahme, Offenheit, Ehrlichkeit, Achtung, Sachlichkeit, Diskretion, Vertraulichkeit, Wertfreiheit und Toleranz als Handlungsprinzipien; • Fördern der Kompatibilität in der Grundhaltung bzgl. Ideen, Ansichten, Erwartungen und Zielen bzw. Zielhorizonten und Prioritäten; gemeinsames verbindliches Zielsystem; • Fördern der Vergleichbarkeit bzgl. Motivation, Handlungsinitiative und Risikobereitschaft; • auch bei unangenehmen Dingen ansprechbar sein, nicht „mauern“, bei Fehlern der anderen diese ansprechen und nach Lösungen suchen, eigene Fehler eingestehen, sich entschuldigen; • Neuem aufgeschlossen gegenüberstehen; • kleine Ausflüge in das Privatleben, Gemeinschaftserlebnis­ se; • eine klare Linie im Verhalten zeigen und „berechenbar“ sein; • einander regelmäßig Feedback zu allen arbeitsbezogenen Aspekten und Sachthemen und zum empfundenen Kooperationsklima geben. Abb. 2: Vertrauen fördern meist bereit, Verantwortung zu übernehmen. Sie identifizieren sich eher mit ihrer Aufgabe und der Einrichtung als diejenigen, denen mit Misstrauen begegnet und denen nur wenig zugetraut wird. Hier bewährt sich unter Beachtung des Leitsatzes „So viel Vertrauen wie möglich, so wenig Kontrolle wie nötig.“ ein situativer Führungsstil. Und nur wenn alle Beteiligten „an einem Strang ziehen“, werden Irritationen und Gruppenbildungen innerhalb des Mitarbeiterteams vermieden, die zu Einbußen bei der Dienstleistungsqualität und zu den Belastungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern führen können. Möge es gelingen, in den neu aufgestellten regionalen Sanitätseinrichtungen mit allen, mit denen wir in Beziehung treten, Gutes zu tun. Denn nur, wenn wir anderen helfen und dienen, werden wir die Verbundenheit von Kameraden spüren und die Grenzen unseres Seins erweitern. Oder, wie Einstein es ausgedrückt hat: „Nur ein Leben für andere ist lebenswert.“ Und letztlich erschließen wir dadurch auch den Wert unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und eröffnen ihnen die Möglichkeit, ihr Bestes zu geben, ihr Engagement und ihre Kreativität zum Wohle der uns anvertrauten Soldatinnen und Soldaten. Verfasser: Oberstarzt Dr. Niels von Rosenstiel Sanitätsunterstützungszentrum Augustdorf Leiter Sanitätsversorgungszentrum E-Mail: [email protected] Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 277 07.08.15 13:41 278 Wehrmedizinische Kurzinformation Qualitätsmanagement in der regionalen sanitätsdienstlichen Unterstützung: Schnittstellenmanagement im Teilprozess Vertragsarztwesen des Dienstherrn, des Kommandos selbst, des unterstellten Bereiches und ganz besonders dem Bedarf der Soldatenpatienten genügt. Hierzu wurde das Vertragsarztwesen im Rahmen des Qualitätsmanagements prozessorientiert aufgebaut und modern, zukunftssicher und anwenderfreundlich gestaltet. Zunächst nur als kurzzeitige Vertreterlösung bei akutem Mangel an Sanitätsoffizieren konzipiert, hat sich das Vertragsarzt­ wesen mit der Zeit zu einem wichtigen Faktor bei der Sicherstellung der medizinischen Versorgung in den regionalen Sanitätseinrichtungen der Bundeswehr entwickelt. Die Beauftragung von Vertragsärzten wurde als Teilprozess neu konzipiert und dem unterstellten Bereich zur Verfügung gestellt. Abb. 1: Formular „Beauftragungsanforderung eines Vertragsarztes“ Die Heranziehung von Vertragsärzten der Bundeswehr zur truppenärztlichen Versorgung der Soldatinnen und Soldaten in den regionalen Sanitätseinrichtungen wird – auf der Grundlage der Vorgaben der ZDv 60/7 („Durchführungsbestimmungen für die unentgeltliche truppenärztliche Versorgung und für die Heranziehung von zivilen (zahn)-ärztlichen und psychologischen Vertretungskräften“) – seit dem 01.01.2015 durch das Kommando Regionale Sanitätsdienstliche Unterstützung (Kdo RegSanUstg) in Diez gesteuert. Damit endete endgültig das Nebeneinander von vier verschiedenen – vom Sanitätskommando I bis IV im eigenen Verantwortungsbereich festgelegten – Bearbeitungsansätzen im Vertragsarztwesen. Der Anspruch des Kdo RegSanUstg ist es nunmehr, eine einheitliche, transparente und revisionsfeste Lösung herauszuarbeiten, die den Ansprüchen Mit der entsprechenden Teilprozessbeschreibung gibt das Kdo RegSanUstg eine verbindliche Richtlinie zum Arbeitsablauf vor und beschreibt gleichzeitig die Schnittstellen und