Imperiale Gewalt als Bearbeitungsform neoliberaler

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Imperiale Gewalt als Bearbeitungsform neoliberaler Widersprüche Mario Candeias [aus Alexander Badziura u.a. (Hg.), Hegemonie ­ Krise ­ Krieg. Widersprüche der Gloablisierung in verschiedenen Weltregionen, Hamburg 2005, 11­32]
Unter neoliberaler Hegemonie hat sich transnational eine neue Produktions­ und Lebensweise etabliert. Die neoliberale Ideologieproduktion fungiert dabei als das organisierende Element einer krisenhaften Transformation aller gesellschaftlichen Verhältnisse. Doch die Bearbeitung gesellschaftlicher Widersprüche erweist sich zunehmend als schwierig. Der aktive Konsens schwindet, transnationale Konsensmechanismen und die Einbindung der globalen Peripherien kommen an ihre Grenzen. An den Haarrissen in der hegemonialen Apparatur setzten widerständige soziale Bewegungen an – von rechts wie von links. In den Zentren wie in den globalen Peripherien gerät der Neoliberalismus in eine Repräsentationskrise. Vor allem im globalen Süden führen die spezifische Form der Integration in den Weltmarkt und periodische Krisen ganze Gesellschaften an den Rand ihrer Reproduktionsfähigkeit. Die Verdichtung von Widersprüchen führt zur erneuten Reartikulation des herrschenden Projekts hin zum autoritären Neoliberalismus, der dem Zwang größere Bedeutung verleiht, Krieg und Gewalt einsetzt um Krisen zu bändigen. Eine imperiale Politik dient also als Bearbeitungsform der Widersprüche des Neoliberalismus, akzentuiert zugleich Konflikte innerhalb des herrschenden Blocks an der Macht. Doch die Auseinandersetzungen zwischen US­amerikanischem Hegemonismus und stärker konsensual­kooperativen Ansätzen stellen die Hegemonie des Neoliberalismus nicht in Frage. Die Alternative zwischen US­Unilateralismus und neoliberalem Multilateralismus ist eine falsche. Offen bleibt, ob autoritärer Zwang und Gewalt einen zumindest passiven Konsenses aufrecht erhalten können, Krisen und Widerstände gewaltsame Lösungsformen suchen oder ob es gelingt ein anti­hegemoniales „post­neoliberales“ Projekt zu formulieren.
Zwang und Konsens im metropolitanen Neoliberalismus
Die Durchsetzung einer neuen Produktions­ und Lebensweise ist auf engste mit hegemonialen Projekten verbunden. Diese verbinden über Zwang und Konsens, die Transformation struktureller Verhältnisse kohärent mit der Transformation individueller und kollektiver Handlungsmuster. Hegemonie war bei Gramsci in erster Linie auf Nationalstaaten bezogen, aber nicht nur. Er hatte frühzeitig die transnationalen Elemente der fordistischen Produktionsweise herausgearbeitet und die spezifischen Formen der Übertragung des Amerikanismus auf die Länder Europas mit dem Begriff der passiven Revolution gefasst. Er hat besonders deutlich herausgestellt, dass eine hegemoniale Herrschaft eben nicht nur zwangsförmig von ›oben‹ ausgeübt, sondern von den subordinierten Klassen aus Überzeugung aktiv gewollt und gestützt werden muss – und zwar über spezifische Kompromissbildungen in denen die Interessen der Beherrschten berücksichtigt werden. Auch wenn es „gerade die ganz andere Situation des Umbruchs in die Massenproduktionsweise des Fordismus war, die Gramscis Analysen bestimmte: haltbar bleiben die Fragestellungen, die Verknüpfungen, die Analyseweise“ (F.Haug 1998). In der Krise des Fordismus gelang den transnational vernetzten Kräften des Neoliberalismus die Krise als Folge von ›Überregulierung‹, als allgemeine staatliche Steuerungskrise darzustellen, der durch Abbau bzw. Verschlankung des Staates, wohlgemerkt des bestimmten nationalen Wohlfahrts­ und Sozialstaates, und Deregulierung zu begegnen sei. Die neoliberale ›Ideologiekritik‹ fokussiert, so Marcuse (1964, 70) in einer frühen Analyse des Neoliberalismus, auf die „unterdrückenden Fähigkeiten des Wohlfahrtsstaates“ gegenüber der (Zivil)Gesellschaft. An diesem Punkt trifft sich der reaktionäre Impuls der Neoliberalen mit den emanzipativen der 68er Bewegung. Dagegen wird die emphatische Rede von der individuellen Freiheit gesetzt, die – anders artikuliert – auch von Links betont wird. Der Gemeinsamkeiten sind viele (vgl. Walpen 2004, 111). Der konkrete geschichtlich wirksame, „real­existierende“ Neoliberalismus setzt sich aus einer spezifischen Artikulation unterschiedlichster Interessen zusammen: (1) Weltmarktorientierte Kapitalfraktionen zielen darauf sich von einschränkenden fordistischen Regulierungen zu befreien und ihre Profitsituation durch Schwächung der Position der Arbeiter zu verbessern, (2) ›ihre‹ organischen Intellektuellen trachten danach „sozialistische“ Experimente zu verhindern und ihre eigenen Ideen zu verwirklichen (wofür sie auch entsprechende finanzielle Ressourcen benötigen), (3) unter Druck geratene sozialdemokratische Regierungen suchen (in den 1970er Jahren) ihre bedrohte Legitimität zu erneuern, ein überzogenes ›Anspruchsdenken‹ an den Staat zurückzuweisen, und (4) konservative politische Kräfte erschließen sich neue Begründungen für ihre Machtansprüche im Sinne einer ›geistig­
moralischen Wende‹. Der Neoliberalismus bietet diesen Gruppen über nationalstaatliche Grenzen hinweg ein taugliches Feld, ihre Interessen zu verfolgen. Sie verdichten sich zu einem gesellschaftlichen Projekt, das von keiner dieser Gruppen wirklich gesteuert wird. Aber es gelingt die Richtung gesellschaftlicher Diskurse weitgehend zu beeinflussen und über eine Verschiebung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse das Terrain für die Bearbeitung gesellschaftlicher Widersprüche, Handlungsmöglichkeiten und ­begrenzungen vorzugeben. Der Neoliberalismus ist dabei mitnichten als reine Destruktivkraft (Bourdieu) oder „konservative Restauration“ (Bischoff u.a. 1998) zu begreifen. Er entfaltet durchaus produktive Kräfte: die Rücknahme extremer (tayloristischer) Arbeitsteilung in der Produktion kann die Arbeit der Beschäftigten von Monotonie befreien, neue Produktionsformen können deren Wissen integrieren, Computerisierung und Automatisierung uns von schwerer körperlicher Arbeit entlasten; die Internationalisierung von Kultur­ und Warenwelt kann uns vor nationaler Borniertheit bewahren, Entstaatlichung uns von Bevormundung retten und die Suche nach neuen kollektiven Formen befördern. Beispielsweise Forderungen der Frauenbewegung aufgreifend ›befreit‹ der neoliberale Gesellschaftsumbau die Hausfrauen aus patriarchalen Familienverhältnissen und zwingt sich auf den Arbeitsmarkt. Die Früchte all dieser Kräfte werden jedoch ungleicher verteilt als jemals zuvor im 20. Jahrhundert. Die neoliberale Ideologie spiegelt also kein ›falsches Bewusstsein‹, ist vielmehr eine „Form der Rationalisierung“, in der gesellschaftliche Realität neue Definitionen erfährt (Hauser 1996, 501), bezeichnet eine Realität der verkehrten gesellschaftlichen Verhältnisse, die sich im Alltagsverstand einnistet, damit Teil der „gegenständlichen Wahrheit“ (Marx) wird. Die neue Produktions­ und Lebensweise ist also mit veränderten Subjektivitäten verbunden: Der geschichtliche Block des Neoliberalismus kann sich trotz seiner antisozialen Politik auf aktive und passive Zustimmung stützen, weil er die Interessen subordinierter Gruppen aufnimmt, ihre Ziele allerdings ver­rückt. Seine schmalere gesellschaftliche Basis und geringere Kohärenz verleiht zugleich dem Zwang größere Bedeutung (ausführlich vgl. Candeias 2004). Fragmentierte Hegemonie
Allerdings ist zu fragen, ob ein solcher enger Zusammenhang von kapitalistischer Ökonomie, bürgerlicher Demokratie und Staat sowie entwickelter Zivilgesellschaft auch auf das globale Verhältnis von Zentren und Peripherien, von Nord und Süd übertragen werden kann? Oder ob es nicht sinnvoll ist von einer Form der „fragmentierten Hegemonie“ (Brand 2004) auszugehen, in der Zwang und Gewalt eine nicht ausschließliche aber doch größere Bedeutung gegenüber dem Konsens erhalten: Hegemonie, als auf reale Kompromisse gestützte Führung, tritt im peripheren Kapitalismus unterm Druck der Zentren immer wieder hinter Drohung und offene Gewalt zurück, abgesichert durch einen tief verankerten wohlstandschauvinistischen Konsens – „Zwang gepanzert mit Konsens“ (Gill 2000, 32). Gramsci betont, dass trotz der großen Bedeutung des Konsenses, Hegemonie nicht in einem prinzipiellen Gegensatz zur Gewalt steht (Gef.7, 1543). Es geht vielmehr um das je spezifische Verhältnis von Konsens, Zwang und Gewalt in unterschiedlichen Konjunkturen – in denen jedoch keines der drei Elemente verschwindet, sondern konstitutive Bedeutung beibehält.
