Klimawandel – eine Herausforderung für Forstwirtschaft und

Werbung
LWF–Abteilung2
Klimawandel – eine Herausforderung
für Forstwirtschaft und Forstwissenschaft
Christian Kölling
Bei der Diskussion über die Auswirkungen des Klimawandels auf die Wälder ist es schwer, das richtige Maß zu halten. Auf der einen Seite drohen
Alarmismus und Aktionismus, auf der anderen Seite Bagatellisierung
und Passivität. Mit relativ einfachen Überlegungen kann man jedoch
zu der Erkenntnis gelangen, dass schon das günstigste anzunehmende
Szenario unsere Wälder in ungewohnter Weise belasten wird. Die ins
Haus stehenden Veränderungen der natürlichen Rahmenbedingungen
werden zu einer großen Herausforderung für die Forstwirtschaft unseres
Jahrhunderts werden. Die Forstwissenschaft, die die Prozesse des Wandels vorausschauend begleitet, muss ihren Methodenkanon um neue
und fremde Elemente bereichern. Schließlich ist es nicht mehr mit dem
Blick in eine abgeschlossene Vergangenheit getan, sondern es werden
Perspektiven für eine offene und ungewisse Zukunft gefordert.
Häufig hört man das Argument, der Klimawandel sei eine unbewiesene Projektion in die Zukunft und es könne ebenso
gut auch alles anders kommen. Jedoch
zeigt ein Blick in die Vergangenheit, dass
wir uns schon mitten im Wandel befinden. Der Klimawandel findet bereits seit
geraumer Zeit statt. Abb. 1 zeigt für das
Gebiet Deutschlands die Temperaturentwicklung vom Beginn der Messungen in
der Mitte des 18. Jahrhunderts bis in die
Gegenwart. In der ersten Hälfte der dargestellten Periode bis 1900 herrschte das
kühle Klima der „kleinen Eiszeit“. Danach
folgte eine Phase der Erwärmung, die 1950
bis 1990 stagnierte. Heute wissen wir, dass
diese Stagnation auf die Luftverunreinigungen zurückging, die damals in hohem
Maße die Sonnenstrahlung zurückgehalten haben. Ab 1990 beginnt ein überaus
kräftiger Anstieg der Temperatur bis in
die Gegenwart. Der geschilderte Tempe-
raturverlauf macht deutlich, dass die Wälder unserer Tage anderen Umweltbedingungen ausgesetzt sind als ihre Vorgänger nur eine bis zwei Baumgenerationen
zuvor. Unsere heutigen Wälder wurden
in ihrer Ausdehnung und Zusammensetzung in der Periode der „kleinen Eiszeit“
gestaltet [17]. Aus dieser Zeit stammt das
Erbe der Kiefern- und Fichtenbestockung,
die bundesweit mit 52 % das Waldkleid
vieler Regionen dominiert [3]. Betrachtet
man den Temperaturverlauf in Abb. 1, so
verwundert es wenig, wenn da und dort
die Bewirtschaftung einiger aus einer anderen, kälteren Zeit in die unsere herüber
ragenden Wälder an ihre Grenzen stößt.
Bereits in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde der Wechsel in eine wärmere Zeit und die damit verbundenen Probleme beim Anbau der Fichte von
WIEDEMANN in Sachsen und REBEL in Bayern
registriert [12, 20, 23].
Abb. 1:
Temperaturanomalien
1761 bis 2010
in Deutschland,
Bezugsperiode:
1961 bis 1990
Aus [21] ergänzt
durch [4] und [5]
14
13/2011 AFZ-DerWald
UngewisseZukunft?
Obwohl alle Vorhersagen in die Zukunft
mit Unsicherheit belastet sind, gibt es doch
Techniken, der Unsicherheit zu begegnen.
