KRANIALE TRAUMATOLOGIE KRANIALE TRAUMATOLOGIE A. Epidemiologie Häufigkeit: 800/100 000 Einwohner/Jahr - davon 300 stationäre Behandlungen,180 schwere SHT, 30 Todesfälle Alter und Geschlecht: - überwiegend 20-30 jährige Männer aber auch ältere Patienten nach Stürzen (Durchschnittsalter 48 +-20 Jahr) Unfallursachen: 70 % Verkehrsunfälle: 50% PKW, 25% Fahrrad, 15% Fußgänger, % Motorrad, 10% häusliche Unfälle, 10% Arbeitsunfälle, 5% Sportunfälle, 5% sonstige Von allen Polytraumapatienten hat jeder zweite ein schweres Schädelhirntrauma. 75% der durch Verkehrsunfall Verstorbenen haben ein SHT. B. Untersuchungsablauf im Schockraum Phasen der Schockraumversorgung: Alpha: Lebensrettende Maßnahmen der 1. Minute Beta: Dringliche Massnahmen der ersten 5 Minuten Charlie: Dringliche Massnahmen der ersten 30 Minuten (ggf. Beckenzwinge, Thoraxdrainage, Reposition von Frakturen, Diagnostik&Therapie bei Mydriase) Delta: Komplettierung der Diagnostik der ersten Stunde und Therapieeinleitung (u.a detailliertere neurologische Evaluation und CT bei Patienten ohne Mydriase) Das initiale Management von Patienten mit Schädelhirntrauma muss obligatorisch die dargestellten Schritte umfassen. Dabei genießt die Überprüfung der Vitalfunktionen oberste Priorität: Die neurologische Untersuchung kann durch Medikation während dem Transport verunmöglicht sein. In diesem Fall beschränkt sich diese auf die Beurteilung der Pupillen. Als Grundlage für den Bewusstseinszustand muss die Angabe des erstversorgenden Notarztes verwendet werden. Eine primäre Antagonisierung von Benzodiazepinen, Relaxantien und Opiaten soll nicht durchgeführt werden, einerseits wegen der Zeitverzögerung und 1 KRANIALE TRAUMATOLOGIE andererseits wegen assoziierten hypertensiven Episoden und einer Verschlechterung der Beatmungssituation. Vitalfunktionen: - Atmung: Inspektion, Auskultation, Pulsoxymetrie, Blutgasanalyse - Kreislauf: Hautfarbe (Zyanose, Zentralisation), Pulse, Blutdruck, Venenfüllung, Urinausscheidung 2 KRANIALE TRAUMATOLOGIE Bewußtsein und Motorik: Glasgow Coma Scale Augen öffnen spontan auf Ansprache auf Schmerz gar nicht 4 3 2 1 auf Aufforderung Schmerzabwehr ungezieltes Beugen pathol. Beugen Strecken keine Reaktion 6 5 4 3 2 1 Orientiert verwirrt inadäquate Wörter unverständliche Laute keine 5 4 3 2 1 Motorik Verbale Antwort Total 3-15 Als schweres SHT gilt ein GCS zwischen von 3 bis 8, als mittelschweres 9-12 und als leichtes 13-15. Die Motorikprüfung im Rahmen der GCS-Erhebung soll alle 4 Extremitäten beurteilen um ein fokales motorische Defizit zu erfassen. Äußere Verletzungen Kopf: - Kopfhautverletzungen eventuell mit Impressionsfrakturen. - Monokel oder Brillenhämatom. - Retromastoidales Hämatom. - Oto- oder Rhinohämatoliquorrhoe. Systemisch: - Verletzungen an Stamm oder Extremitäten. - Prellmarken oder Hämatome. - Fehlstellung oder pathologische Mobilität von Extremitäten. Pupillen: - Weite 3 KRANIALE TRAUMATOLOGIE - isokor ? - entrundet ? - Lichtreaktion direkt und konsensuell Carotisauskultation: Hinweise auf Dissektion? C. Initiale Stabilisierung der Vitalfunktionen Atmung Falls nicht schon am Unfallort oder auf dem Transport geschehen, muss ein Patient mit einem GCS < 9 im Schockraum intubiert