LWF–Abteilung2 Klimawandel – eine Herausforderung für Forstwirtschaft und Forstwissenschaft Christian Kölling Bei der Diskussion über die Auswirkungen des Klimawandels auf die Wälder ist es schwer, das richtige Maß zu halten. Auf der einen Seite drohen Alarmismus und Aktionismus, auf der anderen Seite Bagatellisierung und Passivität. Mit relativ einfachen Überlegungen kann man jedoch zu der Erkenntnis gelangen, dass schon das günstigste anzunehmende Szenario unsere Wälder in ungewohnter Weise belasten wird. Die ins Haus stehenden Veränderungen der natürlichen Rahmenbedingungen werden zu einer großen Herausforderung für die Forstwirtschaft unseres Jahrhunderts werden. Die Forstwissenschaft, die die Prozesse des Wandels vorausschauend begleitet, muss ihren Methodenkanon um neue und fremde Elemente bereichern. Schließlich ist es nicht mehr mit dem Blick in eine abgeschlossene Vergangenheit getan, sondern es werden Perspektiven für eine offene und ungewisse Zukunft gefordert. Häufig hört man das Argument, der Klimawandel sei eine unbewiesene Projektion in die Zukunft und es könne ebenso gut auch alles anders kommen. Jedoch zeigt ein Blick in die Vergangenheit, dass wir uns schon mitten im Wandel befinden. Der Klimawandel findet bereits seit geraumer Zeit statt. Abb. 1 zeigt für das Gebiet Deutschlands die Temperaturentwicklung vom Beginn der Messungen in der Mitte des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. In der ersten Hälfte der dargestellten Periode bis 1900 herrschte das kühle Klima der „kleinen Eiszeit“. Danach folgte eine Phase der Erwärmung, die 1950 bis 1990 stagnierte. Heute wissen wir, dass diese Stagnation auf die Luftverunreinigungen zurückging, die damals in hohem Maße die Sonnenstrahlung zurückgehalten haben. Ab 1990 beginnt ein überaus kräftiger Anstieg der Temperatur bis in die Gegenwart. Der geschilderte Tempe- raturverlauf macht deutlich, dass die Wälder unserer Tage anderen Umweltbedingungen ausgesetzt sind als ihre Vorgänger nur eine bis zwei Baumgenerationen zuvor. Unsere heutigen Wälder wurden in ihrer Ausdehnung und Zusammensetzung in der Periode der „kleinen Eiszeit“ gestaltet [17]. Aus dieser Zeit stammt das Erbe der Kiefern- und Fichtenbestockung, die bundesweit mit 52 % das Waldkleid vieler Regionen dominiert [3]. Betrachtet man den Temperaturverlauf in Abb. 1, so verwundert es wenig, wenn da und dort die Bewirtschaftung einiger aus einer anderen, kälteren Zeit in die unsere herüber ragenden Wälder an ihre Grenzen stößt. Bereits in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde der Wechsel in eine wärmere Zeit und die damit verbundenen Probleme beim Anbau der Fichte von WIEDEMANN in Sachsen und REBEL in Bayern registriert [12, 20, 23]. Abb. 1: Temperaturanomalien 1761 bis 2010 in Deutschland, Bezugsperiode: 1961 bis 1990 Aus [21] ergänzt durch [4] und [5] 14 13/2011 AFZ-DerWald UngewisseZukunft? Obwohl alle Vorhersagen in die Zukunft mit Unsicherheit belastet sind, gibt es doch Techniken, der Unsicherheit zu begegnen. Eine dieser Techniken ist das „Best Case Scenario“. Dabei betrachtet man unter mehreren möglichen Verläufen den besten und erhält so eine optimistische Zukunftsschätzung, die mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht übertroffen, sondern wesentlich wahrscheinlicher durch ungünstigere Entwicklungen unterboten wird. Bei der Erstellung von Abb. 2 sind wir diesem Prinzip gefolgt und wenden das günstigste Emissionsszenario B1 zusammen mit dem konservativen regionalen Klimamodell WETTREG [22] auf die Verhältnisse Bayerns an. Außerdem beschränken wir uns auf die mittlere Jahrestemperatur als stabile und gut modellierbare Klimagröße. Das Bayern des Jahres 2100 wird geprägt sein vom Temperaturbereich 9 bis 11 °C. Dies entspricht einer durchschnittlichen Erhöhung gegenüber der Gegenwart