Eine dieser Techniken ist das „Best Case
Scenario“. Dabei betrachtet man unter
mehreren möglichen Verläufen den besten
und erhält so eine optimistische Zukunftsschätzung, die mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht übertroffen, sondern wesentlich wahrscheinlicher durch ungünstigere
Entwicklungen unterboten wird. Bei der
Erstellung von Abb. 2 sind wir diesem Prinzip gefolgt und wenden das günstigste
Emissionsszenario B1 zusammen mit dem
konservativen regionalen Klimamodell
WETTREG [22] auf die Verhältnisse Bayerns
an. Außerdem beschränken wir uns auf die
mittlere Jahrestemperatur als stabile und
gut modellierbare Klimagröße. Das Bayern des Jahres 2100 wird geprägt sein vom
Temperaturbereich 9 bis 11 °C. Dies entspricht einer durchschnittlichen Erhöhung
gegenüber der Gegenwart um 1,8 °C. Derart hohe Temperaturen über 9 °C kommen
im Bayern unserer Tage kaum vor, wie
Abb. 3 ausweist. In dieser Abbildung ist
die derzeitige europäische Ausdehnung
der künftig in Bayern verbreiteten Temperaturbereiche dargestellt. Man müsste
zum Teil weit in Europa herumreisen, um
zur künftigen Temperatur Bayerns analoge
Regionen zu finden. Die im betrachteten
günstigsten Fall erwartete Temperaturerhöhung von „nur“ knapp 2 °C bedeutet
tatsächlich einen geografischen Sprung
von mehreren hundert Kilometern. Leicht
kann man den mit wachsender Entfernung
sich vollziehenden Wandel der Wälder beobachten, wenn man mit Zug oder Auto
eine Fernreise unternimmt. In den meisten
Fällen spielt dabei das mit der Ferne sich
ändernde Klima die wichtigste Rolle. Mit
Dr. C. Kölling leitet die
Abteilung „Boden und
Klima“ der Bayerischen
Landesanstalt für Wald
und Forstwirtschaft in
Freising Weihenstephan.
ChristianKölling
[email protected]
www.forstpraxis.de
LWF – Abteilung 2
Abb. 2: Mögliche regionale Verteilung der Jahresdurchschnittstemperatur
in Bayern im Jahr 2071 bis 2100 Wettreg B1, [24] und [22]
dem Klimawandel wird unseren Wäldern
eine Akklimatisierungsleistung abverlangt, die einer Verpflanzung um mehrere
Hundert Kilometern gleichkommt.
Andere Länder – anderes Klima
– andere Bäume –
andere Forstwirtschaft
Um sich eine Vorstellung von den Auswirkungen des Klimawandels auf Wälder zu
machen, empfiehlt sich somit ein Ausflug in
die jeweiligen Analogregionen für das Klima von morgen. Dabei wird man erkennen,
was erstaunlicherweise an Ähnlichkeiten
noch besteht, was auf keinen Fall mehr
funktioniert und was an neuen Möglichkeiten hinzukommt. Gewiss reicht es nicht
aus, nur die Temperatur als Vergleichsmaßstab zu verwenden, man sollte auch die
Niederschläge und den allgemeinen Klimacharakter mit betrachten. Man muss bedenken, dass in anderen Regionen andere
Traditionen der Baumartenwahl bestehen
und manche Baumarten auf natürliche Weise gar nicht bis dorthin gelangt sind. Trotz
aller dieser Einschränkungen wird man die
Einsicht gewinnen, dass die Anbaumöglichkeiten unserer Waldbaumarten und damit
auch die Möglichkeiten der Forstwirtschaft
in hohem Grade klimaabhängig sind. Ganz
offenkundig gibt es für alle Baumarten
klimatische Schwellenwerte, jenseits derer
eine Existenz unmöglich oder zumindest
schwierig ist. Ein weiterer Schwellenwert
ergibt sich daraus, ob mit der Baumart
überhaupt ein forstwirtschaftlicher Erfolg
zu erzielen ist, oder ob Risiken und Misserfolge die Erlöse aufzehren. In räumlich
entfernten, aber dem künftigen Klima
ähnlichen Regionen kann man trotz der
genannten Einschränkungen eine erste
Vorstellung davon gewinnen, was mögliche Auswirkungen des Klimawandels auf
unsere Wälder sein können.
www.forstpraxis.de
Abb. 3: Regionale Verteilung der Jahresdurchschnittstemperatur in Europa 1950 bis 2000 [11]
Ist die Forstwirtschaft gerüstet?
Forstwirtschaft wird seit altersher in lokalem bis regionalen Maßstab betrieben.
Bisher war das ein Erfolgsmodell, denn
nur aus der Kenntnis der örtlichen Bedingungen und der langjährigen Erfahrungen im Revier entwickelt sich das Fingerspitzengefühl, das für die Behandlung
von Wäldern unerlässlich ist. Das eiserne
Gesetz des Örtlichen wird vor Ort erfahren, befolgt und an den Reviernachfolger
weitergeben. Doch was ist, wenn sich innerhalb nur einer Baumgeneration die
Bedingungen grundlegend ändern? Was
gelten dann die unter den begrenzten
und konstanten Bedingungen der Vergangenheit gemachten Erfahrungen? Wenn
im fränkischen Revier nach ein paar Jahrzehnten französische Bedingungen herrschen, benötigt dann der Förster in Franken vielmehr nicht auch die Erfahrungen
der Kollegen in Frankreich?