Nach dem II. Weltkrieg boten die makroökonomische Konstellation weltweiten Wachstums und vorwiegend nationaler binnenzentrierter Entwicklungsmodelle auch einigen peripheren Ländern Möglichkeiten zu ›nachholender Entwicklung‹. Doch diese Zeiten waren, fast banal daran zu erinnern, keineswegs ›krisenfrei‹. Die Unabhängigkeit von den alten Kolonialherren musste von nationalen Befreiungsbewegungen erst blutig erkämpft werden. In der internationalen Arbeitsteilung bildeten sich in den Peripherien vorwiegend Formen der primitiven, blutigen Taylorisierung oder des sog. peripheren Fordismus (Lipietz 1997, 10ff) heraus. Eine vollständige Realisierung fordistischer Akkumulation und Regulation mit Massenproduktion und Massenkonsum blieb auf die Zentren beschränkt. Doch verbunden mit dem Entwicklungs­Versprechen bildet die spezifische Verbindung von Zentren und Peripherien ein konstitutives Moment der fordistischen Gesellschaftsformation. Dadurch wird die Externalisierung bestimmter materieller und sozialer Kosten möglich. Dies beinhaltet die Überausbeutung von Gruppen, Klassen und Räumen außerhalb der Grenzen bzw. am Rande des hegemonialen Konsenses, von natürlichen und gesellschaftlichen Ressourcen, – oder eben die Verschiebung von Problemen, etwa der ökologischen Krise, in eine unbestimmte Zukunft. Den äußeren wie inneren Peripherien werden die Lasten hegemonialer Projekte aufgebürdet. Dies zeigte sich am deutlichsten an der Austragung der Systemkonkurrenz auf dem Boden der Peripherien. Die Spannung des Ost­West­Konflikts entluden sich in den sog. Stellvertreterkriegen. Das sog. ›goldene Zeitalter‹ des Fordismus stellt eine beachtliche Anhäufung kriegerischer (sowohl zwischen­ wie innerstaatlicher) Auseinandersetzungen dar – und trotzdem wird nicht am hegemonialen Charakter dieser Periode gezweifelt.
Auch der Neoliberalismus bietet eine Perspektive für periphere Länder: Nicht Entwicklung durch Binnenzentrierung und Importsubstitution, sondern das Versprechen von Entwicklung durch vollständige Integration in den Weltmarkt. Die Eindämmung der Hyperinflation, ein beträchtliches Wachstum in weiten Teilen der Erde, nicht nur konzentriert auf ›Eliten‹ und ›Agenten des internationalen Kapitals‹, sondern die Entwicklung von Mittelschichten, das Aufbrechen patriarchaler und feudaler Strukturen, die Durchsetzung formeller Demokratien können als Elemente für eine grundsätzliche Zustimmung weiter Teile der Bevölkerung dienen. V.a. in Asien (z.T. auch Lateinamerika) entwickeln sich Modelle nationaler Entwicklungsökonomien, die den neuen Verhältnissen auf den Weltmärkten stärker gerecht werden können. Allerdings: wie im folgenden zu zeigen sein wird, entfaltet sich die hegemoniale Wirkung in den Peripherien weniger durch Konsens als durch einen krisenvermittelten disziplinierenden, zunehmend autoritären Neoliberalismus. Nicht jede kleine Krise ist dabei gleich ein Indikator oder Vorbote einer Krise des Ganzen. Das Kapital als prozessierender Widerspruch kann sich nur krisenhaft reproduzieren. Also gehören Krisenelemente untrennbar zur kapitalistischen Produktionsweise. Entscheidend ist nicht, ob der Akkumulationsprozess reibungslos verläuft, Krisen ausbleiben, sondern ob es gelingt innerhalb der herrschenden Regulationsweise Widersprüche so zu bearbeiten, dass sie eben halbwegs beherrschbar bleiben. Die Kohärenz eines geschichtlichen Blocks ist solange gewahrt, wie das Terrain zur Überwindung der Krise in den – in diesem Fall neoliberalen – Formen verbleibt. Ein solcher Begriff von Hegemonie fragt nicht primär nach der Stabilität einer bestimmten Ordnung, als vielmehr nach der bestimmenden Entwicklungsrichtung der Bearbeitung von Widersprüchen. Sofern also eine relative Kohärenz der Transformation struktureller Verhältnisse und der verallgemeinerten Handlungsstrategien der Subjekte und Gruppen sich gemeinsam entwickeln, eine bestimmte Form der Vergesellschaftung ausbildend, kann man von einer relativ festen hegemonialen Konstellation ausgehen. Bislang ist es den kapitalistischen Metropolen gelungen, bestandgefährdende Wirkungen von (Finanz)Krisen zu begrenzen. Die Folgen für westliche Gläubiger können durch Kriseninterventionen des IWF bzw. durch Rettungsaktionen der Zentralbanken als lender of last resort (mit oder ohne Beteiligung der privaten Gläubiger) im ›verträglichen‹ Maße gehalten werden; eine ›kontrollierte‹ Kapitalentwertung kann Überakkumulationstendenzen vermindern. Die Folgen ökonomischer oder finanzieller Instabilitäten können (weitgehend) in periphere Räume externalisiert oder im Innern sozialisiert werden – damit wird ihnen ihre gefährlichste Spitze genommen. Die Widersprüche müssen nicht gelöst, sondern durch den herrschenden geschichtlichen Block bearbeitbar bleiben.