um 1,8 °C. Derart hohe Temperaturen über 9 °C kommen im Bayern unserer Tage kaum vor, wie Abb. 3 ausweist. In dieser Abbildung ist die derzeitige europäische Ausdehnung der künftig in Bayern verbreiteten Temperaturbereiche dargestellt. Man müsste zum Teil weit in Europa herumreisen, um zur künftigen Temperatur Bayerns analoge Regionen zu finden. Die im betrachteten günstigsten Fall erwartete Temperaturerhöhung von „nur“ knapp 2 °C bedeutet tatsächlich einen geografischen Sprung von mehreren hundert Kilometern. Leicht kann man den mit wachsender Entfernung sich vollziehenden Wandel der Wälder beobachten, wenn man mit Zug oder Auto eine Fernreise unternimmt. In den meisten Fällen spielt dabei das mit der Ferne sich ändernde Klima die wichtigste Rolle. Mit Dr. C. Kölling leitet die Abteilung „Boden und Klima“ der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft in Freising Weihenstephan. ChristianKölling [email protected] www.forstpraxis.de LWF – Abteilung 2 Abb. 2: Mögliche regionale Verteilung der Jahresdurchschnittstemperatur in Bayern im Jahr 2071 bis 2100 Wettreg B1, [24] und [22] dem Klimawandel wird unseren Wäldern eine Akklimatisierungsleistung abverlangt, die einer Verpflanzung um mehrere Hundert Kilometern gleichkommt. Andere Länder – anderes Klima – andere Bäume – andere Forstwirtschaft Um sich eine Vorstellung von den Auswirkungen des Klimawandels auf Wälder zu machen, empfiehlt sich somit ein Ausflug in die jeweiligen Analogregionen für das Klima von morgen. Dabei wird man erkennen, was erstaunlicherweise an Ähnlichkeiten noch besteht, was auf keinen Fall mehr funktioniert und was an neuen Möglichkeiten hinzukommt. Gewiss reicht es nicht aus, nur die Temperatur als Vergleichsmaßstab zu verwenden, man sollte auch die Niederschläge und den allgemeinen Klimacharakter mit betrachten. Man muss bedenken, dass in anderen Regionen andere Traditionen der Baumartenwahl bestehen und manche Baumarten auf natürliche Weise gar nicht bis dorthin gelangt sind. Trotz aller dieser Einschränkungen wird man die Einsicht gewinnen, dass die Anbaumöglichkeiten unserer Waldbaumarten und damit auch die Möglichkeiten der Forstwirtschaft in hohem Grade klimaabhängig sind. Ganz offenkundig gibt es für alle Baumarten klimatische Schwellenwerte, jenseits derer eine Existenz unmöglich oder zumindest schwierig ist. Ein weiterer Schwellenwert ergibt sich daraus, ob mit der Baumart überhaupt ein forstwirtschaftlicher Erfolg zu erzielen ist, oder ob Risiken und Misserfolge die Erlöse aufzehren. In räumlich entfernten, aber dem künftigen Klima ähnlichen Regionen kann man trotz der genannten Einschränkungen eine erste Vorstellung davon gewinnen, was mögliche Auswirkungen des Klimawandels auf unsere Wälder sein können. www.forstpraxis.de Abb. 3: Regionale Verteilung der Jahresdurchschnittstemperatur in Europa 1950 bis 2000 [11] Ist die Forstwirtschaft gerüstet? Forstwirtschaft wird seit altersher in lokalem bis regionalen Maßstab betrieben. Bisher war das ein Erfolgsmodell, denn nur aus der Kenntnis der örtlichen Bedingungen und der langjährigen Erfahrungen im Revier entwickelt sich das Fingerspitzengefühl, das für die Behandlung von Wäldern unerlässlich ist. Das eiserne Gesetz des Örtlichen wird vor Ort erfahren, befolgt und an den Reviernachfolger weitergeben. Doch was ist, wenn sich innerhalb nur einer Baumgeneration die Bedingungen grundlegend ändern? Was gelten dann die unter den begrenzten und konstanten Bedingungen der Vergangenheit gemachten Erfahrungen? Wenn im fränkischen Revier nach ein paar Jahrzehnten französische Bedingungen herrschen, benötigt dann der Förster in Franken vielmehr nicht auch die Erfahrungen der Kollegen in Frankreich? Noch komplizierter wird es, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die neuen Verhältnisse nicht schlagartig