Erfolgsgeschichte mit Hindernissen Die Substitutionsbehandlung in Deutschland Heino Stöver und Ingo Ilja Michels Langfassung des Artikels aus Dr. med. Mabuse Nr. 168. Juli/August 2007 Vor 20 Jahren wurde die Substitutionsbehandlung mit Methadon in Deutschland eingeführt. Und die Bilanz kann sich sehen lassen: Vor allem die Lebensqualität vieler Drogenabhängiger verbessert sich mit der Ersatztherapie. Doch trotz der Erfolge hat die Methadon-Behandlung ein Schmuddelimage, sodass viele Ärzte sie nicht anbieten wollen. In Deutschland leben rund 150.000 Menschen, die abhängig von Opiaten sind. Die meisten konsumieren Heroin, und zwar intravenös, das heißt sie spritzen es sich drei- bis viermal pro Tag in die Venen. Und sie beschaffen es sich illegal, finanziert mit verbotenem Drogenhandel oder Beschaffungskriminalität – vom Wohnungseinbruch bis zum Raubüberfall. Die HeroinAbhängigkeit macht es ihnen unmöglich, einen geregelten Tagesablauf zu haben, geschweige denn zu arbeiten. Hohe Risiken, sich mit HIV, und insbesondere mit Hepatitis, zu infizieren, sind Folge der riskanten Konsummuster. Viele versuchen aufzuhören. Sie machen einen Entzug, und ein Teil probiert eine drogenfreie Therapie. Bei denjenigen, die durchhalten, steigt die Chance, dass sie clean bleiben. Für die allermeisten aber funktioniert dieser Weg nicht. Zu sehr führt das „craving“, das unnachgiebige psychische Verlangen, zum erneuten Rückfall in die Sucht. Wie hilft Methadon? Als vor über 40 Jahren die amerikanischen MedizinerInnen Vincent Dole und Marie Nyswander das Paradoxon entdeckten, dass man diese Sucht zumindest bändigen kann – und zwar mit der Hilfe des Opiats Methadon – konnte niemand ahnen, dass diese Behandlungsform einmal zur weltweit effektivsten Möglichkeit würde. Methadon stillt den Drogenhunger für mindestens 24 bis 32 Stunden. Es wird oral eingenommen, nicht gespritzt, die Betroffenen können wieder in Normalität leben, sogar arbeiten und der Beschaffungsdruck fällt weg. Kurzum: Sie beginnen wieder zu leben. Weil ein illegales und oft stark verunreinigtes Heroin durch ein legales Opiat substitutiert wird, hat sich der Begriff der Substitutionsbehandlung in der Fachwelt durchgesetzt. Sie ist ein wichtiger Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität vieler Drogenabhängiger geworden in Bezug auf Reduzierung von Mortalität und Morbidität. International werden diese Ergebnisse eindrucksvoll bestätigt vor allem in Bezug auf: • eine Reduktion des Heroinkonsums, • eine hohe Haltekraft und Reichweite der Behandlung, • eine Verringerung der Kriminalität, • eine Reduktion von Wiederinhaftierung und • eine Reduktion von HIV-Transmissionen1. Trotz der Erfolge und der international deutlichen Anerkennung der Substitutionsbehandlung bestehen immer noch Vorbehalte und eine Debatte über die Zielsetzung, die diese Therapie in die Nähe einer „Schmuddelmedizin“ rücken. Eine strafrechtliche Sonderbehandlung der ärztlichen Verschreibung tut ihr Übriges. Es fehlt eine allgemeine Anerkennung der Erfolge, die mit der Substitutionsbehandlung in den letzten 20 Jahren erreicht worden sind; auf Seiten 1 Siehe mit weiteren Übersichten: Gerlach, R.; Stöver, H. (Hrsg., 2005): Vom Tabu zur Normalität. – 20 Jahre Substitutionsbehandlung in Deutschland der Ärzteschaft und auch der psychosozialen Berufe. Warum das so ist, zeigt ein Blick in die Behandlungsgeschichte. Der Anfang war schwierig Erst nach langer und kontroverser Debatte wurde die Substitutionsbehandlung für Opiatabhängige erstmalig 1987 systematisch