Noch komplizierter wird es, wenn man
sich vergegenwärtigt, dass die neuen
Verhältnisse nicht schlagartig einziehen
werden, sondern dass die Bäume den Veränderungsprozess selbst als eigene Belastung erleben werden: sie müssen sowohl
die kühle Gegenwart als auch die warme
Zukunft und dazu noch die Zeit des Übergangs gleichermaßen erdulden. Es sieht
nicht so aus, als ob ein traditionsreicher,
auf Empirie aufgebauter und im positiven
Sinne konservativer Wirtschaftszweig
wie die Forstwirtschaft auf einen raschen
Wandel der Erzeugungsbedingungen
gut vorbereitet wäre. Es ist vielmehr eine
große Herausforderung, den vorhandenen Erfahrungsschatz um das Wissen aus
anderen Regionen zu erweitern. Analogiebetrachtungen können hierbei eine
große Hilfe sein. Man darf jedoch nicht
übersehen, dass uns der Klimawandel auch
Klimakombinationen bescheren kann, die
gänzlich neuartig sind und für die es derzeit noch gar keine Beispiele gibt [19]. Hier
wachsen unsere Waldbäume in eine Umwelt hinein, mit der sie bisher überhaupt
nicht konfrontiert werden konnten. In
diesen Fällen eines nicht-analogen Klimas
ist dann die Erfahrung mit ihren Möglichkeiten endgültig am Ende angelangt und
es ist vielmehr, als neue forstliche Tugend,
die Fantasie gefragt.
Wie kann die Forstwissenschaft
den Wandel begleiten?
In Anbetracht der neuen und ungewohn­
ten Situation des Klimawandels ist nicht
nur die Fortwirtschaft, sondern vor allem
auch die Forstwissenschaft gefordert.
Wenn das einfache Befolgen von Traditionen und der Rückgriff auf lokale Erfahrung nicht mehr ausreichen, dann werden
mit wissenschaftlichen Methoden abgeleitete Entscheidungsregeln benötigt. Nur so
können die vielen im Zusammenhang mit
dem Wandel auftretenden Fragen beantwortet werden:
• Wo liegen die Anbauschwellenwerte unserer
Baumarten?
• Auf welchen Standorten werden sie unteroder überschritten?
• Was geschieht bei einer Überschreitung des
Schwellenwertes?
• Welches sind die neuen Risiken und wie kann
man ihnen begegnen?
• Welche Modelle existieren für die waldbauliche Anpassung der Wälder?
• Welche ökonomischen Folgen hat eine Überschreitung des Schwellenwertes?
In der Forstwissenschaft sind vor allem
zwei Methoden verbreitet, um Erkenntnisse zu gewinnen: Beobachtung und Experiment.
• An Inventurpunkten und auf Beobachtungsflächen erfassen wir den gegenwärtigen
Zustand und die Entwicklungen der Vergangen-
13/2011 AFZ-DerWald
15
LWF – Abteilung 2
Literaturhinweise:
[1] ALLEN, C. D.; MACALADY, A. K.; CHENCHOUNI, H.; BACHELET,
D.; MCDOWELL, N.; VENNETIER, M.; KITZBERGER, T.; RIGLING,
A.; BRESHEARS, D. D.; HOGG, E. H.; GONZALEZ, P.; FENSHAM, R.;
ZHANGM, Z.; CASTRO, J.; DEMIDOVA, N.; LIM, J.-H.; ALLARD, G.;
RUNNING, S. W.; SEMERCI, A.; COBB, N. (2010): A global overview
of drought and heat-induced tree mortality reveals emerging climate
change risks for forests. Forest Ecology and Management 259, 660684. [2] BOLTE, A.; IBISCH, P.; MENZEL, A.; ROTHE, A. (2008): Was
Klimahüllen uns verschweigen. AFZ-DerWald 15, 800-803. [3] BUNDESMINISTERIUM FÜR ERNÄHRUNG, LANDWIRTSCHAFT UND
VERBRAUCHERSCHUTZ BMELV (2011): Bundeswaldinventur2. Alle
Ergebnisse und Berichte. http://www.bundeswaldinventur.de/enid/
0434135a91469dbc89ad913187097957,0/53.html (aufgerufen am
7.4.2011). [4] DEUTSCHER WETTERDIENST (DWD) (2009): Rückblick
auf die Dekade 2000 bis 2009. Pressemitteilung vom 29.12.2009:
http://www.dwd.de-/bvbw/generator/Sites/DWDWWW/Content/
Presse/Pressemitteilungen/2009/20091221__Die__waermste__Dekade__seit__130Jahren,templateId=raw,property=publicationFile.