Abhängigkeiten zwischen den am Teilprozess beteiligten Parteien. Somit wird erstmals eine Übersicht zur Verfügung gestellt, die eine einheitliche Vorgehensweise ermöglicht und dabei ein gemeinsames Verständnis für die Abläufe und Zusammenhänge innerhalb des Vertragsarztwesens schafft. Zusätzlich werden durch die Teilprozessbeschreibung alle im Rahmen des Vertragsarztwesens gültigen Dokumente aufgeführt. Diese Übersicht umfasst sowohl die Vorgabedokumente (zum Beispiel Regelungen), als auch die geltenden Unterlagen wie Anträge oder Formulare. Alle für den unterstellten Bereich im Rahmen der Vertragsarztbeauftragung wichtigen Unterlagen sind dabei direkt über den jeweiligen Hyperlink aufrufbar. Somit wird dem Anwender jederzeit ein schneller und bequemer Zugriff auf die aktuell gültigen Dokumente ermöglicht. Die mitgeltenden Unterlagen selbst wurden ebenfalls überarbeitet. Neben einer inhaltlichen Anpassung wurde auf leichte Bedienbarkeit und Revisionssicherheit Wert gelegt. Die Beauftragungsanforderung als „Kernstück“ der Vertragsarztbeauftragung wurde von Grund auf neu gestaltet. Das neue Dokument vereint die Vorteile der vier vorangehenden Formulare mit den Anforderungen des Dienstherrn und des Kdo RegSanUstg. Alle Dokumente liegen nunmehr im PDF-Format vor und sind dadurch sowohl an jedem PC aufrufbar als auch vor willkürlicher Veränderung geschützt. Die Revisionssicherheit wird durch die Vergabe von Versionsnummern gewährleistet und schafft somit auch bei eventuellen Veränderungen eine einheitliche Arbeitsgrundlage als Voraussetzung für eine weiterhin reibungslose Bearbeitung. Ein weiterer Schritt bei der Neugestaltung des Vertragsarztwesens war die Schaffung einer einheitlichen Informationsplattform für den unterstellten Bereich. Dies wurde durch die Gestaltung der Seite „Vertragsarztwesen“ im WISE-Portal1 des Kdo RegSanUstg im Intranet der Bundeswehr erreicht. Die Adresse lautet: http://infoportal.kdoregsanustg.zsan/ KdoRegSanUstg/Abteilunge/G3/G31/Vertragsar Auf dieser Seite findet man neben allen für das Ver­ tragsarztwesen wichtigen Dokumenten auch Informationen zu den aktuellen Entwicklungen und zur Kommunikation mit den Bearbeitern im Kdo RegSanUstg. 1 Abb. 2: WISE-Portal-Seite „Vertragsarztwesen“ des Kdo RegSanUstg Die Seite „Vertragsarztwesen“ wird nach voraussichtlicher Abschaltung des WISE-Portals im Jahr 2016 auf die Nachfolgeplattform übertragen. Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 278 07.08.15 13:41 Wehrmedizinische Kurzinformationen 279 Zusammenfassung chen Versorgung in den regionalen Sanitätseinrichtungen der Bundeswehr ermöglicht. Das Vertragsarztwesen ist ein dynamischer Prozess, der von äußeren wie inneren Faktoren beeinflusst wird. Mit der vorliegen­ den Lösung wurde ein flexibles System geschaffen, welches auch in Anbetracht zukünftiger Entwicklungen eine verzugslose Bearbeitung der Vertragsarztangelegenheiten und somit den bedarfsgerechten Einsatz der Vertragsärzte zur truppenärztli- Verfasser: Oberstabsarzt Sebastian Frysztacki Kommando Regionale Sanitätsdienstliche Unterstützung G3.1.3 Qualitätsmanagement und Medizincontrolling Schloss Oranienstein 65582 Diez Tagungen und Kongresse Zahnmedizinisches Update im Kloster Banz Schnittstelle von Medizin und Zahnmedizin sowie deren enorme Bedeutung im Zuge der Betrachtung des Patienten als Gesamtorganismus. 1. Fachkolloquium Zahnmedizin Kloster Banz in Bad Staffelstein vom 9. bis 11. Juni 2015 Vom 9. bis 11. Juni 2015 führten die Deutsche Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie (DGWMP) und der Zahnärztliche Bezirksverband (ZBV) Oberfranken in Zusammenarbeit mit dem Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr (Kdo SanDstBw) das 1. Fachkolloquium Zahnmedizin Kloster Banz in Bad Staffelstein durch. Durch die Überführung der vormaligen Klausurtagung in ein Fachkolloquium wird der zahnmedizinische Weiterbildungsaspekt noch stärker in den Vordergrund gerückt. Anschließend richtete Flottenarzt Dr. Helfried Bieber, der seit dem 1. Mai 2015 das Amt des Leitenden Zahnarztes der Bundeswehr bekleidet und somit die Dienstgeschäfte des ehemaligen Inspizienten Zahnmedizin der Bundeswehr übernahm, seine Grußworte an das Auditorium. Abb. 2: Generalarzt a. D. Dr. Hierbei gab er einen Überblick Christoph