Sorge über Aussetzung des Haftbefehls gegen Omar al-Bashir Amnesty International ist ernsthaft besorgt, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in Kürze entscheidet, das Verfahren gegen den sudanesischen Präsidenten, Omar al-Bashir, welcher angeklagt ist, Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen in Darfur begangen zu haben, auszusetzen. Zusammenfassung Am 4. März 2009 hat der Internationale Strafgerichtshof (IstGh) einen Haftbefehl gegen den sudanesischen Präsidenten, Omar Al-Bashir, erlassen in dem er wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sowie Kriegsverbrechen in Darfur angeklagt wird. Im Juli 2010 wurde Genozid zur Liste der Anklagepunkte hinzugefügt. In den vergangenen Wochen hat der Sicherheitsrat eine Anfrage Kenias, in der um eine Aussetzung der Ermittlungen bezüglich der Gewaltausbrüche nach der Wahl in Kenia 2010 gebeten wurden, geprüft. Diese Anfrage wurde bei manchen als “Generalprobe” für eine ähnliche Anfrage im Fall der Ermittlungen gegen Präsident Al-Bashir betrachtet. Obwohl Kenias Anfrage am 08. April 2011 scheiterte, gehen viele davon aus, dass eine Anfrage bezüglich Präsident Al-Bashir deutlich ernster geprüft werden könnte und in Kürze vor dem Sicherheitsrat vorgebracht werden könnte. Diese Anfrage folgt dem Referendum über die Unabhängigkeit des Südsudans und der Meinung, dass das Einverständnis und die Erleichterung der Durchführung durch den Nord-Sudan einen politischen Preis haben könnte. Menschenrechtsverletzungen in Darfur Der seit 2003 in Darfur andauernde Krieg war geprägt von verschiedenen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Vielfach sind sie auf Militäroperationen der Regierungstruppen und deren verbündeter Milizen zur Niederschlagung oppositioneller Gruppen aus Darfur zurückzuführen. uftund Bodenangriffe, welche von den Regierungstruppen und deren verbündeten Milizen ausgeführt wurden resultierten in weitreichende Verletzungen von Völkerrecht und Menschenrechten in Darfur. Regierungstruppen griffen Dörfer an, brannten Häuser nieder und stohlen Vieh. Aufgrund des Konflikts sind laut UN-Angaben rund 300.000 Zivilisten zu Tode gekommen und merhere Millionen wurden vertrieben. Es liegen Beweise vor, dass Tausende Frauen und Mädchen Opfer sexueller Gewalt wurden. Der Sicherheitsrat übergibt den Fall dem internationalen Strafgerichtshof Im September 2004 wurde aufgrund der Situation forderte der Weltsicherheitsrat vom Generalsekretär der Vereinten Nationen einen Untersuchungsausschuss. Zu den Aufgaben der Kommission gehörte die Untersuchung von Völkerrechts- und Menschenrechtsverletzungen die von beiden Seiten begangen wurden. Sie wurde ebenso beauftragt herauszufinden ob ein Genozid stattgefunden hatte. Im Januar 2005 veröffentlichte der Untersuchungsausschuss seine Ergebnisse. Obwohl die Kommission keine ausreichende Hinweise auf einen Genozid fand, dokumentierte die Kommission Kriegsverbrechen sowie Menschenrechtsverletzungen in großem Umfang und empfahl dem Sicherheitsrat den Fall an den IStGh-Chefankläger zu verweisen. Da Sudan die Rom-Statuten nicht ratifiziert hat konnte der IStGh nur ermitteln falls der Sicherheitsrat eine Verordnung unter Kapitel 8 der Charte der Vereinten Nationen erließ, welche die Situation als Gefahr für den internationalen Frieden und die internationale Sicherheit einstufte. Am 31 März 2005 verwies der Sicherheitsrat den Fall aufgrund intensiver Lobbyarbeit durch Nicht-Regierungs-Organisationen (einschließlich Amnesty International) an den Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs. Der Chefankläger des IStGh erlässt Haftbefehl Daraufhin begann der Chefankläger am 06 Juni 2005 umgehend eine umfangreiche Untersuchung über die Vorfälle in Darfur. Im April 2007 erließ die Untersuchungskammer des IStGh die ersten Haftbefehle gegen die Regierungsminister Ahmed Mohammed Haround und Ali Mohammed Ali