in Deutschland eingeführt, mit einem erheblichen Zeitverzug zu unseren Nachbarn. Heute, 20 Jahre später, beläuft sich die Zahl der Substituierten auf circa 65.000. Rückblickend lässt sich diese enorme Steigerung in der Zahl der Substitutionsbehandlungen und eine weit gehende Akzeptanz dieser Behandlungsform in Deutschland unter anderem durch die bisherigen Erfolge erklären. Danach sah es zunächst nicht aus. Zu groß waren die Bedenken traditioneller Drogenhilfe und der damaligen Regierung gegen die vermeintliche „Ersatzstoffvergabe“. Bislang war am Primat der Abstinenz festgehalten worden, als Ziel, aber auch schon als Voraussetzung einer Behandlung der Opiatabhängigkeit, weil nur so eine Rehabilitation von langjährig Abhängigen vorstellbar war. Es war letztlich erst die „Aids-Krise“, das heißt die in den 80er Jahren rasant steigende Rate von HIV-Erkrankungen unter HeroinkonsumentInnen, die zu einem Umdenken führte. Aber erst 1992 wurden das Betäubungsmittelgesetz geändert und die Substitutionsbehandlung legalisiert. Aber diese allein ist kein Garant für Erfolg – nicht bei allen PatientInnen, nicht in jeder Phase ihrer Biografie und oft nicht ohne weitere psychosoziale Hilfen von Professionellen oder Unterstützung aus dem näheren sozialen Umfeld. Für einen Teil dieser Menschen, die von der Substitutionsbehandlung (und anderen Hilfen) nicht genügend profitieren, war und ist in Deutschland das Heroinprojekt vorgesehen, das trotz beachtlicher Erfolge (noch) nicht umgesetzt wird. Noch lange nicht ausgereift Mittlerweile hat sich auch im euro-päischen Rahmen die Ausrichtung der entsprechenden Maßnahmen auf „Scha-densminimierung“ durchgesetzt, die Men-schen unabhängig von ihrem Abstinenzwillen und -ver-mögen Hilfen zum (gesunden) Überleben anbietet. Im Rah-men dieser Neuorientierung hat die medikamentengestützte Behandlung einen eigenständigen Wert erhalten: Sie ist ein unverzichtbarer Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität vieler Drogenabhängiger geworden. Allerdings zeigen sich in der Behandlungspraxis noch erhebliche Qualitätsmängel: die ungenügende Zusammenarbeit von Ärzten und Mitarbeitern psychosozialer Professionen in der psychosozialen Betreuung; die Angst vieler Ärzte, in die Substitutionsbehandlung einzusteigen (viele steigen sogar wieder aus oder beginnen trotz Fachkundenachweis gar nicht erst damit); ein erhebliches Versorgungsgefälle zwischen Nord-Süd, West-Ost, Stadt-Land oder beim Übertritt von einem Setting in ein anderes. Dazu kommen Unklarheiten beim Ziel, der Gestaltung und Finanzierung der psychosozialen Betreuung (PSB) sowie rechtliche Unsicherheiten vieler Ärzte in einer vergleichsweise stark regulierten und verwaltungsaufwändigen Behandlung. Grundsätzlich sind die zentralen Erfolgsparameter der Substitutionsbehandlung nach Uchtenhagen2: • klientenfreundliche Atmosphäre; • individualisierte Behandlungsregimes; • eine Mindestbehandlungsdauer von 6 bis 12 Monaten; • eine gute Qualität der begleitenden Hilfen; 2 Uchtenhagen A, Gutzwiller F, Dobler Mikola A, Stefen J: Programme for a medical prescription of narcotics. A synthesis of results. Eur Add Res 1997 • • • • • • • • • • • Flexible Dosierungspolitik; Begleitmedikation zur Minimierung der Nebenwirkungen; Durchschnittsdosis von >60 mg/Tag; Sofortiger und leichter Zugang zur Behandlung; das Adressieren des Drogenkonsums und der assoziierten medizinischen, psychologischen, sozialen, Ausbildungs- und juristischen Probleme; Individualisierte Behandlungspläne, die evaluiert und angepasst