2 Theoretische Grundlagen Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Projektrisikomanagement im Mittelstand setzt ein einheitliches Begriffsverständnis voraus. Daher werden im Folgenden die Begriffe Projekt, Projektmanagement, Projektrisikomanagement und Mittelstand grundlegend erläutert. 2.1 Projekt und Projektmanagement In der Literatur finden sich vielfältige Projektdefinitionen, weshalb der Projektbegriff im Folgenden anhand seiner konstitutiven Merkmale beschrieben wird.1 Darauf aufbauend werden die Projektziele abgeleitet, die den für das Risikomanagement relevanten Projekterfolg bestimmen. Da das Projektrisikomanagement im vorliegenden Buch als Teildisziplin des Projektmanagements verstanden wird, werden die Ziele und Aufgaben des Projektmanagements erläutert und dessen Ablauf anhand eines Regelkreises dargestellt. Nach Wild (1982, S. 32 ff.) wird Management im vorliegenden Buch als zielorientierte Gestaltung und Steuerung sozialer Systeme verstanden. Aus prozessualer Sicht kann Management dabei als kybernetischer Regelkreis beschrieben werden. 1 Ausgewählte Projektdefinitionen bei Martino 1964, S. 17; Burghardt 2006, S. 21; PMI 2008, S. 5; Enz 2008, S. 36. © Springer Fachmedien Wiesbaden 2015 W. Becker et al., Projektrisikomanagement im Mittelstand, Management und Controlling im Mittelstand, DOI 10.1007/978-3-658-05316-1_2 5 6 2 Theoretische Grundlagen 2.1.1 Projektbegriff STÖGER beschreibt das Arbeiten in Projekten als Arbeiten ohne Routinen und vorgegebene Strukturen, dafür aber mit Ergebnis- und Zeitrestriktionen (vgl. Stöger 2011, S. 176). Unter den vielfältigen Projektdefinitionen in Theorie und Praxis strukturiert die deutsche Norm DIN 69901 den Projektbegriff sehr präzise. Sie definiert ein Projekt als Vorhaben, das im Wesentlichen durch die Einmaligkeit der Bedingungen in ihrer Gesamtheit gekennzeichnet ist. Dies betrifft beispielsweise Zielvorgaben sowie zeitliche, finanzielle, personelle oder andere Begrenzungen bzw. die projektspezifische Organisation (vgl. Deutsches Institut für Normung e. V. 2009). Darauf aufbauend lassen sich vier konstitutive Merkmale von Projekten unterscheiden: konkrete Zielvorgaben, zeitliche und ressourcenmäßige Begrenzung, Einmaligkeit der Inhalte und Rahmenbedingungen sowie eine projektspezifische Organisation (Becker und Hofmann 2010, S. 558; ähnliche Sichtweise bei Enz 2008, S. 35 f.; Romeike und Hager 2009, S. 405 und Hartel 2009, S. 49). Projekte sind somit durch ein definiertes Zielsystem, einen festgelegten Anfangsund Endzeitpunkt, ein beschränktes Budget sowie eine begrenzte Anzahl von Mitarbeitern charakterisiert. Durch das Kriterium der Einmaligkeit unterscheiden sich Projekte von Routineaufgaben, deren Inhalte und Rahmenbedingungen meist nahezu unverändert bleiben. Diese Abgrenzung drückt sich auch in der Bildung einer projektspezifischen Organisation aus, in der Experten aus unterschiedlichen Fachbereichen projektbezogen zusammenarbeiten. Die Projektorganisation ist zudem zeitlich befristet und dient der Entlastung der dauerhaft angelegten Primärorganisation des Unternehmens (vgl. Hungenberg und Wulf 2007, S. 239). Projekte können in allen unternehmerischen Funktionsbereichen durchgeführt werden, externe oder interne Auftraggeber haben und unterschiedliche Sachziele verfolgen.2 Die vielfältigen Projektvorhaben unterscheiden sich dabei hinsichtlich ihrer Dauer und ihrem personellen und finanziellen Umfang (vgl. Burghardt 2006, S. 22). Sie variieren zudem hinsichtlich ihres Unsicherheitsgrades, was sich bei Entwicklungsprojekten zur Generierung marktfähiger Produkte beispielsweise an der in Abb. 2.1 dargestellten Produkt-Markt-Matrix von Ansoff aufzeigen lässt. 