Abdelrahman, auch bekannt als Ali Kushayb, einem Janjaweed Milizenführer. Die sudanesische Regierung verweigerte öffentlich die Zusammenarbeit zur Verhaftung der Angeklagten. Sie befinden sich heute noch auf freiem Fuß und Ahmed Haroun wurde als Gouverneur von Süd-Kordofan, einer der heikelsten Regionen auf der Nord-Süd-Grenze des Sudans, eingesetzt. Am 4. März 2009 gab die Untersuchungskammer schließlich einen Haftbefehl gegen den sudanesischen Präsidenten Omar Hassen Al-Bashir heraus. Er ist der erste regierende Staatschef, den der IStGh ermittelt. Ursprünglich war er wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen in Darfur angeklat, im Juli 2010 wurde auch Genozid zu den Anklagepunkten hinzugefügt. Zuletzt wurden drei Personen welchen die Führung von Rebellengruppen vorgeworfen wird vom Strafgerichtshof angeklagt: • Bahar Idriss Abu Garda (Vorsitzender und Hauptkoordinator der Militäroperationen der „United Resistance Front“) • Abdallah Banda Abbaker Nourein (Oberbefehlshaber der gemeinsamen Führung des „Justice and Equality Movements“) • Saleh Mohammed Jerbo Jamus (Früherer Stabschef der „Sudan Liberation Army-Unity“, momentan integriert in das „Justice and Equality Movement“) Die Vorwürfe gegen Bahar Idriss Abu Garda wurden durch die Untersuchungskammer nicht bestätigt, die Anklagen gegen Abdallah Banda Abbaker Nourein und Saleh Mohammed Jerbo Jamus wurden am 11. März 2010 bestätigt und ihre Fälle wurden vor Gericht gebracht. Gegenreaktion für die Anklage gegen Präsident Omar al-Bashir Die Gegenreaktionen der Regierung und der regionalen Einheiten gegenüber dem Haftbefehl gegen Präsident Omar al-Bashir im März 2009 waren ausgesprochen heftig. Im direkten Anschluss an die Verkündung wies die sudanesische Regierung 13 Hilfsorganisationen aus dem Land aus und schloß drei sudanesische Menschenrechtsgruppen, die alle zwingend notwendige Unterstützung für die Menschen in Darfur angeboten hatten. Sudan hat zudem für Unterstützung bei Mitgliedern der Afrikanischen Union und anderen Ländern geworben. Im Juli 2008 hat der Sicherheitsrat der Afrikanischen Union die Entscheidung gefällt den UN Sicherheitsrat zu bitten den Fall unter den Voraussetzungen von Artikel 16 der Rom-Statuten auszusetzen. Als der UN-Sicherheitsrat darauf nicht reagierte wurde die Forderung im Februar 2009 wiederholt. Auf dem Zusammentreffen der AU im Januar 2010 gab die AU eine „feierliche Erklärung des Verbunds der Regierungschefs und deren Regierungen über Sudan“ ab, in welcher die AU den Sicherheitsrat dazu aufforderte, sich auf Artikel 16 zu berufen und „sämtliche Aktionen gegen Präsident Bashir [durch den IStGh] im Interesse der Aufrechterhaltung des Friedens zwischen Nord- und Südsudan aufzugeben“. Während der 15ten ordentlichen Sitzung der AU im Juli 2010 wurde eine weitere Entscheidung bezüglich der Rom-Statuten des IStGh gefällt, worin die AU ihre „Entscheidung, dass AU-Mitgliedsstaaten nicht mit dem IStGh bezüglich einer Festnahme und Übergabe von Präsident El-Bashir [Al-Bashir] kooperieren sollen“ wiederholte. In der 16ten Sitzung im Januar 2011 wurde darauffolgend die Entscheidung getroffen die Berufung auf Artikel 16 zu wiederholen. Frustriert über die angenommene Zurückweisung durch den Sicherheitsrat die Anfrage zu bearbeiten haben AU-Regierungen sogar vorgeschlagen die RomStatuten abzuänder, um der UN-Vollversammlung zu erlauben die Angelegenheit aufzuschieben, falls der Sicherheitsrat nicht auf eine Anfrage reagiert. Der Vorschlag fand kaum Unterstützung. Trotz der schwerwiegenden Anklagepunkte haben mehrere Nationen, darunter Tschad und Kenia, welche Unterzeichner der Rom-Statuten des IStGh sind, sich der Anordnung wiedersetzt, da sie Präsident Al-Bashir während offizieller Besuche nicht verhaftet haben. Andere haben in Frage gestellt ob sie ihn verhaften können, da sie die Immunität von Staatsoberhäuptern als Barriere