Darüber hinaus wird versucht, das Krisenmanagement in einer Weise zu organisieren, dass bisherige Kompromissgleichgewichte verschoben oder ganz aufgelöst werden können und das neoliberale Projekt global zur Geltung verholfen wird. Ein Beispiel sind die periodischen Finanzkrisen der 1990er Jahre in den Peripherien. Schon für Marx waren solche Krisen eine „sehr artige Gelegenheit für Leute mit Geldkapital; um sich zu Spottpreisen [der] zinstragenden Papiere zu bemächtigen“ (MEW 25, 373). Ein vorzügliches Mittel zur beschleunigten Zentralisierung des Kapitals und Rekolonialisierung der Peripherien. V.a. die Asienkrise wird zum Aufbrechen der nationalen Entwicklungsdiktaturen genutzt. Der Kapitalverkehr in diesen, bis dato sehr erfolgreichen Ländern, war bis zu diesem Zeitpunkt nicht gänzlich liberalisiert worden. Insbesondere der ausländische Besitz von Produktionsanlagen unterlag bestimmten Beschränkungen. Das politische Management der Finanzkrise durch den IWF hob diese Beschränkungen endlich auf. Nun konnten dank Währungsabwertungen und Kursverfall amerikanische, deutsche oder sonstige global players Konkurrenzunternehmen zu einem Bruchteil des Preises aufkaufen (Huffschmid 1998). Ein Viertel des börsennotierten Aktienkapitals geht „direkt in ausländische Hände über“ (Koo/Lee 2001). Das Aufbrechen der Strukturen beschränkt sich dabei nicht nur auf die ökonomische Regulation. In Süd­Korea wird zwar das autoritäre politische Regime schon vor Ausbruch der Krise abgelöst (was wahrscheinlich auch zur relativ schnellen Erholung dort beitrug). Doch die politisch­ökonomischen Verschränkungen zwischen herrschenden Klassen und den Chaebol (den koreanischen Unternehmenskonglomeraten) werden erst mit der Krise entflochten. Auch in Indonesien und Taiwan können autoritäre Strukturen und enge Verflechtungen von politischer Klasse und ökonomischer Macht – z.T. unter Rückgriff auf Gewalt – aufgebrochen werden. Zuvor beschleunigte die Schuldenkrise der 80er Jahre in Lateinamerika die Erosion der dortigen Militärdiktaturen. Neoliberale Kräfte sehen darin ihre Position bestärkt, dass wirtschaftliche Freiheit, „nämlich der Konkurrenzkapitalismus [...] auch für politische Freiheit“ sorgt, da er „die wirtschaftliche von der politischen Macht trennt“ (Friedman 1962, 29). Das Ergebnis sind offene Ökonomien (weitgehend ohne Beschränkung der Kapitalmobilität und einem sukzessiven Abbau von Handelsbeschränkungen) und die Zurückdrängung des Staates durch umfassende Privatisierungen, Verschlankung und Neuordnung der öffentliche Verwaltung, weg von der staatlichen Kontrolle von Investitionen und Kreditvergabe hin zur freien Marktsteuerung. Das neu geordnete Verhältnis von Politik und Ökonomie unter neoliberaler Ägide wird schließlich gekrönt durch die Etablierung formaler Demokratien nach westlichem Vorbild. Tatsächlich ist ein Gewinn politischer Freiheiten zu verzeichnen. Dieser rührt jedoch weniger aus einer Reduzierung staatlicher Kontrolle und Macht als auf einem veränderten Verhältnis von Politik und Ökonomie und entsprechend veränderten Herrschaftsformen. Gegenüber dem klassischen Liberalismus wacht der Staat nicht länger über die Einhaltung der Marktgesetze, im Neoliberalismus wird der Markt, als bestimmter Markt (Gramsci), selbst zum organisierenden Prinzip des Staates und sorgt für eine konsequente Ausweitung ökonomischer Formen auf andere gesellschaftliche Verhältnisse. Politische und andere Verhältnisse werden nach ökonomischen Effizienzkriterien beurteilt und reorganisiert. Die Folgen für subordinierte Gruppen wirken sich sehr widersprüchlich aus.
Nicht allen Ländern gelingt es die periodisch über den Globus wabernden Krisen so verhältnismäßig gut zu überstehen wie Südkorea oder Taiwan. Fortgesetzte Schulden­ und Währungskrisen, erzwungene Öffnung der Märkte, eine von den Bedürfnissen der Bevölkerungen absehende forcierte Exportorientierung, Hochzinspolitik, Strukturanpassungsmaßnahmen und Reduktion staatlicher Ausgaben etwa für öffentliche Beschäftigung, Bildung, Gesundheit, für elementare Versorgungsleistungen – das sind die Charakteristika eines peripheren Neoliberalismus (ausführlich Candeias 2004, 124ff). Diese neoliberale Mixtur zieht einerseits kurzfristiges Kapital an, das dann für langfristige Investitionen eingesetzt wird. Doch wenn andernorts komparativ günstigere Verwertungsbedingungen zu finden sind, wird dieses Kapital eben so schnell wieder abgezogen, bankrotte Ökonomien zurücklassend. Das „exportistische Akkumulationsregime“ (Sum 1997, 174) des peripheren Neoliberalismus ist abhängig vom ständig prekären Gleichgewicht von Kapitalzuflüssen aus den Zentren sowie von deren Marktkapazitäten zur Aufnahme der Exporte (bzw. der globalen Nachfrage nach Exportgütern). Mittelklassenkonsumtion gewinnt mit den zunehmenden Erfolg der EOI­
Strategie an Bedeutung, bleibt jedoch prekär ohne die „Exogenität der erweiterten Reproduktion“ (181) durch intensive Akkumulation im Innern ausgleichen zu können. Niedriglöhne, Produktion für den Weltmarkt und Hochzinspolitik führen in vielen Fällen zu mangelhafter Entwicklung der Binnenmärkte und geringen Wachstumsraten. Damit sind sowohl Investitionsrate wie Nachfrage exogen determiniert. Das Vordingen transnationaler Produktionsnetzwerke führt zwar zur Ausbreitung der Lohnarbeit bis in die hintersten Winkel der Erde, die Intensivierung des Handels und Inwertsetzung von Naturräumen zerstört jedoch zugleich traditionelle Subsistenzweisen, welche das Überleben mit Niedrigstlöhnen aus der Lohnarbeit überhaupt erst möglich machten. Immer wieder geraten ganze Gesellschaften an den Rand ihrer Reproduktionsfähigkeit, zuletzt besonders eindrücklich in Argentinien.
Alternative Projekte sind noch nicht in Sicht. Der Staatsozialismus ist verfault und diskreditiert. Doch ohne das Gespenst des Sozialismus oder einer anderen aufklärerischen Idee bleibt peripheren Ländern und unterdrückten Gruppen wenig Raum angesichts des Drucks zunehmender Konkurrenz zu bestehen. Der „Vorstellung von der Möglichkeit einer allgemeinen, gleichgewichtigen, durch staatliche Regulierung angeleiteten Entwicklung“ (Hirsch 1995, 171) sind auf globaler Ebene nachhaltig die Grundlagen entzogen worden. Nun präsentiert sich der Neoliberalismus als Moderne, alle tradierten gesellschaftlichen Verhältnisse umwälzend. Modernität wird auf diese Weise für viele Peripherieländer zur völlig frustrierenden Erfahrung.
Zersetzung gesellschaftlicher Reproduktionsbedingungen und Radikalisierung
Verkürzt wird aus den mit solchen Entwicklungen verbundenen Prozessen der Verarmung ganzer Bevölkerungen auf gewaltsame und sogar terroristische Widerstandsformen geschlossen, v.a. auf Seiten den Linken oft mit falscher Parteinahme für ›die Armen‹ oder ›den Widerstand‹. Entscheidend ist vielmehr, wie sich Widerstand artikuliert. Er kann reaktionäre, faschistoide – oder emanzipative Formen annehmen, oft kompliziert miteinander verwoben. Widerstand oder gar Terror sind also keinesfalls einfaches oder direktes Resultat eines globalisierenden Neoliberalismus. Schließlich kommt es im arabischen Raum zur Bildung von global agierenden Terrorgruppen, nicht aber in Argentinien, während man sich im Subsahara­Afrika auf das gegenseitige Abschlachten beschränkt. In Gesellschaften ohne entwickelte Zivilgesellschaften verhärten herrschende Machtblöcke, um unter dem Druck neoliberaler Globalisierung mit Gewalt ihre brüchige Herrschaft aufrecht zu erhalten. In Teilen Südamerikas werden die alten Machtblöcke durch neue soziale Bewegungen und demokratische Wahlen hinweggefegt – der Neoliberalismus gerät dort auf breiter Linie in die Defensive (vgl. Brand in diesem Band). Strukturell untergräbt neoliberale Globalisierung weiterhin gesellschaftliche Ausgleichs­ und Kompromissstrukturen, zerstört gesellschaftliche Bedingungen der Produktion und Reproduktion. Dies führt zur Intensivierung von Positions­ und Verteilungskämpfen um Reichtum und Macht, produziert auf ideologischer Ebene nationalistische, rassistische