einziehen werden, sondern dass die Bäume den Veränderungsprozess selbst als eigene Belastung erleben werden: sie müssen sowohl die kühle Gegenwart als auch die warme Zukunft und dazu noch die Zeit des Übergangs gleichermaßen erdulden. Es sieht nicht so aus, als ob ein traditionsreicher, auf Empirie aufgebauter und im positiven Sinne konservativer Wirtschaftszweig wie die Forstwirtschaft auf einen raschen Wandel der Erzeugungsbedingungen gut vorbereitet wäre. Es ist vielmehr eine große Herausforderung, den vorhandenen Erfahrungsschatz um das Wissen aus anderen Regionen zu erweitern. Analogiebetrachtungen können hierbei eine große Hilfe sein. Man darf jedoch nicht übersehen, dass uns der Klimawandel auch Klimakombinationen bescheren kann, die gänzlich neuartig sind und für die es derzeit noch gar keine Beispiele gibt [19]. Hier wachsen unsere Waldbäume in eine Umwelt hinein, mit der sie bisher überhaupt nicht konfrontiert werden konnten. In diesen Fällen eines nicht-analogen Klimas ist dann die Erfahrung mit ihren Möglichkeiten endgültig am Ende angelangt und es ist vielmehr, als neue forstliche Tugend, die Fantasie gefragt. Wie kann die Forstwissenschaft den Wandel begleiten? In Anbetracht der neuen und ungewohn­ ten Situation des Klimawandels ist nicht nur die Fortwirtschaft, sondern vor allem auch die Forstwissenschaft gefordert. Wenn das einfache Befolgen von Traditionen und der Rückgriff auf lokale Erfahrung nicht mehr ausreichen, dann werden mit wissenschaftlichen Methoden abgeleitete Entscheidungsregeln benötigt. Nur so können die vielen im Zusammenhang mit dem Wandel auftretenden Fragen beantwortet werden: • Wo liegen die Anbauschwellenwerte unserer Baumarten? • Auf welchen Standorten werden sie unteroder überschritten? • Was geschieht bei einer Überschreitung des Schwellenwertes? • Welches sind die neuen Risiken und wie kann man ihnen begegnen? • Welche Modelle existieren für die waldbauliche Anpassung der Wälder? • Welche ökonomischen Folgen hat eine Überschreitung des Schwellenwertes? In der Forstwissenschaft sind vor allem zwei Methoden verbreitet, um Erkenntnisse zu gewinnen: Beobachtung und Experiment. • An Inventurpunkten und auf Beobachtungsflächen erfassen wir den gegenwärtigen Zustand und die Entwicklungen der Vergangen- 13/2011 AFZ-DerWald 15 LWF – Abteilung 2 Literaturhinweise: [1] ALLEN, C. D.; MACALADY, A. K.; CHENCHOUNI, H.; BACHELET, D.; MCDOWELL, N.; VENNETIER, M.; KITZBERGER, T.; RIGLING, A.; BRESHEARS, D. D.; HOGG, E. 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Fachtagung BIOMET des Fachausschusses Biometeorologie der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft e.V. Berichte des Meteorologischen Institutes der Universität Freiburg 16, 152-159. 16 13/2011 AFZ-DerWald heit. Aus der historischen Zusammenschau von Einflussfaktoren einerseits und Wirkungsgrößen andererseits werden Gesetzmäßigkeiten abgeleitet, die zu Regeln formuliert werden. Ein gutes Beispiel für diese Vorgehensweise sind die Ertragstafeln. Sie entstehen aus der retrospektiven Betrachtung des Waldwachstums bei verschiedenen Einflüssen unter definierten Rahmenbedingungen. Die Beobachtungen wer­ den in einem zweiten Schritt modellhaft zu Regeln verdichtet. In den meisten Zweigen der Forstwissenschaft geht man so vor und erfasst Zielgrößen wie Vitalität, Wachstum, Ertrag und Betriebserfolg unter den unterschiedlichsten Einflussgrößen und Rahmenbedingungen. • Die zweite Methode, das kontrollierte Experiment, ist aus einem nahe liegenden Grund weniger verbreitet: Wälder mit ihren langen Generationszeiträumen sperren sich oft gegen das klassische wissenschaftliche Experiment. Nichtsdestoweniger gibt es Beispiele für forstwissenschaftliche Experimente, nämlich Anbau-, Herkunfts-, Dünge-, Durchforstungs- und Verjüngungsexperimente, bei denen unter