Veit, Präsident der über die vielfältige Beteiligung DGWMP an der Ausrichtung und Organisation dieser Veranstaltung und betonte in diesem Zusammenhang die beispielhafte zivil-militärische Zusammenarbeit. Nach seiner Eröffnungsrede überbrachte Flottenarzt Dr. Bieber stellvertretend für den Präsidenten der Bayrischen Landeszahnärztekammer, Christian Berger, dessen Grußworte an das Auditorium, da dieser der Veranstaltung kurzfristig leider nicht persönlich beiwohnen konnte. Abb. 1: Kloster Banz in Bad Staffelstein Darüber hinaus nahmen auch regionale Vertreter der Standesorganisationen und der Selbstverwaltung an der Eröffnung teil. Die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) wurde hierbei von ihrem Vizepräsidenten, Prof. Dr. Christoph Benz, vertreten. Als Repräsentant der Bayrischen Landeszahnärztekammer (BLZK) nahm deren Vizepräsident, Oberstarzt d. R. Dr. Rüdiger Schott, Neben 140 Sanitätsoffizieren Zahnarzt nahmen auch 50 zivile Zahnärztinnen und Zahnärzte an dieser Veranstaltung teil. Die begleitende Dentalausstellung mit 21 namhaften Vertretern aus der Industrie bot zudem Gelegenheit zum fachlichen und kollegialen Austausch in angenehmer Atmosphäre. Das Tagungsprogramm stand ganz im Zeichen des gewählten Generalmottos „Update“ und umfasste wissenschaftlich-fundierte, hochinteressante Vorträge aus verschiedenen Themengebieten der Zahnheilkunde. Eröffnung und Grußworte Der Präsident der DGWMP, Generalarzt a. D. Dr. Christoph Veit, eröffnete das 1. Fachkolloquium Zahnmedizin und betonte in seinem Grußwort die gute Gelegenheit zum Erfahrungsaustausch zwischen zivilen und militärischen Kollegen des Fachbereichs Zahnmedizin. Darüber hinaus verwies er auf die Abb. 3: Prof. Dr. Christoph Benz, Vizepräsident der BZÄK Abb. 4: Oberstarzt d. R. Dr. Rüdiger Schott, Vizepräsident der BLZK Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 279 07.08.15 13:41 280 Tagungen und Kongresse an der Veranstaltung teil. Beide setzten in ihren Begrüßungen die entsprechenden berufs- und standespolitischen Akzente. Auch der Präsident der Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg, Dr. Udo Lenke, richtete einige einführende Worte an die Zuhörerschaft. Fachdienstliche Unterrichtung Neben dem fachlichen Schwerpunkt wurden im Rahmen dieAbb. 5: Dr. Udo Lenke, ses Fachkolloquiums auch Präsident der LZK Bafachdienstliche Inhalte thematiden-Württemberg siert, um über aktuelle Entwicklungen aus dem Fachbereich Zahnmedizin im Zuge der Neuausrichtung der Bundeswehr zu informieren. Der Leitende Zahnarzt der Bundeswehr, Flottenarzt Dr. Helfried Bieber, hielt einen Vortrag zum Thema „Aktuelles aus dem Fachbereich Zahnmedizin“. Hierbei ging er auf seine neue Funktion ein und betonte in diesem Zusammenhang die Aufgaben und die Verantwortung des nachgeordneten Bereichs im Rollengefüge der Zusammenarbeit mit den Führungsebenen. Im Zuge dessen stellte er als klares gemeinsames Ziel den Erfolg des Fachbereichs Zahnmedizin sowie, darin impliziert, dessen Fortbestand heraus, indem er auf die alltägliche erfolgreiche Patientenversorgung sowie die Akzeptanz sowohl durch die Patienten, als auch die zivilen Kolleginnen und Kollegen hinwies. Im weiteren Verlauf ging Flottenarzt Dr. Bieber auf die Einsatzplanung und Dienstpostenbesetzung im Einsatz ein. Darüber hinaus thematisierte er die zurückliegende KPMG-Studie, welche die Stimmungslage im Sanitätsdienst der Bundeswehr anhand von statistischen Daten greifbar macht und darstellt. Abb. 6: Flottenarzt Dr. Helfried Dabei bezog er die geplante Bieber, Leitender Zahnarzt der Folgestudie mit ein. AbschlieBundeswehr ßend betonte er, dass der Fachbereich Zahnmedizin zwar nicht im Zentrum des Sanitätsdienstes der Bundeswehr stehe, aber dennoch ein Kernelement darstelle und warb in diesem Zusammenhang für die gemeinsame Gestaltung einer zukunftsfähigen Zahnmedizin. Aus dem Bundesamt für das Personalmamagement der Bundeswehr war der Personalführer Zahnarzt, der Sanitätsoffiziere Zahnarzt Oberfeldarzt Dr. Lars Weidling, Abb. 7: Oberfeldarzt Dr. Lars angereist. Im Zuge seines VorWeidling, BAPersBw trags informierte er über „Aktu- elles aus dem Bundesamt für das Personalmanagement“ und ging auf grundlegende Fragen sowie die aktuelle Personallage vor dem Hintergrund der zunehmenden Feminisierung