und fundamentalistische Ressentiments, die ihrerseits den materiellen Verursachungszusammenhang verschleiern. D.h. es bedarf des aktiven Aufgreifens dieser Situation durch lokale Machtgruppen mit spezifischen Ideologien. Üblicherweise sind es nicht die ärmsten und machtlosesten, die eine solche Situation nutzen, um mit der Produktion von Geschichte, von ethnisch oder religiös begründeten symbolischen Ordnungen, Herrschaftsansprüche zu begründen oder zu stabilisieren – dies schließt gewaltförmige Mittel mit ein, bis hin zum Krieg – in Jugoslawien, Ruanda, den Randrepubliken der ehemaligen Sowjetunion, Indonesien etc. Al­Qaida und andere radikal­islamische Gruppen sind ein treffendes Beispiel – ihre Mitglieder sind mehrheitlich Teil früherer Machtgruppen und der Intelligenzia (oft Studenten), deren Position erodiert (oder gefährdet ist) und deren Wissen entwertet wird. Die imaginäre Gemeinschaft des reinen Islam „wird umso mehr fetischisiert, je beschränkter und unsicherer ihre Souveränität erscheint” (Balibar 2002). Politische, soziale und ökonomische Konflikte werden auf diese Weise zunehmend ethnisch­religiös überformt. Das soziale Fundament dieser radikalisierten Gruppen ist oft äußerst schmal, nicht oder kaum verankert in Arbeiterschaft oder der breiten Bevölkerung – sie sind vielmehr getrieben von einer „Angst der Proletarisierung“ (Alnasseri 2001, 572). Aber der dominierende islamitische Diskurs als solcher, repräsentiert von weniger radikalen Kräften, artikuliert (angesichts des Verschwindens linker Diskurse) die Alltagsprobleme der Bevölkerung, konstruiert identitäre Einheiten und negiert gesellschaftliche Antagonismen. Insofern ist die Radikalisierung politischer Kräfte und das Aufkommen entsprechender Ideologien also nicht einfach aus der Struktur des Weltmarktes ableitbar, vielleicht noch überdeterminiert durch den Israel/Palestina­Konflikt, sondern begründet in der Unfähigkeit der bestehenden arabischen und islamischen Regime: diese bedienen den islamitischen Diskurs, ihr eigenes Versagen der Selbsterneuerung verschleiernd, d.h. der Schaffung eines stabilen hegemonialen Blocks, der oppositionelle Gruppen mit einschließt und produktive (nicht unbedingt progressive) gesellschaftliche Funktionen übernimmt (vgl. auch UNDP­Studie zu den arabischen Staaten 2002). In den öffentlichen politischen Diskursen des Westens gelten diese ethnisch/religiösen Identitäten nicht als gegenwärtige Konstruktionen auf Grundlage historisch und regional spezifischer Ideologien, – sondern als archaische Relikte einer fortwirkenden Vergangenheit. Tatsächlich stellen sie eher einen Bruch mit vorangegangenen gesellschaftlichen Ordnungen dar. Gerade in Zeiten wachsender Konkurrenz und Ungleichheit, wenn die materiellen Bedingungen zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben für viele nicht mehr greifbar werden, treten nach dem Scheitern links­
nationalistischer Entwicklungsregime ethnisch­nationale und religiöse Orientierungen an die Stelle tradierter (häufig toleranterer) sozialer Beziehungen und Identitäten (immerhin galt der Islam einst als Religion der Toleranz). Entlang dieser neu konstruierten Identitäten wird eine geschlossene, vermeintliche Schutz­ und Verteidigungsgemeinschaft gegen ›äußere Bedrohungen‹, gegen Unsicherheiten und Unübersichtlichkeiten der Modernisierung aufgebaut, die häufig geschichtsrevisionistisch einen mythischen, krisenfreien Zustand ›der guten alten Zeit‹ beschwört, sich aggressiv gegen andere abgrenzt, bis hin zur Entdifferenzierung gesellschaftlicher Verhältnisse durch die simple, neurotische Gegenüberstellung von Gut und Böse, Freund und Feind. Solch ethnisch, religiösen, nationalen oder auch geschlechtlichen Identitäten lassen sich trefflich für Herrschaftszwecke und zur Unterdrückung anderer mobilisieren – so wie es z.B. die Taliban vorführten. Häufig wird der Konflikt auf Dauer gestellt – dies ist kein Ergebnis unlösbarer Gegensätze, sondern verbunden mit einem spezifischen politischen Interesse beider Seiten: denn mit der Konstitution des Feindes und eines permanenten Ausnahmezustandes wird zugleich der Zusammenhalt des eigenen Blocks gefestigt, eine Lösung des Konflikts würde selbigen in Frage stellen – Beispiel Israel/Palestina (nun aber auch USA vs. globaler Terrorismus). „Damit eine Bewegung in Bewegung bleibt, braucht sie den Konflikt. Wenn sie ihr Anliegen per definition als Unverhandelbares der Regelung entzieht, stellt sie potentiell auch die Bewegung auf Dauer.“ (Eckert 2002, 28) Auf diese Weise wird der Konflikt zu einem essentiellen und existenziellen. Die damit verbundene Gewalt entdifferenziert, zwängt individuelle, hybride, multiple oder auch universalistische Identifikationen in eine essentielle Einheit und stiftet auf diese Weise Ordnung.
In einigen Fällen führt die Erosion sozioökonomischer Existenzbedingungen allerdings zur vollständigen Zerstörung oder „anarchischen Implosion“ (Kaplan 1996, 53) staatlicher und politischer Ordnung. Das staatliche Monopol legitimer Gewalt (Weber) wird dann in informelle Formen, in die Herrschaft von Warlords, Clanführern, Guerilleros und Militärs, von Drogenbaronen oder der Mafia überführt. Ihre Kontrolle ist nicht nur eine militärische, sondern erstreckt sich auch auf einen Großteil der ökonomischen Aktivitäten. In vielen Fällen übertreffen die Leistungen dieser „informellen Ökonomie“ diejenigen der formellen (wobei sich die Grenzen zwischen beiden zusehends verwischen). Solche Prozesse sind in weiten Teilen des afrikanischen Kontinents, in Kolumbien, im kaukasischen Raum, Indonesien, den Philippinen etc. zu beobachten – Gesellschaftsformationen, in denen der Krieg zu einer regulären gesellschaftlichen Funktion wird: sein zerstörerisches Werk ist ein wichtiger Teil der gesellschaftlichen Reproduktion in diesen Gebieten (Mbembe 1999), über den angesichts knapper Ressourcen (wie Land und Nahrung) das Wachstums der Bevölkerung gesteuert wird – eine perverse Form der Biopolitik (Foucault), wenn man so will. Dies erscheint offensichtlich, wenn wir an die zyklischen Massaker wie auch an Formen organisierter Raubökonomien nomadisierender paramilitärischer Gruppen denken – eine Form gesellschaftlicher Reproduktion, die an das Raubrittertum und die Plünderungen des Dreißigjährigen Krieges erinnern, tatsächlich aber Konsequenz erodierter sozioökonomischer Existenzbedingungen. Gewaltsame regionale Konflikte in den Peripherien bedrohen aber die Interessen der Metropolen und des internationalen Kapitals an einer ungehinderten Expansion des Weltmarktes. Die Sicherheit der Investitionsentscheidungen in diesen Regionen – häufig reich an Rohstoffen wie Öl, Gas, Gold, Diamanten, Drogen – gerät in Gefahr, die ›Infektion‹ anderer Territorien wird befürchtet. Migrations­ und Flüchtlingswellen bedrohen die Grenzen der Festung OECD – die Kontrolle und Steuerung der Mobilität der internationalen Arbeitskraft geht ihnen verloren. Polizeilich­militärische Intervention gegen unbotmäßige, für die neue Weltordnung als gefährliche eingeschätzte Staaten sollen daher die Funktionsfähigkeit des freien Welthandels garantieren. Die begriffliche Nähe von ›Handel‹ und ›Händel‹ verweist auf den engen Zusammenhang von Handel und Gewalt. Erst die staatliche Gewalt sichert den Marktfrieden. So wird die militärische Intervention unter US­Dominanz zum geopolitischen Zwilling der globalen Weltunordnung, – und der Menschenrechtsdiskurs liefert die legitimatorische Grundlage. Dieser Diskurs beruht allerdings auf einem verkürzten Begriff von Freiheit als Freiheit des Marktes, von Demokratie als pluralen Wahlen und von Menschenrechten als Gewährleistung des Schutzes der Person und ihres Eigentums. Jene Verschränkung von verschleierten Interessen und moralischem Impetus der Menschenrechte ist Kennzeichen eines alten/neuen ›humanitären Imperialismus‹. Nur durch die Intervention kann die Hegemonie des Westens gewahrt werden. Die Existenz oder Konstruktion von Diktatoren wie Milosevic, Bin Laden oder Hussein dient als Begründung der Intervention – hat akzeptanzverstärkende Wirkung für die Stabilisierung militärischer Vorherrschaft Amerikas und darüber für die Hegemonie eines transnational­neoliberalen Blocks an der Macht. Wann eine militärische Intervention geboten ist, ist dabei Definitionssache – in erster Linie der USA: bedroht ein Staat (oder der Zerfall eines Staates) die Stabilität der bestehenden Weltordnung (und sei es nur regional begrenzt) oder präsentiert sich als ausstrahlungskräftige Alternative zur herrschenden Form neoliberaler Vergesellschaftung – dann gilt Krieg als legitimes Mittel zur Eindämmung der Gefahr. Doch bis zum 11. September 2001 wurden die Zentren der globalen Ökonomie nicht direkt von den Gewalteruptionen in den Peripherien bedroht. Die Aggression destabilisierter Staaten oder Gruppen richtete sich gegen noch schwächere. Risse in der hegemonialen Apparatur und Krise der Repräsentation