weitgehend kontrollierten Bedingungen und in Echtzeit Ursache – Wirkungsbeziehungen abgeleitet werden. Beiden wissenschaftlichen Methoden, Beobachtung wie Experiment, ist gemeinsam, dass ihre Schlussfolgerungen nur für die Rahmenbedingungen und Wertebereiche gelten, unter denen die Ergebnisse erzielt wurden. Im Klimawandel zeigt sich nun, dass diese Grundvoraussetzung wissenschaftlicher Arbeit nicht mehr gegeben ist. Es wird schwierig bis unmöglich werden, Regeln, die für eine kühle Klimaumwelt abgeleitet wurden, auf Wälder und Betriebe in einer zukünftig wärmeren Welt zu übertragen. Wege aus der Krise Erkenntnisse über eine zukünftige Entwicklung können somit ohne weiteres nicht mit den rückwärts gewandten Methoden der Beobachtung und des Experiments gemacht werden, wenn sich Einflussfaktoren und Rahmenbedingungen über den Bereich hinaus entwickeln, in dem die Untersuchung stattgefunden hat. In diesem Fall ist es unerlässlich, den Geltungsbereich der Beobachtungen und Experimente so zu erweitern, dass auch die künftigen Fälle abgedeckt sind. Greifen wir zurück auf Abb. 3. Stehen bei uns künftig Klimaverhältnisse, wie sie jetzt in Frankreich oder Ungarn herrschen, ins Haus, so müssen wir in der Forstwissenschaft unsere Beobachtungen und Experimente in diese Bereiche ausdehnen. Stärker als bisher müssen wir darauf achten, dass unsere Erkenntnisse allgemeingültig formuliert sind und nicht nur lokal oder historisch eingeschränkte Gültigkeit besitzen. Wenn sich die Bedingungen vor Ort so stark ändern, wie es im Klimawandel der Fall ist, dann brauchen wir Regeln, die generell und nicht nur örtlich oder in einer bestimmten Zeitperiode gültig sind. Mit Modellen, die auf großen, in ganz Europa gewonnenen Datensätzen gewonnen sind, kann man dieses Ziel erreichen. Ein Beispiel für dieses Vorgehen ist die insgesamt neue Technik der Artverbreitungsmodelle [7], die erst in allerjüngster Zeit auch in der Forstwissenschaft angewendet werden, um Schwellenwerte für den Anbau der Baumarten abzuleiten. Mit dem neuen Instrumentarium der Artverbreitungsmodelle und deren Modifikation an die Erfordernisse der Forstwissenschaft beschreiten wir einen neuen und ungewohnten Weg [6, 9, 18]. Die damit verbundene Innovation ist kein Selbstzweck, sondern den Erfordernissen der Klimawandelanpassung geschuldet. Wie alle Innovationen erzeugt auch diese Neuerung Skepsis und teilweise auch Ablehnung [2, 10], und es ist klar, dass es gewisse methodische Unzulänglichkeiten gibt. Allen Unkenrufen und Schwierigkeiten zum Trotz ist es dennoch gelungen, Artverbreitungsmodelle für die Konstruktion erster Klima-Risikokarten zu nutzen, die der Forstwirtschaft bei der Entscheidungsfindung in der Baumartenwahl seit kurzem zur Verfügung stehen [8, 13, 14, 15]. Wenn es dem Wald zu heiß wird... Der Klimawandel kommt schleichend und auf leisen Sohlen. Auch wenn es viele Anzeichen dafür gibt, dass eine neue Zeit begonnen hat, fällt es schwer, einzelne Schad­ereignisse unmittelbar und in direkter Kausalkette dem Klimawandel zuzuordnen. Dennoch werden weltweit Veränderungen beobachtet, die sich eindeutig mit dem Klimawandel in Verbindung bringen lassen [1, 16]. Eine der wichtigsten Aktivitäten der Forstwissenschaft wird künftig darin bestehen, die Auswirkungen des Wandels aufzuspüren und zu dokumentieren. Dort, wo Wälder schon heute nahe an den Schwellenwerten existieren, ist die Wahrscheinlichkeit von Schwellenwertüberschreitungen und von klimawandelinduzierten Schäden am höchsten. Eine Überwachung der Wälder und eine Untersuchung der Reaktionsmuster speziell in diesen besonders gefährdeten Regionen erlauben uns den Analogieschluss auf das, was uns künftig bei fortschreitendem Klimawandel auch anderswo vermehrt begegnen wird. Von einer Ressortforschungsanstalt wie der LWF wird erwartet, dass sie die vielfältigen Ergebnisse der Forschung zu Wäldern im Klimawandel zusammenfasst und zu maßgeschneiderten Handlungsempfeh- www.forstpraxis.de ERNST EBERMAYER – ein Mann der ersten Stunde Als im Jahr 1881 die Forstliche Forschungsanstalt in München gegründet wurde, ernannte man den Universitätsprofessor ERNST WILHELM FERDINAND EBERMAYER (1829 bis 1908) zum Vorstand der bodenkundlich-meteorologischen Abteilung. 