des Zahnarztberufs ein. In diesem Zusammenhang erklärte er Möglichkeiten der Vakanzensteuerung sowie die Bausteine für den Verwendungsaufbau eines Berufsoldaten oder Oralchirurgen. Ferner betonte Oberfeldarzt Dr. Weidling die enorme Bedeutung von Flexibilität im Zuge der Verwendungsplanung vor dem Hintergrund der Zusammenarbeit von Bundesamt für das Personalmanagement und den Sanitätsoffizieren des Fachbe­ reichs Zahnmedizin. Fachliche Fortbildung als Update Prophylaxe Der wissenschaftliche Teil, Schwerpunkt der Veranstaltung, wurde von Prof. Dr. Christoph Benz aus der Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie der Ludwig-Maximilians-Universität München mit einem Update zum Thema „Prophylaxe“ eröffnet. Im Zuge seines Vortrags verglich er die ehemaligen Lehrmeinungen zu Prophylaxemaßnahmen der vergangenen Jahrzehnte mit den Ansichten von heute und setzte sie in den Kontext zu den zurückliegenden Mundgesundheitsstudien. Darüber hinaus wies der Referent auf den außerordentlich wichtigen Zusammenhang zwischen Mundgesundheit und internistischen Erkrankungen hin. Zusammenfassend stellte er fest, dass die Prophylaxeleistungen in den vergangenen Jahrzehnten einen sehr positiven Wandel bewirkt haben, dessen Auswirkungen sich in den Ergebnissen zukünftiger Mundgesundheitsstudien abzeichnen werden. Außerdem unterstreiche der Verlauf der Entwicklung der Mundgesundheit in Deutschland dieses erfolgreiche Konzept. Vor diesem Hintergrund zeichnete der Referent die Rolle der zahnmedizinischen Fach-/ Prophylaxeassistenz in diesem Gesamtgefüge sowie im internationalen Vergleich und betonte hierbei deren außerordentliche Wertschätzung. Mit einem Blick auf die mögliche weitere Entwicklung der Mundgesundheit in Deutschland beendete Prof. Dr. Benz seinen sehr interessanten Vortrag. Vollkeramik Der Leitende Arzt der Zahnklinik der Sozialstiftung Bamberg, Prof. Dr. Thomas Morneburg, gab ein Update zum Thema „Vollkeramik“. Sein Vortrag begann mit einem werkstoffkundlichen Überblick über die verschiedenen Keramiken, wobei er im weiteren Verlauf den Bezug zwischen Materialeigenschaften und praktischem Gebrauch herstellte. Neben einem Überblick über Präparationsempfehlungen, Herstellungsverfahren und Werkstoffkunde thematisierte der Referent auch den Haftverbund zwischen Keramik, Eingliederungszement/-composit und ZahnhartAbb. 8: Prof. Dr. Thomas substanz und gab im Zuge desMorneburg, Leitender Arzt der Zahnklinik der Sozialstiftung sen äußerst hilfreiche Hinweise Bamberg für die praktische Anwendung. Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 280 07.08.15 13:41 Tagungen und Kongresse Der Risikopatient Der wissenschaftlich fundierte und praxisnahe Vortrag von Prof. Dr. Dr. Karl Andreas Schlegel, Facharzt für Mund-, Kiefer-, Chirurgie, Oralchirurg und plastische Operationen aus München zum Thema „Der Risikopatient in der zahnärztlichen Praxis“ beleuchtete die medizinische Komponente des Zahnarztberufs vor dem Hintergrund zahnärztlich-chirurgiAbb. 9: Prof. Dr. Dr. Karl scher Eingriffe. Im ersten Teil Andreas Schlegel, München referierte er über die Besonderheiten des älteren Patientenklientels, die enorme Bedeutung einer sorgfältigen Anamneseerhebung und die darin implizierte enge Zusammenarbeit und Kommunikation mit den medizinischen Kollegen. In diesem Zusammenhang nannte er die wichtigsten Erkrankungen der großen Organe und erklärte sehr eindrucksvoll deren Auswirkungen auf den Gesamtorganismus sowie das daraus resultierende Risiko eines Zwischenfalls bei einem zahnärztlich-chirurgischen Eingriff. Bezüglich einer bestehenden Medikation des Patienten betonte der Referent, dass im Fall einer Polypharmakotherapie die Interaktionen verschiedener Präparate nicht mehr abschätzbar sind, woraus sich ein entsprechend hohes Risiko für einen Zwischenfall in der Behandlung des Betreffenden ergibt. Im zweiten Teil seines Vortrags thematisierte Prof Dr. Dr. Schlegel das Vorkommen, Beherrschen und Vermeiden von Nachblutungen während zahnärztlich-chirurgischer Eingriffe. Darüber hinaus betonte er, dass Zahnärzte in einem der am besten vaskularisierten Gebiete des Körpers arbeiten und zeigte anhand zahlreicher klinischer Beispiele die medizinische Tragweite von Nachblutungen auf. Im Zuge dessen gab er hilfreiche Tipps