Diplomarbeit Craniosacral-Therapie Corinne Jean

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Diplomarbeit Craniosacral-Therapie
Corinne Jean-Richard
An jedem Zahn hängt ein ganzes
Craniosacralsystem
© Corinne Jean-Richard Ettingen, 15. Januar 2016
Sphinx-Craniosacral-Institut, Basel
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung...............................................................
4
2. Was ist Craniosacral-Therapie............................ ...
4
3. Zahnspezifische Anatomie.....................................
6
4. Craniosacral-Techniken zum/bei/für:.....................
8
• 4.1 Lösen von Strukturen.................................
8
• 4.2 Nervensystem......................................... ...
11
• 4.3 Lymphsystem......................................... ...
12
• 4.4 Durchblutung.......................................... ...
13
• 4.5 Hormonsystem........................................ ...
13
• 4.6 Organe.......................................................
14
• 4.7 Stress....................................................... ...
15
5. Zusammenarbeit mit dem Zahnarzt.................... ...
16
6. Interview mit Dr. med. dent. Cairoli......................
20
7. Schlussgedanke/Fazit.......................................... ...
21
8. Quellenverzeichnis.............................................. ...
22
3
1.0 Einleitung
Die Craniosacral-Therapie ist eine ganzheitliche, sanfte Behandlungsform. Sie kann für sich
allein oder in Kombination mit anderen Methoden eingesetzt werden. Der systemische Charakter der Craniosacral-Therapie bringt es mit sich, dass diese auch in einer Interaktion mit
den Zähnen steht.
Ich habe schon früh gelernt, dass Zähne vielen Menschen eher Sorgen als Freude bereiten
können. Sie fallen aus, brechen ab, haben Löcher oder sind so schief, dass eine Zahnspange
nötig ist, um sie zu richten. All dies ist oft mit vielen Schmerzen und hohen Kosten verbunden. Wer die Zähne immer sorgfältig putzt und keine Süssigkeiten zu sich nimmt, der hat gesunde Zähne. So zumindest wurde es mir seitens meiner Eltern, der Werbung und des Zahnarztes* vermittelt. Für mich entstand der Eindruck, dass Zähne und Körper als „getrennt“
voneinander zu betrachten sind. Der Hausarzt kümmert sich um den Körper und die Zähne
werden vom Zahnarzt „gewartet“. Die Zähne sind jedoch als Teile des ganzen Körpers mit
Organen, Muskeln, Nerven usw. verbunden. In der vorliegenden Diplomarbeit möchte ich
herausfinden, inwiefern die Craniosacral-Therapie über die Behandlung von Köpersystemen
auch auf die Zähne Einfluss nehmen kann. Im Weiteren möchte ich herausfinden, ob und wie
eine Zusammenarbeit zwischen Craniosacral-Therapeut und Zahnarzt möglich ist und wo die
Grenzen liegen.
Zur Klärung der Problemstellungen habe ich mich mit der Fachliteratur auseinandergesetzt,
eigene Erfahrungen einfliessen lassen und ein Interview mit einem Zahnarzt geführt.
*Die Verwendung der männlichen beinhaltet jeweils auch die weibliche Form.
2.0 Was ist Craniosacral-Therapie?
Der Begriff „Craniosacral“ setzt sich zusammen aus „Cranium“ (Schädel) und „Sacrum“
(Kreuzbein). Zusammen mit der Wirbelsäule bilden sie den äusserlichen Teil des craniosacralen Systems. Der innerliche Teil umfasst die Hirn- und Rückenmarkshäute (Meninges) sowie
die Flüssigkeitsebene mit dem rhythmisch fliessenden Hirn- und Rückenmarksflüssigkeit (Liquor cerebrospinalis).
4
Die Craniosacral-Therapie wurzelt in der Osteopathie nach Dr. Andrew Still (1873 – 1917).
William G. Sutherland (1873 – 1954) entwickelte daraus die craniale Osteopathie. Er entdeckte eine langsame, rhythmische Bewegung an den Schädelknochen wie ein subtiles „Atmen“.
Er nannte es den „Breath of Life“ (Atem des Lebens). Der amerikanische Arzt Dr. John Upledger bewies die Beweglichkeit der Schädelknochen und gab der Craniosacral-Therapie ihren Namen.
Der „Breath of Life“ oder Craniosacral-Rhythmus erfolgt in ca. 6-12 Zyklen pro Minute. Für
dessen Entstehung gibt es verschiedene Erklärungsmodelle. Eine davon ist, dass eine Volumenschwankung der Hirnflüssigkeit die Hirnhäute und Schädelknochen bewegt und so den
Craniosacral-Rhythmus bewirkt3. Über die Hirnhaut und das Bindegewebe wird der Rhythmus im ganzen Körper spürbar. Der Craniosacral-Therapeut kann nun an jedem Ort des Körpers über die Hände spüren oder „lauschen“, wie sich der Rhythmus dort zeigt. Er achtet auf
die Stärke, Weite, Symmetrie und Zyklen pro Minute und stellt dabei fest, wo die Körperstrukturen frei oder eingeschränkt sind.
Die Craniosacral-Therapie ist eine sanfte und tiefgreifende Behandlungsmethode, die davon
ausgeht, dass der Mensch eine Einheit von Körper-Geist-Seele ist. Der Körper hat die Fähigkeit zur Selbstregulation bzw. Selbstheilung, jedoch nimmt diese Fähigkeit auf Grund unserer
individuellen Geschichte (Traumata, einschneidende Erlebnisse usw.) ab. Einschränkungen
können vom Körper zwar eine gewisse Zeit kompensiert werden, wird das Ungleichgewicht
jedoch nicht behoben, vermindert dies den Fluss der Lebenskraft. Die Craniosacral-Therapie
harmonisiert das craniosacrale System und fördert die Selbstregulation des Körpers. Sie bewirkt eine Weitung und somit Beweglichkeit der gelenkartigen Verbindungen. Die Hirn- und
Rückenmarkshäute werden elastischer, was den Fluss der Rückenmarksflüssigkeiten verbessert und den Nerven und Blutgefässen mehr Raum gibt und so ihre Funktionen verbessert.