2 Hartel 2009, S. 50 unterscheidet Projekte nach dem Funktionsbereich in Einkaufs-, IT-, Innovations- und Vertriebsprojekte, Enz 2008, S. 70 nach dem Sachziel in Forschungs-, Entwicklungs-, Organisations- und Investitionsprojekte und Schelle et al. 2008, S. 35 f. nach dem Auftraggeber in interne und externe Projekte. 7 2.1 Projekt und Projektmanagement 'LYHUVLILNDWLRQ *HJHQZlUWLJ 1HX 0DUNW HQWZLFNOXQJ 0b5.7( Abb. 2.1 Unterschiedlicher Unsicherheitsgrad in Projekten mit Marktbezug, dargestellt anhand der Produkt-Markt-Matrix von Ansoff (in Anlehnung an: Ansoff 1957, S. 114) VWHLJHQGH 8QVLFKHUKHLW 0DUNW SHQHWUDWLRQ 3URGXNW HQWZLFNOXQJ *HJHQZlUWLJ 1HX 352'8.7( 2.1.2 Projektziele und Projekterfolg Die Vorstellungen der Projekt-Stakeholder über den Erfolg eines Projektes sind vielfältig, meist subjektiv geprägt und können sich gegenseitig ausschließen. Nach ISO 10006 sind Projekt-Stakeholder alle Personen, die ein Interesse am Projekt haben oder vom Projekt in irgendeiner Weise betroffen sind. Vgl. Deutsches Institut für Normung e. V. 2004. Daher wird am Projektende der Projekterfolg am Zielerreichungsgrad der zu Beginn für alle Stakeholder verbindlich festgeschriebenen Projektziele gemessen (vgl. Völl 2010, S. 40 f.). Projektziele werden aufgrund unvollkommener Informationen über die Zukunft im Rahmen einer Prognose ermittelt. Hierbei werden vergangenheits- und gegenwartsbezogene Erfahrungen in zukunftsbezogenen Hypothesen transformiert und dabei unsichere Annahmen bezüglich der zukünftigen Ausprägung von Erfolgsfaktoren getroffen.3 Ein Projektziel als vorweggenommener, angestrebter Endzustand gibt dabei die strategische Richtung des Projektes vor und muss bei allen Entscheidungen im Projektverlauf berücksichtigt werden. Um diese Funktion zu erfüllen, müssen Projektziele spezifisch, messbar, aktiv be3 Nähere Ausführungen zur Funktionsweise von Prognosen bei Becker 2009, S. 62 ff. 8 2 Theoretische Grundlagen einflussbar, realistisch und terminiert sein (vgl. Hartel 2009, S. 51; Stöger 2011, S. 63; Neubarth 2011, S. 134). Ein Projektziel setzt sich aus den konkurrierenden Zielgrößen Zeit, Kosten und Leistung zusammen, die auch als magisches Dreieck bezeichnet werden. Ein konkretes Projektziel besteht somit aus einem definierten Leistungsumfang, der in einer vorgegebenen Zeit mit einem festgelegten Budget zu erbringen ist. Die Beeinflussung einer der Zielgrößen hat immer eine Auswirkung auf mindestens eine der beiden anderen, so dass eine isolierte Steuerung der Projektzielgrößen nicht möglich ist (vgl. Becker und Hofmann 2010, S. 562; Völl 2010, S. 346). 