für die praktische Anwendung sowie Hinweise zur Prävention von Nachblutungen und zeigte supportive blutstillende Maßnahmen auf. Am Ende seines Vortrags resümierte der Referent, dass der Behandler immer in der Verantwortung steht, daher eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung vornehmen sollte und schloss mit den Worten: „Better save than sorry“. Aktualisierung Fachkunde Zusätzlich bot das Tagungsprogramm den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des 1. Fachkolloquiums Zahnmedizin durch den Zahnärztlichen Bezirksverband Oberfranken die Möglichkeit Abb. 10: Rege Teilnahme am 1. Fachkolloquium Zahnmedizin 281 zur Aktualisierung der Fachkunde im Strahlenschutz nach § 18a Abs. 2 RöV. Diese Gelegenheit nahmen zahlreiche Sanitätsoffizie­ re Zahnarzt sowie zivile Zahnärztinnen und Zahnärzten gerne an. Craniomandibuläre Dysfunktion (CMD) Fortgesetzt wurde das wissenschaftliche Rahmenprogramm durch Dr. Karl-Heinz Lechner, Oberarzt für Zahnärztliche Prothetik der Uniklinik Erlangen. Mit seinem hochinteressanten und spannenden Vortrag zum Thema „Der CMD-Patient in der täglichen Praxis“, begeisterte er die Zuhörerschaft und zeigte den gesamten Formenkreislauf einer Funktionsstörung auf. Im Zuge dessen erläuAbb. 11: Dr. Karl-Heinz terte er das komplexe ZusamLechner, Oberarzt Zahnärztmenspiel der anatomischen Beliche Prothetik, Uniklinik standteile des stomatognathen Erlangen Systems vor dem Hintergrund der anatomisch–topographischen Lagebeziehungen der einzelnen Komponenten. Ferner stellte er heraus, dass an der Entstehung einer cranio-mandibulären Dysfunktion neben der Okklusion und Disposition auch die Psyche und die Zeit beteiligt sind. An einem Flip-chart skizzierte Dr. Lechner die Komplexität des Kiefergelenks sowie die Ursachen seiner Erkrankungen (u. a. initiales, intermediäres und terminales Knacken, Diskusverlagerung). Darüber hinaus erläuterte er die vielfältigen Zusammenhänge von Bein-, Hüft-, Schulter- und Kopfhaltung sowie die daraus resultierenden kompensatorischen Anpassungsmechanismen des Körpers bis hin zu den Auswirkungen auf das Kiefergelenk. Anhand von zahlreichen klinischen Beispielen zeigte er die zentrale Rolle des stomatognathen Systems im Lebenszyklus auf und verwies auf physiognomische Merkmale, die wie ein Spiegelbild der Befindlichkeit sind. Am Ende seines Vortrags sensibilisierte Dr. Lechner die Zuhörerschaft bezüglich einer Untersuchung der Kaumuskulatur, vor allem vor dem Hintergrund von Projektionsschmerzen sowie damit verbundenen klinisch und radiologisch unauffälligen Befunden der Zähne. Abb. 12: Prof. Dr. Ulrich Schlagenhauf, Leiter der Abteilung für Parodontologie, Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie, Würzburg Parodontologie Das Update zum Thema „Parodontologie“ von Prof. Dr. Ulrich Schlagenhauf, Leiter der Abteilung für Parodontologie in der Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie in Würzburg, stellte den letzten Punkt des wissenschaftlichen Teils der Veranstaltung dar. Im ersten Teil zeigte er klinische Beispiele von scheinbar „hoffnungslosen“, nicht erhaltungswürdigen Zähnen, die röntgenologisch nur noch an der Wurzelspitze von knöchernen Al- Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 281 07.08.15 13:41 282 Tagungen und Kongresse veolarwänden umgeben waren sowie die dennoch möglichen Therapieansätze und deren Erfolge. Im Zuge dessen erläuterte er die Möglichkeiten der Parodontaltherapie zur Vermeidung von Extraktionen sowie die Möglichkeit der Schaffung physiologischer und parodontal-hygienischer Verhältnisse durch kieferorthopädische und konservierende Maßnahmen. Darüber hinaus betonte Prof. Dr. Schlagenhauf, dass neben der nichtchirurgischen, systematischen Parodontaltherapie eine adjuvante Antibiose zielführend ist. Auf letztere ging er im zweiten Teil seines Vortrags ein und skizzierte hierbei die Rolle der Bakterien bei parodontalen Erkrankungen. Von dieser Thematik ausgehend spannte er den Bogen zur Ernährung sowie deren Einfluss auf die orale bakterielle Mischflora. Demnach hat sich die bakterielle Zusammensetzung in Mundhöhle und Darm im Laufe der Jahrtausende so verändert, dass nicht zuletzt Ernährungssituation und -gewohnheiten die Entstehung von parodontalen Erkrankungen begünstigen. Im weiteren