Seither hat sich die Situation verändert. Die gewaltsame Ablehnung neoliberaler Globalisierung zielt nun ins Zentrum der Gesellschaften des Nordens, auf seine Finanzzentren, auf die Oasen des globalen Tourismus von den Philippinen bis Bali, von Djerba bis Kenia, auf den Alltag im Café in Tel Aviv oder im Nahverkehr von Paris, Tokio, Madrid oder Moskau. Und die Ablehnung wächst. Nicht nur von dieser Seite. Weite Teile der Bevölkerung in Lateinamerika, Indien, Südafrika oder Korea lehnen eine weitere Kommodifizierung – das zur Ware werden – von allem und jedem ab, artikulieren v.a. gegenüber den USA offenen Hass. Transnationale Protestbewegungen gewinnen an Stärke. Innerhalb der WTO formiert sich die Gruppe der 20+, die sich gegenüber einer weiteren einseitigen Liberalisierung des Welthandels sperrt, der IWF erntet offenen Widerspruch von Regierungen des Südens, die seine Programme nicht umsetzen wollen. Ohne darauf weiter eingehen zu können, zeigt sich auch innerhalb der Zentren eine Erosion der aktiven Zustimmung (Candeias 2004, 332ff). Sowohl die orthodox­
konservative als auch die sozialdemokratische Form des Neoliberalismus haben sich als nicht ausreichend erwiesen, um den Widerspruch zwischen der Umwälzung aller gesellschaftlichen Verhältnisse und dem Bedürfnis nach Orientierung und Sicherung der Existenz der gesellschaftlichen Individuen in für die Mehrheit befriedigender Weise zu bearbeiten – damit sind eine ganze Reihe von Konflikten gemeint: Konflikte um die Teilhabe an der gesellschaftlichen Produktion, einem damit verbundenen existenzsicherndem Einkommen, um Verunsicherung der gesellschaftlichen Position durch sozialen Abstieg bzw. mangelnde Aufstiegsmöglichkeiten, um verunsicherte geschlechtliche Identitäten (v.a. bei Männern), um kosmopolitische und nationale Lebensweisen, um Einwanderung, um damit verknüpfte Sicherheitsdiskurse etc. Der orthodoxe Neoliberalismus steht zu deutlich für eine Umverteilung von unten nach oben – der sozialdemokratische wird unglaubwürdig: an eine Verbindung von neoliberalen Reformen und ›Sozialverträglichkeit‹ glaubt kaum noch jemand. Die neoliberale Ideologie gerät in die Krise, verliert an Überzeugungskraft. Linker wie rechter Protest nehmen zu, allenfalls ein passiver Konsens wird mangels Alternativen aufrechterhalten. Der Neoliberalismus gerät in den Zentren wie in den Peripherien in eine Repräsentationskrise. Die Bearbeitung dieser Widersprüche führt auch zu Gegensätzen innerhalb des transnationalen Blocks an der Macht. Die Reaktion der Herrschenden: Einerseits eine autoritäre und aggressive Wendung nach außen via Militarisierung und Verschärfung von Sicherheitspolitiken nach innen. Anderseits die Beschleunigung der immer gleichen neoliberalen Reformen mit denen die letzten Bastionen des fordistischen Sozialstaates und renitenter Gruppen wie Gewerkschaften endlich geschliffen werden sollen.
Autoritärer Neoliberalismus – Produktion von Konsens durch Zwang?
Der hegemoniale Konsens wir nur mit den ›relevanten‹ gesellschaftlichen Gruppen gesucht, schließt andere aus. Je nach Breite der gesellschaftlichen Basis des geschichtlichen Blocks an der Macht wird mehr oder weniger Gewalt nötig, um marginalisierte oder widerständige Gruppen zu unterdrücken. Gramsci geht davon aus, dass vor allen in Zeiten des Kampfes um die Begründung und Konsolidierung einer neuen Hegemonie oder in Perioden ihrer Krise diktatorisch­
militärische Formen der Regierung notwendig werden – auch in den Zentren (Gef.7, 1550). In diesem Sinne könnte man also sagen, dass Zwang und Gewalt zur Produktion von Konsens eingesetzt werden. Zwangselemente werden stärker betont, Sicherheitsdispositive in den Vordergrund gerückt, Nationalismus und Standortkonkurrenz hervorgekehrt. Besonders sichtbar bei Asylgesetzgebung und Migrationsregime, Schengen­Abkommen, polizeilicher Aufrüstung und allgemeiner Ausdehnung der staatlichen und privaten Sicherheitsapparate, der Militarisierung von Außenpolitik bis hin zu Angriffskriegen; aber eben auch bei der Verschärfung von Zumutbarkeitskriterien und Zwang zu Niedriglohnarbeit, Abbau von Sozial­ und Arbeitsrechten, Leistungskürzungen, Haushaltszwängen, Entdemokratisierungstendenzen. Wohlgemerkt sind dies keineswegs Prozesse, die einfach von ›oben‹ kommen, sondern von großen Teilen der Bevölkerung in höchst widersprüchlicher Weise passiv und aktiv gestützt werden – etwa durch Ressentiments gegen Ausländer, Asylanten, Arbeitsfaule, Sozialschmarotzer. Foucault (1977, 61) betont, dass solche Maßnahmen von Menschen „selbst als notwendig“ empfunden werden, um die Probleme untereinander zu lösen. Heitmeyer u.a. (2002) gehen davon aus, dass 78% der deutschen Bevölkerung der Überzeugung sind, dass immer mehr Menschen an den Rand der Gesellschaft gedrückt werden, was unvermeidlich zu höheren Spannungen und Neid führe. Entsprechend – befürworten 88% eine härtere Bestrafung von Verbrechen und 80% ein schärferes Vorgehen gegen Ausländer und Unruhestifter. In gewissen Grenzen entspricht der Zwang dem „›spontanen‹ Konsenses der Massen“, die ihn „›leben‹ müssen, indem sie die eigenen Gewohnheiten, den eigenen Willen, die eigenen Überzeugungen in Übereinstimmung mit diesen Leitlinien und den Zielen verändern, die diese zu erreichen sich vornehmen“ (Gramsci, Gef.7, 1637). „Der Zwang ist ein solcher nur für den, der ihn nicht akzeptiert, nicht für den, der ihn akzeptiert.“ (1688).
Neoliberale Liberalisierung beschränkt sich nunmehr auf ökonomische Verhältnisse und geht Hand in Hand mit der Deliberalisierung anderer gesellschaftlicher Verhältnisse. Dieses Denken ist tief eingeschrieben in neoliberales aber auch klassisch liberales Verständnis: Die ökonomische Sphäre ist von ›rein‹ rationalen Interessen bestimmt und muss frei bleiben von jeglicher Form staatlicher Intervention und – theoretisch – von jeder Form von Gewalt. Aber der Staat muss ein Minimum an Sicherheitsstandards, an Eigentums­ und Vertragsrechten etc. gewährleisten, falls nötig auch mit Gewalt. Konsequenterweise ist die Freiheit auf die Sphäre der Marktverhältnisse beschränkt. Die Brutalität der Konkurrenz macht zugleich mehr soziale Kontrolle notwendig, um die desintegrativen Tendenzen zu begrenzen. Neoliberalismus und Autoritarimus bedingen sich gegenseitig. Der Moment des aktiven Konsens rückt in den Hintergrund. Der „staatliche Zwangsapparat, der ›legal‹ die Disziplin derjenigen Gruppen gewährleistet, die weder aktiv noch passiv ›zustimmen‹“, ist es, der „in der Voraussicht von Krisenmomenten vom Kommando und in der Führung, in denen der Konsens schwindet, eingerichtet ist“ (Gef. 7, 1502). Hegemonie reduziert sich dann auf die Aufrechterhaltung eines passiven Konsenses mangels alternativer politischer Projekte. Aber gerade die Anerkennung der Vorstellung, dass keine Alternativen zur jeweiligen Form der Vergesellschaftung existieren, ist einer der entscheidenden Momente von Hegemonie. Über die Ausgestaltung internationaler Beziehungen und das Gewicht von Zwang gegenüber dem Konsens entwickeln sich allerdings Widersprüche innerhalb des transnationalen Machtblocks.