Indem der Therapeut Muskeln und Bindegewebe entspannt, behandelt er gleichzeitig einzelne
Organe und unterstützt so deren Funktion. Zellen sind unter anderem über das Bindegewebe
und die Flüssigkeiten miteinander verbunden und in ständiger Kommunikation. In der Craniosacral-Therapie geht man davon aus, dass alle Zellen eine Art Gedächtnis besitzen, wo äusserliche physische Einwirkungen und emotionale Einflüsse gespeichert werden können. V.a. im
Bindegewebe (Faszien) sind oft alte Traumata gespeichert. Wenn sich während einer Behandlung etwas Altes befreit, berichtet der Klient oft von plötzlich hochkommenden Gefühlen und
Emotionen oder von Bildern vergangener Ereignisse, die sich zeigen.
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In einem kurzen Vorgespräch werden u.a. der Behandlungswunsch und die inneren und äusseren Ressourcen (Kraftquellen) geklärt. Während der Klient sich auf der Behandlungsliege
entspannt, spürt und erfühlt der Therapeut die Beschaffenheit von Gewebe und Gelenken. Er
erkennt durch Wahrnehmen des Muskeltonus, der Leitfähigkeit von Bindegewebe (Faszien)
und der Qualität des Craniosacral-Rhythmus die Ganzkörperzusammenhänge von Gesundheit
und Festhaltemuster. Durch eine behutsame, begleitende Gesprächsführung können sich tiefgreifendere Prozesse entfalten. Der Klient kann so Veränderungen bewusst spüren und neue
Wahrnehmungen verankern. Der Therapeut lauscht an einigen Stellen nochmals, um Veränderungen zwischen vorher und nachher wahrzunehmen. Der Klient spürt nach und schliesslich
folgt ein kurzes Abschlussgespräch. Bei Bedarf können auch noch Selbsthilfeübungen mitgegeben werden.
3.0 Zahnspezifische Anatomie
Zähne dienen der Aufnahme, Zerkleinerung und Zermahlung der Nahrung, sind aber auch
wichtig zur Lautbildung (vor allem S-, D-, und T-Laute) und haben auch eine soziale Komponente wie Lächeln oder jemandem die Zähne zu zeigen.
Doch woraus bestehen sie genau?
Abb. 1
Quelle: www.bs-zahnheilkunde. de 10.01.2016
Die Abbildung zeigt, dass der sichtbare Teil des Zahns die Krone ist. Sie besteht aus einer
Schale harten, kalkhaltigen Dentins (ähnlich wie Knochen, nur ohne Blutgefässe) und der
darüberliegenden dünnen Schicht des noch härteren Zahnschmelzes.
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Die Wurzel sitzt verborgen in einem Zahnbett im Kieferknochen, „Alveolus“ genannt. Sie
besteht ebenfalls aus Dentin und ist mit einer Zementschicht bedeckt, welche dichte,
kollagenreiche periodontale Bänder hat, die die Wurzel im Knochen des Alveolus verankern
und als „Schock-Absorber“ beim Kauen dienen.
Im Inneren des Zahns ist die Höhle der Zahnpulpa mit weichem Bindegewebe, Blutbahnen
und Nerven. Die Anordnung der Zähne beim Erwachsenen ist für Ober- und Unterkiefer
gleich. Jede Seite besteht aus acht Zähnen: zwei Schneidezähnen, einem Eckzahn, zwei
Prämolaren und drei Molaren (Backenzähnen); insgesamt also 32 Zähnen. Kinder haben 20
Milchzähne bestehend aus 8 Frontzähnen, 4 Eck- und 8 Backenzähnen.
Die Zähne im menschlichen Embryo beginnen sich mit der sechsten Schwangerschaftswoche
zu bilden. Sechs bis acht Monate nach der Geburt lässt das Wurzelwachstum die Zähne durch
das Zahnfleisch treten.
Alle Strukturen, die den Zahn in den Alveolen des Kieferknochens befestigen, bilden den
Zahnhalteapparat (Parodontium).
Dies sind:
-
Zahnfleisch (Gingiva)
-
Wurzelzement (Cementum)
-
Wurzelhaut (Desmodontium)
-
Alveolarknochen
Weitere wesentliche Funktionen des Parodontium sind:
-
Umwandlung des Kaudruckes in Zugkräfte
-
Vermittlung von Schmerzempfinden und Kaudruckregulierung
-
Abwehr von Infektionen (u.a. durch effiziente Trennung von Mundhöhle und Zahnwurzelmilieu)
-
rascher Stoffwechsel und hohe Anpassung/Regenerationsfähigkeit
7
-
Abb. 2
Quelle: Prometheus, Lernatlas der Anatomie (Thieme-Verlag, 3. Auflage 2012)
4.0 Craniosakral-Techniken
4.1 Lösen von Strukturen
Wie kann nun die Craniosacral-Therapie auf die Zähne Einfluss nehmen? Gezeigt werden
kann dies beim Naheliegendsten: den Zähnen selbst. Wie im Anatomieteil erklärt, sind die
Zähne von Fasziengewebe umgeben: der Wurzelhaut. Durch sie ist jeder Zahn so unabhängig
wie ein Cranialknochen und kann ebenso entwirrt werden. Der einzelne Zahn wird, am besten
zwischen Zeigefinger und Daumen gehalten. So kann gelauscht und gefühlt werden, was sich
zeigt. Nach kurzer Zeit werden feine Bewegungen spürbar. Berührt der Therapeut mit den
Händen oder Fingern eine Körperstelle, zeigt sich oft ein starkes Pulsieren (nicht mit dem
Herzschlag oder Craniosakral-Rhythmus zu verwechseln) oder auch Kribbeln, Wärme, Kälte
usw. dies wird in der Craniosakral-Therapie der „Therapeutische Puls“ genannt. Es können
sich auch Gefühle und Emotionen zeigen. So ein Zahn kann auch ziemlich „wütend“ sein.
Natürlich kommt die Wut nicht von dem Zahn selbst, sondern ist eine Emotion, die in den
Zellen gespeichert und spürbar ist.