Verlauf seines eindrucksvollen Vortrags verwies Prof. Dr. Schlagenhauf auf die Rolle der Probiotika und untermauerte deren positiven Einfluss auf die Mundgesundheit anhand zahlreicher Studien. zeigten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer reges Interesse an der begleitenden Dentalausstellung, die das Veranstaltungsprogramm abrundete. Auch die Gelegenheit zur Aktualisierung der Fachkunde im Strahlenschutz gem. §18a Abs. 2 RöV erfreute sich einer regen Teilnahme und wird daher im nächsten Jahr wieder angeboten. Der Vorsitzende des Arbeitskreises Zahnmedizin der DGWMP, Oberstarzt d. R. Dr. Christoph Kathke, rundete durch seine einleitenden Worte zu den Referenten sowie die abschließende Moderation der Fragerunden das Tagungsprogramm harmonisch und zielführend ab. Somit konnte die traditionsreiche Veranstaltung auch in diesem Jahr durch die Kooperation der Veranstalter DGWMP, Zahnärztlicher Bezirksverband (ZBV) Oberfranken und Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr fortgeführt werden und stellt damit ein herausragendes Beispiel für die zivil-militärische Zusammenarbeit dar. Auch im kommenden Jahr wird das Fachkolloquium wieder in Kloster Banz/ Bad Staffelstein stattfinden. Es wurde auf den 19. ­ 21. Juli 2016 terminiert. Bildquelle: Kdo RegSanUstg G3.3.1, Diez Verfasser: Oberstabsarzt Dr. Isabell von Rechenberg Kdo RegSanUstg G3.3.1 Schloß Oranienstein, 65582 Diez E-Mail: [email protected] • SC IE HUMANITATI • PA TR HAR DEUTSC HE GE M AZIE E.V. • Kongresse & Fortbildungen mit Industrieausstellungen • IAE NT E IA Deutsche Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie e. V. (DGWMP) LL EH SE RP Fazit Nach drei sehr interessanten, praxisnahen und thematisch abwechslungsreichen Fortbildungstagen ging das 1. Fachkolloquium Zahnmedizin Kloster Banz in Bad Staffelstein erfolgreich zu Ende. Neben dem wissenschaftlichen Fortbildungsteil Kongresskalender 15. - 17.10.2015 46. Kongress der DGWMP e. V., Oldenburg 29.10.2015 12. Notfallsymposium, Westerstede 01. - 04.12.2015 16. Internationales Symposium Forensische Odontostomatologie, München 13. - 15.01.2016 2. Arbeitstagung Zahnmedizin des Kdo RegSanUstg, Damp 27. - 29.01.2016 23. Jahrestagung ARCHIS, Hamburg 02. - 04.03.2016 1. Arbeitstagung des Kdo RegSanUstg Diez in Damp 26. - 29.04.2016 Medical Biodefense Conference, Munich 08. - 10.06.2016 2. Arbeitstagung des Kdo RegSanUstg Diez in Lahnstein 29. - 30.06.2016 CMC - Combat Medical Care Conference, Ulm/Neu-Ulm 19. - 21.07.2016 2. Fachkolloquium Zahnmedizin, Kloster Banz/Bad Staffelstein 05. - 07.09.2016 Force Health Protection - Tropical medicine and infectious diseases in international military context, Hamburg 06. - 08.10.2016 47. Kongress der DGWMP e. V., Ulm/Neu-Ulm Telefon 0228/632420 Fax 0228/698533 E-Mail: [email protected] WMM 8_Umbruch.indd 282 A5_Veranstaltungsvorschau_15-06-25.indd 1 W SC HA FT FÜ UN R W E M E D I ZI N HR D Deutsche Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie e. V. Bundesgeschäftsstelle Neckarstraße 2a 53175 Bonn e er h Nä n ne m w dg de p. w. w w io at rm fo In : er t un 07.08.15 13:41 25.06.15 12:50 Buchbesprechungen 283 Buchbesprechung Seidler – Euler – Letzel – Nowak (Hrsg.) Gesunde Gestaltung von Büroarbeitsplätzen Arbeitsmedizinische Aspekte – Physikalische Einflussfaktoren – Gefahrstoffexposition – Organisationsformen HAR M AZIE E.V. Reihe: Schwerpunktthema Jahrestagung DGAUM 2015, Softcover, 318 Seiten, ecomed MEDIZIN, ecomed-Storck GmbH EUR 39,99; ISBN 978-3-609-10048-7 in : er de 15 12:50 Das Schwerpunktthema der wissenschaftlichen Jahrestagung 2014 der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM) wurde von den Herausgebern in diesem Buch in fünf übergeordneten Kapiteln mit insgesamt 23 Unterkapiteln zusammengefasst. Damit widmet sich dieses Buch sehr umfangreich dem „Büroarbeitsplatz“, der heute häufig gleichzusetzen ist mit dem „Bildschirmarbeitsplatz“. Neben einer allgemeinen Einführung in den „Büroarbeitsplatz“ und in die Bürogesundheit werden die physikalischen Einflussfaktoren wie Raumgröße, Flächenbedarf und klimatische Bedingungen am Arbeitsplatz genauso betrachtet wie das Thema Beleuchtung, Akustik, Büroausstattung/-material und die Mensch-Maschine-Schnittstelle am Bildschirmarbeitsplatz. Ein eigenes