pdf/20091221_Die_waermste_Dekade_seit_130Jahren.pdf (aufgerufen am 2.3.2010). [5] DEUTSCHER WETTERDIENST (DWD) (2010):
Jahresrückblick 2010 des Deutschen Wetterdienstes. Pressemitteilung
vom 29.12.2010. http://www.dwd.de/bvbw/appmanager/bvbw/
dwdwwwDesktop?_nfpb=true&_pageLabel=dwdwww_menu2_pre
sse&T98029gsbDocumentPath=Content%2FPresse%2FPressemitteil
ungen%2F2010%2F20101228__Jahresrueckblick2010__news.html
(aufgerufen am 7.4.2011). [6] FALK, W.; MELLERT, K. H. (2011):
Species distribution models as a tool for forest management planning
under climate change: risk evaluation of Abies alba in Bavaria. Journal
of Vegetation Science Doi: 10.1111/j.1654-1103.2011.01294.x 22.
[7] FRANKLIN, J. (2010): Mapping Species Distributions. Spatial
Inference and Prediction. Cambridge etc.: Cambridge University
Press, 1-320. [8] HANEWINKEL, M.; CULLMANN, D.; MICHIELS, H.G. (2010): Künftige Baumarteneignung für Fichte und Buche in
Südwestdeutschland. AFZ-DerWald Jg 65 H 19, 30-33. [9] HANEWINKEL, M.; HUMMEL, S.; CULLMANN, D. A. (2009): Modelling
and economic evaluation of forest biome shifts under climate change
in Southwest Germany. Forest Ecology and Management 259, 710719. [10] HAMPE, A. (2004): Bioclimate envelope models: what they
detect and what they hide. Global Ecology and Biogeography 13,
469-476. [11] HIJMANS, R. J.; CAMERON, S. E.; PARRA, J. L.; JONES,
P. G.; JARVIS, A. (2005): Very high resolution interpolated climate
surfaces for global land areas. Int. J. Climatology 25, 1965 – 1978
(http://www.worldclim.org). [12] KÖLLING, C. (2010): Jenseits der
Erfahrung: Überfordert der Klimawandel Forstwirtschaft und Forstwissenschaft? LWF aktuell 77, 43-45. [13] KÖLLING, C.; BACHMANN,
M.; FALK, W.; GRÜNERT, S.; SCHALLER, R.; TRETTER, S.; WILHELM, G.
(2009): Klima-Risikokarten für heute und morgen. Der klimagerechte
Waldumbau bekommt vorläufige Planungsunterlagen. AFZ-DerWald
64, 806-810. [14] KÖLLING, C.; BEINHOFER, B.; HAHN, A.; KNOKE, T.
(2010): „Wer streut, rutscht nicht“ - Wie soll die Forstwirtschaft auf
neue Risiken im Klimawandel reagieren? AFZ-DerWald Jg. 65(5):1822. [15] KÖLLING, C.; DIETZ, E.; FALK, W.; MELLERT, K.-H. (2009):
Provisorische Klima-Risikokarten als Planungshilfe für den klimagerechten Waldumbau in Bayern. Forst und Holz, 64 H. 7/8 64, 40-47.
[16] KÖLLING, C.; WALTHER, G.-R. (2007): Die Zukunft hat schon
begonnen. Unterwegs zu Wäldern im Klimawandel. LWF aktuell 60,
5-10. [17] KÖLLING, C.; ZIMMERMANN, L.; BORCHERT, H. (2009):
Von der »Kleinen Eiszeit« zur »Großen Heißzeit«. Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft des Fichtenanbaus in Deutschland. LWF
aktuell 69, 58-61. [18] MELLERT, K. H.; FENSTERER, V.; KÜCHENHOFF, H.; REGER, B.; KÖLLING, C.; KLEMMT, H. J.; EWALD, J. (2011):
Hypothesis-driven species distribution models for tree species in the
Bavarian Alps. Journal of Vegetation Science Doi: 10.1111/j.16541103.2011.01274.x 22. [19] OHLEMÜLLER, R.; GRITTI, E. S.; SYKES,
M. T.; THOMAS, C. D. (2006): Towards European climate risk surfaces:
the extent and distribution of analogous and non-analogous climates 1931–2100. Global Ecology and Biogeography 15, 395-405.