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Hier kann der Craniosacral-Therapeut nun den sogenannten „3-Schritte-Heilungsprozess“
anwenden. Im ersten Schritt stimmt sich der Therapeut auf den Zahn ein, nimmt die Stille in
sich und im Raum wahr und spürt, was sich zeigt. Der Zahn sucht einen neuen „Point of Balance“, wenn dieser erreicht ist, findet im zweiten Schritt ein ganzheitlicher Wechsel statt. Im
dritten Schritt zeigt sich ein neuer Zustand des Gleichgewichts: Das Gewebe wirkt freier, weiter, wärmer. Die Körperrhythmen sind harmonischer, langsamer oder kräftiger. So kann jeder
einzelne Zahn gespürt und entwirrt werden. Damit erfährt er schon viel Gutes (z.B. Entspannung, verbesserte Durchblutung)
Die Zähne sind im Unter- und Oberkiefer (Mandibula und Maxilla) eingebettet. Diese sind
umgeben von Muskeln und Bändern (Ligamenten), welche den Kiefer halten, stützen und
Bewegung ermöglichen (siehe Abb. 2). Insgesamt sind es sechzehn Muskelgruppen, die am
Unterkiefer angeheftet sind. Das sind mehr, als jeder andere Cranialknochen hat, und mehr als
jeder übrige Knochen im Körper besitzt, mit Ausnahme der Schulterblätter (Scapule). Ein
Festhaltemuster oder übermässige Anspannungen beeinflussen die Kiefergelenke. Einen grossen Einfluss hat die Kaumuskulatur, zu welcher der stärkste Muskel in unserem Körper gehört: der Massetermuskel (M. Masseter). Ob beim Kauen, Schlucken und wie auch bei stressbedingtem Zähne Zusammenbeissen wird der Masseter angespannt. Oft ist es so, dass wir
eine Seite beim Kauen stärker benutzen oder sogar nur rechts oder links kauen, was zu einer
einseitigen Überbelastung des Muskels führt. Der Craniosakral-Therapeut hat die Möglichkeit, den Masseter sowohl äusserlich wie auch innerlich (intraoral) zu erreichen. Dieser sehr
kräftige Muskel darf äusserlich ruhig deutlich massiert und ausgestrichen werden. Intraoral
legt der Therapeut die Kuppe seines Zeigefingers flächig und leicht an die Kaumuskulatur und
achtet darauf, Zähne oder Gewebe nicht zu drücken. Wichtig ist, dass der CraniosacralTherapeut sich bewusst ist, dass der Mund ein sehr intimer und empfindlicher Bereich ist.
Ein weiterer, wichtiger Muskel ist der M. Pterygoideus lateralis/medialis. Diese Muskelstränge dienen dem Anheben des Unterkiefers und den seitlichen Mahlbewegungen beim Kauen.
Sie sind beide rechts und links am Keilbein (Os sphenoidale) befestigt und haben somit einen
direkten Einfluss auf den zentralsten Schädelknochen. Auch diese wichtigen Muskeln kann
der Therapeut durch intraorale Lösetechniken behandeln.
Der Schädel besteht aus insgesamt 22 Knochen. Der zentralste davon ist das Keilbein (Os
sphenoidale), zusammen mit dem Hinterhauptbein (Os occipitale) bildet es den Hauptteil der
Schädelbasis. Das Keilbein ist mechanisch entweder direkt oder indirekt (durch vermittelnde
Knochen oder das Membransystem) mit jedem anderen Schädelknochen in Verbindung.
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Befindet sich das Keilbein in einem Fehlmuster3, kann das alle anderen Schädelstrukturen
mitbeeinflussen. Weil dieser Knochen so wichtig ist, gehört er, neben Hinterhauptbein und
Kreuzbein, zu einem der drei Schlüsselknochen in der Craniosacral-Therapie. Der Therapeut
kann das Keilbein direkt über sanftes Berühren der Keilbeinflügel im Schläfenbereich behandeln oder indirekt über die anderen Knochen bzw. über das Membransystem. Da das Keilbein
sehr druckempfindlich ist, ist es wichtig, beim Klienten eine Rückmeldung in Bezug auf die
Berührungsqualität zu erfragen.
Durch die Schädelkapselhaltung erhält der Therapeut einen Gesamteindruck vom Kopf und
der Qualität des Craniosakral-Rhythmus. Das Membransystem erreicht der Therapeut über die
Behandlung des Stirnbeins (Os frontale), der Schläfenbeine (Os temporale), der Scheitelbeine
(Os parietale) und des Hinterhauptbeins (Os occipitale) und den sanften Ohrzug. Es ist auch
möglich, direkt über Kopfhaut und Knochen mit den intracranialen Membranen Kontakt aufzunehmen und sie einzuladen sich zu entspannen. So werden die Gross- und Kleinhirnsichel
(Falx cerebri/Falx cerebelli) und das Kleinhirnzelt (Tentorium cerebellum) entspannt, wie
auch die harte Hirnhaut (Dura mater), welche die Schädelkapsel wie einen Ballon ausfüllt.
Zwischen Hinterhauptbein und erstem Halswirbel (Atlas) befindet sich das sogenannte Atlanto-Occipital-Gelenk. Diesen Bereich zu behandeln, ist besonders wichtig, denn hier gehen
nicht nur die Hirnhäute in die Rückenmarkshäute über, sondern auch Blutgefässe und Nerven.
Generell wird hier langsam und sanft berührt, ohne die Wirbel zu drücken oder zu manipulieren. Teilweise werden die Griffe mit leichtem, eher gedachtem Zug ausgeführt.
Da die Zähne zum Kopf gehören, ist es gut nachvollziehbar, das alle Teile des Schädels die
Zähne mitbeeinflussen können. Jedoch hört der Einfluss hier nicht auf. Das Hinterhauptbein
(Os occipitale) und das Kreuzbein (Os sakrum) sind durch die Hirnhäute und Rückenmarkshäute miteinander verbunden. Das Kreuzbein hat somit einen starken Einfluss auf die Knochen des Kopfes, v.a. auf die, welche die Schädelbasis bilden – also Hinterhauptbein, Keilbein, Schläfenbeine und Stirnbein. Deshalb ist es immer ratsam, wenn am oberen Ende der
Wirbelsäule entspannt wurde, auch das untere Ende inkl. Kreuzbein zu behandeln.
Auch in diesem Bereich bietet die Craniosacral-Therapie einige Techniken zum Lösen der
Strukturen an. Der Therapeut hat die Möglichkeit, eine Hand unter das Kreuzbein zu legen
und zu spüren, wie sich die Struktur dort anfühlt. Wie ist der Craniosacral-Rhythmus? Sind
sonstige Bewegungen spürbar, zieht das umliegende Gewebe in eine Richtung, wie liegt es in
der Hand, ist es leicht, schwer usw.? Es besteht die Möglichkeit, einen leichten Zug auf den
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Duralschlauch auszuüben, um eventuelle Festhaltemuster zu erspüren und zu lösen. Ein entspanntes Becken hilft dem Kiefer sich zu entspannen.