Kapitel beschäftigt sich mit der Thematik Gefahrstoffe, insbesondere den Luftschadstoffen, den Emissionen von Laserdruckern und -kopierern und dem „Sick-Building-Syndrom“. Auch die Organisationsformen der Büroarbeit mit Arbeitsaufgabe, -organisation und Formen mobiler Telearbeit, der Pausengestaltung und der Kommunikation werden eingehend vorgestellt. Abschließend wird in einem Kapitel ein Ausblick in die Zukunft aus Sicht von Arbeitgeber und -nehmer, aber auch der Fachgesellschaften (DGAUM und Verband Deutscher Betriebs- und Werksärzte - VDBW), wie aus Sicht der Ressortforschungseinrichtung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS), der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) gegeben. Den Herausgebern in es in diesem kompakten Buch gelungen, den Arbeitsplatz „Büro“, an dem immerhin ca. 1/3 aller Beschäftigen in Deutschland tätig sind, in all seinen Facetten zu beleuchten. Hierbei wird insbesondere ein hoher Wert auf wissenschaftlich fundierte Daten gelegt, um Entscheidungshilfen und Empfehlungen abzuleiten. Wo immer es für den praktischen Arbeits- und Betriebsmediziner keine verlässliche wissenschaftliche Entscheidungsgrundlage gibt, wird diese Wissenslücke auch explizit genannt, gleichzeitig aber auch prakti- kable Lösungen vorgeschlagen. Aktuell abgeschlossene Forschungsvorhaben zur Beantwortung immer wiederkehrenden Fragen wurden von den Autoren lesefreundlich aufgearbeitet. So wird unter anderem das große und häufig diskutierte Themenfeld „Tonerstäube und -emissionen“ in einem eigenen Unterkapitel diskutiert sowie auch die Fragen zum „Sick-Building-Syndrom“ ausführlich behandelt. Durch weitere Querverlinkungen zu aktuellen gesetzlichen wie normativen Vorgaben (zum Beispiel Verordnungen, Arbeitsmedizinische Regeln (AMR), Deutschen Industrie-Normen (DIN)) wird es dem praktischen Betriebsmediziner darüber hinaus erleichtert, auch bei der zunehmenden Anzahl der entsprechenden Vorgaben den Überblick zu behalten beziehungsweise zu erlangen. Jedes Unterkapitel endet mit einem entsprechenden Literaturverzeichnis, so dass weiterführende Literatur zur Vertiefung mühelos gefunden werden kann. Das gesamte Buch ist lesefreundlich geschrieben. Es liest sich trotz Darstellung wissenschaftlicher Grundlagen weniger wie ein klassisches Lehrbuch, sondern vielmehr wie eine praktische Zusammenfassung. Die einzelnen Kapitel sind unabhängig voneinander verfasst, so dass auch das Nachschlagen einer speziellen Fragestellung ohne weiteres möglich ist. Vertiefende Aspekte, wie die physikalischen Grundlagen zur Beleuchtung, wurden in kleinerer Schrift abgedruckt, so dass der Leser aufgrund des Layouts schnell Hintergrundwissen von dem grundsätzlichen Themeninhalten leicht trennen kann. Für den arbeits- und betriebsmedizinisch tätigen Arzt sowohl in Weiterbildung, als auch in täglicher Berufsausübung eignet sich dieses Buch vortrefflich, um kompakt den aktuellen Wissenstand zum Büroarbeitsplatz zu erhalten. Gerade die weite Verbreitung dieses nahezu ubiquitär vorkommenden Arbeitsplatzes in allen Berufsbranchen konfrontiert jeden arbeits- und betriebsmedizinisch tätigen Arzt tagtäglich mit Fragen zu möglichen Verbesserungen im Rahmen von Arbeitsplatzbegehungen oder bei Beratungen von Arbeitgebern und -nehmern. Die weite Verbreitung der Bildschirmarbeitsplätze in militärischen Bereich macht die Kenntnis der Besonderheiten, wie Gefahren des Arbeitsplatz „Büro“, insbesondere im Hinblick auf die Ausbildung chronischer Beschwerden für den wehrmedizinisch tätigen Betriebsarzt zu einer wertvollen Bereicherung und Hilfe bei der Ausübung seiner Beratungsfunktion. Verfasser: Flottillenarzt Dr. Stefan Sammito, Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr Koblenz E-Mail: [email protected] Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 8/2015 WMM 8_Umbruch.indd 283 07.08.15 15:18 284 Mitteilungen aus der DGWMP e. V. Geburtstage Oktober 2015 Wir gratulieren zum 80. Geburtstag und älter: Dr. med. dent. Helmar Müller-Pfaff Oberstarzt a. D. Tegelbergstraße 3, 87629 Füssen 01.10.1932 Michael Witt Oberstapotheker a. D. Liegnitzstraße 1, 53721 Siegburg 04.10.1933 Dr. rer. nat. Hans-Günther Helling Oberstabsapotheker d. R. Joachim-Sahling-Weg 33, 22549 Hamburg Peter Mengeling Oberstabsapotheker d. R. Birkenstraße 