2.1.3 Ziele und Aufgaben des Projektmanagements Die konkurrierenden Zielgrößen Zeit, Kosten und Leistung vor Projektbeginn und im Projektverlauf gegeneinander abzuwägen und das Projekt im Hinblick auf den Projekterfolg zu steuern, sind Aufgaben des Projektmanagements. Allgemein ist das Projektmanagement für die leistungsorientierte Gestaltung, die prozessbezogene Lenkung sowie das Controlling von Projekten zuständig (vgl. Becker et al. 2006, S. 141 f.). In Anlehnung an die Controlling-Konzeption von Becker (1999, S. 2 ff.) wird Controlling hier als integrierte Aufgabe des Projektmanagements verstanden. Originäre Zwecksetzung des Controllings ist die Optimierung der Projektperformance während der gesamten Projektlaufzeit. Hieraus lassen sich die primären Aufgaben des Projektmanagements ableiten, die aus der Projektdefinition, -planung, -kontrolle und -steuerung sowie dem -abschluss bestehen (vgl. Enz 2008, S. 39).4 Diese Aufgaben lassen sich in ihrem Zusammenwirken als Regelkreis darstellen und werden in Abschn. 2.1.4 näher erläutert. Das Project Management Institute (PMI) definiert Projektmanagement als Anwendung von Wissen, Fertigkeiten, Werkzeugen und Methoden auf Projektvorgänge, um die Projektanforderungen zu erfüllen (vgl. PMI 2008, S. 6). Diese Definition verdeutlicht, dass Projektmanagement eine Methode zur effizienten Projektrealisierung ist, während die operative Projektdurchführung selbst nicht zum Projektmanagement zählt (vgl. Burghardt 2006, S. 14; Enz 2008, S. 39). 4 Die von Enz genannte „Projektüberwachung“ wird hier gemäß Burghardt 2006, S. 17 f. als „Projektkontrolle“ bezeichnet. 2.1 Projekt und Projektmanagement 9 Auf Grundlage der Systemtheorie5 stellen Projekte offene Systeme dar, die aus vielfältigen Systemkomponenten und deren Beziehungen bestehen und mit ihrer Umwelt interagieren. Da sich Projekte im Zeitverlauf dynamisch entwickeln und sich die Beziehungen und Einflussfaktoren im Projektverlauf verändern können, sind Projekte als komplexe6 Beziehungsgeflechte in einer dynamischen Umwelt zu verstehen (vgl. Gareis 2006, S. 301; Völl 2010, S. 190, 339). Die daraus resultierende Unsicherheit erschwert das Erreichen der Projektziele. Daher zählt auch das Management der Projektkomplexität und der Projektdynamik zu den Aufgaben des Projektmanagements (vgl. Gareis 2006, S. 165 f.). Um die Komplexität eines Projektes zu reduzieren unterteilt das Projektmanagement ein Projekt anhand des Projektlebenszyklus in abgegrenzte und überschaubare Projektphasen. Jede Phase endet mit einem Meilenstein, der als ein mit dem Projektziel abgestimmtes Zwischenziel anzusehen ist. Durch dieses Vorgehen können die einzelnen Projektphasen systematisch im Hinblick auf den Projekterfolg gesteuert werden. Zudem ermöglicht ein solches phasenorientiertes Projektmanagement die Darstellung der Unsicherheiten im Projekt. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass der Grad der Unsicherheit zu Projektbeginn am höchsten ist und im Projektverlauf abnimmt. Daher empfiehlt es sich, Projektinhalte und -anforderungen im Sinne einer rollierenden Planung zunächst grob und erst im Projektverlauf detailliert zu planen (vgl. Patzak und Rattay 2004, S. 160 f.; PMI 2008, S. 15 ff.). Der Erfolg des Projektmanagements im Unternehmen hängt von unterschiedlichen Faktoren ab, die sich nach KRONES den folgenden vier Erfolgsfaktoren zuordnen lassen: die Fähigkeiten der Mitarbeiter, die technische Infrastruktur, die Organisations- bzw. Projektstruktur und die Unternehmens- bzw. Projektmanagementkultur (vgl. Krones 2011, S. 80). 