Der Unterkiefer ist ebenfalls beeinflusst von weit entfernten Faktoren wie zum Beispiel dem
Kreuzbein, welches über die Iliosacralgelenke (Articulatio sacroiliaca) mit dem Becken verbunden ist. Wenn das Becken insgesamt sehr fest ist, sind die Iliosacralgelenke ebenfalls fest
oder eingeschränkt und somit wird auch das Kreuzbein an seiner natürlichen Bewegung im
Craniosacral-Rhythmus gehindert. Der Therapeut kann hier, mit der freien Hand, die sogenannte Armbrücke-Position anwenden. In dieser 3-dimensionalen Bewusstseinsphase kann er
das Becken insgesamt wahrnehmen und eine räumliche Entspannung einladen so alle Strukturen zu lösen. Anschliessend kann in dieser Position ein leichter Zug auf die Darmbeinkämme
(Spina iliaca) ausgeführt werden und so speziell den Iliosacralgelenken helfen sich zu öffnen.
Auch der gerade Bauchmuskel (Rectus abdominis), der das Brustbein mit dem Schambein
(Symphysis pubis) verbindet, wie auch die senkrechte Bindegewebsnaht in der Bauchmitte
(linea alba) beeinflussen den Unterkiefer.
Wie oben beschrieben, kann der Kiefer- und Zahnbereich über viele Strukturen erreicht und
beeinflusst werden. Hier kann mit der Craniosacral-Therapie einiges entspannt und gelöst
werden, was die Zähne und Kiefer unterstützt. Muskeln, Bänder und das Bindegewebe werden weicher, die Temporomandibular-Gelenke werden freier und so wird insgesamt der Organismus freier und kann optimal funktionieren.
4.2 Das Nervensystem
Für die Zähne sind hauptsächlich zwei der zwölf Hirnnerven (HN) wichtig. Zum einen der 7.
HN, der Gesichtsnerv (Nervus facialis), der die Speicheldrüsen innerviert. Vor allem wichtig
für die Zähne ist die grosse Ohrspeicheldrüse, welche die Fähigkeit zur Remineralisierung
reguliert¹. Zum anderen der Drillingsnerv (N. trigeminus), der aus drei Ästen besteht (Nervus
opthalmicus, N. maxillaris, N. mandibularis), wovon zwei der drei Äste die Ober- und Unterkiefer und deren Zähne innerviert. Das Spezielle am Trigeminusnerv ist, dass er als einziger
HN auch sämtliche Nerven-Impulse aller das Gehirn oder das Rückenmark erreichender Nervenbahnen empfängt. Also auch die der weit entfernt liegenden Nerven, welche Informationen an das Gehirn melden wie zum Beispiel von den Nerven der inneren Organe wie Leber,
Magen, Darm etc. (siehe Abb. 3).
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Gemäss Dr. Benjamin Shield² sind Störungen des Trigeminusnervs eine häufige Ursache dafür, weshalb Patienten in die Zahnarztpraxis kommen. Diese vom Nerv ausstrahlenden
Schmerzen erschweren oft die Diagnose, ob der Schmerz direkt von einem Zahn kommt oder
durch diesen übertragen wird. Das kann im schlimmsten Fall zu einer unnötigen Zahnbehandlung führen. Die Zähne können auch mit der craniosacralen Technik der Energielenkung (VSpreiz-Technik) behandelt werden. Bei regelmässiger Anwendung kann dies zur Revitalisierung der Zahnpulpa führen so das Ziehen eines Zahns oder eine Wurzelbehandlung überflüssig machen.
Der Therapeut kann den Trigeminus durch folgende Möglichkeiten entspannen. Zum Beispiel
indem er das Keilbein behandelt, da dieses zwei Öffnungen (Foramen ovale und foramen rotundum) hat, welche zwei der drei Ästen als Durchtrittsstellen dienen. Der Unterkieferast (N.
mandibularis) steht in enger Verbindung des lateralen Pterygoideus-Muskel, dieser kann intraoral entspannt werden. Den Oberkieferast (N. maxillaris) kann der Therapeut durch Behandeln des Keil- und Schläfenbeins entlasten. Weitere wichtige Knochenstrukturen sind Oberkiefer, Unterkiefer, Jochbein und Gaumenbein. Der Nervenkern des Trigeminus (Ganglion
trigeminale) ist eng mit dem craniosacralen System verflochten. Das Trigeminusganglion liegt
eingehüllt in der Hirnhaut und wird durch etwaige Anspannungen der Hirnhaut in seiner
Funktion beeinträchtigt.
4.3 Das Lymphsystem
In der Wurzelhaut befinden sich neben Blutgefässen auch Lymphgefässe. Ramiel Nagel beschreibt¹ Folgendes: „Jeder Zahn besitzt ca. drei Millionen mikroskopisch kleine Kanäle, die
man Zahnkanälchen nennt. Diese sind mit einer Flüssigkeit gefüllt, von der angenommen
wird, dass sie der Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit ähnlich ist. Ausser der Zahnflüssigkeit
können die Zahnkanälchen auch zahnbildende Zellen, Nerven und Bindegewebe enthalten.
Zahnbein und Zahnschmelz werden von zahnbildenden Zellen (Osteoblasten) ernährt. Diese
transportieren und verteilen durch die Zahnlymphe bestimmte Nährstoffe. In einem gesunden
Zahn bewegt sich der Flüssigkeitsstrom in der Pulpa durch eine Art Drucksystem nach
aussen, wodurch die Zähne vor den angreifenden Substanzen im Mund geschützt werden.
Der Craniosacral-Therapeut hat auch die Möglichkeit, über die sogenannte „Lymphatische
Pumpe“ den Lymphfluss im ganzen Körper anzuregen. Er bringt durch rhythmische Bewegung an den Füssen den ganzen Körper in Schwingung und ermöglicht so ein besseres
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Fliessen der Lymphflüssigkeit. Auch kann der Therapeut die Milz, welches ein Organ des
lymphatischen Systems ist, behandeln. Die Craniosacral-Behandlungen bewirken, dass der
gesamte Organismus bzw. das Gewebe freier wird und ermöglichen auch auf diese Weise
einen besseren Fluss der Lymphe.