Die USA zwischen transnationaler und nationaler Form
Im Zusammenhang mit dem Irak­Krieg ist immer wieder von wachsenden inner­
imperialistischen Widersprüchen und Konkurrenz zwischen den USA und Europa gesprochen worden. Hirsch (2002) spricht von einer nicht­hegemonialen Situation, Gill (2000) von einer post­hegemonialen. Lagerübergreifend wird der Unilateralismus der USA angeprangert, ein kooperativer Multilateralismus dagegen gesetzt. Eine solche Analyse greift zu kurz. Längst haben sich Formen transnationaler Staatlichkeit herausgebildet, insofern sie als Verhältnisse jenseits des nationalen Raumes zunehmend konstitutive Bedeutung für die Form des Nationalstaates selbst erlangen. Viele der gemeinhin Nationalstaaten zugeschriebenen Elemente von Souveränität obliegen inzwischen transnationalen Ebenen: von der Währungssouveränität, über die Rechtsetzung bis zum formalen Gewaltmonopol – dies geht weit über lose Formen der Kooperation zwischen Staaten hinaus. Es kommt jedoch immer wieder zu Widersprüchen zwischen transnationalen und nationalen staatlichen Formen. Schließlich repräsentiert jeder Staat als Teil des Transnationalen auch spezifisch nationale Verdichtungen von Kräfteverhältnissen und bildet eine mehr oder weniger konzentrierte Form ökonomischer, politischer und ideologischer Macht. Schwierige nationale Verhältnisse verleiten immer wieder dazu Positionen zu beziehen, die auf eine Stärkung der nationalen gegenüber gemeinsamen, transnationalen Formen der Souveränität zielen. Insbesondere die USA als dominierender Staat ›leiden‹ unter der Macht des Transnationalen und versuchen immer wieder, eine ihrer vermeintlichen oder realen ökonomischen und politischen Stärke angemessene nationale Souveränität zurückzugewinnen. Indem sie internationale Abkommen wie das Kyoto­Protokoll oder den internationalen Gerichtshof blockieren, können sie diese zwar nicht verhindern, ihre Wirkungskraft aber hemmen. Die USA sind selbst dennoch immer wieder auf die internationale Ebene, etwa die UN, zur Legitimierung ihrer Aktivitäten angewiesen, auch wenn sie innerhalb dieser Institutionen natürlich eine besondere Stellung genießen und in konkreten, zugespitzten Situationen sich über sie hinwegsetzen. Noch deutlicher wird die Bedeutung der internationaler Institutionen für die USA am Beispiel der WTO – US­
Konzerne sind längst transnational so verflochten, dass sie auf einheitliche Regelungen der Märkte angewiesen sind (empirisch dazu Harris 2004 und 2003, Lüthje 2001, Castells 2001). Wenn die USA auch als dominante Macht gelten dürfen, insbesondere in Bezug auf ihr Monopol des Weltgeldes und ihrer militärischen Stärke, ist die „sozioökonomische Struktur“ transnational schon so vereinheitlicht und verflochten, dass „dieses Monopol nicht als Hegemoniebasis dienen kann“ – es kann in Form eines „finanziell­
ökonomischen ›Imperialismus‹“ ausgespielt werden, aber nicht im Sinne umfassender Hegemonie (Gramsci, Gef.7, 1592). Die Hegemoniefunktion ist transnational konzentriert.
Im geoökonomischen Wettbewerb setzen Kapital und Staaten seit Mitte der 1980er Jahre auf Strategien der regionalen Blockbildung. Die Dynamik der Verflechtung zwischen den Triadezentren arbeitet jedoch der Verschärfung innerimperialistischer Widersprüche entgegen. Immer wieder kommt es zwar zu Konflikten innerhalb des Machtblocks. Immer deutlicher wurde aber auch die Verdichtung neuer Machtverhältnisse auf transnationaler Ebene und umso stärker wandten sich US­Regierungen gegen diesen partiellen Machtverlust (auch unter Clinton). Wollen sie aber die global zu erweiternde neoliberale Ordnung erhalten, sind sie zu Kompromissen gezwungen nicht nur auf diplomatisch­
militärischer Ebene, sondern auch in Fragen der Abstimmung von Wechselkursen, der internationalen Rechtssetzung bezüglich intellektuellen Eigentums, des globalen Freihandels, der Umwelt etc. Auch eine verschärfte Konkurrenz auf dem Weltmarkt führt also nicht zum „Weltwirtschaftskrieg“ (Luttwak 1994) oder „Währungskrieg“ (Altvater 2003) zwischen den Staaten des transnationalen Blocks. Aber dieser v.a. ökonomischen Multipolarität eines transnationalen „Empires“ steht die „militärische Unipolarität“ des US­Imperiums gegenüber. So setzt sich eine konfrontative „diplomatie armée“ gegenüber einer kooperativen „Deklarationsdiplomatie“ der UNO durch (Link 1998, 159). Die Rede von wachsenden interimperialistischen Rivalitäten erweist sich als „Illusion“, da anders als zu Beginn des 20.Jh. der ökonomischen keine militärische Konkurrenz mehr entspricht, sondern eine militärische Hypermacht (Panitch 2004). Dem transnationalen Block an der Macht bleibt der Widerspruch zwischen Partikularismus und Universalismus, zwischen Nationalismus und Globalismus inhärent. Die Zuspitzung innerhalb des transnationalen Blocks an der Macht erfolgte in der Frage des Irak­Krieges.
Nach dem die neokonservativen Kräfte um George Bush Ende 2000 mit einem ›coup d’etat‹ der besonderen Art an die Macht gekommen waren (vgl. Galbraith 2001), bot der 11. September 2001 eine unerwartete Gelegenheit die alternierende aber überwiegend transnationalistische, multilaterale Orientierung der Clinton­Regierung zurückzudrängen. Die transnationale Produktionsweise hat, wie Marx im Manifest eindrücklich die Tendenz beschreibt, „zum großen Bedauern der Reaktionäre den nationalen Boden der Industrie unter den Füßen weggezogen. […] An die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander” (MEW 4, 466). Für die Neokonservativen werden damit die traditionellen amerikanischen Ideen und Werte einem moralisch zersetzenden kosmopolitischen Relativismus ausgesetzt. Der politische Multilateralismus und die Aufwertung und Schaffung internationaler Organisationen unterminierten die aus dieser Sicht unverzichtbare Fähigkeit des US­amerikanischen Staates unabhängig zu Handeln. Zwar hätte der Transnationalismus die Entwicklung zu freien Marktwirtschaft in der Welt befördert, aber nicht für ihr Funktionieren gesorgt, stattdessen Instabilitäten und Krisen ausgelöst. Dagegen gelte es an strategischen Orten, die noch nicht reif dafür sind, nicht über entwickelte Eigentumsrechte und Institutionen verfügen, darum, diese Räume über militärische Intervention direkt zu kontrollieren.