2.1.4 Projektmanagement-Regelkreis Betrachtet man Projektmanagement als Führungsprozess, lassen sich die in Abschn. 2.1.3 genannten Aufgaben des Projektmanagements als Phasen eines Managementzyklus beschreiben, der auf alle Phasen des Projektlebenszyklus durch 5 Als Begründer und führender Vertreter der systemorientierten Managementlehre im deutschsprachigen Raum gilt Ulrich 1968, S. 1 ff. 6 Komplexität wird hier gemäß Becker et al. 2011, S. 132 als zunehmende Differenziertheit und zunehmende Dynamik verstanden. 10 2 Theoretische Grundlagen 62// bQGHUXQJHQ $EZHLFKXQJHQ 3URMHNWNRQWUROOH 3URMHNWSODQXQJ 0HQJHQ JHUVW 62// 6ROO,VW9HUJOHLFK 3URMHNWVWHXHUXQJ ,67 0HVVGDWHQ 0DQDKPHQ 3URMHNWGHILQLWLRQ 3URMHNWGXUFKIKUXQJ 3URMHNWDEVFKOXVV Abb. 2.2 Projektmanagement-Regelkreis nach Burghardt (in Anlehnung an: Burghardt 2006, S. 20) kybernetische Steuerungs- und Regelungseingriffe wirkt und wie in Abb. 2.2 als Regelkreis dargestellt werden kann.7 Im Rahmen der Projektdefinition werden die Sach- und Formalziele des Projektes erarbeitet, das Projekt grob in Phasen und Meilensteine unterteilt, Verantwortlichkeiten festgelegt, die Projektorganisation ausgewählt und das Projekt offiziell genehmigt. Darauf aufbauend gliedert die Projektplanung die einzelnen Projektphasen in Arbeitspakete und erstellt einen Projektstrukturplan, auf Basis dessen die Kosten, Termine und Ressourcen des Projektes detailliert geplant werden. Diese Planwerte geben als Führungsgrößen die Sollwerte für die Projektdurchführung vor. Im Rahmen der Projektkontrolle werden regelmäßig im Projektverlauf die Istwerte der Projektdurchführung abgefragt und mit den Zielvorgaben (Soll) verglichen. Bei Abweichungen werden durch die Projektsteuerung entweder korrigierende Maßnahmen initiiert oder die Planvorgaben der Projektplanung geändert. Abgeschlossen wird ein Projekt nach Erreichung der Projektziele oder – sofern die Wahrscheinlichkeit der Zielverfehlung das akzeptierte Maß übersteigt – nach vorzeitigem Projektabbruch. Im Rahmen des Projektabschlusses wird das Projekt abschließend analysiert, Erfahrungen im Sinne von „Lessons Learned“ gesichert und das Projekt offiziell beendet (vgl. Burghardt 2006, S. 15 ff.; Enz 2008, S. 39 ff.). Dieses systematische Vorgehen ermöglicht es, Zielabweichungen frühzeitig zu erkennen, so dass durch rechtzeitige korrigierende Maßnahmen die Projektziele eingehalten werden können, ohne dass Plankorrekturen vorgenommen werden müssen (vgl. Burghardt 2006, S. 19 f.). 7 Diese Sichtweise basiert auf dem Managementzyklus von Wild 1982, S. 36 f., der ebenfalls die Phasen Planung, Entscheidung, Durchsetzung und Kontrolle beinhaltet. 