Grundlagenforschung für eine linke Praxis in den

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Grundlagenforschung für eine linke Praxis
in den Geisteswissenschaften
Die wissenschaftliche Zeitschrift
und ihr Wert
1
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Inhalt
4 5
The Long Bust
Ana Teixeira Pinto
9
The Value of the Humanities in the Context of the Political Economy of Publishing
Svenja Bromberg
19
Speculation from Below
Moritz Altenried
27
Zeitschrift statt Lehrstuhl. Die Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft
Anna-Maria Post
43
Distanzgesten. Ein Gespräch über das Zeitschriftenmachen
Wolfert von Rahden, Ulrich Raulff
65
Zeitschrift als Zeit-Schrift
Anna Häusler
93
Notiz zum Sammelband
Julia Wagner
96
The Dialectics of Open Access
Yuk Hui
107
Johann Heinrich Lambert, Georg Jonathan von Holland
Briefe zu einer Zeitschrift für imaginäre Zeitschriften
127
„Die Züge des Faktischen bis zur Karikatur verschärfen“
Hans Blumenberg
139
Inhalt
Autonomy and the Non-Specific (and not specifically about journals)
Marina Vishmidt
143
Ohne Titel
Philipp Goll
13, 25, 35, 47, 59, 71, 81, 91, 101, 113, 125, 137, 149, 159
Editorische Nachbemerkungen
161
Impressum
171
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6 7
Editorische Nachbemerkungen
I
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Editorische Nachbemerkungen
Die Idee war, eine geisteswissenschaftliche Zeitschrift zu machen, die die
politischen Implikationen der Geisteswissenschaften befragt. Befragen ist
hier allerdings nicht im Sinne einer Kritik zu verstehen, die von außen
(von der neuen Zeitschrift) an ein Objekt (die Geisteswissenschaft) herangetragen wird. Eher geht es darum, die Politizität, die implizit in den
Geisteswissenschaften als Komplex gesellschaftlicher Arbeit steckt, aus
emanzipatorischer Perspektive zu explizieren. Daher die Entscheidung,
die eigene Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen Zeitschrift zu
beginnen. Daraus ergeben sich allerdings zwei Ansprüche, die in Konflikt
miteinander geraten können, weil sie sich auf die gleiche (eigene) Praxis
richten. Zum einen ist das derjenige der Wissenschaftlichkeit, zum anderen derjenige, Wissenschaftlichkeit selbst zu problematisieren und gegebenenfalls zu transformieren. Der Versuch, diesem doppelten Anspruch
durch Distanz von etablierten Institutionen beizukommen, und doch zugleich in dem von ihnen gesetzten Rahmen „lesbar“ zu bleiben, hat sich
dabei als problematisch erwiesen.
Gerade das Bemühen um eine A-Institutionalität, von der aus eine
Kritik der akademischen Institutionen zu leisten wäre, scheint dabei Vorschub zu leisten, klassistische, rassistische und sexistische Ausschlüsse
zu reproduzieren, wie sie auch in den kritisierten Institutionen herrschen.
Im Rückgriff auf informelle Netzwerke und Bekanntschaften, auf Erlerntes
und Eingeübtes, bauen sich diese im eigenen Rücken erneut auf – sowohl
was die Themen als auch die Praktiken betrifft. Das heißt, das Zeitschriftenmachen nicht nur als Gelegenheit zum Lernen zu begreifen, sondern
dieses Erlernen auch systematisch als Verlernen anzulegen. In diesem
Sinn kann man den doppelten Anspruch der Zeitschrift noch einmal neu
formulieren: Es geht langfristig darum, die sozialen Beziehungen und Arbeitsmodi, aus denen die Zeitschrift entsteht, mittels der Zeitschrift zu
verändert.
Zugleich ist in Bezug auf wissenschaftliche Zeitschriften die Unterscheidung zwischen einer A- und Anti-Institutionalität einer kritischen
Zeitschrift und den Institutionen, auf die sich ihre Analysen richten, in
mehrfacher Hinsicht fragwürdig. Eine gewisse Uneingerichtetheit scheint
konstitutiv für die Praxis des wissenschaftlichen Zeitschriftenmachens.