werden. Patienten mit einem mittelschweren oder leichten SHT müssen intubiert werden, falls zusätzliche Verletzungen im Geschichts-, Hals-, Thoraxoder Abdomenbereich dies erfordern. Wegen der Gefahr einer zusätzlichen HWS-Verletzung durch Hyperextension und der Verunmöglichung des bei der Notfallintubation üblichen Cricoiddruckes, ist die Intubation eines Schädelhirnverletzten eine anspruchsvolle Angelegenheit. Auch bei schon durchgeführter HWS-Röntgenaufnahme ist eine Instabilität nicht ausgeschlossen. Ein HWS-Fixationskragen ist kein genügender Schutz gegen eine mögliche Zusatzverletzung durch Hyperextension. Eine nasale Intubation ist bei Verdacht auf eine Schädelbasisfraktur kontraindiziert. Eine optimale Intubationstechnik fehlt leider. Allgemein akzeptiert ist die manuelle Inline-Traktion durch einen Assistenten zur weitestmöglichen Elimination der Hyperextension bzw. die verbesserte Jackson-Position. Kreislauf Ein hypovolämer Schock ist im allgemeinen Folge eines extrakraniellen Blutverlustes. Ausnahmen sind ausgedehnte Gesichtsschädel- und Skalpverletzungen und intrakranielle Blutungen im Säuglings- und Kleinkindesalter. Vasoplegische Schockzustände treten bei Hirnstamm- und Rückenmarksverletzungen bzw. Kompression auf. Diese Schockform darf nicht mit reiner Volumensubstitution behandelt werden, sonst besteht die Gefahr eines Lungenödems. Die initiale Volumensubstitution wird mit einer kristalloiden plasmaisotonen Lösung, z. B. Ringer oder physiologischer Kochsalzlösung durchgeführt. Plasmahypotone Lösungen (z.B. Ringerlacat, Glucose 5%) begünstigen die Entwicklung eines Hirnödems. 4 KRANIALE TRAUMATOLOGIE Höherprozentige Glukoselösungen sind kontraindiziert, da sie zu einer verstärkten zerebralen Laktazidose führen. Eine Ausnahme bilden Patienten mit einer Hypoglykämie. Gehirn Im Allgemeinen soll auf prädiagnostische Gabe von Mannit oder Barbituraten verzichtet werden, da dadurch intrakranielle Blutungen an Volumen zunehmen können. Eine Ausnahme ist die Situation einer ein- oder beidseitigen Mydriase. Da jede Minute dieses Zustandes die Prognose belastet, soll neben Hyperventilation sofort 50 g Mannit verabreicht werden, sowie 500 mg Thiopental (z. B. TrapanalR), sofern die Kreislaufsituation dies erlaubt. D. Röntgendiagnostik und Monitoring im Schockraum Die initialen Zusatzuntersuchungen beim bewusstlosen Patienten umfassen Thorax-, und laterale HWS-Röntgenaufnahmen, eine Abdomensonographie und ein Schädel-CT. Als alternative bietet sich das Ganzkörper-CT an. Dies setzt allerdings modernste Geräte (16zeiliges Spiral-CT, zur Not 10-zeiliges Spiral-CT) voraus, um die notwendigen Rekonstruktionen innerhalb der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit zu erhalten. Laboruntersuchungen umfassen initial ein kleines Blutbild , Elektrolyte, Glukose, Harnstoff, Kreatinin, GOT, GPT, CK, CK-MB, Gerinnung, arterielle Blutgase, Blut für Blutgruppenbestimmung und Kreuzblut, einen toxikologischen Screen sowie die Bestimmung des Alkoholspiegels. Bei Verdacht auf ein intrakranielles Hämatom besteht aufgrund der diesbezüglichen höchsten Dringlichkeit die Versuchung, die systemische Diagnostik auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Die