130 Jahre später gibt es an der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft wieder eine Abteilung, die sich „Boden und Klima“ nennt und damit Fragestellungen vereint, die schon damals zusammen bearbeitet wurden. Der Name EBERMAYER ist untrennbar mit zwei Themen verbunden: • Im Jahre 1868 errichtet und betreibt EBERMAYER erstmals mehrere forst-meteorologische „Doppelstationen“ in verschiedenen Regionen Bayerns, mit denen die Besonderheiten des Waldinnenklimas im Vergleich zum Freilandklima deutlich belegt werden konnten. EBERMAYER kann daher auch als Urvater der heutigen Waldklimastationen in Bayern und somit auch des forstlichen Umweltmonitorings in Europa bezeichnet werden. Gemeinsam mit Zeitgenossen wie MÜTTRICH in Preußen, HAMBERG in Schweden oder LORENZ VON LIBURNAU in Österreich entwarf EBERMAYER eine grundlegende Vorstellung von der Bedeutung des Waldes im Naturhaushalt von Landschaften. Niedergelegt sind diese Untersuchungen in seinem Werk „Die physikalischen Einwirkungen des Waldes auf Luft und Boden und seine klimatologische und hygienische Bedeutung, begründet durch die Beobachtungen der Forst.-Meteorolog. Stationen im Königreich Bayern“ (1873). • Die andere große Leistung Ebermayers ist es, die Zusammenhänge zwischen der Streunutzung und der Abnahme der Bodenfruchtbarkeit aufgedeckt zu haben. Was uns heute als Allgemeingut erscheint, war damals eine völlig neuartige Erkenntnis. Im Werk „Die gesammte Lehre der Waldstreu mit Rücksicht auf die chemische Statik des Waldes. Unter Zugrundlegung der in den Königl. Staatsforsten Bayerns angestellten Untersuchungen. Resultate der forstlichen Versuchsstationen Bayerns“ (1876) wird dargelegt, wie sehr die Streunutzung in die Nährstoffkreisläufe eingreift und zwangsläufig zur Bodendegradation führt. 1882 schließlich – die Forstliche Forschungsanstalt war gerade ein Jahr alt – erscheint bei JULIUS SPRINGER in Berlin sein Lehrbuch „Naturgesetzliche Grundlagen des Waldund Ackerbaues. 1. Physiologische Chemie der Pflanzen. Zugleich Lehrbuch der organischen Chemie und Agrikulturchemie für Forst- und Landwirthe, Agrikulturchemiker, Botaniker etc. 1. Die Bestandtheile der Pflanzen.“ Dieses Werk darf man zu Recht als Grundlegung der Waldernährungslehre betrachten. Darin findet sich eine Textpassage, die vor dem Hin- lungen für die Forstwirtschaft verdichtet. Ferner wird sie eigene Forschungen, z.B. zu den Schwellenwerten des Baumartenanbaus, voranbringen (Projekt „Bäume für die Zukunft“). Um die Schwellenwerte auf der Fläche anwenden zu können, wird eine neue Qualität forstlicher Standortinformation benötigt, die weit über das hinausgeht, www.forstpraxis.de DamalsStreunutzung– heuteBiomassenutzung ERNST WILHELM F. EBERMAYER (1829 bis 1908). Foto: WaldGeschichten. Forst und Jagd in Bayern 811 – 2011. Ausstellungskatalog Staatliche Archive Bayerns. München 2011 Dieses Zitat belegt eindrucksvoll, dass gleiche Fragestellungen zu verschiedenen Zeit auftauchen. Zur Zeit EBERMAYERS war das Problem der Streunutzung so drängend, dass es nach einer Lösung verlangte. Damals führten nicht zuletzt die Untersuchungen EBERMAYERS dazu, die Rolle der Waldabfälle, des Streufalls, wie wir heute sagen würden, neu zu bewerten und die Übernutzungen einzustellen. In heutiger Zeit beschäftigt uns das Problem der gesteigerten Biomassenutzung, die unter anderen Vorzeichen ebenfalls ein Risiko des Verlusts an Nährstoffkapital