4.4 Durchblutung
Der ganze Körper ist von Blutgefässen durchzogen und somit liegt es nahe, dass jede Struktur, die festhält und verengt, sich negativ auf die Blutversorgung auswirken kann. Über den
Blutkreislauf werden die Zellen im Körper mit Sauerstoff und Nährstoffen wie Vitaminen und
Mineralstoffen, Hormonen usw. versorgt, ebenso auch die Zähne. Gerade im Bereich der Kiefergelenke befindet sich eine Vielzahl an Blutgefässen wie z.B. die Arteria facialis, Arteria
maxillaris (Oberkieferarterie) und der Arteria alveolares inferior (Unterkieferarterie). Durch
verschiedene Lösetechniken von Ober- und Unterkiefer und der umliegenden Strukturen fördert der Therapeut die Durchblutung. Ebenfalls wichtig ist das Raumgeben des Foramen jugulare, wo u.a. der venöse Abfluss des Kopfes durchgeht. Dies macht der Therapeut, indem er
mit einer Hand das Hinterhauptbein (Os occipitale) hält und mit der anderen Hand seitlich die
Ohrzieh-Technik anwendet.
4.5 Hormonsystem
Ramiel Nagel zitiert¹ Dr. Melvin Page, der in seinen Arbeiten seine Erkenntnisse über den
Zusammenhänge zwischen hormonellen Drüsen und Zahnkaries darstellt. Dr. Page fand heraus, dass Leute dann Karies oder Zahnfleischerkrankungen entwickelten, wenn die endokrinen Drüsen (also die Drüsen, die Hormone ausschütten) aus der Balance geraten sind. In der
Hirnanhangdrüse (Hypophyse) werden Hormone gebildet. Die Hypophyse reguliert u.a. via
die Bauchspeicheldrüse den Blutzuckerspiegel. Durch ein Übermass von raffineriertem Zukker entsteht ein biochemisches Ungleichgewicht, das dazu führt, dass den Knochen und Zähnen Phosphat und Kalzium entzogen wird. Ausserdem steuert die Hypophyse auch die
Schilddrüse, welche für die Regulation des Kalziumspiegels eine wichtige Rolle spielt.
Auch die Sexualhormone haben einen Einfluss auf die Zahngesundheit. Ein Überschuss von
Testosteron oder Östrogen kann, gemäss R. Nagel¹, Zahnfleischentzündungen hervorrufen.
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Die Craniosacral-Therapie kann auf die endokrinen Drüsen Einfluss nehmen. Die Bewegungen des Craniosacral-Rhythmus‘ verhelfen allen intracranialen Membranen zu mehr Mobilität
und Motilität und ermöglichen mehr Bewegungsfreiheit aller Strukturen im Schädel. Diese
subtilen Bewegungen regen die Hypophyse, die Epiphyse und den Hypothalamus an und fördern so ein optimales Hormonsystem³.
Vor allem Positionen zum Behandeln des Keilbeins ermöglichen der Hypophyse eine bessere
Funktion. Die Schilddrüse erreicht der Craniosacral-Therapeut über die Behandlung des Zungenbeins (Os hyoideum).
4.6 Organe
Dr. med. dent. Dirk Schreckenbach erklärt4, wie die Zahnärzte Dr. Voll und Dr. Kramer entdeckt haben, dass bei elektrischer Reizung von Zahnfächern bestimmte Akupunkturpunkte
von entfernt liegenden Organen ihren Widerstandsmesswert veränderten. Sie bestimmten die
Zusammenhänge zwischen den einzelnen Organen und den zugehörigen Zähnen.
Somit ist eine Wechselwirkung von Zähnen und Organen nicht mehr von der Hand zu weisen.
Abb. 3
1
Quelle: www.bunkahle.com , 0.01.2016
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Diese Grafik verdeutlicht, welches Organ mit welchem Zahn in Beziehung steht.
Der Craniosacral-Therapeut entlastet die inneren Organe durch achtsames und sanftes Behandeln und fördert ihre Beweglichkeit und somit deren Funktion und Vitalität5. Die ViszeralBehandlung fördert das Weicher- und Weiterwerden der Faszien, welche die Organe umhüllen. Die Durchblutung und die Stoffwechselfunktionen werden verbessert. Die Lymphzirkulation, und die Funktion des Nervensystems und mehr werden gefördert.
4.7 Stress
Dr. Bruce Lipton hat bereits 1998 durch entsprechende Forschungen belegen können, dass
95% aller Krankheiten ihren Ursprung im Stress haben6.
Das autonome Nervensystem wird in zwei Gegenspieler unterteilt: den Sympathikus und den
Parasympathikus. Der Sympathikus fährt das System hoch und steuert uns in aktiven oder
stressreichen Situationen. Der Parasympathikus überwiegt, wenn wir ruhig und gelassen sind.
Der Sympathikus schaltet auf „Überlebensmodus“, d.h. das Gehirn sendet eine Botschaft ans
Immunsystem, die lautet: „Sofort abschalten!“ Das Immunsystem braucht eine gewaltige
Menge Energie zur Abwehr von Viren, Pilzen usw. Diese wird in Gefahrensituation, wo wir
auf Flucht- oder Kampf-Modus umstellen, dringender gebraucht. Befinden wir uns im Dauerstress, wird unausweichlich irgendetwas Schaden nehmen und sich als Symptom manifestieren.
Die Craniosacral-Therapie ist eine gute Methode, um den Klienten mehr in die Entspannung
(Parasympathikus) zu bringen, und zwar nicht nur kurzfristig, sondern ihm auch langfristig zu
einer ruhigeren und gelasseneren Grundeinstellung zu verhelfen.
Menschen, die gestresst sind, haben häufig die Tendenz, die Zähne zusammenzubeissen oder
auch, v.a. nachts, mahlende Bewegungen zu machen. Dies hat auf die Zähne verheerende
Auswirkungen, nicht nur werden die Nerven gequetscht, sondern die Zähne werden auch abgeschliffen.