In allen kapitalistischen Ländern werden die jeweils herrschenden Machtblöcke von Gegensätzen zwischen „Kräften der Transnationalisierung [...] und eher nationalistischen oder protektionistischen Kräften“ (Gill 1993a, 256, vgl. Harris 2004b) durchzogen. Letztere gerieten in den vergangenen 30 Jahren (je nach politischer Konjunktur) immer stärker in die Defensive. Mit dem 11. September rückten eine neorealistische, hobbsche Sicht einer „anarchischen Weltordnung“, globale Gewaltverhältnisse und die Bedrohung der US­amerikanischen Nation wieder in den Vordergrund. Bush verknüpfte in Folge den Anspruch auf Gestaltung der globalen Ordnung mit der Verfolgung national(istisch)er Interessen – an sich tat dies auch die Clinton­Regierung, aber nicht in dieser Konsequenz: aus dem hegemonialen wird ein imperialer Internationalismus (Rilling 2004, 981). Die Verhältnisse innerhalb des Blocks an der Macht wurden verschoben, in dem es gelang die Interessen konservativer Eliten und der Superreichen, des militärisch­industriellen Komplexes, neokonservativer Ideologen, fundamentalistisch christlicher Bewegungen und verunsicherter konservativer Bevölkerungsgruppen am unteren Ende der Einkommensskala in einem politischen Programm miteinander zu verknüpfen. Im Patriot Act werden exemplarisch intro­ und extrovertierte Perspektiven verschmolzen: Der nach dem Ende der Systemkonkurrenz abhanden gekommene äußere Feind wird durch das Bild eines politischen Islam rekonstruiert und durch Werke wie Huntigtons ›Zusammenprall der Kulturen‹ ideologisch unterfüttert. Im Inneren der USA korrespondiert diese äußere Bedrohung mit subtilen Ängsten innerer Zersetzung der Nation durch misslungene rassisch­kulturelle Integration, Multikulturalismus und sich verschärfende soziale Gegensätze. Die Republikaner griffen dies in einer polarisierenden politische Kampagne auf, die Angst vor Terrorismus mit Ängsten und Ressentiments moralischen Verfalls kombinierte – die Kampagne traf auf weite „landscapes of fear“ des amerikanischen Alltags (Rilling 2004, 978). Mit Anti­Feminismus, Homophobie, Anti­Islamismus und Polemiken gegen das liberale Ostküsten­Establishment, das sich von den Sorgen der einfachen Amerikanern weiter denn je entfernt habe, gelingt es den Neokonservativen ihr Wählerreservoir nicht nur in den christlichen Gürteln des Mittleren Westen anzusprechen, sondern auch in die Zonen aufstrebender migrantischer Bevölkerungsgruppen (Lations und Asiaten), vom Abstieg bedrohter weißer Arbeitermilieus und auch der Schwarzen einzudringen – die klassischen ›Minderheiten‹ auf die sich die Demokratische Partei früher zu verlassen pflegte. Ergebnis ist ein heterogenes, aber breites gesellschaftliches Bündnis, das sozioökonomische in kulturelle Gegensätze transformiert: Neoliberalismus für die Elite und religiös aufgeladene kulturelle Wertediskurse fürs Volk, zusammengebunden durch übersteigerten Patriotismus. Die Anrufung des Nationalen reartikuliert die chaotischen gesellschaftlichen Veränderungen in einer reduktionistischen Weise, eine essentialistische Identität und eine Art illusorischer ›Selbstkohärenz‹ produzierend. Erneut gilt, was Adorno (1959, 565) einst schrieb: „In gegenwärtigen Zeiten ist der Nationalismus der einzige länger etablierte und psychologisch so besetzte Begriff […], der über ausreichend Überzeugungskraft verfügt, um Hunderte von Millionen von Menschen von Dingen zu überzeugen, die sie nicht direkt als die ihren ansehen können.” Der Nationalismus bildet nicht nur eine Form die den Konsens zwischen Regierenden und Regierten befördert, sondern auch Gewalt als Mittel zu seiner Durchsetzung befördert und legitimiert. Seine Artikulation mit einem universalistischen Diskurs der Verteidigung der Zivilisation verallgemeinert das nationale Interesse imaginativ in die Transnationalisierung gesellschaftlicher Verhältnisse. Was den neokonservativen US­amerikanischen Block an der Macht eben in Konflikt mit dem transnationalen Machtblock bringt, dessen Teil er ist. Widersprüche im transnationalen Machtblock
Die Verdichtung von Widersprüchen in einer globalen Repräsentationskrise führt Poulantzas zufolge zur Akzentuierung von Konflikten. Keine der Fraktionen des transnationalen Blocks ist in der Lage, die anderen Gruppen des Machtblocks unter ihre Führung zu bringen, was „zur charakteristischen Inkohärenz“ der gegenwärtigen Politik, zum Fehlen einer deutlichen und langfristigen Strategie, zur kurzsichtigen Führung und auch zum Mangel an einem globalen politisch­ideologischen Projekt oder einer ›Gesellschaftsvision‹ führt (Poulantzas 1978, 226f). Hinzu kommt das ungeschickte, kurzsichtige und brutale Agieren der Bush­Regierung. Es gilt Gramsci zufolge „die militärische Fähigkeit mit der politischen [zu] verbinden“. Aber die Einbildung, ein abstrakt militärisches Werkzeug zu besitzen, das Politik und Überzeugung ersetzt, führt in den Ruin – es ist „das politische Moment, welches das militärische überwiegen muss“ (Gef.8, 1984), andernfalls gewinnt man alle Schlachten, verliert aber den Krieg. Bush verspielt mit seinem einseitig bestimmten US­Interessen verpflichtetem Vorgehen die Möglichkeit der Gewalt der Globalisierung eine politisch­ideologische Richtung zu geben, die einen transnationalen (neoliberalen) Konsens stiften könnte. Zu offensichtlich wird die Menschenrechtsrhetorik dem politischen und ökonomischen Herrschaftsanspruch der USA untergeordnet, zu deutlich werden den potentiellen Verbündeten Möglichkeiten zur eigenen Akzentsetzung verwehrt. Harris sieht die Invasion des Irak entsprechend als Aktion einer Minderheitenfraktion der herrschenden Klassen (Harris 2004a). Allerdings wäre es verfrüht dadurch bereits von einer posthegemonialen Situation zu sprechen. Der Kern des hegemonialen Konsenses, dass die Form neoliberaler Vergesellschaftung – oder nennen wir es der ›freien Marktwirtschaft und Demokratie‹ – auch mit Waffengewalt verteidigt werden müsse, besteht fort. Auch dass die USA dabei die entscheidende unverzichtbare Rolle der Ausübung des Gewaltmonopols einnehmen, ist unbestritten. Umstritten ist nur, in wie weit sich der Hegemon in die hegemonialen Strukturen des globalen Bündnisses unter den Auspizien der UN zu begeben habe. Was nur verdeutlicht, dass die neoliberale Hegemonie keine US­amerikanische ist – sie ist transnational oder gar nicht. Doch eben dieses uneingeschränkte Potential des inoffiziellen Gewaltmonopolisten, die militärische Übermacht unterhöhlt „das Streben nach globaler Übereinkunft“ – „das Quasi­Monopol zehrt am Multilateralismus“ (W.F.Haug 2003, 11). Die Stärke der Vormacht USA wird zur Schwäche der Hegemonialmacht USA. Hegemonialmacht „ist der Staat, dem es – nachdem er in ein System von Bündnissen für einen Krieg eingetreten ist – im Augenblick des Friedens gelungen ist, ein solches Kräfteverhältnis mit den verbündeten zu bewahren, dass er in der Lage ist, die bei Beginn des Feldzuges eingegangenen Abkommen und Versprechungen einzuhalten“ (Gramsci, Gef.7, 1601) und für den Fall weiterer Kriege das Potential des Bündnisses erneut zu mobilisieren. Weder ist den USA gelungen die Anti­Terror­Koalition aufrecht zu erhalten, noch hielten sie sich an die Konsensbildungsmechanismen und die formale Rechtmäßigkeit der UN. Mit ihrer Politik erschweren sie gemeinsame Positionen der ›Staatengemeinschaft‹ oder auch nur der G7 und G8 und treiben weitere Keile in die globale Spaltung gegenüber den Ländern des ›Südens‹.