darstellt. Gelangen Kronenteile bei der Ernte nicht mehr auf den Boden, sondern werden als zusätzliche Biomasse genutzt, so kann die von EBERMAYER als natürlicher Dünger titulierte Humusschicht Schaden nehmen. Ebenso wie damals EBERMAYER sind wir heute bemüht, die „chemische Statik“ der Wälder in einem günstigen Zustand zu erhalten. DamalsWaldklima–heuteKlimawandel tergrund heutiger Probleme eine erstaunliche Aktualität bekommt (s. Kasten). „Dieses periodisch von dem Holzbestande benutzte Nährstoffkapital, welches durch die Thätigkeit der Faserwürzelchen der Bäume den tieferen Bodenschichten entnommen wird, geht somit bei geregelter Waldwirtschaft dem Boden nicht verloren. sondern wird durch die Waldabfälle den oberen Bodenschichten in einer für die Pflanzen leicht aufnehmbaren Form wieder zugeführt. Durch diese Vorgänge wird die obere Bodenkrume des Waldes auf Kosten des Untergrundes an mineralischen Nährstoffen mehr und mehr bereichert. Bedenken wir, dass durch dieselben Abfälle dem Boden auch stetig kohlenstoffreiche und zum Theil stickstoffhaltige organische Stoffe zugeführt werden, deren Zersetzungsprodukte (Kohlensäure und Ammoniak) als Nährmittel für die Bäume dieselbe Bedeutung haben, wie die Zersetzungsprodukte der organischen Substanz des Stalldüngers für die Ackergewächse, so ist einleuchtend, dass die Bodendecke in der That nichts Anderes als der natürliche Dünger des Waldes ist, und wir begreifen, warum die obere Krume eines schlechten unfruchtbaren Bodens durch Waldkultur zu einer gewissen Fruchtbarkeit gebracht werden kann.“ Auszug aus: Naturgesetzliche Grundlagen des Wald- und Ackerbaues (S. 723) was in den herkömmlichen Standortskarten verzeichnet ist. Auch hier ist die LWF stark engagiert (Projekt „Karten für die Zukunft“). Die ausgebauten Netze der Inventuren (Bodenzustandserhebung und Kronenzustandserhebung) und Dauerbeobachtungsflächen (Waldklimastationen und Bodendauerbeobachtungsflächen) stehen bereit, um den Wandel in allen Mit dem Netz der bayerischen Waldklimastationen, die wie zu EBERMAYERS Zeiten als Doppelstationen auf der Freifläche und im Bestand angelegt sind, mit den Betrachtungen zu den Stoffkreisläufen im Wald und mit den Untersuchungen zu den Möglichkeiten und Grenzen der Biomassenutzung greift die Abteilung „Boden und Klima“ der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) Themen und Methoden EBERMAYERS auf, um damit Fragen der Gegenwart zu beantworten. Dieses besondere Verhältnis von Tradition und Moderne ist ein Kennzeichen der Arbeit der LWF. Schließlich handelt es sich bei Wäldern um langlebige Lebensgemeinschaften, die zunehmend anthropogenen Umweltbelastungen ausgesetzt sind. Seit annähernd drei Jahrzehnten nimmt deshalb die kontinuierliche Erfassung und Bewertung umweltbedingter Veränderungen in den Wäldern einen wichtigen Stellenwert an der LWF und an forstlichen Forschungseinrichtungen Europas ein. Dass sich bereits 100 Jahre nach seinem Tod die Ausgangsbedingungen für Wald und Forstwirtschaft durch einen Klimawandel erheblich ändern würden, konnte EBERMAYER allerdings nicht ahnen. So verbinden wir in der Abteilung „Boden und Klima“ der LWF alte und neue Themen und haben dabei das schon EBERMAYER eigene Ziel, die Wälder vor Schaden zu bewahren und ihre vielfältige Nutzbarkeit zu erhalten. ChristianKölling,Hans-PeterDietrichund StephanRaspe H.-P. Dietrich und Dr. S. Raspe sind Mitarbeiter in der Abteilung „Boden und Klima“ an der LWF. Auswirkungen zu entdecken und frühzeitig zu warnen, wenn unvorhergesehene Ereignisse auftreten. Der Größe und der Natur der Aufgabe entsprechend ist die LWF dabei auf Partner außerhalb Bayerns angewiesen. Nur mit großen gemeinsamen Anstrengungen wird es gelingen, unsere Wälder in annehmbarem Zustand an das nächste Jahrhundert zu übergeben. ◀ 13/2011 AFZ-DerWald 17