Integrative Therapie in der Onkologie

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Naturheilkunde und Schulmedizin in der Krebstherapie
Ein neues Konzept moderner Medizin
Naturheilkundliche Methoden häufig genutzt, nur geringe wissenschaftliche
Kenntnisse
Nach einer Umfrage des Allensbachinstitutes nehmen 60 % der Männer und 80 % der
Frauen zeitweise einige der 400 Methoden der Naturheilkunde in Anspruch. Nicht
wenige Patienten, insbesondere Frauen mit hoher Schulbildung, oft offen für spirituelle
Themata suchen nach ganzheitlicher Auffassung von Heilung. Knapp 10 % der Ärzte
führen die Zusatzbezeichnung „Homöopathie, Akupunktur und Naturheilkunde“,
entsprechend 35 000 Ärzte in der BRD.
Trotz der hohen Akzeptanz der Bevölkerung besteht für die Naturheilkundlichen
Verfahren derzeit noch wenig wissenschaftlich fundierte Kenntnis.
60 Prozent der Krebspatienten nehmen aus Angst vor den massiven Nebenwirkungen
einer onkologischen Therapie zusätzlich Naturheilmittel ein. 50 000 Krebspatienten
unterzogen sich einer Misteltherapie, die damit nach der Antiöstrogen-therapie die 2.
häufigste Krebslangzeittherapie darstellt. Kosten für TCM jährlich 3,2 Milliarden €.
Integration statt Separation soll helfen, die Ergebnisse sowohl der Schulmedizin als
auch der Naturheilkunde zu verbessern.
In den vergangenen Jahrzehnten fehlte weitgehend ein Konzept, Schulmedizin und
Naturheilkunde in der onkologischen Therapie miteinander zu verbinden.
Die Schulmedizin ist wissenschaftlich gut untersucht, hat in den vergangenen vier
Jahrzehnten – seit Nixon zum „Kampf gegen den Krebs“ aufgerufen hat – deutliche
Erfolge zu verzeichnen. In der westlichen Welt werden 18 bis 20% weniger Krebstote
registriert trotz steigender Lebenserwartung. Bis auf wenige Tumorentitäten bleiben die
Probleme bei fortgeschrittenem Tumorleiden, d.h. bei metastasiertem Krebs, weiter
bestehen.
Die Naturheilkunde gilt als wissenschaftlich nicht sehr gut untersucht, erfreut sich aber
großer Beliebtheit bei vielen Patienten. Etwa 60% der onkologischen Patienten
verwenden naturheilkundliche Methoden in der einen oder anderen Form. Zur
Naturheilkunde zählen in Europa klassischerweise die Homöopathie, die Neuraltherapie
und die Misteltherapie. Die Hydrotherapie ist Teil der etablierten Badetherapie.
Fernöstliche Methoden, z.B. Akupunktur werden zunehmend genutzt. Neu integriert ist
die physikalische oder Sporttherapie, insbesondere auch durch neue wissenschaftliche
Ergebnisse.
Die Verbindung von Schulmedizin und Naturheilkunde als integrative Medizin wird in
jüngster Zeit wissenschaftlich untersucht und von hochrangigen Instituten begleitet,
wie z.B. dem Johns-Hopkins-Medical-Institut, dem MW-Anderson-Cancer-Center, dem
Memorial-Sloan-Kettering-Cancer-Center oder dem Dana-Farber-Cancer-Institut. In
Deutschland sind es vor allem die Kliniken Essen-Mitte mit Prof. Gustav Dobos und Dr.
Sherko Kümmel. Aber auch andere Institute und Kliniken arbeiten nach dem neuen
Konzept.
Integrative Medizin bedeutet interdisziplinäre Medizin. An der Behandlung sind
neben den klassischen medizinischen Sparten wie
Chirurgie, Strahlentherapie,
Gynäkologie und Senologie, Innere Medizin, Gastroenterologie und Hämato-Onkologie
auch andere Berufsgruppen wie spezialisierte Pflegeberufe, Psychologen,
Heilpädagogen oder Physiotherapeuten beteiligt, ohne dass die Aufzählung Anspruch
auf Vollständigkeit erhebt.
Integrative Medizin = individualisierte Medizin
In der schulmedizinischen Onkologie wird im Wesentlichen nach „Therapiestudien“
behandelt, aus denen sich die Leitlinien der beteiligten Gesellschaften entwickeln.
Immer wieder wurden z.B. von Mehnert, München, gefordert, der individuellen
Betrachtungsweise mehr Raum zu geben. Auch Gallmeier und Kappauf haben mit ihrer
Untersuchungsreihe an Spontanheilungen von Krebskranken den Blick auf den
individualisierten Krankheitsverlauf geworfen.
Die Behandlung wirkt am besten, an die der Patient glaubt.
Jeder Mensch ist „anders“ bezüglich Psyche, Alter, Krankheit und Sozialstatus.
Bei der Diagnose Krebs kommt es zu einer „chaotischen“ Reaktion mit Aussendung von
Botenstoffen und heftigen Stresssymptomen. Hier ist die Mind-Body-Medizin gefragt.
