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§ 1
Seiler/Seiler
II. Finanzvergehen
A. Allgemeines
6 Finanzvergehen sind in erster Linie die im Besonderen Teil des FinStrG
(§§ 33 bis 52) genannten Tatbestände. Darüber hinaus können auch andere Bundesgesetze Straftatbestände enthalten, welche dort als Finanz­
vergehen oder Finanzordnungswidrigkeit bezeichnet werden.10
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Entscheidend ist die Bezeichnung des jeweiligen Tatbestandes: Die
Voraussetzungen des § 1 treffen zB auf die Bestimmung des § 30 MOG
(Marktordnungsgesetz, BGBl I 2007/55 idgF) nicht zu, auf jene des § 29
MOG11 hingegen schon, da letztere ausdrücklich als Finanzvergehen
determiniert ist.
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Die §§ 248 (Begünstigung), 250 (Falsche Verdächtigung), 251, 252
(Verletzung der abgabenrechtlichen Geheimhaltungspflicht) enthalten
gerichtlich strafbare Handlungen, welche keine Finanzvergehen iSd
§ 1 sind.
B. Gesetzlichkeitsprinzip
9 Das Strafrecht basiert auf dem Prinzip, dass nur jenes Verhalten straf­
bar ist, welches vom Strafgesetz ausdrücklich unter Sanktion gestellt
wurde. Darin dokumentiert sich der alte Grundsatz „nullum crimen
sine lege“, welcher in § 1 iVm § 4 ausdrücklich verankert ist. § 4 Abs 1
betont zudem, dass eine Strafe nur wegen einer Tat verhängt werden
darf, welche bereits im Tatzeitpunkt unter eine ausdrückliche gesetz­
liche Strafdrohung fiel.
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Dieser Grundpfeiler jedes Strafgesetzes hat die Garantiefunktion,
dass nur jener bestraft werden darf, der gegen eine solche positive Norm
verstoßen hat. Damit zeigt sich der fragmentarische Charakter des
Strafrechts. Es ist nicht maßgebend, ob die Rechtsgemeinschaft darüber hinaus ein Verhalten als strafwürdig empfindet. Solange vom Gesetzgeber nicht eine bestimmte Verhaltensweise für strafbar erklärt
wird, indem er diese in einem bestimmten Straftatbestand erfasst, kann
keine Sanktion dafür verhängt werden. Der Formulierung der einzelnen Tatbestände des FinStrG und der Nebengesetze kommt daher
Zum Beispiel § 7 Produktpirateriegesetz 2004, BGBl I 2004/56 idgF; § 42 Tabakmonopolgesetz, BGBl 1995/830 idgF; § 11 Mineralölsteuergesetz, BGBl 1994/630
idgF; § 7 Ausfuhrerstattungsgesetz, BGBl 1994/660 idgF; § 39 Außenhandels­
gesetz 2005, BGBl I 2005/50 idgF; § 29 Marktordnungs­gesetz 2007, BGBl I 2007/55
idgF; § 91 Alkoholsteuergesetz, BGBl 1994/703 idgF.
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Ein- oder Ausfuhr von Marktordnungswaren ohne die in § 15 Abs 1 MOG bezeichneten Dokumente.
