ANZEIGE 01 U M W E LT R E C H T Europarechtliche Auswirkungen auf deutsche Rechtsgrundsätze Großprojekte und kleine Vorhaben auf dem Prüfstand der EuGH-Rechtsprechung I mmer wieder verhilft der EuGH mit seiner Rechtsprechung den europarechtlichen Vorschriften zu großer Durchschlagskraft. Dabei werden gelegentlich auch allgemeine Grundsätze und Prinzipien des deutschen Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrechts in ­ Frage gestellt. sätzlich nicht nur das Fehlen einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) vor Gericht geltend gemacht werden, sondern dass auch die Fehlerhaftigkeit der UVP zur Anfechtung b­erechtigen kann. Darauf hat der deutsche Gesetzgeber reagiert, weshalb nun auch bestimmte UVPVerfahrensfehler einen Aufhebungsanspruch begründen können. DIE AUTOREN Dr. Henning Wendt ist als Associate am Hamburger Standort von GÖRG im Bereich ­öffentliches Wirtschaftsrecht tätig. Dr. Marie Ackermann, LL.M. (Paris), ist als Associate am Hamburger Standort von GÖRG im Bereich öffentliches Wirtschaftsrecht tätig. Die Auswirkung der EuGH-Rechtsprechung zur Präklusion bei Großprojekten Die praktischen Auswirkungen des Wegfalls der Präklusionsvorschriften werden bei Großprojekten wie der Weservertiefung, der Elbvertiefung, dem Neu- und Ausbau von Autobahnen oder anderen großen Infrastrukturvorhaben wie der Elb- und Fehmarnbelt-Querung oder dem Bau des Berliner Flughafens besonders deutlich. Für derart komplexe Zulassungsverfahren mit einer Vielzahl betroffener Personen und sonstiger Beteiligter sieht das deutsche Verfahrensrecht das Instrument der Planfeststellung vor. Teil der dafür geltenden Sonder­ regelungen ist § 73 Abs. 4 Satz 3 VwVfG, der derzeit eine materielle Präklusion für verspätete Einwendungen (noch) vorsieht. Die Präklusion dient der frühzeitigen und u ­ mfassenden Aufklärung des Sachverhalts im Verwaltungsverfahren und der damit verbundenen Problembewältigung. Bei Klagen gegen Planfeststellungsbeschlüsse ­reduziert bzw. fixiert die Präklusion den Prozessstoff. Sie soll eine zügige und e­ ffiziente Entscheidung ermöglichen. Der Wegfall der Präklusion – gerade in den komplexen Bereichen des U ­ mweltrechts – wird in der Praxis daher voraussichtlich zu weiteren zeitlichen Verzögerungen führen: Die Sach­verhaltsaufklärung wird verstärkt in das laufende G ­ erichtsverfahren verlagert und der Verwaltung wird die Möglichkeit erschwert, bereits im Verwaltungsverfahren Fehler zu erkennen und zu beheben. Die dadurch b­ edingten Verzögerungen können von Klägerseite auch gezielt als taktisches Mittel eingesetzt werden, um So entschied der EuGH mit Urteil vom 15.10.15 (C137/14) in einem Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland zur allgemeinen Überraschung, dass die Präklusionsregelungen in § 73 Abs. 4 VwVfG und § 2 Abs. 3 UmwRG gegen die UVP-Richtlinie 2011/92/EU verstoßen. Diese Vorschriften schließen die Berücksichtigung von Einwendungen im Prozess aus, wenn sie nicht bereits innerhalb der Einwendungsfrist im Verwaltungsverfahren vorgebracht wurden. Mit dieser Entscheidung hat der EuGH die im deutschen Verfahrensrecht seit langem anerkannte materielle ­Präklusion im Anwendungsbereich der UVP-Richtlinie de facto abgeschafft. Dennoch fiel der Eingriff in die allgemeinen Grundsätze des deutschen Verwaltungsrechts geringer aus als befürchtet: Angesichts der Schlussanträge des Generalanwalts musste man sogar damit rechnen, dass der EuGH die