Die neue US­Militärdoktrin verkündet „die Verbreitung von Freiheit, von Hoffnung, Demokratie, Entwicklung, freier Märkte und freien Handels bis in jeden Winkel dieser Erde“. Sie hebt dabei jede „Unterscheidung zwischen Innen­ und Außenpolitik“ auf (so Condoleeza Rice) – dieser imperiale Globalismus duldet kein Außen mehr. Angesichts eines aufgrund innerer Differenzen blockierten transnationalen Machtblocks wird die imperiale Politik der USA zur Bearbeitungsform der Widersprüche neoliberaler Globalisierung. Zwei Projekte, die sich in ihrer Logik widersprechen, letztlich nicht miteinander vereinbar sind – aber auch nicht müssen: der US­Imperialismus zielt auf die Wiederherstellung neoliberaler Ordnung, schon weil die USA gar nicht in der Lage wären ein globales Imperium zu unterhalten. Dies zeigt sich nicht nur im Irak. Bush jr. hatte eine klare Vorstellung vom Einsatz des Militärs: „Ich wäre sehr vorsichtig dabei, unsere Truppen für die Bildung von Nationen einzusetzen. Ich glaube, die Rolle des Militärs ist es zu kämpfen und Kriege zu gewinnen.“ (zit.n. Harris 2004) Die Realität sieht bekanntlich anders aus. Wenn erst einmal im Krieg technische und soziale Infrastruktur, aber auch das ganze gesellschaftliche Gewebe von Beziehungen zerstört worden ist, bleibt gar nichts anderes, als die Bildung von Protektoraten (Altvater 1992, 215). US­Militärs ahnen, wie schwierig der Weg einer Transformation der sog. „failed states“ (Madeleine Albright) zu funktionierenden Demokratien ist, ob im Irak oder Afghanistan. Die Problematik des „nation building“ zeigt, dass trotz Globalisierung Nationalstaaten von besonderer Bedeutung für die Reproduktion von Gesellschaften sind. Dies übersteigt die Fähigkeiten des vermeintlich neuen „US­Imperiums“. Die befreiten Iraker wollen ihre schöne Demokratie nicht. Was kein Anlass zur Freude sein sollte. Weder ist es hilfreich sich wie Arundati Roy oder Walden Bello auf die Seite des irakischen Widerstands zu stellen, eines in weiten Teilen höchst reaktionären, radikal­islamitischen Widerstandes. Noch ist eine Fortführung des US­Engagements und damit andauernder kriegerischer Auseinandersetzungen wünschenswert. Doch auch naiv pazifistisch den sofortigen Abzug der US­Truppen zu fordern ist kaum sinnvoll – das Ergebnis wäre wohl ein Machtvakuum und ein offener Bürgerkrieg zwischen den unterschiedlichen, keineswegs die Interessen der Bevölkerung vertretenden ethnisierten und religiös­verhüllten Machtgruppen. Diese Komplexität der Verhältnisse gilt es wahrzunehmen, um dem Nachdenken über reale Alternativen überhaupt wieder Luft zu verschaffen.
Derweilen droht den USA die „imperiale Überdehnung“ (Kennedy). Die „politisch­
militärische Kraft“ (Gramsci, Gef.3, 497) der unterdrückten Gruppen erweißt sich nicht in der direkten militärischen Konfrontation. Die globale Guerilla­Strategie radikal islamischer (und anderer) Gruppen zwingt die militärische Übermacht „sich über ein großes Territorium zu zerstreuen“. Die Errichtung von Militärbasen überall auf der Welt, mehr noch die Sicherung von Protektoraten, bindet dauerhaft immer größere militärische und finanzielle Ressourcen, überfordert selbst die US­Kriegsmaschinerie, weshalb mehr und mehr private Unternehmen militärische Aufgaben übernehmen – was auch nicht billiger ist. Zum anderen ist auch nach Jahren die „Nationenbildung“ sowohl in Bosnien, im Kosovo, in Timor wie in Afghanistan nur teilweise voran gekommen, weder im Irak noch in Palestina sind Ansätze zur Stabilisierung zu erkennen. In allen Ländern kommt es wieder und wieder zu gewaltsamen Zusammenstößen verfeindeter Gruppen. Aus diesen Gründen greifen die USA nach einem ›erfolgreich‹ geführten Krieg immer wieder auf multilaterale Nachsorge zurück, nicht zuletzt unter UN­Leitung. Die Neokonservativen in den USA wünschen sich eine neue Form internationaler Arbeitsteilung: Ganz im Sinne Hardt und Negris sind die amerikanischen Truppen für weltweite ›Polizeieinsätze‹ innerhalb der transnationalen Empire zuständig – was nicht darüber hinweg täuschen sollte, dass es sich bei diesen Einsätzen um imperiale Kriege handelt –, während Europa (die EU) die mühsame Kleinarbeit des ›nation building‹ und humanitäre Versorgung betreibt. Auch Egon Bahr kann sich damit anfreunden, vermag sich doch Europa in dieser Position als Friedensmacht zu profilieren, denn die „europäischen Streitkräfte wären damit letztlich Träger der europäischen Idee, Konflikte durch Vernunft und Verträge zu lösen” (Bahr 2003, 130, vgl. Wissel 2004). Schon deshalb sind die USA auf eine kooperative Strategie innerhalb des transnationalen Blocks angewiesen. Wobei die sog. Friedensmacht Europa nicht nur in der Vergangenheit vermehrt militärische Mittel (in Kooperation mit den USA) einsetzte um ihr Ziel zu erreichen – zu denken ist vor allem an die Jugoslawien­Kriege – sondern auch in Zukunft weitere Rüstungsanstrengungen und den Umbau des Militärs zu einer weltweiten Kriseninterventionsarmee in der neuen EU­
Verfassung konstitutionell festschreiben wird. Friedensbewegungen können sich also nicht auf jene Regierungen verlassen, die diesen Krieg verhindern wollten.
Der Widerstand einiger v.a. europäischer Ländern wendet sich nicht gegen eine vermeintliche Hegemonie der USA, sondern gegen einen neokonservativen Hegemonismus, der die Führung des gemeinsamen Blocks durch Überzeugung zugunsten der herrschaftlichen Durchsetzung eigener Interessen zurückstellt. Die entscheidende Frage wird sein: „Wird die einzige potentielle Führungsmacht, der auch die erforderliche Zwangsgewalt zur Verfügung steht,“ sich von den europäischen Mittelmächten, „die von ihr geführt werden wollen, ›zwingen‹ lassen, im Verhältnis zu ihnen die Führung übers Kommando zu stellen?“ (Haug 2003, 19). Dies scheint im Moment fraglich. Allerdings ist zu erwarten, dass diese Interessenkonflikte auf Dauer „weniger wichtig“ sind als die Tatsache, dass beide Fraktionen ein übergeordnetes Interesse an der Aufrechterhaltung und weiteren Durchsetzung neoliberaler Ordnung haben. Die Schwierigkeiten im Irak lassen erwarten, dass nun die zweite Bush­Regierung vor weiteren (großen) militärischen Einsätzen zurückschrecken und dagegen NATO und Europäer stärker in die Befriedung des Iraks einzubinden versuchen wird. Gleichzeitig sind die USA gezwungen ihre Illusion schneller militärischer Siege (bomb­don’t build) zugunsten ernsthafterer Anstrengungen beim ›nation building‹ fallen zu lassen (schon weil die Europäer nicht mehr so leicht zu überzeugen sind, wie beim letzten Irak­Krieg zu Beginn der 1990er Jahre). Der Riss in der Apparatur des transnationalen Blocks an der Macht ist noch kein Bruch. Trotz tiefer Risse im globalen Raum: Die transnationale Machtstruktur des Neoliberalismus wird auch in Zukunft für periphere Länder herausragende Bedeutung entfalten, selbst für Länder wie China oder Russland. Sofern es sich um freiwillige Kooperation handelt kann von Formen der „pooled sovereignity“ (Shaw 2000, 185) gesprochen werden, etwa bei Aufnahme Chinas und später Russlands in die WTO. Hingegen haben Länder des Trikonts gar nicht die Wahl: nach dem Ende des Ost­West­
Konflikts können sie die beiden Seiten nicht länger gegeneinander ausspielen, es bleibt nur die Alternative: Integration in den westlichen dominierten Block oder Ausschluss. Gleichzeitig werden Eliten und Bevölkerungen dieser Länder vom Reichtum, demokratischen Ideen und der „protective power“ des Westens angezogen (253f). Insbesondere sich von anderen Groß­ und Mittelmächten bedroht fühlende Staaten schlüpfen unter die gerüsteten Flügel des transnationalen Staates bzw. der USA. Selbst sogenannte ›Schurkenstaaten‹ wie Libyen, Syrien, Serbien oder der Iran müssen sich der Legitimität des transnationalen Machtblocks in Form von UN­ oder anderen internationalen Beschlüssen beugen, oder werden militärisch dazu gezwungen. Letztlich ist die autoritative Macht des transnationalen Blocks unter Führung des Westens geringer als die imperialer Mächte vergangener Perioden. Die Reichweite, räumlich wie in Bezug auf die eingeschlossene Bevölkerung, ist jedoch deutlich erweitert. Es bleibt offen, ob das neokonservative Projekt, autoritärer Zwang und Gewalt als Bearbeitungsformen von Widersprüchen neoliberaler Globalisierung wirksam sein werden, um Widerstände zu unterdrücken und einen zumindest passiven globalen Konsenses aufrecht erhalten können. Oder ob Krisen und Widerstände sich reaktionäre gewaltsame Lösungsformen suchen. Oder ob es gelingt ein in Ansätzen sich entwickelndes anti­ oder gegen­hegemoniales ›post­neoliberales‹ Projekt zu formulieren.
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