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größte Bedeutung zu, will man auch wirklich alle als strafwürdig angesehenen Verhaltensweisen erfassen. Der geschickte Täter, der sein Handeln in einer Weise auf die einschlägigen Straftatbestände abstimmt,
dass dieses nicht darunter subsumiert werden könnte, kann daher nicht
strafrechtlich belangt werden, auch wenn seine Vorgangsweise strafwürdig erscheint.12
C. Bestimmtheitsgrundsatz
Die Forderung, dass strafrechtliche Verbote nur dem geschriebenen 11
Recht zu entnehmen sind, bietet jedoch noch keine hinreichende Rechtssicherheit. Rechtssicherheit hängt insbesondere von der Art der Geset­
zesfassung ab. Eine positive Norm, welche für die Beschreibung eines
als verboten erklärten Verhaltens nur vage Formulierungen enthält, ist
der Rechtssicherheit abträglich. Daher hat neben die Forderung nach
einem geschriebenen Verbot auch noch die Forderung nach Bestimmtheit des Verbotes zu treten. Wenngleich der Bestimmtheitsgrundsatz
nicht ausdrücklich gesetzlich festgelegt ist, wird er von Art 7 MRK eingeschlossen.13 Die Bestimmtheit und damit die Rechts­sicherheit hängen
vom Grad der Genauigkeit ab, mit dem das Gesetz zum Ausdruck
bringt, was verboten ist. Der Gesetzgeber muss bestrebt sein, die Reich­
weite des Verbotes möglichst klar zu formulieren.14
Die Wahrung des Bestimmtheitsgrundsatzes steht im Finanzstraf- 12
recht vor dem besonderen Problem, dass die einzelnen Tatbestände
durchwegs als Blankettstrafnormen konzipiert sind. Eine genaue Beschreibung des unter Strafe gestellten Verhaltens findet sich regelmäßig
nicht im FinStrG, sondern ergibt sich erst aus dem Zusammenhang mit
anderen außerstrafrechtlichen Normen (zB Bestimmungen der BAO,
BGBl 1961/194 idgF oder des UStG 1994, BGBl 1994/663 idgF). Der
gesetzes­technische Vorgang der äußeren Trennung von Tatbild und
Strafdrohung, wie er für Blankettstrafnormen kennzeichnend ist, ist
grundsätzlich verfassungsrechtlich unbedenklich. Es ist jedoch auch
bei Blankettstrafnormen unerlässlich, dass der Tatbestand durch das
Gesetz mit genügender Klarheit als Verbotsnorm und damit als strafbarer Tatbestand gekennzeichnet ist. Besteht der strafbare Tatbestand
im Zuwiderhandeln gegen eine Gebotsnorm, muss der Unrechtsgehalt
eines Unterlassens eindeutig erkennbar sein. Der Tatbestand einer
Seiler, Strafrecht Allgemeiner Teil I 2, Rz 11.
VfGH 13. 12. 1991, G 280, 281/91, G 325/91 JBl 1992, 372.
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Seiler, Strafrecht Allgemeiner Teil I 2, Rz 47 f.
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Blankettstrafnorm muss mit solcher Deutlichkeit gekennzeichnet sein,
dass jeder ihn als solchen zu verstehen vermag.15
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Ein Korrektiv für Fälle, in denen es am Bestimmtheitserfordernis
mangelt, findet die Rechtspraxis in der Irrtumsregelung des § 9. Damit
kann jedoch bloß der Beschuldigte vor Schaden bewahrt werden. Die
Bedenken gegen die davon betroffene Bestimmung bleiben bestehen.
III.Täter eines Finanzvergehens
A. Natürliche Personen
14 Finanzvergehen können in erster Linie nur von natürlichen Personen
begangen werden (§ 1 Abs 1). Als Täter kommt dabei nicht nur der jeweilige Abgabepflichtige, sondern jeder in Betracht, der – rechtlich
oder faktisch – die Agenden eines Steuerpflichtigen wahrnimmt. Die
Tatsache, dass eine Person Alleingesellschafter und Alleingeschäftsführer einer Kapitalgesellschaft ist, gibt über ihre finanzstrafrechtliche
Verantwortlichkeit für die Verwirklichung eines konkreten Finanzvergehens noch nicht hinreichend Auskunft.16
15
Das Verbandverantwortlichkeitsgesetz (VbVG, BGBl I 2005/151)
schafft darüber hinaus die Möglichkeit, auch juristische Personen
strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen (§ 1 Abs 2). Das Ver­
bandsverantwortlichkeitsgesetz findet nach Maßgabe des § 28a auf
Finanzvergehen Anwendung. Soweit keine Verbandsgeldbuße nach
§ 28a zu verhängen ist, können juristische Personen nach § 28 Abs 2
(Haftung des Vertretenen) bzw 3 (Haftung des Dienstgebers) zur Haftung herangezogen werden (§ 28 Abs 9).
B.Verbände
16 Das VbVG spricht verallgemeinernd von „Verbänden“ und erfasst, ent-
sprechend der Definition des § 1 VbVG:
1. Juristische Personen
17 Es werden dabei gleichermaßen juristische Personen des Privatrechts
wie jene des öffentlichen Rechts strafrechtlich erfasst. Juristische Personen des Privatrechts wären zB Kapitalgesellschaften (Gesell­
schaften mit beschränkter Haftung, Aktiengesellschaften einschließlich der Europäischen Gesellschaft aufgrund der Verordnung des Rates
Nr. 2157/2001, die in Österreich mit dem Gesetz über das Statut der
VfGH 13. 12. 1991, G 280, 281/91, G 325/91 JBl 1992, 372.