Anforderung einer Rechtsverletzung auf Begründetheitsebene (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 VwGO) für unzulässig erklären würde. Bereits zuvor hatte der EuGH in der sog. „Altrip-­ Entscheidung“ (Urteil vom 07.11.13, C-72/12) ent­ schieden, dass entgegen der zwischenzeitlich bereits ­angepassten Regelung des § 4 Abs. 1 UmwRG a.F. grund- 2 azur02-16 CoPub_Goerg_Umweltrecht_Korr2.indd 2 13.09.16 11:37 ANZEIGE U M W E LT R E C H T 01 Präklusionsregelung Umweltver träglichkeitsprüfung Verfahrensfehler Anfechtungsmöglichkeiten Kausalität Fazit große Vorhaben länger zu blockieren. Zwar lässt der EuGH bei missbräuchlichem oder unredlichem Verhalten eine Präklusion mit dem betreffenden Vorbringen zu. Diese Hürde liegt jedoch sehr hoch. In der Praxis wird ein entsprechender Nachweis nur in den seltensten Fällen gelingen können. Die Auswirkungen der Rechtsprechung des EuGH zeigen sich im Bereich des Umweltrechts besonders deutlich. Hier werden immer wieder nationale verfahrensrechtliche oder verwaltungsprozessuale Rechtsgrundsätze zu Gunsten europarechtlicher Regelungen außer Kraft gesetzt. Dies spiegelt die unterschiedlichen Ansatzpunkte der Rechtssysteme wider: Während das Europarecht der Einhaltung von Verfahrensregelungen im Allgemeinen eine große Rolle beimisst, steht im deutschen Recht seit jeher die materiellrichtige Entscheidung im Vordergrund. Die Relevanz der EuGH-Rechtsprechung zu Verfahrensfehlern für kleinere Vorhaben Die eingangs erwähnte Erstreckung des Anspruchs auf Aufhebung von Verwaltungsakten bei Verfahrensfehlern im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung führt in der Praxis zu einer Ausweitung der Anfechtungsmöglichkeiten, was sich auch bei kleineren Vorhaben, wie etwa der Errichtung von Windkraftanlagen, bemerkbar macht. Der formellen Rechtmäßigkeit kommt damit künftig eine größere Bedeutung zu: Unter Umständen können Verwaltungsentscheidungen aufgrund formeller Fehler sogar dann aufgehoben werden, wenn diese sich auf die Sachentscheidung nicht ausgewirkt haben. Dies gilt allerdings nur für gravierende Fehler. Aber auch bei weniger schweren Verfahrensfehlern im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung kommt es nach der dargestellten EuGH-Rechtsprechung zu einer Verschärfung: Grundsätzlich besteht nach § 46 VwVfG kein Anspruch auf Aufhebung eines formell-rechtswidrigen Verwaltungsaktes, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung der Verfahrensvorschrift die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. In Verfahren außerhalb des Anwendungsbereichs der UVP-Richtlinie wird dies von der Rechtsprechung so verstanden, dass die Unaufklärbarkeit der Auswirkung des Verfahrensfehlers zu Lasten des Rechtsbehelfsführers geht. Bei Verfahrensfehlern im ­Rahmen der UVP wird dagegen gemäß § 4 Abs. 1a UmwRG n.F. vermutet, dass der Fehler das Ergebnis beeinflusst hat, sofern sich die Kausalität durch das Gericht nicht aufklären lässt. GÖRG ist eine der führenden unabhängigen Wirtschaftskanzleien Deutschlands. Mit über 270 Anwälten an den sechs Standorten Berlin, Essen, Frankfurt am Main, Hamburg, Köln und München berät GÖRG als unabhängige Sozietät in allen Kernbereichen des Wirtschaftsrechts. Frau Ewa Scheid Personalreferentin [email protected] T +49 221 33660-195 GÖRG Partnerschaft von ­ ­Rechtsanwälten mbB Kennedyplatz 2 50679 Köln www.goerg.de 3 azur02-16 CoPub_Goerg_Umweltrecht_Korr2.indd 3 13.09.16 11:37