[20] REBEL, K. (1924): Unter der Herrschaft des Kahlschlags bei
reiner Fichten- und Fohrenbestockung. In: Waldbauliches aus Bayern,
Band II, Diessen: J.E. Huber-Verlag, 211-226. [21] SCHÖNWIESE, C.;
JANOSCHITZ, R. (2005): Klima-Trendatlas Deutschland 1991-2000.
Berichte des Instituts für Atmosphäre und Umwelt der Universität
Frankfurt/Main 4, 63 S. [22] SPEKAT, A.; ENKE, W.; KREIENKAMP, F.
(2007): Neuentwicklung von regional hoch aufgelösten Wetterlagen
für Deutschland und Bereitstellung regionaler Klimaszenarien mit
dem Regionalisierungsmodell WETTREG 2005 auf der Basis von
globalen Klimasimulationen mit ECHAM5/MPI – OM T63L31 2010
bis 2100 für die SRES – Szenarien B1, A1B und A2. Projektbericht
im Rahmen des F+E-Vorhabens 204 41 138 „Klimaauswirkungen
und Anpassung in Deutschland – Phase 1: Erstellung regionaler
Klimaszenarien für Deutschland“, Mitteilungen des Umweltbundesamtes, 149 S. [23] WIEDEMANN, E. (1923): Zuwachsrückgang
und Wuchsstockungen der Fichte in den mittleren und unteren
Höhenlagen der sächs. Staatsforsten. Verl. Laux, Tharandt, 1. Aufl.,
180 S. [24] Zimmermann, L.; RÖTZER, T.; HERA, U.; MAIER, H.;
SCHULZ, C.; KÖLLING, C. (2007): Konzept für die Erstellung neuer
hochaufgelöster Klimakarten für die Wälder Bayerns als Bestandteil
eines forstlichen Standortinformationssystems. Andreas Matzarakis
und Helmut Mayer (Hrsg.) Proceedings zur 6. Fachtagung BIOMET des
Fachausschusses Biometeorologie der Deutschen Meteorologischen
Gesellschaft e.V. Berichte des Meteorologischen Institutes der Universität Freiburg 16, 152-159.
16
13/2011 AFZ-DerWald
heit. Aus der historischen Zusammenschau von
Einflussfaktoren einerseits und Wirkungsgrößen andererseits werden Gesetzmäßigkeiten
abgeleitet, die zu Regeln formuliert werden.
Ein gutes Beispiel für diese Vorgehensweise
sind die Ertragstafeln. Sie entstehen aus der retrospektiven Betrachtung des Waldwachstums
bei verschiedenen Einflüssen unter definierten
Rahmenbedingungen. Die Beobachtungen wer­
den in einem zweiten Schritt modellhaft zu
Regeln verdichtet. In den meisten Zweigen der
Forstwissenschaft geht man so vor und erfasst
Zielgrößen wie Vitalität, Wachstum, Ertrag und
Betriebserfolg unter den unterschiedlichsten
Einflussgrößen und Rahmenbedingungen.
• Die zweite Methode, das kontrollierte Experiment, ist aus einem nahe liegenden Grund
weniger verbreitet: Wälder mit ihren langen
Generationszeiträumen sperren sich oft gegen
das klassische wissenschaftliche Experiment.
Nichtsdestoweniger gibt es Beispiele für forstwissenschaftliche Experimente, nämlich Anbau-, Herkunfts-, Dünge-, Durchforstungs- und
Verjüngungsexperimente, bei denen unter
weitgehend kontrollierten Bedingungen und in
Echtzeit Ursache – Wirkungsbeziehungen abgeleitet werden.
Beiden wissenschaftlichen Methoden,
Beobachtung wie Experiment, ist gemeinsam, dass ihre Schlussfolgerungen nur für
die Rahmenbedingungen und Wertebereiche gelten, unter denen die Ergebnisse
erzielt wurden. Im Klimawandel zeigt sich
nun, dass diese Grundvoraussetzung wissenschaftlicher Arbeit nicht mehr gegeben
ist. Es wird schwierig bis unmöglich werden, Regeln, die für eine kühle Klimaumwelt abgeleitet wurden, auf Wälder und
Betriebe in einer zukünftig wärmeren
Welt zu übertragen.