sahen. Amnesty international hat ein Rechtsgutachten (Bringing Power to Justice: absence of immunity for heads of state before the International Criminal Court) (AI Index: IOR 53/017/2010) herausgegeben, welche aufzeigt, dass diese Einwände nicht gerechtfertigt sind. Artikel 16 der Rom-Statuten Artikel 16 sagt aus, dass der Sicheitsrat, sollte er der Meinung sein, dass eine Gefahr für den internationalen Frieden und die internationale Sicherheit besteht, eine Resolution unter Kapitel 7 erlassen kann und damit einen Fall des ICC für 12 Monate aussetzen.Eine derartige Resolution kann erneuert werden. Amnesty International hat sich gegen Artikel 16 ausgesprochen, weil er: • die internationalen Gerechtigkeit umgehen und den Versuch der internationalen Gemeinschaft, eine glaubwürdige Abschreckung gegen die schlimmsten Menschenrechtsverletzungen zu etablieren, untergraben würde. • an alle Straftäter ein Signal senden würde, dass die internationale Gemeinschaft nicht ernsthaft am Ende der Straflosigkeit von Verbrechen nach internationalem Recht interessiert ist. • den UN-Sicherheitsrat angreifbar für Erpressung macht, inklusive der Gefahr, dass eine Erneuerung der Aussetzung durch die Androhung von Gewalt erzwungen wird. • dem Sicherheitsrat das Gefühl geben könnte, dass er unbegrenzte Erneuerungen der Aussetzung beschließen kann, was zu de facto Straflosigkeit führt. Aktuelle Situation • Die Lage in Darfur Seit Februar 2010, als die zweite Vorbereitungsphase für die Friedensverhandlungen in Doha (Katar)begannen, hat sich die Situation in Darfur drastisch verschlimmert. Berichten zufolge wurden über 100.000 Zivilisten im Jahr 2010 vertrieben. Außerdem wurde humanitären Organisationen und der UNAMID-Mission der Zugang zu mehreren Teilen Darfurs für einige Monate untersagt. Unter anderem zählte die Region Jebel Marra im Westen Darfurs dazu. Es fanden auch vermehrt Kämpfe statt, nachdem die sudanesische Regierung und die sudanesische Befreiungs-Armee unter Minni Minawi (SLA/ MM) ihre Kooperation verstärkten, obwohl die SLA/MM 2006 das Darfur Friedensabkommen unterzeichnet hatte. Regierungstruppen griffen Flüchtlingslager von Binnenflüchtlingen in Dar el Salam, Shangil Tobaya und Khor Abeche an. Nach UN-Angaben führte die Gewalt allein im Dezember dazu, dass 40.000 Menschen vertrieben wurden. Wegen der Kämpfe wurden viele Zivilisten getötet oder verletzt und das Eigentum von Zivilisten wurde geplündert oder zerstört. • Das Spitzenpanel der Afrikanischen Union zu Darfur (AUPD) Die Afrikanische Union unterstützte einen Bericht und Empfehlungen des AUPD, das durch den früheren Südafrikanischen Präsidenten Thabo Mbeki geleitet wird. Ziel war es Untersuchungen des Internationalen Strafgerichtshofs zusätzlich zu stützen. Der Bericht „Darfur: Das Streben nach Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung“, benannte Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Darfur. Außerdem ging daraus hervor, dass der Sudan sich bisher nicht für Gerechtigkeit eingesetzt habe. Es wurden mehrere Empfehlungen an die sudanesische Regierung, die UN und andere wichtige Akteure im Sudan ausgesprochen, um Gerechtigkeit für die Opfer dieser Verbrechen in Darfur sicherzustellen. Unter anderem empfahl man der sudanesischen Regierung, einen Gerichtshof sudanesischer und nicht-sudanesischer Richter einzusetzen, die von der AU bestimmt werden sollten, um so Verbrechen gegen das interne Gesetz Darfurs zu ahnden. Die AUPD empfahl außerdem, das Rechtssystem folgendermaßen zu reformieren: Wiederherstellung des SCCED (Kriminalgericht zu den Geschehnissen in Darfur), Aufhebung der rechtlichen Immunität, Einsetzung einer Wahrheits-, Gerechtigkeits- und Versöhnungskommission, um die Ursachen und Konsequenzen des Darfurkonflikts zwischen 2002 und 2009 zu erarbeiten. Bis heute hat die sudanesische Regierung in keiner Weise diese Empfehlungen umgesetzt. Im