VwGH 20. 9. 2006, 2006/14/0046 SWK 2007, R 16 = ÖStZB 2007/124, 171.
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europäischen Gesellschaft, BGBl I 67/2004, wirksam wurde), weiters
Genossenschaften, Sparkassen, (ideelle) Vereine im Sinn des Vereins­
gesetzes 2002, Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit, politische
Parteien, Sachgesamtheiten (zB Fonds) und Stiftungen.17
Juristische Personen des Öffentlichen Rechts sind zunächst die Ge­ 18
bietskörperschaften (Bund, Länder, Gemeinden). Daneben sind darunter auch Einrichtungen der wirtschaftlichen und beruflichen Selbstverwaltung (Kammern), die Sozialversicherungsträger, die Universitäten (UniversitätsG 2002), die Hochschülerschaft und andere Interessensgemeinschaften, öffentlich-rechtliche Stiftungen (zB ORF) und
Fonds und selbständige Anstalten (zB die Österreichische Nationalbank, Finanzmarktaufsicht, Statistik Österreich, Arbeitsmarktservice)
zu verstehen.18
2. Personenhandelsgesellschaften – eingetragene Erwerbs­
gesellschaften
Diesen Gesellschaften kommt im Außenverhältnis eine der juristischen 19
Person ähnliche Stellung zu. Insbesondere sind sie zivilrechtlich wie
diese deliktsfähig. Im Gegensatz zu juristischen Personen haften neben
dem Gesellschaftsvermögen jedoch auch die Mitglieder persönlich.
Unabhängig von den einzelnen Gesellschaftern sind sie Träger von
Rechten und Pflichten. Es besteht regelmäßig ein Sondervermögen, das
vom Vermögen der Gesellschafter getrennt ist.19 Personenhandels­
gesellschaften sind zB die Offene Handelsgesellschaft (OHG) und die
Kommanditgesellschaft (KG). Ebenso werden europäische wirtschaft­
liche Interessenvereinigungen vom Verbandsverantwortlichkeitsgesetz
erfasst.20
3. Ausgenommen von der Verbandsverantwortlichkeit
(§ 1 Abs 3 VbVG)
Das VbVG ist nicht auf Einzelunternehmen (Einzelhandelskaufleute) 20
anwendbar. Sie sind nicht per se als Verbände anzusehen. Die Größe oder
Tätigkeit des Unternehmens ist dabei ohne Belang.21 Auch die Gesellschaft bürgerlichen Rechts wird vom VbVG nicht erfasst, da ihr nach den
bürgerlichen Gesetzen keine Rechtspersönlichkeit zukommt.22
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RV 994 BlgNR 22. GP, 16.
RV 994 BlgNR 22. GP, 16.
RV 994 BlgNR 22. GP, 17.
Näher dazu E. Steininger, VbVG, Kommentar, § 1 Rz 22.
E. Steininger, VbVG, Kommentar, § 1 Rz 23.
E. Steininger, VbVG, Kommentar, § 1 Rz 24.
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Ausdrücklich ausgenommen aus der Verbandsverantwortlichkeit ist
der (ruhende) Nachlass (§ 547 ABGB), obwohl dieser herrschend als
juristische Person angesehen wird.23
22
Auch Bund, Länder, Gemeinden und andere juristische Personen
können nicht als Verbände strafrechtlich zur Verantwortung gezogen
werden, soweit sie hoheitlich („in Vollziehung der Gesetze“) handeln.
Hoheitliches Handeln ist daher generell vom Anwendungsbereich des
Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes ausgenommen. Das privatwirtschaftliche Handeln der öffentlichen Hand, gleich in welcher Form,
kann jedoch theoretisch eine Verbandsverantwortlichkeit begründen.24
23
Anerkannte Kirchen, Religionsgesellschaften und religiöse Bekenntnisgemeinschaften fallen ebenfalls nicht in die Verbandsverantwortlichkeit, soweit sie seelsorgerisch tätig sind. Ein von einem geistlichen Orden geführtes Unternehmen (zB Gastronomiebetrieb,
Weinkel­lerei) wird hingegen vom VbVG erfasst.25
21
IV. Zuständigkeit
24 Abhängig von der Schwere des Finanzvergehens normiert das FinStrG
die Zuständigkeit des Gerichtes oder der Finanzstrafbehörde zur
Durchführung des Finanzstrafverfahrens (§ 53). Die Finanzvergehen
lassen sich daher in gerichtlich strafbare und verwaltungsbehördlich
strafbare Finanzvergehen einteilen. § 53 legt fest, unter welchen Voraussetzungen Gerichtszuständigkeit gegeben ist. Finanzvergehen, für die
nicht ausdrücklich Gerichtszuständigkeit normiert ist, sind von den
Finanzstrafbehörden zu ahnden (§ 53 Abs 6).