Wege aus der Krise
Erkenntnisse über eine zukünftige Entwicklung können somit ohne weiteres nicht
mit den rückwärts gewandten Methoden
der Beobachtung und des Experiments gemacht werden, wenn sich Einflussfaktoren
und Rahmenbedingungen über den Bereich hinaus entwickeln, in dem die Untersuchung stattgefunden hat. In diesem Fall
ist es unerlässlich, den Geltungsbereich
der Beobachtungen und Experimente so
zu erweitern, dass auch die künftigen Fälle abgedeckt sind. Greifen wir zurück auf
Abb. 3. Stehen bei uns künftig Klimaverhältnisse, wie sie jetzt in Frankreich oder
Ungarn herrschen, ins Haus, so müssen wir
in der Forstwissenschaft unsere Beobachtungen und Experimente in diese Bereiche
ausdehnen. Stärker als bisher müssen wir
darauf achten, dass unsere Erkenntnisse
allgemeingültig formuliert sind und nicht
nur lokal oder historisch eingeschränkte
Gültigkeit besitzen. Wenn sich die Bedingungen vor Ort so stark ändern, wie es im
Klimawandel der Fall ist, dann brauchen
wir Regeln, die generell und nicht nur örtlich oder in einer bestimmten Zeitperiode
gültig sind. Mit Modellen, die auf großen,
in ganz Europa gewonnenen Datensätzen
gewonnen sind, kann man dieses Ziel erreichen.
Ein Beispiel für dieses Vorgehen ist die
insgesamt neue Technik der Artverbreitungsmodelle [7], die erst in allerjüngster
Zeit auch in der Forstwissenschaft angewendet werden, um Schwellenwerte für
den Anbau der Baumarten abzuleiten. Mit
dem neuen Instrumentarium der Artverbreitungsmodelle und deren Modifikation
an die Erfordernisse der Forstwissenschaft
beschreiten wir einen neuen und ungewohnten Weg [6, 9, 18]. Die damit verbundene Innovation ist kein Selbstzweck,
sondern den Erfordernissen der Klimawandelanpassung geschuldet. Wie alle Innovationen erzeugt auch diese Neuerung
Skepsis und teilweise auch Ablehnung [2,
10], und es ist klar, dass es gewisse methodische Unzulänglichkeiten gibt.
Allen Unkenrufen und Schwierigkeiten
zum Trotz ist es dennoch gelungen, Artverbreitungsmodelle für die Konstruktion
erster Klima-Risikokarten zu nutzen, die
der Forstwirtschaft bei der Entscheidungsfindung in der Baumartenwahl seit kurzem
zur Verfügung stehen [8, 13, 14, 15].
Wenn es dem Wald zu heiß wird...
Der Klimawandel kommt schleichend und
auf leisen Sohlen. Auch wenn es viele Anzeichen dafür gibt, dass eine neue Zeit
begonnen hat, fällt es schwer, einzelne
Schad­ereignisse unmittelbar und in direkter Kausalkette dem Klimawandel zuzuordnen. Dennoch werden weltweit Veränderungen beobachtet, die sich eindeutig mit dem Klimawandel in Verbindung
bringen lassen [1, 16]. Eine der wichtigsten Aktivitäten der Forstwissenschaft wird
künftig darin bestehen, die Auswirkungen
des Wandels aufzuspüren und zu dokumentieren. Dort, wo Wälder schon heute
nahe an den Schwellenwerten existieren,
ist die Wahrscheinlichkeit von Schwellenwertüberschreitungen und von klimawandelinduzierten Schäden am höchsten. Eine
Überwachung der Wälder und eine Untersuchung der Reaktionsmuster speziell in
diesen besonders gefährdeten Regionen
erlauben uns den Analogieschluss auf das,
was uns künftig bei fortschreitendem Klimawandel auch anderswo vermehrt begegnen wird.
Von einer Ressortforschungsanstalt wie
der LWF wird erwartet, dass sie die vielfältigen Ergebnisse der Forschung zu Wäldern im Klimawandel zusammenfasst und
zu maßgeschneiderten Handlungsempfeh-
www.forstpraxis.de
ERNST EBERMAYER – ein Mann der ersten Stunde
Als im Jahr 1881 die Forstliche Forschungsanstalt in München gegründet wurde, ernannte
man den Universitätsprofessor ERNST WILHELM
FERDINAND EBERMAYER (1829 bis 1908) zum Vorstand der bodenkundlich-meteorologischen
Abteilung. 130 Jahre später gibt es an der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft wieder eine Abteilung, die sich „Boden
und Klima“ nennt und damit Fragestellungen
vereint, die schon damals zusammen bearbeitet wurden. Der Name EBERMAYER ist untrennbar
mit zwei Themen verbunden:
• Im Jahre 1868 errichtet und betreibt EBERMAYER erstmals mehrere forst-meteorologische
„Doppelstationen“ in verschiedenen Regionen Bayerns, mit denen die Besonderheiten
des Waldinnenklimas im Vergleich zum Freilandklima deutlich belegt werden konnten.