2.2 Projektrisikomanagement 11 Tab. 2.1 Definitionsansätze und ausgewählte Risikodefinitionen (vgl. Knight 1921, S. 233; Deutsches Institut für Normung e. V. 2002; PMI 2008, S. 438; Romeike und Hager 2009, S. 108) Definitionsansatz Ausgewählte Risikodefinitionen Risiko in der Zur Unterscheidung der messbaren und der nicht messbaren Entscheidungstheorie Unsicherheit verwenden wir den Begriff „Risiko” zur Bezeichnung des Erstgenannten und den Begriff „Ungewissheit” für das Letztgenannte. Wir können Risiko bzw. Ungewissheit auch anhand der Begriffe „objektive“ und „subjektive“ Wahrscheinlichkeit bestimmen. Knight Risiko als Varianz Risiken sind die aus der Unvorhersehbarkeit der Zukunft resultierenden Möglichkeiten von geplanten Zielwerten abzuweichen. Risiken können daher auch als „Streuung“ um einen Zielwert betrachtet werden. Romeike/Hager Risiko als Kombination aus der Eintrittswahrscheinlichkeit eines bestimmErwartungswert ten Ereignisses und seinen Folgen für die Projektziele. DIN IEC 62198 Risiko als Chance Ein ungewisses Ereignis oder ein Zustand, der, falls er eintritt, eine positive oder negative Auswirkung auf die Projektziele hat. PMI 2.2 Projektrisikomanagement Der Begriff Projektrisiko wird in der Literatur unterschiedlich verwendet. Daher wird sich im Folgenden zunächst kritisch mit den unterschiedlichen Definitionsansätzen auseinandergesetzt und Projektrisiko im Sinne der vorliegenden Arbeit definiert. Darauf aufbauend werden die Ziele des Projektrisikomanagements abgeleitet und dessen Ablauf als Prozess dargestellt. 2.2.1 Projektrisiko Wie in Abschn. 2.1.1 dargestellt, können sich Projekte hinsichtlich ihres Unsicherheitsgrades erheblich unterscheiden. Aufgrund ihrer in Abschn. 2.1.3 erläuterten Komplexität und Dynamik ist ein gewisses Maß an Unsicherheit jedoch in jedem Projekt vorhanden. Das PMI stellt hierzu fest, dass Projektrisiken aus eben dieser Unsicherheit resultieren (vgl. PMI 2008, S. 275). In der Literatur wird der Risikobegriff dabei unterschiedlich verwendet. Die verschiedenen Risikodefinitionen lassen sich nach HUBBARD, wie in Tab. 2.1 dargestellt, unterschiedlichen Definitionsansätzen zuordnen (vgl. Hubbard 2009, S. 81 ff.). 12 2 Theoretische Grundlagen Dabei zeigt sich, dass alle genannten Definitionsansätze das Projektrisiko nur ungenügend beschreiben. So erweist sich die Sichtweise von KNIGHT, der in Risikosituationen vom Vorliegen objektiv messbarer Wahrscheinlichkeiten ausgeht, als nicht stichhaltig, da methodologisch letztlich jede Wahrscheinlichkeit subjektiv ist (vgl. Oehler und Unser 2002, S. 10 f.). Nachdem in der betrieblichen Praxis zumeist keine objektiven Wahrscheinlichkeiten vorliegen und auch subjektive Wahrscheinlichkeiten durch mathematisch-stochastische Methoden quantifizierbar sind, erscheint die Risikodefinition von KNIGHT nicht zielführend (vgl. Laux 2005, S. 126 ff.). Darüber hinaus vernachlässigt sie, wie auch die übrigen Definitionsansätze, die Tatsache, dass sich der Risikobegriff in den Wirtschaftswissenschaften ausschließlich auf negative Auswirkungen beschränkt (vgl. Enz 2008, S. 24). Risiken stellen demnach keinen positiven, anzustrebenden Zustand dar und sind nicht zu maximieren. Die Definition des Risikos als Varianz ist zudem irreführend, da auch eine geringe Streuung risikoreich sein kann, sofern der mögliche Verlust groß ist (vgl. Hubbard 2009, S. 85). Daher ist nicht die Größe der Varianz, sondern die Möglichkeit und Höhe des Verlustes ausschlaggebend für das Risiko. Jedoch erweist sich auch die Definition des Risikos als Erwartungswert als problematisch, da eine Multiplikation von Eintrittswahrscheinlichkeit