17, 55218 Ingelheim Dr. med. vet. Kurt Maria Zrenner Ministerialrat a. D. Nymphenburger Straße 21d, 80335 München Dr. med. Reinhold Korbanka Oberstabsarzt d. R. Robert-Koch-Straße 33, 75015 Bretten Prof. Dr. med. Ernst-Ronald Schäfer Flottillenarzt d. R. Am Kaiserholz 15, 23730 Neustadt i. H. Dr. med. Ulrich Stahl Oberstarzt im BGS a. D. Weißdornweg 66, 53177 Bonn 22.10.1932 Gerhard Johannsen Apotheker Emmastraße 252, 28213 Bremen 28.10.1922 Dr. med. Dieter Bielenberg Oberstabsarzt d. R. Theodor-Fontane-Straße 9, 26131 Oldenburg 29.10.1933 Albrecht Roesinger Oberstleutnant a. D. Hitzelerstraße 91, 50968 Köln 31.10.1930 07.10.1922 Wir gratulieren zum 75. Geburtstag: 08.10.1934 11.10.1923 13.10.1928 14.10.1928 Dr. med. Rolf Kirchem Admiralarzt a. D. Sachsenring 60/Seniorenheim, 24534 Neumünster 17.10.1925 Dr. med. Wolfram Wendenburg Ltd. Medizinaldirektor a. D. Karlstraße 10, 58332 Schwelm Dr. phil. Franz-Joachim Lemmens Oberstleutnant a. D. Shukowstraße 30, 04347 Leipzig Dr. med. dent. Werner Schütz Oberstarzt d. R. Schorenstraße 12, 78234 Engen 12.10.1940 Prof. Dr. Dr. med. habil. Wulf von Restorff Oberstarzt a. D. Ismaninger Straße 86, 81675 München 18.10.1940 Dr. med. Jürgen Daum Oberstarzt a. D. Eichenstraße 14, 93049 Regensburg 21.10.1940 Dr. med. Wolfgang Stelzle Oberstarzt a. D. Mittlere Straße 16/1, 79576 Weil am Rhein 29.10.1940 Wir gratulieren zum 70. Geburtstag: 17.10.1920 Dr. med. Gerhard Willmund Oberstarzt a. D. Mühlbergstraße 11, 35288 Wohratal 14.10.1945 20.10.1920 Prof. Dr. med. Johann Pongratz Oberstarzt a. D. Oskar-von-Miller-Ring 31, 80333 München 26.10.1945 Wehrmedizinische Monatsschrift Redaktion: Oberstarzt a. D. Dr. med. Peter Mees, Baumweg 14, 53819 Neunkirchen-Seelscheid, Telefon +49 2247 912057, E-Mail: [email protected] Herausgeber: Bundesministerium der Verteidigung, Presse- und Informationsstab, Stauffenbergstraße 18, 10785 Berlin. Beirat: Prof. Dr. med. H. Fassl, Lübeck; Prof. Dr. med. L.-E. Feinendegen, Jülich; Prof. Dr. med. Dr. phil. G. Jansen, Düsseldorf; Prof. Dr. med. Dr. med. dent. E. Lehnhardt, Hannover; Prof. Dr. W. Mühlbauer, München; Prof. Dr. med. K.-M. Müller, Bochum; Prof. Dr. rer. nat. Dr. med. E. Mutschler, Frankfurt; Prof. Dr. med. G. Paal, München; Oberstapotheker a. D. Dr. rer. nat. H. Paulus; Prof. Dr. med. dent. P. Raetzke, Frankfurt; Prof. Dr. rer. nat. H.-J. Roth, Tübingen; Prof. Dr. med. L. Schweiberer, München; Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Schwenzer, Tübingen; Prof. Dr. med. H.-G. Sieberth, Aachen; Prof. Dr. med. H. E. Sonntag, Heidelberg; Generalarzt a. D. Dr. med. J. Binnewies, Köln; Admiralarzt a. D. Dr. med. R. Pinnow, Glücksburg. Beta Verlag & Marketinggesellschaft mbH, Celsiusstraße 43, 53125 Bonn, Telefon 02 28/9 19 37-10, Telefax 02 28/9 19 37-23, E-Mail: [email protected]; Geschäftsleitung: Heike Verlag: Lange; Objektleitung: Peter C. Franz; Produktionsleitung: Thorsten Menzel. Druckvorstufe: PIC Crossmedia GmbH, Langenfeld. 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(DGWMP) Tagungspräsident: Dr. med. Udo Schumann, Oberstarzt Wissenschaftliche Leitung: André Gutcke, Oberstarzt Dr. med. Torsten Groß, Oberfeldarzt Dr. med. Heinrich Weßling, Oberfeldarzt Von der Forschung über das Krankenbett bis in den Einsatz Anmeldung wissenschaftlicher Vorträge und Poster bis zum 30. Juni 2015 unter: [email protected] Tel.: 04488/508935 15. bis 17. Oktober 2015 Weser-Ems Halle, Oldenburg Weitere Informationen zum Kongress unter: www.dgwmp.de WMM_8_U3.indd 1 Plakat2015_A4_Anzeige.indd 1 07.08.15 11:12 20.10.14 12:59 Den Gegner retten? Militärärzte und Sanitäter unter Beschuss European Award "Military Ethics" 2014 Zwischen Leben und Tod blitzschnell Entscheidungen treffen, doch wer wird angesichts knapper Ressourcen zuerst behandelt – der Kamerad, der Zivilist oder der Gegner? Im Einsatz führt diese Frage oft zu moralischen Konflikten. Lässt sich militärische Notwendigkeit überhaupt mit den Prinzipien medizinischer Ethik vereinbaren, und wer hilft den Helfern? Militärärzte und Sanitäter zwischen ethischen und völkerrechtlichen Herausforderungen: Lesen Sie mehr in der neuen E-Journal-Ausgabe unter www.ethikundmilitaer.de ZENTRUM FÜR ETHISCHE BILDUNG IN DEN STREITKRÄFTEN Eth i k b E w E gt WMM_8_U4.indd 1 07.08.15 11:11