EBERMAYER kann daher auch als Urvater der
heutigen Waldklimastationen in Bayern und
somit auch des forstlichen Umweltmonitorings
in Europa bezeichnet werden. Gemeinsam mit
Zeitgenossen wie MÜTTRICH in Preußen, HAMBERG
in Schweden oder LORENZ VON LIBURNAU in Österreich entwarf EBERMAYER eine grundlegende
Vorstellung von der Bedeutung des Waldes im
Naturhaushalt von Landschaften. Niedergelegt
sind diese Untersuchungen in seinem Werk
„Die physikalischen Einwirkungen des Waldes
auf Luft und Boden und seine klimatologische
und hygienische Bedeutung, begründet durch
die Beobachtungen der Forst.-Meteorolog.
Stationen im Königreich Bayern“ (1873).
• Die andere große Leistung Ebermayers ist
es, die Zusammenhänge zwischen der Streunutzung und der Abnahme der Bodenfruchtbarkeit aufgedeckt zu haben. Was uns heute
als Allgemeingut erscheint, war damals eine
völlig neuartige Erkenntnis. Im Werk „Die
gesammte Lehre der Waldstreu mit Rücksicht
auf die chemische Statik des Waldes. Unter
Zugrundlegung der in den Königl. Staatsforsten Bayerns angestellten Untersuchungen.
Resultate der forstlichen Versuchsstationen
Bayerns“ (1876) wird dargelegt, wie sehr die
Streunutzung in die Nährstoffkreisläufe eingreift und zwangsläufig zur Bodendegradation führt. 1882 schließlich – die Forstliche
Forschungsanstalt war gerade ein Jahr alt
– erscheint bei JULIUS SPRINGER in Berlin sein Lehrbuch „Naturgesetzliche Grundlagen des Waldund Ackerbaues. 1. Physiologische Chemie der
Pflanzen. Zugleich Lehrbuch der organischen
Chemie und Agrikulturchemie für Forst- und
Landwirthe, Agrikulturchemiker, Botaniker
etc. 1. Die Bestandtheile der Pflanzen.“ Dieses
Werk darf man zu Recht als Grundlegung der
Waldernährungslehre betrachten. Darin findet sich eine Textpassage, die vor dem Hin-
lungen für die Forstwirtschaft verdichtet.
Ferner wird sie eigene Forschungen, z.B.
zu den Schwellenwerten des Baumartenanbaus, voranbringen (Projekt „Bäume für
die Zukunft“).
Um die Schwellenwerte auf der Fläche
anwenden zu können, wird eine neue
Qualität forstlicher Standortinformation
benötigt, die weit über das hinausgeht,
www.forstpraxis.de
DamalsStreunutzung–
heuteBiomassenutzung
ERNST WILHELM F. EBERMAYER (1829 bis 1908).
Foto: WaldGeschichten. Forst und Jagd in Bayern 811 – 2011.
Ausstellungskatalog Staatliche Archive Bayerns. München 2011
Dieses Zitat belegt eindrucksvoll, dass gleiche
Fragestellungen zu verschiedenen Zeit auftauchen. Zur Zeit EBERMAYERS war das Problem der
Streunutzung so drängend, dass es nach einer
Lösung verlangte. Damals führten nicht zuletzt
die Untersuchungen EBERMAYERS dazu, die Rolle
der Waldabfälle, des Streufalls, wie wir heute sagen würden, neu zu bewerten und die Übernutzungen einzustellen. In heutiger Zeit beschäftigt
uns das Problem der gesteigerten Biomassenutzung, die unter anderen Vorzeichen ebenfalls ein
Risiko des Verlusts an Nährstoffkapital darstellt.
Gelangen Kronenteile bei der Ernte nicht mehr
auf den Boden, sondern werden als zusätzliche
Biomasse genutzt, so kann die von EBERMAYER als
natürlicher Dünger titulierte Humusschicht Schaden nehmen. Ebenso wie damals EBERMAYER sind
wir heute bemüht, die „chemische Statik“ der
Wälder in einem günstigen Zustand zu erhalten.