und Risikoausmaß unterstellt, dass die Entscheidungsträger risikoneutral sind (vgl. Hagenloch 2009, S. 56 f.). Hierauf erwiderte bereits MARKOWITZ in seiner Portfoliotheorie, dass wirtschaftliche Entscheidungen nicht nur auf der Grundlage einer risikoneutralen Rendite, sondern auch aufgrund der subjektiven Risikobereitschaft der Entscheidungsträger getroffen werden (vgl. Markowitz 1952, S. 77 ff.). Risikoneutralität ist daher in realen Entscheidungssituationen abzulehnen. Da die genannten Definitionsansätze Risiken nur unzureichend beschreiben, wird in der vorliegenden Arbeit Risiko, gemäß HUBBARD, als Wahrscheinlichkeit und Ausmaß eines Verlustes, eines Unglücks oder eines ungewollten Ereignisses verstanden, wobei beide Risikodimensionen getrennt voneinander zu erfassen sind (vgl. Hubbard 2009, S. 80). Dabei gilt es zu beachten, dass der Begriff Risiko sowohl zur Bezeichnung der Ursache als auch der Wirkung eines möglichen Risikoereignisses verwendet wird (vgl. Meyer 2008, S. 26). Auswirkungen von Risikoereignissen stellen häufig die Ursache für andere Risikoereignisse dar, so dass sich mehrgliedrige Ursache-Wirkungsketten bilden. An deren Ende steht das aggregierte Projektrisiko, verstanden als negative Abweichungen der Projektzielgrößen Zeit, Kosten und Leistung (vgl. Romeike 2005, S. 275; Völl 2010, S. 269). Abhängig von ihrem ursächlichen Wirkungsbereich lassen sich Projektrisiken unterschiedlichen Risikokategorien zuordnen. So unterteilt BURGHARDT Projektrisiken in Markt- und Branchenrisiken, Managementrisiken, Personalrisiken, 2.2 Projektrisikomanagement 13 Produktrisiken, Prozessrisiken sowie in finanzielle und rechtliche Risiken (vgl. Burghardt 2006, S. 304 f.).8 2.2.2 Ziele des Projektrisikomanagements Der bewusste und systematische Umgang mit Projektrisiken ist Aufgabe des Projektrisikomanagements, das als Teildisziplin des Projektmanagements anzusehen ist (vgl. Patzak und Rattay 2004, S. 42)9. Während das in Abschn. 2.1.4 dargestellte, klassische Projektmanagement durch Maßnahmen der Projektsteuerung rückwirkend auf eingetretene Risiken in Form von realisierten Planabweichungen reagiert, befasst sich das Projektrisikomanagement damit, den Umfang möglicher Planabweichungen bereits im Vorfeld zu identifizieren und bei Bedarf präventiv zu agieren (vgl. Gleißner und Romeike 2005, S. 118; Enz 2008, S. 29). Dadurch können Risiken in den Entscheidungen der Projekt-Stakeholder noch vor Eintritt explizit berücksichtigt werden, wodurch die Entscheidungsqualität im Projektmanagement erhöht wird. Demzufolge kann Projektrisikomanagement gemäß ENZ als „Instrument, das einen Entscheidungsträger im Umgang mit Risiken unterstützen kann“ (Enz 2008, S. 29) verstanden werden. Da unternehmerisches Handeln ohne das Eingehen von Risiken nicht möglich ist, besteht die Zielsetzung des Risikomanagements im Sinne einer wertorientierten Unternehmensführung nicht ausschließlich darin, Risiken zu minimieren, vielmehr schafft Risikomanagement Transparenz über die Risikosituation des Projektes. Ziel der wertorientierten Unternehmensführung ist es, den Unternehmenswert zu steigern. Dieser basiert auf Zahlungsströmen und berücksichtigt durch seinen Zukunftsbezug die langfristigen Konsequenzen