werden; Beratung (zum Beispiel Motivierende Beratung) und verhaltenstherapeutische Interventionen (zum Beispiel Psycho-Edukation); Integrierte Behandlung von psychiatrischer Komorbidität; das Monitoring von fortgesetztem Drogenkonsum; Integration der Prävention und Behandlung von HIV- und Hepatitisinfektionen; Mehrfache Behandlungsepisoden sind oft nötig. Vor diesem Hintergrund fördert das Bundesministerium für Gesundheit die Qualitätssicherung in der ambulanten Substitutionstherapie Opiatabhängiger mit folgende Hauptzielen: • Optimierung der therapeutischen Prozesse in der ambulanten Substitutionstherapie; • Optimierung der organisatorischen Abläufe innerhalb der einzelnen Praxen und Ambulanzen; • Verbesserung der Kooperation und Vernetzung zwischen substituierenden Ärzten und dem übrigen Drogenhilfesystem; • Erhöhung der Rechtssicherheit für substituierende Praxen und Ambulanzen. Wichtigstes Arbeitsergebnis eines der verschiedenen Projekte auf diesem Gebiet ist das „Handbuch zur Qualitätssicherung in der ambulanten Substitutionstherapie Opiatabhängiger“ (das ASTO-Projekt), das durch Projektteilnehmer unterschiedlicher Professionen entwickelt wurde. Konkrete Erfahrungen und Werkzeuge aus der täglichen Praxis sind direkt in das Handbuch eingeflossen. Im Rahmen von Informationsveranstaltungen werden Ärzte und Ärztinnen sowie deren PraxismitarbeiterInnen und Mitarbeiter aus Sucht- und Drogenhilfeeinrichtungen umfassend zum Thema Qualitätsmanagement informiert.3 Im Folgenden sollen einige Aspekte der Substitutionsbehandlung vorgestellt werden, die verdeutlichen, welche Aufgaben noch zu erfüllen sind. Die strafrechtlichen Bestimmungen schrecken Ärzte ab Im § 5 der Betäubungsmittelverschrei-bungsverordnung (BtMVV) regelt der Gesetzgeber detailliert die Therapie und begrenzt sie auch: Hier werden zum Beispiel der Ausschluss der Patienten sowie der Abbruch der Behandlung unter bestimmten Bedingungen oder auch die Auswahl der an Heroinabhängige verschreibbaren Medikamente geregelt. Die Regelungen zur täglichen Einnahmekontrolle erschweren es, dass die Behandlung mit den individuellen Fortschritten sozialer Integration Schritt hält. Beispielsweise wird eine reguläre Erwerbsarbeit bei täglichem Erscheinen in der Arztpraxis nahezu unmöglich. Allerdings gibt es auch Möglichkeiten der Mitgabe des Substitutionsmittels zur eigenverantwortlichen Einnahme, was eine notwendige Voraussetzung für die „soziale Reintegration“ der Klienten ist. Langfristig erreicht werden soll dagegen das Therapieziel „Abstinenz“, obwohl gerade dieses Ziel nicht bei allen Patienten erreichbar ist und auch nicht von allen Patienten gewünscht 3 Follmann, A, Nolting, HD: Qualitätsorientiertes Management der Substitution im Alltag. Suchtmed 2004, 6: 127-130 wird. Das Drängen und die Fixierung auf Abs-tinenz und die Abwertung anderer Ziele gefährden oft die erreichten Behandlungsfortschritte. Die Therapiefreiheit des Arztes ist auch insoweit eingeschränkt, als er nicht nur berufsrechtlich belangt werden kann, sondern auch – was die (Nicht-)Einhaltung der Behandlungsmodalitäten betrifft – durch das Strafrecht bedroht wird. Deshalb wird die Substitutionsbehandlung von vielen Ärzten als administrativrechtlich komplex und unattraktiv angesehen – mit der Folge, dass die Zahl der substituierenden Ärzte stagniert und die noch zu wenigen Ärzte immer mehr PatientInnen versorgen müssen. Der 110. Deutsche Ärztetag in Münster forderte deshalb eine Novellierung der BtMVV mit dem Ziel, die strafrechtliche Bedrohung der substituierenden Ärzte zu streichen und, wie bei anderen chronischen Erkrankungen auch, die Qualitätssicherung innerärztlichen und selbstverwalteten Gremien zu überantworten. Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) Die Versorgung mit Angeboten zur Substitutionsbehandlung ist in vielen Regionen Deutschlands defizitär: PatientInnen auf dem Land und in Kleinstädten müssen oft täglich unzumutbar weite Wege in die Arztpraxis in Kauf nehmen. Dieser Strukturmangel verhindert auch die soziale Integration und gesundheitliche Stabilisierung dieser Patienten. Die Ärzte, die in solchen schlecht versorgten Gebieten noch substituieren, sind chronisch überlastet und erfahren wenig Hilfe durch ihre KollegInnen und die Standesorganisationen. Der Sicherstellungsauftrag ist aber die originäre Aufgabe der Kassenärztlichen Vereinigungen, die diese Verpflichtung nicht überall mit dem gebotenen Nachdruck wahrnehmen. Denkbar wäre auch die Einrichtung von Substitutionspraxen, die durch die KVen getragen würden, um die Behandlung in unterversorgten Gebieten sicherzustellen. Bisher gibt es in ganz Deutschland nur eine von der KV betriebene Praxis in Mannheim. Erhebliche Probleme in der Kontinuität der Substitutionsbehandlung treten beim Übertritt des Patienten von einem Setting in ein anderes oder von einer Therapie in eine andere auf. Da andere Haltungen und andere Finanzierungsgrundlagen bestehen, wird eine Krankenbehandlung unterbrochen, obwohl unfreiwillige Unterbrechungen in der Regel negative Folgen für die Behandlung der Krankheit haben. Mangelnde Versorgung in Haft- und Therapieeinrichtungen Opiatabhängigkeit ist eine behandelbare Erkrankung. Diese Behandlung darf betroffenen Menschen in Haft- und Therapieeinrichtungen nicht versagt werden. Ein großer Teil der Drogentodesfälle ist nach Entlassung aus Justizvollzugsanstalten oder dem Maßregelvollzug zu beklagen. Selbst bei vorhandener Substitutionsbehandlung wird diese bei Haftantritt in der Regel nicht weiter geführt. Von circa 80.000 Gefangenen sind etwa 20.000 bis 30.000 OpiatkonsumentInnen oder zumindest Opiaterfahrene, nur etwa 500 von ihnen erhalten eine Substitutionsbehandlung. Substitutionsbegleitende psychosoziale Maßnahmen Unter Forschern und Praktikern besteht ein Konsens darüber, dass psychosoziale Angebote eine sinnvolle und notwendige Ergänzung der Substitutionsbehandlung sind und sich positiv auf individuelle Behandlungsverläufe und soziale Integrationsprozesse auswirken können. Andererseits hat schon der medizinische Teil der Substitutionsbehandlung – unabhängig von der psychosozialen Betreuung – einen erwiesenen günstigen Effekt auf den Verlauf der Heroinabhängigkeit. Deshalb ist ein Behandlungsabbruch aufgrund nicht in Anspruch genommener PSB ärztlich nicht vertretbar und wissenschaftlich nicht begründet. Das vielfach aufgestellte Junktim „Eine ärztlich kontrollierte Substitutionsbehandlung nur, wenn gleichzeitig eine psychosoziale Betreuung stattfindet“ sollte deshalb aufgehoben werden. Vielmehr müssen die Angebote psychosozialer Unterstützung für Patienten in Substitutionsbehandlung bedarfsgerecht ausgestaltet und entsprechend finanziell sichergestellt werden. Das Potenzial, das PSB den Substitutionspatienten bieten kann, ist bei weitem nicht ausgeschöpft. Obwohl in den Richtlinien der Bundesärztekammer und des Gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen eine Teilnahme von SubstitutionspatientInnen an PSB gefordert wird, übernimmt die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) deren Finanzierung