aufgeführte Minimaldiagnostik soll aber immer durchgeführt werden. Diskussionen im Einzelfall, ob eine Untersuchung vorerst weggelassen werden kann, führen kaum zu einer Zeitersparung, da der eingespielte algorithmische Ablauf gestört wird. Ungefähr 10% der Schädelhirntraumapatienten haben eine zusätzliche HWS-Verletzung und etwa 20% haben eine thorakale oder abdominale Begleitverletzung. Die weiteren radiologischen Abklärungen, insbesondere von Extremitäten und Gesichtsschädel, sollen aber verschoben werden bis ein raumforderndes intrakranielles Hämatom ausgeschlossen oder operiert worden ist und lebensbedrohende Thorax- und Abdomenverletzungen ebenfalls ausgeschlossen oder versorgt sind. 5 KRANIALE TRAUMATOLOGIE Die Installation von zeitraubenden invasiven Zugängen zur Überwachung soll im Schockraum auf ein Minimum beschränkt bleiben. Pulsoxymetrie und endexspiratorische CO2-Messung, sowie nicht-invasive Blutdruckmessung genügen in dieser Situation oft. Die Installation von zentralvenösen Zugängen hat in dieser Phase kaum Indikationen. E. CT Klassifizierung des SHT Neben der deskriptiven Erfassung von Epi-, Subdural- und Intrazerebralblutung hat sich die Einteilung der „Traumatic Coma Data Bank“ (TCDB) zur Beschreibung des Ausmaßes kontusioneller Veränderungen durchgesetzt. Dabei wird von anatomischen Indizien, Kompression der basalen Zisternen und Mittellinienshift auf physiologische Veränderungen extrapoliert. Bei komprimierten basalen Zisternen oder einer Mittellinienshift von mehr als 5 mm besteht mit aller Wahrscheinlichkeit ein erhöhter intrakranieller Druck. Modifizierte Marshall-Skall (CT- Klassifikation des SHT ) Diffuse Verletzung 1: Normales CT (Mortalität < 10%) Diffuse Verletzung 2: Basale Zisternen offen, Mittellinienshift < 5 mm, keine intraparenchymatösen Läsionen von mehr als 25 ml Diffuse Verletzung 3: Basale Zisternen komprimiert oder nicht sichtbar, Mittellinienveschiebung < 5 mm, keine inraparenchymatösen Läsionen von mehr als 25 ml Diffuse Verletzung 4: Mittellinienshift > 5 mm und keine fokalen Läsionen von mehr als 25 ml Mortalität > 50%) Massenläsion /Hämatom > 25 ml Grad 2-4 (entsprechend er Gradierung Diffuse Verletzung Evakuierte Massenläsion (Hämatom) Grad 2-4 (entsprechen der Gradierung Diffuse Verletzung) 6 KRANIALE TRAUMATOLOGIE F. Weiteres Prozedere bei Mehrfachverletzten Phasen der Akutversorgung beim Polytrauma: Phase I: Akutversorgung der ersten 3 Stunden Phase II: Stabilisierung 3-72 Stunden Phase III: Regeneration Tag 3-10 Phase IV: Rehabilitation ab Tag 8 Nach der initialen Stabilisierung ist die interdisziplinäre Festlegung der Behandlungsprioritäten notwendig. Dabei sollen die für die Gesamtprognose am relevantesten Verletzungen zuerst versorgt werden. Im allgemeinen erfolgt die Absprache noch während der Patient im CT liegt. Bei einem GCS unter 9 ohne größere intrakranielle Blutung wird in der Regel eine ICP-Sonde gelegt (CT: Diffuse Verletzung 1-4). Falls ein extrazerebraler Eingriff unmittelbar ansteht soll auch bei einem GCS von 9 oder 10 vorher in der Regel ein ICPMonitoring installiert werden, da die klinische Überwachungsmöglichkeit für diese Zeit hinfällig wird. Standard ist die externe Ventrikeldrainage (Monitoring + Draingemöglichkeit). Bei Schlitzventrikeln infolge Kompression sollte eine interstitielle Drucksonde verwendet werden, ggf. erfolgt ein Ventrikelpunktionsversuch mit einem kombinierten System (Drainage + Monitor). G. Indikationen für eine sofortige kraniale operative Versorgung Die prinzipielle Indikation und die Dringlichkeit stützen sich auf den CT-Befund und den klinischen Zustand. Eine umgehende operative Entfernung ist bei bewusstseinsgestörten Patienten mit epi- oder subduralen oder intrazerebralen Hämatomen von mehr als 25 ml angezeigt (Phase 1). Der Zeitraum der bis zur Entlastung verstreicht steht in direktem Zusammenhang zur Prognose. Größte Dringlichkeit ist bei Mydriase geboten. Vom Eintreffen in der chirurgischen Ambulanz bis zur Entfernen des Knochenlappens sollen nicht mehr als 40 Minuten verstreichen. Bei Patienten mit einem GCS von 8 oder weniger ohne intrakranielle Blutung von mehr als 25 ml wird wie oben erwähnt unmittelbar im CT oder im Operationssaal eine ICP-Sonde angelegt (Phase I). 7 KRANIALE TRAUMATOLOGIE Halbdringliche Indikationen sind Impressionsfrakturen von Kalottenbreite oder mehr (Phase II). Offene Impressionsfrakturen und Kopfhautverletzungen sollen möglichst umgehend gesäubert, eventuell debridiert und verschlossen werden. Das gleiche gilt für perforierende Stichverletzungen und Schusswunden. H. Ergänzende Diagnostik Nach der vitalen Stabilisierung und Kontrolle der intrakraniellen Druckwerte muss die periphere radiologische Diagnostik gegebenenfalls noch ergänzt werden. Bei Gesichtsschädelverletzungen sind Röntgennativaufnahmen bzw. die CT der Frontobasis mit coronaler Rekonstruktion ebenfalls angezeigt. Bei einer computertomographisch nicht diagnostisch erklärten Hemiparese besteht der Verdacht auf eine Karotisdissektion. Dieser muss mittels einer Duplexsonographie oder Angiographie bestätigt oder ausgeschlossen. I. Management von ICP und CPP auf der Intensivstation Monitoring Beim schweren SHT wird auf der Intensivstation das Monitoring ergänzt indem neben zentraler Venendruckmessung und arterieller Blutdruckmessung evtl. electrophysiologische Parameter abgeleitet werden. Bei traumatischer SAB gibt die zervikale Dopplersonographie und TCD geben ein Maß für die Perfusion und allfälligen Vasospasmus. Als Richtlinie für eine normale zerebrale Perfusion gilt bei Patienten unter 50 Jahren eine mittlere hochzervikale Flußgeschwindigkeit in der A. carotis interna von 40 cm/s. Die Perfusions-CT wird bei V.a. Vasospasmus zur genaueren Bestimmung verwendet. Ziel der ICP/CPP Therapie ist primär ein ICP<20mmHg und ein CPP von >70 mmHg. . Allgemeinmassnahmen bei ICP>15 mmHg - Oberkörper 30° hochlagern, Kopf achsengerecht um eine venöse Abflußbehinderung zu vermeiden - ausreichende Analgosedierung (0,2 -0,4 mg/h Fentanyl + 75-200 mg/h Disoprivan 2% oder Propofol) 8 KRANIALE TRAUMATOLOGIE - Optimale Oxygenierung (PO2> 100 mmHg falls FI-02 < 0.6) - Adäquate Ventilation (pCO2 = 35 mmHg) - Hb> 10g/dl - Euglykämie (80-120 mg%) - Normothermie - Normovolämie Eskalierende Therapie bei ICP> 20 mmHg Toleranzen der ICP-Erhöhung: - ICP> 20 mmHg: 30 Minuten - ICP> 30 mmHg: 15 Minuten • Therapielevel 1: Analgosedierung • Therapielevel 