In Bezug auf den „kritischen“ Anspruch nahezu jeder modernen Geisteswissenschaft ist das einleuchtend, wird dabei allerdings immer auch zur
Instanz von Selbstrechtfertigung und Selbstautorisierung. In der Praxis
zeigt sich diese Spannung grundsätzlicher: Wissenschaftliche Zeitschriften werden in der Regel „nebenbei“ gemacht, von Wissenschaftler_innen
und an Institutionen, die dafür keine Ausbildung erhalten haben und die
nicht primär dem Zeitschriftenmachen verschrieben sind: Ob ein Kreis
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Editorische Nachbemerkungen
(junger) Wissenschaftler_innen eine neue Forschungsrichtung etablieren
möchte oder umgekehrt eine etablierte Institution ihre Ergebnisse im Prozess der Selbstarchivierung rahmt; ob für eine Zeitschrift die ein oder
andere Hilfskraft angestellt ist, die damit zumeist die einzige ist, die überhaupt eine monetäre Vergütung erhält, oder es sogar, was fast nie der
Fall ist, eine_n hauptamtliche_n Redakteur_in (mit 50% Stelle) gibt; ob
jeder Schritt, von der Idee über das Layout zum Vertrieb, neben der „eigentlichen“ Forschung und Lehre getätigt werden muss, oder ein Verlag
Teile dieser Arbeit leistet. Umgekehrt bedeutet das allerdings auch, dass
diese (Neben-)Tätigkeit zur persona eines/r Wissenschaftler_in oder einer
Institution dazugehört und Zeitschriften gerade auch in einem außerinstitutionellen Rahmen entstehen. Oxymoronisch ausgedrückt handelt es
sich bei den Macher_innen geisteswissenschaftlicher Zeitschriften immer
um professionelle Amateur_innen bzw. Amateur-Profis. Das ZeitschriftenMachen kann daher als Subjektivierungsinstanz und -prozess innerhalb
der Wissenschaften gefasst werden, dem natürlich auch die an dem vorliegenden Projekt beteiligten Wissenschaftler_innen unterworfen sind, indem
sie diesen Prozess gestalten.
Auf der Seite der Verlage herrscht dagegen Professionalität. Sie
sind an der Zeitschrift eben nicht als Liebhaber sondern als Ware interessiert, handelt es sich dabei doch um ein ganz besonders dankbares
Exemplar: Sie ist nahezu komplett fertig produziert und bezahlt, wenn sie
beim Verlag eingeht, der nur noch als Vermittler ins Spiel kommt. So erlaubt sie einen Raubbau an der „zweiten Natur“ Universität. Zwar lohnt
sich ökonomisch nur ein kleiner Anteil wissenschaftlicher Zeitschriften
und ein noch kleinerer der geisteswissenschaftlichen überhaupt. Doch erlauben Marktkonzentration und die Kombination zahlreicher Zeitschriften
zu Paketen großen Verlagen, ihr Produkt gewinnbringend am akademischen Markt zu platzieren. Universitätsbibliotheken sehen sich ob exorbitanter Subskriptionspreise mit der Situation konfrontiert, für „Wissen“ zu
bezahlen, welches in erster Instanz durch von Universitäten genau dafür
entlohnten Angestellten hervorgebracht wurde, um den Erhalt und die Reproduktion dieses Wissens sowie dessen Bewertung als wissenschaftlich
zu garantieren. Nicht selten lassen sich Verlage mittlerweile schon die Einspeisung von Artikeln oder ganzen Zeitschriften in ihr Programm bezahlen
und kassieren doppelt ab. Diese Entwicklung zeigt sich auf dem angloamerikanischen Markt und im Bereich der Natur- und Lebenswissenschaften (sowie den Sozialwissenschaften) besonders deutlich. Sie schlägt
aber von dort aus auf alle Bereich des wissenschaftlichen Betriebs durch,
insofern sie nicht nur Regeln bildet, sondern zudem schlichtweg die Budgets auch größter Institutionen erheblich bindet. Lösungsansätze, wie die
Editorische Nachbemerkungen
fast ausschließliche Förderung von Open Access Zeitschriften durch die
DFG, sind damit eng verknüpft und stellen oft nur eine Verschiebung des
Problems dar.