25
Die Frage der Zuständigkeit orientiert sich an der Höhe des Wert­
betrages, nach dem sich die Strafdrohung richtet (strafbestimmender
Wertbetrag). Es sind dies die Abgabenbeträge, welche dem Bund durch
das Finanzvergehen entgangen sind oder beim bloßen Tatversuch entgehen hätten sollen (zB Verkürzungsbetrag, Höhe der ungerecht­
fertigten Abgabengutschrift, § 33 Abs 5, § 34 Abs 4, § 35 Abs 4, § 36
Abs 3, § 37 Abs 2, 3).
26
Für die verwaltungsbehördlich strafbaren Finanzvergehen, welche in der Praxis die überwiegende Zahl bilden, ist eine eigenständige
Verfahrensordnung normiert (§§ 56 bis 194e). Für gerichtlich straf­
bare Finanzvergehen gilt grundsätzlich die StPO (§ 195 Abs 1), wobei
jedoch Sonderbestimmungen in den §§ 196a bis 246 vorgesehen sind.
RV 994 BlgNR 22. GP, 17.
Frank-Thomasser/Punz, Das neue Unternehmensstrafrecht, 12.
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E. Steininger, VbVG, Kommentar, § 1 Rz 32.
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§ 2
Das FinStrG bezieht sich nur auf Abgaben iSd § 2. Es sind dies im 27
Wesentlichen bundesrechtlich geregelte Abgaben. Im Bereich des lan­
desgesetzlichen und kommunalsteuerlichen Abgabenstrafrechts gelten § 29 FinStrG (Selbstanzeige) und das Verwaltungsstrafgesetz 1991
(VStG, BGBl 1991/52 idgF, § 254 Abs 1).
§ 2. (1) Abgaben im Sinne dieses Artikels sind:
a)die bundesrechtlich geregelten und die durch unmittelbar
wirksame Rechtsvorschriften der Europäischen Union gere­
gelten öffentlichen Abgaben sowie die bundesrechtlich gere­
gelten Beiträge an öffentliche Fonds und an Körperschaften
des öffentlichen Rechts, die nicht Gebietskörperschaften sind,
soweit diese Abgaben und Beiträge bei Erhebung im Inland
von Abgabenbehörden des Bundes zu erheben sind;
b) die Grundsteuer und die Lohnsummensteuer;
c) die in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union
zu erhebende Einfuhrumsatzsteuer oder durch Rechtsvor­
schriften der Europäischen Union harmonisierte Verbrauch­
steuern, sofern der Abgabenanspruch in Zusammenhang mit
einem in diesem Staat begangenen Finanzvergehen, das im
Inland verfolgt wird, entstanden ist.
(2) Die Stempel- und Rechtsgebühren und die Konsulargebühren
sind – mit Ausnahme der Wettgebühren nach § 33 TP 17 Abs. 1 Z 1
GebG 1957 – keine Abgaben im Sinne des Abs. 1.
(3) Monopol im Sinne dieses Artikels ist das Tabakmonopol.
(zuletzt geändert durch BGBl I 2010/104)
Literatur
Arnold, Kommt der persönlich Haftende als unmittelbarer Täter für eine Abgaben­
hinterziehung in Betracht?, ÖStZ 1998, 520; Biber/Brandstetter, Schmuggel über mitgliedstaatliche Umwege – die mittelbare Einfuhr von Zigaretten nach Österreich,
taxlex 2009, 361; Fellner, Verjährung hinterzogener Abgaben, RdW 2009/60.
I. Abgabenbegriff (§ 2 Abs 1)
§ 2 Abs 1 definiert den Abgabenbegriff:
1
A. Bundesrechtlich geregelte Abgaben (§ 2 Abs 1 lit a)
Abgaben iSd FinStrG sind alle bundesrechtlich geregelten Abgaben, 2
soweit diese Abgaben bei Erhebung im Inland von Abgabenbehörden
des Bundes zu erheben sind. Abgabenbehörden des Bundes sind die im
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