2: Liquordrainage über ICP-Katheter. Intermittierendes Ablassen bei ICP>20mmHg, Dauerdrainage, falls ICP weniger als 15 Minuten unter 20 mmHg bleibt) • Therapielevel 3: Mannitol 0,3 – 1,5 g/kg (Vorsicht, Gefahr der Nephrotoxizität und Bluthirnschrankenstörung insbesondere bei Serumosmolarität >320mosmol) • Therapielevel 4: Mäßige Hyperventialtion mit PaC02 = 32-35 mmHg • Therapielevel 5: Barbiturattherapie unter EEG-Kontrolle. Primär Gabe von 150 mg Brevimytal als Bolus oder als 2. Wahl 500mg Thiopental als Bolus. Falls darunter suffiziente ICP Senkung weitere Gabe von Brevimytal oder Thiopental bis zur Burst-Suppression mit primärer Dosierung von 150-250mg/h. Entsprechend dem EEG kann die Infusionsrate korrigiert werden. Es muß auf die Gefahr einer arteriellen Hypotonie, einer Hypothermie und einer Hypokaliämie geachtet werden. Zudem besteht eine vermehrte Infektanfälligkeit. Falls nach Sättigung keine Erniedrigung des ICP erreicht wird, soll die Therapie abgebrochen werden (Non-Responder). Therapeutische Maßnahmen bei Versagen der Standardtherapie • Dekompressionscraniotomie einseitig bei fokalen Läsionen oder beidseitig bei diffusen malignem Hirnödemen • Moderate Hypothermie mittels Oberflächenkühlung bis Temp. von minimal 34,5°C (Cave Gerinnungsstörungen, Thrombopenie) 9 KRANIALE TRAUMATOLOGIE • Hypertone Kochsalzlösung NaCl 7.5% mit Kolloid (z.B. Hyperhaes) 250ml/24 h zur ICP Senkung • Nur bei weiter Pupille oder Einklemmung: Hyperventilation auf ein pCO2 von 28-30 mmHg. Hyperventilation soll nur in der Notsituation bei unkontrollierten ICP kurzfristig (max. 1 Stunde) verwendet werden. • TRIS-Puffer (0,25 mmol/kg/h oder Einmalgabe von 1 mmol/kg über 10 Minuten). Dabei müssen Serum PH, K+ und Nierenfunktion überwacht werden. Ein PH von 7,55 soll nicht überschritten werden. Die ersten drei Therapieformen scheinen vor allem während der Frühphase, d. h. den ersten 48 Stunden erfolgversprechend. Die chirurgische Dekompression ist als ultima ratio bei einem langsam ansteigenden Druck zu befürworten. Maßnahmen bei akutem ICP-Anstieg (Plateauwelle): - Kontrolle des venösen Abflusses - Liquordrainage - Moderate Hyperventilation (pCO2 32-35 mmHg) - Einmaliger zusätzlicher Mannitbolus von 0,5 g/kg KG - Trapanalbolus von 100-500 mg (Vorsicht: arterielle Hypotension) - CT-Kontrolle Reduktion der ICP-Therapie Nachdem der ICP mehr als 24 Stunden unter 20 mmHg kontrolliert werden kann, ist die Therapie in umgekehrter Reihenfolge langsam wieder abzubauen. Nach Absetzen der Barbiturattherapie ist mit weiterer Therapiereduktion mindestens 24 Stunden zu warten, da der Therapieeffekt wegen der gespeicherten Barbituratmenge mindestens noch solange anhält. J. Timing der chirurgischen Versorgung nichtvitaler Verletzungen Chirurgische Eingriffe für nichtvitale Begleitverletzungen sollen erst durchgeführt werden, nachdem sich der ICP stabilisiert hat. Beim schweren SHT sind diese Interventionen im 10 KRANIALE TRAUMATOLOGIE allgemeinen erst nach einer Woche zu befürworten (Phase III). Dies gilt auch für die Versorgung von frontobasalen Liquorfisteln. K. Versorgung des leichten Schädel-Hirn-Traumas Im Vordergrund bei der Behandlung von Patienten, die mit einem GCS von 13-15 