Für die bloße Positionierung, also die Rückspeisung in den akademischen Markt, sei es durch Verlage oder auf anderem Wege, ist dabei
offenkundig erneut die Markierung des wissenschaftlichen Werts der Zeitschrift zentral. Heute leistet diese Markierung vor allem das Peer-Review:
Es soll einerseits den Forschungsstand abgleichen und die Qualität der
Beiträge kontrollieren, gegebenenfalls durch Anmerkungen sicherstellen
oder durch Selektion auswählen; macht aber umgekehrt die Zeitschrift
erst zu einer wissenschaftlichen, was den Text, der das Peer-Review
durchlaufen hat, so wertvoll macht. Der Großteil der Wissenschaftsverlage garantiert für seine Zeitschriften Peer-Review, wodurch deren (Markt-)
Stellung aufgewertet wird. Gleichsam legitimieren sich an Universitäten
angesiedelte Open Access Zeitschriften, denen die Nobilitierung durch einen Verlag fehlt, an erster Stelle über die Anwendung von Peer-Review.
Dies betrifft jedoch nicht allein die Entscheidung für oder gegen einen
Beitrag in einer Zeitschrift, viel mehr beeinflusst dieses Verfahren wissenschaftliche Karrieren, die Vergabe von Fördermitteln und schlussendlich auch außerwissenschaftliche Beurteilungen. Die Haltung der scientific community gegenüber solchen Begutachtungsverfahren ist, ob ihrer
Bedeutung kaum verwunderlich, zwiespältig: Stehen auf der einen Seite
die Apologet_innen, die in dem Verfahren eine Art der Qualitätssicherung
und die Verhinderung von minderwertigen Publikationen oder gar Plagiaten, bzw. die Eindämmung einer vermeintlichen „Publikationsflut“ erkennen, vernimmt man auf der gegenüberliegenden Seite Stimmen, die im
Peer-Review eine Gefahr für den Fortschritt der Wissenschaft sehen, werde doch durch dieses gate-keeping lediglich wissenschaftlicher common
sense (und Cliquentum) reproduziert und Neuerungen verhindert. Anstatt
einer Entscheidung für eine der beiden Alternativen oder einen Kompromiss, lohnt es sich, Peer-Review als einen Wissen/Macht-Komplex zu verstehen und damit als eine spezifische Disziplinartechnik wissenschaftlicher Institutionen. Als solche ist sie nicht nur in referierten Zeitschriften
aktiv, sondern setzt sich durch Überdetermination expliziter und impliziter
Annahmen (von so unterschiedlichen Konzepten wie „Qualität“, „Objektivität“, „Neutralität“ oder „Stil“) bis ins kleinste Detail (geistes-) wissenschaftlicher Arbeit fort. Die Betrachtung der wissenschaftlichen Zeitschrift
auf dieser Ebene führt also über den Seiteneingang ins Zentrum der politischen Ökonomie der Wissenschaften.
Die Frage des wissenschaftlichen Werts und seiner Bestimmung
in und durch die wissenschaftliche Zeitschrift innerhalb dessen, was all-
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Editorische Nachbemerkungen
gemein als Geisteswissenschaften bezeichnet wird, zeigt sich sowohl
auf der Ebene der akademischen Strukturen als auch auf der der akademischen Subjektivierung als zentraler, wenngleich zumeist verborgener,
Konfliktort. Die Transformation dieser Problematik und die Geschichte
ihrer Bestimmung sind das Verbindende der in dieser Ausgabe veröffentlichten Beiträge. Die Frage nach der wissenschaftlichen Zeitschrift und
ihrem Wert wird dabei von zwei auf den ersten Blick unterschiedlichen
Feldern aus aufgeworfen:
Einerseits ist das die Auseinandersetzung mit der veränderten
Funktionsweise akademischer Institutionen im Zusammenhang des neoliberalen Umbaus des Sozialstaats und der Transformationen des Kapitalismus. Sie wird besonders als Privatisierung von Universitäten und
universitären Einrichtungen, der Zunahme von Drittmittelfinanzierungen
aus der Privatwirtschaft, wie der Unterwerfung der Evaluation auch öffentlicher Institutionen unter Marktkriterien sichtbar. Wo die Universität und
innerhalb dieser insbesondere die Geisteswissenschaften zuvor primär
als ein „ideologischer Staatsapparat“ (Althusser) gefasst werden konnten,
der eine vermittelnde Funktion für die Reproduktion der Produktionsverhältnisse unter nationalstaatlichen Bedingungen einnahm – was zu seiner
spezifischen institutionellen und diskursiven Ausprägung beitrug –, treffen zunehmend, um eine Formulierung George Caffentzis aufzunehmen,
Studierende, Universitätsmitarbeiter_innen und Kapital innerhalb der Universität direkt aufeinander. Die wissenschaftliche Zeitschrift ist innerhalb
dieser Konstellation nicht nur als Teil des Systems einer Veränderung unterworfen, sondern nimmt hinsichtlich neuer Evaluierungskategorien und
veränderter Publikationslandschaften eine zentrale epistemologische Position ein und löst gar ältere Formen der wissenschaftlichen Publizistik,
wie die wissenschaftliche Monographie, zunehmend ab.