Einerseits kann auf den 10. Hirnnerv (Nervus vagus) Einfluss genommen werden, welcher der
Hauptnerv des Parasympathischen Nervensystems ist. Zum Beispiel indem der CraniosakralTherapeut die Öffnung (Foramen jugulare), durch die der Vagusnerv den Schädel verlässt,
weitet und ihn dort von etwaigen Einengungen befreit. Oder über die sogenannte „Vagusreise“, wo der Kopf des Klienten in den Händen des Therapeuten ruht und dieser den Nerv
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kontaktiert; zuerst an seinem Ursprung im verlängerten Rückenmark (Medulla oblongata) und
dort folgt er dem Nerv in seinem Verlauf bis zum Bauch.
Andererseits kann die Craniosacral-Therapie die Drüsen, welche die Stresshormone ausschütten, entspannen, nämlich die Nebennieren sowie den Hypothalamus und die Hypophyse. Das
Limbische System und der Mandelkern (Corpus amygdaloideum) sind das Zentrum des emotionalen Verhaltens und des Gedächtnisses. Im Mandelkern werden Angst- und Erregungszustände gespeichert. Daniel Agustoni3 schreibt Folgendes: „Bei jeder stimmigen CraniosacralBehandlung, in der Vertrauen und Loslassen erlebt werden, kann der Mandelkern einen Teil
der Trauma-Erinnerung aus dem Zellgedächntis entlassen. In einem sicheren therapeutischen
Rahmen kann der Klient in diesem Moment entspannt und angstfrei Neues erfahren – beispielsweise die Einheit von Körper-Geist-Seele, innere Freiheit oder Freude. Durch das unmittelbare Fühlen und Spüren der neuen Empfindungen im Hier und Jetzt werden diese auch
neurologisch gespeichert - das frühere traumatische Erlebnis wird relativiert und Heilung
kann geschehen.“
Ein wichtiges Mittel zum Entspannen und auch Stärken des ganzen Körpers ist das Einladen
eines Ruhepunkts (Stillpoint). Der Ruhepunkt ist ein Innehalten des craniosacralen Rhythmus‘, was, wenn wir frei von Stress sind, von alleine immer wieder passiert. Der Therapeut
hat aber auch die Möglichkeit, den Ruhepunkt auszulösen3, denn er ist weit mehr als nur eine
physiologische Pause. Er ist wie ein „reboost“ für den ganzen Körper und führt zu einer tiefgreifenden Neuorientierung.
5.0 Zusammenarbeit mit dem Zahnarzt
Meine Erfahrungen mit Zahnärzten erweckten in mir den Eindruck, dass die Zähne als vom
restlichen Körper getrennt zu betrachten sind. Wie schon erwähnt, sagt Dr. med. dent.
Schreckenbach4, dass an jedem Zahn immer auch ein ganzer Mensch hänge. Dieser Satz beschreibt mit ein paar Worten, dass eine Erkrankung im Bereich der Zähne mit dem ganzen
Menschen und seiner Gesundheit in Verbindung steht und niemals isoliert betrachtet werden
darf. Die Craniosacral-Therapie könne als fehlendes Glied bezüglich der Wirksamkeit vieler
zahnmedizinischer Massnahmen betrachtet werden, meint Dr. Benjamin Shield in seinem
Bericht über die Symbiose zwischen Zahnmedizin und Craniosacraltherapie2. Indem sie die
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Aufmerksamkeit über Ober- und Unterkiefer hinauslenkt, liefert die Craniosacral-Therapie
einen ganzheitlichen Ansatz für die Behandlung des dentalen Mechanismus‘. Die Zeit scheint
reif für ein Umdenken in der Zahnmedizin in Richtung ganzheitlicher Medizin.
Dr. med. dent Schreckenbach4 nimmt folgendes Beispiel zur Verdeutlichung, wie alles zusammenhängt: „Ist ein Schädelknochensegment blockiert, wird der Craniosacral-Rhythmus
behindert, was wiederum eine Veränderung des Zuges an der Hirnhaut und somit zu einer
Stellungsänderung des Steissbeins führt. Als Konsequenz entsteht zum Beispiel ein Beckenschiefstand, der sich über die Muskelketten bis zum Zungenbein erstreckt, und von dort die
Information an den Unterkiefer und die Zähne weitergibt. “Seiner Meinung nach sollten so
einfache „Schaubilder“ wie oben zur Pflichtlektüre aller Orthopäden und Zahnärzte in ihrer
Ausbildung werden, damit sie sich klar werden über die Vernetzung der Kiefer und Zähne mit
dem gesamten Körper.
Die Krafteinwirkung von Zahnspangen auf die Zähne und die Kiefer ist oft enorm und kann
die Beweglichkeit der Schädelknochen und somit den Craniosacral-Rhythmus einschränken
oder sogar blockieren. Der Zahnarzt nimmt so nicht nur Einfluss auf die Zahnstellung, sondern oft auf den ganzen Körper. Dementsprechend wäre es sinnvoll, wenn auch der Zahnarzt/Kieferchirurg selber den Craniosacral-Rhythmus spürt und beim Anpassen der Zahnspange darauf achtet, dass der Rhythmus weiterhin spürbar ist. Dr. Schreckenbach empfiehlt
das Einsetzen eines Bionators nach Prof. Balters (sog. funktionell wirkende Apparatur/Zahnspange)4, da dieses Gerät passiv ist und keine eigene Kraft auf die Zähne oder den
Kiefer ausübt und somit in keinster Weise die Schädelatmung blockiert (Mehr zur Funktion
des Bionators inkl. Fallbeispiele in seinem Buch4. Sinn macht auch, dass der Patient vor der
Anpassung einer Zahnspange ein paar Craniosacral-Behandlungen erhält, um so die Spange
auf ein freies System anzupassen, anstatt Fehlhaltungen (welche die Zahnstellung vielleicht
überhaupt erst beeinflusst haben ) noch zu verstärken. Dasselbe gilt natürlich auch beim Anpassen bzw. Einsetzen von Zahnprothesen. Dr. Benjamin Shield erklärt², dass sich während
der Flexion die Strukturen des harten Gaumens weiten und flacher werden. Dabei werden die
oberen Schneidezähne geringfügig nach innen und hinten gezogen, was bei einem Patienten
mit einer signifikanten Flexionsläsion zu einem Unterbiss führen kann. Umgekehrt verengt
sich in der Extensionsphase der harte Gaumen und wird noch oben gezogen, dabei werden die
oberen Schneidezähne leicht nach vorne verschoben und so kann bei signifikanten Extensionsläsionen ein Überbiss entstehen. Wenn die Extensionsläsion bzw. Flexionsläsion bestehen
bleibt, ist die Chance gross, dass die Zähne, nach Beendigung der kieferorthopädischen
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Massnahmen, wieder in ihren Zustand relativen Gleichgewichts zurückkehren. Die Craniosacral-Therapie hilft, die Extension bzw. Flexion in Balance zu bringen.