eingeliefert werden, steht der Ausschluß von sekundär auftretenden intrakraniellen Blutungen und von Begleitverletzungen. Patienten mit einer posttraumatischen amnestischen Episode sollen grundsätzlich 24 Stunden stationär überwacht werden. Eine Ausnahme kann bei einem GCS von 15 gemacht werden, wenn eine CT mindestens 6 Stunden nach dem Trauma einen normalen intrakraniellen Befund zeigt und eine häusliche Überwachung gewährleistet ist. Umstände die auf ein erhöhtes Risiko einer intrakraniellen Blutung hindeuten sind: - Einfluß von Alkohol oder Drogen - Epileptische Anfälle - GCS < 15 - Fokales neurologisches Defizit - Offene Schädelfraktur oder perforiernde Verletzung In diesen Fällen soll grundsätzlich ein CT durchgeführt werden. Extrakranielle Zusatzuntersuchungen wie HWS-Röntgen etc. sind beim leichten SHT nur bei entsprechenden klinischen Verdachtsmomenten angezeigt. L. Versorgung des SHT im Kindesalter Das Schädel-Hirn-Trauma ist die häufigste Todesursache im Kindesalter. Es gibt zwei Inzidenzgipfel, zum einen im Kleinkindesalter, wo Sturzverletzungen überwiegen, zum anderen bei älteren Kindern und Jugendlichen, wo Verkehrsunfälle die häufigste Ursache darstellen. Die meisten SHT sind leichter Ausprägung mit kurzzeitiger Bewusstlosigkeit und einem GCS von 13-15. 11 KRANIALE TRAUMATOLOGIE Modifizierter GCS für das Kindesalter Augenöffnen Verbale Äußerungen Bewegungen Spontan 4 Auf Ansprache 3 Auf Schmerzreiz 2 Fehlend 1 Normale kindliche Lautäußerung 5 Gereizt, Weinen 4 Weinen auf Schmerzreiz 3 Stöhnen auf Schmerzreiz 2 Fehlend 1 Normal, spontan 6 Gezielte Schmerzabwehr 5 Massenbewegung auf Schmerzreiz 4 Abnormales Beugen 3 Abnormales Strecken 2 fehlend 1 Das schwere SHT (GCS < 9) im Kindesalter unterscheidet sich in Bezug auf Verletzungsmodus und – auswirkungen von dem im Erwachsenenalter. Insgesamt macht es 7-10% aller SHT aus und bedarf in 20-30% einer neurochirurgischen Intervention (außer EVD). Die Mortalitätsrate liegt bei 20-40%. Besonderheiten: EDH Im Kindesalter entstehen epidurale Hämatome zumeist aus venösen Frakturspaltblutungen und treten somit verzögert mit weniger dramatischer Klinik auf. Daher sind bei nachgewiesenen Frakturen ohne initiales EDH immer CT-Kontrollen nach 24 h indiziert. Schmale EDH bis Kalottendicke müssen nicht immer evakuiert werden. In solchen Fällen sind CT-Kontrollen nach 6-10 h und eine intensivmedizinische Überwachung indiziert. EDH in der Nähe der A. meningea media oder eines venösen Sinus sollten operativ versorgt werden. Bei Blutungen aus dem Knochen sollte eine epidurale Drainage eingelegt werden. SDH Bei unklaren Verletzungsmechanismen muss bei akuten, aber auch chronischen Subduralhämatomen immer an eine „nonaccidental injury“ gedacht werden. Bei einer Indikation zur offenen Hämatomausräumung sollte die Durainzision so klein wie möglich, 12 KRANIALE TRAUMATOLOGIE aber ausreichend zur Versorgung der Blutungsquelle (zumeist Brückenvenenabriß), gehalten werden, da das kindliche Gehirn zu extremer Schwellung neigen kann mit der Gefahr einer nicht beherrschbaren Herniation nach außen. Cave! Schockgefahr alleine durch EDH oder SDH im Kleinkindesalter. Daher immer Blutersatz bereitstellen. Kontusionen Kontusionen bei