ausdrücklich nicht. Dies scheint der zentrale Widerspruch zu sein, der die Kommunen und Bundesländer in unterschiedliche Finanzierungsmodelle zwängt. Es bestehen dabei eher dynamische und eher statische Modelle. Im dynamischen Finanzierungsmodell wächst die Zahl der psychosozialen Betreuer mit der Zahl der Substituierten, weil fall- oder stundenweise abgerechnet wird. Im statischen Modell hingegen wird einmalig eine psychosoziale Unterstützungs-Infrastruktur aufgebaut, deren Erweiterung nicht notwendigerweise an die erhöhten Zahlen von Substituierten gekoppelt sein muss, sondern durchaus Finanz- und Sparzwängen der Kommune Rechnung trägt. Daher sind Qualität und Dauer der Unterstützungsmaßnahmen sehr unterschiedlich, und mitunter wird die medizinische Behandlung verweigert, wenn keine psychosoziale Hilfe zur Verfügung steht. Welche Zukunftsaufgaben müssen gemeistert werden? Trotz aller beachtenswerter Fortschritte in der Substitutionsbehandlung (von einer Behandlung mit Experimentierstatus zur Regelversorgung) sind wir von einer normalen Krankenbehandlung Opiatabhängiger noch weit entfernt. Die „freie Arztwahl“ beispielsweise als Grundlage unseres Gesundheitssystems ist allein schon deswegen eingeschränkt, weil nur ein kleiner Teil spezialisierter Ärzte eine solche Behandlung durchführt. Neben den skizzierten Behandlungs-/Praxis- und Versorgungsproblemen bedarf es zudem weiterer rechtlicher Klärungen, administrativ-bürokratischer Vereinfachungen und organisatorischtechnischer Verbesserungen in mehreren Bereichen. Die Adressaten dieser Veränderungen sind in unterschiedlichen Disziplinen, Professionen, Organisationen und Systemen tätig (Ärzte, Bundes-/Landesministerien, Krankenkassen, Ärztekammern, Kassenärztliche Vereinigungen, Praktiker in psycho-sozialen und Gesundheitsberufen et cetera). Gleichzeitig gibt es gewachsene Bundesländerregelungen und -interessen, GKV-separate Finanzierungssysteme (zum Beispiel Gefängnisse) mit ganz anderen Zuständigkeitsbereichen (Justizadministrationen) sowie „Systemfehler“ (zum Beispiel wird die psychosoziale Betreuung von allen gewünscht und gefordert, sie ist aber nicht Teil der Substitutionsbehandlung und überlässt die Finanzierung den Kommunen). Diese Interessengeflechte und parzellierten Zuständigkeitsbereiche, rechtliche Beschränkungen und schließlich unterschiedliche Verbandsinteressen machen Veränderungen in der Substitutionsbehandlung schwer. Dennoch formulieren Patienten, Ärzte und Fachverbände Verbesserungsvorschläge, die zumindest Versorgungslücken identifizieren und Alternativen formulieren. Es müssen kurz-, mittel- und langfristig Perspektiven für umsetzbare Praxis- und Politikalternativen entwickelt werden, die helfen, • die Behandlungsreichweite zu erhöhen, • die Behandlungsqualität zu steigern, • die Behandlungssicherheit zu verbessern • die Alltags- und Praxistauglichkeit zu erhöhen. Ganz deutlich jedoch ist, dass ein stärkeres Ineinandergreifen verschiedener Interventionsangebote sowie eine verbesserte Kommunikation und Kooperation auf lokaler/regionaler Ebene Synergieeffekte verschiedener Hilfeangebote und -träger (stärker) nutzen könnte. Das Potential dieser überaus erfolgreichen Behandlungsform sollte noch stärker genutzt werden, das heißt: • • • • mehr als die derzeit behandelnden circa 2.700 Ärztinnen und Ärzte zu gewinnen, weitere Settings zu erschließen (wie Gefängnis, medizinische Rehabilitation), die Behandlungsqualität zu verbessern (vor allem den interdisziplinären Austausch und Kooperation zwischen