von Entscheidungen. Daher ist es erforderlich, die erwarteten Erträge mit den damit verbundenen Risiken abzuwägen. Vgl. Gleißner 2011b, S. 166. Dadurch können Risiken auch bewusst in Kauf genommen werden, sofern damit entsprechende Chancen verbunden sind (vgl. Schneck 2010, S. 29; Völl 2010, S. 271 f.). Demzufolge konstatiert Prof. Dr. Stephan Reimelt, CEO von GE Energy Germany: „Der Weg zum Erfolgt [sic!] heißt, kalkulierbare Risiken einzugehen“ (Scheuermann 2011, S. 25). Risikomanagement zielt dabei auf einen bewussten Umgang mit der Unvorhersehbarkeit der Zukunft ab. Da Projekte, wie in 8 Diesen Risikokategorien lassen sich auch die unterschiedlichen Risikoarten von Patzak und Rattay 2004, S. 48 ff., Schön 2004, S. 288; Rötzel 2010, S. 687 und Stöger 2011, S. 172 zuordnen. 9 Ähnliche Sichtweise bei Gareis 2006, S. 302 und Kerzner 2008, S. 679. 14 2 Theoretische Grundlagen Abschn. 2.1.3 beschrieben, als komplexe Beziehungsgeflechte in einer dynamischen Umwelt zu verstehen sind und die bestehende Unsicherheit das Erreichen der Projektziele erschwert, unterstützt Risikomanagement das Projektmanagement zudem im Management der Projektkomplexität und der Projektdynamik (vgl. Brühwiler und Romeike 2010, S. 109). 2.2.3 Projektrisikomanagement-Prozess Um das Erreichen der in Abschn. 2.2.2 genannten Ziele des Projektrisikomanagements projektindividuell während der gesamten Projektlaufzeit sicherzustellen, kann das operative Projektrisikomanagement auch als kontinuierlicher Prozess verstanden werden (vgl. Patzak und Rattay 2004, S. 42). Dieser erfüllt unterschiedliche Aufgaben, die sich wie in Abb. 2.3 als Teilprozesse des Projektrisikomanagements darstellen lassen und aus der Identifikation, Bewertung, Aggregation, Steuerung, Überwachung und Kontrolle sowie Dokumentation und Kommunikation der Projektrisiken bestehen. Diese Einteilung basiert auf einem Vergleich der Risikomanagement-Prozesse von Keitsch 2004, S. 15, Patzak und Rattay 2004, S. 44 ff., Burghardt 2006, S. 305, Kerzner 2008, S. 679, PMI 2008, S. 273 ff. und Brühwiler und Romeike 2010, S. 173. Es wird darauf verwiesen, dass einige Autoren die Dokumentation und Kommunikation nicht als Teil des Risikomanagement-Prozesses ansehen. Da dieser Prozessschritt jedoch – wie im Verlauf des vorliegenden Buches erläutert wird – als Erfolgsfaktor des Risikomanagements anzusehen ist, kann darauf nicht verzichtet werden. Zudem wird die Aggregation bei allen genannten Autoren zur Risikobewertung gezählt. Da dieser Prozessschritt aber die Auswirkungen der Projektrisiken auf die Projektzielgrößen Zeit, Kosten und Leistung abbildet, wird er in der vorliegenden Arbeit explizit erfasst. Das strategische Projektrisikomanagement bildet dabei die integrative Klammer dieses Projektrisikomanagement-Prozesses, indem es für alle Projekte verbindlich die unternehmerische Risikopolitik im Sinne einer generellen Risikobereitschaft sowie die Organisation des Risikomanagements festlegt (vgl. Romeike und Hager 2009, S. 114). ,GHQWLILNDWLRQ %HZHUWXQJ $JJUHJDWLRQ 6WHXHUXQJ hEHUZDFKXQJ XQG .RQWUROOH 6WUDWHJLVFKHV3URMHNWULVLNRPDQDJHPHQW Abb. 2.3 Projektrisikomanagement-Prozess 'RNXPHQWDWLRQ XQG .RPPXQLNDWLRQ http://www.springer.com/978-3-658-05315-4