Im Laufe kieferorthopädischer Massnahmen berichten Patienten häufig von Begleitsymptomen wie zum Beispiel Schmerzen im Schädelbereich oder im Kiefergelenk. Dies kann daran
liegen, dass die Zahnspange die Schädelknochen gegeneinander verschoben hat. Dr. Shield2
empfiehlt, während des Behandlungszeitraums immer wieder die Schädelknochen mit Craniosacral-Behandlungen auszurichten und die entstandenen Spannungsmuster zu lösen.
Ein weiterer Bereich, wo Zahnmedizin und Craniosacral-Therapie eng miteinander verwoben
sind, ist die Behandlung von Funktionsstörungen des Kiefergelenks. Gemäss Dr. Shields2 ist
der Bereich der Kiefergelenke auf Grund ihrer Lage im Schädel einer der Hauptpfade neurologischer Aktivität. Die Gelenke sind nahe bei Ohren, Augen, Nase, Rachen, Zunge, Nebenhöhlen und Halswirbelsäule, weshalb sie zu den wichtigsten Gelenken im Körper zählen.
Desweitern erklärt Dr. Shield2, dass 38% des gesamten neurologischen Inputs zum Gehirn
von Gesicht, Mund und Kiefergelenksregion kommen. In einem Bereich von ca. 15cm³ rund
um das Kiefergelenk finden wir neben Gelenk eigenen Strukturen die Nebenhöhlen, das Mittel- und Innenohr, Drüsen, verschiedene Gewebe des Rachenraums, Hirngewebe, diverse
Muskeln, Bänder, Nerven, Blutgefässe, lymphatisches Gewebe, Knochen und Zähne. Die
Komplexität dieses Netzwerks erklärt, wieso viele Patienten mit Kiefergelenksproblemen
auch über Schmerzen und Probleme (Schwindel, Ohrgeräusche usw.) in benachbarten Regionen klagen.
Die Craniosacral-Therapie kann durch spezifische Behandlung von Bindegewebe und Muskeln den Tonus und die Funktion des Kiefergelenkbereichs verbessern, ebenso die Funktion
der innervierenden Hirn- und Halsnerven. Kompressionen und anormale Traktionen können
reduziert werden.
In vielen Fällen werden zum Richten der Zahnstellung gesunde Zähne entfernt, da angeblich
nicht genügend Platz vorhanden sei. So kommt es zu Verschiebungen der zugehörigen ZahnOrgan-Beziehungen und so bewirkt dieser „künstliche“ Verlust des Zahnes eine sehr viel tiefer gehende energetische Störung, als wenn der Zahn nach evtl. jahrelanger Erkrankung entfernt werden muss.
Zahnschmerzen müssen nicht immer bedeuten, dass ein Zahn kariös ist. Der Grund dafür kann
auch ein gereizter Trigeminusnerv sein oder es wird über die Struktur Druck auf diesen Zahn
oder Bereich ausgeübt. Ebenso kann die Ursache in einem ganz anderen Bereich liegen, zum
Beispiel wenn das dem Zahn zugehörige Organ gestresst ist. Diese Ursachen können sehr gut
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in Zusammenarbeit mit einem Craniosacral-Therapeuten angegangen werden. Wenn wir ein
sehr stressreiches Leben führen, wird das retikuläre Aktivierungssystem (über Neuronen wird
der Organismus von einem „wachen Ruhestand“ in einen Zustand erhöhter Aufmerksamkeit
versetzt) überladen und ein Teil dieser elektrischen Erregung fliesst in den Zellkern (Nucleus)
des Trigeminusnervs, welcher sich im Hirnstamm befindet. Das stimuliert die vom Trigeminusnerv kontrollierten Muskeln, v.a. die für den Unterkiefer zuständigen Muskelgruppen, die
dann konstant angespannt sind. Diese konstante Anspannung kann zu Schmerzen im Zahnoder Kieferbereich wie auch zu Kopf- und Nackenschmerzen führen.
Ein weiterer, grosser Bereich, wo die Craniosacral-Therapie sehr helfen kann, ist bei
Craniomandibulärer Dysfunktion kurz CMD, wo eine Funktionsstörung des Kauorgans besteht. Jedoch erklärt Paul Ridder in seinem Buch7, dass bei der CMD die Störung im Bereich
des Kauapparats nicht isoliert betrachtet werden soll, sondern als ein komplexes Zusammenspiel vieler verschiedener Funktionsabläufe im gesamten Körper. Dieses spielt sich nicht nur
im Bereich der Muskeln, des Skeletts oder dem dentalen Bereich ab, sondern hat durch zahlreiche neurogene und fasziale Verbindungen Auswirkungen auf alle Regionen des Körpers
und umgekehrt.
Abb. 4
Quelle:Paul Ridder, Craniomandibuläre Dysfunktion (Urban & Fischer Verlag, 2.Auflage, 2014)
Abbildung zur Veranschaulichung der muskulären Verbindungen im Kieferbereich.
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Bei CMD kann die Craniosacral-Therapie unterstützen und helfen. Die Kiefergelenke liegen
normalerweise lose in ihren Schädelgruben und sind von ihren Gelenkkapseln, Muskeln,
Bändern, Menisken und Fasziengewebe umschlossen. Die Craniosacral-Therapie hat viele
Griffe und Techniken, um diese Strukturen zu lösen, sowohl intraoral wie auch äusserlich (s.
4.1). Was weiterhin zu beachten ist, ist, was Hugh Milne in seinem Buch8 beschreibt, nämlich
dass nicht das Kiefergelenk die Rotationachse des Unterkiefers ist, sondern der 1. und 2.
Halswirbel (Atlas und Axis) das Grundgelenk bilden. Hier kann die Craniosacral-Therapie
z.B. mit Behandlungen am Atlanto-Occipitalgelenk positiven Einfluss auf das Kiefergelenk
nehmen.