Ärzten und psycho-sozialen Berufen, sowie die konkrete Abgabepraxis) bei gleichzeitiger Gewährleistung der Medikamentensicherheit. Das ist auch das Fazit des Fachtag „Weiterentwicklung der Substitutionsbehandlung“ in Kooperation vom Bundesministerium für Gesundheit mit der Universität Bremen und akzept e.V. in Berlin am 14. Februar 2007. Die Behandlung Opiatabhängiger im Rahmen einer Substitutionsbehandlung soll der Behandlung anderer schwerer chronischer Erkrankungen gleichgestellt. Es bestand eine weitgehende Einigkeit bei den TeilnehmerInnen in der Forderung nach einer Deregulierung der Substitutionspraxis. Die gegenwärtige Überregulierung mit hohem bürokratischem Aufwand wird als hochschwellig und abschreckend für die BehandlerInnen, und zum Teil als Ursache für die Stagnation, bzw. den Rückgang der Zahl substituierender Ärzte benannt. Eine Ausweitung der Zahl von Schwerpunktpraxen wird als wichtig angesehen. Insbesondere müssten die psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgungssysteme mit in die Substitutionsbehandlung einbezogen werden. Für den Bereich substitutionsbegleitender, psychosozialer Hilfen („psychosoziale Betreuung“) wird allgemein die Notwendigkeit von Begriffsklärung, Profilierungs- und Professionalisierungsdiskussion gesehen. Die Verknüpfung von medizinischer Behandlung und psycho-sozialen Maßnahmen in der BtmVV wird als „Zwangskontext“ von unterschiedlichen Standorten aus kontrovers diskutiert. Gegenwärtig leidet die psychosoziale Betreuung (PSB) unter einem Akzeptanzmangel aufgrund: • • • differenzierter und diffuser Versorgungssituation ritualisierter Standards und Forschungsdefiziten zu ihrer Wirksamkeit. Die Akzeptanzprobleme resultieren unter anderem aus: • mangelnder Verfügbarkeit • Transparenzproblemen • Mangel an Qualitäts- und Effizienznachweisen. Ein professioneller Konsens fehlt, unter anderem auch weil PSB nicht als vergleichbare Leistung in den Bundesländern verfügbar ist. Trägerpolitik und kommunale Bedürfnisse definieren derzeit die PSB. Unterschiedliche Zielprioritäten und unterschiedliche Finanzierungsgrundlagen resultieren in System- und Professionsbruchstellen zwischen Suchtmedizin und psychosozialen Hilfen. Einigkeit besteht darüber, dass multiprofessionelle Interventionen die überlegene Methode in der Substitutionsbehandlung darstellt (integrierte Sichtweise). Eine Neuverständigung über Standards und Leitlinien der psychosozialer Begleitung sollte von den Fachverbänden erarbeitet werden. Die beteiligten Verbände sollten sich zusammensetzen und eine interne Professionalisierungs- und Profilierungsdiskussion führen. Schließlich wurde festgestellt, dass Forschung zur Wirksamkeit von PSB nötig ist, um die Wirksamkeit bestimmter Angebote zu erforschen und die Angebote besser am Bedarf der Klienten ausrichten zu können. Die Substitutionsbehandlung ist kein Königsweg in der Suchtbehandlung, wohl aber ihre entscheidende Stütze. Heino Stöver geb. 1956, ist Professor für Public Health/ Gesundheitswissenschaften an der Universität Bremen. [email protected] Ingo Ilja Michels geb. 1951, Soziologe und Fachberater für Suchtkrankenhilfe, ist zurzeit in Shanghai unter anderem als Gastprofessor an der dortigen Universität tätig. [email protected] Anmerkung Dieser Beitrag basiert auf den Diskussionen und Resultaten des Fachtag „Weiterentwicklung der Substitutionsbehandlung“ in Kooperation vom Bundesministerium für Gesundheit mit der Universität Bremen und akzept e.V. in Berlin am 14. Februar 2007. Vielen Dank an alle TeilnehmerInnen.