Zum anderen geht es um eine Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen Zeitschrift als Element historischer Formationen von Geisteswissenschaft. Dies korrespondiert mit einem besonders in den letzten
Jahrzehnten in der Wissenschaftstheorie prominent gewordenen praxeologischen Blick auf Verfahren und Medien der Wissenschaften. Indem dabei ein historischer Zustand der Geisteswissenschaften nicht als isolierter
in seinen Praktiken fetischisiert wird, kann die konkrete Funktionsweise
und Bedeutung der Arbeit an und mit wissenschaftlichen Zeitschriften für
die Herausbildung der modernen Geisteswissenschaften innerhalb der
bürgerlichen und damit kapitalistischen Gesellschaft aufgezeigt werden.
Auch hier kommt der Zeitschrift eine kaum zu überschätzende Funktion
bei, werden doch in ihr sowohl neue Disziplinen institutionalisiert und verstetigt, als auch Arbeitsweisen und Formate durchgesetzt.
Editorische Nachbemerkungen
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Eine umfassende Vermittlung beider Ansätze kann und will diese
Ausgabe der
GRUNDLAGENFORSCHUNG
nicht leisten. Vielmehr soll ihr Neben-
einander Affinitäten zeigen, sowie für Irritationen sorgen. Sie wenden sich
dabei unterschiedslos gegen den nostalgischen Blick, der die strukturellen
Zwänge kapitalistischer Vergesellschaftung innerhalb der Wissenschaften
immer nur unterschätzen kann, und versuchen stattdessen unter den gegebenen Bedingungen Felder der Auseinandersetzung zu identifizieren.
So lässt sich auch das Anliegen der
GRUNDLAGENFORSCHUNG
bestim-
men: Sie will einen Beitrag leisten zu einem Begreifen der eigenen wissenschaftlichen Praxis als immer schon politisch, die gerade deshalb der
Politisierung von links bedarf. Als Teil der gesellschaftlichen Organisation
sozialer Beziehungen verstanden, erweist sich das besonders dort, wo
sich die wissenschaftliche Praxis als unpolitisch und objektiv geriert. Der
Anspruch auf Eigengesetzlichkeit und Autonomie, den die Geisteswissenschaften einfordern und durch ihre wissenschaftlichen Publikationsorgane implizit formulieren, kann dann in seinen weiteren Zusammenhang
eingeordnet werden. Mit der Referenz auf und dem Umgang mit einem
konkreten und zentralen Objekt der eigenen theoretischen Praxis, wie es
in dieser Ausgabe mit der wissenschaftlichen Zeitschrift geschieht, wird
auch die Abhängigkeit der Unabhängigkeit der Geisteswissenschaften befragbar, jene Einbindung der Wissenschaften in ein System generalisierter
Ausbeutung, in welchem die prekäre Position von Wissenschaftler_innen
noch immer eine äußerst privilegierte ist. Durch die Gleichzeitigkeit von
Flüchtigkeit und Konstanz scheint die periodische Erscheinungsform der
Zeitschrift im Unterschied zu anderen Modi akademischer Äußerung wie
dem Vortrag oder der Monographie, einerseits bereits etablierte Regeln
der Wissenschaft zu reproduzieren, was diese stabilisiert. Andererseits ist
sie in der Lage gerade durch ihre Reproduktion, die Regeln zu verschieben
und umzuformulieren. In diesem Sinne: Auf ein Neues!
Morten Paul & Felix Vogel
Impressum
Redaktion
Morten Paul, Felix Vogel
Korrektorat
Moritz Altenried, Jason Doerre, Felicity Grobien, Matthew Handelman, Katharina Kreuzpaintner,
Sean Legassick, Anna-Maria Post, Philipp Schönthaler, Caroline Weist
Gestaltung
Bianca Elmer
Druck
Interpress, Budapest
Grundlagenforschung
Postfach 30 21 23, 10752 Berlin
grundlagenforschung.org
[email protected]
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