Die individualisierte Medizin ist allerdings auch gefordert durch die ökonomischen
Bedingungen des Gesundheitssystems. Wirkung und Nebenwirkung sowie finanzieller
Aufwand sind im Rahmen einer auf den einzelnen Patienten gerichteten,
individualisierten Therapie zu beachten.
Mind-Body-Medizin
Die Beobachtung von Norman Cousins im New England Journal of Medicine (1976)
werden immer wieder zum Beweis der psychischen und psychologischen
Beeinflussbarkeit von Erkrankungen herangezogen. Norman Cousins hatte – als er von
den Ärzten aufgegeben worden war – seine rheumatoide Arthritis durch „Lachen über
humorvolle Videoclips“ geheilt. Die Beschreibung dieser Beobachtung soll
verdeutlichen, in welchem Maße geistige Kräfte positiven Einfluss auf Körper und
Krankheit zu nehmen in der Lage sind.
Weitere Methoden der Mind-Body-Medizin sind Autosuggestion, Spiritualität, eine
positive Einstellung zum Leben und das sogen. „Wellenreiten“. „Wellenreiten“ bedeutet,
dass die „Ups“ und „Downs“ akzeptiert werden, dass beim geistig-psychischen
Wellenreiten aber immer der „Kopf oben bleibt“. Ganz wesentlich im Rahmen der MindBody-Medizin ist die Sozialisierung in seinem Umfeld.
Pflanzliche Medizin
Ein hoher Prozentsatz der Krebspatienten nimmt neben den schulmedizinischen
Medikamenten auch pflanzliche Medikamente ein. Allerdings bleibt hier zu beachten,
dass auch pflanzliche Arzneimittelstoffe Wirkung und Nebenwirkungen haben. So kann
z.B. das Johanniskraut die klassischen schulmedizinischen Medikamente in ihrer
Wirkung mindern, Grapefruitsaft z.B. kann die Wirkung und auch die Nebenwirkungen
erhöhen. Weitere Stoffe, die die Schulmedizin beeinflussen können, sind Ginkgo,
Baldrian und Probiotika. Bei letzterem werden oft lebende Bakterien in den Körper
aufgenommen.
Linderung von Nebenwirkungen durch Naturheilkunde
Die erfolgreiche Besserung von Nebenwirkungen der onkologischen Schulmedizin
verbessert auch deren Akzeptanz, die Behandlung kann zu Ende geführt werden, die
Ergebnisse für den Patienten verbessern sich. Die Behebung von Nebenwirkungen hat
deshalb zentrale Bedeutung. Nebenwirkungen werden natürlich auch von
„schulmedizischen“ Medikamenten erfolgreich behandelt, nicht selten bevorzugt der
Patient aber Methoden der Naturheilkunde.
Nebenwirkungen, die durch naturheilkundliche Methoden oft erfolgreich behandelt
werden können:
Diarrhoen (Plantago afra u.a.)
Chronic Fatigue Syndrome (Sport, Psychotherapie)
Hauterscheinungen (Hand-Fuß-Syndrom, Schleimhautläsionen durch Salben)
Neuropathien (Capsicain Salbe, Hydrotherapie)
Schmerztherapie (Entspannungsübungen, Psychoonkologie)
Schlafstörungen
Therapiefreiheit und ihre Grenzen
Friedrich der Grosse sicherte 1744 in Preussen die Therapiefreiheit, indem er feststellte,
„es müsse dem Arzt und dem Kranken die Wahl des Systems der Medizin freibleiben.
Diese Feststellung hat – insbes. heute – Grenzen in rechtlicher und
gesundheitsökonomischer Sicht.
Auch die klassische, schulmedizinische Tumorbehandlung muss auf ihre finanzielle
Vertretbarkeit geprüft werden. Nicht zu Verantworten sind Verfahren, die wegen ihrer
Nebenwirkungen und ihrer Kosten dem Patienten und der Allgemeinheit schaden ohne
dem Menschen zu nutzen.
Derzeit gibt es zur schulmedizinischen onkologischen Therapie keine wirksamen
alternativen Behandlungsmethoden. Die naturheilkundlichen Methoden sind allerdings
potentiell in der Lage, die Verträglichkeit schulmedizinischer Verfahren zu bessern und
damit deren Wirksamkeit anzuheben.
Grenzen werden dann überschritten, wenn durch Empfehlung von nicht-bewiesenen
Verfahren Hoffnung und Heilung vorgegaukelt werden und damit finanzielle Nachteile
für den Patienten verbunden sind und etablierte, lebensrettende oder –verlängernde
Verfahren nicht wahrgenommen werden.
Die Integration von Naturheilkunde und Schulmedizin in der Krebstherapie wird sowohl
durch den Wunsch vieler Patienten als auch durch wirtschaftliche und vor allem durch
medizinisch-ärztliche Überlegungen notwendig werden. Neuere Ergebnisse
wissenschaftlicher Studien – möglicherweise mit neuer Konzeption – müssen dazu die
rationale Basis bilden.
Prof. Dr. med. Gerd Lux
Literatur: Gemeinsam gegen Krebs, G.Dobos, S.Kümmel, Zabert & Sandmann,
2011-05-25
Neue Wege in der Medizin, Becker R et al., Universitätsverlag Heidelberg,
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