7.0 Interview mit Dr. med. dent. Cairoli
Frage: Wo sehen Sie Synergien zwischen Craniosacral-Therapie und zahnärztlicher Behandlung?
Antwort Dr. F.C.: Wenn ich sehe, dass ich mit meinen schulmedizinischen Methoden nicht
mehr weiter komme, macht eine gemeinsame Behandlung Sinn. Ich habe therapieresistenten
Patienten auch schon zu alternativen Therapiemethoden geraten wie z.B. Akupunktur, Osteopathie, Physiotherapie usw. Gerade bei Craniomandibulären Dysfunktionen oder diffusen
Trigeminusschmerzen macht dies durchaus Sinn.
Frage: Wo sehen Sie allfällige Behinderungen bei Überweisungen?
Antwort Dr. F.C.: Die Einbindung von externen Therapeuten kann nur dann stattfinden und
Erfolg haben, wenn der Patient offen für Neues ist. Das Vertrauensverhältnis zum Zahnarzt
hilft die Angst vor Ungewissem zu überwinden. Allerdings sind die Patienten bei zusätzlich
entstehenden Kosten eher skeptisch und dies insbesondere deshalb, weil die CraniosacralTherapie bei den Krankenkassen keine Leistung der Grundversicherung darstellt.
Frage: Sie haben eine Craniosacral-Behandlung mit intraoralen Elementen gehabt. Wie war
das für Sie?
Antwort Dr. F. C.: Ich habe die Craniosacral-Behandlung als sehr entspannend und angenehm empfunden. Es war erstaunlich, wie viele Strukturen angesprochen wurden. Eine
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feinfühlige, stressfreie und entspannende Behandlung kann für Patienten sinnvoll und nutzbringend sein.
8.0 Schlussgedanke/Fazit
Mein Ziel mit dieser Diplomarbeit war es, ins Bewusstsein zu rücken, dass und wie die Zähne
mit dem ganzen Körper verbunden sind. Bei der ganzheitlich ausgerichteten CraniosacralTherapie sind somit immer auch die Zähne während einer Behandlung miteinbezogen. Dies
gilt es zu berücksichtigen und die Vorteile davon zu nutzen. Dies besonders bei intraoralen
Behandlungen, wo der Patient erfährt, dass eine solche Behandlung im Mundbereich auch
angenehm sein kann. Von meinem heutigen Wissensstand her, wünschte ich mir, der Kieferorthopäde hätte mir damals die Zahnspange auf eine vorgängig gelöste Struktur angepasst.
Während der Zeit, als ich die Zahnspange tragen musste, wären begleitende Sitzungen bei
einem Craniosacral-Therapeuten eine wichtige Unterstützung gewesen. Leider war die
Craniosacral-Therapie damals noch zu wenig bekannt.
Meine Weisheitszähne wurden mir einfach herausoperiert. Heute würde ich mich vorgängig
mit meinem Craniosacral-Therapeuten absprechen.
Meiner Meinung nach wäre es wichtig, dass mehr und mehr eine ganzheitliche Betrachtungsweise des Körpers und dessen Symptome in der Medizin stattfindet. Das beinhaltet eine Zusammenarbeit von Schul- und Komplementärmedizin, um sich so gegenseitig zu ergänzen.
Eine Schwierigkeit dabei besteht darin, dass der Zahnarzt oft nicht um die Möglichkeit einer
Unterstützung durch die Craniosacral-Therapie weiss. Weiterhin müsste der CraniosacralTherapeut in der Zahnarztpraxis vor Ort sein, um nicht zusätzliche Barrieren (Ortswechsel,
Zeitablauf usw.) zu errichten.
Ausserdem sind die zusätzlich anfallenden Behandlungskosten ein Problem; vor allem auch
deshalb, weil die Craniosacral-Therapie „nur“ teilweise von den Krankenkassen (Zusatzversicherung) bezahlt wird.
Ich hoffe, dass die involvierten Parteien sich der Möglichkeiten und Chancen bewusst werden
und einen Schritt aufeinander zumachen werden.
Ich wünsche mir insgesamt mehr Wertschätzung und Achtsamkeit im Umgang mit unserem
Körper.
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Quellenverzeichnis
1
Ramiel Nagel, Karies heilen (Golden Child Publishing 2012)
2
Dr. Benjamin Shield in seinem Bericht über die Symbiose zwischen Zahnmedizin und
Craniosacraltherapie. (www.craniosacral-belp.ch, 8.1.16)
3
Daniel Agustoni, Craniosacral-Rhythmus (Kösel Verlag, 4.Auflage 2012)
•
Keilbein Fehlhaltemuster und SSB Dysfunktionen; Torsion, sidebending, lateral/vertical
strain, Extensions-/Flexionsdysfunktion, Kompression (S. 305 ff)
•
4
Ruhepunkt einladen (S.173 ff)
Dr. med. dent. Dirk Schreckenbach, An jedem Zahn hängt immer auch ein ganzer Mensch
(Portal zur Gesundheit 2004)
5
Daniel Agustoni (Skript Viszeral-Behandlung, Sphinx-Craniosacral-Institut)
6
Bruce Lipton, Ph.D., Intelligente Zellen (Koha Verlag,1.Auflage 2006)
7
Paul Ridder, Craniomandibuläre Dysfunktion (Urban & Fischer Verlag, 2.Auflage, 2014)
8
Hugh Milne, Aus der Mitte des Herzens lauschen (Via Nova Verlag, 2.Auflage 2009)
Weitere Literatur
Daniel Agustoni, Craniosacral-Therapie für Kinder (Kösel Verlag, 2008)
Michael Kern, Die Weisheit im Körper (Pflaum Verlag 2011)
John E. Upledger, Lehrbuch der CranioSacralen Therapie II, (Haug-Verlag, 1.Auflage 2002)
Torsten Liem, Kraniosakrale Osteopathie (Haug-Verlag, 6.Auflage 2013)
Dr. med. dent. Dirk Schreckenbach, Zahngeflüster (Portal zur Gesundheit 2011)
Eric Franklin, entspannte Schultern gelöster Nacken (Kösel Verlag, 7.Auflage 2011)
Prometheus, LernAtlas der Anatomie (Thieme-Verlag, 3.Auflage 2012)
Prof. Peter Abrahms, Atlas des menschlichen Körpers (Otus-Verlag, 2011)
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