September 2010 brachte sie eine „Darfur Strategie“ heraus, allerdings ignoriert sie die Empfehlung des AUPD die eigene Verantwortlichkeit wahrzunehmen. Die aktuelle Straflosigkeit verstärkt den Gewaltkreislauf in Darfur. Wenn nicht für Gerechtigkeit gesorgt wird, werden die schweren Menschenrechtsverletzungen gegenüber der Zivilbevölkerung weiterhin täglich stattfinden. • Erneuter Druck für Aufschub des Haftbefehls gegen Bashir mithilfe des Artikels 16 infolge des Referendums Am 09. Januar 2011 fand das Referendum über die Unabhängigkeit des Südsudans statt, so wie es im Friedensabkommen (CPA) von 2005 vereinbart worden war. Dass der Präsident Al-Bashir die Ergebnisse akzeptierte, wurde von der internationalen Gemeinschaft positiv wahrgenommen und kommentiert. Sein ‚gütiges‘ Verhalten wurde mit viel Anerkennung bedacht. Zum Beispiel scheinen die USA an einer neuen Beziehung zum Sudan zu arbeiten, die darauf hin zielt Schulden zu erlassen, Sanktionen aufzuheben und den Sudan aus der Liste des staatlich geförderten Terrorismus zu streichen. Außerdem gab es Hinweise verschiedener Regierungsvertreter, dass man sich im Sicherheitsrat gegen das Verfahren des ICC gegen Al-Bashir einsetzen wolle, indem man mithilfe des Artikel 16 einen Aufschub erreicht. Einige Staaten, die man normalerweise zu Verbündeten im Kampf gegen Straflosigkeit im Sudan zählt, scheinen im Fall des Präsidenten Al-Bashir zu schwanken. Vor wenigen Wochen hat Amnesty International Frankreich und Deutschland um Stellungnahmen zu Artikel 16 des Statuts von Rom gebeten. Die Antworten waren nicht so überzeugend, wie man erwartet hätte. Der britische UN-Botschafter wurde von Journalisten zu dem Thema befragt und antwortete, dass Großbritannien (als Unterzeichner des Statuts) den Gehalt einer solchen Anfrage bedenke. Südafrika – sowohl Statutsunterzeichner als auch AU und UN-Sicherheitsratsmiglied – beurteilte die Unterstützung von Artikel 16 nicht als gleichzeitige Unterstützung der Straflosigkeit. Ziel sei nur, durch die Aussetzung des Verfahrens, Raum für Frieden und Gerechtigkeit im Sudan zu ermöglichen. Die AU hat sich aktiv dafür eingesetzt, mithilfe des Artikel 16 Aufschub für Al-Bashirs Verfahren zu erreichen und hat dies in vielen Entscheidungen der AU-Versammlung seit 2008 verdeutlicht. Noch im Januar 2011 erließ die Versammlung der AU einen „Beschluss über die Entscheidungen des Internationalen Strafgerichtshofs“. Der Beschluss wiederholte das Ziel der AU, dass der Sicherheitsrat den „Prozess gegen den Präsidenten des Sudans Bashir aufschiebe“. Der Beschluss der AU wies außerdem darauf hin, dass Kenia und der Tschad Al-Bashir in ihren Staaten aufnähmen und sich damit in Einklang mit „der Implementierung mehrerer AU-Beschlüsse zum Haftbefehl des ICC“ befänden und damit „Frieden und Stabilität in der Region verfolgten“. Andere Länder, die normalerweise das römische Statut unterstützen, könnten in ihrer Position durch geopolitische Loyalität beeinflusst sein. Dies könnte ein Grund dafür sein, dass Brasilien seine politischen Verbindungen z.B. zu Südafrika über die Unterstützung des ICC stellt. • Kenias Bemühungen Haftbefehle des ICC aufzuschieben In den vergangenen Wochen wurde der Sicherheitsrat mehrfach von der kenianischen Regierung dazu aufgefordert, Haftbefehle gegen sechs weitere Personen auszusetzen, die infolge von Gewalt nach den Wahlen 2007-2008 ausgesprochen wurden. Dabei wird Kenia durch die Afrikanische Union unterstützt. Die Bemühungen waren jedoch ohne Erfolg. Die meisten Mitglieder des Sicherheitsrats waren nicht bereit die Anfrage zu unterstützen, wodurch die Zulässigkeit des ICC-Falls durch die kenianische Regierung infrage gestellt wird. Wir beobachten diese Situation weiterhin. Amnesty International ist besorgt, dass die klare Ablehnung der Anfrage Kenias zu größerem Druck auf den Sicherheitsrat führt, im Fall Bashir anders zu handeln.