kindlichen SHT sind oftmals im CT nicht nachweisbar, finden sich aber in 50% aller follow-up-Untersuchungen (MRT-Daten). Die Resektion von Kontusionsherden sollte im Kindesalter, auch bei deutlich gesteigerten ICP-Werten aufgrund einer höheren Regenerationstendenz des Gewebes möglichst vermieden werden. Schädelfrakturen Schädelfrakturen finden sich in 5-7% aller kindlichen SHT. Die operativen Behandlungskriterien sind vergleichbar mit denen im Erwachsenenalter. Ausnahmen: Wachsende Fraktur: Kommt nur bei Säuglingen und Kleinkindern vor und entsteht durch gleichzeitige Duraverletzung. Aufgrund der größeren Pulsatilität und Wachstumstendenz des jungen Gehirns besteht die Gefahr eines sich zunehmend vergrößernden Frakturspaltes aufgrund hervorquellender Hirnsubstanz, die durch gleichzeitige Liquorzirkulationsstörungen mit sekundären Hirnduranarben noch verstärkt wird. Daher müssen konservativ versorgte Frakturen im Kleinkindesalter regelmäßig nachkontrolliert werden. Liegt der Verdacht einer Duraverletzung nahe, muss immer operiert werden. Offene Basisfrakturen im Kindesalter müssen bei fehlender Dislokation der Spalten auch bei Liquorfluss aufgrund der guten Heilungstendenz im Kindesalter nicht operativ versorgt werden. Nonaccidental Injury Akute und chronische Subduralhämatome oder Hygrome, Parenchymhypodensitäten bis hin zum sogenannten „black brain“ ohne Cortex-Marklager-Differenzierung bei Säuglingen 13 KRANIALE TRAUMATOLOGIE (Mortalitätsrate 70%) sind typische Erscheinungsformen der "nonaccidental injury". Hämatome sollten entlastet werden. Dekompressive Maßnahmen bei „black brain“ führen oftmals zu einem unbeherrschbaren Hervorquellen von Hirngewebe, das meist völlig kolliquiert ist, weshalb diese nicht zu empfehlen sind. Es muss immer nach Begleitverletzungen gesucht und die Rechtsmedizin mit einbezogen werden: Retinale Blutungen (80%), Babygramm zum Ausschluß von (mehrzeitigen) Frakturen, Inspektion des Integuments nach Prellmarken und Griffspuren. Spinale Begleitverletzungen sind mit 0,4% im Kindesalter seltener. Bei Neonaten: Caput succedaneum = subperiostales Ödem oder Serohämatom (bei 20-40% aller Vakuumextraktionen) Kephalhämatom = subperiostales Hämatom (bei 20% aller mechanisch assistierten Geburten) Subgaleales Hämatom In der Regel erfordern diese Verletzungen keine neurochirurgische Intervention. Selten können perkutane Aspirationen nach Hämatomverflüssigung indiziert sein. Pingpong-Fraktur entspricht einer Grünholzfrakur der Kalotte. Bei kleinen, regelmäßig geformten Frakturen ohne Knickbildung ist in der Regel keine OP erforderlich. Occipitale Osteodiastase entsteht durch eine traumatische Geburt und muss nicht operativ behandelt werden. Sie ist selten mit intrakraniellen Blutungen assoziiert. Intensivmedizinisches Management bei Kindern ICP-Messung ab GCS 8, ICP Ziel: < 12 mmHg Hyperventilation pCO2 32-35 mmHg Lagerung 30° Oberkörperhochlagerung Osmodiuretika 0,25 – 1 g/kg Mannit (bis zu max. 320 mosmol/l) Barbituratnarkose Hypothermie 34,5-35,5C, falls ICP nicht < 20 mmHg 14 KRANIALE TRAUMATOLOGIE CPP variiert nach Patientenalter von ca. 40-50 mmHg (6 Monate) bis 70 mmHg (14 Jahre) Stummer/Wöbker/Messing-Jünger 7/2003 Stand Sept. 2009 15