DamalsWaldklima–heuteKlimawandel
tergrund heutiger Probleme eine erstaunliche
Aktualität bekommt (s. Kasten).
„Dieses periodisch von dem Holzbestande
benutzte Nährstoffkapital, welches durch
die Thätigkeit der Faserwürzelchen der
Bäume den tieferen Bodenschichten entnommen wird, geht somit bei geregelter
Waldwirtschaft dem Boden nicht verloren.
sondern wird durch die Waldabfälle den
oberen Bodenschichten in einer für die
Pflanzen leicht aufnehmbaren Form wieder
zugeführt. Durch diese Vorgänge wird die
obere Bodenkrume des Waldes auf Kosten
des Untergrundes an mineralischen Nährstoffen mehr und mehr bereichert. Bedenken wir, dass durch dieselben Abfälle dem
Boden auch stetig kohlenstoffreiche und
zum Theil stickstoffhaltige organische Stoffe zugeführt werden, deren Zersetzungsprodukte (Kohlensäure und Ammoniak) als
Nährmittel für die Bäume dieselbe Bedeutung haben, wie die Zersetzungsprodukte
der organischen Substanz des Stalldüngers
für die Ackergewächse, so ist einleuchtend,
dass die Bodendecke in der That nichts Anderes als der natürliche Dünger des Waldes
ist, und wir begreifen, warum die obere
Krume eines schlechten unfruchtbaren Bodens durch Waldkultur zu einer gewissen
Fruchtbarkeit gebracht werden kann.“
Auszug aus: Naturgesetzliche Grundlagen
des Wald- und Ackerbaues (S. 723)
was in den herkömmlichen Standortskarten verzeichnet ist. Auch hier ist die LWF
stark engagiert (Projekt „Karten für die
Zukunft“). Die ausgebauten Netze der Inventuren (Bodenzustandserhebung und
Kronenzustandserhebung) und Dauerbeobachtungsflächen (Waldklimastationen
und
Bodendauerbeobachtungsflächen)
stehen bereit, um den Wandel in allen
Mit dem Netz der bayerischen Waldklimastationen, die wie zu EBERMAYERS Zeiten als Doppelstationen auf der Freifläche und im Bestand
angelegt sind, mit den Betrachtungen zu den
Stoffkreisläufen im Wald und mit den Untersuchungen zu den Möglichkeiten und Grenzen der Biomassenutzung greift die Abteilung
„Boden und Klima“ der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) Themen und Methoden EBERMAYERS auf, um damit
Fragen der Gegenwart zu beantworten.
Dieses besondere Verhältnis von Tradition
und Moderne ist ein Kennzeichen der Arbeit
der LWF. Schließlich handelt es sich bei Wäldern um langlebige Lebensgemeinschaften,
die zunehmend anthropogenen Umweltbelastungen ausgesetzt sind. Seit annähernd
drei Jahrzehnten nimmt deshalb die kontinuierliche Erfassung und Bewertung umweltbedingter Veränderungen in den Wäldern einen
wichtigen Stellenwert an der LWF und an forstlichen Forschungseinrichtungen Europas ein.
Dass sich bereits 100 Jahre nach seinem Tod die
Ausgangsbedingungen für Wald und Forstwirtschaft durch einen Klimawandel erheblich ändern würden, konnte EBERMAYER allerdings nicht
ahnen. So verbinden wir in der Abteilung „Boden und Klima“ der LWF alte und neue Themen
und haben dabei das schon EBERMAYER eigene
Ziel, die Wälder vor Schaden zu bewahren und
ihre vielfältige Nutzbarkeit zu erhalten.
ChristianKölling,Hans-PeterDietrichund
StephanRaspe
H.-P. Dietrich und Dr. S. Raspe sind Mitarbeiter in der
Abteilung „Boden und Klima“ an der LWF.
Auswirkungen zu entdecken und frühzeitig zu warnen, wenn unvorhergesehene
Ereignisse auftreten. Der Größe und der
Natur der Aufgabe entsprechend ist die
LWF dabei auf Partner außerhalb Bayerns
angewiesen. Nur mit großen gemeinsamen
Anstrengungen wird es gelingen, unsere
Wälder in annehmbarem Zustand an das
nächste Jahrhundert zu übergeben.
◀
13/2011 AFZ-DerWald
17
Herunterladen